Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte Germanistische Abteilung Band 23 (36) 1902 S. 275-280
Gleichwie im Erzherzogthume Oesterreich unter der Enns, so sind auch im Schwesterlande ob der Enns die auf Kodifikation des Territorialrechtes abzielenden Bestrebungen der ständischen Initiative entsprungen. Dort reichen sie bis zum Mainzer Libelle vom 8. April 1499 zurück; hier lassen sich dieselben bis zum Jahre 1560 verfolgen.
Erweist sich der im Kernlande des Habsburgischen Hausbesitzes 1528 fertig gestellte, unter dem Titel "Zeiger in das Landrechtsbuch" handschriftlich überlieferte Entwurf1 vermöge seiner unbefangenen Stellungnahme zu den fremden Rechten als ein ebenso interessantes als rechtsgeschichtlich bedeutsames Denkmal der Receptionszeit, so blieb ihm doch die landesfürstliche Sanktion in der richtigen Erwägung versagt, dass zum Gelingen des geplanten Gesetzgebungswerkes vor Allem "die Uebersehung und Erkundigung nach Gelegenheit des Landes Eigenschaft und Wesens, sowie seiner Gebräuche" noththue. Zwei verschiedenartige Unternehmungen waren dazu bestimmt, vor neuerlicher Angriffnahme der Kodifikationsarbeiten der Erforschung des Landesbrauches zu dienen: einerseits das Konsuetudinarienbuch, in welchem die auf amtliche Anfrage der Regierung ertheilten Auskünfte über das Gewohnheitsrecht aufgezeichnet werden sollten, andererseits die grundlegenden Bearbeitungen einzelner, vorzugsweise durch den Landsbrauch geregelten Rechtsmaterien in den "goldenen Traktaten" des Regimentsrathes und nachmaligen Kanzlers der niederösterreichischen Regierung Dr. Bernhard Walther. Diese Quellen wurden denn auch in dem vom Regimentsrathe Dr. Wolfgang Püdler im Jahre 1573 abgefassten Landtafelentwurfe eingehend berücksichtigt.2 [Faksimile] [Seite: 276] Im Lande ob der Enns haben die Traktate Bernhard Walthers nicht nur grosse Verbreitung gefunden, sondern auch zur Nachahmung angeregt, wie die zum Abdrucke gebrachte Abhandlung über das eheliche Güterrecht erweist. Ganz im Geiste Walthers abgefasst, verräth auch die Darstellungsform eine unverkennbare Anlehnung an die Behandlungsweise ihres Vorbildes.
Der Text beruht auf einer vom Herrn Landesgerichtsrathe Adolf Ritter von Grosser für die Sammlung Chorinsky besorgten Abschrift aus dem Cod. Mscr. Nr. 128 der bischöflichen Bibliothek zu Gleink (Bl. 617b-625a).
Im erzherzogthumb Ossterreich ob der Enß werden dreierlai contract gebraucht, alß der erst nach den landsrechten, der ander auf gerent, so man kopf an kopf nent, und der drit auf bestimbte geldvermäht.
[1.] Verschribend zwai eheleuth einander all ihr zusamen bringend, auch mit und bei einander gewinent, anligend und varend guet durchauß gleich halbs sovil sie uber iere glaubiger uberig haben, wann nun der aine tail stirbet und verläst leibserben oder sonst seitenfreund hinter ime, so wirt des verstorbenen verlassung aufs treulichst geschäzt, und seine glaubiger von ungetailten guet sampt der grundobrigkeit gebürliche herr-forderung bezalt und abgericht. waß alsdan uber bleibet, das felt dem lebendigen halbs und des verstorbenen erben oder freunden auch halbs. doch wo kinder verhanden, so hat das lebendig, wan es bei der besizung des guet bleibet, der kinder halbes guet unverthonlich inzuhaben und zue geniessen biß zu ierer vogtbarkheit. davon soll es die kinder ohne ieres guets schaden zu gottesfurcht ehr und zucht auferziehen und mit aller leibs notturft versehen und underhalten biß sie ier narung selbs erdienen und gewinnen mügen, alsdan zu ierer vogtbarkheit iederm sein gebürnuß gegen landbreuchigen verzicht und quitung bezahlen. da aber kein kind verhanden, so ist daß lebendige des verstorbnen negsten erben oder freunden ihr gebürnuß halbs guet inner jarsfrist nach des verstorbnen abgang zu bezahlen schuldig, eß könne dan mit gebeth lenger frist bei innen erlangen.
