Gunter Wesener, Zur Entwicklung des Konkursrechtes in den altösterreichischen Ländern, vornehmlich im 16. und 17. Jahrhundert, in: Festschrift Hermann Baltl zum 60 Geburtstag ... Hrsg. Kurt Ebert (Innsbruck 1978) S. 535-556.
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Der verehrte Jubilar hat sich in hohem Maße um die Erforschung der Österreichischen Rechtsgeschichte verdient gemacht. Es sei gestattet, zur Festgabe einen kleinen Beitrag aus dem Bereich der österreichischen Privat- bzw. Prozeßrechtsgeschichte zu leisten.
Arthur Skedl hat in seiner Untersuchung über die Grundlagen des österreichischen Konkursrechtes1 dessen Entwicklung im 17. und 18. Jh. verfolgt und insbesondere die beiden Komponenten — böhmisches und altösterreichisches Recht — herausgestellt2. Eine einheitliche Regelung für die böhmisch-österreichischen Erblande brachte die Allgemeine Konkursordnung Josephs II. vom 1. Mai 1781 (JGS Nr. 14), die ein Produkt der böhmischen und österreichischen Rechtsentwicklung darstellt3.
Die Entwicklung des Konkursrechtes in Österreich läßt sich weiter zurückverfolgen; schon im 16. Jh. ist ein Konkursverfahren, ein Cridaverfahren, in den altösterreichischen und böhmischen Ländern nachzuweisen. Die Ansätze eines selbständigen Konkursverfahrens lassen sich bis ins Spätmittelalter zurückverfolgen4. [Seite: 536]
Zahlreiche spätmittelalterliche deutsche Stadtrechte haben einen eigenen Konkursprozeß gekannt, der trotz großer partikulärer Verschiedenheiten in den Grundzügen einheitlich war5.
Das Konkursverfahren hat sich im Spätmittelalter auf Grundlage des deutschen Arrestverfahrens6 bei Gläubigermehrheit ausgebildet7. Maßgeblich für das Aufkommen eines Konkursverfahrens war das Abgehen vom Prioritätsprinzip und der Sieg des Prinzips der anteiligen Gläubigerbefriedigung8.
Im Arrestverfahren erfolgte die Befriedigung der Gläubiger in der Reihenfolge der von ihnen vorgenommenen Beschlagnahmehandlungen; wer das Gut des flüchtigen, fluchtverdächtigen, gestorbenen oder fremden Schuldners zuerst besetzte, hatte den Vorrang bei der Befriedigung.
Aber schon Mitte des 13. Jhs. findet sich in den Hansestädten Lübeck und Hamburg das Prinzip der anteiligen Gläubigerbefriedigung; alle Gläubiger, die nach der Flucht oder dem Tode des Schuldners das von diesem zurückgelassene Gut beschlagnahmen, werden anteilig (na marketale, nach marchzahl) befriedigt9.
[Seite: 537]In mittel- und süddeutschen Städten und in der Schweiz findet sich das Prinzip der anteiligen Gläubigerbefriedigung erst einhundert, ja zweihundert Jahre später, und auch da zuerst nur bei Flucht oder Tod des Schuldners. In Prag10 ist es 1360 nachweisbar, in Ulm11 um 1400, in Nürnberg12 1431, in Augsburg13 1439, in Zürich14 zunächst schon 1343, in Basel15 erst 1459.
Die quotenmäßige Aufteilung ("nach marchzal") findet sich im Freiburger Stadtrecht von 1520 (I, 14)16; dieses hatte insofern die Bestimmung der Basler Gantordnung von 1459 zum Vorbild17. Die Vorschrift ist fast wörtlich in das Württembergische Landrecht von 1555 (I, 2, 39 ff.)1818 übergegangen19.
Im weiteren Verlauf der Entwicklung wird ein Konkursverfahren auch gegen den anwesenden Schuldner zulässig20. Die Insuffizienz des schuldnerischen Vermögens wird zum typischen Konkursgrund21. Im Konkursverfahren haben sich bestimmte Grundsätze über die Form und Wirkung der Beschlagnahme zugunsten der Gläubigergemeinschaft entwickelt, über die fristgerechte Anmeldung und Feststellung der Forderungen, die Feststellung und den Umfang der Konkursmasse sowie deren Versilberung, die Verteilung des Erlöses unter die Gläubiger, insbesondere deren Rangordnung22.
Umstritten ist nach wie vor die Frage, ob es sich bei der Ausbildung der quotenmäßigen Gläubigerbefriedigung in den deutschen Stadtrechten um eine eigenständige [Seite: 238] Entwicklung handelt, oder ob Einflüsse des italienischen Rechtes anzunehmen sind. Auf Grundlage des justinianischen Rechtes23 hatte sich in den italienischen Stadtrechten des Mittelalters im Zuge der wirtschaftlichen Entwicklung ein Konkursverfahren ausgebildet24; in den italienischen Statuten findet sich das Prinzip der par condicio creditorum, der solutio per soldum et libram, pro rata creditorum25, wobei privilegierte Ansprüche anerkannt waren26.
Otto Stobbe27 und Josef Kohler28 sind für italienische Einflüsse auf die Entwicklung des Konkursrechts in Deutschland eingetreten. Stobbe (S. 21) hält es für wahrscheinlich, daß das neue Konkursprinzip, die anteilige Gläubigerbefriedigung, seine Verbreitung den Interessen der Großkaufleute verdankt, und daß auf die Verbreitung im nördlichen Deutschland, insbesondere im Hansegebiet, der Verkehr mit Italien hingewirkt habe. Nachdem sich das Prinzip bewährt habe, sei die Verbreitung in das innere Deutschland hinein erfolgt. J. Kohler (S. 33 ff.) sieht starke Übereinstimmungen zwischen dem lübischen Recht und den italienischen Statuten, so etwa in der Aufstellung von Konkurskuratoren29 mit weitgehender Verwaltungs- und Veräußerungsmacht30.
