Franz Klein-Bruckschwaiger, Veit Stahels erster Landtafelentwurf für Österreich ob der Enns, in: Jahrbuch des Oberösterreichischen Musealvereines. 92. Band (Linz 1947) :: Elektronische Bearbeitung Heino Speer 2012

Editorial

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Zu Veit Stahel vgl. auch diesen Aufsatz Klein-Bruckschwaigers. Weitere Aufsätze hier.

Heino Speer
Klagenfurt am Wörthersee
30. Dezember 2012

Veit Stahels erster Landtafelentwurf für Österreich ob der Enns
von Franz Klein-Bruckschwaiger, Graz.

Bei der Frage nach den "Ursachen der Rezeption des Römischen Rechtes in Deutschland"1 wird die Forschung immer wieder auf den Weg der Einzeluntersuchung verwiesen. Immer, wenn eine Zusammenfassung in einer Gesamtdarstellung versucht wird, sind noch große Lücken dieses umfangreichen Forschungsgebietes festzustellen. Vor allem ist es die unterschiedliche Streuung der Einzeluntersuchungen, die das Fehlende um so mehr verspüren läßt. Landschaftliche Forschungsergebnisse verleiten allzu leicht zu Verallgemeinerungen, deren Bestätigung durch die Entwicklungen in anderen Gebieten noch aussteht. So ist immer die Gefahr von Verzerrungen und falschen Betonungen gewisser Umstände gegeben.

Mit der Herausgabe von Bernhard Walthers privatrechtlichen Traktaten aus dem 16. Jahrhundert2 hat M. Rintelen wichtige Quellen Österreichs aus der entscheidungsschweren Zeit der Übernahme des römischen Rechtes erschlossen. Arnold v. Luschin-Ebengreuth, der Meister der österreichischen Rechtsgeschichte, hat Bernhard Walther den "Vater der österreichischen Jurisprudenz"3 bezeichnet und mit diesem ehrenvollen Titel die große Bedeutung dieses Mannes für die Rechtsentwicklung in der Donaumonarchie unterstrichen. Rintelen hat mit seiner Veröffentlichung die Bemühungen des Oberlandesgerichtspräsidenten Carl Graf v. Chorinsky4 um die Erforschung der Rechtsquellen des Rezeptionszeitalters in den österreichischen Erblanden wieder aufgenommen, welcher noch weitere große Aufgaben harren. Chorinsky sammelte umfangreiche Rechtsquellen der österreichischen Erblande und ließ sie lithographieren5. Doch die wenigen Stücke dieser verdienstvollen Vervielfältigung haben heute selbst schon Seltenheitswert und sind nur in wenigen [Seite: 216] Archiven und Bibliotheken zu finden. Diesen Abschriften fehlt auch der wissenschaftliche Apparat moderner Quellenveröffentlichungen, so daß sie für eine systematische rechtsgeschichtliche Forschung nicht ausreichend sind. So ruhen heute noch in den Archiven und Bibliotheken Österreichs viele Handschriften, die gerade für die Rezeptionszeit wertvolle Quellen bieten.

In seinem Artikel "Landesordnungen (geschichtlich) und Landhandfesten, I. Österr. Ländergruppe"6 hat Theodor Motloch auf die Bedeutung der Waltherschen Traktate für die Kodifikationsentwürfe der Landesordnungen in den österreichischen Erbländern hingewiesen. Wenn auch diese geplanten Gesetzbücher nur in seltenen Fällen Gesetzeskraft erlangten, so geben sie doch ein Bild des Rechtes, wie es im 16. und 17. Jahrhundert in den österreichischen Ländern herrschte, denn mangels autorisierter Gesetzbücher wurden diese Landesordnungen, die ja mit Zustimmung des Landesherrn und mit Hilfe der ständischen Behörden verfaßt worden waren, sehr häufig den Entscheidungen der Gerichte zugrunde. gelegt. Die große Zahl und weite Verbreitung von Handschriften dieser Rechtskodifikationen zeugen noch heute davon, daß sie einem wichtigen Bedürfnisse entsprachen.

Die Landesordnungen stellen das Bindeglied zwischen dem Mittelalter und der Theresianischen Epoche der Rechtsentwicklung in den österreichischen Erbländern dar und sind als Erkenntnisquellen für die Entwicklung insbesondere der Institute des Privatrechtes von hohem dogmengeschichtlichen Wert. Aber auch ihre rechtsgeschichtliche Bedeutung ist kaum geringer zu veranschlagen. Ihre Kodifikation fällt in die Zeit der höchsten Macht der Stände, in den Beginn des modernen Beamtenstaates mit wissenschaftlich gebildeten Rechtskundigen, die sich auf den Universitäten scholastisch-systematisch die Rechtskenntnisse erworben hatten, und in die Periode der religiösen und wirtschaftlichen Revolutionen7. Eine Menge verschiedenster Ursachen und Gründe verwickeln und verweben sich ineinander und es ist schwer, sie von einander zu scheiden, um die wirksamen Beweggründe der bedeutsamen Wende klarzulegen.

In Österreich unter der Enns, dessen politischer Schwerpunkt Wien gleichzeitig die kaiserliche Residenz oder wenigstens der Sitz der Regierung einer habsburgischen Ländergruppe war und außerdem [Seite: 217] eine Universität besaß, wurden alle Anregungen und Neuerungen früher und intensiver aufgenommen und verarbeitet als in den übrigen Erblanden. So war es auch bei der Kodifikationsbewegung der Fall. Während im Lande unter der Enns bereits seit der Zeit des Kaisers Maximilian I. anfangs des 16. Jahrhunderts Bestrebungen zur Verfassung einer Landesordnung auftauchten, sind solche in Österreich ob der Enns erst 50 Jahre später zu verzeichnen. Dieses Land war beharrlicher und das Eindringen des römischen Rechtes, welches das altererbte Landesrecht und damit auch manche Freiheiten der Stände bedrohte, ging langsamer vor sich. Daher waren auch die Abwehrmaßnahmen, die in der schriftlichen Festlegung der Landesbräuche bestanden, nicht so dringend. Erst das Beispiel des Nachbarlandes unterhalb der Enns erweckte nun auch hier ähnliche Bestrebungen.

In der Resolution vom 13. Dezember 15688 bezeichnete Kaiser Maximilian II. die von den Ständen des Landes erbetene Errichtung "einer gemainen, durchgehenden, rechtmäßigen Gerichtsordnung oder Landtafel zur Abschneidung der vielfältigen Rechtfertigungen, sowie der unnotwendigen und eigennützigen Verhetzungen, Injurien und hitzigen Einführungen durch die Prokuratoren als löblich und dem Lande zuträglich". Er stellte ihnen anheim, entweder die in Vorbereitung befindliche Landtafel im Lande unter der Enns abzuwarten oder einen Ausschuß von Personen aus ihrer Mitte, die des Landesbrauches kundig sind, vorzuschlagen. Die Stände wählten das Letztere und der Kaiser plante, aus den Entwürfen der Länder ob und unter der Enns eine einheitliche Landesordnung zu schaffen.

Trotz der Mahnung des Kaisers, nicht viele, dafür aber erfahrene Männer für die Kommission zur Errichtung einer Landtafel zu benennen, schlugen die Stände am 12. Mai 15709 15 Personen vor, und zwar vom Herrenstand Diettmar von Losenstein, Gundacker von Starhemberg, Hans Caspar von Wolkenstorf und Sigmund von Polhaimb, vom Ritterstand Hans Äschpan, Georg Neuhauser, Georg Hohertegger, Johann Khöllenpeckh, der Rechten Doktor, und Joseph Sigharter "und dan neben disen für zugeordneten der Gerichts Händl nit ungeübte Personen" Narziß Segger zu Diettach, Florian Ostermayr, wohnhaft zu Steyr, und Veit Stahel, wohnhaft zu Linz, schließlich noch die nicht namentlich angeführten Stadtschreiber der Städte Linz, Steyr und Freistadt, aus welchen der Kaiser die ihm [Seite: 218] gefälligen Männer bestimmen sollte. Vom Prälatenstand war kein Vertreter namhaft gemacht worden.

Von diesen Männern war Veit Stahel, der eine Reihe juristischer Traktate verfaßt hatte, aufgefordert worden, sich zur Aufrichtung einer "gemainen Landtafl oder Landtsordnung" gebrauchen zu lassen. Er sollte "etlich Urteil davon in der Landtsordnung statuieren und verzaichnen" und den Ständen übermitteln. Stahel erklärte sich für diese große Aufgabe unfähig, doch er nahm den Auftrag in Gehorsam an und legte in einem Schreiben vom 18. Jänner 157110 der Landschaft ein "Verzeichnus etlicher Articln zu ainer Landtafl" vor. Nach seinen eigenen Worten fiel sein Werk nicht stattlich aus, da diese Aufgabe von ihm weder "angefangen, gemitlt noch geendet werde" könne, daher stellte er in der Eile nur ein Verzeichnis auf.

In der Resolution vom 20. Februar 157111 beanstandete der Kaiser, daß die Stände trotz seiner Mahnung 15 Personen für die neuzubildende "Landtafelkommission" vorgeschlagen haben. Er bezweifelte wohl nicht, daß die Vorgeschlagenen für diese Aufgabe nicht tauglich wären, aber nach seiner Ansicht werde ein solches Werk durch viele Personen eher verhindert als gefördert. Er bestimmte daher nur Diettmar von Losenstein und Gundacker von Starhemberg vom Herrenstand, Hildeprant Jörger und Georg Hohenegger vom Ritterstand und Jacob Sigharter und Florian Ostermayr von den anderen Männern als Mitglieder der vorgesehenen Kommission, denen er eine kaiserliche Bestellung mit dem Befehl ankündigte, alsbald nach dem Landtage zusammenzutreten und der Ausarbeitung einer Landtafel beharrlich zu obliegen. Für die Regelung schwieriger Fragen könnten sie auch weitere "taugliche und verstendige Landtleuth" heranziehen und sich auch an den Landeshauptmann und nötigenfalls sogar an die niederösterreichische Regierung, die ja die zuständige landesfürstliche Behörde für Österreich ob der Enns war, um Rat und Aufklärung wenden.

Der Kaiser hatte den Landtafelausschuß auf sechs Personen beschränkt. Er hat je zwei Mitglieder des Herren- und des Ritterstandes bestellt. Dabei fällt auf, daß Hildeprant Jörger vom Kaiser als Vertreter des Ritterstandes in die Kommission berufen wurde, obwohl er von den Ständen gar nicht vorgeschlagen worden war. Von den übrigen Männern wurden Jacob Sigharter, welcher von [Seite: 219] den Ständen ebenfalls nicht in Vorschlag gebracht worden war, und Florian Ostermayr, der Landschaftssekretär, ernannt. Veit Stahel war übergangen worden. Auch von den Stadtschreibern der Städte Linz, Steyr und Freistadt, welche vorgeschlagen waren, wurde keiner vom Kaiser in den Ausschuß berufen.

Am 11. März 1571 erging die kaiserliche Bestellung an die Mitglieder der Kommision12. Dabei wurde den Kommissionsmitgliedern versprochen, daß ihnen "alle hierzu gehörige schrifften, desgleichen ain zuvorlengst durch weylendt den Kirchberger und Doctor Bernharten Walter gefaßter Vergriff" von der n.-ö. Regierung zukommen solle. An dieser Äußerung findet Motloch bemerkenswert, daß Bernhard Walthers Traktate schon zu dessen Lebzeiten autoritativ als Entwurf bezeichnet wurden13. Von einem offiziellen Entwurf einer unterennsischen Landtafel durch Kirchberger und Bernhard Walther ist aber nichts bekannt und nach Rintelen meint man heute, daß unter "Vergriff" die Traktate Walthers zu verstehen seien, die 20 Jahre nach ihrem Entstehen ein so autoritatives Ansehen erlangten, daß sie von höchster amtlicher Stelle als geeignete Grundlage für die Kodifikation der Landesrechte angesehen wurden14. Diese Erwähnung unterstreicht die Bedeutung der Arbeiten Bernhard Walthers für die Rechtsgeschichte der österreichischen Erblande15.

Am 18. März 157116 mußten die obderennsischen Stände bereits melden, daß die kaiserlichen Befehle an die deputierten Personen weitergegeben wurden, aber zwei von ihnen, Hildeprant Jörger und Jacob Sigharter, seien mit Tod abgegangen und etliche andere von ihnen, so "insonderheit Florian Ostermayr seiner podagrischen Leybsschwachheit und verunmögens halber" sich entschuldigt hätten. Es müßten also an deren Stelle neue Personen erwählt werden. Auch stellten sie fest, daß "Doctor Walters begriff" noch ausstünde und von den Deputierten erwartet werde. In einer Instruktion der Stände vom 24. August 157117 für ihre Vertreter, die kaiserlichen Räte Starhemberg und Hohenegger, wurden für die verstorbenen Mitglieder der "Landtafelkommission" andere, nicht namentlich genannte Personen vorgeschlagen, die aber noch nicht den kaiserlichen Befehl erhalten hatten. Die Räte sollten daher um die Ausfertigung dieser Befehle einkommen. Ferner sollten sie [Seite: 220] auch das kaiserliche Versprechen, durch die n.-ö. Regierung "des Kirchbergers und Dr. Walthers verfassung" nach Linz zu senden, in Erinnerung bringen.

