Quelle: Wilhelm Brauneder, Zur Gesetzgebungsgeschichte der niederösterreichischen Länder. In: G. Frotz-W. Ogris (Hrsg.), Festschrift für Heinrich Demelius zum 80. Geburtstag, Verlag Manz, Wien 1973, 1-23 (um Zwischenüberschriften ergänzt).
Aus dem Band "Wilhelm Brauneder, Studien I: Entwicklung des Öffentlichen Rechts (Frankfurt am Main 1994) S. 437 - 462" mit Hilfe eines OCR-Programms digitalisiert und in Anlehnung an die Richtlinien der TEI mit XML-Markup versehen. Letzte Aktualisierung der Verlinkungen 10. Mai 2016.
Für die Erlaubnis zur Digitalisierung danke ich Herrn Professor Brauneder herzlich.
Heino Speer
Klagenfurt am Wörthersee
Juni 2013
Österreich unter und ob der Enns sowie die innerösterreichischen Territorien Steiermark, Kärnten und Krain bilden seit der Behördenreform Maximilians I. als "niederösterreichische Länder" unter obersten Behörden eine äußere Einheit1. Doch bestand schon im Mittelalter zwischen ihnen eine von der jeweiligen verfassungsrechtlichen Verbindung unabhängige Rechtsgemeinschaft: Rechtsgeschäfte werden oft formell nach "des landes gewonhait vnd Recht in Österreich vnd in steyr" abgeschlossen2, auch gab es im Materiellen wenig Unterschied: "... ob ainer vnserer getrewen von Crain Heyrath mit ainer von Steyr/Khärndten oder von Oesterreich, ... der soll dasselbe Recht haben"3. Daher konnten Handschriften des steirischen Landrechts in ganz Innerösterreich in Gebrauch stehen4, ähnlich wurde überall der Schwabenspiegel, oft in äußerer [Seite: 438] oder auch innerer Verbindung mit lokalen Rechtsquellen5, verwendet. An dieser Rechtsgemeinschaft änderte die Formierung neuer Ländergruppen unter eigenen Monarchen (ab 1564) nichts, deren getrennte Behördenorganisationen auch nach der Vereinigung unter wieder einem Herrscher (1619) bis 1750 fortbestanden6, so daß Beckmann 1688 österreichische und steirische Rechtsgewohnheiten gemeinsam behandeln konnte7.
Wie allgemein8, so schlägt auch in den niederösterreichischen Territorien die frühneuzeitliche Gesetzgebung die Brücke von der mittelalterlichen, nur erst teilweise durch Hoheitsakte bestimmten Rechtsordnung zu jener des aufgeklärten Absolutismus, die vom Willen des Monarchen beherrscht ist, der sich wieder im Gesetz manifestiert und keine andere rechtserzeugende Quelle neben sich duldet. Die Entwicklung der Legislative in der Zeitspanne von etwa 1500 bis 1800 kennzeichnet somit einen Wandel in der Auffassung von der Entstehung und damit vom Wesen des Rechts. Die Vorstellung, Recht nicht einfach als gegeben hinnehmen zu müssen, sondern es über den Einzelfall hinaus gestalten zu können, ist dem Mittelalter nicht schlechthin fremd. Zur Entfaltung gelangt diese Idee aber in der frühen Neuzeit. Dafür sind mehrere Bedingungen [Seite: 439] maßgebend, etwa äußerlich der Ausbau der Landesherrschaften zu zumindest quasistaatlichen Territorien, nicht zuletzt auch die Verbreitungsmöglichkeit der Gesetze duch den Buchdruck, womit sie als allgemeine Normen der Allgemeinheit zugänglich gemacht werden können. Ihrem inneren Wesen nach sind sie von der gestiegenen Verwissenschaftlichung, dem Systembedürfnis und der Rationabilität des Rechtsdenkens bestimmt.
Das primär formelle Unterscheidungskriterium legislativer Hoheitsakte ist der jeweilige örtliche Geltungsbereich. Danach lassen sich folgende Gesetze unterscheiden: Solche für einzelne Herrschaften, für Städte, für grundsätzlich das gesamte Land, für eine Ländergruppe und schließlich, am Ende des hier betrachteten Zeitraums, für alle deutschen Erbländer. Durch den Gesetzgeber unterscheiden sich nur die grundherrlichen und städtischen Gesetze voneinander wie auch von den übrigen, während jener bei Gesetzen für einzelne Länder, für Ländergruppen wie für alle deutschen Erbländer derselbe ist. Diese Feststellung betrifft jedoch nur die ausgeübte Funktion, nicht aber die diese wahrnehmende Person: Sie kann sowohl herrschaftliche, stadtherrliche wie landesfürstliche Gewalt in sich vereinigen.
Die höchste gesetzgebende Gewalt ist, sieht man von jener des Hl. Röm. Reiches ab9, die auf Landesebene. Auch der Erlaß eines formell für mehrere Länder verbindlichen Gesetzes erfolgt kraft Landesgesetzgebungsrechts in den einzelnen Territorien.
Von vorrangiger Bedeutung für die Gesetzgebungsgeschichte ist die Landeslegislative. Die gesetzgeberische Tätigkeit im grundherrschaftlichen wie städtischen Bereich wird daher im folgenden nur kurz gestreift (u. II bzw. III). Sie ist freilich für das Rechtsleben ihrer Zeit, das sei betont, von oft primärer Bedeutung. [Seite: 440]
Die zeitgenössische Wichtigkeit der grundherrschaftlichen Legislative manifestiert sich schon äußerlich in der überaus großen Anzahl an überlieferten Gesetzen. Sie pflegen als "Weistümer" zusammengefaßt zu werden10. In der Neuzeit sind sie nur mehr in seltenen Fällen formell "geweistes" Recht, sondern vielmehr obrigkeitliche Satzung11. Sie werden kraft eigenen Rechts von den Grundherrn, oft "eine Art von Regenten ihrer Gebiete"12, erlassen13: "Allen und jeden zu hießiger meiner herrschaft ... gehörigen unterthanen würdt hiemit angezaigt ..."14.
Viele grundherrschaftliche Rechtssätze sind "Regierungsakten"15 des Landesfürsten in Detailfragen "guter Polizey" nicht unähnlich. Die Grundherren erlassen wie auch der Landesfürst "Articl ... zu erhaltung gueter pollicei" oder einfach eine "Policeiordnung"16. Territoriale Polizeiordnungen werden oftmals "übernommen und nachgeschrieben", manchmal auch zitiert17. Hier liegt eine der Einbruchstellen des lf. Gesetzgebungsrechts in den grundherrschaftlichen Bereich: An die Stelle des Grundherrn als Inhaber der "Polizey" tritt schließlich der Landesfürst18.
