Quelle: Gunter Wesener, Die Entwicklung des Bürgschaftsrechts in den altösterreichischen Ländern. In: Les sûretés personnelles, Bd. II Moyen âge et temps modernes (Bruxelles 1971), = Recueils de la Société Jean Bodin pour l'Histoire Comparative des Institutions ; 29. S. 673-693.
Digitalisiert mit freundlicher Erlaubnis des Verfassers durch Heino Speer, Dezember 2015.
In den mittelalterlichen Stadt- und Landrechten des österreichischen Rechtsbereiches finden sich eine Reihe von Vorschriften über die Bürgschaft.1 Bürgschaft bedeutet in den Rechtsquellen dieser Zeit sowohl die Schuldübernahme wie den Schuldbeitritt (Haftung zu gesamter Hand). Schon August [Seite: 674] Chabert2 wies auf den Mangel einer Scheidung zwischen Bürgschaft und Expromission hin3.
Wiener Stadrechtsbuch (hrsg. v. H. M. Schuster, 1873) Art. 7: "Schol ein man dem andern gelten, und setzt im einen pürgel, und nimpt auch den willichleich fur voll, der hat ze hant gewert, und der pürgel stet in der gült."4 Der Schuldner wird durch die Stellung des Bürgen befreit; es haftet nun dem deutschrechtlichen Grundsatz der Trennung von Schuld und Haftung entsprechend ausschließlich der Bürge. Auch wenn der Bürge stirbt, lebt die Haftung des Schuldners nicht wieder auf (Wiener Stadtrechtsbuch Art. 57).5
Eine Bürgenstellung kann aber auch in der Weise erfolgen, daß nun Schuldner und Bürge gemeinsam haften. Wiener Stadtrechtsbuch Art. 7 : "Setzt aber ein man einen pürgel zu im, und lubent paideu zu einander also beschaidenleich, waz an ainem abget, daz man daz auf dem andern hab, engegen dem si pürgel sind, der spricht wol an, swelchen er wil, unverzigen seinez rechten, wann, enpristet im ainer, so hat er auf dem andern." [Seite: 675] Schuldner und Bürge haften gemeinsam zu gesamter Hand6. Nach dem Steierm. Landrecht (Art. 123 u. 128; vgl. Schwabenspiegel cap. IX § 1) ist die Haftung von Gesamtschuldnern ("Purgl unverscheidenleich") dahin abgeschwächt, daß jeder Schuldner primär nur für seinen Teil haftet; sind die Mitschuldner insolvent oder nicht zu belangen, so haften die Zahlungsfähigen auch für deren Anteile (subsidiäre Solidarhaftung)7.
Als Gesamtschuldner haften mehrere Bürgen nur bei besonderer Vereinbarung, ansonsten haften sie anteilsmäßig (Wiener Stadtrechtsbuch Art. 60)8.
Die Bürgschaft ist auf Seiten des Bürgen unvererblich (Steierm. Landrecht Art. 121)9. Wenn der Gläubiger dem Schuldner ohne Wissen des Bürgen einen Aufschub gewährt, so wird der Bürge frei (Wiener Stadtrechtsbuch Art. 59; Steierm. Landrecht Art. 129).10
Die Bürgschaftsbegründung erfolgt in der Regel in Form des Treuegelübdes (vgl. etwa Wiener Stadtrechtsbuch Art. 7; Steierm. Landrecht Art. 122 u. 124) ; Steierm. Landrecht Art. 125 anerkennt aber schon die formlose Verbürgung11.
