Carl Graf Chorinsky, Beiträge zur Erforschung österreichischer Rechtsquellen 1894 (1896) :: Transkription Speer 2013

Carl Graf Chorinsky, Beiträge zur Erforschung österreichischer Rechtsquellen 1894 (1896) :: Transkription Speer 2013

[Editorial]

Beiträge zur Erforschung österreichischer Rechtsquellen. Vortrag Sr. Exc. des Herrn Oberlandesgerichtspräsidenten Grafen Chorinsky, gehalten in dem Linzer Juristischen Vereine am 26. November 1894. Abdruck in: Allgemeine österreichische Gerichtszeitung 42, 3 (18. Jänner 1896) S. 17-26. Digitalisiert durch Heino Speer April 2013.

Ich habe den Herrn Landesgerichtspräsidenten gebeten, einen Vortrag im Linzer Juristischen Vereine halten und die Einladung auf die Mitglieder der Statthalterei und des Landesausschusses, dann des Museumsvereines ausdehnen zu dürfen.

Der Zweck meines Vortrages läßt sich leicht dahin definiren, den Rechtszustand Oberösterreichs im 16. und 17. Jahrhunderte eingehend zu studiren und insbesondere der Entwicklung der oberösterreichischen Landesordnung, welche aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts stammt, genau nachzuforschen.

Erlauben Sie mir zunächst einige einleitende Worte an Sie zu richten.

I.

Schon während meiner juridischen Studien hatte ich mich oft gefragt, welches Recht denn eigentlich vor dem bürgerlichen Gesetzbuche in Oesterreich gegolten habe; die Antwort lautete gewöhnlich: gemeines Recht, Pandektenrecht als subsidiäres Recht, und diese Antwort konnte einem denkenden Menschen doch nicht genügen, auch konnte ich mir nicht denken, daß der österreichische Richter an den alten Patrimonien und in kleinen Landstädten stets das Corpus juris zur Hand gehabt hätte, um sich zu informiren, und noch weniger begriff ich es, wie sich derselbe so schnell im Corpus juris orientiren konnte.

Es war zwar schon 1862 ein Werk erschienen, welches sich mit dem österreichischen Rechte im 16. und 17. Jahrhunderte eingehend beschäftigt hatte, nämlich Ungers Verlassenschaftsabhandlung, und ich hatte dieses Werk auch bald nach dessen Erscheinen gelesen; allein der Fülle der Citate und Argumente nachzugehen, fühlte ich mich damals nicht befähigt, und so dachte ich lange Zeit nicht mehr daran, welches Recht vor dem bürgerlichen Gesetzbuche in Oesterreich gegolten habe, und begnügte mich, von dem älteren österreichischen Rechtszustande ebenso viel zu wissen, als meine Berufsgenossen.

Damals, in den 1850er und 1860er Jahren, war aber das Forschen nach älteren österreichischen Rechten ungleich schwerer als jetzt; wie spät sind erst die österreichischen Weisthümer in guten Ausgaben erschienen; eine Geschichte der Gerichtsverfassung und des gerichtlichen Verfahrens Oesterreichs fehlte bis auf Luschins epochemachendes Werk gänzlich, und erst in den 70er Jahren beschäftigte sich Ott in Prag mit der Reception des römisch-canonischen Processes in den böhmischen Ländern.

Das war auch gar nicht zu wundern. Es war ja um die Rechtsgeschichte Oesterreichs im 18. Jahrhunderte nicht viel besser bestellt; Pfaff und Hofmann haben zuerst das Verständniß für die Berathungsprotokolle des bürgerlichen Gesetzbuches erschlossen und Ofner hat die Berathungsprotokolle herausgegeben. Aber die Berathungsprotokolle gaben nur Ausschluß über das Verhältniss zu dem als Urentwurf bezeichneten westgalizischen Gesetzbuche, und welche Quellen dem Urentwurfe zu Grunde gelegen haben, war und blieb unbekannt.

Harrasowsky hat nun durch die Ausgabe des Codex Theresianus in den drei Entwürfen von Azzoni, Horten, und Martini diesem Mangel einigermaßen abgeholfen, und wir sind über die Rechtsanschauungen der Juristen des 18. Jahrhunderts durch diese Publication mehr unterrichtet als früher. Aber die Quellen des österreichischen Rechtes gibt auch Harrasowskys Compilation nicht an. Wir erfahren zwar aus Harrasowsky, daß der theresianischen Compilation Darstellungen der in den einzelnen Ländern geltenden Rechte von Azzoni, Waldstetten, Thinnfeld, Holger und Hofmayr vorausgegangen sind und müssen vermuthen, daß diese Darstellungen recht umfassende gewesen sind; allein was uns Harrasowsky von diesen Landesrechten in den Noten seiner Arbeit sagt, ist so lückenhaft, unvollständig und, ich sage es mit Vorbedacht, theilweise so irreführend, daß es unmöglich ist, auf den früheren Rechtszustand in den einzelnen Ländern mit Erfolg zurückzuschließen.

Dieses Resultat ist insbesondere für die österreichischen Länder, Nieder- und Oberösterreich, Steiermark, Kärnten und Krain, sehr zu bedauern; für Böhmen und Mähren sind an der Hand der Stadtrechte aus dem Jahre 1579, der Vernewerten Landesordnungen und der declaratorischen Novellen aus dem 17. Jahrhunderte sehr bedeutende [Seite: 18b] Gesetzeswerke erschienen, welche den Rechtszustand dieser Länder in ziemlich helles Licht setzen und eine erhebliche Literatur erzeugt haben; für die anderen Länder, für Nieder- und Oberösterreich, für Steiermark, Kärnten und Krain wissen wir nur, daß diese Länder zu Zeiten Max I. und Ferdinand I. noch ziemlich im Mittelalter lebten, zur Zeit Karls VI. und Maria Theresias aber schon zu Gebieten moderner Staats- und Rechtsanschauungen geworden waren; der Weg, den diese Länder im 16. und 17. Jahrhunderte durchgemacht haben, ist uns aber bisher nahezu gänzlich verschlossen geblieben.

Ein merkwürdiger Zufall bot mir den Anlaß, mich mit dem österreichischen Rechte des 17. und 18. und wohl auch des 16. Jahrhunderts zu beschäftigen.

Ein Freund, auf dessen Schloß ich die Herbsturlaube jahrelang zubrachte, hatte mir vorlängst mitgetheilt, daß auf seinen Gütern ein Familieneinstandsrecht hafte, kraft dessen jeder Nachkomme des Testators das Recht habe, die Güter, wenn ein Besitznachfolger sie veräußern wolle, um einen im Jahre 1700 festgesetzten lächerlich niedrigen Preis einzulösen.

Ich erwähne hier nur kurz, daß ich nach langem Studium auf den Einfall gerieth, den Gesetzgebungsweg vorzuschlagen, und daß infolge meiner Anregung dann im Jahre 1874 das Gesetz über die Beseitigung des Familieneinstandsrechtes erschienen ist.

Hieher gehört aber nun die Bemerkung, daß ich entdeckte, daß das von den Germanisten als particuläres Rechtsinstitut oft behandelte Retracts- und Näherrecht — jus retractus — in Oesterreich bestanden habe, daß insbesondere das Retractsrecht als jus retractus gentilicii sich in Oesterreich neben vielen anderen Retractsrechten erhalten hatte, daß also Oesterreich ungeachtet der stets betonten Reception des römischen Rechtes ein echt germanisches particuläres Rechtsinstitut bis zum Ende des 18. Jahrhunderts vollkommen bewahrt hatte.

Eine Polemik gegen den zunehmenden Wucher, welche ich im Jahre 1874 in einem juridischen Fachblatte eröffnet hatte, machte mich dann mit dem Wucherpatente Maria Theresias vom Jahre 1751 und indirect mit dem dasselbe enthaltenden Codex Austriacus bekannt, und dieses großartige Sammelwerk mußte mich bald überzeugen, daß die wesentlichen Keime zur österreichischen Rechtsbildung im 16. und 17. Jahrhunderte gelegt worden waren, aber aus dem Wuste der Details konnte ich den Anfang des Fadens nicht finden, mit dem ich meine Studien beginnen konnte. Da fiel mir nun Ungers Verlassenschaftsabhandlung wieder ein, und an der Hand dieses lebendig und frisch geschriebenen Werkes suchte ich im Codex Austriacus nach den Quellen dieses Institutes und des österreichischen Erbrechtes; allein auch auf diesem Wege konnte ich lange Zeit zu einer Klärung nicht gelangen.

Zudem hatte mich Unger genöthigt, einen langen Umweg zu machen; Unger hat bekanntlich die Vermuthung aufgestellt, daß, da die declaratorischen Novellen zu den vernewerten Landesordnungen Böhmens und Mährens die ersten gesetzlichen Bestimmungen über Verlassenschaftsabhandlung enthalten, das dem gemeinen Rechte ganz unbekannte Institut der Verlassenschaftsabhandlung aus dem böhmischen in das österreichische Recht gelangt sei, und diese Behauptung mußte mich bewegen, das Studium des älteren böhmischen Rechtes eingehend zu betreiben.

Ich entschloß mich thatsächlich, die böhmisch-mährischen Rechtsquellen von der Majestas Carolina angefangen, alle Landesordnungen und die Stadtrechte durchzulesen, die Literatur heranzuziehen und konnte nur zu dem Resultate gelangen, daß den Sudetenländern eine Verlassenschaftsabhandlung bis zu den declaratorischen Novellen zu den erneuerten Landesordnungen fremd geblieben war, erforschte dagegen aus den österreichischen Quellen den uralten Bestand der Institution in Niederösterreich und konnte auf diese Weise die Ueberzeugung verfechten, daß die Verlassenschaftsabhandlung ein von Oesterreich nach Böhmen importirtes Rechtsinstitut darstelle.

Diese Arbeit hatte mich dem Rechte des 16. und 17. Jahrhunderts in den alten österreichischen und in den Sudetenländern näher gebracht und insbesondere mit den zwei nicht gedruckten und nicht sanctionirten Entwürfen einer niederösterreichischen und einer oberösterreichischen Landesordnung bekannt gemacht, welche Unger in der Bibliothek des juridisch-politischen Lesevereines aufgefunden und in seinem obbezogenen Werke benützt hatte; was es aber mit diesen Entwürfen der Landesordnungen für ein Bewandtniß hatte, blieb mir gänzlich verborgen. [Seite: 19a]

Bald nach der Publication dieser meiner ersten Schrift hatte Excellenz Unger die große Güte, mir seine reichen Notizen für eine Geschichte des Vormundschaftsrechtes zur Verfügung zu stellen und ich konnte nunmehr mit einem viel reicheren Quellenmateriale mich an diese meine zweite historische Arbeit wenden; ich darf auch sagen, daß ich alle auf das Vormundschaftsrecht Niederösterreichs bezüglichen Druckschriften älteren Datums gelesen habe; in Ansehung der ungedruckten Quellen beschränkte ich mich aber auf die beiden oberwähnten Landesordnungen für Oesterreich unter und ob der Enns.

