Ein Beitrag zur Privatrechtsgeschichte Oberösterreichs*
Der von Abraham Schwarz vermutlich 1609 fertiggestellte obderennsische Landrechtsentwurf, die sogenannte »Landtafel«, ist auf mannigfache Art mit zeitgenössischen juristischen Arbeiten verbunden1. Besondere Aufmerksamkeit zollte man begreiflicherweise den gleichartigen Kompilationsbemühungen im benachbarten Österreich unter der Enns. Hier waren die entsprechenden Arbeiten bereits wesentlich weiter gediehen: 1573 lag abermals — wie schon 1526 — ein Landrechtstext vor, diesmal aus der Feder des Regimentsrats Dr. Püdler2. Beide fanden im Lande ob der Enns Beachtung, besonders jener aus 1573, wie die zahlreichen, hier verbreiteten Exemplare dartun3. Überdies war es ein oftmals moniertes Anliegen des Landesfürsten, vor allem Maximilians II., gewesen, ein einheitliches Landrecht für beide Länder zu schaffen4.[Seite: 224]
Der Entwurf 1573 war im örtlichen und geistigen Bannkreis der Traktate Dr. Bernhard Walthers entstanden — Püdler hat, wie er selbst bekennt, die »Waltherischen tractätl gebraucht«5. Doch beschränkte sich deren Verbreitung nicht nur auf das unterennsische Österreich. Zahlreiche Handschriften aus dem heutigen Oberösterreich legen Zeugnis ab dafür, daß sie auch hier bekannt gewesen sind, und zwar in einem höheren Maße, als man aufgrund ihrer von Rintelen besorgten Druckausgabe annehmen würde6.
Der Einfluß der Traktate Walthers versteht sich grundsätzlich daraus, daß sie erstmals das heimische Recht in wissenschaftlicher Form aufbereiten. Darüber hinaus empfahlen sie sich gerade für legistische Vorhaben durch die Art ihrer Darstellung: auf weite Strecken haben sie geradezu normativen, gesetzesgleichen Charakter. Sie rücken damit in beträchtliche Nähe zur Diktion der zeitgenössischen Kompilationsversuche, so daß sogar in der wissenschaftlichen Literatur der Folgezeit der Entwurf 1573 vielfach als eine Arbeit Walthers angesehen wird7.
Aber nicht nur diese allgemeine Ausstrahlungskraft erklärt die Verwendung der Traktate im Lande ob der Enns. Von Bedeutung ist die im Landrecht 1609 sogleich eingangs (I/1) wiedergegebene Ansicht, daß beide Österreich »guete gewohnheit einander gleich haben«, sowie die Empfehlung des Landesfürsten, Walthers Werke seien bei der Erarbeitung des obderennsischen Landrechts zu berücksichtigen8.
Es überrascht daher nicht, daß sowohl der Entwurf 1573 wie Walthersche Traktate im Landrecht 1609 zum Teil sogar tiefgehende Spuren hinterlassen haben. Besonders augenfällig ist dies dort, wo Bestimmungen des Entwurfs 1573 fast wortwörtlich übernommen oder Traktate Walthers einfach mutatis mutandis wiedergegeben sind9.
In den Kreis dieser heimischen Unterlagen des Landrechts 1609 hatte Theodor Motloch noch eine weitere aus Österreich ob der Enns selbstgestellt: Ein mit [Seite: 225] »Von den heiraths-contracten in gmain« überschriebenes Opus sei sogar als »Probearbeit« zum Landrecht 1609 anzusehen und könne auf dessen Verfasser, also Dr. Abraham Schwarz, zurückgeführt werden10; eine nähere Begründung für beide Ansichten ist allerdings unterblieben. Auch zur Überlieferung des Traktats, den Motloch 1902 im Druck zugänglich gemacht hat11, fehlen Angaben wie etwa über die Datierung. In keinerlei Weise ist dargelegt, ob er überhaupt vor der Konzeption des Landrechts 1609 entstanden ist, womit ja Motlochs Behauptungen stehen oder fallen.