Allgemein sind diese "ländlichen Rechtsquellen" trotz ihrer Vielfalt von Bedeutung für die Vorbereitung der Rechtseinheit im Land. Gleich- oder ähnlichlautende "Weistümer", sogenannte "Weistumsfamilien"19, schaffen eine über den jeweiligen Geltungsbereich hinausgehende Rechtsangleichung, die in der Neuzeit nicht nur bewußt betrieben20, sondern neben der erwähnten Rezeption überregionaler Polizeiordnungen durch Übernahme auch anderer [Seite: 441] Landesgesetze verstärkt wird21. So kann, gerade anknüpfend an diese engräumigen Ordnungen, die Forderung nach formeller Rechtseinheit erhoben werden. Etwa stellten schon 1478 die steirischen Stände den Antrag, der Landesfürst möge "in allen lanndgerichten ein gnedigs furnemen machn und darin ain ordnung setzen", den sie mehrmals wiederholten22. Diese Bemühungen um Rechtseinheit auf dem Gebiete des Strafrechts münden schließlich in die das Gesamtterritorium umfassenden Landgerichtsordnungen (bzw. Entwürfe)23. Mit diesen Intentionen kreuzen sich solche des Landesherrn, der etwa im Innsbrucker Libell 1518 Verweser, Vizedome etc. anweist, in den ländlichen Herrschaften und Gerichten den allgemeinen Landesbrauch zu beachten24. Formell geschieht dies oftmals nur in Ansätzen: So nehmen auf die stmk. Landgerichtsordnung 1574 ländliche Rechtsquellen doch "verhältnismäßig selten Bezug"25. Im 17. Jahrhundert hingegen verstehen sich manche herrschaftliche Satzungen als "Ausführungsgesetze" des Tractatus de juribus incorporalibus26.
Eine Bereitschaft zur Anerkennung von Ordnungen, deren Geltungsbereich über den der ländlichen Rechtsquellen hinausgeht, folgt schließlich aus dem Zweck der neuzeitlichen "Weistümer" wie auch aus der sich in ihnen manifestierenden Rechtsvorstellung. Die bei Polizei- bzw. Landgerichtsordnungen jeweils idente Zielsetzung wurde schon erwähnt. Gleiche Zielvorstellungen bestimmen schließlich auch örtliche "Landrechte" wie solche für das Gesamtterritorium27. Hier vor allem wird eine spezifische Auffassung vom Wesen des in den örtlichen Ordnungen festgelegten Rechts sichtbar: Es ist nicht bloß das Recht der jeweiligen Herrschaft, sondern das Landrecht, das für den Bereich der Herrschaft aufgezeichnet wird, mit dem Bewußtsein jedoch, daß es im gesamten Land so gehalten werde. Ein diesem Recht verpflichtetes territoriales "Landrecht" wird somit nur als fremde Rechtsaufzeichnung, nicht aber als fremdes Recht angesehen. Daraus erklärt sich auch die erwähnte bewußte "Rezeption" von "überregionalem" Landesrecht. Die Herstellung territorialer Rechtseinheit bringt unter diesen Aspekten nur eine formelle, nicht aber eine materielle Neuerung. [Seite: 442]
Ursächlich für die untergeordnete Rolle der Stadtgesetzgebung ist die äußerst geringe städtische Autonomie. So waren schon "der Selbstverwaltung ... in den österreichischen Städten vom Mittelalter her enge Grenzen gesteckt"28, schließlich erfuhr diese eine stetig fortschreitende Einschränkung. Vollends fehlte es an einem autonomen Gesetzgebungsrecht. Dieses übt vielmehr der Stadtherr aus29, in den bedeutenden Städten somit der Landesfürst, in manchen "Ackerbürgergemeinden" ein Grundherr. In beiden Fällen unterscheidet sich die Rechtssetzung formell kaum von jener, welche diese Personen in Wahrnehmung ihrer hauptsächlichen Funktion, nämlich als Landesfürst30 oder Grundherr31, ausüben. Ein spezifisch patrizisch-bürgerlicher Einfluß wie in den Reichsstädten ist nicht zu verzeichnen.
Das gilt vor allem auch für die bedeutendste Stadt, für Wien32. Die frühneuzeitlichen Stadtordnungen, besonders die von 1526, sind Rechtsgebote des Landesfürsten, der sich selbst an überkommenes Stadtrecht nicht gebunden fühlt: "Dieweil aber dieselben satzungen, handvesten und ordnungen sich diser gegenwertigen zeit zu aufnemung der stat nicht mehr vergleichen, so haben wir ... ain besonder buch aufgericht, nach demselben in künftig zeit gehandelt werden solle"33. Anders als in Sachen Landesgesetzgebung (s.u. IV/B) hören wir weder etwas von einem auch nur beratenden Mitwirken städtischer Behörden, selten von ihren Anträgen. Während in der "New Pollicey und Ordnung" für die Handwerker der nö. Länder 1527 ein mehrfaches und beharrliches Vorgehen der Stände erwähnt wird, ist jene für Wien 1527 nur "für vnns selbs / als ain milder Künig" erlassen34. Stets ist es bloß "Unser genediger bevelch ...", die "majestät haben ... zu systemisieren geruht", Ks. Franz II. schließlich erklärt, daß "... manche dieser privilegien und freiheiten schon erloschen, einige hingegen mit den jetzigen verhältnissen ganz unverträglich sind ...35[Seite: 443]
Dieselbe Situation spiegeln auch Mediatstädte, etwa Eferding (Oberösterreich), wider36. Das Stadtrecht 1597 XI 30 ist von Erasmus v. Starhemberg in seiner Eigenschaft "alß erbaigenthumer und regierunder herr der herrschaft vnnd statt Eferding" erlassen37. Die diversen Handwerksordnungen werden vom Stadtherrn "aus sunder genad" bestätigt oder erneuert.
Die wesentliche Rolle in der Geschichte der Legislative spielt die Landesgesetzgebung. In einem ersten Abschnitt ist auf die Theorie (u. A), in einem weiteren auf die Praxis (u. B) einzugehen, schließlich ist der Charakter (u. C) und kurz das Problem der Geltung (u. D) zu erläutern.
Während sich im 16. Jahrhundert gerade auch in den niederösterreichischen Ländern die Privatrechtswissenschaft im Aufbruch befindet38, läßt sich solches von einer vergleichbaren Staatsrechtslehre nicht einmal annähernd behaupten. Dies wurde mehrmals hinsichtlich der Behandlung des Staatsrechts des Reiches festgestellt39, trifft aber ebenso auf die Situation in den Territorien zu.
Grundsätzliche und frühe Äußerungen über die Legislative im Land enthält die "Vorred" zum Landrechtsentwurf für Österreich unter der Enns 152640. Er steht teils noch in der römischrechtlich-kanonistischen Tradition41, knüpft aber bereits auch an heimische Quellen an. — Die allgemeine Notwendigkeit zur Gesetzgebung folge "aus Göttlichem eingebn nach außweißung des löbl: [Seite: 444] Römischen Kayßer Justinianj" (fol. 1). Sie sei eine von Gott jeder Obrigkeit "eingegossene" Tugend (fol. 1'), so daß diese "alß göttlich Werkhzeug" (fol. 2) fungiere. Es gezieme nun Ferdinand I., in die "fußstapfen" seiner Vorgänger zu treten, um den "fürstlichen und königlichen, von Gott erlauchten Weißheit gemüthern und Tugenden nachzufolgen", zu dem Zwecke, daß "Unßere von Gott und der Natur angefahlene und angebohrne Fürstenthumb und Landte nit münder mit solcher Tugendt der Gerechtigkeit Ordentlichen Gerichten und Nützlichen Gesätzen alß scheinende Waffen geziert und gesterkhet, jede Zeit des friedts und Kriegs tröstlich unterhalten werden"42. — Diese allgemeine Motivierung betont die Pflichtenseite des gottverantwortlichen Monarchen, die römische Tradition des Hauses Habsburg wie des (mittelalterlichen) Römischen Reiches. Durchaus ist aber der spezifischen Rolle der Landesfürsten in Österreich unter der Enns gedacht: Ausdrücklich wird die gesetzgebende Gewalt "als Regierender Erzherzog Herr und Landtsfürst zu Österreich" von jener "auß Kayßerlicher Gewaldt" geschieden (fol. 7). Das landesfürstliche Gesetzgebungsrecht basiere auf "unßerer Vorforderen Wolthatten und hochverdienten Privilegien", womit die privilegia de non evocando und die in den "Österreichischen Freiheitsbriefen" (darunter das "privilegium maius") zusammengefaßten Privilegien gemeint sind43. Demnach habe der österreichische Landesfürst "Gericht und Recht frey", und somit die Macht, "nach Notturften und Gelegenheit unßerer Land und Leuth ... Recht zu sezen und zumachen" (fol. 7) — und zwar "den gwaltigen Königen gleich" (fol. 4'). Wohl dieser Auffassung wegen fehlt es auch an einem Hinweis auf die Notwendigkeit einer Bestätigung der Landesgesetze durch das Reichsoberhaupt.