Ich schritt nunmehr zu einem dritten rechtshistorischen Versuche auf dem Gebiete des österreichischen Rechtes, zur Darstellung des Executivprocesses; besser vorbereitet, erkannte ich sofort, daß hinter den gedruckten Werken nicht gedruckte Quellen stecken und beschritt zum ersten Male die Schwelle des niederösterreichischen Landesarchives; nach einigen Besuchen erkannte ich, daß den oberwähnten von Unger und mir berührten nieder- und oberösterreichischen Landesordnungen in Niederösterreich ein großer Codificationsversuch im 17. Jahrhunderte nachgefolgt war; ich entdeckte, daß das Ferdinandinische Strafrecht vom Jahre 1656, die Gerhabschaftsordnung vom Jahre 1669, der berühmte Tractatus de juribus incorporalibus vom Jahre 1679 und die in den Jahren 1720 und 1729 für Oesterreich unter und ob der Enns erlassenen Intestaterbrechtsordnungen Theile eines und desselben Codificationsversuches unter Ferdinand III. und Leopold I. waren, dessen andere 4 Theile, Process, Contracte, testamentarisches Erbrecht und Lehenrecht, die Sanction niemals erhalten hatten.

Aus andere Quellen, insbesondere auf die unten zu erwähnenden Schönkirchner-Bücher war ich auch gestoßen; der interessantesten Rechtsquelle, dem ersten Codificationsversuche Ferdinand I., war ich aber leider vorbeigegangen, ohne denselben zu entdecken.

Eines war mir aber sofort klar geworden; ich stand vor einem Archive mit so reichen Schätzen, daß ich mit meinen geringen historischen Kenntnissen an die Bewältigung des ungeheueren ungedruckten Materiales nicht denken konnte und mich mit der Hoffnung trösten mußte, ein klein wenig den Schleier zu lüften, welcher die Reception des römischen Rechtes in Oesterreich noch immer bedeckt. Uebrigens war mir inzwischen ein wesentlich anderer Gedanke gekommen; ich war in den Salzburger Landtag gewählt worden und trug mich mit der Absicht, in den Reichsrath gewählt zu werden; ich hängte damals den Juristen auf den Nagel und mit einem leichten Referate beschwert und von trefflichen Hilfsarbeitern unterstützt, konnte ich mich durch lange Zeit dem intensiven Studium der Nationalökonomie, Finanzwissenschaften und Verwaltungslehre hingeben, welche Fächer mich nunmehr vollends in Anspruch nahmen.

Wenn aber in diesen Fächern die Zustände aus dem 16., 17. und 18. Jahrhunderte erörtert wurden, dann konnte ich mich jederzeit auf den Codex Austriacus erinnern und bemerkte, welch’ große Analogien in der Entwicklung des öffentlichen Staatsverwaltungs- und Finanzrechtes Oesterreichs mit anderen Ländern obwalteten, und empfand es als einen großen Vorsprung, die österreichischen Verhältnisse aus der großartigen Sammlung des Codex Austriacus jederzeit zur Vergleichung heranziehen zu können.

Ganz konnte ich aber auf die Länge der Zeit der Liebe zu archivalischen Studien nicht entsagen; ich führte auch den Professor des Civilprocesses Freiherrn von Canstein in das niederösterreichische Landesarchiv und diesem Gelehrten war es auch vorbehalten, in diesem Archive den früher schon genannten Gesetzentwurf Kaiser Ferdinand I. zu entdecken und seine Entdeckung in seinem Werke über den österr. Civilproceß zu verwerthen. Noch hatte ich eine fünfte rechtshistorische Arbeit über die Geschichte des Buchbeweises in Oesterreich in einer juristischen Zeitschrift begonnen, als ich plötzlich im Jahre 1880 meine Ernennung zum Landeshauptmanne in Salzburg erhielt, infolge welcher ich durch 6 Jahre dem praktischen Justizdienste und durch 10 Jahre den Forschungen in den Wiener Archiven fernbleiben mußte.

Den Gedanken, an einer österr. Rechtsgeschichte mitzuarbeiten, mußte ich wohl vollends aufgeben; ich hatte auch das Land Salzburg so lieb gewonnen, daß ich mich gerne mit dem Gedanken vertraut machte, dasselbe nie mehr zu verlassen, insbesondere nachdem ich zu der Landeshauptmannstelle die Stelle eines Landesgerichtspräsidenten erlangt hatte.

Meine Landtagsgeschäfte führten mich zudem häufig genug auf historisches Gebiet, und mit Vergnügen folgte ich der ungemein interessanten rechtshistorischen Entwicklung Salzburgs im 16., 17. und [Seite: 19b] 18. Jahrhunderte, welche mir unschätzbare Vergleichungspunkte mit der österr. Rechtsentwicklung bot.

Salzburg hat zudem den entschiedenen Vorzug, in Judas Thaddäus von Kleinmayrns Prachtwerk "Juvavia" ein Denkmal der Rechtsgeschichte zu besitzen, dessen sich kein anderes Land Oesterreichs erfreut; ein in sechs Satzschriften vor einem Schiedsgerichte geführter und in 2 Foliobänden gedruckter Proceß zwischen dem Lande Salzburg und dem Herzogthume Baiern, in welchem um keinen geringeren Einsatz, als um die Landeshoheit Salzburgs gestritten wurde, hatte den Vertreter Salzburgs, Judas Thaddäus von Kleinmayrn, genöthigt, die Landeshoheit Salzburgs durch Urkunden zu unterstützen, welche, aus dem 9. Jahrhundert anhebend, sich bis in das 18. Jahrhundert fortsetzten; und kaum war der Process inrotulirt, der aber übrigens nie durch ein laudum entschieden, sondern viel später durch einen Ausgleich beendet wurde, so schritt Kleinmayrn daran, in einer Druckschrift, welche unter dem Titel: "Unparteiische Abhandlung vom Staate Salzburg" erschienen war, die volle Landeshoheit des Erzbisthums literarisch zu vertheidigen und nach Vollendung dieses Werkes schritt Kleinmayrn zur Abfassung des oberwähnten Prachtwerkes der "Juvavia", in welchem uns der Verfasser an der Hand der Quellen vom 8. Jahrhundert bis in die Zeit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts durchführt und die Rechtsgeschichte insbesondere im 16. und 17. Jahrhunderte mit Meisterhand darstellt.

Kleinmayrns Werk hatte mich, so lange ich in Salzburg war, nicht verlassen; ich mußte vielmehr die mir lieb gewordene Stellung als Landeshauptmann durch meine Nichtwiederwahl zum Abgeordneten aufgeben, und bald darauf lösten sich auch die Bande, welche mich als Landesgerichtspräsident an Salzburg gefesselt hatten, indem ich zum Oberlandesgerichtspräsidenten nach Wien berufen worden war. Alte Liebe rostet nicht; kaum nach Wien ernannt, dachte ich schon wieder an die österreichische Rechtsgeschichte; allein die Neuheit und Größe meines neuen Amtes, meine Verwendung im Herrenhause und andere Geschäfte, ließen mich vorläufig nicht den Gedanken einer ernsten Beschäftigung mit meinem Lieblingsgegenstande festhalten, bis abermals ein Zufall mich mit einem jungen Manne bekannt machte, der sich mit germanistischen Studien beschäftigte.

Rasch bei der Hand, stellte ich demselben vor Augen, welch’ hohen Werth die Abfassung einer mit dem 16. Jahrhunderte und der Reception des römischen Rechtes anhebenden österreichischen Rechtsgeschichte haben müßte; ich wies ihn hin auf den Reiz, eine jungfräuliche Erde zu bearbeiten und gewann in kurzer Zeit seine Zustimmung; noch rascher erlangte ich die Bewilligung zur Benützung des Manuskriptenschatzes des reichen niederösterreichischen Landesarchivs, und in kurzer Zeit war auch eine Zahl von 5—6 Mitarbeitern gewonnen, welche schon im Jänner 1891 an die Arbeit gingen und sich zu diesem Zwecke zwei Mal wöchentlich vereinigten.

II.

A.

Es war ein glücklicher Griff, daß als Ausgangspunkt für die Arbeiten des neugebildeten Collegiums die Durchforschung, Registrirung und thunliche Copiatur der im Landesarchive verwahrten sogenannten Schönkirchner-Bücher in Angriff genommen wurde.

Was die Schönkirchner-Bücher sind, ist leicht und schwer zu sagen; leicht ist es nämlich zu sagen, daß sie eine von Hans Wilhelm Freiherrn von Schönkirchen angelegte Sammlung von Urkunden und Acten sind; schwer ist jedoch ihr Inhalt wiederzugeben, zumal aus der Reihe der mit A bis CC bezeichneten Bände mehrere Bände verschwunden sind; immerhin kann gesagt werden, daß Gravamina der Stände und die Erledigung derselben durch den Kaiser, Aenderungen der Regierung, Organisation von Behörden, Berichte über Tumulte in einzelnen Städten, Proceßhandlungen, Sammlungen über Verhandlungen mit dem Johanniter-Orden, Acten, welche sich auf Zünfte und Handelsleute beziehen, zahlreiche Gegenstände, welche das Münz- und das Steuer-, dann das Lehenswesen betreffen, in den massiven Bänden der Schönkirchner-Bücher enthalten sind, welche sich schließlich, obwohl zahlreiche ältere Documente in denselben niedergelegt sind, als eine wesentlich dem 16. Jahrhunderte entnommene Sammlung darstellen, welche nur noch in eine kleine Anzahl Jahre aus dem 17. Jahrhunderte hinüberragt.[Seite: 20a]

Zwei Jahre beschäftigten sich die jungen Forscher nahezu ausschließlich mit den Schönkirchner-Büchern: erst wurden sämmtliche Bände einer umfassenden Registrirung unterzogen und diese Arbeit ist fertiggestellt und harrt nur noch zum kleinsten Theile der Lithographirung,welche in 2 Bänden angelegt ist; dann wurden von vielen Acten wörtliche Abschriften genommen oder doch mindestens genaue Auszüge verfaßt oder endlich Actenübersichten zusammengestellt und in Beigabenbänden zu den Regesten untergebracht; ich zeige Ihnen, meine Herren, 4 solche fertiggestellte Bände der Beigaben und bemerke, daß auch der 5. und letzte Band der Beigaben schon abgeschrieben ist und nur mehr der Lithographirung bedarf und daß ein weiterer Band ein Zeit- und Personenregister umfassen wird.