Das mittelalterliche Bürgschaftsrecht in den österreichischen Ländern hält sich durchwegs im Rahmen des deutschen Privatrechts; fremdrechtliche Einflüsse sind noch nicht festzustellen12.[Seite: 676]
Bernhard Walther, der "Vater der österreichischen Jurisprudenz"14 verfaßte einen privatrechtlichen Traktat "Von den Pürgschaften, wie es damit hieigen Landsbrauch nach gehalten wirdet" (entstanden wohl 1558)15. In diesem Traktat wird der österreichische Landsbrauch dem gemeinen Recht gegenüber gestellt16. Der Landsbrauch weist auf dem Gebiete des Bürgschaftsrechts noch typisch deutschrechtliche Züge auf.17
Bestimmungen über die Bürgschaft enthalten die Entwürfe einer Landesordnung für Österreich unter der Enns aus dem 16. und 17. Jh.18, so der "Zeiger in das Landrechtsbuch" (Institutum Ferdinandi I., 1526) III 5, §§ 17 u. 18, der Entwurf Püdler (1573) II, 17, "Von wilkurlichen purgschaften so ausser [Seite: 677] gericht beschehen", der Entwurf Strein-Linsmayer (1595) II, 12, "Von wülkhüerlichen pürgschaften" und die sogenannte "Kompilation der vier Doktoren" (1654) II 20 "Von bürgschaften" .
Der Entwurf einer "Landtafel des Erzherzogthums Österreich ob der Enns" (Oe. Ltf.) von Dr. Abraham Schwarz (1609)19 handelt im III. Teil, 26. Titel "Von den pürgschaften". In der Tiroler Landesordnung von 1573 finden sich vereinzelte Bestimmungen über die Bürgschaft (z. B. III 24; VIII 6)20.
Der österreichische Landsbrauch kennt ebenso wie das gemeine Recht neben der Zahlungsbürgschaft die Gestellungsbürgschaft (Bürgschaft auf Widerstehen, Bürgschaft de sistendo)21 [Seite: 678]
Die Eingehung einer Bürgschaft ist im allgemeinen formfrei; sie ist nicht an den Gebrauch feierlicher Worte gebunden22. Nur die Landtafel für Österreich ob der Enns III 26 § 8 u. 9 sieht vor, daß eine Bürgschaft bei sonstiger Ungültigkeit bei der ordentlichen Obrigkeit angemeldet und von dieser genehmigt werden müsse22.a Im bäuerlichen Rechtsleben findet sich noch das Gelöbnis mit Handritus als Verbürgungsform23.
Nach justinianischem und gemeinem Recht (Nov. 4) darf der Gläubiger den Bürgen erst belangen, wenn er den Hauptschuldner geklagt und die Vollstreckung gegen diesen vergeblich versucht hat (beneficium excussionis sive ordinis). Der Bürge kann auf dieses beneficium verzichten24 Nach dem Landesbrauch in Österreich unter und ob der Enns besteht dieses beneficium nicht; der Bürge haftet primär; falls der Gläubiger zuerst den Schuldner belangt, so wird der Bürge dadurch befreit.
Zufolge Walther XI, 2/3 besteht nach Landsbrauch dieses beneficium nur dann nicht, wenn sich der Bürge als Bürge und Selbstschuldner verpflichtet25. Gemäß Entwurf Püdler II, 17 § 13 muß sich der Bürge aber stets als "Selbstschuldner und [Seite: 679] Zahler" verpflichten, sonst entsteht keine gültige Bürgschaft. Püdler II, 17, § 18 : "Wiewohl die geschribnen kaiserlichen rechten vermügen, das die principalschuldner vor denen burgen umb betzahlung furgenomben sollen werden, so vermag doch der algemein practiciert lantbrauch, das die election und freiwahl disfals bei dem glaubinger steet, in craft derselben mag glaubinger den burgen vor dem principalen umb dieselbig schulden fur gericht wenden und den principalen beiseutz stellen."26
Oe. Ltf. III 26, § 3: "... aber vermüg dißes landß uralten herkhomen, ob woll in der haubtsumma der bürg höcher nit alß der principal khann angefordert werden, so ist er doch schuldig, auch ungeacht der principall noch woll zu bezahlen hat oder doch noch ungwiß ob an demselbigen waß abgehen wurde da die bezahlung zu rechter zeit nit geschiecht, an statt deß principalß solche zu laisten, so gar, daß da der creditor oder glaubiger nach verstrichner zahlungß zeit den principall schuldner erstlich vor gricht fürnimbt und nit den bürgen, daß durch solches der bürg ledig wirdt."