Viktor von Meibom31, Robert Oertel32 und Hans Planitz33 nehmen hingegen eine selbständige Entwicklung des pro rata-Prinzips in Deutschland an. H. Planitz34 sieht den Übergang zum Grundsatz anteiliger Gläubigerbefriedigung für den Fall der Flucht und des Todes des Schuldners im "Wesen der Fluchtfolgen" unmittelbar begründet. Alle Gläubiger, die nach der Flucht oder dem Tode des Schuldners das von diesem zurückgelassene Gut beschlagnahmen, sind gleich nahe zum Gute und werden daher anteilig befriedigt. Planitz35 räumt allerdings ein, daß nicht auszuschließen sei, "daß dem hansischen Rechtskreise die Anregung, diese in der Natur der Fluchtfolgen gegebene Möglichkeit so früh zu erkennen, aus dem italienischen Rechte kam".
R. Oertel36 weist zu Recht darauf hin, daß die Idee einer Verlustgemeinschaft, [Seite: 239] wie sie auch die Gläubigergemeinschaft eines flüchtigen Schuldners darstellt, den niederdeutschen Seestädten vom Institut des Seewurfs, der Haverei, her bekannt war; beim Seewurf solle das Schiff "ghelden na marctal" oder "marc markelike"37. Diese Ausdrücke stimmen mit denen überein, die in Lübeck (1294, Art. 183) und Hamburg (Stadtrecht 1270, VI, 15) für die anteilige Befriedigung der Gläubiger gebraucht werden. Oertel führt diese Übereinstimmung als Stütze für seine These einer selbständigen Entwicklung der anteiligen Gläubigerbefriedigung in den Hansestädten an.
Heinrich Reincke, einer der besten Kenner der niedersächsischen Stadtrechte, hat aber nachgewiesen38, daß gerade die Bestimmungen über den Seewurf im Hamburgischen Ordeelbook von 1270 eine Rezeption der Bestimmungen der Digesten über die lex Rhodia darstellen39. Verfasser des Hamburger Ordeelbooks von 1270 war der gelehrte Stadtschreiber Magister Jordan von Boitzenburg (seit 1236 als solcher in Hamburg tätig). In Lübeck erfolgte 1242 die Anstellung eines mit der italienischen Notariatskunst vertrauten Stadtschreibers in der Person des Heinrich von Braunschweig. Seit 1270 besaß mindestens einer der Ratsnotare regelmäßig den Magistergrad40.
Diese Fakten zeigen jedenfalls, daß das römische Recht und die italienische Praxis in den Hansestädten im 13. Jh. durchaus bekannt waren. Dieser Umstand spricht dafür, daß doch die italienischen Statuten für die Einführung des Prinzips der anteiligen Gläubigerbefriedigung und die Ausbildung des Konkursverfahrens in den Hansestädten von Bedeutung waren und als Vorbild dienten41.
Deutlich bemerkbar ist der römischrechtlich-italienische Einfluß bei den Stadt- und Landrechtsreformationen des 16. Jahrhunderts42.
Die dogmatische Ausbildung des gemeinen deutschen Konkursprozesses erfolgte im 17. Jh.43. Gegen Ende des 17. Jhs. geriet das Konkursverfahren in Deutschland unter den Einfluß des spanischen Konkursrechtes44. Standardwerk war der "Labyrinthus creditorum concurrentium" des Franciscus Salgado de Samoza (Valladolid 1646, Antwerpen 1653, Venedig 1653, Frankfurt 1663, Lyon 1665)45. Der gemeinrechtliche Konkursprozeß stand unter der Leitung des Gerichtes und erwies sich als äußerst schwerfällig und formalistisch46.
Auch in den österreichischen Ländern hat sich ein Konkursverfahren zweifellos zunächst in den Städten auf Grundlage des Arrestprozesses entwickelt47. Für Arrest war in Österreich der Ausdruck "Verbot" üblich48. Der mittelalterliche Arrestprozeß ist ein typisches Rechtsinstitut des Stadtrechtes49.
Im Wiener Stadtrechtsbuch (Anfang 14. Jh.50) findet sich bei Gläubigermehrheit noch das Prioritätsprinzip51. Wenn der Schuldner nicht zahlungsfähig ist, soll er dem Kläger einen Eid schwören, daß er von dem, was er erarbeiten werde, "den dritten Pfennig" (d. h. ein Drittel) dem Kläger geben werde; mit den zwei übrigen Dritteln solle er sich und seine Familie ernähren (Wiener StRB Art. 9)52.
Das Wiener Stadtrecht von 1340 (c. 59)53 sieht für den Fall der mangelnden Zahlungsfähigkeit folgendes Verfahren vor: Schuldner und Gläubiger sollen zwei Vertrauensleute und der Rat soll zwei Mitglieder des Rates bestellen, "und die vier sullen die Sache nach irn treuen besorgen, so sie pest muegen, also daz von des gelters varenden guet ein phenningwert umb einen phenning werde gegeben dem manne, dem er sol gelten. Hat aber der gelter so vil nicht varendes gutes, damit er mug gewern, so sol diser des uberigen geltes von des gelter erbguet nach der vier manne rat [Seite 541] in derselben weise werden gewert. Mag aber der gelter weder varendes guetes noch erbes, wie daz gnant ist, so vil nicht gehaben, da von diser mug werden gewert, so sol er im der stat recht laisten, als ez von alter herchomen ist. ..."54.
Stobbe55 betrachtet diese vier Männer, die hier vorgesehen sind, als eine Art von Konkurskuratoren56, doch ist in der Stelle des Wiener Stadtrechtes nicht von einer Gläubigermehrheit die Rede; es handelt sich allerdings um eine Art Vermögensverwaltung, die wohl eine Neuregelung des Stadtrechtes von 1340 darstellt57. Die Unterscheidung fahrendes Gut und Erbgüter ist für das Wiener Privatrecht charakteristisch58.