Diese acht Bände werden ein helles Licht auf die österreichische Rechtsgeschichte des 16. Jahrhunderts werfen, und es steht immer die Möglichkeit offen, die Anzahl der Beigabenbände später auch durch neue Abschriften zu ergänzen, zumal die genau gearbeiteten Regesten und die Indices die Möglichkeit verschaffen werden, die zusammengehörigen Materien dieses riesigen Sammelwerkes, welches auch auf Oberösterreich so vielfach Bezug nimmt, in den Abschriften zu vereinigen.

Die Registrirung und Abschriftnahme der Schönkirchner-Bücher befähigte denn auch das Collegium junger Gelehrten nach Beendigung der Arbeit, an weitaus größere Arbeiten heranzutreten, und ich zeige Ihnen hier 29 andere bereits fertiggestellte Bände, zu welchen nahezu ebenso viele andere stoßen werden, deren Anlage bereits begonnen ist.

Ich muß aber nunmehr den Gang meiner Darstellung verändern; ich muß es unterlassen, Ihnen zu erzählen, was von dem Collegium junger Juristen, welche seither eine stetige Vermehrung erfahren hat, geleistet wurde. Ich muß Ihnen vielmehr sagen und zeigen, inwieweit die Anfänge und Grundlagen einer mit dem 16. Jahrhundert anhebenden Rechtsgeschichte Oesterreichs schon gegeben sind; ich muss Ihnen, wenn auch ganz unvollständig, zeigen, welcher Plan bei Herausgabe der österreichischen Rechtsquellen vielleicht eingehalten werden könnte.

B.

In den Vordergrund aller Compilationen stelle ich den Entwurf eines Landrechtes von Ferdinand I., welches ich Ihnen hier in vollkommen lithographischer Abschrift vorweise; es ist dies eben jenes wichtige Buch, vor welchem ich bei meinen Nachforschungen im niederösterreichischen Landesarchive vorbeigegangen bin und welches Professor Canstein zuerst entdeckt und in seinem Lehrbuche des Civilprocesses verwerthet hat.

Das Exemplar, welches Canstein gesehen hat und welches wir hier lithographirt haben, rührt aus einer Schenkung her, welche der niederösterreichische Landuntermarschall Ritter von Aichen in dem ersten Viertel des 18. Jahrhunderts dem niederösterreichischen Ritterstande nebst vielen anderen gedruckten und ungedruckten Werken gemacht hat; Aichen hat es als "Zaiger in das Landrechtbuch" oder als "Institutum Ferdinand I." bezeichnet; einen officiellen Titel hat es nicht und so will ich von ihm unter dem Namen "Landrechtsbuch Kaiser Ferdinand I." sprechen, zumal dieser Name dem Werke aus Gründen, die unten erörtern will, angepaßt erscheint.

Nähere Nachforschungen überzeugten uns, daß ein zweites Exemplar dieses Werkes im österreichischen Haus-, Hof- und Staatsarchive erliege, und dort erfuhren wir auch, daß Meiller sich mit diesem Werke eingehend beschäftigt und aus inneren Gründen die Abfassung des Werkes zwischen die Jahre 1528 und 1530 gesetzt hatte.

Diese Angaben Meillers wurden durch unsere weiteren Forschungen modificirt, wir konnten aus den Verhandlungen der Stände sicherstellen, daß die Stände Niederösterreichs Ferdinand I. bestürmt hatten, ihnen bald nach seinem Regierungsantritte eine Landtafel zu geben, daß Kaiser Ferdinand I. ihnen eine Gesetzesvorlage versprochen hat, welche er aber nicht "Landtafel", sondern, wohl in Erinnerung an das alte österreichische Landrecht ebenfalls "Landrecht" nennen wollte; wir wissen auch, daß schon im Anfange der Dreißigerjahre des 16. Jahrhunderts das Buch sich in Händen des Bischofs Cles befunden hat und wir konnten daher auch auf Grund eingehender Forschungen sicherstellen, daß die Abfassungszeit dieses merkwürdigen Gesetzentwurfes in die Zeit zwischen 1526 - 1528 fallen muß.

Das Werk selbst ist in drei Bücher getheilt, welche nach einer Vorrede gestellt sind, und zwar behandelt das erste Buch in 9 Titeln [Seite: 20b] die Gerichtspersonen, das 2. Buch in 17 Titeln den Proceß und das 3. Buch in 18 Titeln das materielle Recht, und zwar die unmittelbaren Erwerbungsarten des Eigenthums, Eigenthum und Nießbrauch, Dienstbarkeiten, Grundmarken, Darlehen, Hypotheken, Schuldbriefe, Schenkungen, Kauf- und Gemeinschaft, Heiratsgut und eheliches Güterrecht überhaupt, Testamente, Intestaterbrecht, Erbtheilungen und Vormundschaft.

Die Sprache ist eine edle und schöne, durchaus deutsche mit absichtlicher Vermeidung lateinischer Kunstworte, der Inhalt ist vielfach dem römischen Rechte entnommen, auf welches auch schon die Vorrede hindeutet: der Verfasser ist aber ganz unbekannt und alle Forschungen, welche bereits Meiller über denselben anstellte, sind erfolglos geblieben; meine Combination, daß derselbe Autor, welcher in den Jahren 1526 — 1528 das Landrechtbuch geschrieben hatte, auch schon im Jahre 1526 das Ferdinandinische Stadtrecht der Stadt Wien geschrieben habe, hat vielleicht Wahrscheinlichkeit für sich; ein Beweis läßt sich dafür nicht erbringen. Wichtig ist es aber hervorzuheben, daß unsere Forschungen uns überzeugten, daß der Codificationsgedanke schon unter Ferdinands I. Ahnherrn Maximilian I. mächtig gewirkt hat; zahlreiche Documente und Actenstücke zeigen uns, daß Maximilian I. sich mit einem umfassenden Codificationsversuche getragen hat, und es ist uns nicht nur gelungen, einen älteren Entwurf zu Maximilian I. im Jahre 1514 unter dem Titel Landgerichtsordnung erschienenen Strafcodex zu finden, sondern wir konnten auch sicherstellen, daß Maximilian I. insbesondere im Jahre 1499 den oberen Ständen eine Codification ihrer Rechte in bestimmte Aussicht gestellt hatte; eine Thatsache, auf welche ich später zurückkommen will.

Das Landrechtbuch Ferdinand I. mit Allem, was sich unter seiner und seines Großvaters Maximilian I. Regierung auf die Codification des Landrechtes bezogen hatte, könnte den ersten Theil einer künftigen Ausgabe des österreichischen Codificationswerkes bilden.

C.

Bald nach dem Jahre 1535 scheint der Gedanke einer Codification der Rechte der oberen Stände Oesterreichs in’s Stocken gerathen zu sein; zwar noch in demselben Jahre wurde von Ferdinand I. die Ordnung des Landrechtes des Erzherzogthums Oesterreich ob der Enns erlassen; im Jahre 1540 erschien, vom Landschreiber Caspar Strasser verfaßt, die Ordnung des Landrechtes des Erzherzogthums Oesterreich unter der Enns und, durch die Mängel dieses letzteren Werkes veranlaßt, im Jahre 1557 die vortreffliche Gerichts- und Proceßordnung des Landrechtes Oesterreichs unter der Enns von Ferdinand I., der auch schon im Jahre 1540 eine Reformation des Maximilianeischen Strafcodex oder der Landgerichtsordnung hatte bearbeiten lassen.

Wir wissen auch aus dieser Zeit, daß Ferdinand I. vor und nach dem Landrechtsbuche sich die erdenklichste Mühe gab, um die Zulassung der Appellation gegen sämmtliche im Lande und auch vom landmarschallischen Gerichte gefällten Urtheile an die Regierung zu erkämpfen; aber zu einem umfassenden weiteren Gesetzentwurfe über das Landrecht ist es bis zu Ferdinand I. im Jahre 1564 eingetretenem Tode nicht mehr gekommen.

Dafür fallen aber zwei weitere Ereignisse in seine Regierungszeit: das literarische Auftreten des Kanzlers Bernhard Walther und die Errichtung des Consuetudinariums bei der n. ö. Regierung, zwei Ereignisse, welche in einer zukünftigen Publication die Stelle unmittelbar nach dem Landrechtsbuche Ferdinand I. einnehmen dürften.

Bernhard Walther ist eine epochale Erscheinung in der österreichischen Rechtsgeschichte; "mitten im 16. Saeculo hat der berühmte Rechtsgelehrte Bernhard Walther gelebt" schreibt Herrenleben in der Einleitung zum I. Supplementsbande des Codex Austriacus, und Walthers in den Jahren 1716 und 718 als Anhang zu Suttingers Consuetudines gedruckten Tractate wurden später als "tractatus aurei", als goldene Tractate, gepriesen.

Aschbach hat in seiner Geschichte der Wiener Universität auf Bernhard Walther vielfach Bezug genommen, seine Werke aufgezählt und auch Einiges über sein Leben und Wirken mitgetheilt.

Gewiß ist das Eine: Bernhard Walther war in der Mitte des 16. Jahrhunderts Kanzler der n. ö. Regierung; nach dem Tode Ferdinand I. ging er, vielleicht gedrängt von den Ständen, welche dem genannten Kaiser die Anstellung von Ausländern so oft vorgeworfen hatten, als Kanzler mit dem Erzherzog Carl nach Graz, wo er als Kanzler der innerösterreichischen Regierung bis zu seinem Tode gelebt hat.[Seite: 21.a]

Der gelehrte Grazer Professor Luschin von Ebengreuth hat sich mit Walther eingehend beschäftigt und hat die Güte gehabt, uns Ergebnisse seiner Forschungen mitzutheilen. Bernhard Walther war ein Sachse, und es ist dieser Umstand deshalb sehr merkwürdig, weil es gerade einem Ausländer vorbehalten bleiben sollte, den Gegensatz des österreichischen Rechtes, des ungeschriebenen Landsbrauches, gegenüber dem gemeinen Rechte stets zu vertreten.