Der Druck des Traktats »beruht auf einer vom Herrn Landesgerichtsrathe Adolf Ritter von Grosser für die Sammlung Chorinsky besorgten Abschrift aus dem Cod. Mscr. Nr. 128 der bischöflichen Bibliothek zu Gleink«12. Ihm haftet somit derselbe provisorische Charakter wie der Sammlung Chorinsky an, die sich als Vorbereitung zur künftigen kritischen Textausgabe verstand.
Außer in der von Motloch leicht zugänglich gemachten Handschrift (hinfort: G/M = Gleink nach Motloch) ist der Traktat in zumindest noch einer weiteren auf uns gekommen (hinfort S = Seisenburg)13. Hier ist er ausdrücklich als solcher tituliert: »Tractat von den heyratß contracten in gemain etc.« Beide Überlieferungen weichen nur geringfügig in der Wortwahl, nicht aber im Materiellen voneinander ab.
G/M und S ist gemeinsam, daß sie in Sammelhandschriften ausschließlich juristischen Inhalts aufgenommen sind. Der G/M enthaltende Band ist mit »Lanndbuech, darinnen ordentliche Gerichts Prozeß wie man vor der hohen und nidern Landsobrigkeit, auch an dern gemeinen und nidern gerichten im Erzherzogthumb Österreich ob und unter der Ennß in Ordinarij und Extraordinarij sach güet- und rechtlich verfahren ..., sambt etlich andern schönen Tractäten auf obbemelter beidt Landt und gebreuch gestellet worden« überschrieben. Eingangs gibt ein »Register« Aufschluß über den Inhalt, und zwar in sachlicher Ordnung der Titel, die von der tatsächlichen Reihung abweicht. Ohne Rücksicht auf den unterschiedlichen Charakter sind alle Stücke — 31 — als Traktate bezeichnet und durchnumeriert. Tatsächlich handelt es sich aber u. a. um etliche Gesetze für Österreich unter und ob der Enns14, um Formulare für Zeugenaussagen; um die Bestätigung der sogenannten »Österreichischen Freiheitsbriefe« durch Ks. Karl V.; um einen auf beide Österreich bezogenen Erbrechts-Traktat Veit Stahels, um den »Witfrauen-Traktat«, den »Witwern-Traktat« und den »Lehens-Traktat« Walthers sowie um eine ihm — »Dr. Balthasar (sic!) Walthern« [Seite: 226] — zugeschriebene und mit 1552 datierte Darstellung des Gerichtsprozesses bei der niederösterreichischen Regierung15.
Die Sammelhandschrift S besitzt keinen Titel. Auf fol. 1 finden sich statt dessen Sprichwörter von mehreren Händen, etwa: »Gott allain mein Trost auf diser Welt?«, aber auch rechtlichen Inhalts, z. B. »Summum jus, summa injuria«. Der Text beginnt sodann mit Erörterungen aus dem Sachen-, Schuld-, Ehegüter- und Erbrecht, bei denen es sich um eine Kurzfassung des unterennsischen Landrechtsentwurfs 1526 handelt16. Auf diese bisher verborgene Tatsache sei hier nicht näher eingegangen — sie ist jedoch insoferne bemerkenswert, da man, wie eingangs erwähnt, in der Regel auf den wesentlich weiter verbreiteten Entwurf 1573 stößt. — Auf diese Landrechts-Kurzfassung 1526 folgt die »Neue Hofrechts- und Gerichtsordnung 1563 IV 3«, sodann unser Traktat, woran »Ain Tractat von Veränderung der Dienstbarn Landgüetter«, der »Testaments-Traktat« und der »Lehens-Traktat« Walthers, sodann u. a. die Lehensgnad 1510, ein »Auszug« aus der Landgerichtsordnung 1540, auch hier die »Österreichischen Freiheitsbriefe« in der Bestätigung durch Ks. Karl V. und schließlich eine Fülle prozeßrechtlicher Erörterungen anschließen.