Die Summa legum des Raimundus Neapolitanus (14. Jh.)59, die jedenfalls im östlichen Teil von Österreich, in Ungarn und Polen starke Verbreitung gefunden und bei einer Umarbeitung wohl österreichisches Landesrecht berücksichtigt hatte, sieht (III 7) bei Gläubigermehrheit Priorität nach dem Zeitpunkt der Anstellung des Interdikts (Verbots) vor, weist aber auf das Recht von Venedig hin, wo quotenmäßige Gläubigerbefriedigung erfolgt: "Est autem conswetudo Venetis, quod tota debitoris substanda dividitur inter omnes creditores unicuique secundum partem se contingentem. Et est bona conswetudo, ne unus totum suum debitum acquirat, alter vero nichil habeat"60.
Am 29. Okt. 1404 klagten vier Gläubiger vor dem Stadtrichter zu Wien in der Bürgerschranne61 den "vorflüchtigen Gelter"62 Hannsen den Siedendorfer, den Kürschner, und erlangten hintereinander ein "verpot"63 auf des Schuldners Haus, "gelegen in der Sünigerstrass [Singerstraße] ze Wienn zenechst der padstuben". Der Stadtrichter machte die Kläger des Hauses gewaltig, den ersten Kläger des Hauses und der fahrenden Habe, die weiteren des Hauses, wobei er ihnen das Recht zusprach, sich gegebenenfalls aus anderem Gut des Schuldners bezahlt zu machen64.
Am 11. Dez. 140465 verkaufte der Erstkläger mit Handen des Bürgermeisters dieses Haus, das er für Geldschulden "mit rechten nottêdingen in der Purgerschrann ze Wienn anerlangt und anbehabt" hat, dem Wiener Bürger Niklasen dem Hausen, [Seite 542] dem Kürschner, um 117 µ 7 sh. 3dn. Der Erlös reichte gerade aus, um die vier Gläubiger voll zu befriedigen.
Von einem Konkursverfahren ist hier nicht die Rede, freilich schon deswegen nicht, weil keine Überschuldung vorhegt; bei den Verboten besteht eine Rangordnung66. In Wien war jedenfalls noch im 15. Jh. die Priorität entscheidend.
Das älteste Zeugnis eines in Wien durchgeführten Konkursverfahrens, eines Verlassenschaftskonkurses, stammt, wie H. Demelius66a gezeigt hat, aus dem Jahre 1545.
Die Gerichtsordnung Ferdinands I. für das Landrecht des Erzherzogtums Österreich unter der Enns von 1557 sieht bei Prozessen noch vor, Verbot und Interdikt auf die Güter oder Person zu legen, wenn der Beklagte seine Güter oder Obrigkeit veränderte, oder nicht angesessen und eine "streichende" Person wäre67.
Reutter68 berichtet im 17. Jh., daß in Wien die Crida- und Convocations-Commissionen bei Verlassenschaftsabhandlungen sehr häufig seien.
Sehr gut unterrichtet sind wir dank der Untersuchungen Karl Torgglers69 über das Konkursverfahren vor dem Klagenfurter Stadtgericht70. Klagenfurt besaß schon in den ersten Jahrzehnten des 16. Jhs. ein ausgebildetes Konkursverfahren mit gerichtlicher Beschlagnahme des gesamten Vermögens des Schuldners, Verlautbarung der bevorstehenden Verteilung auf eine Weise, die den Gläubigern Gelegenheit zur Anspruchsanmeldung gab, sowie Vermögensverteilung auf die Gläubiger unter gerichtlicher Leitung71.
Das Konkursverfahren hat sich in Klagenfurt nicht im alten Stadtrecht, sondern im jüngeren Stadtgerichtsverfahren ausgebildet72. Die Konkurseröffnung erfolgte durch Ausschreibung eines "offenen" Ediktes über das Vermögen des Schuldners. Die Eröffnung erfolgte entweder auf Gläubigerantrag oder von Amts wegen73.
Ausgangspunkt dürfte auch in Kärnten der Konkurs über das Vermögen eines flüchtigen Schuldners sowie der Verlassenschaftskonkurs gewesen sein. Eine [Seite 543] Konkurseröffnung ist für das Vermögen eines lebenden Schuldners 1550 nachweisbar74. Als Konkurseröffnungsgrund wird mehrmals das Vorhandensein allzu vieler Schulden erwähnt, ohne daß zwischen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung streng unterschieden würde75.
Eine feste Klasseneinteilung ist für das Klagenfurter Stadtgericht im 16. Jh. noch nicht nachweisbar; es bestehen gewisse Vorzugsrechte76. Die anteilige Befriedigung der "gemeinen Schulden" ist erstmals 1538 (bei Verlassenschaftskonkurs) bzw. 1550 nachweisbar77. Zu den "gemeinen Schulden" gehören die unverbrieften Forderungen78 und die Nebengebühren der Vorzugsposten79.
Der Fremdenarrest wurde 1308 für St. Veit a. d. Glan80, 1320 für Laibach und 1338 für Klagenfurt in etwas verschiedenen Varianten verbrieft. Dagegen verboten die beiden Privilegien für Kärnten81 und Krain von 1338 im Interesse des Adels und zugunsten seiner Untertanen den Arrest ohne vorhergehende Klage82.
In den österreichischen Landesrechten hat sich das Prinzip der anteiligen Gläubigerbefriedigung um die Mitte des 16. Jhs. durchgesetzt. Die Entwicklung läßt sich deutlich verfolgen.
In Bernhard Walthers Crida-Ordnung83, entstanden wahrscheinlich 1555 oder 155684, ist für die Klassen der "befreiten" (persönlich privilegierten) und "unbefreiten Gelter" (nicht privilegierten Gläubiger) das Prinzip der quotenmäßigen Befriedigung klar ausgesprochen:
Cap. 7/3: "Zwischen den befreiten Geltern ist der Zeit halben kein Unterschaid; dan wan gleich eines Gelters Schuld elter ist dan des andern, so werden sie doch nicht desto weniger alle zugleich ein yeder pro rato bezalt."