[2.] Wo auch im heirats-contract nit bedingt worden noch beredt noch beschlossen, das der lebendige tail bei der besizung des guets bleiben soll, und dan die kinder oder negsten freund das anligund guet in die besizung nemben walten, so mueß sich das lebendige ehegemahl [Faksimile] [Seite: 277] mit geld sovil ime davon zu halben tail gebürt abfertigen lassen, und innen dargegen das ligend guet zu gewöndlicher und ordentlicher stiftzeit wie im lands ieders orth gebreuchig ist unwaigerlich abtretten. die gewohnlichen stiftzeit aber sein zu liechtmeß, S. Georgen tag und S. Michäelß tag.
[3.] Und so das lebendige von dem grund oder poden abgefertiget, so wirdt im der kinder halbes gueth nicht auß der herrschaft gelassen, sondern in demselben und auf dem grundstuckh behalten, oder da es par gelt ist, auf andere grundstuckh in derselben herrschaft umb zimbliche verzinßung den erben zu nuz außgelichen und angelegt.
[1.] Verschreiben beede ehegemahl ainander all ir anliegend und varend haab und guet durchauß ganz und gar , doch nemen zu zeiten ihnen die ehegemahl etwas bevor das ieren negsten gesibten erben für ier legitima fallen soll — alß wan eines stirbt, so felt und bleibet dem lebendigen alles des verstorbnen anligund und fahrend guet volkomblich bei einander, sie haben leibeserben mit einander oder nit — davon ist das lebendige des verstorbnen erben nit mehrers alß was ihnen im heirats-contract ausgenomben oder vorbehalten ist worden, oder da ihnen nichts ausgenomben oder vorbehalten ist, gar nichts hinaußzugeben schuldig, sondern es behelt kinder und guet alles bei einander aldieweil es sich nicht verehelichet. doch mueß er seine kinder wo deren verhanden treulich zu gottesforcht ehr und zucht auferziehen und mit aller leibs notturft versehen und unterhalten, und wan ein kind zu seinen vogtbarn jahren kombt und sich verehlicht, alßdan dasselbe mit ainem hairatgueth nach seinem vermugen aussteuren und betreuen, wie vatter oder mueter auß angeborner lieb vor gott zu thuen schuldig ist.
[2.] Wann sich aber das lebendige gemahl widerumb verehelicht und abermalß ein kerrendte hairat kopf an kopf treffen, machen oder beschliessen will, und im ersten hairats-contract des verstorbnen erben oder erbserben nichts für ier legitima ausgenomen worden, so mueß es seinen bei dem verstorbnen ehelich eroberten kindern eine benente suma gelts für ier angefallen und künftig gebüerend legat außnehmen und vorbehalten. und was ihnen nach billichen dingen ausgenomben wirdt, das soll es den kindern zu ieres ieden vogtbarkeit, den frembden aber (wo die kinder vor abgiengen oder nit mehr vorhanden) inner jarsfrist hinaußgeben, und die kinder mitler weil mit ainem ordentlichen schuldbrief auf grund und poden umb ier gebüerend angefäll vergwißern und versichern und gegen der gebürlichen kinder zucht aller interesse oder zinß davon frei sein.
[3.] So aber die ander ehegemahl auch weiter unbeehelicht mit todt abginge und kein testament oder geschäft machet oder aufrichtet und in disen ersten contract des erst verstorbenen erben nichts [Faksimile] [Seite: 278] ausgenommen worden, so erben des ersten ehegemahls erben oder eheliche kinder und freund des lesten verlassung in ligenden und varunden sovil dessen nach der obrigkeit gebürender herrn-forderung und ierer gläubiger schulden abrichtung uberbleibet mit einander, nemblich ieder tail halbs guet.
[4.] Wann aber testament und geschäft vorhanden sein, so bleibet es bei denselben wie sie lauten und was sie vermügen oder außweisen unverendert, da sie anders mit recht und billichkeit alß nichtig nit abgefochten und widertriben werden.