Allerdings werden auch die an der Gesetzgebung Beteiligten erwähnt, die "ordentlichen *Hoff* Räthen, auch Landt Leuthen und Unterthanen" (fol. 7'). Das Mitwirken der Landstände ist näher umschrieben mit: "zeitigen Rath Vorbetrachten und guten Wissen und Willen" (fol. 7', 8' f.). Daß es sich bei diesem "Rath" nicht um einen nur allenfalls eingeholten und dann unverbindlichen [Seite: 445] Ratschlag, sondern um den unabdingbaren und verpflichtenden Rat gemäß mittelalterlicher Auffassung handelt, wird deutlich aus dem "Vorbetrachten" und dem erwähnten Willenselement. Die Stellung der Stände insgesamt ist somit durch ein Mitwirkungsrecht bestimmt — doch nicht allgemein, sondern sachlich eingeschränkt auf "daß [vorliegende] Buch ... alß ein angefangene fürgeschribene Taffel, so billich wie von alter her daß Landts Recht genennt würdet" (fol. 7')44. Es ist also der sachliche Gehalt des Gesetzgebungsaktes, der diesen der absoluten Macht des Landesfürsten entzieht; es ist das Recht des Landes, über das nur dieses in seiner Gesamtheit, "repräsentiert" durch Landesfürst und Landstände45, disponieren kann. Damit erhält auch die Erwähnung der landesfürstlichen Hofräte und der Untertanen, die ihrer Abhängigkeit wegen zwar nicht Träger politischen Willens sein können, aber als durch das Landrecht verbundene Rechtsgenossen zu gelten haben, ihren Sinn.
Doch klingt der Vorrang des Landesherrn in der Legislative deutlich an: Sie ist "fürstliche Macht", vergleichbar mit jener des oft zitierten "römischen Kaisers Justinian" (fol. 1, 9'). Diese römische Tradition ist für das Haus Österreich nicht neu: Die österreichischen Freiheitsbriefe und, ihnen folgend, die "Vorred" (o. FN 43) berufen sich ja ebenfalls auf den Habsburgern gewährte Privilegien Cäsars und Neros. Sie kann sich ferner auf die römische Reichstradition stützen, da gerade die "Vorred" erwähnt, das Haus Habsburg sei "vil Zeit mit desselben Römischen Reichs Kayßerl: und Königlichen Händeln und Beyständten zu friedn und Kriegen beladen gewest"46.
Die ständische Theorie über die Landesgesetzgebung ist dem Entwurf eines "Landrechts" für Österreich ob der Enns 1609, einem "Versuch des altständischen Staates, seine Rechte vor seinem Untergang zu kodifizieren"47, zu entnehmen. Diese Arbeit steht in ihrem "öffentlich-rechtlichen" Teil unter dem Einfluß des besten Kenners ständischer Rechte und Freiheiten, nämlich dem des protestantischen Ständeführers Georg Erasmus v. Tschernembl48: "Das ganze land ob der Enß ausser ihrer landfürstlichen hochheit und cammergüeter [Seite: 446] ist den landstenden freißaign oder lehensweiß mit aller civil-jurisdiction unterworfen ...49. Da die Stände sich somit mit dem Landesfürsten die Landesgewalt teilen, können Angelegenheiten, die das Wesen des Landes betreffen, wie etwa das Landrecht und die damit verbundene Gesetzgebung, nur im Einvernehmen mit den Landständen ausgeübt werden. Als notwendig angesehen wird seitens der Stände das landesfürstliche Rechtsgebot. Es soll selbst diese ständisch inspirierte Ordnung "auß landsfürstlicher gewalt und vollmacht ... gesetzt und ... geboten ..." werden50. Freilich ist dies eine Pflicht des Fürsten, solange er des verbindlichen Rats der Stände wegen mit diesen, so wenigstens die mittelalterliche Tradition, einen Konsens zu erzielen hat51.
Somit scheinen gemäß der Theorie des 16. Jahrhunderts die Standpunkte des Landesfürsten wie der Stände im Wesentlichen in Einklang zu stehen: Die Landesgesetzgebung steht beiden Gewalten nur gemeinsam zu, wobei die landesfürstliche Theorie expressis verbis auf das "Landrecht" einschränkt. Aber wie der katholische Landesfürst und die protestantischen Stände im 16. Jahrhundert aneinander vorbei dachten, wenn sie von der "kirchlichen Reform" sprachen, so möglicherweise auch, wenn sie beide den ständischen "Rat" erwähnen. — Die Ausführungen in den zitierten Landrechtsentwürfen sind wohl als eher behutsame Äußerungen zu verstehen — die Stände suchten ja schließlich die Sanktion des Landesfürsten zu erlangen52. Die theoretische Basis insgesamt geht jedoch sowohl auf landesherrlicher wie ständischer Seite darüber hinaus. So hatte Ferdinand I. einen "langen Aufenthalt in der von absolutistischen Anschauungen erfüllten Luft Spaniens" hinter sich53. Kg. Ferdinand d. Katholische war sein Lehrer in Sachen der Politik gewesen, macchiavellistische Tendenzen waren ihm daher, ohne wahrscheinlich den "Principe" gekannt zu haben, nicht fremd54.
Von Bedeutung für die geistige Grundhaltung der Ständeführer sind, neben der durch Privilegien und altes Herkommen bestimmten "Staatsauffassung", zeitgenössische Schriften gegen die Tyrannenherrschaft. So waren der [Seite: 447] erwähnte Tschernembl und Reichart Strein v. Schwarzenau, der Führer der Stände des Landes unter der Enns, Schüler des Monarchomachen Hotman gewesen55. In Tschernembls Bibliothek standen zahlreiche monarchomachische Schriften, und es ist gewiß von Bedeutung, daß in dieser, umgeben nicht nur von Hotmans "Franco-Gallia" und Calvins "Institutio religionis christianae", sondern auch den Schriften Bodins und Macchiavellis, der obderennsische Landrechtsentwurf 1609 entstand56.
Der Dualismus Landesfürst — Landstände verharrt somit in ungelöster Spannung, die sich bekanntlich 1618 entlädt und zu Gunsten des Landesfürsten entschieden wird. Das Mitwirken der Stände an der Gesetzgebung gilt jetzt nicht mehr als unabdingbar, sondern nur mehr als möglich.