Der Glaubiger soll zuerst den Bürgen belangen; falls er zuerst den Schuldner klagt, so wird der Bürge dadurch befreit. "Bürgschafft fallet, wann der Creditor den Principalen vor dem Bürgen klagt." (Motiven ad Sent. in excels. Regimine publ. 3. Maji 1571.)27 [Seite: 680]
Diese Grundsätze galten noch im österreichischen Recht des 18. Jhs.28, ebenso in Böhmen und Mähren. Der Grundsatz der Ersthaftung des Bürgen entspricht dem deutschrechtlichen Prinzip der Trennung von Schuld und Haftung29. Nach der Auffassung des älteren deutschen Rechts wird der Schuldner mit der Stellung eines Bürgen zunächst frei; dem Bürgen obliegt primär die Erfüllung; die Bürgschaft ist selbstschuldnerische Bürgschaft. Der Schuldner haftet erst dann, wenn die Bürgschaft versagt. In späterer Zeit wird die Haftung des Schuldners neben dem Bürgen anerkannt; sobald der Gläubiger auf den Schuldner greift, wird der Bürge frei30. [Seite: 681]
Nach Püdler II, 17 , § 19 kann der Gläubiger bis zum Endurteil vom Bürgen ablassen und den Hauptschuldner belangen; vom Hauptschuldner kann er nur bis zur Litiskontestation (Kriegsbefestigung)31 lassen, um sich an den Bürgen zu halten (ebenso Entwurf Strein-Linsmayer, II, 12, § II).
Eine subsidiäre Haftung des Bürgen kann vereinbart werden. Suttinger S. 57: "Wann aber die Bürg-Verschreibung nicht simpliciter lautet, sondern auf den Fall der principal Debitor mit seinem Gut nicht erklecklich zu bezahlen, alsdann muß ein ordentliche Excussion vorgehen." (Motiv. 29.8.1628.). Oe. Ltf. III 26, § 3: ",...eß war dann sach daß in aufrichtung der Bürgschaft außtrukhentlich etwaß anderß geschloßen und versehen wäre worden, alß daß der bürg mit namen ime vorbehalten anderergstalt nit bürg zu werden alß auf daß waß an dem haubtschuldner abgeht, daß solcheß an ihme bürgen zuegehn und durch ihne solle erstattet werden ...". Diese Art der Bürgschaft wird als Schadlosbürgschaft bezeichnet32
Nach steiermärkischem Landesbrauch muß der Gläubiger wie nach gemeinem Recht zunächst den Schuldner gerichtlich klagen; erst wenn sich herausstellt, daß dieser nicht solvent ist, kann er sich an den Bürgen halten33. Es gibt Fälle, wo auch in Steiermark zuerst der Bürge belangt werden kann: "1) Wann der principal-Schuldner nicht in diesen I. Oe. Ländern wohnet, noch darinnen betretten wird; 2) wann sich der Bürge gegen den creditorn dieser exception specialiter verziehen hat; 3) wann [Seite: 682] sich der fidejussor nebst dem principal debitore, gegen den creditorn als Bürg und selbst-Schuldner verschrieben; quo casu beneficium excussionis non habet locum."34
Die Bestimmungen in den Landesordnungsentwürfen über die Haftung von Mitbürgen sind recht widerspruchsvoll; es zeigt sich hier ein Gegensatz des deutschen zum römischen Recht, der von den Verfassern schwer bewältigt wurde.