In einem besonderen Zusammenhang steht G/M zu entsprechenden Traktaten Walthers. Durch seinen Sachbezug vereint das »Register« dessen »Witfrauen-« und »Witwern-Traktat« mit unserem optisch zu einem »ehegüterrechtlichen Block«. Die beiden letztgenannten sind auch im Text miteinander verbunden: Unser Traktat folgt unmittelbar auf den »Witwern-Traktat«, von dem er sich textbildmäßig nicht einmal besonders deutlich abhebt17.
Anders als es die Erläuterungen Motlochs zu G/M vermuten lassen, ist somit unser Traktat nicht ein isoliert überliefertes Opus, sondern steht in einem engen äußeren Konnex zu gleichartigen oder zumindest ähnlichen Arbeiten.
Soweit die einzelnen Ordnungen, Mandate, Traktate etc. der beiden Sammelhandschriften datiert sind, rühren sie aus dem 16. Jahrhundert her, nur der Sippschaftsbaum im Gleinker Kodex ist mit 1606 X 23 ausgewiesen (fol. 299). Die Schriftzüge lassen auf Abschriften von mehreren Händen schließen. Im Gleinker Kodex ist ferner deutlich erkennbar, daß er aus ursprünglich getrennten Stücken zusammengebunden sein dürfte18, und zwar offenbar im Jahre 1606, da diese Jahreszahl nicht nur wie eben erwähnt die jüngste ist, sondern auch dem Einbanddeckel eingeprägt wurde.
Die Entstehungszeit des Traktats scheint somit das 16. Jahrhundert zu sein, [Seite: 227] und zwar vermutlich dessen zweite Hälfte19. Er wäre damit tatsächlich, wie es Motloch unterstellt hat, während der Arbeiten am Landrechtstext 1609 verfaßt worden.
Was den Charakter des Traktats anlangt, so ist festzuhalten, daß er sich nicht als theoretisch-spekulative Abhandlung eines Sachproblems versteht. Es fehlt etwa jede Auseinandersetzung mit andersgelagerten Meinungen, mit voraufgegangener Literatur — etwa den Traktaten Walthers — und damit auch ein wissenschaftlicher Apparat, den man vom teilweise gemeinrechtlichen Inhalt her hätte erwarten können und den die Waltherschen Traktate manchmal besitzen. Auch weicht der Stil von dem einer wissenschaftlichen Abhandlung erheblich ab. So gut wie jeder Absatz ist im typischen Tatbestand-Rechtsfolge-Stil abgefaßt: »Wo (wann, wenn) ... so mueß (bleibet, hat, felt) ...«. Aufbau und Schreibweise verleihen damit dem Traktat ebenso normativen Charakter wie er in den Sammelhandschriften den Gesetzen bzw. auch der Kurzfassung des Landrechtsentwurfs 1526 selbstverständlich ist. Gleicher Charakter und Aufnahme in ein und denselben Kodex verraten einen identen Zweck: Wie die übrigen Stücke der Sammelhandschriften, insbesondere die Ordnungen und Mandate, will auch der Traktat, und zwar im Sinne der Tradition mittelalterlicher Rechtsaufzeichnungen, Rechtsregeln für die Anwendung in der Praxis aufbereiten. Der Gleinker Kodex hat sich zumindest in der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts im Besitz eines »Praktikers« befunden, nämlich dem des kaiserlich-steirisch-österreichischen Rats- und Gegenschreibers Andreas Wagenseil20.
Den normativen Charakter teilt unser Traktat aber nicht nur mit dem Landrechtstext 1526, sondern auch mit jenem aus 1609. So kommt einem formellen Vergleich bereits besonderes Gewicht zu.