Johann Stephan Pütter betrachtet zwar die Landstände als "ebenso alt, wie die Landeshoheit selbst" — stellt sie aber damit bereits der Landeshoheit als "höchster Gewalt" grundsätzlich gegenüber57. Ihre Rechte im Lande sind daher von jener der Reichsstände im Reich "sehr unterschieden", da es zwar in den meisten Territorien Landstände gäbe, die ein "Mitregierungsrecht" besässen, allerdings anderswo auch solche, denen es mangle58. Die Stellung von "Mitregenten" käme ihnen zu, wenn der Landesfürst bei Gesetzen, die sein Kammergut betreffen, der ständischen Zustimmung bedürfe, sie fehle, wenn er hiebei "alle Hoheitsrechte ohne Zutun der Landstände ausüben kann"59. — Johann Jacob Moser hingegen vertritt die Ansicht, zwischen Landesfürsten und Ständen sei "die Landeshoheit nie getheilt, die lezteren mögen auch so vile Gerechtsame haben, als sie wollen", sie könnten keineswegs als "Mitregenten" angesehen werden60.
Die Auffassung, die Landstände seien nicht dem Landesfürsten gleichgestellte Mitregenten, teilt die staatsrechtliche Literatur in den habsburgischen Erbländern. Für Franz Ferdinand Schrötter "ist das Recht, Gesetze in Landesangelegenheiten zu geben", die "erste Wirkung der Landeshoheit", die aber allein dem "Erzherzog" zukäme61. Trotz des hohen Alters ständischer Einrichtungen werde der Landtag nur vom "Erzherzog selbst ausgeschrieben, (und ist) ohne dessen Bewilligung ... ungültig und unerlaubt"; den Ständen stünden [Seite: 448] "keineswegs ... Regierungsrechte" zu62; ausdrücklich spricht er abermals von den "erzherzoglichen Gesetzen"63.
Von Bedeutung ist es auch, daß die heimische Theorie sich sehr wohl einer anderen Gestaltungsmöglichkeit bewußt ist, sie aber in Hinblick auf österreichische Verhältnisse verneint. So erklärt Christian August v. Beck seinem Schüler Josef II., daß das Recht, Gesetze zu geben, der "Majestät" zukomme, die jedoch "entweder in einer einzelnen Person oder in mehreren Personen oder auch in dem gesamten Volk (bestehe)"; gemäß einer dieser "Regimentsformen" müßten auch die Gesetze beschaffen sein64. Speziell auf die österreichischen Stände eingehend, ordnet er deren Befugnisse der "Landesfürstl(ichen) Obrigkeit und Hoheit" unter65; nur was der Fürst bestätige und publizieren lasse, habe Gesetzeskraft66. Auch Zeiller erklärt dem Erzherzog Anton Victor, daß dem Landesherrn die gesetzgebende Gewalt zukäme, wobei "in manchen Ländern ... auch die Landstände dazu beigezogen werden (müssen)"67. Für die deutschen Erbländer lehnt er dies jedoch ab68.
Bald nach 1620 hatte sich schon der Landesfürst diese Theorie zu eigen gemacht: Die novellierte Landesordnung für Böhmen 1627 spricht das jus legis ferendae allein dem Monarchen zu, nach jener für Mähren 1628 wird er es sich "nit werden lassen entgegen sein, unseren getreuen Stände in einem oder ander zu vorhero zu vernehemen"69. Dabei handelt es sich nicht mehr um den notwendigen und verbindlichen Rat nach mittelalterlicher Auffassung, sondern bloß um ein allfälliges, unverbindliches Zuziehen "vorhero", das heißt, vor dem rechtsetzenden Akt des Monarchen. Den Ständen stünden nur vom Landesfürsten gewährte Privilegien zu, ihre Rechte seien also nicht originärer Art; in den Ländern der Wenzelskrone hätten sie diese überdies "jure belli" verwirkt70. Diese Auffassungen werden, unter dem Eindruck der Ereignisse, von den Ständen akzeptiert: Jene des Landes ob der Enns hatten 1625 vor dem Landesfürsten freiwillig den Kniefall geleistet71. Wilhelm von Slavata, [Seite: 449 ]Angehöriger des böhmischen Grafenstandes, wandte sich zugunsten der "uneingeschränkten Monarchie" entschieden gegen die Auffassung, die habsburgischen Länder seien ein ständisch-monarchisches "Imperium mixtum"72.
Nachdem der Codex Theresianus73 jede Rechtsnorm umständlich auf den Willen des Landesfürsten zurückgeführt hatte, bestimmt das Josefinische (Zivil)Gesetzbuch eindeutig: "Von der dem Landesfürsten eigenen obersten Gewalt entsteht die Verbindlichkeit aller ... Gesetze" (1 § 2). Der vorangegangene Entwurf Horten hatte dazu noch festgestellt: "Alle Gesetze, welche Wir entweder aus eigener Bewegung oder sonst erlassen ..." (I 1 § 3). Gesetzgeber ist damit nur der, der den Gesetzesbefehl erläßt, unbeschadet der Anregung, der Mithilfe im Gesetzgebungsverfahren.
Die Gesetzgebung gilt aber nicht nur als ein Recht, sondern wird für eine Pflicht des Landesherrn gehalten, da sie jenes Mittel sei, das die Wohlfahrt und Sicherheit der Untertanen garantiere74. Damit klingen Motive an, die den Landesfürsten im 16. Jahrhundert beim Erlaß der Polizeiordnungen geleitet hatten75. Allerdings hält Moser 1773 allgemein noch an der Unterscheidung von Landes- und Polizeiordnung fest: "und man verstehet (unter letzteren) insgemein diejenigen Gesetze, welche nicht von gerichtlichen Sachen, Contracten und Erbschafften (als wovon die Landrechte reden), handlen ..."76. Es handelt sich somit um ein primär inhaltliches Unterscheidungskriterium, an das keine weiteren Folgerungen hinsichtlich des Gesetzgebungsrechtes geknüpft werden, wie dies vor etwa 250 Jahren in der "Vorred" zum unterennsischen Landrechtsentwurf 1526 der Fall gewesen war: Aus der Qualität des Rechts folgt nunmehr keine unterschiedliche Gesetzgebungsgewalt, dem Monarchen als alleinigen Gesetzgeber stehen in Sachen "Landrecht" nicht mehr anzuhörende Rechtsgenossen gegenüber, sondern, wie bisher schon hinsichtlich der Regelung "guter Polizey", Normadressaten.[Seite: 450]
Eine besondere Rolle in der Praxis der Gesetzgebung kommt den "Landrechten"77 zu. In Österreich unter der Enns erstellen die Stände mit landesherrlicher Billigung bis 1526 einen Entwurf, den sie einer Kommission des Landesfürsten übergeben. Dieser behält sich das Recht auf Ergänzung und Interpretation bevor, allerdings mit Rat und Wissen der Stände, die sich damit für einverstanden erklären. Weitere Arbeiten verlaufen jedoch im Sande. Erst 1572 ergreifen die Stände abermals die Initiative. Nach Verhandlungen am Landtag und der Bildung eines ständischen Ausschusses gelangt die weitere Behandlung aufeinanderfolgend in die Hände mehrerer Bearbeiter, von denen einer der bedeutendsten der schon erwähnte Ständeführer Strein v. Schwarzenau ist78. Um 1600 geraten die Arbeiten jedoch ins Stocken. — In ähnlicher Weise entsteht bis etwa 1609 der Entwurf eines "Landrechts" für Österreich ob der Enns79. Zwar geht hier der Impuls vom Landesfürsten aus, die Ausarbeitung übernehmen jedoch die Stände. Sie übertragen die Arbeit schließlich einem von ihnen ins Land berufenen und bestallten Rechtslehrer, Dr. Abraham Schwarz, mit dem besonders ihr Führer, der schon genannte Tschernembl, aufs Engste zusammenarbeitet. Der ständische Entwurf wird der lf. Regierung übergeben, mit Korrekturen versehen und an den Landesherrn weitergeleitet, bei dem er vorerst liegenbleibt. — Aufschlußreich sind auch die Arbeiten an der unterennsischen Landgerichtsordnung 154080 und am steirischen [Seite: 451] Bergrecht81. Bei diesem initiieren Fürst und Stände gemeinsam einen Entwurf, der von lf. Beamten erstellt wird, doch erheben die "oberen Stände" mehrfache Einwände, worauf die Vorlage an die lf. Räte zurückgeht. Deren Absicht, die Stände durch bürokratische Behandlung zum Einlenken zu bewegen, bekräftigt auf willkommene Weise die bisher nicht gehörte Städtekurie. Auf ihre Beschwerde hin kann die lf. Kanzlei verlauten lassen, daß "solch perkrechtsordnung (abermals) ... von articl zu articl ubersehen und beratslagt (werden müsse)". Die weitere Diskussion fand nun nicht zwischen den beiden Landesgewalten, sondern etwa acht Jahre lang unter den Ständen selbst statt. Schließlich einigten sie sich auf einen neuen Entwurf, legten diesen dem Landesfürsten zur Bestätigung vor, die er schließlich 1543 erteilte.