Mitbürgen haften nach Landesbrauch grundsätzlich anteilsmäßig; eine Haftung zu gesamter Hand wird begründet, wenn sich die Bürgen "samentlich und unverschaidenlich gegen den Glaubiger verbinden" (Walther XI, 1)36. Dasselbe besagt noch Püdler II, 17, § 20: "Wann die burgen 'sament und sonderlich' verschriben seint, so mag der glaubinger ainen oder den andern daraus in solidum und umb die völlig schulden beclagen, desgleichen do die verschreibung auf 'sament unverschaidenlich und sonderlich' gestelt; also auch do sie auf 'unverschaidenlich und sonderlich' lauth; ebenermassen do die obligation das cleußel 'sonderlich' allein begreifft." Dem römischen Recht folgend gewährt aber Püdler II, 17, § 23 auch bei besonderer Vereinbarung einer Gesamthaftung den Mitbürgen das beneficium divisionis: "Doch ist hergegen ainer oder der ander furgenomben burg auch dahin befreiiet sich auf seine nebenburgen zu waigern und beneficium divisionis zu begeren, in craft derselben (ungeacht das er in solidum und 'sonderlich' umb die ganz schult verbunden) [Seite: 683] solle ihme mehrers nit als seinen gebürenden tail pro rata portione der verbürgten schulden zu bezahlen auferlegt werden." § 24: "Es ist auch solche freihait so groß, das der burg nit allein vor sonder auch nach der krigsbefestigung dieselb furwenden kan, es were dann sach das er sich solcher freiheit austrücklich begeben oder das seine mitbürgen der betzahlung nit statthaft noch solvendo weren oder das er die bürgschaft vernainet und sich deren uberweisen liesse." Wenn die Bürgenverschreibung die Klausel 'samentlich und unverscheidenlich' allein beinhaltet, so wird dadurch keine Gesamthaftung begründet (Püdler II 17, § 25).37
Die Oe. Ltf. III 26, § 6 bestimmt, daß trotz der Klauseln 'sambt und sonderlich' oder 'samentlich unverschaidenlich' nur eine anteilsmäßige. Haftung begründet wird38.
In den Entwürfen setzt sich die Tendenz durch, entsprechend dem römischen Recht auf jeden Fall das beneficium divisionis zu gewähren; die Vertragsklauseln, die nach deutschem Recht eine Gesamthaftung begründeten, werden nicht mehr verstanden und nicht als wirksam angesehen39.[Seite: 684]
Wenn der Gläubiger neben dem Bürgen noch ein "gesetztes Pfand" hat und der Bürge dieses einlöst, so ist dieser verpflichtet, das Pfandobjekt dem Schuldner gegen Erstattung der Lösungssumme herauszugeben. Er darf es nicht an Zahlungsstatt behalten.40
Der Schuldner ist nach österreichischem Landesbrauch "von Rechtens wegen schuldig", den Bürgen schadlos zu halten; üblicherweise wird allerdings ein Schadlosbrief gefertigt (Walther XI, 442 Dieser von rechtswegen eintretende Regreßanspruch ist deutschrechtlicher Herkunft.43
Auch die Oe. Ltf. III, 26, § 4 anerkennt den Regreßanspruch ohne besondere Vereinbarung : "Waß nun in ain und dem andern der angeforderte bürg für den principal bezalt und guetgemacht, daß alleß und iedeß hat er und seine erben beedeß in der haubtsumma interesse und uncosten bei solch seinen principal schuldner und deßen erben widerumb zu ersuechen, und sich seines schadens bei demselben wider zu erhollen." Oe. Ltf. III, 26, § 6 sieht daneben das beneficium cedendarum actionum vor.
Ein Mitbürge, der mehr geleistet hat, als er "von rechts- und lantsbrauch wegen schuldig", hat gegen seine Mitbürgen einen Regreßanspruch auf die Mehrleistung (Püdler II 17, § 26).
Dem Bürgen stehen gegenüber dem Gläubiger alle Exzeptionen und Einreden des Schuldners zu; er ist verpflichtet, diese [Seite: 685]vorzubringen44, ansonsten verliert er seinen Regreßanspruch. Falls der Bürge verurteilt wird, ist er ferner verpflichtet, gegen das Urteil "für die höher instanz zue dingen".45
Nach Püdler II, 17, § 9 ist die Bürgschaft, wenn nichts anderes vereinbart ist, vererblich46. Der Grundsatz der Vererblichkeit auf seiten des Bürgen wurde aus dem römischen Recht übernommen47. Gemäß § 1367 ABGB erlischt die Bürgschaft, wenn sie weder durch eine Hypothek, noch durch ein Faustpfand befestigt ist, binnen drei Jahren nach dem Tode des Bürgen, wenn der Gläubiger nicht in der Zwischenzeit die Schuld von dem Erben eingemahnt hat. Gierke48 sieht in dieser Vorschrift die deutschrechtliche Spur der ursprünglichen Unvererblichkeit der Bürgschaft.