Cap. 8: "Die Gelter, so weder Undterpfandt haben, noch sonst im Rechten für andere Glaubiger befreit sein, die werden zum letzten bezalt, und ob gleich eins Schuldt elter were dann des andern, so hat doch keiner vor dem andern den Vorgang, sondern die Bezalung soll inen all zugleich, einem yeden zu seiner Gebürnuß und rata, so weit sich des Verstorbnen Verlassung erstreckt, ervolgen und beschechen."85. [Seite 544]
Suttinger86 überliefert uns einen Bericht des Landmarschalls von Österreich unter der Enns an die niederösterreichische Regierung de dato 12. Sept. 155587 auf deren Anfrage hin:
"Darauf geben wir eur freundschaft und gnaden disen bericht, daß allezeit auf die data und priorität der unverpfändten schulden gehandelt und erkennt worden und unsers bedunkens niemand pro rata gerichtliche austheilung beschehen, setzen aber gleichwol in bedenken daß etliche partheien (doch ausser erkantnuß) sich gutwillig der austheilung ihrer schulden pro rata verglichen und bewilliget haben, als da in der cridasachen herrn Balthasarn von Puechaimb beschehen. wollen aber euer freundschaft und gnaden anzuzeigen nicht unterlassen, daß an vielen orten im land unter denen bauersleuten und auf dem gei und da die gläubiger meistentheils in denen schuldbriefen nicht unterpfand haben, auch wol gar keine schuldbrief, aber doch sonsten beweißliche schulden seind, gebräuchlich ist, daß die verlassungen des schuldners pro rata nach eines jeden schuld ausgetheilet werden als weit sich das verlassene gut erstrecket."
Die n. ö. Regierung entschied in der Zelkingischen Crida-Handlung, daß die unverpfändten Gläubiger, d. s. Gläubiger, deren Forderungen nicht pfandrechtlich gesichert sind88, "pro rato ihrer Anforderungen bezahlt werden sollen" (12. Sept. 1555)89. Damit hatte sich die n. ö. Regierung für das Prinzip der anteiligen Glaubigerbefriedigung entschieden, obwohl das landmarschallische Gericht, das Gericht des Adels in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, stets dem Prioritätsprinzip gefolgt war. Die Bedeutung, die der Frage Priorität oder pro rata-Befriedigung zukam, zeigt sich auch darin, daß Suttinger den Bericht des Landmarschalls dreimal wiedergibt90.
Der Entwurf Püdler von 157391, III 119 ("Von denen gemainen unbefreuten glaubingern und ihrer abfertigung")92 hält für den Herrenstand und Adel [Seite 545] auch für die Klasse der gemeinen unbefreiten Gläubiger am althergebrachten Prioritätsprinzip fest; "bei der burgerschaft aber mag es wie von alters herkomben mit obgehörtem abzueg pro rata gehalten werden" (Püdler III 119 § 2 am Ende).
Auch der Entwurf Strein-Linsmayr von 159593 hält für den Herrenstand, aber auch für Rechtsverhältnisse zwischen Herren und Bürgern, auch bei unbefreiten gemeinen Geltern am Prioritätsprinzip fest; hingegen besteht "under der burgerschaft und auf dem gei", also nach Stadtrecht und bäuerlichem Recht, das Prinzip der pro rata-Verteilung94.
In der als konservativ geltenden Tiroler Landesordnung von 1573 findet sich für die gemeinen Gelter das pro rata-Prinzip:
III 32: "Wann aber solch Hab und Gut zu bezalung der gemainen Gelter (die mit urtail und Recht zugelassen sein) und nit sundern Freyhait oder vorgang vor anndern Geltern haben, nit raichen mag, So soll dieselb Haab und Guet (nach entrichtung hievor geschribens Gerichtscostens) under solch gemain Gelter gleich nach gelegenhait ains yeden erlangten und behabten Schuld außgetailt und yedem pro Rata geben werden."
Die quotenmäßige Verteilung ist ferner vorgesehen in einem Salzburger Taiding, dem Land- oder ehehaft Taiding in der Rauris im Jahr 1565 und 162495:
"Wo die gueter nit langen mugen, so soll nach gelegenhait und ansechung ainer ieden schult, wie muglich sein mag, die bezallung taxiert, angechlagen und ausgetailt oder gleicht werden, was ainem ieden in ansechung der schuld und gueter auf ain iedes pfund pfening und Schilling abgesprochen soll werden, damit ainem ieden etwas bezalt wert und daz nit ainer gar bezalt und ander nichts sollten haben, alles treulich und ungeverlich."
Die Landtafel für Österreich ob der Enns von 1609, ebenfalls ein Entwurf ohne [Seite 546] kais. Sanktion, aber gewohnheitsrechtlich in Geltung96, sieht auch quotenmaßige Verteilung vor:
III 28 § 24: "So dann, zu zwelften, die so nur bloße handschriften oder gar unverbriefte anforderungen haben, iedoch dieselben genuegsamb liquidieren und beweisen khönnen, dergestalt für liquidierte schulden nit allain diejenige zu halten, welche, obangezogner maßen mit deß schuldnerß handschrift und fertigung erwißen, sondern auch die welche durch grichtliche erkhandnuß urthel abschied und andere glaubwürdige schein alßbald zu erweißen oder auch von dem gegenthail selbsten nit widersprochen worden. und bei disen creditoribus hat der vorgang der zeit halber (wie bei den hypothecariis) nit statt, sondern werden ohne underschied alle gleich gehalten, also daß da sich daß guet zu völliger bezahlung erstrekht sie alle völlig contentiert, da aber daß guet zu wenig, sollen sie secundum prportionem geometricam nit arithmeticam, daß ist nach gelegenheit aineß ieden anforderung mit ainem gleichen abbruch gesezt und zu bezahlen erkhent werden."