Die angeführten Beispiele zeigen, daß der Erlaß von "Landrechten" Sache beider politischer Landesgewalten, des Landesherren und der Stände, ist. Die Notwendigkeit des Zusammenhandelns wird von den Beteiligten selbst deutlich empfunden. Beispielsweise konnte in der mährischen Landesordnung 1535 keine Einigung über das Recht zur Novellierung erzielt werden82, eine entsprechende Bestimmung ließ man daher fort. 1545 wurde am mährischen Landtag eine allein von den Ständen verfaßte Landesordnung verlesen, angenommen und schließlich ohne Mitwirken des Landesfürsten publiziert. In der Folge aber rückten die Stände selbst von dieser Entgleisung ab, sie berieten mit dem Landesfürsten eine neue Ordnung und sahen mittlerweile nicht die von ihnen publizierte, sondern die Vorläuferin aus 1535 als verbindlich an. — Die Gesetzesinitiative in Sachen Landrecht geht meist von den Ständen83, oft vom Landesfürsten aus. Gesetzesentwürfe entstehen in gemeinsamen Kommissionen oder durch Relationen zwischen ständischen und landesfürstlichen Behörden. Gemeinsam erarbeitete oder beidseitig genehmigte Entwürfe erhalten die landesfürstliche Sanktion und werden meist mit ihrer Publikation in Form der Drucklegung in Kraft gesetzt. Kann in irgendeinem Stadium kein Konsens erzielt werden, so stocken die Verhandlungen, oder der Entwurf wird von den Ständen nicht genehmigt, oder vom Landesfürsten nicht sanktioniert84.[Seite: 452]
Ein anderes Bild bietet hingegen das Entstehen von Vorschriften in "Polizeyangelegenheiten". Dabei stehen den "Landrechten" die umfangreichen "Polizeiordnungen", gerade für die nö. Länder, nahe — äußerlich insoferne, als auch hier Landesfürst und Stände zusammenwirken85. Wir hören vom Einholen ihres Rates oder von dem ihrer Ausschüsse wie etwa bei der nö. Polizeiordnung 155286, auch von ständischer Initiative wie bei der Fischereiordnung für Österreich ob der Enns 158587. Doch kann das Mitwirken der Stände vollkommen fehlen, was aber noch nicht bedeutet, daß der Landesfürst von einem erfahrenen Rat absieht: In der Bergordnung für die nö. Länder 1553 hält er ausdrücklich fest, daß er sie nach "fleißiger und notdürftiger Berathschlagung" mit den "Gewerken und Bergwerks-Verwandten" erlassen habe88. Damit gewinnt der Rat der Stände in Polizeisachen89 einen ganz spezifischen Charakter: Es handelt sich, anders als bei den "Landrechten", nicht um das notwendige Mitwirken einer politischen Landesgewalt, sondern um eine bloß sachkundige Information seitens des Landesherrn, wie sie auch von einem anderen Personenkreis eingeholt werden kann. In weniger umfangreichen Sonderordnungen90 der "guten Polizey" fehlen ständische Ratschläge überhaupt.
Über diese Situation hinausgehende Tendenzen der Stände91 schneidet schließlich die Niederlage der protestantisch-ständischen Fronde 1620 ab92. Doch übt der Landesfürst die Legislative nicht sofort im absolutistischen Stil aus, wenngleich sich seine Haltung den Ständen gegenüber verändert hat93. Deutlich macht dies 1637 ein landesfürstliches Dekret für Österreich unter der Enns: Anstelle der Stände in ihrer Gesamtheit, werden einzelne ihrer Vertretungsorgane angewiesen, jederzeit bereit zu sein, um vor der Hofkanzlei in Gesetzessachen Vortrag halten zu können94. Die Exekutionsordnung für Österreich unter der Enns 1638 erarbeiten die lf. Räte, die von Ständemitgliedern bloß [Seite: 453] Informationen einholen, sie wird schließlich ohne weiteres Mitwirken der Landstände sanktioniert95. Auch ist es für die neue Situation charakteristisch, daß die lf. Regierung den obderennsischen Landrechtsentwurf dem ständischen Landeshauptmann zwar zurückstellt, aber nicht, "damit die Stände etwas daran korrigieren oder zu ändern gedenken, sondern damit sie erinnern können, wenn etwas dem Land und der lieben Justiz in einem oder dem anderen Punkte nützlicher für gesorgt werden könnte ..."96. Derartigen Rat holt der Landesfürst allerdings noch oft ein, er bildet in vielen Fällen einen wesentlichen Bestandteil des Gesetzgebungsverfahrens. Eine Reihe von Gesetzentwürfen entsteht so in langwierigen Relationen zwischen ständischen und landesfürstlichen Behörden. Die Landgerichtsordnung für Österreich unter der Enns 1656 etwa wird "von unseren Herren deputierten Reden und Kommissarien in Beisein der drei oberen Ständen gefolmächtigter Ausschusse aufgesetzt und von unserer nö. Regierung durchgesehen ..." und "aus landesfürstlicher Macht und Vollkommenheit auf unserer und unserer Erben Wohlgefallen gnädigen bewilligt, verbessert, erläutert und bestätigt"97. Vom Rat ständischer Delegierter hören wir u.a. auch in der Gerhabschaftsordnung und in der Erneuerten Revisionsordnung, beide für Österreich unter der Enns 166998, sowie im Tractatus de juribus incorporalibus 167999. Zugezogen werden sie vor allem, wenn ihre Rechte empfindlich berührt werden, wie etwa im "Criminal-Privileg für die beiden oberen Stände" in Österreich unter der Enns 1653 oder in der Exekutionsordnung der niederösterreichischen Stände 1671, eine Ausnahmebestimmung entgegen der allgemeinen Exekutionsordnung aus demselben Jahre100. Auch ergreifen die Stände vielfach noch selbst die Initiative. So lassen die steirischen Stände eine Landrechtsordnung ausarbeiten, die 1645 vorliegt, aber Entwurf bleibt101. Als die Stände Österreichs unter der Enns 1650 die Arbeiten am Landrechtsentwurf energisch zu betreiben begannen, wurden diese vorerst vom lf. Statthalter durchkreuzt und eine gemischte Kommission aus Ständevertretern und lf. Räten gebildet102. Aber auch diese Arbeiten erhalten die lf. Sanktion nur zum Teil: 1679 wird ein Teil des 5. Buches als "Tractatus de juribus incorporalibus", ab 1720 das 4. Buch ("Vom Erbrecht ausser Testament ...") in mehreren Ländern in Kraft gesetzt103.[Seite: 454]
Schließlich werden die Stände auch noch der landesfürstlichen Sanktion von Gesetzesvorlagen beigezogen. Es liegt jedoch vollkommen im Belieben des Landesfürsten, sich dieses besonderen Publikationsverfahrens, der sogenannten "sanctio pragmatica", zu bedienen. Die Stände können ihn am Gesetzesbefehl nicht hindern, sondern verleihen ihm nur gesteigerte Bedeutung104. Dieses Mitwirken wie die oft eifrige Tätigkeit der Stände können aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß sie nur beratende Funktion haben, und auch diese nur aus landesfürstlicher Gnade ausüben. So entstehen die umfangreichen Polizeiordnungen und Ergänzungen dazu aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts105, die Eisen-Satz und Ordnung 1660, die Exekutionsordnung für Österreich unter der Enns 1671, die Infektionsordnung für Österreich unter der Enns 1680 sowie die Dienstbotenordnung für Österreich unter der Enns 1688106 ohne wesentliche ständische Beteiligung.