Mit Befehl vom 11. März 157218 wurden Hannß Aspan zu Liechtenhag und Wibenßbach und Joseph Sigharter in den Landtafelausschuß berufen und nach einer kaiserlichen Resolution vom 20. April 157219. "Kirchpergers und Doktor Bernharten Walters vor etlich jaren verfasster begriff in Abschrift" den obderennsischen Ständen geschickt. Der Kaiser erwartete, daß die Ausschüsse das Werk in Angriff nehmen und "sich daran ire Unglegenhaiten unnd aigen gschäfft nit verhindern lassen", wozu ihnen die drei Stände die nötige Förderung angedeihen lassen sollen. Diese angemeldete Übersendung scheint aber nicht tatsächlich erfolgt zu sein, denn auf die wiederholten Mahnungen des Kaisers in den folgenden Jahren antworteten die Stände des Landes ob der Enns mit der Ausrede, daß sie den "begriff" von Österreich unter der Enns noch nicht erhalten hätten, auf welchen sie deshalb warten müßten, weil die Landtafeln beider Länder "einander gleichförmig" sein sollten20.

Die geplante Kodifikation machte keine Fortschritte. Die Mahnungen des Kaisers, nun einmal mit der Arbeit zu beginnen, beantworteten die Stände immer wieder mit dem Bemerken, daß ihnen die in Aussicht gestellten Vorlagen aus Wien, die im Interesse der Rechtsgleichheit der niederösterreichischen Erblande unerläßlich wären, noch nicht geschickt wurden. Dies zog sich nahezu 30 Jahre lang hin, bis in den ersten Jahren des 17. Jahrhunderts der herzoglich bayrische Rat zu Neuburg Dr. Abraham Schwarz mit den Kodifikationsarbeiten betraut wurde und diese auch im Jahre 1607/08 zum Abschluß brachte21.

Von Veit Stahel und seinem ersten Entwurf vom 18. Jänner 1571 war später nicht mehr die Rede. Er wurde vom Kaiser nicht in den Landtafelausschuß berufen und seine erste Aufstellung dürfte auch weiter nicht für die Arbeiten der Kommission herangezogen worden sein. Aus den ständischen Akten ist auch nicht zu ersehen, warum Stahel und sein verheißungsvoller Beginn nicht weiter beachtet wurden. Stahel war bereits ein alter Mann, als er seinen Entwurf verfaßte, denn im Jahre 1567 hatte er nach dreißigjähriger Dienstzeit als Stadtschreiber in Linz und Freistadt sein Amt niedergelegt22. Ob er ebenso wie Hildeprant Jörger und Jacob Sigharter bald nach [Seite: 221] 1571 gestorben ist, konnte noch nicht festgestellt werden. Doch diese Annahme liegt sehr nahe, da auch das rechtskundige Ausschußmitglied, der Landschaftssekretär Florian Ostermayr, wegen Krankheit zurücktreten mußte. Es wäre da sehr naheliegend gewesen, wenn die Stände an Stelle Ostermayrs Veit Stahel für den Kodifikationsausschuß vorgeschlagen haben würden, da er bereits einen verheißungsvollen Anfang für die Landtafel vorgelegt hatte. Außerdem hatte Stahel durch seine juristischen Abhandlungen seine Eignung für diese Aufgabe genügend nachgewiesen. Aber auch sein Entwurf vom 18. Jänner 1571 wurde im Ausschuß nicht weiter beachtet, denn die obderennsischen Stände warteten immer auf das "Kirchbergers und Dr. Walthers Vergriff" und der Landtafelausschuß bemühte sich nicht, den Anfang, den Stahel gemacht hatte, fortzusetzen.

Es ist wahrscheinlich, daß die Ausschußmitglieder mehr aus politischen Gründen als Vertreter ihres Standes und als Praktiker weder willens noch fähig waren, selbst einen Kodifikationsentwurf zu verfassen. Sie sahen ihre Aufgabe mehr in der Wahrung der ständischen Rechte bei der vorgesehenen schriftlichen Festlegung des Landesbrauchs. Im Ausschuß fehlte ein theoretisch geschulter Jurist, welcher das im Lande geltende Recht systematisch in einem Gesetzeswerk hätte darstellen können. Daher wartete man immer auf eine Vorlage aus dem Nachbarlande. Umso mehr muß es bei dieser Überlegung verwundern, daß man Stahel nicht weiter mit der Kodifikationsarbeit betraut hatte, und die Annahme, daß dieser bald nach 1571 gestorben sein dürfte, wird dadurch bestärkt.

Erst als Dr. Abraham Schwarz mit der Kodifizierung der Landtafel betraut wurde, war der Entwurf der obderennsischen Landesordnung bald beendet. Motloch vermutete, daß Schwarz bereits ein ständisches Elaborat vorgelegt haben mußte23, da er die Landtafel "in eine andere Ordnung gerichtet und mit vielen Notwendigkeiten gebessert" hat24. Dieses Elaborat wird aber nicht Stahels Entwurf gewesen sein. Es ist eher anzunehmen, daß es eine Abänderung einer unterennsischen Vorlage gewesen sein dürfte.

Obwohl der Entwurf Stahels für die spätere Verfassung eines obderennsischen Landesgesetzbuches keine Bedeutung hatte, so verdient er doch die Beachtung der Rechtsgeschichte. Er stellt einmal den ersten Versuch zur systematischen Kodifizierung des [Seite: 222] obderennsischen Landesrechtes dar, welcher wohl nicht weiter verfolgt wurde und in Vergessenheit geriet. Aber die Tatsache, daß bereits zu Beginn der Kodifikationsbestrebungen in Österreich ob der Enns ein Entwurf versucht wurde, ist erwähnenswert, wenn auch erst ein Menschenalter später jene Kodifikation erfolgte, die auch tatsächlichen Einfluß auf das Rechtsleben des Landes gewann, obwohl auch diese niemals verbindliche Gesetzeskraft erlangt hatte.

Die dogmatische Bedeutung dieses Entwurfes überragt aber seinen historischen Wert. Wohl gestattet die literarische Produktivität Veit Stahels, dessen Werke noch nicht erforscht sind, aus seinen übrigen Arbeiten einen besseren Einblick in seine rechtswissenschaftliche Bedeutung für die Rezeptionszeit und die Rechtsentwicklung in Österreich ob der Enns. Aber an ein so großes Unterfangen, wie es die Kodifizierung des geltenden Landesrechtes war, hatte er sich doch niemals herangewagt. So verdient sein Entwurf als bemerkenswerte systematische Leistung Beachtung, weil seine Stoffgliederung von den späteren Kodifikationen nicht übernommen wurde.

Leider ruht das Vergleichsmaterial noch ungehoben in den vielen Bibliotheken und Archiven der Donauländer, so daß eine dogmatische Wertung dieser Arbeit Stahels noch nicht möglich ist. Dieser Umstand rechtfertigt die Veröffentlichung der Skizze, wie man Stahels "Verzeichnis etlicher Articuln zu ainer Landtafl"25 am besten bezeichnen wird, im Wortlaut, welche somit einen kleinen Beitrag zur Geschichte der Rezeption darstellt. Stahel übermittelte den Ständen diesen Entwurf in Form eines Briefes, der folgendermaßen lautet:

"Erwierdige geistliche, wolgebornne, edle, gestrenge, veste, fürsichtige, ersame, unnd weise herrn, herrn der hochlöblichen vier stannden, ainer ersamen landtschafft deß ertzherzogtumbs Österreich ob der Enns verornete et genädig unnd gebietennde herrn.

Nachdem eur gnaden unnd herligkhaidten genedige handlung mit mir gepflegt unnd genedigkhlich begert, das ich mich zu wolgedachter ainer ersamen landtschafft löblichen vorhabennden werck und aufrichtung ainer gemainen landttaffl oder landtsordnung gemainer landtschafft und denn hochlöblichen ständten zu guetem gebrauchen lassen, etlich artigkhl davon in der landtsordnung zu staduirn were verzaichen, unnd e. g. unnd h. [Seite: 223] yberandwortten solle, erkhenn ich mich demnach, sovil gott der allmächtig mir von seinen gaben gegeben und verliehen, e. g. und h. unnderthänigkhlich zugehorsamben schuldig. Aber an deme wierts erwinden26, wie e. g. und h. ich muntlich unnderthänigkhlich angezaigt,

das ich befinde und bekhenne, das ich mit den gabenn, so gott der herr mir mit verstandt, khunst und erfarenhait genedigkhlich gegeben unnd verliehen. Darumben ich doch, was ich deren emphanngen, gott herzlich dankh sag, zu gemeltem gothafften loblichem christlichem wergkh vill zu gering, zu schwach und zu wenig bin. Dardurch dann dits wergkh so statlich als es gemainer Landtschafft notturfft erfordert, auch e. g. und h. begern von mir weder angefangen, gemittelt, noch geendeth mag werden. Aber wie dem, so will ich aus unnderthenig gehorsamb inn dieser verzaichnus und eyll das thuen, sovil gott mir gegeben und verliehen, allain auff e. g. und h. wolgefallen, die mugen solche artigkhl oder etliche daraus, oder aber anndere nach derselben gelegenhait und bedenckhen fürnemben und abhandlen, denenn wölle gott der herr götliche genad, hilff und segen genedigkhlich und reichtlich dartue mitthailen.

Mit unnderthenigen bitten, e. g. und h. geruechen, diese mein getreue gelaiste gehorsamb und guetwilligkhaidt mit allen genaden aufzunemen und mich in genädigen bevelch zu haben. Alle rechten unnd ordnungen begriffen gemainelich vier haubtstückh oder tayl in sich, das erst von den rechten der personen, das anndre von den güettern, das dritte von den anforderungen und das vierdt von den malefizen.

Von den rechten der personen.

Von den rechten der gueter.

Von den rechten der anforderungen.

Von den malefitzrechten.

Das puech mag man abthailen in vier oder mer thail, oder puecher, ain jedes puech in seine cappitl, oder tittl, unnd ainen jeden tittl in seine gesäzt und artigkhl sambt ainen zaiger register.

Laus deo.

Solche artighkl hab ich in eyl verzaichnet, die e. g. unnd h. zu derselben wolgefallen unnd in mainung wie vorgemelt ist, ich [Seite: 227] aus getrewer unnderthänig gehorsamb yberandworten, auch e. g. und h. mich in aller unnderthenigkhaidt hiemit bevelchen thue.
Actum am phinztag den 18. Januarii ao. 1571.
E. g. und h. unnderthenig gehorsamber
Veit Stahl zu Linz wohnhafft.

Besonders wertvoll an dieser kurzen Schrift des ehemaligen Stadtschreibers von Freistadt und Linz ist die Aufzählung von Quellen und Vorbildern, die für eine Kodifikation des Landesrechts herangezogen und darin verarbeitet werden sollten. Wir gewinnen damit ein Bild über die verwirrende Fülle von Rechtsquellen und Rechtsbüchern jener Zeit, die es uns dann verständlich erscheinen läßt, daß darunter die Einheitlichkeit und Sicherheit des Rechtslebens leiden mußte und eine Bewegung zur Kodifizierung alles geltenden Rechtes in einem umfassenden, allein verbindlichen Landesgesetzbuch hervorrief.

Für Stahel sind die erste Quelle des Rechtes die Privilegien und Freiheiten des Landes und der Stände, sowie die "guten Gewohnheiten und Gebräuche". Dann erst zählt er als weitere Unterlagen für die neue Landesordnung "der römischen Kaiser, Könige und regierenden Landesfürsten Edikte, Generalmandate, Konstitutionen, Polizeien, Dekrete, Resolutionen und Erkenntnisse" auf. Er stellt also die überkommenen Privilegien und das Gewohnheitsrecht vor die positiven Rechtssatzungen. Diese stehen allerdings gewöhnlich nicht im Widerspruch zu überkommenem Recht, sondern stellen vielmehr Ergänzungen und Fortbildungen des Gewohnheitsrechtes dar.

Solange die Rechtsüberzeugung des Volkes mit jener seiner Rechtspfleger, der Herrscher und ihrer Organe übereinstimmte, konnte da kein Gegensatz entstehen. Erst als in die Rechtspflege Männer eintraten, deren Auffassungen von Recht und Billigkeit von den überkommenen Ansichten, wie sie im Volke noch gang und gäbe waren, abwichen, entstand die Kluft. Stahel scheint zu den konservativen Vertretern des Rechtslebens seiner Zeit zu gehören, was auch verständlich ist, denn bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts war die Rechtsliteratur dem Gewohnheitsrecht günstig29 und Stahels Jugend und Ausbildungszeit fällt noch in diese Epoche. Dazu kommt noch, daß damals in den österreichischen Ländern noch einheitlich [Seite: 228] die Auffassung bestand, daß bei der Rechtsanwendung in erster Linie der Landesbrauch anzuwenden sei30.