In einer ganzen Reihe von Tractaten, welche sich auf Erbrecht, eheliches Güterrecht, Bürgschaften, Zehnt und Robot, Leibgedinge etc. beziehen, war Walther stets bestrebt, dem ihm wohlbekannten gemeinen römischen Rechte den alten, oft auch "überuralt" genannten Landsbrauch gegenüberzustellen; auch mag er nach Citaten in einzelnen Abschnitten seines Werkes und nach anderen Aufzeichnungen sich wohl hiebei der Mithilfe des n. ö. Landuntermarschalls Kirchberger bedient haben, wie es namentlich daraus zu entnehmen ist, daß nach einer Quelle aus dem 16. Jahrhunderte diese Tractate als Walther’sche oder Kirchberger’sche Tractate bezeichnet wurden.

Walthers Tractate sind, wie gesagt, epochemachend geworden: in viel späteren Codificationsversuchen wird auf dieselben Bezug genommen; einzelne Stellen sind mit Worten bezeichnet, welche sich nahezu gleichlautend in dem 300 Jahre jüngeren allgem. bürgerlichen Gesetzbuche vorfinden.

Zahllose Abschriften von Walthers Abhandlungen sind in den österreichischen Archiven vorhanden; 12 Tractate sind gedruckt worden, und zwar zwei Mal in den Jahren 1716 und 1718, jedes Mal, wie bereits erwähnt, im Anhange zu Suttingers Consuetudines aus dem 17. Jahrhunderte; der im Anhange zu Walthers Arbeiten gedruckte Tractat über die Jurisdictionen hat dagegen offenbar einen anderen Autor. Ungedruckt sind Walthers bedeutende Arbeiten über den Process geblieben, welche in zahlreichen Abschriften vorhanden sind; einige Abschriften enthalten die Belegstellen seiner processualen Forschungen, welche auf Durantis Proceßwerk ganz besonders zurückweisen. Nach einigen Quellen werden Walther auch zwei Werke über Grundbuchsordnung zugeschrieben; die Autorschaft Walthers ist aber in dieser Beziehung nicht festgestellt.

Bei der hohen Bedeutung Walthers für die österreichische Rechtsgeschichte ist eine kritische Bearbeitung seiner Werke eine der unerläßlichsten Nothwendigkeiten und von dem oft benannten Wiener Collegium bereits in Aussicht genommen. Die Herausgabe von Walthers Werken würde sich dann auch der Herausgabe des Landrechtsbuches Ferdinand I. als zweiter Theil nothwendig anschließen.

D.

Ich habe neben Walther auch des niederösterreichischen Consuetudinarium und der Motivenbücher gedacht, welche dem Erscheinen des Landrechtsbuches Ferdinand I. ziemlich bald nachgefolgt sind.

Das Consuetudinarium, welches bei der Regierung geführt wurde, war im Jahre 1552 eröffnet worden und hatte die Bestimmung, die Rechtsaufzeichnungen des Gewohnheitsrechtes zu bewirken; nachdem Kaiser Ferdinand I. im Verlaufe seines Streites über die Appellation auch die Begründung der Urtheile des landmarschallischen Gerichtes in einem langen Kampfe erreicht hatte, wurde im Jahre 1564 auch das Motivenbuch bei der Regierung eröffnet, in welches die Gründe der in den einzelnen Rechtsfällen erflossenen Regierungsentscheidungen aufgenommen werden sollen. Die niederösterreichischen Consuetudinari-Bücher und die Motivenbücher sind aller Vermuthung nach nicht mehr vorhanden, wenn sie sich nicht vielleicht in Oberösterreich vorfinden; ich halte aber deren theilweise Reconstruction möglich, auf welche Arbeit ich aber erst später bei einem anderen Anlasse zurückkommen werde; hier kann ich nur sagen, daß eine Reconstruction der Consuetudinarien und der Motivenbücher den dritten Theil in der Ausgabe der österreichischen Rechtsquellen, hinter der kritischen Ausgabe der Waltherschen Werke, bilden müßte.

E.

Im Jahre 1564 beginnen, wie uns die Acten aus dem Archive der Stände belehren, unmittelbar nach dem Regierungsantritte Kaiser Max II. die Arbeiten wieder, welche die Errichtung einer neuen Landesordnung ernstlich betrieben; wir kennen die einzelnen Acten, in welchen nach einander die verschiedensten Commissäre sowohl von der Regierung, als auch von den oberen Ständen berufen wurden; wir haben auch einen Act gefunden, in welchem schließlich die Stände den Regierungsrath [Seite: 21.b] und früheren Professor Dr. Wolfgang Püdler zum Commissär vorschlagen, und einen weiteren Act, aus welchem die Bestätigung der Wahl Püdlers durch den Kaiser erhellt.

Nach einer Notiz in Kinks Rechtslehre an der Wiener Universität erbot sich der Bibliothekar der kais. Hofbibliothek Hugo Blotius in einem Schreiben vom 23. Jänner 1576 an den n. ö. Landmarschall, das jus consuetudinarium Austriacum durch Vergleichung der in italienischen Municipien und deutschen Städten geltenden Rechte unter Mithilfe des Dr. Wolfgang Püdler zu ergänzen.

Diese Notiz ist darum sehr charakteristisch, weil wir Püdler als den Verfasser der sogenannten n. ö. Landtafel vom Jahre 1573 kennen, welche Unger zuerst in seiner Verlassenschaftsabhandlung erwähnt und auf welche ich mich in meinen rechtshistorischen Schriften wiederholt berufen habe.

Püdlers Werk ist aber nur Entwurf geblieben, hat nie Geltung gehabt und ich habe eine einzige Berufung auf seine Arbeit im 17. Jahrhunderte gefunden.

Ich zeige Ihnen, meine verehrten Herren, die Püdler’sche Landesordnung, welche in 4 Bänden lithographirt vorliegt; wichtiger ist es, daß wir auch Püdlers Dedication an die Stände gefunden haben, welche klar den Plan der Arbeit und die Durchführung derselben beschreibt, und welche insbesondere darthut, daß Püdler eingehend die Walther’schen oder Kirchberger’schen Tractate und das Consuetudinarium benützt hat, merkwürdigerweise aber des Landrechtsbuches Ferdinand’s I. gar nicht gedenkt, welches auch nach dem Inhalte nicht benutzt worden zu sein scheint.

Püdlers Werk, welches er den Ständen im Jahre 1573 überreicht und für welches er mit 1000 Thalern nebst 100 Gulden für den Abschreiber entlohnt wurde, ist in 4 Büchern abgetheilt, deren erstes den Process, das zweite die Contracte, das dritte das Erbrecht und das vierte endlich das Recht der Landgüter behandelt, welch' letzteres Buch ganz insbesondere aus den Waltherschen Tractaten geschöpft hat.

In der Dedication Püdlers an die Stände hat er sich auch erboten, einen Lehenstractat zu schreiben.

Dr. Püdler hat auch diesen Tractat geschrieben und ich weise Ihnen, meine Herren, auch den den Schönkirchner-Büchern entnommenen glossirten Lehenstractat Dr. W. Püdlers vor, welcher noch nach mehr als hundert Jahren häufig als Quelle des österreichischen Lehensrechtes betrachtet worden ist, obwohl dieser Tractat ebenso wenig wie Püdlers Entwurf einer Landesordnung je eine kaiserliche Sanction erhalten hatte.

Von Püdlers Entwurf einer Landesordnung finden sich ziemlich viele Abschriften in den Archiven; einzelne derselben mit einigen noch nicht genau erforschten textlichen Abweichungen sind mit der Jahreszahl 1582 bezeichnet; 1585 erfahren wir, daß die Abkürzung und Ueberarbeitung des Püdler’schen Elaborates dem Reichshofrathe und früheren Kammerprocurator Dr. Melchior Hofmayr übertragen worden war.

Melchior Hofmayrs Betheiligung an der Codificationsarbeit dürfte aber keine übergroße gewesen sein, da sein baldiger Tod nach Uebernahme der Arbeit gemeldet wird.

Die Herausgabe von Püdlers Codificationsarbeiten dürften den IV. Theil der in Aussicht genommenen Publication zu bilden haben.

F.

Nun ist endlich, meine Herren, die Zeit gekommen, in welcher ich der Codificationsbestrebungen in Oberösterreich gedenke, und ich muss, die Herren sehr um Entschuldigung bitten, daß ich erst so spät auf das Thema komme, um dessenwillen ich eigentlich meinen Vortrag in Linz zu halten mich erboten habe.21.b.*

Ein Bericht der oberösterreichischen ständischen Verordneten an die oberösterreichischen Stände vom Jahre 1836 erwähnt die Thatsache, daß auf Befehl Kaiser Max II. vom 20. Februar 1571 die Landtafel oder [Seite: 22.a] das Landrecht Oberösterreichs in Angriff genommen worden sei; Ritter von Spaun, der wohl der Verfasser dieses im Jahre 1836 erstatteten Berichtes gewesen ist, erzählt aus den ständischen Annalen, daß die oberösterreichischen Stände seit dem Jahre 1560 die Errichtung einer Landtafel auf der Grundlage eines beständigen Landsbrauches alljährlich begehrt haben: er erwähnt der Willfahrung dieser Bitte durch Maximilian II. und er zählt die erwählten Compilatoren auf; der Bericht weiß ferner, daß die Regierung in Wien angewiesen wurde, der oberösterreichischen Landeshauptmannschaft alle hiezu gehörigen Schriften mitzutheilen und schließlich erwähnt der Bericht der 4 im Jahre 1836 bekannten Exemplare dieser Landesordnung, deren zwei sich im ständischen Archive zu Linz, eines im Besitze des Freiherrn von Eiselsberg und eines im Besitze des Stiftes St. Florian befunden haben; der Bericht stellt weiter sicher, daß zwei Redactionen der Landtafel aus den Handschriften erschlossen werden können,eine, welche schon vor dem Jahre 1616 zu Stande gekommen war, und eine spätere, welche aber auch vor dem Jahre 1630 fertiggestellt gewesen sein muß; auch späterer Revisionen der Arbeit gedenkt der Bericht an die Stände, welcher schließlich anführt, daß der unglückliche Brand des Archivs im Jahre 1800 deutliche Schlüsse auf die Abfassung der Landtafel in vielen Fällen nicht mehr gestattet.

Merkwürdigerweise hatten die Stände im Jahre 1836 den Verfasser der oberösterreichischen Landtafel nicht gekannt, denn erst im Juli 1839 kündigte R. v. Spaun in den Mittheilungen des Linzer Museums an, daß Abraham Schwartz, ein Pfalz-Neuburger Rath, der Verfasser der oberösterreichischen Landtafel gewesen ist, ohne die Quelle dieser seiner Mittheilungen zu nennen.

Wir haben den Bericht der oberösterreichischen Stände aus dem Jahre 1836 lithographieren lassen und wir sind auch an die Lithographirung der oberösterreichischen Landesordnung herangetreten, nachdem uns der hochwürdigste Bischof von Linz ein Manuskript des Gleincker Archives gütigst zur Verfügung gestellt hatte.