Dies wird im 18. Jahrhundert zur Regel. Die Initiative geht nun stets vom Landesfürsten aus. Der Beginn von Gesetzesarbeiten wird meist durch ein Hofdekret eingeleitet, welches Gründe und Ziel darlegt107. Waren im Zeitraum von 1620 bis etwa 1700 die Stände bevorzugte Auskunftspersonen gewesen, so beginnen sie jetzt in den Hintergrund zu treten. Im Zuge der Reform der sogenannten "stillschweigenden Hypotheken" in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts108 sind es neben landesfürstlichen Behörden nicht mehr nur die ständischen Institutionen, von denen Berichte und Gutachten vorgelegt werden, wie etwa auch der Landtafelsyndikus, das Reithandler-Amtsgericht, die Wiener Grundbuchshandler, das Stadt- und Landgericht Wien, Bürgermeister und Stadtrat von Wien, der Dekan der Wiener Juristenfakultät, der Rektor der Universität zu Wien, zwei ehemalige Kompilatoren. Die Kodifikation des Zivilrechts109 wird bekanntlich von landesfürstlichen Kommissionen, der Kompilationskommission und der Revisionskommission besorgt, die sich aus Räten des Direktoriums und der Obersten Justizstelle, also landesfürstlichen [Seite: 455] Behörden, zusammensetzen. Bis zum Tod Josefs II. befassen sich mit der Kodifikation des Zivilrechts der Landesfürst und seine Behörden. Gerade Josef II. bestimmt und entscheidet in vielen Fragen selbst. Gutachten und Auskünfte werden lediglich auf Initiative der mit der Kodifikation befaßten Personen eingeholt, nicht von außen herangetragen. Man wendet sich dabei wiederum an Behörden des Landesfürsten, wie die Oberste Justizstelle, die Hofkammer, den Hofkriegsrat und in Landessachen an die Appellationsgerichte der Ländergruppen. — Erst mit dem Regierungsantritt Leopolds II. erweitert sich der Kreis der an der Kodifikation Beteiligten. In beratender Funktion finden sich jetzt Vertreter der einzelnen Kronländer, der Universitäten, auch Gerichtspersonen und Stadtschreiber, schließlich ständische Ausschüsse. Nach dem Ableben Josefs II. ist es eine der wichtigsten Forderungen der Stände110, wieder am Gesetzgebungsverfahren beteiligt zu werden, "um die Verordnungen auch den aus der Besonderheit der Umstände entsprechenden verschiedenen Bedürfnissen jeder Provinz anzupassen". Zwar wird vom Landesfürsten eingeräumt, "dass, wenn es sich um neue allgemeine Gesetze handelt, die Stände allemal um ihre allfälligen Erinnerungen zu vernehmen sind", doch ändert sich an der Rolle der Stände in der Gesetzgebung tatsächlich nichts. Sie bleibt alleinige Sache des Monarchen und seiner Behörden. Nachteilig wirkt sich dabei der Mangel eines geregelten Gesetzgebungsverfahrens — außer bei Justizgesetzen, welche die Hofkommission in Gesetzgebungssachen besorgt — aus111: Einerseits werden wegen unbedeutender Gesetze möglichst viele Behörden um Rat und Vorschlag angegangen, andererseits entstehen einschneidende Normen auf Grund von Beratungen im engsten Kreise, oder sie sind überhaupt "der Gedanke eines einzelnen Hofrathes".
Die Publikation der Gesetze besorgt ausschließlich der Landesfürst. So sind die Stände nicht anders an der Gesetzgebung teilzunehmen berechtigt, wie etwa die um eine gutächtliche Äußerung gebetenen Mitglieder einer Juristenfakultät112. Deutlich hebt sich nunmehr die Situation in den deutschen Erbländern der Habsburger von jener in Ungarn ab, wo die Stände mit dem König auch in dieser Epoche noch "ad legislationem konkurrieren". Zu Beginn des 19. Jahrhunderts können wir zur "Staatsverfassung" der "Österreichischen Monarchie" daher folgende Formel lesen: "In Ungarn und Siebenbürgen eingeschränkte, in den übrigen Staaten aber, deren Landstände keinen Einfluß auf Gesetzgebung und Regierung haben, uneingeschränkte Monarchie"113. In den deutschen Erbländern ist die Landesgesetzgebung im 18. Jahrhundert zum konkurrenzlosen Majestätsrecht geworden.[Seite: 456]
Der Charakter der Gesetzgebung, vor allem auf Landesebene, ist, was in der Theorie anklang und sich in der Praxis bestätigt fand, sehr wesentlich vom Dualismus Landrecht — Polizeirecht geprägt114. Ersteres enthält in seinem Kern die "burgerlichen sachen": Was "burgerlich Recht genant würdet ... ist diesem Unserem Landtßrechten nahent ..."115. Diesem "bürgerlichen Recht" sind zwei Prinzipien wesentlich: die Privatautonomie und die private Rechtsschutzinitiative116. Neben Verfassungs- und Prozeßrecht, beide gleichfalls Inhalt der "Landrechte", ist es vor allem diese Materie, die selbst ohne Gesetz Recht ist, sich erst langsam auch in Gesetzesform kundtut und damit schließlich als abänderbar erscheint: Alles keineswegs die Sache eines Einzelnen, sondern aller Rechtsgenossen, auf Landesebene modifiziert die des Fürsten und der Stände. Den privatrechtlichen Kern des Landrechts verfestigt und betont gerade seit dem Beginn der Neuzeit die Rezeption. Sie ist daher ein Vorgang, der Landesherrn wie Landstände ergreift, und zwar in einem im Wesentlichen ähnlichen Ausmaß. Da sich beide Seiten am gemeinen Recht geschulter Juristen bedienen, sind die Positionen nicht schlechthin mit dem Schlagwort zu umreißen, die Stände wären als Bewahrer alten Rechtsgutes dem Landesfürsten als Vorkämpfer des gemeinen Rechts gegenübergestanden117. Dies trifft für die Bemühungen im Kreis des Landesverfassungsrechtes zu, das aber wieder von der Rezeption nicht in dem Maße beherrscht wird wie das Privatrecht. Wesentlich ist vielmehr, daß letzteres mit der Rezeption auf abstrakte Tatbestände zugeschnitten wird: Es verliert seine mittelalterliche soziale Gebundenheit. Die "Landrechte" sind daher "außerstande, eine in jeder Hinsicht sozialgerechte Rechtsordnung zu gewährleisten"118.