Die Bürgschaft endet als ein akzessorisches Recht mit dem Erlöschen der Hauptschuld, durch confusio zwischen Bürgen und Gläubiger (Püdler II, 17, 27) und durch confusio zwischen Bürgen und Schuldner (Püdler II, 17, §§ 28 u. 29).
Die Bürgschaft erlischt ferner nach Landesbrauch, wenn der Gläubiger "dem Schuldner ein neue Verschreibung oder Abred aufricht und dem Schuldner den Termin auf ein weittern Tag ausser Vorwissen und Bewilligung des Pürgen erstreckt" (Walther XI 6/1)49. [Seite: 686]
Der Bürge kann den Schuldner auf "Entledigung der Bürgschaft" klagen, wenn er sich auf bestimmte Zeit verbürgt hat und die Frist verstrichen ist (Püdler II, 17, § 36; Oe. Ltf. III, 26, § 10). Vor Ablauf der festgesetzten Frist kann der Bürge auf Entledigung klagen, wenn der Schuldner sein Vermögen vergeudet50. Ist keine Frist festgesetzt, kann der Bürge auf Befreiung klagen, wenn der Schuldner die Bezahlung hinauszieht51. Die Bürgschaft endet weiters durch Verjährung52. Der Tod des Hauptschuldners war kein Befreiungsgrund53.
Unzulässigkeit der Bürgschaft und Unfähigkeit zur Verbürgung, insbesondere der Frauen:54
1) Gestellungsbürgschaft (Bürgschaft auf Widerstellen) ist nicht zulässig in Malefizsachen für Delinquenten, wenn das [Seite: 687] Delikt mit einer Leibesstrafe bedroht ist (Walther XI 3/1)55.
2) Die Bestimmung des gemeinen Rechts, daß ein Ehegatte seiner Frau wegen des Heiratsguts keinen Bürgen stellen dürfe (Cod. Just. V 20)56, gilt in Osterreich nicht (Walther XI, 3/2; Beckmann, Idea juris S. 156).
3) Entgegen dem gemeinen Recht können sich Soldaten nach allgemeinem Landsbrauch verbürgen57.
4) Walther XI, 3/4 berichtet, daß einige Landleute ihren Untertanen nicht gestatten, ohne ihr Wissen und ihre Bewilligung sich für den Untertanen eines anderen Herrn zu verbürgen. Falls sich ein Untertan ohne ihre Bewilligung verbürgt, gewähren sie dem Gläubiger keine "Außrichtung" (Rechtsschutz, Vollstreckung) gegen ihren Untertanen. Da dies aber kein gemeiner Landsbrauch ist, vertritt Walther die Ansicht, daß ein jeder Landmann dem Gläubiger Außrichtung zu tun schuldig sei58.