Stahel will aber nicht ein veraltetes, abgestorbenes Recht erhalten, sondern es sollte nach ihm das lebendige Recht, wie es sich in den gerichtlichen Abschieden, Urteilen und Erledigungen darstellt, zusammengefaßt und aufgezeichnet werden, denn all das wird ebenso wie die kaiserlichen Rechtserlässe "mit wolbedachtlich zeitlicher beratschlagung aufgericht". Aus den Worten dieses alten erfahrenen Praktikers kann man wohl kaum schließen, daß das Rechtsleben und Rechtsempfinden jener Zeit steril und zu selbständiger Weiterbildung innerlich unfähig gewesen wäre. Im Gegenteil, Stahel will die Gesetzeskodifikation auf den neuesten Stand der damaligen Rechtsprechung gebracht wissen. Gewiß wird damit eine breite Zugangsmöglichkeit für fremde Rechtsgedanken gegeben. Aber die Forderung, daß die "guten Gewohnheiten und Gebräuche" des Landes neben den Privilegien und Freiheiten zuerst zu berücksichtigen seien, hätte eine kritiklose Übernahme völlig fremdartiger Rechtsauffassungen niemals zugelassen.

Auf diese Weise wäre es kaum jemals zu einer solchen Überfremdung des Rechtslebens gekommen, daß man von einer der nationalen Entwicklung schädlichen Übernahme fremden Rechtes hätte sprechen können. Sind doch schon seit der fränkischen Zeit römische Rechtssätze in deutschen Landen eingedrungen31, ohne daß man deshalb eine innere Schwäche des deutschen Rechtes im Mittelalter behaupten könnte. Und an die Ersetzung des alten Rechtes durch ein geschlossenes fremdes Rechtssystem haben alle Kräfte, die sich um die Schaffung von Landesordnungen bemühten, nicht gedacht. Ja selbst jene, die im römischen Rechtsdenken geschult waren, konnten nur den Grundsatz der Subsidiarität des gemeinen Rechtes, nicht dessen unbeschränkte Herrschaft zur Geltung bringen. Diese unsystematische Übernahme des fremden Rechtes verwirrt den Vorgang der Rezeption derart, daß es umfangreicher bis ins einzelne gehender Forschung bedarf, um diese entscheidungsschwere Erscheinung in unserer Geschichte richtig deuten und in ihrem tatsächlichen Umfange erfassen zu können.

Was Stahel unter den "N. O. Landen beschribenen ordnungen" gemeint hat, läßt sich nicht genau aufzählen. Er hat sich wahrscheinlich deshalb so allgemein ausgedrückt, um alle in den n. ö. [Seite: 229] Erblanden geltenden oder vorgesehenen Rechtsordnungen vorzuschlagen, ohne sich dabei auf bestimmte Kodifikationen festzulegen. Er erwähnt weder den "Zeiger in das Landrechtsbuch" aus dem Jahre 152832 noch die "Landrechtsordnung" des Erzherzogtums unter der Enns aus dem Jahre 155733. Auch Bernhard Walthers Traktate, die der Kaiser durch die n.-ö. Regierung den obderennsischen Ständen für ihre Kompilationsarbeit senden lassen wollte, hat Stahel nicht angeführt. Eine weitere Frage wäre, ob ihm die Gerichtsordnungen der innerösterreichischen Länder Steiermark, Kärnten und Krain34, welche ja ebenfalls der n.-ö. Regierung unterstanden, bekannt waren. Auch sonst ist nicht ersichtlich, was damals in Linz im einzelnen bereits bekannt war. Da all die vorgesehenen Quellen Handschriften und keine Drucke waren, wird deren Verbreitung wahrscheinlich nicht so rasch erfolgt sein.

Ferner sollten zur Aufrichtung der Landesordnung die Landleute, die lange Zeit in den Räten und Gerichten gebraucht wurden, die bei Handlungen saßen und daher große Rechtserfahrung hatten, desgleichen auch Doktoren der Rechte, die geübte Theoretiker und Praktiker seien, als Gewährsleute herangezogen werden. Wieder kann man Stahels Verhältnis zum lebendigen Recht beobachten. Ihm genügen nicht die schriftlichen Quellen für die Kodifikation. Die Rechtserfahrung jener Landesbürger, die sich durch lange Tätigkeit in der Verwaltung und bei den Gerichten eine gute Kenntnis des im Lande herrschenden Rechtes erworben hatten, sollte verhüten, daß die Gesetzessammlung lebens- und volksfremd werde. Es ist sicher kein Zufall, daß der alte Stadtschreiber die "Landleuthe" vor den Doktoren der Rechte nannte, von denen er Übung in Theorie und Praxis forderte. Die Erfahrung gilt ihm mehr als das Diplom der Schulen, wenn er auch deswegen der Wissenschaft nicht ihr Recht schmälern will. Man kann sich aber doch vorstellen, daß damals ein Gegensatz zwischen den akademischen Juristen und den Rechtspflegern, wie es noch manche Schreiber und vor allem die Vertreter der Stände waren, welche keine hohe Schule besucht hatten, bestand. Bei Stahel spürt man ihn nicht so stark, aber man kann aus der ganzen Schreibweise doch seine Parteinahme merken.

Außer den Ordnungen der n.-ö. Ländergruppe nennt der Verfasser noch die Landesordnung der fürstlichen Grafschaft Tirol [Seite: 230] und des Landes Bayern. In der Kodifikationsbewegung der damaligen Zeit hatte Tirol unter den habsburgischen Erblanden eine führende Rolle gespielt. Die Tiroler Bauern hatten bei ihrem Aufstand im Jahre 1525 die sogenannte "Bauernlandesordnung" erzwungen, die am 1. Mai 1526 ratifiziert wurde35. Bereits am 26. April 1532 wurde dann die Landesordnung des Dr. Jakob Frankfurter in Kraft gesetzt36. Diese Erfolge der Tiroler waren in den übrigen Erblanden sicher nicht unbekannt geblieben und ihre Landesordnungen galten als Vorbild für ihre eigenen Bestrebungen. Auch das Beispiel Bayerns mußte im benachbarten Österreich oberhalb der Enns bereits bekannt sein. Unter der Landesordnung des Landes Bayern wird Stahel nicht die "Reformation der bayrischen Landrecht" vom Jahre 151837, sondern die "Bairische Landtsordnung" vom Jahre 1553 gemeint haben.

Auffallend ist, daß Stahel wohl den Sachsenspiegel als Quelle und Vorbild für die obderennsische Landesordnung vorschlägt, nicht aber den Schwabenspiegel oder das Kaiserliche Land- und Lehnrecht, das doch gerade in den österreichischen Erblanden sehr bekannt und weit verbreitet war38. Daß der Stadtschreiber von Freistadt und Linz das bekannteste Rechtsbuch Süddeutschlands nicht gekannt haben sollte, ist nicht anzunehmen, da er doch auch dessen norddeutschen Vorläufer anführt. Vielleicht hat er den Schwabenspiegel nur aus Versehen ausgelassen? So bemerkenswert die Feststellung ist, daß dieses Rechtsbuch bei der Aufzählung der Quellen, die zur Verfassung der Landesordnung herangezogen werden sollten, fehlt, so kann man daraus doch keine Schlüsse auf Stahels Kenntnis und Beurteilung des Schwabenspiegels ziehen.

Aus der Gruppe der Stadtrechte führt der ehemalige Stadtschreiber die in Süddeutschland bekanntesten Stadtordnungen von Nürnberg und Freiburg in Breisgau an, will aber dabei die Ordnungen anderer Städte nicht ausschließen. Die Nürnberger Reformation nahm selbstverständlich auch in Österreich ob der Enns ihre bis in den entferntesten Südosten des deutschen Kulturbereiches wirkende Vorrangstellung ein. Eine nähere Vertrautheit mit der konfirmierten Stadtordnung von Freiburg im Breisgau mag bei Veit Stahel darauf beruhen, daß sein "magister privatus"39, wie er ihn nennt, Mag. Synesius Vorster war. Vorster war nämlich im Jahre 1535 an der Freiburger Universität immatrikuliert40 und wird [Seite: 231] dort die Kodifikation des Ulrich Zasius kennengelernt haben. Zu bemerken ist, daß Stahel weder das Wiener Stadtrecht noch die Ordnungen der obderennsischen Städte, die ihm doch als ehemaligem Stadtschreiber besonders nahe gelegen wären, nicht namentlich angeführt hat. Jedenfalls waren leztere bereits in der ersten Quellengruppe "aus des landes auch der hochlöblichen stendt ordnungen, gueten gewohnhaiten und gebräuchen" inbegriffen, denn die Städte bildeten den vierten Stand im Lande ob der Enns.

Zum Schluß der Aufzählung kommt das gemeine geschriebene Recht, das geistliche sowohl wie das weltliche. Es sollte "fürnemblich" als Quelle für die Landtafel benützt werden. Für die Geschichte der Rezeption ist aber der Nachsatz Stahels interessant, der seine Einstellung zum gemeinen Recht wiedergibt. Er war der Meinung, daß die gemeinen Rechte zu seiner Zeit noch sehr verbesserungsbedürftig waren und daß noch mancher Mißbrauch davon ausgeschieden werden müsse. Zwar beeilte sich der einfache Stadtschreiber aus der Provinz zu versichern, daß er mit seinem bescheidenen Urteil die gegenteilige Meinung nicht angreifen wolle, aber er konnte doch seine kritische Einstellung zur modernen Rechtsbewegung nicht ganz unterdrücken. Er lehnte das gemeine Recht nicht in Bausch und Bogen ab, wollte er es doch als Quelle für die Kodifikationsarbeiten herangezogen wissen. Doch er hat es wohl selbst oft erfahren, daß dieses neue Recht wie ein Modeartikel häufig mißbraucht und gerade jenes Übel, das man damit beseitigen wollte, die Rechtsunsicherheit, nur noch vergrößert wurde. Er prangerte damit auch gewisse unlautere Praktiken von Vertretern der neuen Richtung an, denen es weniger um die Ordnung des sozialen Lebens als um die Errichtung ihrer ungerechtfertigten Ziele ging.

Auch das gemeine Recht war dem Verfasser des Entwurfes kein starres fertiges System, sondern ein lebendiges Gebilde, das nach seiner Ansicht noch sehr verbesserungsbedürftig war. Es schien ihm ein Verschmelzungsvorgang vorzuschweben, bei dem die alten Gebräuche mit den neuen Rechtssätzen zu einem guten Recht der neuen Zeit verarbeitet werden sollten. Dies ist aus seiner praktischen Tätigkeit leicht zu erklären. Obwohl er sich selbst auch wissenschaftlich und literarisch betätigt hatte, so war er doch mehr Praktiker als Theoretiker. Das gemeine Recht erschien ihm nicht als ein abgeschlossenes, ausschließliches System, sondern ebenso [Seite: 232] als eine verbesserungsbedürftige Sammlung von Rechtsbestimmungen wie es auch die überkommenen Freiheiten, Willküren, Gewohnheiten und Gebräuche waren. Ihm war das gemeine Recht wie eine neue Rechtsordnung, die neben die bisherigen Ordnungen trat, sie teils ersetzte, teils ergänzte, aber keineswegs ganz ausschaltete. Es war eben eine neue Rechtsquelle neben den alten erschienen, deren wesentlichstes Merkmal ihre Neuheit war.

Einen grundsätzlichen Gegensatz zum bisherigen Recht maß er aber dem gemeinen Recht wohl nicht zu. War doch die gesetzgebende und rechtsetzende Wirklichkeit kasuistisch und organisch. Dazu kam, die mittelalterliche Tradition der Gesetzgebung, die vor allem in Privilegienverleihungen oder in Bewidmungen mit einem vorbildlichen Recht bestand. Wohl mancher Rechtswalter, der damals den Gedankenkreisen des Mittelalters näher stand, mag die Übernahme des gemeinen Rechts als eine derartige Bewidmung mit einem vorbildlichen Rechte angesehen haben. Diese Bewidmungen wird man sich aber nicht mit derselben ausschließlichen Wirkung vorstellen dürfen, wie es heute die Einführung eines neuen Gesetzbuches zur Folge hat.

Es ist daher so schwer, den genauen Zeitpunkt und den Umfang der Übernahme des fremden Rechts in Deutschland festzustellen. Neues Recht mischte sich in das alte und beide rangen um ihre Geltung und Anerkennung. Diesem Umstand kam die wissenschaftliche Methode des romanistisch geschulten Juristen sehr entgegen. Ihr Hauptaugenmerk war auf die reiche Kasuistik des Corpus juris gerichtet. Die Behandlung des einzelnen Falles und seine Vergleichung mit ähnlichen Tatbeständen war das Ziel ihrer Schule41. Selbst die akademisch gebildeten Rechtswahrer pflegten also keine Dogmatik im modernen Sinne mit einem in sich geschlossenen, ausschließlichen System einer logischen Konstruktion mit all ihren methodischen Ableitungen für die verschiedenen Rechtsbereiche. Wenn man auch die Ansätze zur Systembildung findet, so haben die italienischen Juristen ein solches doch noch nicht geschaffen, sondern sie pflegten mehr das Abziehen der allgemeinen Regel vom Einzelfall und die begriffliche Erfassung der einzelnen Rechtsinstitute42.