Durch die Rolle der Stände als Hüter, weniger als Bewahrer des Landrechts "sahen sich denn die Territorialherren einer weiteren hochbedeutsamen sozialpolitischen Aufgabe gegenüber ... Es galt, den Mißständen, die sich allenthalben im Lande zeigten, den 'Landesgebrechen', wie man damals sagte, [Seite: 457] entgegenzutreten"119. Gerade die Rezeption, die für diese Erscheinungen keine Gegenmittel in die Hand gab, ließ diese "Polizey" notgedrungen als etwas von der Privatrechtsordnung — und damit im Wesentlichen vom Landrecht — Verschiedenes erscheinen: Den Normen "guter Polizey" geht es um eine Reglementierung des Zusammenlebens, die Pflicht des Einzelnen der Gemeinschaft gegenüber ist in den Vordergrund gerückt120. Hiebei überrascht der Landesfürst mit Eingriffen in Lebensbereiche, an deren normativer Erfassung bisher kaum Interesse, nach zeitgenössischer Auffassung: keine Notwendigkeit, bestanden hat. Gegen das plötzliche Umsichgreifen von Putzsucht, Alkoholmißbrauch, Fluchen usw. gilt es einzuschreiten, nicht aber, überkommenes Recht zu fixieren, durchzusieben, zu reformieren. Ein Mitwirken der Stände wird daher vom Landesfürsten, meist aber auch von den Ständen selbst, als entbehrlich angesehen. Es ist vielmehr landesfürstliche Pflicht als "christlicher König, Herr und Landesfürst" derartige "Mandat und Gebot" zu erlassen121. Er entspricht damit seiner gottverantwortlichen Obsorge, ausdrücklich um das irdische wie auch das jenseitige Heil seiner Untertanen zu schützen, um die Gottesgeißeln von Pestilenz und Türken vom Lande abzuhalten. Dem Mitwirken der Stände bot sich die "gute Polizey" auf Landesebene daher nicht in dem Maße an wie das Landrecht. Sie schließen sich hauptsächlich nur dort an, wo es, wie in den Polizeiordnungen, um ähnlich wichtige Regelungen geht wie in den "Landrechten". Die Grenze zwischen beiden "Gesetzestypen" ist auch dem Inhalt nach oft fließend122.
Das unterschiedliche Interesse der Stände an "Landrecht" und Polizeivorschrift scheint ein rezeptionsgeschichtlich bedingter Umstand noch zu begünstigen. Für die "Landrechte" der nö. Länder gilt die allgemeine Feststellung von Schmelzeisen, daß sie in einem hohen Maße dem gemeinen Recht verpflichtet sind123. Der Glanz der Wissenschaftlichkeit, der Rechtsgelehrsamkeit, der sie damit umgibt, hebt ihre Bedeutung gerade in den Augen der gelehrten Ständemitglieder über die nüchterne Reglementierung etwa des Verkaufs von Ochsenhäuten124 hinaus.
Schließlich entbehren die "Polizey"-Vorschriften der den "Landrechten" zukommenden Tradition, vor allem ist ihnen das notwendige Zusammenwirken wie in Sachen Landrecht nicht geläufig: Die meisten der mittelalterlichen [Seite: 458] Polizeivorschriften sind landesherrliches Rechtsgebot125, nur selten Einung mit den Ständen126.
Die Position des Landesfürsten stärkt die Ausübung der Regalität, nach Thieme127 eine der "wertvollsten Handhaben der Regierungsgewalt". Die Sorge um Erhaltung, Ausbau und Schutz von Verkehrswegen und Wirtschaftszweigen führt zur Normsetzung des Regalitätsinhabers, also in der Regel allein des Landesfürsten. Der auf diese Weise beobachtete "gemeine Nutzen" schlägt eine Brücke zur dominierenden landesherrlichen Gesetzgebung in Sachen der "guten Polizey".
In diesem Zusammenhang ist auf einen besonderen Ausfluß der gesetzgebenden Gewalt Bedacht zu nehmen: Die Berufung zur Setzung genereller Normen gilt gerade zu Beginn der Neuzeit als Ausfluß der Befugnis, im Einzelfall Recht zu sprechen128. Das ist ein logisches Ergebnis aufgrund der mittelalterlichen Ansicht, daß sich das Recht nicht bloß im generellen Hoheitsakt manifestierte, sondern es im Einzelfall gefunden werde, sich also die allgemeine Regel als Resümee von Fallentscheidungen darstelle. Die Gerichtsbarkeit im Land ist jedoch Regal des Landesfürsten129. Dieser Zusammenhang von Gesetzgebung und Gerichtshoheit wurde von den Ständen auch insoferne beachtet, als ihre legislatorischen Ambitionen oft eng mit dem Kampf gegen den Rechtszug an landesfürstliche Gerichte verbunden waren130.
Zu diesem Vorrang der landesherrlichen Gesetzgebungsbefugnis gesellt sich schließlich ein weiteres verfassungsrechtliches Element: Die Gewalt des Landesfürsten gilt in den nö. Ländern im Wesentlichen als bloß einschränkbares Vollrecht (Landeshoheit), jene der Stände als diesem korrespondierendes, eingeschränktes Recht, das sich zum Gutteil aus vom Landesherrn erlassenen oder bestätigten Privilegien, also aus Sonderrechten, ergibt. Die Frage, ob es sich dabei gar um derivative, vom Fürsten hergeleitete Befugnisse handle, konnte zumindest formell mit gutem Grund gestellt werden. Jedenfalls ließ die [Seite: 459] landesherrliche Position die der Stände als umgrenzt, die eigene aber als in Neuland ausdehnbar erscheinen.
Neue hoheitliche Aufgaben wuchsen damit auch zuvorderst dem Landesfürsten zu, sei es die Abwehr der Türkengefahr oder die Sorge um die innere Wohlfahrt, eben die "gute Polizey". Sie weitet sich schließlich, die Stände auf ihre Privilegien beschränkend, zur planenden, landesväterlichen Staatsauffassung des Absolutismus aus. In der Sorge um das Wohl seiner Untertanen ist ihm jede Rechtssetzung Gestaltung des sozialen Lebens, somit in einem gewissen Sinn alles "Polizey"131. Der Gedanke des Zusammenwirkens in Angelegenheiten des Landrechts verschwindet. Äußerliches Kennzeichen dafür ist die Benennung des letzten unterennsischen Landrechtsentwurfs 1654: Er nennt sich selbst nicht mehr "Landrecht" oder "Landtafel", sondern, ähnlich den Polizeiordnungen, "Landesordnung". Deutlich wird die Überbrückung der Trennung auch darin, daß diese das Vormundschaftsrecht, bisher ein Teil der Polizeiordnungen, enthalten sollte132. Der nachfolgende Codex Theresianus kennzeichnet seinen Inhalt zwar ausdrücklich als "jus privatum certum et universale"133, auch hatte die sogenannte "Hauptübersicht" hervorgehoben, daß "das bürgerliche oder Stadt(recht) zuweilen auch Landrecht geheißen (werde)"134, doch ist damit nun nicht mehr auf einen verfassungsrechtlichen Umstand beim Zustandekommen, sondern allein auf den besonderen Inhalt des Gesetzes abgestellt135.