Sicher ist anzunehmen, daß die oberösterreichische Landesordnung noch im 16. Jahrhunderte nicht fertiggestellt war; da aber in Niederösterreich nach dem Püdler'schen Entwurfe vom Jahre 1573 und nach dessen Umarbeitung im Jahre 1582 ein weiterer Codificationsentwurf gemacht worden ist, so muß ich hier die Besprechung der oberösterreichischen Landesordnung unterbrechen und auf die n. ö. Landesordnung zurückkommen, welche Reichhardt Strein von Schwarzenau im Jahre 1595 vollendet hatte.

G.

Reichhardt Strein von Schwarzenau war eine für Niederösterreich wie für Oberösterreich gleich sehr bedeutende Erscheinung; ein eifriger Protestant, stand er an der Spitze der von den Anhängern der neuen Lehre eingeleiteten Bewegung; als strammer Aristokrat hat er die Rechte des alten Herrenstandes gegen den Herrscher sowohl, als gegen den aufstrebenden Ritterstand mit Kraft verfochten und er hat es dem Kaiser sehr verübelt, daß dieser die Ritter Harrach und Jörger in den Freiherrnstand erhoben hatte.

Sein Hauptstreben lag darin, eine Handveste für die Privilegien des österreichischen Herrenstandes zu erlangen, er rühmte sich, von den alten Urkunden mehr als alle Anderen zu wissen; er erzählte mit Stolz, daß er das Original der steiermärkischen ständischen Freiheiten, der Georgenberger Handveste, mitten unter schlechten Urkunden gefunden habe und er nimmt dann auch gern den Antrag der Stände an, die Zusammenstellung einer Landhandveste auszuarbeiten.

Strein hat dann auch diese große Arbeit geliefert: in 6 Büchern ist das Werk abgetheilt, welches die Privilegien der Erzherzoge Oesterreichs und der Stände enthält: er schreibt Adnotalien zu diesen Büchern; er verficht die Echtheit des Privilegium Majus, er veranstaltet Facsimile der alten österreichischen Freiheitsbriefe, kurz und gut er entwickelt eine fieberhafte literarische Thätigkeit, deren Ergebnisse in 6 Foliobänden des niederösterreichischen Landesarchives und, wie ich höre, in einem Fascikel des haus-, Hof- und Staatsarchives enthalten sind.

Die Stände Niederösterreichs haben aber an Strein nicht nur die Ausarbeitung der Landhandveste übertragen: sie haben ihm — von Püdlers Entwurf der Landesordnung und von dessen Umarbeitung offenbar nicht befriedigt — auch nach dem Tode Hofmayrs die Ausarbeitung der niederösterreichischen Landesordnung übertragen und ihm zu diesem Behufe den Landmann Linsmayer von Weinzierl als Adjuncten beigegeben.[Seite: 22b]

Es ist uns nun durch Forschungen im niederösterreichischen Landesarchive, welche eben jetzt der Lithographie unterzogen werden, gelungen, die einzelnen Phasen zu entdecken, welche der Codificationsproceß unter Streins Leitung durchgemacht hat; wir kennen seine Berichte an die Stände, in welchen er den Berathungsmodus vorschlägt; Strein will die Entwürfe der Landesordnung in alle Viertel des Landes Niederösterreich versenden; er begehrt Commissionstage für die gemeinsamen Berathungen und er legt Buch für Buch der von ihm und Linsmayer ausgearbeiteten Landesordnung den drei oberen Ständen vor.

Ich kann in die Details dieser Berichte mich nicht einlassen; nur Eines will ich erwähnen, daß Strein in demselben Berichte aus dem Jahre 1595, mit welchem er den letzten Theil seines Codificationsentwurfes vorgelegt hat, emphatisch ausruft, daß nunmehr nach hundert Jahren die schon von Kaiser Max I. begehrte Codification bis auf die genehmigung der Stände und des Kaisers vollendet sei.

Strein, dessen Bedeutung auch von seinem Freunde, dem großen protestantischen Rechtslehrer der Wiener Hochschule Schwarzenthaller, hervorgehoben wird, hat demnach im Jahre 1595 an der Codification in dem Bewußtsein gearbeitet, daß die Codificationsversuche von Kaiser Max. I. eingeleitet worden sind.

Alle diese Thatsachen waren uns bekannt; aber ein Exemplar des Strein'schen Entwurfes hatte uns gefehlt; da fügte es abermals ein glücklicher Zufall, daß der Grazer Professor Luschin von Ebengreuth den Entwurf — und zwar das Original desselben — uns freundlichst zur Benützung überlassen hat.

Zwar enthält dieser Entwurf nur die ersten 3 Bücher, während bisher nur noch das 4. Buch mit Sicherheit im niederösterreichischen Landesarchive constatirt wurde; allein die Abschriftnahme dieser Bücher ist denn doch für uns von dem größten Werthe, und in Bälde wird auch dieses Werk wortgetreu lithographisch erscheinen.

Streins Werk ist in der Darstellung, so weit ich es gelesen habe, Püdlers Arbeit weitaus überlegen; er ist allem Anscheine nach mit dem Landrechtsbuche Ferdinand I. vertraut gewesen, auf welche Püdler keine Rücksicht genommen hat.

Streins Arbeiten wurden nach seinem Tode von Christoph Freiherrn von Leysser fortgesetzt; allein zu energischen Schritten kam man in Niederösterreich nicht vor 1650: eben in die Zeit von 1600 bis 1650 fallen die wichtigen Codificationsarbeiten Oberösterreichs, auf welche ich nunmehr mit der Bemerkung zurückkomme, daß Streins Compilationen in einer Herausgabe der Quellen den Platz hinter Püdlers Compilationen und vor der oberösterreichischen Landesordnung einnehmen müßten.

H.

Ueber die oberösterreichische Landesordnung will ich nur einige wenige Worte sagen.

Aus dem Berichte Spauns vom Jahre 1836 werden die Herren selbst entnehmen, daß zwei Redactionen dieses großen Werkes zu verzeichnen sind; eine derselben ist vor dem Jahre 1616 fertig gestellt gewesen: denn ich habe in einer späteren, noch zu erwähnenden Sammlung das Originaldecret Kaiser Mathias I. gesehen, mit welchem nicht lange nach 1616 die Begutachtung der oberösterreichischen Landesordnung anbefohlen worden war.

Andererseits ist es gewiß, daß derzeit noch viel mehr Exemplare der oberösterreichischen Landesordnung bestehen, als welche den ständischen Verordneten im Jahre 1836 bekannt gewesen sind; ich habe selbst des Gleincker Codex erwähnt, welchen uns der hochwürdigste Herr Bischof von Linz zur Verfügung gestellt hat und dessen lithographische Abschrift im Jahre 1895 in Angriff genommen wurde; ich habe ferner Handschriften dieser Landesordnung im landmarschallischen Archive von Wien, im Justizministerium, in der Hofbibliothek und endlich im juridisch-politischen Leseverein in Wien vorgefunden und ich bin überzeugt, daß in Oberösterreich in Klöstern und sonstigen Archiven sich noch manche Exemplare vorfinden werden. Es wird sich wesentlich darum handeln, die Exemplare, welche der ersten und zweiten Bearbeitung angehören, genau festzustellen.

Es wird auf jeden Fall auch festzustellen sein, ob den Redactoren der oberösterreichischen Landesordnung das Institutum Ferdinandi I., die Walther'schen Tractate, die Arbeiten Püdlers und insbesondere Streins bekannt gewesen sind oder nicht. [Seite: 23a]

Der Antheil des Dr. Abraham Schwartz an der Compilation, dessen auch Herrenleben in seiner Einleitung zum ersten Supplementbande des Codex Austriacus gedenkt, wird sowie der Bildungsgang Schwartzs genau zu erforschen und es werden auch die einzelnen Phasen der Codificationsbestrebungen genau zu beschreiben sein.

Mir, der ich die oberösterreichische Landesordnung einstens genau gelesen habe, ist nur bekannt, daß dieses Werk in sechs Bücher abgetheilt ist, daß der Verfasser derselben auf die Eigenart des Landes und seines Rechtes insbesondere gegenüber Oesterreich unter der Enns einen großen Werth gelegt hat, und daß nach einem allgemeinen Eindrucke die oberösterreichische Landesordnung gegenüber den Codificationsarbeiten Niederösterreichs aus dem 16. Jahrhunderte einen entschiedenen und in die Augen fallenden Fortschritt erkennen läßt.

Zahlreiche Notizen über die Codificationsbestrebungen Oberösterreichs habe ich in den Archiven Niederösterreichs gefunden und insbesondere deutlich entnommen, daß die oberösterreichische Landesordnung auf den letzten und bedeutendsten vortheresianischen Codificationsversuch unter Ferdinand III. und Leopold I. von der allereinschneidendsten Bedeutung geworden ist, eine Thatsache, welche unser Wiener Collegium bewegen könnte, die Publication der oberösterreichischen Landesordnung vielleicht unmittelbar hinter den Codificationsarbeiten Streins in Aussicht zu nehmen.

Nach einer oberflächlichen Umschau, welche ich vor zwei Jahren in Oberösterreich gehalten habe, und insbesondere nach den Nachrichten, welche ich über die verheerenden Wirkungen des im Jahre 1800 stattgehabten Archivbrandes erhalten hatte, trat ich nur mit bangen Hoffnungen die Reise nach Linz an, ob sich hier weitere Quellen über oberösterreichisches Recht aus dem 16. und 17. Jahrhunderte werden finden lassen.

Seit meiner kurzen Anwesenheit in Linz bin ich aber von den besten Hoffnungen in dieser Beziehung erfüllt. Seine Excellenz der Statthalter Freiherr von Pouthon hat reiche Schätze im Archive der Statthalterei gefunden und ich glaube, von der mir eingeräumten Gestattung Gebrauch machen zu müssen, die Funde im Statthaltereiarchive hier bekannt zu geben.

Im Archive der oberösterreichischen Statthalterei erliegen:

1. Ein Buch, Großoctav in mit gepreßtem Schweinsleder überzogenen Holzdeckeln gebunden, enthaltend 361 beschriebene Blätter mit der auf den vorderen Deckel gepreßten Inschrift: "Der löblichen Landeshauptmannschaft in Oesterreich ob der Enns Consuetudinarium", unter welcher ein Bild der Justitia mit Waage und Schwert eingedrückt ist.