So ist es auch zu erklären, daß die gemeinrechtliche Bildung und Schulung den Doctores erlaubte, deutschrechtliche Rechtsgedanken und -einrichtungen anzunehmen und sie neben den [Seite: 233] römischrechtlichen Bestimmungen gelten zu lassen. Das Recht wurde ja nicht aus allgemeingültigen, abstrakten Begriffen abgeleitet, sondern fand sich in den verschiedensten Rechtsquellen, welche alle eine Verbindlichkeit besaßen, die zwar verschieden bewertet, aber nicht grundsätzlich aus der Folgerichtigkeit eines geschlossenen Gedankengebäudes heraus vollkommen abgelehnt werden konnte. Das mag wohl der Grund sein, warum sich die Rezeption im sächsischen Rechtsbereich, wo Sachsenspiegel und Weichbildrecht eine allgemeine Rechtsgrundlage boten, viel geringer auswirkte als in anderen deutschen Rechtslandschaften43. Das dürfte nicht allein das Verdienst der Literatur der Differentiae juris civilis et saxonici44 gewesen sein. Auch die zahlreichen Sammlungen von Schöffensprüchen, von denen die des Magdeburger Oberhofes45 am meisten verbreitet waren, müssen dabei mitberücksichtigt werden. Gerade sie kamen auch den kasuistisch geschulten Romanisten entgegen, indem sie ihnen ebenfalls einzelne Fälle und ihre konkreten Entscheidungen darboten. Sie waren ebenso wie das Corpus juris seiner scholastisch-analytischen Methode zugänglich und gerade jene deutschrechtlichen Gebilde, die sich im römischen Recht nicht finden ließen, mußten von ihnen dankbar mit Entscheidungen der artiger Sammlungen einer rechtlichen Lösung zugeführt worden sein. Die fremdrechtlich gebildeten Theoretiker konnten dabei der schwierigen Aufgabe entgehen, für rechtliche und soziale Gebilde des Mittelalters und der frühen Neuzeit, die im römischen Recht kaum oder gar nicht vorhanden gewesen waren, eine romanistische Theorie unter Heranziehung passend erscheinender Normen des Corpus juris civilis zu entwickeln46.

Den Spruchsammlungen im sächsischen Rechtsbereich entsprechen in den österreichischen Erblanden das "Motivenbuch" der n.-ö. Regierung47 und deren "Consuetudinarienbücher"48. Sie stellen auch Sammlungen von präjudiziellen Entscheidungen dar und bei den "Consuetudinarien" handelt es sich ausdrücklich um Rechtsauskünfte über den geltenden Landesbrauch. Gerade Bernhard Walther, der wissenschaftliche Bearbeiter des österreichischen Rechtes, der die romanistische Bildung seiner Zeit genossen hat, fertigte selbst derartige Rechtsfragen und die Entstehung dieser wertvollen Rechtsquellen kann wahrscheinlich seinen Anregungen zugerechnet werden49. Auch er arbeitete nach der kasuistischen [Seite: 234] Methode, indem er die verschiedenen Entscheidungen über bestimmte Rechtsfälle sammelte, ihren rechtlichen Gehalt miteinander und mit dem gemeinen Rechte verglich, sie kritisch bearbeitete und sodann das Ergebnis seiner juristischen Leistung in das System seiner Darstellung einordnete.

So stehen auch in seinen Werken einheimisches und fremdes Recht nebeneinander und da sich seine Liebe und wissenschaftliche Neigung im Gegensatz zu vielen seiner Zeitgenossen mehr dem Landesbrauch zuwandten50, verdanken wir ihm, daß uns in Österreich so viel heimisches Recht erhalten blieb. Aber auch er mußte uns das deutsche Recht im wissenschaftlichen Gewand seiner Zeit, das von der romanistischen Schule geprägt war, darstellen. Er arbeitete mit denselben Grundsätzen, die er sich auf den hohen Schulen beim Studium des Corpus juris civilis erworben hatte, und er wandte sie nun am neuen Gegenstand, dem Landesbrauch, folgerichtig an. Da aber auch er vorwiegend Praktiker war, ging es ihm um die Darstellung des geltenden Rechtes51. Und dieses hatte sich bereits mit dem fremden Recht vermischt.

Gerade das Beispiel Walthers kann Stahels Stellung zum gemeinen Recht besser verständlich machen. Grundsätzlich wurde es bei den rechtspolitischen Erwägungen jener Zeit nicht abgelehnt. Verschieden waren nur die Ansichten über dessen Anwendungsbereich. Der auf den Hochschulen am fremden Recht geschulte Jurist neigte mehr zur Anwendung jener Rechtsgrundsätze, die er kennen gelernt hatte und beherrschte. Die Rechtsgewohnheiten der verschiedenen Länder und Städte waren ihm meist unbekannt. Und es gab leider zu wenig volksverbundene Männer wie Bernhard Walther, die sich um die Kenntnis und Beherrschung jener Rechtsüberlieferungen bemühten, wie sie ihnen in der Praxis tagtäglich begegneten. Walther vereinigte mit seiner Einstellung zur Überlieferung seines Arbeitsbereiches noch die glückliche wissenschaftliche Begabung, die heimischen Rechte in eine gültige Darstellung zu bringen. Walther beherrschte das Rüstzeug der Wissenschaft seiner Zeit und benützte es zur Erforschung des heimischen Rechtes.

Stahel hat wahrscheinlich nicht die Universität besucht52. Er lernte das Recht in der Praxis und ihm war das heimische Recht bekannter und vertrauter. Wenn er sich auch umfassender juristischer Kenntnisse erfreut haben wird, so erreichte er sicher nicht die Meisterschaft Bernhard Walthers. Während Walther vorwiegend [Seite: 235] unterennsischen Landesbrauch zur Darstellung brachte, hatte sich Stahel um die Aufzeichnung des Gewohnheitsrechtes im Lande ob der Enns bemüht. Walther sichtete das heimische Recht, prüfte es und verglich es mit dem gemeinen Recht. Wo die alten Bestimmungen dem Rechtsempfinden seiner Zeit nicht mehr entsprachen, anerkannte er ohne Vorbehalt die Geltung des fremden Rechtes. Wie es Stahel beim Entwurf der Landtafel für Österreich ob der Enns gehandhabt hätte, können wir vorläufig nur aus seinem Begleittext entnehmen, aus dem man wohl schließen darf, daß er dem fremden Recht gegenüber wahrscheinlich mehr Zurückhaltung bewahrt haben würde. Doch die Methode, nach der der Stadtschreiber von Linz und Freistadt vorging, war dieselbe. Wenn auch Veit Stahels Entwurf nur eine kurze Skizze geblieben ist, so bietet er dennoch eine wertvolle Unterlage für die rechtswissenschaftliche Beurteilung dieses Juristen, der wohl als einer der bedeutendsten Rechtswahrer der Rezeptionszeit in Österreich ob der Enns zu bezeichnen ist. Eine ausführliche Würdigung von Stahel kann aber erst erfolgen, wenn seine sämtlichen Arbeiten erforscht sind. Sein Landtafelentwurf läßt diese Forschung als eine dankenswerte Aufgabe vermuten.

Schon seine Gliederung des Stoffes, der in der Landesordnung aufgezeichnet werden sollte, ist beachtenswert, denn sie weicht von den anderen Landesordnungen wesentlich ab. Leider sind eingehende Vergleichsarbeiten durch den Umstand erschwert, daß die meisten Kodifikationen, die dazu heranzuziehen wären, noch nicht veröffentlicht sind. Stahel will die Landtafel in 4 Hauptstücke teilen. Sie sollen handeln: 1. Von den Rechten der Personen. 2. Von den Rechten der Güter. 3. Von den Rechten der Anforderungen. 4. Von den Malefitzrechten. Die unterennsische "Landts Ordtnung"53 ist dagegen in 5 Bücher geteilt Das 1. Buch handelt "Von dem gerichtlichen Prozeß", das 2. "Von allerley Contracten, Bedingen und urkundlichen Handlungen", das 3. "Von denen Testamenten, auch anderen schrifft- und mündtlichen letzten Willen, deßgleichen von der Succession ab intestato, unnd waß sonsten den Todtfählen anhengig", das 4. "Von der Landtguetter Gerechtigkeit unnd Zuständen, auch anderen Sachen, welche sich auff dem Landt begeben, sambt etlichen darvon herrührenden straffmessigen Handlungen". Das 5. Buch enthält "Die Peinliche [Seite: 236] Landtgerichts-Ordtnung". Die Bairische Landtsordnung von 1553 ist in 6 Bücher abgeteilt, und zwar: 1. Buch "Von des Reichs Landfriden", 2. Buch "Prozeßrecht", 3. Buch "Vormundschaftsrecht, Schuldrecht und Erbrecht", 4. Buch "Polizeibestimmungen (Pierordnung, Branntweinordnung)", 5. Buch "Zunftrecht", 6. Buch "Polizeiliches Malefizrecht"54. Die Landtafel des Erzherzogthums Österreich ob der Enns von Dr. Abraham Schwarz zerfällt ebenfalls in 6 Teile: 1. Gerichtspersonen, 2. Zivilprozeß, 3. Kontrakte, einschließlich der jura incorporalia und des ehelichen Güterrechtes, 4. Testamentarisches, 5. Intestaterbrecht, 6. Lehnrecht55.

Während die unterennsische Landesordnung 5 Bücher kennt, die bairische von 1553 und die spätere Landtafel für das Land ob der Enns 6 Bücher enthalten, sieht Stahels Entwurf nur 4 Hauptgruppen vor. Aber auch seine Einteilungsgrundsätze weichen von denen der verglichenen Landesordnungen ab. Stahel will also die Rechtsbestimmungen der Landtafel in 4 Hauptgruppen gliedern. Den Rechten der Personen stellt er die Rechte der Güter gegenüber. Diese Einteilungsgrundsätze sind von keiner der zum Vergleich herangezogenen Landesordnungen beachtet worden. Wohl handelt das 1. Buch der obderennsischen Landtafel des Dr. Abraham Schwarz von den Gerichtspersonen, aber hier ist der Personsbegriff schon enger gefaßt. Das 4. Buch der unterennsischen Landesordnung befaßt sich mit der Landgüter Gerechtigkeit und den Zuständen und Sachen auf dem Lande sowie mit strafbaren Handlungen, die damit im Zusammenhang stehen. Es ist also auch kein allgemeines Güterrecht, wie es im Stahelschen Entwurf vorgesehen war.

Was Stahel unter den Rechten der Anforderungen genau verstanden hat, kann verschieden gedeutet werden. Nach seinen Einteilungsgrundsätzen ist wohl sein Begriff "Anforderung" ebenso weit zu fassen, wie die Begriffe "Person" und "Gut" in den ersten zwei Hauptstücken. Vielleicht ist der Ausdruck "Recht der Anforderungen" eine Übersetzung von "jus actionum"55a. Dann wäre dieses Hauptstück für das Prozeßrecht vorgesehen gewesen. Dieses ist im 1. Buch der unterennsischen Landesordnung, im 2. Buch der Bairischen Landesordnung und im 2. Buch der obderennsischen Landtafel von Dr. Schwarz mit der Beschränkung auf den Zivilprozeß geregelt. Jede der herangezogenen Kodifikationen hat dem Prozeßrecht je nach der ihr eigenen Einteilung eine besondere Hauptstellung [Seite: 237] eingeräumt. So wird man kaum weit fehl gehen, wenn man Stahels Hauptstück "Von den Rechten der Anforderungen" mit den Büchern über das "Prozeßrecht" in anderen Landesordnungen gleichsetzt. Diese Annahme findet auch im 4. Hauptstück seine Unterstützung. Es behandelt den großen Bereich des Strafrechts. Die unterennsische Landesordnung hat in ihrem 5. Buch "Die Peinliche Landtgerichts-Ordtnung" aufgenommen, die Bairische Landtsordnung regelte im 6. Buch das "polizeiliche Malefizrecht", während Dr. Schwarz das Strafrecht nicht in die obderennsische Landtafel einbezog.

Schon dieser rohe Vergleich der Hauptgliederung des Stahelschen Entwurfes mit anderen Landesordnungen zeigt eine selbständige Leistung seines Verfassers. Wenn diese Arbeit auch nur eine flüchtige Skizze darstellt, so ist sie doch von Wert, weil man aus ihr ersehen kann, wie man in der Rezeptionszeit um eine systematische Erfassung und Durchgliederung des damals geltenden Rechtsstoffes bemüht war und wie vielfältig die Ergebnisse dieser schöpferischen Tätigkeit waren. Man kann aus dieser Verschiedenheit der systematischen Grundfragen auf eine Selbständigkeit juristischen Denkens schließen, das nicht durch eine allgemein anerkannte Systematik einer herrschenden Schule auf gewisse Aufrisse festgelegt war. Der eingehenden Untersuchung dieser Frage stehen aber noch die Schwierigkeiten einer allgemeinen Zugänglichkeit der Hauptquellen jener Zeit sehr hinderlich im Wege.