Spätestens Mitte des 17. Jhs. hatte das Prinzip der anteiligen Gläubigerbefriedigung für die Klasse der gemeinen Gläubiger in den altösterreichischen Ländern, auch beim Landmarschallischen Gericht in Österreich unter der Enns, allgemeine Anerkennung gefunden. Suttinger, Observationes practicae 150 n. 997:
"Ist es [das Vermögen] aber nicht solvendo, oder bestehet mehrern theils in unrichtigen Mitteln, muß man durch ordentliche Classen der Privilegien, und prioritäten die Austheilung machen, nach der Ordnung wie die Rechten und Landsbrauch mit sich bringen Und dieser Austheil- oder Ordnung nach, die richtigste Mittel unter die priorität Creditores nach und nach austheilen, die unrichtigen aber denen personal und unrichtigen Creditorn pro rata überlassen, und solches, so lang das Vermögen mit richtigem oder unrichtigen kleckt. ..."98
Für eine große Anzahl von Forderungen besteht ein Vorrang99. In Österreich unter und ob der Enns entwickelte sich im 17. Jh. eine feste Klasseneinteilung, nicht in der Steiermark100.
Suttinger (Obs. pract. 150 n. 9) führt aus: Wenn die Verlassenschaft oder das Vermögen nicht solvendo ist, "muß man durch ordentliche Classen der Privilegien, und prioritäten die Austheilung machen, nach der Ordnung, wie die Rechten und Landsbrauch mit sich bringen"101. [Seite 547]
Bernhard Walthers Cridaordnung (= CO)102 von 1555 oder 1556, die den Nachlaßkonkurs regelt, sieht, ohne noch von einer Klasseneinteilung zu sprechen, sechs Gruppen von Ansprüchen bzw. Gläubigern vor:
1. Ansprüche auf Güter, die nicht dem Schuldner gehören (Aussonderungsrechte) (c. 3),
2. Begräbniskosten (c. 4),
3. Lidlohn und Besoldung der Diener und Ehehalten (c. 5),
4. pfandrechtlich gesicherte Ansprüche (Absonderungsrechte) (c. 6),
5. befreite Gelter (persönlich privilegierte Gläubiger) (c. 7),
6. unbefreite gemeine Gelter (c. 8).
Mit Walthers Cridaordnung stimmt der Entwurf Püdler (III 109 - 128) weitgehend überein103.
1. Aussonderungsrechte: Wenn sich im Nachlaß fremde Güter befinden, "sollen dieselben dem Jenigen, dem sie zuegehören, vor allen Geltern und Ansprechern widerumb zuegestelt werden" (Walther, CO c. 3, Überschrift)104. Dazu gehören liegende und fahrende Güter, die die Witwe ihrem Ehemann zum Heiratsgut oder außerhalb des Heiratsguts zugebracht hat (Walther, CO c. 3/1)105; ferner Sachen, die dem Verstorbenen "behaltnußweiß", d. h. zur Aufbewahrung, übergeben worden sind (CO c. 3/2) und schließlich dem Verstorbenen verpfändete Sachen; diese sind nur gegen Erlegung der Pfandsumme den Verpfändern herauszugeben (CO c. 3/3).
2. An zweiter Stelle stehen nach Walthers Cridaordnung die Begräbniskosten. Cap. 4/1: "Was auf des Verstorbnen Begrebnus durch die Wittib oder yemanndts andern aufgewendt oder fürgestreckt worden, dasselb wierdt aus des Verstorbnen Verfassung vor allen andern Schulden und Anforderung bezalt"106.
Püdler III 110 führt neben den Begräbniskosten (§ 1) auch noch die Kur- und Apothekerkosten (§ 2) an107. Die Privilegierung dieser Forderungen ist wohl eine Erweiterung der römischrechtlichen Vorschrift, wonach Begräbniskosten Vorrang genießen108. [Seite 548]
3. Deutschrechtlicher Herkunft ist hingegen der Vorrang der Ansprüche des Gesindes auf seinen Lohn (Lidlohn)109:
Sachsenspiegel Landrecht I 22, 2: "Van deme erwe sal men aller êrst gelden deme ingesinde ir verdînete lôn als in geborde bit an den tach daz ir herre starph;..."110.
Walther, CO c. 5/1: "Nach bezalten Uncosten der Begrebnus sollen der verstorbenen Person Diener und Ehehalten ir yedes seines Lidlons und Besoldung entricht und abgeferttigt werden"111.
4. An vierter Stelle kommen die Pfandgläubiger112. Walther (CO c. 6/2) unterscheidet vertragliche, gesetzliche und richterliche Pfandrechte113. Unter den Pfandrechten besteht eine Rangordnung114.
5. An fünfter Stelle kommen nach Walther (CO c. 7) die "befreiten Gelter", das sind die persönlich privilegierten Gläubiger115.
Zu den befreiten Geltern gehören:
a) die Landschaft (CO c. 7/2, 1);
b) ein Darlehensgeber, wenn das Darlehen zum Ankauf eines Gutes oder Grundes gegeben wurde (CO c. 7/2, 2)116;
c) ein Unmündiger gegenüber demjenigen, der seine Geschäfte geführt oder verwaltet hat und nicht sein Vormund ist (CO c. 7/2, 3)117;
d) "Zum Vierten, wan ein Preuttigamb vor dem Beischlaff mit Todt abgehet, sover er dann das Heuratguett von seiner versprochnen Prauth eingenommen hat, so soll die Prauth desselben Heuratguets vor den andern gemainen unbefreiten Geltern bezalt werden." (CO c. 7/2, 4)118; [Seite 549]
e) ein Hinterleger in der Höhe des Wertes der hinterlegten Sache119;
f) Alimentationsberechtigte (alimenta)120.
Das persönliche Privileg ist natürlich nur dann von Bedeutung, wenn nicht ohnedies eine pfandrechtliche Privilegierung gegeben ist121.
In der Klasse der "befreiten Gelter" gilt das Prinzip der anteiligen Gläubigerbefriedigung122 (Walther, CO c. 7/3)123.