Auf die innere Seite des vorderen Deckels hat der damalige Landeshauptmann Hans Ludwig Herr von Khuefstain ein das jüngste Gericht betreffendes lateinisches Gedicht eingeschrieben und mit der Jahreszahl 1650 unterfertigt. Das Buch fängt mit einem alphabetischen Index an und folgt hierauf das "Verzaichniß der Herrn Landeshaubtleuth in Oesterreich ob der Enns vor und wie sie vor etlich hundert Jahren gewesen und ainer auff den andern biß auf ietzigen Herrn Landeshauptmann Herrn Wolff Wilhelmen Herrn von Volkherstorff vom Jahre 1230 über 1630 hinaus."

Dann kommt der eigenthümliche Inhalt des Buches, nämlich Abschriften Allerhöchster Resolutionen von Kaiser Ferdinand I. bis Kaiserin Maria Theresia und die Eintragung einzelner denkwürdiger Ereignisse.

2. Drei Abschiedsbücher rein civilrechtlichen Inhaltes von den Jahren:
das erste 1545-1549
[das] zweite 1555-1565
[das] dritte 1564-1571.

3. Ein Motivenbuch 1711-1734.

Ich bin fest überzeugt, daß die eben verlesenen archivarischen Schätze die Bestrebungen entschieden fördern werden, welche auf die Rechts- und Codificationsgeschichte Oberösterreichs gerichtet werden sollen.

Ich eile nunmehr nach Wien zurück; nur noch eine kurze Bemerkung gilt der oberösterreichischen Landesordnung; sie ist nämlich, ungeachtet sie nie die kaiserliche Sanction erhalten hat, Gewohnheitsrecht in Oberösterreich geworden, welches Gewohnheitsrecht bis zur Erlassung des allgemein bürgerlichen Gesetzbuches in Oberösterreich gegolten hat; diese Thatsache scheint nicht nur dem Verfasser des bürg. Gesetzbuches Zeiller bekannt gewesen zu sein, sondern diese Thatsache haben auch die ständischen Verordneten im Jahre 1836 in ihrem [Seite: 23.b] Berichte an die Landstände festgehalten und diese Thatsache wird durch die oberösterreichischen bedeutenden juristischen Schriftsteller aus dem Ende des 17. und dem Beginn des 18. Jahrhunderts klar festgestellt. Schon der oberösterreichische Jurist Weingärtler erwähnt in seinem Werke oft der oberösterreichischen Landesordnung: der auch Zeiller bekannte Kremsmünsterer Hofrichter Benedictus Finsterwalder hat aber in seinem am Ausgange des 17. Jahrhunderts geschriebenen vierbändigen Werke zahllose Stellen der oberösterreichischen Landesordnung wortgetreu citirt, und ich erwähne nur kurz, daß diese Citationen vollkommen geeignet sind, um bei Vergleichung der Handschriften der oberösterreichischen Landesordnung zu prüfen, ob die einzelnen Handschriften der ersten oder der zweiten Redaction angehören. Der Vorzug Oberösterreichs vor Niederösterreich, daß es einen Codificationsversuch besitzt, welcher in den Gerichten geltendes Gewohnheitsrecht geworden ist, ist gewiß geeignet, das Studium der oberösterreichischen Codification mit allem Eifer beginnen zu lassen.

I.

Vollends wichtig ist die oberösterreichische Codificationsarbeit dadurch geworden, daß dieselbe den größten Einfluß auf die letzten umfassenden vortheresianischen Codificationsversuche unter Ferdinand III. und Leopold I. genommen hat.

Ich habe Ihnen, meine Herren, schon mitgetheilt, daß ich im Jahre 1879 im niederösterreichischen Landesarchive auf eine Handschrift des niederösterreichischen Landesuntermarschalls Ritter von Aichen gestossen bin, welche deutlich gezeigt hat, daß der im Jahre 1656 sanctionirte Strafcodex Ferdinand III. die im Jahre 1669 sanctionirte Vormundschaft- oder Gerhabschaftsordnung, der im Jahre 1679 sanctionirte Tractatus de juribus incorporalibus und die in den Jahren 1720 und 1729 für Oesterreich unter und ob der Enns erschienenen Intestaterbrechtsgesetze Theile eines und desselben unter Ferdinand III. begonnenen und unter Leopold I. fortgesetzten Codificationsversuches waren, dessen andere 4 Theile: Proceß, Contracte, testamentarisches Erbrecht und Lehenrecht die Sanction nicht erlangt haben.

Heute sind wir über diese Codificationsarbeiten weit mehr informirt; früher wußten wir nur, Suttinger, Seitz, Hartmann und Leopold die hauptsächlichen Verfasser dieser Entwürfe waren: heute sind wir im Besitze der Beratungsprotokolle aus den Jahren 1653 bis 1669, welche ich Ihnen in lithographischer Ausstattung vorzeigen werde; heute kennen wir den Verkehr zwischen der Regierung und der Codificationscommission und ebenso viele Actenstücke, welche die Codificationsarbeiten begleitet haben; heute können wir sagen, daß die Codificatoren, denen die böhmische verneuerte Landesordnung, das baierische Landrecht, die Nürnberger Reformation, ebenso wie das gemeine Recht bekannt waren, der oberösterreichischen Landesordnung einen sehr bedeutenden Einfluß auf die Codificationsarbeiten eingeräumt haben.

Die literarische Bearbeitung dieser großen Codificationsarbeit ist eine Hauptaufgabe des Wiener Collegiums und ganze Actenbündel des Wiener Landesarchives werden eben jetzt in lithographische Abschrift genommen.

Eine Persönlichkeit ragt unter diesen Codificatoren ganz besonders hervor; es ist dies die Persönlichkeit des Regierungskanzlers Johann Baptist Suttinger von Thurnhof.

Muß Niederösterreich dem Sachsen Bernhard Walther, Oberösterreich dem Pfälzer Abraham Schwartz einen großen Theil des Ruhmes abtreten, welcher sich an die Vollendung der Codificationsarbeiten knüpft, so sind wir so glücklich, in Johann Baptist Suttinger von Thurnhof einen Oesterreicher, einen später erst geadelten Wiener Bürger zu begrüßen.

Suttinger ist praktischer Jurist und juristischer Schriftsteller im eminentesten Sinne des Wortes: er hat den österreichischen Civilproceß im 17. Jahrhunderte in einem in zwei Auflagen erschienenen Werke unter dem Titel Observationes practicae" behandelt, und sein Antheil an dem Codificationswerke wird durch die Forschungen des Wiener Collegiums bald in helleres Licht gesetzt werden können; er hat auch ein Gedenkbuch über alle Landtagsbeschlüsse und Gravamina bis zum Jahre 1582 geschrieben, dessen lithographische Abschrift in 3 Bänden ich Ihnen hier vorzeige: ich glaube auch in einer Handschrift der Wiener Hofbibliothek, welche Suttinger's eigenhändige Unterschrift trägt, entdeckt zu haben, daß Suttinger zuerst einen Entwurf zum Codex Austriacus geschrieben hat, den Quarient [Seite: 24a] im Jahre 1704 unter seinem Namen herausgegeben hat: allein sein größtes Verdienst besteht in der Abfassung seiner Consuetudines Austriacae ad Stylum Incliti Regimine Austriae infra Anasum, welches Werk, wie allgemein bekannt war, bis zum Erscheinen des bürgerlichen Gesetzbuches als Hauptquelle des niederösterreichischen Rechtes von den Gerichten benützt worden ist.

Suttinger’s Consuetudien sind in Handschriften durch ganz Niederösterreich verbreitet, und zahlreiche Abschriften befinden sich in Wien: erst lange nach seinem Tode wurde sein Werk zwei Mal im Auslande und nie in Oesterreich gedruckt: beide Ausgaben, die von 1716 voll von Druckfehlern und die bessere von 1718 haben keine Vorrede; beiden Ausgaben sind die Tractate Bernhard Walthers und ergänzende Nachträge beigegeben und beide Ausgaben sind mit Indices versehen.

Suttingers nach der alphabetischen Ordnung der Materien herausgegebene Consuetudines enthalten zahllose Berufungen auf die niederösterreichischen Consuetudinaribücher und auf die niederösterreichischen Motivenbücher: ich hatte Anfangs die Hoffnung, daß für Niederösterreich die Consuetudinaribücher und die Motivenbücher gefunden werden könnten.

Allein diese Hoffnung hat sich bisher als trügerisch erwiesen; wir hatten an allen Orten Umschau gehalten und geforscht, aber nicht gefunden, und aller Wahrscheinlichkeit nach sind diese so wichtigen Dokumente vernichtet.

Infolge dieser Thatsache beschäftigt sich ein Herr des Wiener Collegiums mit der Reconstruction des Verlorenen: er stellt alle Citate der Consuetudinari- und der Motivenbücher nach Bänden und Seitenzahlen zusammen, und so dürfte denn mit vielem Fleiße eine Reconstruction der Consuetudinari- und der Motivenbücher wohl möglich sein. Die Vollendung dieser Arbeit steht indeß in weiter Ferne.

Noch will ich erwähnen, daß ich im niederösterreichischen Landesarchive persönlich eine Handschrift von Suttinger Consuetudines mit einer Dedicationsschrift Suttingers gefunden habe: aus dieser Einleitung konnte ich sicherstellen, daß zur Zeit Suttingers bei der niederösterreichischen Regierung 7 Bande Consuetudinaribücher und Motivenbücher vorhanden waren, deren Benützung Suttinger durch die materienweise Behandlung des Stoffes in alphabetischer Ordnung in seinen Consuetudines Austriacae erleichtern wollte.

Noch ein letztes Wort über Suttinger: er hatte eine Tochter, die an den Kämmerer Ott Ferdinand Grafen Volckhra verheiratet war; auf der Hofbibliothek haben wir eine Prachtausgabe von Suttingers Consuetudines gefunden, welcher sein Schwiegersohn Graf Volckhra in einem wenigstens 20 Kilo schweren rothen Sammtbande dem Kaiser Leopold I. gewidmet hat und in welchem er Suttingers Consuetudines um das Doppelte vermehrt hat; selbstverständlich wird diese Ausgabe auch von uns benützt. Suttinger hat in seinem Werke eines 38. Bandes seiner sonstigen Manuskripte gedacht, und selbstverständlich wären wir glücklich gewesen, diese Manuskripte zu entdecken; Suttinger hat nun in seinem von uns im Wiener landesgerichtlichen Archive aufgefundenen Testamente auch den Manuskriptenschatz seinem Schwiegersohne Ott Ferdinand Grafen Volckhra vermacht; allein das Testament des Grafen Volckhra belehrt uns leider, daß der ganze Manuskriptenschatz Suttingers bei der zweiten Belagerung Wiens durch die Türken zu Grunde gegangen ist. Oberösterreich ist auch in dieser Beziehung glücklicher als Niederösterreich; das Consuetudines Oberösterreichs ist, wie ich bereits mitgetheilt habe, Dank der Nachforschungen Sr. Excellenz des Statthalters Freiherrn von Puthon gefunden worden; vier Bände gerichtlicher Urtheile von 1538 bis 1571 und ein Band Motivenbücher, der mit dem Jahre 1711 anhebt, lassen die Hoffnung gerechtfertigt erscheinen, daß nicht nur die Codificationsgeschichte Oesterreichs, sondern auch die Rechtsprechung des Landes aus den Originalaufzeichnungen erkannt werden kann.