Dabei fällt auf, daß sich der Traktat und die entsprechenden Partien des Landrechts 1609 schon in ihrem Aufbau unterscheiden: Nach einem einleitenden Kapitel behandelt der Traktat zwei Formen allgemeiner Vermögens-(Güter-)gemeinschaft (cap. 2 und 3), sodann das Heiratsgabensystem (cap. 4: Heiratsgut, Widerlage, Morgengabe; cap. 5: »ubriges zubringen« = Parafernum, cap. 6: Schuldenhaftung), regelt einen Teil des Verlassenschaftsverfahrens (cap. 7 und 8: »Abfertigung«) und schließt mit Erläuterungen über den Begriff »Fahrnis« (cap. 9). — Das Landrecht 1609 hingegen enthält grundsätzlich Bestimmungen [Seite: 228] allein über das Heiratsgabensystem (III/38-39), erwähnt nur im Zusammenhang damit kurz vermögensgemeinschaftliche Formen (III/38/11, 12) und regelt abschließend, wiederum eng dem Heiratsgabensystem verpflichtet, die »Abfertigung« (III/40), wobei auch das Schicksal der Fahrnis erläutert wird (III/40/6).
Während somit der Traktat zwei Güterstände gleichwertig behandelt, genießt im Landrecht 1609 das Heiratsgabensystem einen absoluten Vorrang. Dies kommt auch insoferne zum Ausdruck, als beide Quellen Vereinbarungen »nach dem Landesbrauch« kennen, womit allerdings der Traktat eine Variante allgemeiner Vermögensgemeinschaft (cap. 2), das Landrecht 1609 aber eine Ausgestaltung eben des Heiratsgabensystems etikettiert (III/38/6).
Unterschiede zeigen sich auch in der Grundkonzeption: Während der Traktat von den spezifischen Rechtsgeschäften, »den heiraths-contracten«, und ihren Typen ausgeht (vgl. cap. 1), nämlich »Nach dem landsbrauch« (cap. 2), »Nach der form kopf an kopf ...« (cap. 3) und »Auf ein bestimbt guet« (cap. 4), hat der Landrechtstext die einzelnen Leistungen vor Augen wie dies auch die Überschrift zum entsprechenden Titel (III/38) darlegt: »Von heirathsabreden, heirathsguetern oder ehesteurn, widerlag und morgengaben«.
Noch deutlicher zeigen sich Unterschiede im Materiellen, und zwar besonders in der Ausformung der Güterstände. Abreden im Sinne des Heiratsgabensystems kennen in der Neuzeit bereits zwei Arten von Todfallsfolgen: Entweder werden die beiden zentralen Leistungen (Heiratsgut und Widerlage) dem überlebenden Gatten nur zur Nutzung oder schon zur freien Verfügung, zu Eigentum, verschrieben21. Beide Formen sind auch unseren Rechtsquellen geläufig — allerdings aufgrund unterschiedlicher Kriterien: Mangels anderer Vereinbarung spricht das Landrecht 1609 beide Leistungen dem Überlebenden ohne ständischen Unterschied nur bei unbekinderter Ehe zu Eigentum zu, der Traktat hingegen ohne Rücksicht auf das Vorhandensein oder Fehlen von gemeinsamen Kindern nur »unter der burger- und paurschaft«22.
Besonders in der Konstruktion der Vermögensgemeinschaften weichen beide Quellen voneinander ab: Dem Traktat sind sie eigene Güterstände, das Landrecht 1609 leitet sie aus dem Heiratsgabensystem ab: »Eß mag auch der mann oder daß weib ... alle seine oder ihre güeter oder derselben ein thail zur ehesteur ordnen und machen ...«23. Diese Definition erfaßt sowohl die allgemeine (»alle«) wie auch die partielle (»derselben ein thail«) Vermögensgemeinschaft, während der Traktat nur die erstere mit Sonder- und Vorbehaltsgut kennt. Überdies erwähnt das Landrecht 1609 nur eine Todfallsfolge, nämlich die der Akkreszenz, wodurch der überlebende Gatte Alleineigentümer wird, der Traktat hingegen führt neben dieser Variante noch die fortgesetzte [Seite: 229] Vermögensgemeinschaft an, welche an die Stelle des vorverstorbenen Gatten dessen Erben treten läßt.