6. Die sechste "Klasse" bilden die "unbefreiten gemeinen Gelter", die nicht irgendwie privilegierten Gläubiger, gemeinrechtlich creditores chirographarii124. In dieser Klasse gilt, wie bei den befreiten Gläubigern, das Prinzip der quotenmäßigen Befriedigung125.
Die Landtafel für Österreich ob der Enns von 1609126 sieht zwölf Kategorien von Ansprüchen vor (III 28 §§ 7 - 24):
1. Aussonderungsrechte und mit Obrigkeitsfertigung verschriebene Pfandrechte (III 28 §§ 7 - 12),
2. Begräbniskosten, Gerichtskosten (28 § 13),
3. Herrschafts-Ausstände (28 § 14),
4. Apotheker- und Arztlohn (28 § 15),
5. die Witwe mit ihren Ansprüchen auf Herausgabe von Heiratsgütern, Widerlage und Morgengabe (28 § 16)127,
6. Ansprüche der Pupillen und Minderjährigen gegen ihren Gerhab (Vormund) (28 § 17),
7. was jemand zur notwendigen Erhaltung des Schuldnervermögens ausgelegt hat (28 § 18),
8. "alle diejenigen, welche herrn oder obrigkheitsfertigung haben, iedeß deß alters und vorzug der zeit nach" (28 § 19),
9. der Lidlohn der Ehehalten (28 § 20),
10. diejenigen, welche "durch grichtlichen ansatz die possess aineß guets bekhomen", sollen mit ihren Forderungen den anderen unprivilegierten Gläubigern vorgezogen werden (28 § 22),
11. Gläubiger, welche verschriebene Hypotheken haben, zwar nicht von der Obrigkeit, aber von ein oder zwei ehrlichen Personen gefertigt (28 § 23),
12. jene, die bloße Handschriften oder gar unverbriefte Forderungen haben, diese [Seite 550] aber genügend liquidieren und beweisen können (28 § 24); in dieser Klasse erfolgt pro rata Verteilung (s. o. III).
Der innerösterreichische Regimentsrat Nikolaus von Beckmann, einer der bedeutendsten Vertreter der österreichischen Rechtswissenschaft des 17. Jhs.128, führt in seiner Idea juris (Graz 1688, o. Anm. 47) s. v. "Edictum" (S. 123 f.) aus, daß die Gläubiger in Österreich regelmäßig in fünf oder sechs Klassen eingeteilt werden129.
Zur ersten Klasse zählen die Aussonderungsansprüche130, der Lidlohn des Gesindes, Begräbnis-, Arzt- und Medikamentenkosten, das honorarium des curator bonorum und der Kommission für Sperr und Inventur, ferner die Herrnforderungen.
Zur zweiten Klasse (Beckmann, aaO, S. 124 ff.) gehören die Gläubiger, die ein privilegium praelationis personale haben, wie die mulieres in bonis mariti, ratione dotis non amplius exstantis (Cod. Iust. 8, 17, 12 [a. 531]131) und der Fiskus. Zur zweiten Klasse gehören auf Grund von kaiserlichen Resolutionen von 1609 und 1618 auch "die Ansetzer und Arrestanten, so ihre arresta, ante casum edictalem justificiert haben, die wegen ihrer Schuldforderung über ihren Debitoren bey Gericht geklaget, und darauf in Gericht die Behebnuß erhalten, und nachgehend den Ansatz oder arrest auf ihres debitoris Gut, autore Praetore, gerichtlich erhalten, dieselben werden auf ihre angesetzte, und verarrestierte Güter zugreiffen gewiesen, weil sie ihren juribus, autore Praetore, in tempore rechtmäßig invigiliret haben ..."132.
Zur dritten Klasse (Beckmann, aaO, S. 127) gehören die "Wechsler" (Wechselgläubiger), die cambiarii133.
Die vierte Klasse bilden die Pfandgläubiger (Beckmann, aaO, S. 127).
Die fünfte Klasse (Beckmann, aaO, S. 127 unten) bilden die creditores privilegiati simplices, qui non hypothecam, sed saltem personale privilegium habent, cujus beneficio praeferuntur reliquis nudis chirographariis; das sind a) Hinterleger, deren hinterlegte Sache nicht mehr existiert, b) Alimentenansprüche: nam alimentatio ob vitae conservationem, in jure habetur valde favorabilis, et privilegiata, c) pupilli et viduae in bonis debitoris.
Die sechste Klasse bilden die einfachen Chirographargläubiger; diese teilen das Vermögen pro rata.
Beckmann (aaO, S. 128) erwähnt schließlich noch eine siebente Klasse: in diese gehören "die Außzügler und Kaufleute, so denen debitoribus Kauff-Waren auf Kredit geborget" haben, und von denen die Kaufleute "als creditores weder hypothecam in certis bonis, oder obligationem sive Chirographum zu Versicherung ihrer Schuld haben".
Bei Beckmann gehören die Begräbniskosten und der Lidlohn des Gesindes zur ersten Klasse, während diese Ansprüche bei Walther an zweiter bzw. dritter Stelle [Seite 551] stehen. Die Klassen vier bis sechs stimmen bei Walther (Mitte 16. Jh.) und Beckmann (Ende 17. Jh.) im wesentlichen überein134.
Eine gesetzliche Regelung der Rangordnung der Konkursgläubiger findet sich für altösterreichische Länder erstmals im II. Teil, Art. 8 der "Neuverfaßten Handlungs- und Falliten-Ordnung, welche erstere bey den respectiven Mercantil-Tribunalien, letztere aber bey allen in dem innerösterreichischen Littorali aufgestellten Gerichtsbarkeiten unüberschreitlich zu beobachten ist" vom 19. Januar 1758135. Diese Handlungs- und Fallitenordnung erging im Hinblick auf den in Triest und im Küstenland (Litorale) sich stark entwickelnden Handel136.