[1] Wann aber zwai junge leuth zusamen hairathen, was nun die braut dem breitigam zu freien hairatguet zubringet, das mueß er ier mit sovil wieder erlegen und mit halb soviel alß ier hairatguet ist bemorgengaben, auch darumben den halben driten oder vierten tail auß aller seiner varenden habe (darinnen er ime doch außziehen mag was er will, das seinen erben oder kindern frei bleiben und nit darin verstanden werden soll) vermachen und verschreiben. alß exempl, ain jungfraw praut bringt ihrem breutigam 100 fl. zu freiem hairatguet zu, so mueß er ier dieselben mit 100 fl. widerlegen und mit 50 fl. bemorgen gaben, das also ier zubringen, sein widerlag und morgengab 250 fl. bringt. das soll ier nach seinem abgang durch seine negste erben oder freund vor allen andern glaubigern frei und unverhindert sampt dem halben, driten oder vierten tail seiner varunden haab laut des heirats-contract geraicht und gegeben werden. mittler weil soll sie im besiz seiner güeter bleiben und dieselbige nicht ehe abzutretten schuldig sein biß sie allerdings abgefertiget worden. welcher abfertigung aber sie iederzeit wan deren von ier begert würdt statt zu thuen schuldig ist.
[2.] Nimbt aber ein witber eine junkhfraw oder ein witwe einen jungen gesellen, so muß das hairatguet duplirt und die morgengab dem hairatguet gleich gemacht werden. und dan wann es zu fallen kombt soll es mit abfertigung gehalten werden, wie negst hievor gemeldt und begriffen, oder der hairatsbrief so ainer aufgeriht wirdet vermag und außweiset.
[3.] Wann nun der mann vor dem weib stirbet und das weib obgehörter massen abgefertigt wirdt, so hat sie under dem herrn- und adlstande die wiederleg nuer ihr leben lang unvertähnlich inzuhaben, zu nüzen und zu niessen. und wan sie auch tods abgeet, so felt alsdan dieselbe widerlag widerumb hinter sich auf ieres haußwirts negste erben oder freund, er hette ier dan dieselbe im hairats-contract oder sonderbarem testament oder einer ordentlichen donation verschafft oder vermacht.
[4.] Wann aber das weib vor dem mann stirbt, so felt im sein widerlag und morgengab, wofer sie die in ierem leben nit verschafft, [Faksimile] [Seite: 279] das sie doch guet fueg und macht hett, sampt aller ierer verschribenen varunden haab frei widerumb haim. davon ist er ieren negsten erben oder freunden etwas hinaußzugeben nicht schuldig alß was ungeverlich im hairatsbrief oder vermaht begriffen und benent, so anders ainer aufgerichtet worden. ier zubracht hairatguet aber hat er allein sein leben lang unverthönlich innzuhaben, zu nuzen und zu niessen, und nach seinem tödlichen abgang felt dasselbe in ainem sonderbaren testament oder ordentlichen donation verschafft und vermacht.
[5.] Aber unter der burger- und paurschaft, in stätte[n] markhten und auf dem land felt kain widerlag noch hairatguet hinder sich, sondern bleiben beed des lebendigen aigenthumlich. davon ist es des verstorbenen erben oder freunden nichts hinaußzugeben schuldig alß was das verstorbene in seinem leben durch testament oder sonderliche legat seinen erben davon verordnet, testirt oder legirt hette.
Item, was ein weib ihrem mann mehrers geld alß das versprochene hairatgueth in sein gewaldsam bringet, das ist er ier mit gnugsamen schuldbrief zu vergwisern schuldig, damit sie solches nach seinem oder aber iere negste erben nach ierem tödlichen abgang bei dem mann oder seinen haab und güetern zu suechen wissen und vor allen andern glaubingern habhaft werden müegen.
Eß ist auch kein weib ieres manß schulden zu bezallen schuldig, er habe die gemacht ehe er sie ehelich genomben oder weil er sie gehabt, sie wehre dan mit und neben ime in den schuldbriefen begriffen und hette sich der freihaiten Vellejani austrukhlich verzügen, so gebürt ier alßdan von oder mit ierem guet den halben tail darumb sie verschriben ist zu bezallen.
Si ist auch nit schuldig mit ierem ubrigen zubringen zu warten biß andere ieres haußwirts glaubiger bezalt worden, sonder so sie destwegen gnugsamen schriftlichen schein oder ordentlichen schuldbrief hat, so soll sie vor allen andern glaubigern mit solchem ierem zubringen sambt und neben ieren hairats-vermächtnuß unverhinderlich abgefertigt werden.