Auffallend eigene Wege geht der Traktat in der rechtlichen Ausgestaltung des Paraphernums, des Eigenvermögens der Frau, das nicht zum dem Mann verschriebenen Heiratsgut zählt: Während nach durchgehender Ansicht die Witwe im Nachlaßkonkurs nach dem Mann nur bei »in natura« vorhandenem Vermögen aussonderungsberechtigt ist, steht ihr nach Traktat cap. 7f. dieses Recht auch bei Vorliegen eines bloßen Schuldscheines zu.
Auch in der Aufzählung dessen, was zur »Fahrnis« gehört, weichen beide Quellen voneinander ab: Der Traktat führt über das Landrecht 1609 hinaus noch an: »kaufmanswahr«, »allerlai zühn meßing kupfer und eisern kuchlgeschier«, »wagen wagengschirr pflueg egen, hai strei was nicht auf die wurzen steet« (cap. 9).
Gegen die Ansicht Motlochs, der Traktat stelle eine »Probearbeit« zum Landrecht 1609 dar, spricht somit der grundsätzlich andere Aufbau und Formulierungen im Detail (Fahrnis). Diese Äußerlichkeiten wiegen für die frühe Neuzeit schwerer als in späteren Epochen, denn die junge, noch den Autoritäten verbundene Rechtswissenschaft hält in auffallendem Maße am einmal fixierten Wort fest. Wie erwähnt, hat sich Schwarz nicht die Mühe gemacht, den Titel »Von abfertigung der wittiber und wittiben ...« (III/40) selbst zu formulieren, sondern hat dazu vielfach Walthers »Witfrauen-« bzw. »Witwern-Traktat« übernommen; anderswo wird wieder das Vorbild des unterennsischen Landrechtstextes 1573 deutlich spürbar24. Umso auffallender ist es, daß nicht ein einziger Satz unseres Traktats Eingang in das Landrecht 1609 fand; besonders bemerkenswert schließlich, daß Schwarz die Fahrnisregeln nicht eigens konzipiert, sondern übernommen hat — aber nicht aus unserem, sondern aus Walthers »Witfrauen-Traktat«25.
Aber auch im Materiellen finden sich keine nennenswerten Berührungspunkte: Neben anderen Detailregelungen (Fahrnis, Parafernum), die ja Änderungen durchaus hätten unterliegen können, stehen sich die Konstruktionen der Güterstände völlig fremd gegenüber — und dies in einer Zeit, deren Ehegüterrecht durch auffallend starke Typenbindung gekennzeichnet ist26.
Alle diese Argumente sprechen schließlich ebenso gegen die Vermutung Motlochs, Schwarz habe nicht nur das Landrecht 1609, sondern auch den Traktat [Seite: 230] verfaßt. Dazu gesellt sich noch die Erwägung, daß Schwarz mit seinen ehegüterrechtlichen Regelungen im Landrecht 1609 zum Teil zu Lösungen gegriffen hat, welche der Vertragspraxis fremd waren — insbesondere in seiner Ausgestaltung des Heiratsgabensystems (vermeintlich) »nach Landsbrauch«; und auch mit aus dem unterennsischen Landrecht 1573 übernommenen Gedanken wußte er nicht immer etwas anzufangen27. — Ganz anders der Traktat: Seine Bestimmungen entsprechen in einem hohen Maße dem Rechtsleben, und zwar insbesondere im Voranstellen der vermögensgemeinschaftlichen Formen und mit der ständischen Differenzierung im Heiratsgabensystem.
Die nunmehr offene Frage nach dem Verfasser des Traktats sei hier bloß in Hinblick auf zwei Personen eingegrenzt. — Einmal wäre zu erwägen, ob nicht Bernhard Walther als Verfasser in Betracht käme. Seine beiden, hier des öfteren erwähnten ehegüterrechtlichen Traktate beschäftigen sich im wesentlichen nur mit der »Abfertigung« des überlebenden Gatten, seinen Ansprüchen im Verlassenschaftsverfahren, und dies expressis verbis nur bei Mitgliedern des Herrenstandes und Adels. Es bliebe somit für weitere ehegüterrechtliche Erörterungen Raum genug.