Die Unterteilung der einzelnen Hauptstücke ist sehr skizzenhaft und verrät eine flüchtige Arbeit. Die zwei letzten Bücher beschrieb der Verfasser mit einem einzigen Satz. Materiellrechtlich bietet der Entwurf daher überhaupt keinen Stoff. Da er nur rasch hingeworfen ist, bietet er auch keine besondere Erkenntnisquelle für die Dogmengeschichte. Doch bei rechtsvergleichenden Untersuchungen der Kodifikationen und Entwürfe jener Zeit mag er unter Umständen dankenswerte Hinweise bieten. Aber auch für die Beurteilung der rechtswissenschaftlichen Bedeutung Veit Stahels, der vor allem durch seine literarische Tätigkeit eine besondere Stellung in der Rechtsgeschichte des heutigen Oberösterreich einnimmt, kann eine gesonderte Betrachtung dieser Skizze einen kleinen Beitrag bieten.

Im 1. Hauptstück sollte das Personenrecht geregelt werden. An der Spitze steht die Person Gottes. Alles, was zu seiner Ehre, zu [Seite: 238] seinem Dienst und zur christlichen Religion gehört, sollte behandelt werden. Stahel hätte damit auch kirchenrechtliche Bestimmungen in die Landesordnung übernommen. Im 2. Punkt sollte das Recht der Geistlichen und geweihten Personen, ihr Stand und ihr Amt formuliert werden. Im 3. Punkt Stand und Amt der hohen weltlichen Personen. Hier äußert sich das theokratische Weltbild des Verfassers. An der Spitze steht Gott, dann kommen seine Diener, die ihm geweiht sind und dadurch einen besonders bevorzugten Stand und ein entsprechendes Amt einnehmen, und als dritte Autorität rangiert die weltliche Obrigkeit mit dem ihr zugedachten Stand und Amt, die ihre Rechtsstellung von der Quelle allen Rechtes, von Gott, herleitet.

Sodann kommt alles, was den ständischen Aufbau des Landes betraf. Auch hier wird der Stand der Prälaten den drei weltlichen Ständen vorangesetzt, der Herrenstand wurde in diesem Entwurf auf die zweite Stelle gerückt. Im Zusammenhang mit den ständischen Rechten wollte Stahel die "gemainen und sunderbarlichen Freiheiten, Ordnung, rechte Polizey, guete Gewonhaiten, Gebrauch und alt Herkhomben" definieren. Es dürfte sich dabei um Fragen des öffentlichen Rechtes handeln. Die ständische Rechtsgliederung ist in der Zeit der Blüte des ständischen Lebens im Lande ob der Enns ein wesentlicher Ausgangspunkt juristischer Systematik. Damit hängt auch die große Bedeutung der Freiheiten, der Privilegien zusammen, die die Verfassungsgrundlage der einzelnen Landstände bilden. Sie sind die wichtigsten Rechtsquellen, aus denen vor allem die Vielfalt der einzelnen Sonderrechte fließt. Ordnung und rechte Polizei stellen die Zusammenfassung der Rechtsnormen in den einzelnen Rechtsbereichen dar, die insbesondere den mittleren und unteren Ständen eigen waren56. Die allgemeinste und reichste Rechtsquelle sind die guten Gewohnheiten, Gebräuche und das alte Herkommen. Dem Gewohnheitsrecht als Rechtsquelle maß Stahel anscheinend einen großen Wert bei.

Die systematische Gliederung des Stoffes, den der Verfasser im 4. Punkte behandeln wollte, geht klar vom Besonderen zum Allgemeinen: 1. die Freiheiten, 2. die Ordnungen, 3. die Gewohnheit. Bei der Unterteilung dieser Begriffe schreitet er dagegen vom weiteren zum engeren Begriff, von der "gemainen" zur "sunderbarlichen" Freiheit und von der Ordnung zur Polizei. Im letzteren Falle könnte man aber auch annehmen, daß zwischen Ordnung und Polizei kein [Seite: 239] scharfer begrifflicher Unterschied gemacht werden darf, wenngleich das Wort "Ordnung" viel weiter gebraucht werden konnte als "Polizei". Ob man es bei der Häufung der drei Ausdrücke für das Gewohnheitsrecht mit einer gedanklichen Unterteilung dieser Rechtsquelle zu tun hat oder ob es sich bloß um verschiedene Bezeichnungen desselben Gedankeninhaltes handelt, läßt sich schwerlich feststellen, da uns die näheren Ausführungen fehlen. Hier könnte man aber wieder eine Umkehrung der Einteilungsgrundsätze finden, wenn man die Gewohnheiten und Gebräuche als bestimmtere Verbindlichkeiten ansieht als das alte Herkommen, das unter Umständen den Ungewißheiten mehr Raum läßt.

Den Widerspruch in der systematischen Untergliederung wird man vielleicht auf das ständische Denken des Verfassers zurückführen können. Die sichersten Grundfesten der ständischen Macht sind die Freiheiten. Die allgemeinen Privilegien sind die breitere Grundlage, die "sunderbarlichen Freiheiten" stellen meistens Ergänzungen in nebensächlicheren Fragen dar und beziehen sich nur auf einzelne Stände. Die Ordnungen und Polizeien sind der Rechtsbereich, der von den Ständen selbst gestaltet und überwacht wurde. Davon sind die Ordnungen die allgemeineren Sammlungen von Rechtssätzen, die für alle Stände verbindlich sein konnten. Die Polizei war dagegen eine Rechtsordnung, die den Bürgerstand am meisten betraf. Das Gewohnheitsrecht ist das weite Feld, aus welchem die Stände weitere Erwerbungen für den Bestand und die Sicherung ihrer Rechte holten. Und hier waren die Gewohnheiten und Gebräuche vielleicht wertvollere Argumente als das alte Herkommen. Es handelt sich hier um einen Deutungsversuch, der infolge der Skizzenhaftigkeit des Entwurfes keine stichhaltige Unterbauung gewinnen kann.

Fünftens sollte geregelt wenden, was für die Obrigkeiten und gemeinen Nutz in personalischen Sachen gehört. Der Randvermerk: Lehen, Freigelt, Zehnt bringt einige Aufklärung. Es ist der persönliche Beitrag für den Bestand der Obrigkeit und die Aufrechterhaltung des allgemeinen Nutzens, die Steuerpflicht des einzelnen. Hier sollten die verschiedenen Leistungen zur Aufrechterhaltung des öffentlichen Lebens festgelegt werden. Bei der Aufzählung der Leistungsverpflichtungen stehen die Lehenspflichten an erster Stelle, während der Zehent zuletzt angeführt ist. Vielleicht war die Reihenfolge der Aufzählung nach den Verpflichteten gedacht, wobei den [Seite: 240] Geistlichen keine materielle Leistung für die Obrigkeit und das von ihr verwaltete Gemeinwohl zugeschrieben werden sollte.

Im 6. Punkt war die Bestimmung der Rechte und Pflichten der Untertanen und "sondern Personen" vorgesehen. Was unter den "sondern Personen" zu verstehen ist, kann man aus dem Entwurf nicht eindeutig entnehmen. Jedenfalls sollte damit der Kreis der Rechtspersonen umschrieben werden, der den einzelnen Herrschaftsbereichen zugehörte.

Der 7. Punkt sah eindeutig die Begriffsbestimmungen für die Freigeborenen und Leibeigenen vor. Es sind dies die öffentlich-rechtlichen Personenrechte, die hier geregelt werden sollten. Die 8. Bestimmung über die Personen, die ihrer selbst mächtig und gewaltig sind, würde man heute ohne Bedenken dem Privatrecht zuzählen. Diese Unterscheidung hat jedoch Stahel nicht getroffen, wie der 9. Punkt zeigt. Dieser sollte von den Personen, die der Gewalt anderer Leute unterworfen sind, handeln, und zwar: 1) von den Kindern und ihren Vätern, 2) von den Waisen und ihren Gerhaben, 3) von den Untertanen, Leibeigenen, Vogt- und Schirmleuten und ihren Herren. Wieder fällt eine Umkehrung der Aufzählung auf, da die öffentlich-rechtlichen Regelungen an letzter Stelle sind. Doch wird man die Gliederung in öffentliches und privates Recht bei diesem Entwurf nicht herauskonstruieren dürfen, wenn man seinem logischen Aufbau gerecht werden will. Man wird ihn jener Gruppe des Systems zuzuordnen haben, die "über die Verbände der Familie und der Gesellschaft zum Staate aufsteigend, das öffentliche Recht in das Gesamtsystem einbezieht"57. Das natürlichste Gewaltverhältnis, die väterliche Gewalt, kommt zuerst, sein Ersatz, die Gerhabschaft, kommt folgerichtig danach. Die herrschaftliche Gewalt ist der weitere natürliche Schritt von der Enge der Familie in die weiteren Bereiche des Zusammenlebens.

Von Interesse ist auch der 10. und letzte Punkt, der die Rechtsgenossen in hausgesessene und unangesessene Personen einteilt. Die Seßhaftigkeit wird damit zu einem rechtlich bedeutsamen Unterscheidungsmerkmal. Man ist unwillkürlich versucht, bei den hausgesessenen Personen sogleich an die dinglichen Rechte zu denken, die im deutschen Recht eine so bedeutende Rolle spielen. Ebenso ist die Aufzählung der zweiten Personengruppe beachtenswert, bei denen das Fehlen gewisser Bindungen rechtlich von Interesse ist. Die Ledigen entbehren der Pflichten des Ehestandes. Die [Seite: 241] Herrenlosen besitzen nicht den Schutz ihrer Gewalthaber. Das Gesinde ist trotz bestimmter Bindungen immer noch freizügiger. Die Hausierer unterscheiden sich von den seßhaften Kaufleuten wie die Starzer von den angesessenen Handwerkern. Den Beschluß der Reihe bilden die Bettler und Zigeuner.

Im 1. Hauptstück kann man deutlich das Bemühen Stahels erkennen, alle Rechtsverhältnisse, die sich auf die Personen beziehen, zu erfassen und zu ordnen. Um seine Aufgabe zu erfüllen, versuchte er die verschiedenartigen Personenrechte zu gliedern und in eine Ordnung zu bringen. Die theokratisch-ständische Ordnung beherrschte sein Denken und nach deren Gesichtspunkten wollte er das erste Buch aufbauen. Ob es ihm gelungen wäre, läßt sich schwer sagen. Jedenfalls zeugt sein Versuch von Weitblick und Folgerichtigkeit. Wie weit er dabei von Vorbildern abhängig war und was seine eigene Leistung war, kann heute noch nicht festgestellt werden.

Auch im 2. Hauptstück "Von den Rechten der Güter" offenbart sich die theokratische Weltanschauung des Verfassers. Zuerst sollte geregelt werden, was zu Gottes Ehre und Dienst gehört und dazu gegeben wurde; sodann was zu den Gotteshäusern und Kirchen gehört. Die frommen Stiftungen kommen vor dem Kirchenbesitz. Sie dienen durch ihre Bestimmung für religiöse Zwecke der Ehre Gottes noch unmittelbarer als die Kirchengüter, welche die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Kirchenorganisation bilden.

Im 3. Punkt war zur Regelung vorgesehen, "was der Obrigkeit und gemainem Nutz zugehört". Nach der Kirche folgt die weltliche Autorität, die dem allgemeinen Nutzen dient. Die Grundobrigkeit und die Vogteien sollten dabei ihre Begriffsbestimmung erfahren. Aber die Obrigkeit braucht Mittel, um die allgemeine Wohlfahrt pflegen zu können. Deshalb wollte Stahel in diesem Punkte auch die Dienste, Gülten, Renten, Steuern und Herrenforderungen behandeln. Öffentlich-rechtliche Leistungen in ihren verschiedenen Formen, die heute dem Finanz- und Steuerrecht zugezählt werden, waren damit zur Aufnahme in die Landtafel vorgesehen.

Den 4. Punkt, die realischen Freiheiten, Ordnung, Rechte und Polizei, guten Gewohnheiten und alten Herkommen über Hab und Gut, das Gott, den geistlichen Ständen, der Obrigkeit und dem gemeinen Nutzen zugehört, könnte man kurz mit dem Ausdruck "Öffentliches Güterrecht" umschreiben. Wieder ist es öffentliches [Seite: 242] Recht, das hier behandelt werden sollte. Aber es ist ein Grenzgebiet, das als Verwaltungsrecht in vielfacher Hinsicht auch in das Privatrecht hineinspielt. Für Stahels Entwurf bestehen diese begrifflichen Schwierigkeiten nicht, da dieses "öffentliche Güterrecht" ein Abschnitt seines allgemeinen Güterrechts ist. Bezeichnend an der Aufzählung der Rechtsquellen für das "öffentliche Güterrecht" ist, daß die Freiheiten wieder an der Spitze stehen. Da die Rechte der Güter behandelt werden sollten, kamen nur die realischen Privilegien in Betracht. Wieder begegnet uns das Begriffspaar "Ordnung und Polizei", wenngleich dazwischen noch das Wort "Rechte" eingeschoben ist. Jene Rechtsquelle wird gerade für den behandelten Gegenstand sehr wichtig gewesen sein. Schließlich erwähnte der Verfasser auch das Gewohnheitsrecht, das ebenfalls eine schriftliche Festlegung und seine systematische Einordnung in die Landesordnung erfahren sollte.