5) Als Gestellungsbürge (Bürge auf Widerstellen) wird nur angenommen, wer dem Gericht unterworfen ist oder sich hinsichtlich der Bürgschaft dem Gericht unterwirft (Walther XI 3/5). [Seite: 688]
6) Das Senatus Consultum Vellejanum und die Authentica Si qua mulier59 haben auch in Österreich Geltung erlangt60. Frauen können "sich der weiblichen Freyheiten nach genuegsamer Erinderung derselben gänzlich verzigen und begeben" (Walther XI, 3/3). Der Verzicht einer Frau auf die Rechtswohltat des S.C. Vellejanum muß certioriert werden. Nach der Exekutionsordnung für Österreich unter der Enns vom a. 1655, 10. Titel, § 6 (Codex Austriacus 1, p. 307) müssen Frauen vor dem Verzicht durch zwei Rechtsgelehrte oder sonstige rechtskundige, adelige Männer und Zeugsfertiger an ihre Freiheiten erinnert werden61. Kaiser Josef I. verfügte mit Patent vom 15.10.1710 (Codex Austriacus Suppl. Bd. 1, p. 616 ff.), daß die "Certiorirung der Weiber" in allen landesfürstlichen Städten und Märkten in Österreich unter und ob der Enns (ausgenommen die Stadt Wien) in der Weise erfolgen solle, daß die Frauen mit einem oder zwei Beiständen vor dem Richter und Rat der Stadt oder des Marktes persönlich erscheinen und vom Rat ihrer weiblichen Freiheiten, des S.C. Vellejanum und Ehefrauen zugleich der Authentica Si qua mulier, eingehend erinnert und certioriert werden. Der Verzicht erfolgt schriftlich mittels einer Urkunde, die von den Rechtsgelehrten bzw. dem Magistrat als Zeugen unterschrieben wird62 [Seite: 689]
k) Die österreichischen Weistümer enthalten eine Reihe bürgschaftsrechtlicher Bestimmungen. Diese Bestimmungen lassen sich, wie a.a.O. S. 364 dargelegt hat, im wesentlichen in drei Gruppen einteilen : 1) Anordnungen, welche eine Bürgensetzung gebieten oder verbieten (vgl. o. j 4)); 2) Festlegungen des Grundsatzes, daß eine Gefangennahme eines Übeltäters nicht vorgenommen werden dürfe, wenn er geeignete Bürgen setzt (vgl. aber o. j) 1) und 3) Regelungen innerer Fragen des Bürgschaftsverhältnisses63.
III. Theil, cap. VIII des Codex Theresianus handelt "Von Bürgschaften". Die Bürgschaft wird definiert als eine verbindliche Handlung, "wodurch Jemand eine fremde Schuld zu mehrerer Sicherheit des Glaubigers dergestalten auf sich nimmt, daß zugleich der Hauptschuldner verbunden bleibe" (num. 2).
Die Bürgschaft ist ein akzessorisches Recht, sie setzt eine fremde Schuld voraus (n. 4, vgl. n. 43). Der Hauptschuldner [Seite: 690] bleibt verbunden; übernimmt jemand eine fremde Schuld in der Weise, daß er sich zum "freiwilligen Selbstschuldner" macht, so ist das keine Bürgschaft, sondern eine "Uebernehmung der Schuld" (n. 5; vgl. Cod. Ther. III. Th., cap. XXIII).
Die Bürgschaften werden entweder bei Gericht oder außergerichtlich geleistet. Jene, welche vor Gericht geleistet werden, heißen "Fürstand" (n. 7).
Der Cod. Ther. unterscheidet Hauptbürgen, Rückbürgen und Schadlosbürgen (n. 8, vgl.n. 64)65 Der Hauptbürge haftet dem Gläubiger, wenn dieser vom Selbstschuldner nicht befriedigt wird (n. 8; 65). Der Rückbürge haftet dem Hauptbürgen für dessen Ansprüche gegen den Schuldner (n. 9; 66). Ein Schadlosbürge haftet dem Hauptbürgen nur für den Fall, daß dieser die Forderungen vom Selbstschuldner und vom Hauptbürgen nicht eintreiben kann; der Schadlosbürge kann erst nach gerichtlicher Belangung des Schuldners und des Hauptbürgen herangezogen werden (n. 10; 66). Diese verschiedenen Arten von Bürgen entsprechen dem gemeinen Recht66.
Cap. VIII, § 2 behandelt die Fähigkeit zur Bürgschaft. Soldaten können nur dann eine Bürgschaft übernehmen, wenn sie außer ihrem Sold sonstiges Vermögen besitzen (n. 14)67. Für Frauen gilt weiterhin das S.C. Vellejanum; ein Verzicht auf diese Rechtswohltat ist nach "Erinnerung der weiblichen Gerechtigkeit" vor Gericht möglich (n. 16-38)68
Cap. VIII, § 4 behandelt die Form. Num. 49: "Die Bürgschaft kann entweder mündlich oder schriftlich, oder auch durch Zeichen, welche die Einwilligung auszudrucken hinlänglich sind, geleistet werden, wann nur die Worte oder Zeichen die [Seite: 691] ungezweiflete Willensmeinung sich als Bürgen für jemand Anderen zu verbinden klar und verständlich andeuten."69 Num. 55 unterscheidet zwischen der persönlichen Bürgschaft, wobei der Bürge mit seiner Person haftet, und der "sächlichen oder Realverbürgung", d.i. der Verpfändung von Fahrnis oder Liegenschaften.