K.

Dem Vorzuge Oberösterreichs, den ich soeben entwickelt habe, steht ein anderer Vorzug Niederösterreichs gegenüber; es sind dies die großartigen Leistungen seiner Kammerprocuratoren aus dem 16. und 17. Jahrhunderte; ich weiß die ganze Reihe der bis auf Max I. reichenden Kammerprocuratoren nicht auswendig; einzelne Namen Gundelius, Pacholeb, Eder, Hofmayr, Schwanser, Selb fallen mir eben ein; mit zwei Kammerprocuratoren, mit Eder und Schwanser, muss ich mich aber deshalb befassen, weil diese beiden [Seite: 24.b] Kammerprocuratoren sich auch, wie ich weiß, mit Oesterreich ob der Enns beschäftigt haben.

Im Archive des Reichs-Finanzministeriums wurde von einem Mitgliede unseres Collegiums eine Handschrift Eders entdeckt, welcher zuerst Professor und dann von 1556 bis 1563 Kammerprocurator gewesen ist und als eifriger Katholik auch in die Glaubenshändel seiner Zeit wirksam eingegriffen hat.

Eder hat nun im Jahre 1561 und 1562 ein Verzeichniß aller jener Rechtshandlungen hinterlassen, in welcher er als Kammerprocurator als Kläger oder Geklagter eingeschritten ist, und es ist nicht leicht eine fleißigere Arbeit als die seinige zu finden; ich zeige Ihnen hier die Abschrift in 2 Bänden mit einer Fülle von Ort-, Sach- und Personenregister und statistischen Uebersichten, und ich kann die Behauptung aufstellen, daß Eders Relationen über die wichtigsten Gebiete des formellen und materiellen Rechtes seiner Zeit nähere Aufschlüsse geben.

Von Eder habe ich bis zum Funde im Reichs-Finanzarchive nichts gewußt, und ich erwähne auch Eders insbesondere hier, weil auch viele Rechtshändel aus Oberösterreich von Eder geführt worden sind.

Nach dem zweiten Kammerprocurator, nach Wolfgang Schwanser, der am Ende des 16. und am Beginne des 17. Jahrhunderts gewirkt hat, habe ich schon vor mehr als 10 Jahren geforscht, ohne seine Werke finden zu können. Wolfgang Schwanser, ein Freund Reichhardt Streins, war ein Zeitgenosse von Schwarzenthaller, ein Protestant aus Niederösterreich; er wird schon von Herrenleben in der Einleitung zum 1. Supplementbande des Codex Austriacus erwähnt und von ihm gesagt, daß er am 12. Februar 1602 den 1364. Bericht an die niederösterreichische Regierung erstattet hat.

Die Schönkirchner-Bücher beziehen Schwansers Berichte sehr oft: Suttingers Consuetudines erwähnen an zahlreichen Stellen Schwansers Berichte; ich konnte aber dieselben nicht finden, bis es uns endlich gelang, einen Theil derselben, etwa 400 Berichte in 2 Bänden, gleichzeitig mit Eders Relationen im Reichs-Finanzministerialarchive zu entdecken.

Die Bearbeitung dieser Berichte ist bereits fertiggestellt, deren Lithographirung allerdings noch aussteht. Schwanser nimmt auch auf Oberösterreich Bezug, und muß ich hier nur erwähnen, daß seine Berichte für die Kenntniß der öffentlichrechtlichen Verhältnisse Oesterreichs, insbesondere für die Verwaltungs- und Finanzgeschichte von der allermaßgebendsten Bedeutung sind.

L.

Ich habe Ihnen viele Daten bisher vor Augen geführt, aus welchen Sie, meine Herren, schließen können, daß ein reiches Materiale zu einer österreichischen Rechtsgeschichte des 16. und 17. Jahrhunderts zusammengetragen werden könnte und der natürlichste Abschluß mit der Zeit Maria Theresias eintreten müßte, welche Monarchin nach Errichtung der obersten Justizstellen eine Gesetzgebungscommission aus allen Erbländern mit Einschluss der Sudetenländer und Tirols eingesetzt hat.

Die der theresianischen Compilation vorangegangenen Darstellungen der Landesrechte, welche noch vorhanden sind, würden einen naturgemäßen Abschluß des von mir erwähnten literarischen Unternehmens bilden.

Allein für die letzten Jahrzehnte des 17. und für die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts fehlten bis vor Kurzem fast alle Quellen; bis ein unerwarteter glücklicher Zufall mich eine neue, auch für Oberösterreich reichlich fließende Quelle finden ließ.

Ein Mitglied des Collegiums hatte mich gebeten, ihm bei Sr. Excellenz dem Präsidenten des obersten Gerichtshofes die Gestattung zu erwirken, das im Archive des obersten Gerichtshofes befindliche Original des von der Suttingerschen Compilationscommission bearbeiteten und nunmehr schon lithographirten niederösterreichischen Lehenstractates abschreiben zu dürfen; Se. Excellenz ertheilte bereitwilligst die Zustimmung; und als ich das abgeschriebene Werk zurückbrachte, gab er mir die weitere Bewilligung, im Archive des obersten Gerichtshofes Nachforschungen anstellen zu dürfen.

Zu meinem größten Erstaunen fand ich dort eine bisher noch wenig bekannte und theilweise fast nicht benützte Sammlung von Acten, welche ursprünglich in 101 Bänden nebst 3 Registerbänden angelegt war, von welchen derzeit noch 89 bis 90 Bände sammt den Registerbänden vorhanden sind. Diese Sammlung, welche ich als Hüttner’sche Sammlung nach dem Namen des Sammlers benenne, befindet sich [Seite: 25a] derzeit im Archive der niederösterreichischen Statthalterei; Mitglieder unserer Gesellschaft sind eben mit der Indicirung nach der Reihenfolge der Bände beschäftigt und erst bei dem 30. Bande angelangt. So weit ich diese Arbeit eingesehen habe, übertrifft dieselbe an Reichhaltigkeit alle Erwartungen, und enthüllt zahllose, auch auf Oberösterreich bezugnehmende rechtshistorische Documente; sie enthält alle principiellen Regierungsentscheidungen über Processe in der Revisionsinstanz aus den Jahren 1696 bis 1750, sie enthält mannigfache Abschriften von Acten über die Vorlage der Codificationen zur Sanction; kurz und gut, soweit ich das Material der ersten 30 Bände auch nur oberflächlich durchforschen konnte, schafft sie die Möglichkeit, die Rechtsentwicklung bis unmittelbar zur theresianischen Codification zu verfolgen, welcher Codification in der Sammlung ebenfalls eingehend gedacht wird, und ergänzt in den meisten Beziehungen die aus dem 16. und 17. Jahrhunderte noch fehlenden Daten.

M.

Habe ich Ihnen die Möglichkeit einer mit dem 16. Jahrhunderte anhebenden und mit den Codificationsarbeiten Maria Theresias abschließenden österreichischen Rechtsgeschichte dargethan — ich weiß es nicht — dann frage ich mich nach dem Werthe einer solchen mühevollen Arbeit.

Ich bin selbst ein schlechter Richter in dieser Sache. Wer, wie ich, 22 Jahre denselben Gedanken mit Vorliebe festgehalten hat, kann den Werth einer von ihm angestrebten Arbeit sehr leicht überschätzen.

Gestatten Sie mir daher, die Gründe anzuführen, welche mich glauben machen, daß eine österreichische Rechtsgeschichte über den genannten Zeitraum von der allergrößten Bedeutung für Oesterreich sein müßte, aber auch weit über die Grenzen Oesterreichs hinaus als eine der wichtigsten wissenschaftlichen Arbeiten betrachtet werden müßte.

A.

Oesterreich ist im 16. Jahrhunderte, im Zeitalter Max I. und Ferdinand I., das culturell in vielen Beziehungen fortgeschrittenste Land des deutschen Reiches; vergessen Sie nicht, daß, wie Dr. Sigmund Adler in seinem Werke über die Behördenorganisation unter Max I. dargethan hat, Max I. aus Burgund die wichtigsten Einrichtungen der inneren Verwaltung nach Oesterreich übertragen und die Anfänge einer staatlich organisirten Verwaltung eingeleitet hat.

Man mag diesen Schritt Max I. loben oder nicht; seine hohe Bedeutung für die Entwicklung des staatlichen und sonstigen öffentlichen Lebens wird man nicht läugnen können.

Oesterreichs Verwaltungseinrichtungen unter Max I. sind für die deutschen Territorialstaaten maßgebend geworden; Professor Rosenthal aus Jena wollte über baierisches Verwaltungsrecht, über baierische Behördenorganisation schreiben; in Baiern stieß er überall auf das österreichische Muster des 16. Jahrhunderts; er sah sich genöthigt, in die österreichischen Archive, insbesondere nach Innsbruck und Wien zu gehen, und dann veröffentlichte er die Behördenorganisation Oesterreichs unter Ferdinand I. und betonte ausdrücklich, daß auch diese Organisation für Baiern maßgebend geworden sei.

Waren Oesterreichs Leistungen auf dem Gebiete der Verwaltungseinrichtungen von so hoher Bedeutung, so ist der Schluß zwar nicht zwingend, wohl aber gestattet, daß Oesterreichs Leistungen auf dem Gebiete der Reform der Justizgesetzgebung die größte Aufmerksamkeit verdienen.

B.

Oesterreich hatte aber auch zu dieser Zeit alle Bildungselemente vereinigt. Die Verbindung mit dem spanischen Reiche, mit den beiden Indien, mit den Niederlanden, mit Italien, die Berufung des Reichshofrathes nach Wien und die Aufstellung eines Regimentes der niederösterreichischen Lande, brachte die gebildetsten Männer an den Hof des Kaisers und vereinigte die tüchtigsten Kräfte, welche eine Justizreform durchzuführen vermochten.