Die Unterteilung der öffentlichen Güter erfolgte wieder nach theokratisch-ständischen Gesichtspunkten. Der Verfasser hielt sich bei der Aufzählung der Rechtsträger so streng an sein System, daß ihm dabei anscheinend eine Wiederholung unterlief, indem er die Güterrechte Gottes noch einmal erwähnte, nachdem bereits im ersten und zweiten Punkte davon die Rede sein sollte. Da ja die näheren Ausführungen fehlen, läßt sich nicht genau feststellen, ob die ersten zwei Punkte dieses Hauptstückes die göttlichen Güterrechte bereits erschöpfend behandeln sollten und demnach im vierten Punkt eine Wiederholung erfolgt wäre. Es kann aber auch sein, daß Stahel in diesem Punkt nur die Rechtsquellen der Güterrechte von den einzelnen öffentlichen Rechtsträgern bearbeiten .wollte. Dabei hätte er sich aber gewiß auch mit materiellen Rechtsbestimmungen beschäftigen müssen und hätte somit wohl schwer eine Wiederholung vermeiden können. Das "öffentliche Güterrecht" der geistlichen Stände hätte hingegen wohl leichter eine Abgrenzung gegen den zweiten Punkt erfahren können, wenn auch hier die Gefahr von Wiederholungen nur durch genaue Gedankenarbeit vermeidbar gewesen wäre. Bemerkenswert ist noch die gesonderte Aufzählung von Obrigkeit und Gemeinen Nutzen, die man wohl auf eine begriffliche Unterscheidung zurückführen kann.

Der 5. Punkt sollte sich mit der Klöster, geistlichen Häuser, der Herrschaften und Schlösser Zugehör beschäftigen. Wieder ist der Vorrang der geistlichen vor den weltlichen Ständen zu beobachten. [Seite: 243] Ob ein begrifflicher Unterschied zwischen Klöstern und geistlichen Häusern, Herrschaften und Schlössern anzunehmen wäre, kann infolge der Skizzenhaftigkeit des Entwurfes nicht geklärt werden. Deutlich aber ist erkennbar, daß die öffentlich-rechtlichen Funktionen der Gerichtsbarkeit und Verwaltung als besitzfähige Güter und Zubehör betrachtet werden. Der Verfasser nahm das öffentliche Recht in sein geplantes System auf und unterschied sich so von der gemeinrechtlichen Wissenschaft nach römischem Vorbild58. Deshalb wird man diesen Entwurf auch in die Erkenntnisquellen einreihen dürfen, die einen Einblick in das Ringen um ein selbständiges System des damals geltenden Rechtes erlaubt.

Der 6. Punkt umfaßte das Güterrecht der ländlichen Untertanen, deren Höfe, Häuser, Gründe, Hofmarken und Gerechtigkeiten. Auch hier werden nicht nur greifbare Gegenstände, sondern auch Rechte begrifflich als Güter behandelt.

Von den Landes Ankunft, Granitzen und Inkorporationen zu Österreich sollte der 7. Punkt handeln. Es sind lauter öffentliche Güter des Landes, die hier ihre rechtliche Umschreibung erhalten sollten. Der Rechtsträger ist das Land. Schwer ist aus der bloßen Aufzählung der Rechtsgüter der aufbauende Gedanke herauszuarbeiten. Unter Landes Ankunft müssen wir wohl die Rechtsgrundlage des Landes59, seine Verfassung verstehen. Des Landes Grenzen umschreiben den räumlichen Geltungsbereich der Verfassung und die Inkorporationen, deren Einschränkung für rechtlich besonders behandelte Gebiete und Gebilde.

Des Landes Austeilung in Kirchen, Klöster, der Geistlichen Häuser und Pfarren, in Grafschaften, Herrschaften, Schlösser und Adelshäuser, in Ämter, Gerichte, Landgerichte, Viertel und dergleichen umfaßte Punkt 8. Hier wiederholte der Verfasser wieder Begriffe, von denen er bereits im 5. Punkt handeln wollte. Dort sollten die Bezirke und Gebiete der Klöster, Geistlichen Häuser, Herrschaften und Geschlösser beschrieben werden. Wenn man auch annimmt, daß in Punkt 5 mehr vom Rechtsinhalt der öffentlich-rechtlichen Befugnisse, in Punkt 8 nur von der territorialen Abgrenzung der einzelnen Rechtsträger die Rede sein sollte, so waren doch bereits auch im ersteren die räumlichen Wirkungsbereiche der angeführten Träger erwähnt. Man wird Stahel den Vorwurf einer Wiederholung kaum ersparen können, denn man kann bei ihm die [Seite: 244] Neigung zu einer formalen Systematik beobachten, die dann leicht zu derartigen Überschneidungen führen kann. Im 8. Punkt sollte die Einteilung des Landes durchgeführt und alle Einteilungsgrundsätze nach den vorhandenen Gewaltträgern berücksichtigt werden. Deren Aufzählung erfolgte wieder nach dem theokratisch-ständischen Prinzip. Die Kirchen, Klöster, der Geistlichen Häuser und Pfarren stehen an erster Stelle, dann kommen die Grafschaften, Herrschaften, Schlösser und Adelshäuser. Es ist schade, daß deren Unterscheidung nicht näher ausgeführt wurde. Die Ämter, Gerichte, Landgerichte, Vierteln und dergleichen überschnitten sich mit den ständischen Herrschaftsbereichen. Die Ausarbeitung dieses Punktes hätte großen juristischen Scharfsinn und auch Darstellungskunst erfordert.

Verständlich ist der 9. Punkt von Empfahung des Landesfürsten, Pflicht und Erbhuldigung. Hier sollte das Recht des Landesfürsten bei seinem Amtsantritt behandelt werden. Der 10. Punkt sollte bestimmen, wie es der Landesfürst mit dem Land und das Land gegen den Landesfürsten halten sollte. Die Rechte und Pflichten des Landesherrn und die der Stände hätten hier ihre gegenseitige Abgrenzung erfahren und einen wertvollen Einblick in die damalige ständische Verfassungslage geboten. Die Rechtsgüter des Landesfürsten stehen gleichwertig gegenüber den Rechtsgütern des Landes und offenbaren so einen Dualismus in der Landesverfassung.

Der Schutz des Landes nach außen ist ein hohes Rechtsgut. Daher handelt der nächste Punkt zuerst von den Heerzügen und Kriegen in Unfriedenszeiten. So wollte der Verfasser auch das gesamte Wehrrecht in seine Landesordnung aufnehmen.

Vom Schutz nach innen, von des Landes Behütung, Beschutz, Regierung, obern und niedern Gerichten und Instanzen sollte dann der 12. Punkt sprechen. Die innere Sicherheit ist das nächste Rechtsgut und hier sollten auch die Mittel angeführt werden, die es sichern konnten. Der Regierung oblag die Verwaltung, den Gerichten die Rechtsprechung, die sich wieder in die obere und niedere Gerichtsbarkeit teilte. Mit dem Ausdruck "Instanzen" scheint bereits römisch-rechtliches Gedankengut in die Konzeption eingedrungen zu sein.

Das höchste Rechtsgut in besitzrechtlicher Hinsicht ist das freie Eigen, daher sollte der 13. Punkt das Recht der freiseigenen Güter beschreiben. Der 14. Punkt sollte sich mit den belehnten Gütern [Seite: 245] und Gerechtigkeiten beschäftigen und deren Unterschied herausarbeiten. Der Verfasser zählte sie nach verschiedenen Gesichtspunkten auf. Der ständischen Ordnung entsprechend teilte er die ständischen Lehensgüter nach dem Stand der Lehensträger in fürstliche, gräfische, herrische und rittermäßige ein. Er führte zuerst die Untergliederung eines Oberbegriffes durch, den er dann als Gruppe der adeligen Lehensgüter von den gemeinen schied. Schließlich sah er noch eine Unterscheidung von männlichen und weiblichen Lehen vor, die eine andere Gruppierung des gleichen Stoffes zur Folge hat. Gleichzeitig sollte in diesem Punkte auch festgelegt werden, mit welcher Gerechtigkeit jedes dieser belehnten Güter zu empfangen sei. Somit wollte Stahel auch die lehensrechtlichen Bestimmungen in die Landtafel aufnehmen, was seiner Tendenz, auch das öffentliche Recht zu berücksichtigen, entspricht.

Im 15. Punkt war das Forstrecht, das Recht vom Vogelfangen, Jagen und Wildbann, vom Fischen und den Bannwässern vorgesehen. Auch diese Sonderrechte sollten als Güterrecht in die Landesordnung aufgenommen werden. Ebenso die Rechte von den Hoftavernen, Schankhäusern und ihren Gerechtigkeiten, die im 16. Punkt behandelt werden sollten. Im Gegensatz dazu sollten im 17. Punkt die Erbtavernen auf dem Lande und ihre Gerechtigkeit beschrieben werden. An dieser Stelle wurde er weitschweifig und faßte die gleichartigen Rechtsgüter nicht in einem gemeinsamen, übergeordneten Begriff der Tavernen zusammen. Als wesentlicher erschienen ihm die Verhältnisse im Hofverband oder auf dem Lande als die gemeinsame Wirtschaftsgrundlage des Speisen- und Getränkeausschankes. Auch im 18. Punkt wiederholte er sich wieder teilweise, wenn er von Erbmühlen, den Schmieden, Badern, Werkstätten, Bräuhäusern, Schank- und Wirtshäusern und deren Gerechtigkeiten auf dem Lande sprechen wollte. Zugunsten der Vollständigkeit eines bestimmten Einteilungszusammenhanges nahm er Wiederholungen in Kauf, die ihm bei dem Entwurf der Skizze vielleicht noch gar nicht bewußt geworden sein mögen, ihm aber bei eingehender Ausführung seines Systems manche gedankliche Schwierigkeiten gebracht hätten.

In Punkt 19 scheint der Verfasser geplant zu haben, gewisse Erbgerechtigkeiten bei wichtigen Gewerbebetrieben gemeinsam zu beschreiben. Aber nur die Rechtsverhältnisse auf dem Lande hatte er im Auge. Für die entsprechenden Rechtsgüter in den Städten [Seite: 246] hatte der Stadtschreiber Stahel keine Regelung vorgesehen. Sie waren in den einzelnen Stadtordnungen gewiß viel eingehender geregelt. Immer wieder kann man die ständische Grundauffassung vom Rechtslehen beobachten, welche die einzelnen Rechtsgemeinschaften der Stände als grundlegende systematische Einteilungsunterlage betrachtete und so die rechtlich gleichgearteten Einrichtungen zugunsten des ständischen Prinzips auseinanderriß. Diese systematische Trennung, die heute als dogmatischer Fehler erscheinen mag, war dem damaligen Denken eine Selbstverständlichkeit, denn der einzelne Rechtsgenosse besaß kein allgemeines bürgerliches Recht, sondern sein besonderes Standesrecht, welches die Lebensverhältnisse in seinem Rechtskreis ordnete.

Die nächsten drei Hauptpunkte bestätigen dieses ständische Rechtsdenken, das nicht nur die öffentlich=rechtlichen Lebensverhältnisse der Standesgenossen, sondern auch seine nach heutiger Auffassung privatrechtlichen Angelegenheiten im eigenen Standesbereiche erfaßte. Punkt 19 sollte beschreiben, wie die drei Stände der Prälaten, Herren und Ritterschaft ihr eigen Baugilt, Frucht, Gewächs, Fächsung, Zehentdienst und Einkommen verbrauchen und was sie "versilbern", dessen sie nicht bedürftig sind und verkaufen wollen. Die verschiedenen Einkommensarten der drei oberen Stände werden hier aufgezählt. Die näheren rechtlichen Bestimmungen fehlen aber wieder, so daß aus der Skizze nicht mehr entnommen werden kann. Das Baugilt dürfte wohl dem "Baugeld" entsprechen, das eine Guts- oder Lehensabgabe war60. Es sollte sowohl der eigene Verbrauch dieser Einkünfte, wie auch der Verkauf und die wirtschaftliche Verwendung all dieser ständischen Einnahmen eine rechtliche Regelung erfahren. Im 20. Punkt wollte Stahel bestimmen, was jene drei Stände einkaufen, wieder verändern und versilbern mögen. Leider ist die Skizze wieder zu dürftig, um einigermaßen Klarheit über die systematische Bedeutung dieses Punktes zu gewinnen. Anscheinend sollten im 19. Punkt die ständischen Einnahmen und deren Verwendung behandelt werden, im folgenden die anderen Rechtsgeschäfte, die der Geldwirtschaft des damaligen Frühkapitalismus zuzuzählen, wären.