Verpfändung der Ehre und "Verstrickungen zum Einlager, zur Leistung, oder zur Geiselschaft sind bei Strafe der Nichtigkeit der Handlung gänzlich eingestellet und verboten" (n. 61)70.
Werden mehrere Bürgen bestellt, so haftet, wenn nichts anderes vereinbart ist, jeder nur für seinen Anteil; wenn sie sich aber "sammt und sonders, oder Einer für Alle und Alle für Einen" verbunden haben, haftet jeder für die ganze Schuld (n. 62; vgl. n. 99: das beneficium divisionis wird nur gewährt, wenn die Bürgen "ohne gesammter und ungetheilter Hand" gutstehen). Ein Mitbürge, der mehr geleistet hat, als auf ihn entfällt, hat das Recht der "Erholung an den Mitbürgen" (n. 101, 102; vgl. § 1359 ABGB).
Nach dem Cod. Ther. hat der Bürge kein beneficium ordinis; der Codex folgt hierin dem Recht in Böhmen71, das insoweit mit dem Landesbrauch in Österreich unter und ob der Enns übereinstimmt (vgl. o. II d.). Der Gläubiger hat, wenn neben der Bürgschaft kein Pfandrecht besteht, zunächst den Hauptbürgen zu belangen (n. 73; ebenso noch Entwurf Horten III c. 8, § 38). Wenn der Schuldner vor dem Bürgen belangt wird, so wird dadurch der Hauptbürge von der Bürgschaft befreit (Cod. Ther. III cap. VIII, n. 74; Entwurf Horten III c. 8, § 39). [Seite: 692] Diese Regelung entspricht völlig dem altösterreichischen Landesbrauch (s.o. II d). Subsidiär ist nur die Haftung des Schadlosbürgen (n. 76; 98).
Der Schuldner ist dem Bürgen für alles, was dieser dem Gläubiger geleistet hat, rückverbindlich. Der Regreßanspruch beruht auf dem Grundsatz der "natürlichen Billigkeit" (n. 82; 106 ; Entwurf Horten III c. 8, § 51). Das beneficium cedendarum actionum hat nur in den Fällen eine Bedeutung, wo dem Gläubiger entweder vom Schuldner oder von den Mitbürgen Pfänder übergeben worden sind oder eine Hypothek bestellt worden ist; in solchen Fällen braucht der Bürge nicht leisten, bevor ihm nicht die Pfänder ausgefolgt oder die Hypothek abgetreten worden ist (n. 104).
Der Bürge kann in gewissen Fällen vom Gläubiger oder vom Schuldner Befreiung von der Bürgschaft verlangen (n. 107-116)72
Cod. Ther. cap. VIII § 8 behandelt die Erlöschensgründe der Bürgschaft.
Das Bürgschaftsrecht des Codex Theresianus und des Entwurfs Horten enthält noch eine Reihe deutschrechtlicher Grundsätze, so die primäre Haftung des Bürgen, die Befreiung des Bürgen, wenn der Gläubiger zuerst auf den Schuldner greift, den von rechtswegen eintretenden Regreßanspruch des Bürgen gegen den Schuldner, die Haftung der Mitbürgen zu gesamter Hand bei besonderer Vereinbarung.
Nach dem Entwurf Martini (III. Th., 15. Hptst. § 20) hingegen hat der Bürge die Einrede der Vorausklage73 ; § 22 sieht bei Bezahlung der Schuld eines anderen eine cessio legis vor74. [Seite: 693]
Das constitutum debiti alieni spielt im rezipierten Recht keine Rolle, da seine Formfreiheit keine Besonderheit darstellt75.