Daß die Landstände trotz ihres Niedergangs und der gewandelten theoretischen Grundlage des Staatswesens zwischen 1620 und etwa 1700 noch eine gewisse Rolle in der Gesetzgebung spielen, geht auf die Situation in der Verwaltung zurück. Erst ab den Reformen des aufgeklärten Absolutismus kann der Landesfürst auf die Untertanen auch im Bereich der Grundherrschaften der Stände durchgreifen136. Erst jetzt hat er die Gewähr, daß seine Gesetze keine leges imperfectae bleiben. Bis dahin muß er sich jedoch des Mitwirkens der Verwaltungsträger, der Stände, versichern, er muß sie teilhaben lassen an der Entstehung jener Normen, welche sie für ihn anwenden sollen.[Seite: 460]
Die Tatsache schließlich, daß die landesherrliche Gewalt in mehreren, schließlich in allen deutschen Erbländern von einem Monarchen ausgeübt wird, manifestiert sich in der Gesetzgebungsgeschichte vorerst in Gesetzen für Ländergruppen, schließlich in solchen für alle deutschen Erbländer. Die unifizierende Tendenz des Landesherrn gewinnt jedoch nur in dem Maße an Boden, als der Einfluß der Stände zurücktreten muß. Sie verkörpern in der Regel das föderalistische Prinzip. So lehnen sie sich in ihren Entwürfen zwar an solche der Nachbarländer an137, betonen aber doch stets die Eigenständigkeit ihres Landes: Obgleich Österreich unter und ob der Enns "guete gewohnheit einander gleich haben und dahero von etlichen nur für ein land etwo mügen gehalten und angezogen werden, so sein es doch zwei unterschiedlich und absonderliche lender ... "138. Daher sind auch die ersten für mehrere Länder in Kraft tretenden Gesetze nicht Ordnungen des Land-, sondern des Polizeirechts, nämlich die Polizeiordnungen für die nö. Länder139. Hiebei handelt es sich um eine Ordnung für mehrere Territorien, also bereits um auch formell einheitliches Recht, nicht um mehrere gleichartige Ländergesetze. Typisch für das Loslösen des Landesfürsten vom ständischen Element sind schließlich die Erbfolgeordnungen des 18. Jahrhunderts: Ursprünglich von den Ständen als Teil eines nur Österreich unter der Enns betreffenden "Landrechts" gedacht, werden sie vom Landesherrn ab 1720, teilweise modifiziert, in jeweils mehreren Ländern in Kraft gesetzt140. Erst das Verdrängen der Stände aus der Gesetzgebung in Sachen Landrecht erlaubt, die formelle Rechtseinheit herbeizuführen141. Im Zeichen des aufgeklärten Absolutismus treten daher für alle Länder einheitliche Gesetzbücher in Kraft, vor allem 1768 die "Allgemein-peinliche Gerichtsordnung", 1781 die "Allgemeine Gerichtsordnung", 1786 der erste Teil eines "Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches" (Josefinisches Gesetzbuch142). Ausdrücklich gelten diese Gesetze nun "allgemein", d.h. insbesondere: in allen deutschen Erbländern143.[Seite: 461]
Das abschließend nur kurz zu erläuternde Problem der Geltung hängt mit dem eben skizzierten Charakter der Gesetzgebung eng zusammen. Es stellt sich weniger hinsichtlich herrschaftlicher und städtischer Normen. Hier verfügt der Gesetzgeber über von ihm beherrschte Behörden, denen er den Vollzug wirksam befehlen kann. Gleiches trifft für die Landesgesetzgebung ab den Behördenreformen Maria Theresias zu, nicht jedoch für den voraufgehenden Zeitraum. Für diesen stellen sich zwei Fragen. Einmal die zeitlosere: Gilt das ordentlich publizierte, "in Kraft stehende", und somit auf Geltung Anspruch erhebende Gesetz tatsächlich? Zum anderen, und damit ist ein spezifisches Problem des hier behandelten Zeitraums angeschnitten: Kann eine nicht publizierte und damit nicht "in Kraft stehende" Normensammlung "gelten"?
Grundsätzlich für die Beantwortung beider Fragen ist die Auffassung vom Wesen des Rechts. Kann es sich nur im Gesetz offenbaren, ist die erste Frage zu bejahen, die zweite zu verneinen. Die Situation ist jedoch komplizierter. In der frühen Neuzeit ist eben zwischen Polizeivorschrift und Landrecht zu unterscheiden. Erstere ist Ausfluß "guter Polizey", eine Äußerung der "politeia", der Obrigkeit, also ihr Wille, ihr zu befolgender Befehl. Er ist dort zu beachten und mit Sanktionen zu verbinden, wo der Landesfürst Recht auf Gehorsam hat. Wichtig ist, daß es neben der "Polizey"-Vorschrift keine andere Quelle "guter Polizey", kein "gutes altes Recht" gibt: Das "Polizeyrecht" muß sich im Gesetz erschöpfen. — Anders ist die Situation hinsichtlich des Landrechts. Es ist zwar durchaus nicht mehr der Disposition der Rechtsgenossen entzogen, jedoch auch von dieser nicht abhängig: Es lebt, es gilt auch ohne gesetzgeberischen Akt. Dies trifft in erster Linie auf die "Landrechte" zu: In ihnen wird das Landrecht geordnet, gesichtet und ergänzt aufgenommen, sie enthalten also in ihrem Kern ohnedies schon geltendes Recht. In Kraft gesetzt soll die "Landtafel" als solche werden, nicht das darin enthaltene Recht des Landes. Dieses gilt auch ohne den angestrebten Rechtssetzungsakt.
So ist es möglich, daß vor allem Teile des unterennsischen Landrechtsentwurfs 1573 und des obderennsischen 1609 gelten, das heißt, von der Theorie wie geltendes Recht zitiert und auch in der Praxis verwendet werden144. Das mit Geltungsanspruch in Kraft gesetzte "Landrecht" stellt daher das enthaltene Landesrecht in der Regel bloß auf eine neue Geltungsgrundlage, und dies wohl meist, ohne die alte, das gute Herkommen, aufzuheben145. Sie stellen sich damit [Seite: 462] gleichsam als Sammlung ohnedies schon geltenden Rechts dar — die Entwürfe146 sowohl wie die in Kraft gesetzten. Insoferne gelten daher auch die Entwürfe, ohne sanktioniert und ohne publiziert zu sein, ebenso wie etwa die Traktate Bernhard Walthers gelten, benützt werden, mit denen der unterennsische Landrechtsentwurf 1573 im Zitat oftmals verwechselt wird147. Freilich darf dabei ein wichtiges Element nicht außer Betracht bleiben: Die Macht des aufgezeichneten Wortes in einer an schriftlichen Äußerungen gerade über heimisches Recht noch armen Zeit.
Diese Grundhaltung ändert sich mit dem Durchgreifen des fürstlichen Absolutismus: Mit der Errichtung landesfürstlicher Unterbehörden (Kreisämter) wird der Befehlsraum des Landesfürsten größer, es steigt die Chance der Durchsetzbarkeit. Dazu gesellt sich die Bereitschaft, aufgezeichnetes Recht — ohne zwischen "altem" und "neuem" = gesatzten zu differenzieren — als verbindlich anzusehen, eben vorbereitet durch die mannigfaltigsten privaten (Walther) bzw. nicht sanktionierten Rechtssammlungen. Doch selbst Scheidlein vertritt noch nach dem JGB zu Einzelfragen die Auffassung, daß dieses, soferne mit dem Rechtsleben in Widerspruch, nicht gelte, da es irre148.