Der 21. Punkt hatte die entsprechenden Rechtsverhältnisse des Bauernstandes im Auge und sollte darstellen, wie die Bauersleute ihre erbaute und erzügelte Frucht und Ware verkaufen, was sie [Seite: 247] kaufen und was sie wieder verändern und versilbern mögen. Hier sollten die bäuerlichen Einkommensarten festgelegt werden. Nicht nur die Landfrucht, die sie selbst gebaut, und das Vieh, welches sie selbst "gezügelt", gezüchtet haben, konnten sie verkaufen. Die Formulierung verrät auch, daß sich die Bauern auch in gewerblicher und händlerischer Hinsicht Einkünfte verschaffen konnten. Nur waren sie an bestimmte Ordnungen gebunden, die die besonderen Rechte der anderen Stände, insbesondere der Zünfte, nicht beeinträchtigen durften. Leider fehlen uns die näheren Bestimmungen.

Der 22. Punkt sollte den Städten gewidmet sein und der Bürger Recht, Gerechtigkeit, Gewerb und Hantierung beschreiben. Hier sollte das Recht des Bürgerstandes in den Städten und Märkten seine Darstellung finden. Der Bürger Recht und Gerechtigkeit umfaßt wieder öffentliches Recht und dann folgt das spezifische gewerbliche Recht in den Städten und Märkten. Privatrecht nach heutiger Auffassung würde man in diesem Punkt kaum viel erwarten können.

Wieder eine besondere Personengruppe mit ständischen Merkmalen sind die "Inleute" und das ledige Gesinde, deren Tun und Lassen in Punkt 23 festgelegt werden sollte; Die Inleute oder Inwohner haben kein Haus, das ihr Besitz wäre. Ihre Rechtsgüter sind daher sehr gering. Ebenso ist dies beim ledigen Gesinde der Fall. Vom verheirateten Gesinde wird deshalb nicht die Rede sein, da dieses unter den Inleuten gesucht werden muß.

Im 24. Punkt vollzog nun Stahel den Übergang von den ständischen Begriffen zu privatrechtlichen Einrichtungen. Beim Fürkauf, von dem dieser Punkt handeln sollte, kann man noch ständische Überlegungen vermuten, da er doch eine Begünstigung näher stehender Rechtsgenossen zum Inhalt haben kann. Das mag den Verfasser vielleicht zu dieser systematischen Stellung der Einrichtung des Fürkaufes veranlaßt haben.

Die folgenden vier Punkte sollten das Besitzrecht behandeln. Die systematische Beherrschung dieses Fragenbereiches ist Stahel anscheinend nicht gelungen. Er befand sich hier auf dem Gebiet, in welchem die modernen Juristen mit ihrer gemeinrechtlichen Schulung zu Hause waren. Dem scholastisch ausgebauten System der gemeinrechtlichen Schule gegenüber eine selbständige Stoffgliederung aufzubauen, wäre nur einem genialen Kopfe gelungen, der auch auf der Höhe oder Wissenschaft seiner Zeit hätte stehen müssen. Das von Veit Stahel zu erwarten, wäre aber unbillig.[Seite: 248]

Im 25. Punkt sollte behandelt werden, was ein jeder besitzt, innhat und gebraucht. Ob der Verfasser mit diesen drei Zeitwörtern drei verschiedene rechtliche Begriffsinhalte ausdrücken wollte, ist bei der Kürze der Skizze nicht zu ersehen. Man wird aber annehmen können, daß hier eher eine Häufung von Ausdrücken ähnlichen Inhalts vorliegt, die rechtsbegrifflich jedoch nicht scharf von einander getrennt werden sollten. Aufschlußreicher ist die Aufzählung der Besitzgüter in ihrer Reihenfolge. An der Spitze steht die Ehre, dann folgen Leib und Leben, Gut und schließlich Rechte und Gerechtigkeiten. Man wird kaum fehlgehen, wenn man dieser Reihenfolge auch die Bedeutung einer Wertung zumißt. Die Werte der Ehre stehen dem Verfasser über denen von Leib und Leben, von Gütern, Rechten und übrigen Gerechtigkeiten. Aus der Paarung "Rechte und Gerechtigkeiten" ist zu entnehmen, daß unter Rechten nicht der weitere Begriff von Grundrechten zu verstehen sein wird, sondern daß es sich um Teilrechte und fremden Rechtsbesitz handelt. Der Punkt 25 wird mit dem. Nebensatz: "... das er darbei gelassen und handgehabt werde" beschlossen. Es sollte also nicht nur der ruhige Besitz, sondern auch seine Ausübung behandelt werden.

Von Verjährung, Nutz und Gewehrersitzung sollte der 26. Punkt handeln, der 27. von rechtem Titel und gutem Glauben. Hier ist sicherlich der Einfluß der neuen Rechtsschule auf die Überlegungen Stahels stark zu verspüren. Punkt 28, der über die Poseßausbitt und Vergünstigung bestimmt, daß sie kraftlos sei, wenn sie heimlich oder mit Gewalt erfolgt, gehört wieder dem ständischen Rechtsdenken des Landesbrauches an.

Der letzte Punkt 29 enthält nur mehr eine Reihe von Rechtsbegriffen. Entweder war Stahel so gedrängt worden, daß er keine Zeit mehr fand, den Schluß dieses Hauptstückes auszuarbeiten, oder er war ermüdet und gestaltete nun seinen Entwurf noch skizzenhafter. Jedenfalls lassen sich aus der bloßen Aufzählung von Rechtsausdrücken noch weniger Schlüsse auf seine juristisch-systematischen Grundsätze machen. Man wird aber annehmen dürfen, daß die Reihenfolge der angeführten Ausdrücke einer logischen Überlegung entsprang, die Rückschlüsse auf den gedanklichen Aufbau seiner Skizze erlauben kann. Welche begrifflichen Unterschiede die Ausdrücke Obligation, Pärten, Abred, Besliessung und Conträcte [Seite: 249] erfahren sollten, kann man aus der bloßen Aufzählung nicht entnehmen. Die reiche Auswahl der Wörter für den Tatbestand des Vertrages läßt weniger ein scharfsinniges Eingehen in deren feinste juristische Unterschiede, sondern eher eine Freude an der Fülle der Ausdrucksformen für diesen wichtigen Gegenstand rechtswissenschaftlicher Systematik vermuten. Aber gerade deshalb wird diese Aufzählung für die Kenntnis der deutschen Rechtswörter wertvoll. Römischer Einfluß äußert sich bei den Ausdrücken Obligation, Pärten und Contrakt. Abred61 und Besliessung62 gehören dem deutschen Wortschatz an.

Es folgen sodann die einzelnen Vertragsarten. Zuerst kommen der Kauf und der Tausch. Was unter "Wechsel" zu verstehen ist, läßt sich bei der Vieldeutigkeit des Wortes gerade in der Rechtssprache63 nicht ganz genau bestimmen. Für den Begriff der Pacht und Miete wird wohl der Ausdruck "Besteen" anzusprechen sein64. Beachtenswert ist, daß Stahel den Begriff "Leibgeding" dem Begriff "Besteen" folgen ließ. Ob er im Leibgeding nur ein Schuldverhältnis gesehen hat, wird man aus der Stellung dieses Begriffes in der Reihenfolge der Aufzählung schwer schließen können. Aber viel offenbarer wird hier das deutschrechtliche Denken des Verfassers, der sich für seinen Entwurf nicht der römisch-rechtlichen Systematik bediente. Das beweisen auch die folgenden Begriffe Erbrecht, Paumannsrecht, Khaufrecht, Freisasrecht und Leihen, die der deutschrechtlich-ständischen Gedankenwelt angehören. Bei Versaz und Pfannt wird es sich wahrscheinlich wieder um zwei verschiedene Ausdrücke desselben Begriffes handeln. Daß sie in der Aufzählung nach der Leihe kommen, kann wahrscheinlich einen Schluß auf die dogmatisch-systematische Überlegung des Verfassers zulassen. Ob ein begrifflicher Unterschied zwischen Gemeinschafft und Gesellschafft anzunehmen ist, läßt sich aus der Skizze nicht feststellen.

Mit den Begriffen Vermacht, Übergab, Geschafft, Erbschafft, Sippschafft und legitimationis reihte Veit Stahel das Erbrecht in sein Hauptstück von dem Recht der Güter ein. Schon die Ausdrücke, die hier aufgezählt sind, deuten darauf hin, daß dabei viel deutschrechtliches Gedankengut verarbeitet werden sollte. Gerade in diesem Bereiche offenbart sich die landschaftliche Gebundenheit seines Entwurfes sehr stark, denn er verwendete fast nur heimische Ausdrücke. In der Reihung der Aufzählung ließ er seine systematische [Seite: 250] Überlegung offenbar werden. Mit dem "Vermacht” wollte er vermutlich den Erbvertrag unter Ehegatten behandeln65. Mit der "Übergab" die Übertragung der Wirtschaft an die Erben durch den noch lebenden Erblasser, der sich in den Auszug begibt, die vorweggenommene Erbschaft66, mit "Geschafft" das Testament67, mit "Erbschaft" wahrscheinlich die Erbfolge vom toten Erblasser auf den Erben68. Unter "Sippschaft" verstand Stahel vielleicht die damals weit verbreiteten "Sippschaftsbäume"69, die auf die in den juristischen Fakultäten behandelten "arbores consanquinitatis et affinitatis" zurückzuführen sind70. Auch Veit Stahel hatte "Von der Blutsipt auch Fraindt und Gfatterschafft ain Traktat unnd Außzug sampt edlichen Figuren und Arborn, nach gemainen Rechten und Landtbrauch in Österreich ob und unter der Enns" verfaßt"71. Es liegt daher die Vermutung nahe, daß derselbe Verfasser an diese Gattung der Rechtsliteratur dachte, als er von der "Sippschaft" sprach. Unter "legitimatio" verstand man damals den Verwandtschaftsbeweis zwecks Legitimierung als Erbe72. Eine zeitgenössische Definition dieses Begriffes findet sich in Bernhard Walthers Traktat "Von den Legitimationen und Beweisung der Siptschaft. Anno 1558". Sie lautet wörtlich: "Das Wörtl legitimatio heißt ein Zufreindtung oder ein rechte Beweißung einer wahrhaften Bludtfreundtschaft und rechtmeßigen Sybtschaft, damit sich einer, von dem Geschlecht, Nahmen und Stammen a stipite her zu aines Verstorbenen Erbschaft ein Blutfreundt zu sein, legitimiert und aignet"73. Bei den letzten Begriffen werden auch römischrechtliche Einflüsse angenommen werden müssen, zumal bei der "legitimatio", wo sich der Verfasser auch des lateinischen Wortes bedient hatte.

Das zweite Hauptstück läßt zwei verschiedene Gruppen erkennen, eine öffentlichrechtlich-ständische Einteilung und eine rein privatrechtliche Untergliederung. Dabei hat der Verfasser den ersten Teil noch eingehender durchgearbeitet. Wenn er auch die Hauptgesichtspunkte folgerichtig entwickelte, gelang ihm eine restlose gegenseitige Abgrenzung nicht. Doch schon dieser spärliche Entwurf läßt Stahels Begabung für Übersichtlichkeit und aufgliedernde Ordnung erkennen. Er verfügte nicht nur über ein umfassendes Wissen, sondern er verstand dieses auch zu ordnen und dadurch der Anwendung nutzbar zu machen. Der privatrechtliche Teil dieses Hauptstückes ist nur mit Begriffen und Bezeichnungen skizziert. Hier darf man wohl noch mehr scholastischen Einfluß [Seite: 251] vermuten, wenn auch ein genauerer Nachweis nicht leicht möglich sein wird. Beide Teile nach einheitlichen systematischen Gesichtspunkten zu einem geschlossenen Ganzen zusammenzufassen, wäre aber dem Verfasser nicht gelungen, wie man aus der vorhandenen Skizze wohl schließen darf. Trotzdem verrät dieses Hauptstück bei aller Flüchtigkeit eine beachtliche Gedankenarbeit, die erst im Vergleich mit anderen Kodifikationsentwürfen richtig bewertet werden kann.

Das dritte Hauptstück sollte die "Rechte der Anforderungen" behandeln. Man darf sich durch den Ausdruck "Anforderung" nicht irreführen lassen und vielleicht an das "Recht der Forderungen" oder an das "Schuldrecht" denken. Es wurde bereits die Vermutung ausgesprochen, daß "Recht der Anforderungen" die Übersetzung von "jus actionum" sein dürfte. Ist das der Fall, könnte man eine bedeutende scholastisch-romanistische Beeinflussung wenigstens in der Verwendung der Begriffe bei Veit Stahel annehmen. Leider hatte er dieses Hauptstück nur mit einem Satze umrissen. Daraus läßt sich unschwer erkennen, daß dieses das Prozeßrecht enthalten sollte. Dabei ist Stahels klarer Gedankengang beachtenswert. Er geht von der Voraussetzung jedes rechtlichen Verfahrens aus, vom Bestand einer Forderung. Die naheliegendste und häufigste Regelung dieses Tatbestandes ist, daß jeder Forderungsberechtigte zunächst "güetlich durch sich selbs" seine Forderung geltend macht. Der Verfasser unseres Entwurfes stand nicht an, diesen Gemeinplatz in die Kodifikation aufzunehmen, denn er bildet ja die Grundlage des gesamten Prozeßrechtes, das ja nur in den Ausnahmefällen, in welchen die selbstverständliche Folgerung einer üblichen Rechtshandlung nicht'eintritt, in Anwendung zu bringen ist. Die Forderung konnte aber auch durch "beschickleit" erhoben werden. Unter "beschickleit" sind hier Boten oder andere zur Einforderung Beauftragte zu verstehen.