Die Fallitenordnung Karls VI. vom 18. August 1734 für Österreich unter und ob der Enns137 enthält noch keine Bestimmungen über die Rangordnung der Gläubiger, sondern verweist (V § 2 Abs. 2)138 auf eine demnächst zu publizierende Crida-Ordnung, die aber zunächst nicht ergangen ist. Auch die Fallitenordnung für Österreich unter und ob der Enns vom 10. Oktober 1743139 enthält noch keine Bestimmungen über die Rangordnung.
Erst am 27. November 1758 erging ein Crida-Interimale für Österreich unter und ob der Enns (k. k. Hofresolution)140, das durch die niederösterreichische Regierung in Justizsachen "dem in drey Klassen bestehenden Handlungsstand anzuzeigen"141; danach (Pkt. 11) sollen die Creditoren "den Rechten gemäß classificiret ... werden"142. [Seite 552] Dieses Crida-Interimale verweist hinsichtlich der Rangordnung der Gläubiger einfach auf das gemeine Recht.
Art. 8 der Handlungs- und Falliten-Ordnung für das Litorale von 1758 (II. Teil) lautet143:
"Von dem Vorrechte der Gläubiger unter sich.
Was das Vorrecht der Gläubiger belanget, ist sich in Cridafällen größtentheils nach Vorschrift der allgemeinen Rechte zu halten.
Es hat demnach der Richter, nachdem die Jura Dominii erwiesen, und von den Eigenthümern ihre noch existirende Sachen vindiciret worden, vornämlich die 6 nachfolgende Klassen zu beobachten.
In die erste Klasse kommen jene, qui de Jure, vel consuetudine singulari jus Praelationis habent, als da sind die zur Abhandlung des Concursus aufgewendete Gerichts- und andere Auslagen, dann die Belohnung der gerichtlich verordneten Commissarien, und Curatoren, die Funeralien, Liedlöhne, Medicamenta der letzten Krankheit.
Was die Unsrem Aerario gebührende Forderungen betrift, da haben sich alle Gerichtsbarkeiten im Littorali nach der unterm 4. März 1756 an das I. Oe. Revisionscollegium erlassenen allerhöchsten Resolution zu richten, welche eben bey Gelegenheit dieses Gesetzes erneuert, und zu Ende beygedrucket wird.
In der zweyten Klasse darauf folgen jene, qui habent hypothecam Privilegiatam, id est, cum personali Privilegio conjunctam, und hierunter gehören auch die Grundherrschaftliche Forderungen.
3tio. Simplices hypothecarii.
4to: Qui personale Privilegium habent.
5to: Cambia regularia vera.
6to: Creditores simplices, et Chirographarii.
Nach allen diesen folgen kraft der fast in den meisten unsrer Länder üblichen Gewohnheit allererst die Interessen in jener Ordnung, wie die Kapitalsposten classificiret worden, und zum Beschlusse endlich werden jene in Contumaciam für ausgeschlossen erkennet, welche sich in bestimmter Zeit bey dem Concursu nicht angemeldet haben."
Auch diese Ordnung, die zehn Monate vor dem Crida-Interimale (s. o.) ergangen ist, verweist bezüglich der Rangordnung grundsätzlich auf die gemeinen Rechte. Die Aussonderungsberechtigten werden nicht mehr zu den Konkursgläubigern gezählt.
Walthers Cridaordnung sieht für die Eröffnung des Nachlaßkonkurses eine Gläubiger-Konvokation durch Edikt vor144.
CO c. 1/1: "Wann einer mit Todt abgeet, und sich seine verlassne Güetter zu Bezallung der Glaubiger und Ansprecher nit erstrecken, so ist gebreuchig, das ein endtlich und peremptorischer Tag allen und yeden Glaubigern und Ansprechern durch ein offne Crida oder Edict benennt und angesetzt wierdt, darauf ein yeder Gläubiger oder Ansprecher sein Anforderung in Schriften thuen und sein Gerechtigkeit fürbringen mag."
Auch im Klagenfurter Stadtgericht erfolgte die Konkurseröffnung durch die Ausschreibung eines "offenen" Ediktes über das Vermögen des Schuldners145.
Die Gläubigereinberufung146 hat in den österreichischen Ländern einen Vorläufer im Rechtsbrauch des sog. "Berufen von Brief und Siegel", auf das Arnold [Seite 553] Luschin147 und Ferdinand Bischoff148 fast gleichzeitig aufmerksam gemacht haben.
Ein Schuldner konnte vor Gericht seine Bereitschaft zur Begleichung aller Forderungen, welche bei bestimmten Tagfahrten gegen ihn geltend gemacht würden, mit der Absicht und Wirkung öffentlich verkünden lassen, daß die nicht angemeldeten Ansprüche durch Gerichtserkenntnis für erloschen erklärt werden konnten. Da das "Berufen" in "offener Landschranne" erfolgen mußte und nur gegen jene Gläubiger wirksam war, welche zur Zeit im Lande waren, läßt sich der deutschrechtliche Gedanke der Verschweigung darin erkennen149.
Beim Landmarschallischen Gericht in Österreich unter der Enns wurden mit der Durchführung der Crida drei Kommissare beauftragt, an welche ein Kommissionsbefehl ausgefertigt wurde (Suttinger, Obs. pract. 150 n. 1). Es fanden nun drei Tagsatzungen statt, bei welchen die Gläubiger ihre Forderungen schriftlich anmelden mußten. Die dritte Tagsatzung war peremptorisch (Suttinger, obs. 150 n. 5). Bei der vierten Tagsatzung konnte der Schuldner oder Erbe gegen die angemeldeten Forderungen Einwendungen Vorbringen (Suttinger, obs. 150 n. 4)150. Ist die Kommission geschlossen, so beratschlagen die Crida-Kommissare "alle vorkommene Nohtdurfften und Behelff und formiren darüber ihr Gutachten" (Suttinger, obs. 150 n. 8). Auf Grund der Gutachten erläßt das Gericht "in den Lands-Rechten, oder in der Extraordinari Erledigung einen Ausspruch" (Suttinger, obs. 150 n. 9), einen Abschied. Der Ediktsabschied hat die Feststellung und Reihung der Forderungen sowie die Aufteilung des Vermögens auf die einzelnen Gläubiger zu enthalten151.