Allein auch der Inhalt der Codificationsversuche hat wenigstens mich überzeugt, was für ein mächtiger Stoff juridischen Wissens zu dieser Zeit in Oesterreich aufgestappelt war, welcher die Codificationsarbeiten und die Rechtsprechung gleichschwer günstig beeinflußt hat. Und wenn wir mit der Proceßordnung Niederösterreichs vom Jahre 1557 anfangen und bis zum Tractatus de juribus incorporalibus von 1679 fortschreiten, so können wir in diesen niederösterreichischen [Seite: 25b] Arbeiten, sowie in der oberösterreichischen Landesordnung nur die Vortrefflichkeit der Arbeiten staunend bewundern.

Eine historisch genaue Forschung wird meine Vermuthung bekräftigen, daß die Quellen vieler Rechtssätze des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches in den juristischen Arbeiten des 16. und 17. Jahrhunderts zu finden sind, und ich bin überzeugt, daß die unschätzbaren Vorzüge unseres bürgerlichen Gesetzbuches eben in der 300jährigen Vorbereitung dieses Meisterwerkes zu finden sind. Das bürgerliche Gesetzbuch Oesterreichs wurde schon zur Zeit seiner Erscheinung mit Bewunderung begrüßt — eine, neue Gesetze nur selten begleitende Erscheinung - und wenn man in neuester Zeit es als die deutscheste aller Codificationen bezeichnet hat und Unger in offener Sitzung des Herrenhauses vor dem Gedanken einer Neucodificirung des Werkes gewarnt und den naiven Gedankenausdruck des bürgerlichen Gesetzbuches als über alles Lob erhaben dargestellt hat, so glaube ich, daß ein großer Theil dieses Lobes auf die Art seiner Entstehung, auf die 300jährigen Vorbereitungsarbeiten bezogen werden muß.

Bedürfte es noch eines Beweises der Güte des bürgerlichen Gesetzbuches, so zeigt dies die Thatsache, daß das bürgerliche Gesetzbuch einer großen Anzahl schweizerischer Cantone als Vorbild gedient hat, daß es dem bürgerlichen Gesetzbuche für das Königreich Sachsen zu Grunde gelegt wurde und daß die Redaction des bürgerlichen Gesetzbuches für das deutsche Reich sich veranlaßt gesehen hat, so wesentlich auf die Vorzüge des österreichischen bürgerlichen Gesetzbuches zurückzukommen. Ein so vortreffliches, herrliches Werk verdient denn thatsächlich, daß seine Entstehung auch hinter der theresianischen Compilationscommission erforscht werde; sein Ruhm wird nur wachsen, wenn erkannt wird, daß die Keime der großartigen Entwicklung unter Maximilian I. und Ferdinand I. gelegt worden sind.

C.

Noch Eines: ich habe gesagt, daß das bürgerliche Gesetzbuch das deutsche Recht unter allen Gesetzen am vollständigsten erhalten hat.

Lassen Sie mich hieran eine Bemerkung knüpfen; unser kleines Wiener Collegium hat an der Hand der großartigen Forschungen Luschins dem Bildungsgange der österreichischen Regimentsmitglieder nachgeforscht, und da hat es sich denn ergeben, daß viele Mitglieder der Regierung, nicht blos die gelehrte Bank, sondern auch Herren und Ritter ihre juristische Bildung an fremden, italienischen und deutschen, Universitäten erlangt haben.

Das ging fort, ungeachtet schon Kaiser Ferdinand I. zur Hebung der Wiener Universität das Studium der Jugend an dieser Hochschule anbefohlen hatte; als aber Ferdinand II. den protestantischen Winterkönig, den Pfälzer Friedrich, aus Prag und Böhmen hinausgeworfen hatte, da verbot er im Laufe der Gegenreformation das Studium an den deutschen nicht katholischen Universitäten; und seither mußten die österreichischen Juristen ihre Bildung an den einheimischen Universitäten holen.

Sicher scheint es mir, daß dieses Verbot die Trennung zwischen dem katholischen Oesterreich und den protestantischen Theilen Deutschlands so sehr erweitert hat, daß Hermann Conring, Hypolitus a Lapide und unter dem Namen Severinus Monzambano Samuel von Pufendorf so feindliche Worte über Oesterreich gefunden haben.

Die Geschichte der Wiener Juristenfacultät unter der Leitung der Jesuiten ist noch nicht geschrieben und wird, wie ich eben höre, jetzt bearbeitet; möglich scheint es mir nun, daß die Wiener Juristenfacultät damals mit den deutschen Universitäten in der Romanisirung der Rechtsanschauungen nicht gleichen Schritt gehalten hat, und daß eben darin einer der Gründe gefunden werden dürfte, aus welchen sich der wesentlich deutsche Charakter der Rechtsnormen im bürgerlichen Gesetzbuche erhalten konnte.

D.

Allein nicht blos für das Privat- und Strafrecht und für den Civil- und Strafproceß wird die Erforschung der Rechtsentwicklung im 16. und 17. Jahrhunderte maßgebend sein; diese Forschungen werden auch in allgemeiner cultureller Beziehung von der höchsten Bedeutung sein — wenn die Zeit nicht so sehr vorgeschritten wäre, würde ich den Beweis führen, wieso sich das Institut der öffentlichen Bücher aus Böhmen und Mähren durch die Vermittlung von Steiermark nach Oesterreich unter und ob der Enns verbreitet hat; ich könnte auch darstellen, wieso das Sinken des Geldwerthes in der Hälfte des 16. Jahrhunderts zur Vertreibung alter guter Münzen in Oesterreich [Seite: 26a] beigetragen hat, wie sehr sich das Darlehen in Waaren herausgebildet hat, wie die österreichische Regierung bestrebt gewesen ist, das Waarendarlehen ob des sich in dasselbe kleidenden Wuchers für Private verbieten, dagegen für den in Zahlungs- und Kriegsnöthen steckenden Staat und für die Länder vorzubehalten, und wie endlich der Mangel an Zahlungsmittel am Ende des 17. Jahrhunderts Oesterreich zu Errichtung einer Bank durch den Fürsten Liechtenstein und den Grafen Traun drängte, welche Bank bald durch eine andere und schließlich durch das unter Starhemberg blühend gewordene Wiener Stadt Banko-Institutum ersetzt wurde. Allein, obgleich ich diese Beispiele willkürlich vermehren könnte, so glaube ich, verehrte Herren, daß Sie als Historiker weit mehr als ich im Stande sein werden, die welthistorische Bedeutung der österreichischen Rechtsentwicklung zu beurtheilen, wenn sie einmal die Bausteine der österreichischen Rechtsgeschichte etwas zusammengetragen haben.

III.

Sollte meine Anregung etwas fruchten, dann gestatten Sie mir noch einige Rathschläge:

Stölzel in seiner Geschichte des gelehrten Richterthums in den deutschen Territorien kennzeichnet die Schwierigkeit einer rechtsgeschichtlichen Forschung im 16. Jahrhunderte mit den wenigen Worten, daß man mit dem 16. Jahrhunderte aus dem Zeitalter der Urkunden in das Zeitalter der Acten übergehe.

Nicht das allein, daß Urkunden auf dem besseren Materiale, der Eselshaut, Acten aber auf Papier geschrieben wurden, kennzeichnet den vollen Unterschied; die Acten wurden infolge der Concentration der Verwaltung in eine viel geringere Anzahl der Archive zusammengedrängt und wurden daher dem Massendiebstahle oder Massenbrand schon vorlängst ausgesetzt.

Zu all' diesem Unglücke, welche Acten und andere Gegenstände gleich sehr treffen können, hat aber das organisirte Beamtenthum die planmäßige Vernichtung der Acten im Wege der organisirten Scartirung in ein System gebracht, und diese legale Actenvernichtuug ist der historischen Forschung viel schädlicher als Diebstahl und Brand geworden.

Trachten Sie daher vor Allem, daß die Actenbestände aller Zeiten erhalten werden.

Dann trachten Sie, daß die wichtigen Codificationsarbeiten so bald als möglich, etwa wie wir es thun, in 40 bis 50 Exemplaren vervielfältigt werden; denn keinem einzigen einzeln stehenden Gelehrten ist es möglich, Alles, was er zu einer Rechtsgeschichte braucht, in den Archiven abzuschreiben und nur die Abschrift, nicht das stets willkürliche Excerpt hat einen Werth.

Sodann, wenn Sie nicht sehr viel Geld haben, lassen Sie die Quellenwerke nicht sogleich drucken, sondern vor Allem litho- oder autographiren; in den meisten Fällen werden von den Codificationsarbeiten und von sonstigen Werken mehrere Handschriften bestehen und es wird die beste Handschrift oft am spätesten entdeckt; eine Vergleichung sämtlicher Handschriften ist namentlich bei Codificationsarbeiten unumgänglich nothwendig und es ist eine pure Verschwendung, wenn man an den Druck geht, bevor man die nothwendige Vergleichung der Handschriften vorgenommen hat. Endlich, wenn Sie die Litho- oder Autographie beendet haben, trachten Sie, daß einige Exemplare stets in Bibliotheken und Archiven aufbewahrt werden; sie sind dort am sichersten und ihre Benützung ist dort jedem strebsamen Forscher zugänglich.

Ich stehe am Schlusse meines langen Vortrages; ich danke Ihnen gerührten Herzens, daß Sie mir so geduldig zugehört haben. Sollte ich eine Anregung auch in Linz gegeben haben, so wäre ich glücklich; ich zweifle nicht an der Möglichkeit, ich glaube fest an die ungeahnte Bedeutung einer mit dem 16. Jahrhunderte anhebenden und bis zu den Codificationsarbeiten Maria Theresias fortgesetzten österreichischen Rechtsgeschichte und glaube passend mit dem schönen Titel eines ebenfalls dem 17. Jahrhunderte angehörigen Buches Hörnigk’s zu schließen, welcher Titel lautet:
"Oesterreich über Alles, wenn es nur will."

Fußnoten
21.b.*.
Die Kenntniß der Redactionsgeschichte der oberösterreichischen Landesordnung ist seit der Abhaltung des Vortrages durch die vom niederösterreichischen Landesarchivar Dr. Krakowitzer veröffentlichten Studien über Dr. Abraham Schwartz (Linzer Zeitung vom 10. März 1895), ferner durch die Ausbeute, welche wir bei Bearbeitung der Hüttner’schen und Aichen’schen Sammlung gewannen, mehrfach bereichert worden. Den dermaligen Stand der Forschung wird ein demnächst erscheinender Artikel von der Hand eines unserer Mitarbeiter (Landesordnungen historisch im Staatswörterbuche von Mischler und Ulbrich) zur Darstellung bringen.
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