Weiter ist vorgesehen, daß man "auch derhalben Vertrag aufrichten" soll. Leider kann man aus der Kürze dieser Bestimmung nicht ersehen, was der Verfasser unter diesem "Vertrag" gemeint hat. Er fuhr dann fort: "Wo das nit stat hat, dasselb durch Clag, und vorgeende Verhör unnd Erkhantnus der Oberkhait, aus derselben Ambt erhalten, oder verlieren; daran stet der gerichtlich Process". Wenn also die gütliche Mahnung oder der "Vertrag" [Seite: 252] nicht zum Erfolg führten, dann erfolgte der gerichtliche Prozeß. Es könnte aber auch heißen, daß der "Vertrag" nur für bestimmte Forderungen möglich war und "wo das nit stat hatte", mußte der gerichtliche Prozeß durchgeführt werden. Der Vorgang des Prozesses wurde mit der Klage eröffnet. Es folgte das Verhör, das dem Erkenntnis vorgehen mußte. Das Erkenntnis ging von der Obrigkeit aus, deren Amt es war, dem Kläger seine Forderung zuzusprechen oder abzuerkennen, wodurch er seine Ansprüche verlor. So hatte Stahel mit wenigen Worten den Inhalt des Prozeßrechtes skizziert, welches im dritten Buche dargestellt werden sollte. Am Rande steht noch ein Vermerk, der wahrscheinlich lauten soll: "erenrurige schrifft nit zu erledigen". Die ehrenrührigen Schriften waren zu Stahels Zeiten eine wahre Gerichtsplage geworden74, die nach seinem Vorschlag dadurch am wirksamsten ausgerottet werden konnte, daß man sie überhaupt nicht beachtete.

Das vierte Hauptstück sollte "Von den malefitz Rechten", also vom Strafrecht handeln. Wieder ist es nur ein Satz, mit dem der Inhalt dieses Buches skizziert wurde. Zuerst sind die Strafen erwähnt und eingeteilt nach Gut, Leib und Leben. Diesmal begann der Verfasser in seiner Aufzählung beim niederen Rechtsgut und schritt zum wertvolleren vor. Sodann zählte er die Verfahrensarten auf. Entweder sollte ex offitio die "warthat" festgestellt werden oder durch "Inquisition", auf deutsch "Erforschung", oder durch "Accusation", auf deutsch "Verklagung". Ob Stahel mit der "warthat ex offitio" auf das Handhaftverfahren hindeutete, ist nicht eindeutig ersichtlich. Jedenfalls läßt sich die Unterscheidung zwischen amtlicher und privater Strafverfolgung klar erkennen. Im übrigen hat er sich auch in diesem Hauptstück nicht mehr viel Mühe gegeben, sondern der Sache nur ganz flüchtig Erwähnung getan.

Wenn dies Arbeit auch nur eine Skizze und Entwurf blieb, welche in der reichen Fülle von Rechtsquellen aus jener Zeit wahrlich wenig Bedeutung besitzt, so stellt sie doch eine schöpferische Leistung dar, die einige Aufmerksamkeit verdienen darf. Die reicheren und wirksameren Quellen dieser Epoche harren noch in den Archiven und Bibliotheken der Veröffentlichung und Bearbeitung. Sie werden uns ein umfangreicheres und geschlosseneres Bild von den dogmatischen und systematischen Leistungen der [Seite: 253] damaligen Rechtswissenschaft vermitteln. Doch um zu diesem Ziele zu gelangen, bedarf es noch umfangreicher Forschungen. Sind die Landesordnungen jener Zeit und ihre ausführlichen Entwürfe einmal zugänglicher, dann werden derartige Skizzen noch leichter übersehen. Als Vorläufer können sie aber wertvolle Hinweise bieten. Sie können das Interesse an einer wichtigen Epoche unserer Rechtsentwicklung wieder wecken und auf die reiche Fülle von Fragen weisen, die diese Zeit der Wende noch zu stellen hat. In der Flut der reichlich fließenden Quellen kann man leicht ertrinken und man steht anfangs ratlos vor einem solchen Überfluß. Daher war es auch geboten, das kleinste Rinnsal aufzusuchen. Mag dabei vielleicht der Blick aufs Große gelitten haben und Kleines zu wichtig genommen worden sein, so möge berücksichtigt sein, daß der vorliegende Versuch auch ein Beginnen darstellt.

1. Georg v. Below, Ursachen der Rezeption des Römischen Rechtes in Deutschland (München 1905).

2. Max Rintelen, Bernhard Walthers privatrechtliche Traktate, Quellen zur Geschichte der Rezeption Bd. 4 (Leipzig 1937).

3. Arnold v. Luschin-Ebengreuth, Österreichische Reichsgeschichte (Bamberg 1896) S. 365.

4. Carl Graf v. Chorinsky, Beiträge zur Erforschung österreichischer Rechtsquellen, in: Allgemeine österreichische Gerichtszeitung 42. Jhg. (Wien 1896) Nr. 3, 8, 18.

5. Siehe Theodor Motloch, Carl Graf Chorinsky, in: Archivalische Mitteilungen der k. k. Comznission. f. Kunst und historische Denkmale IV (Wien 1898).

6. E. Mischer u. J. Ulbrich, Österreichisches Staatswörterbuch, Artikel: Landesordnungen (geschichtlich) und Landhandfesten, I. Österr. Ländergruppe, von Th. Motloch, Bd. 3 S. 331-356.

7. Ebda. S. 332.

8. Landesarchiv Linz, Annalen des Herren- und Ritterstandes des Erzherzogtums Österreich ob der Enns (= Ann.) 11, Bl. 207.

9. Der Stände weitere Anbringen, Ann. 11, Bl. 525; Ann. 107, Bl. 315' f.

10. Landesarchiv Linz, Landschaftsakten der Stände des Erherzogtums Österreich ob der Enns (= LAkt.) 1224; XI 23; Ann. 11, Bl. 780 ff.

11. Ann. 11, Bl. 666, Nr. 153 = Ann. 107, Bl. 310'; LAkt. Bd. 1706, KI 25 = Niederösterreichisches Landesarchiv, Hs. B 137, Bl. 76' f.

12. Im Linzer Landesarchiv finden sich die kaiserlichen Befehle an Hildeprant Jörger in Ann. 11, Bl. 664 f. und an Georg Hoheneker zu Hagenberg im Schlüsselberger Archiv Bd. 40, Akten, Lädl XXV Nr. 18.

13. Motloch, Landesordnungen S. 349.

14. Rintelen, Walther S. 19.

15. Ebda S. 41.

16. Ann. 11, Bl. 656.

17. Ann. 11, Bl. 784 Nr. 185 = Ann. 107, Bl. 323'.

18. Schlüsselberger Archiv Bd. 40.

19. Ann. 107, Bl. 363'.

20. Landtagsantwort vom 4. Febr. 1574. Ann. 12, Bl. 247'.

21. Ann. 44, Bl. 267/269; LAkt. Bd. 1226, KI 9215.

22. Hs. Liber Raptitius, Landesarchiv Linz; Diözesenarchiv Nr. 132; Stadtarchiv Freistadt Nr. 816 (1567).

23. Motloch, Landesordnungen S. 349.

24. Der Stände Schluß Doktor Abrahamb Schwarzen Verrechnung betreffend v. 6. Juli 1605. Landesarchiv Linz; Beschaidb. Bd. 118, Bl. 249.

25. Ann. 11, Bl. 790 ff.; LAkt, Bd. 1224, KI 23.

26. ermangeln, fehlen.

27. In einer zweiten Fassung: Paugilt.

28. Dieses Wort ließ sich nicht eindeutig entziffern, doch scheint das Wort "ehrenrührig" den besten Sinn zu geben.

29. Schröder-Künßberg, Lehrbuch d. deutschen Rechtsgeschichte S. 868, Anm. 10.

30. Rintelen, Walther S. 29.

31. Claudius v. Schwerin, Grundzüge der deutschen Rechtsgeschichte (München 1934) S. 233.

32. Österreichisches Staats-Wörterbuch. Art. Länder (Motloch) Bd. 2 S. 554.

33. Ebda S. 556.

34. Luschin, Reichsgeschichte S. 377 f.

35. Ö. St. W. B. Bd. 2 S. 552.

36. Ebda. S. 553.

37. Wolfgang Kunkel, Landrechte des 16. Jahrhunderts in: Quellen zur Neueren Privatrechtsgeschichte Deutschlands 1. Bd.; 2. Hlbd. S. 1-68. Otto Stobbe, Geschichte der deutschen Rechtsquellen (Braunschweig) 2. Bd. S. 365 f.; H. G. Gengler, Quellengeschichte und System des im Königreich Bayern mit Ausschluß der Pfalz geltenden Privatrechts (Erlangen 1848) S. 38.

38. Arnold v. Luschin-Ebengreuth, Grundriß der Österreichischen Reichsgeschichte (Bamberg 1899) S. 81 f.

39. Liber Raptitius.

40. Freundliche Mitteilung des Archivs der Universität Freiburg i. Br.

41. Helmut Coing, Die Frankfurter Reformation von 1578 und das Gemeine Recht ihrer Zeit (Weimar 1935) S. 99.

42. Karl Michaelis, Wandlungen des deutschen Rechtsdenkens seit dem Eindringen des fremden Rechts, in: Grundfragen der neuen Rechtswissenschaft (Berlin 1935) S. 36 f.

43. Schwerin, Rechtsgesch., S. 238.

44. Stobbe, Rechtsquellen 2. Bd. S. 155 ff.; R. Stintzing, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft (München 1880) 1. Bd. S. 549 ff.; Rintelen, Walther S. 46Xf.

45. Fritz Markmann, Zur Geschichte des Magdeburger Rechtes (Stuttgart 1938) S. 32 f.

46. Coing, Frankf. Ref. S. 102.

47. Stobbe, Rechtsquellen 2. Bd. S. 409; Rintelen, Walther S. 36X.

48. Ebda S. 38xf.

49. Ebda S. 38Xf.

50. Ebda. S. 34x.

51. Ebda S. 49X.

52. Liber Raptitius.

53. N.-Ö. Landesarchiv (Ständisches Archiv) Nr. 210.

54. Landesarchiv Linz, Hs. GW 1.

55. Motloch, Landesordnungen S. 349.

55a. Vgl. Jacob Grimm, Deutsche Rechtsaltertümer 2. Bd. (Leipzig 1922) S. 140.

56. Vgl. Josef Segall, Geschichte und Strafrecht der Reichspolizeiordnungen von 1530, 1548 und 1577. Jur. Dissertation Gießen, 1914, S. 42.

57. Michaelis, Wandlungen S. 50 f.

58. Ebda S. 51; Fr. Schulz, Prinzipien des römischen Rechts S. 28.

59. Deutsches Rechtswörterbuch, Weimar 1932, Art. Ankunft. 2. Entstehung eines Rechts.

60. Ebda Art. Baugeld.

61. Ebda Art. Abrede.

62. Ebda Art. Beschließung II.

63. Jakob und Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch Art. Wechsel I, 1; II, 1, a und II, 4. Sp. 2677-2680; 2693 ff.

64. HWB. Art. Bestehen.

65. Rintelen, Walther S. 221 Vermächt.

66. Ebda S. 219 Übergab.

67. Ebda S. 207 Geschaft.

68. RWB. Art. Erbschaft I, 3.

69. Rintelen, Walther S. 16X und 120 ff.: Adolph v. Großer, Quaestiones et decisiones, in: Festschrift zur Jahrhundertfeier des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches 1. Teil (Wien 1911) S. 150 f.

70. Vgl. Emil Friedberg, Das Collegium Juridicum (Leipzig 1882) S. 38 f.; R. Stintzing, Geschichte der populären Literatur des römisch-kanonischen Rechts in Deutschland (Leipzig 1867) S. 151 ff.

71. Landesarchiv Linz, Diözesanarchiv Hs. 133 (Klosterarchiv Gleink), Bl. 335 ff. Linzer Studienbibliothek Hs. 199.

72. Rintelen, Walther S. 211.

73. Ebda S. 117.

74. Siehe Hans Voltelini, Die Wiener Stadt- und Stadtgerichtsordnung Ferdinands I. von 1526, in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Wien. Bd. 9/10 (Wien 1929/1930) S. 118 ff.