Der Abschied enthielt einen Ausspruch aber nur über die "liquidierten Schulden", das sind diejenigen Schulden, die durch einwandfreie Schuldbriefe, Urteile oder Abschiede oder andere Urkunden von den Gläubigern bewiesen werden konnten (Walther, CO 9/1). Diejenigen Gläubiger, die ihre Forderungen im Crida-Verfahren nicht auf diese Art beweisen konnten, wurden auf den Prozeßweg verwiesen. Den "unliquidierten Gläubigern" wurde aber im Abschied vorbehalten, daß sie, sobald sie ihre Ansprüche bewiesen hätten, diese bei den "liquidierten Gläubigern" geltend machen könnten. Den liquidierten Gläubigern konnte eine Kaution auferlegt werden (Walther, CO c. 9/2)152.
Wie Skedl153 zutreffend ausführt, unterschied das österreichische ebenso wie das böhmische Recht grundsätzlich zwischen dem Liquidierungs- und dem [Seite 554] Prioritätsverfahren und ließ bei letzterem bis Ende des 18. Jhs. primär die Gläubiger handelnd auftreten154.
Walther, CO c. 10 sieht eine Gläubigeranfechtung155 vor: "Wann der Verstorben bey seinem Leben ichzt von seinen Güettern zu Nachthail und Abpruch seiner Gläubiger gefärlicher Weiß vergeben het, so stehet den Gläubigern bevor, das sie die Innhaber derwegen ersuechen mügen, die innen auch solliche Güetter (wann die geferliche Handlung bewisen würdet) widerumben zuezestellen schuldig sein."
Die römisch-gemeinrechtlichen Institute des beneficium inventarii (Walther, CO c. 1/2 u. c. 2/1)156 und der separatio bonorum (Walther, CO c. II)157 wurden in Österreich rezipiert.
Die cessio bonorum158 war noch in der ersten Hälfte des 17. Jhs. in Österreich nicht zulässig159. In einem Urteil der nö. Regierung vom 16. August 1651160 wurde die cessio bonorum in einem Fall zugelassen. Unter gewissen Voraussetzungen wurde die cessio bonorum dann zugelassen durch die Exekutionsordnung für Österreich unter der Enns von 1655, Tit. 3 § 12161:
"So nun der Landmann, welcher in das Land-Hauß, oder der, so unserer Regierung in Oesterreich unter der Ennß unterworffen, zum Profosen in Arrest gebracht, gleichwohl keine Güter namhafft zumachen, oder Mittel seine Glaubiger völlig zubezahlen hätte; Setzen und ordnen Wir, daß auff solchen Fall dergleichen Persohnen, wann sie anderst durch Casus fortuitos, oder unversehene Zufäll, und ohne ihr Verschulden, in Armuth gerathen, all ihr habendes Gut ihren Glaubigern, ohne einige gefährliche Hinterhaltung, würcklich übergeben und einraumen, benebens den Eyd der Armen, daß sie nemlich in ihrem Vermögen weiter nichts haben noch wissen, leisten: Darauff sie alsdann der Personal-Execution zwar befreyt, doch nichts desto weniger denen Glaubigern so weit verhafft bleiben, daß, wann sie zu mehrern Vermögen kommen, sie die Schuld zubezahlen verbunden seyn." [Seite 555]
Reutter162 berichtet: "Deßgleichen hat die Cessio bonorum in diesem Land auch statt, jedoch nur in dem Fall, da die de Jure Civili erfordernde circumstantien concurrieren." Es sind die Voraussetzungen des römisch-gemeinen Rechtes erforderlich163.
Für die Steiermark berichtet N. von Beckmann164:
"Hier ist mit mehren wol zu wissen, juxta praxin Stiriacam, daß wann des verstorbenen Güter nicht solvendo seynd, und die Güter post mortem debitoris zur bonorum cessione und zum edict gelangen, so werden des verstorbenen debitoris alle seine Güter in favorem creditorum sequestriret, ne dolose distrahantur, vel supprimantur, und dem sequestro zu administriren übergeben, der den usumfructum bonorum interim zu verrechnen annimt, und ob schon sich der negste Freund pro herede cum beneficio legis, et inventarii erkläret, so wird ihm dennoch durante casu edictali, der ususfructus bonorum nicht concediret, ne creditoribus damnum inde inferatur, ob bona non solvendo existentia, wie solches noch rühmlich den 5. Novemb. 1683 in der Hochlöbl. Regierung ist declariret, me praesente et votante."
Wie beim Institut des Pfandrechtes165 zeigt sich auch bei der Entwicklung des Konkursrechtes, daß auf dem Gebiete des materiellen Rechts (Rangordnung der Gläubiger, Vorzugsrechte, Prinzip der anteiligen Gläubigerbefriedigung, Gläubigeranfechtung, cessio bonorum) weitgehend das römisch-gemeine Recht rezipiert wurde166. Das Prinzip der anteiligen Gläubigerbefriedigung hat sich in den österreichischen Ländern Mitte des 16. Jhs. durchgesetzt (s. o. III). Im Bereiche des Verfahrensrechts haben sich hingegen gewisse deutschrechtliche Institute, wie die Gläubigereinberufung durch "offenes" Edikt (s. o. V), erhalten167.
Auch die Entwicklung des Konkursrechtes zeigt wieder, daß die Romanisierung der Rechtsordnung in den altösterreichischen Ländern zwar relativ langsam, aber stetig verlief und noch Mitte des 18. Jhs. in gesetzlichen Bestimmungen ihren Niederschlag fand (Handlungs- und Fallitenordnung für das Litorale von 1758, [Seite 556] Crida-Interimale für Österreich unter und ob der Enns von 1758). Das Institut der cessio bonorum wurde erst Mitte des 17. Jhs. anerkannt (s. o. VI). Diese späten Romanisierungsvorgänge lassen sich mit dem Begriff einer Spätrezeption168 erfassen.