Grundsätzlich ist allerdings festzuhalten, daß Walthers Intentionen nur auf die Darstellung unterennsischer Rechtsgewohnheiten gingen28 — wenngleich er damit oft auch in anderen Territorien gebräuchliches Recht fixiert hat. Unser Traktat aber bezieht sich ausdrücklich und ausschließlich auf das »erzherzogthumb Österreich ob der Enß« (cap. 1). Vor allem stimmt er inhaltlich mit Walthers Ausführungen in vielen Punkten nicht überein. Dies gilt vor allem für den Nachlaßkonkurs, indem er die Stellung der Witwe günstiger faßt als Walther29. Oberhaupt deckt Walther weit mehr Probleme auf als der Traktat, etwa beim Fahrnisanspruch des überlebenden Gatten: Der Traktat geht stets davon aus, daß sich jener nur an der Fahrnis des Vorverstorbenen bemißt, während Walther auch das Problem der Teilung der gesamten Fahrhabe erläutert; andererseits ist die demonstrative Umschreibung des Fahrnisbegriffs im Traktat umfangreicher als bei Walther30. insgesamt erweckt der Traktat einen wesentlich nüchterneren, gesetzesähnlicheren Eindruck als die wissenschaftlich fundierten und verzweigten Arbeiten Walthers.
Der einführende Hinweis unseres Traktats, er behandle obderennsische Gewohnheiten, läßt als seinen Verfasser an einen bekannten Juristen aus diesem Land denken, an Veit Stahel. — Seinem Landesordnungsentwurf 1571 ist allerdings der in unserem Traktat dominierende Ausdruck »Heiratskontrakt« fremd; [Seite: 231] er spricht hier vielmehr vom »vermacht«31. Vergleicht man ferner einschlägige Abschnitte seiner Erbrechts-Abhandlung (»Von der Blutsipt auch fraindt: vnnd Gfatterschafft. Ain tractat vnnd außzug sampt etlichen Figuren vnnd Arborn nach gemainem Rechten vnnd Landtbrauch in Österreich ob vnd unter der Ennß«)32 mit korrespondierenden Stellen unseres Traktats, zeigt sich, daß er als Verfasser wohl nicht in Frage kommt. Während beispielsweise nach dem Traktat die Witwe jederzeit abgefertigt werden kann (cap. 4/1), gewährt ihr Stahel die Vergünstigung des »Dreissigsten«, so daß sie nach dem Tod des Mannes ein Monat lang wie bisher versorgt wird33. Auch ist ihm bei Vermögensgemeinschaft ein Aufgriffsrecht des überlebenden auf den Anteil des vorverstorbenen Gatten im Unterschied zum Traktat (cap. 2/1) fremd34. Stahel verabsäumt es auch nicht, in seinen Text Zitate einzuflechten — so beruft er sich auf den bayerischen Rat Andreas Perneder oder auf Justinians Codex35. Unser Traktat hingegen läßt solche Hinweise zur Gänze vermissen, obwohl cap. 6 das Senatusconsultum Velleianum erwähnt und cap. 9 die bekannte Ansicht Durantis wiedergibt, daß das zum Hausbau bereitgelegte Material, wie Holz, Steine und Kalk, nicht zur Fahrnis zähle36.
Die Bewertung des Traktats als eigenständiges, fertiges Opus und nicht bloß als vorbereitende »Probearbeit« wird seinem juristischen Wert besser gerecht. Zwar fehlt ihm der wissenschaftliche Apparat der Waltherschen Traktate, doch zeichnen ihn mehrere Vorzüge aus. Anders als das Landrecht 1609 grenzt er die einzelnen Güterstände klar voneinander ab und umschreibt auch besser als es dieser zum Teil unternimmt die Todfallsfolgen. Mit etlichen Bestimmungen wie über das Parafernum und den Hinweis auf das Senatusconsultum Velleianum verrät der Verfasser seine gemeinrechtliche Bildung. Sie verführt ihn aber nicht dazu, den Boden des heimischen Rechts zu verlassen, sondern befähigt ihn, dieses im Sinne der aufblühenden Rechtswissenschaft zu erfassen.