Wenn aber ein weib umb ier ubriges zubringen kein ordentlichen schuldbrief oder gnugsame weißung hat, so mueß sie mit demselben [Faksimile] [Seite: 280] ierem ubrigen zubringen stillstehen biß ieres mans verbriefte schulden bezalt werden, und also neben andern unverbrieften glaubigern von dem was uberbleibt nehmen was ir iederm ungeverlich nach treulicher außtailung für ain gulden werden mag. doch mueß sie zuvor beweislich darthuen, was oder wie vil sie ime uber das versprochen hairatgueth zugebracht habe.
[1.] Alles gold und silbergeschire, paar gelt, brieft und unverbrieft schulden, wein getraid vihe und allerlai kaufmanswahr wie die ist oder namen hat, pett- lein- leibgewand, roß harnisch manßwehr geschüz munition, frawen zier allerlai zühn meßing kupfer und eisern kuchlgeschier, hülzern haußrath alß spanbeth truchen tisch penkh, wagen wagengschirr pflueg egen, hai strei was nicht auf die wurzen steet, und in summa alles benent und unbenents beweglich guet das mit wied nagl oder banden nit verhaft oder verfangen sondern geführt getriben und getragen werden mag, daß ist alles varnuß oder varende haab. aber abgeschlagenes zimmerholz zaunholz, stain und kalch so zu erbawung eines hauses hierzu gebracht, gleichsfals auch die gail bei hauß so man zu bedungung der feld und wißgrund bedarf, das ist nicht varnuß.
[2.] Wann nun in ainem hairats-contract ein ehegemahl dem andern den halben driten oder vierten tail aller seiner varnuß verschrieben und nichts bedingliches darinn außnimbt oder vorbehelt, so hat das lebendige demselben verstorbnen verschriben tail in allem varundem guet was nur wie obgemeldt beweglich ist, geführt getriben und getragen werden mag.
[3.] Eß mag ime aber ein iedes ehegemahl auß seinem varunden gueth außnemben und vorbehalten was es will, eß sei gold silber parschaft schulden vihe wein traid roß harnisch geschüz munition manßwehren claider clainoder, frawen zier und allerlei kaufmanswahr damit ainer hanthiert, wie das namen haben mag. und was also in dem hairats-contract ausgezogen und benentlichen vorbehalten oder auch nach ainer ieden statt sonderm gebrauch und alten herkhomen nit für varnuß gehalten geraith oder ausgenommen würdet, das soll alsdan nit für varnuß verstanden noch in des lebendigen ehegemals abfertigung gezogen oder getailt werden, sondern des verstorbenen erben frei und allein verbleiben, und dem lebendigen nur auß dem was nit bedinglich ausgenomben oder vorbehalten ist sein verschribener halber driter oder vierter tail ervolgen und zugestelt werden.
Wien. Dr. Theodor Motloch.
1. Mit der vom Landuntermarschall Johann Joachim von Aichen († 20. IX. 1729) seiner Handschrift willkührlich beigesetzten Bezeichnung des Werkes als Institutum Ferdinandi Imi sollte gebrochen werden.
2. Vgl. den Bericht Püdlers im XXXIV. Bande dieser Zeitschrift S. 235ff. besonders S. 238. Das Konsuetudinarium der n. ö. Regierung ist nicht mehr erhalten, lässt sich indessen aus den Consuetudines Austriacae des Dr. Johann Bapt. Suttinger (Nürnberg 1718) theilweise rekonstruiren. Im letztgenannten Werke sind die Walther'schen Traktate anhangsweise (S. 927-1032) abgedruckt. — Forschungen zur altösterreichischen Kodifikationsgeschichte liefern Carl Graf Chorinsky Beiträge zur Erforschung der österreichischen Rechtsquellen (Allgem. Oesterr. Gerichtszeitung 42. Jahrgang Nr. 3, S. 18ff.), v. Luschin Oesterr. Reichsgeschichte S. 345ff., Motloch Art. Landesordnungen und Landhandfesten (im Oesterr. Staatswörterbuche von Mischler und Ulbrich II. Band 1. Hälfte S. 552), derselbe Carl Graf Chorinsky Ein Nachruf (Mittheilungen der dritten [Archiv-]Sektion der k. k. Centralkommission zur Erforschung und Erhaltung der Kunst- und historischen Denkmale 4. Band S. 221ff., insbesondere S. 233ff.).