Für die Erlaubnis, diesen Text zu digitalisieren und ins Netz zu stellen, danke ich Frau Edith Putzer, der Witwe des 2015 verstorbenen Professors Peter Putzer, sehr herzlich. Es wird dies nicht nur ein Dienst an der Wissenschaft sein, sondern ebenso ein Dienst an dem Gedenken an den Wissenschaftler Peter Putzer, dessen Beitrag zur Salzburger Landesordnung von 1526 nur denjenigen zugänglich war, die die Textedition von Franz Spechtler in die Hand genommen haben. Mit der Publikation im Internet ist dieser Text weltweit unentgeltlich und zu jeder Zeit zugänglich.
Heino Speer
Klagenfurt am Wörthersee, im Mai 2017.
Die Rechtsquelle, die den Gegenstand dieser Edition bildet, wird seit eh und je als "Salzburger Landesordnung" bezeichnet, ohne daß es auf Grund quellenkritischer, rechtsgeschichtlicher Erwägungen zu dieser Namensgebung gekommen wäre.1 Dies zu betonen ist unerläßlich, da durch die eigenartigen Umstände der Entstehung dieses Textes eine authentische Benennung aus dem Kodifikationsvorgang nur mittelbar ableitbar ist. Bei unserem Text handelt es sich nämlich um einen nie sanktionierten und publizierten Entwurf, der allerdings eine gewohnheitsrechtliche Geltung erlangen konnte.
Wenn es im Anschluß an die nachfolgenden Überlegungen weiterhin und zu Recht bei der seit jeher verwendeten Bezeichnung "Salzburger Landesordnung" bleiben kann, soll das etwas einläßlicher ausgeführt werden. Zugleich werden dabei Aspekte und Möglichkeiten für eine intensivere Bearbeitung der LO durch die Rechtshistorie angedeutet, da bisher an dieser Quelle, abgesehen von ihrer relativ oberflächlichen Erwähnung, weitgehend vorbeigesehen wurde. Das, obwohl gerade dieser nur Entwurf gebliebene Text das [Seite: 88*] einzige Zeugnis von Kodifikationsvorhaben im Erzstift Salzburg während der Neuzeit darstellt: War es nämlich 1526 wenigstens bis zu dem ausgearbeiteten Entwurf einer LO gekommen, der hier mit einigen wesentlichen, damit unmittelbar in Zusammenhang stehenden Rechtsquellen ediert wird, so verlief das zweite Kodifikationsprojekt völlig ergebnislos im Sande: Als 1620 E[rz]B[ischof] Paris Lodron unter dem Druck der allgemeinen Zeitumstände nach seiner Wahl die seit 1592 de facto aufgelöste Landschaft wiedererrichtete, sagte er in der Fundationsurkunde u.a. die Ausarbeitung einer Landes- und Polizeiordnung im Zusammenwirken mit landständischen Vertretern zu. Von allen in der Landschaftsfundation erwähnten Vorhaben sollte dann aber gerade dieses völlig unausgeführt bleiben, womit festzuhalten ist, daß 1620 ein letztes Mal in der Salzburger Geschichte von einem bodenständigen Kodifikationsvorhaben im Typ einer "Landes- und (oder) Polizeiordnung" die Rede war.2 Die weitere Rechtsentwicklung erfolgte durch eine Vielzahl von Einzelgesetzen und Ordnungen, die erkennbar den ständisch-fürstlichen Dualismus verlassen haben, da sie jetzt ausschließlich "von landesfürstlicher Macht wegen" ergehen.3
So betrachtet, kommt der hier edierten LO in mehrfacher Hinsicht besonderer Stellenwert zu. Sowohl dem Inhalt als auch dem vorgesehenen Gesetzgebungsverfahren nach bezeichnet diese Rechtsquelle eine typische Übergangsphase an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit. Als einziges Dokument der neuzeitlichen Bemühungen um eine umfassende Kodifikation im Erzstift Salzburg ist sie überdies in vorzüglicher Weise geeignet, Aufschlüsse über die Tendenzen der lokalen Rechtsentwicklung zu geben. Trotz aller Mängel im formellen Gesetzgebungsverfahren erscheint [Seite: 89*] daher ihre Bewertung als LO voll gerechtfertigt, was nachstehend ausgeführt werden soll.
"Von der Wissenschaft wurde und wird LO vor allem als Bezeichnung frühneuzeitlicher Rechtsquellen verwendet, doch ohne daß dabei ein Konsens über deren Charakter erzielt wäre” führt W.Brauneder aus.4 Teils werden darunter die neuzeitlichen Landrechte verstanden, teils Rechtsquellen mit mehr öffentlich-rechtlichem Einschlag, teils auch solche, die einen entschiedenen Gegensatz zu den Landrechten bilden, wie die umfangreichen Polizeiordnungen. Für Österreich wurden als LO speziell jene landesfürstlichen Gesetze bezeichnet, die vor allem "eine Grenzberichtigung der Geltungssphären des heimischen Gewohnheitsrechtes und der eingedrungenen fremden Rechte anstrebten".5 Auch P. Blickle6 legt dem Terminus LO keinen eindeutigen Begriffsinhalt zugrunde, wenn er darunter für die Neuzeit Landesgesetze schlechterdings (478), die "Form der Landesverfassung" (75, 134 f.), auch Polizeiordnungen (547), sowie an anderen Stellen dazu im Widerspruch stehende gesetzgeberische Akte versteht.
Die schwankende und mehrdeutige Verwendung des Terminus LO geht auf die Quellen selbst zurück, da sich als LO Gesetze mit unterschiedlichem landesfürstlichen oder ständischem Einfluß genauso bezeichnen wie auch solche für kleinere lokale Bereiche. Letztlich tragen auch Landesdefensionalordnungen genauso wie einzelne sachlich begrenzte Landesgesetze — wie der österr."Tractatus de juribus incorporalibus" — diese Bezeichnung. Fast könnte durch dieses Sprachenbabel die Ansicht entstehen, daß der Begriff LO willkürlich verwendbar sei und keine spezifische Aussagekraft habe. Diese scheinbare Wirrnis mußte [Seite: 90*] allerdings dadurch entstehen, daß höchst selten die als LO bezeichneten Rechtsquellen auf ihren jeweiligen Inhalt untersucht wurden. Ohne Gegenüberstellung des durch eine derartige inhaltliche Analyse gewonnenen Charakters einer Rechtsquelle mit ihrer selbstgewählten oder ihr zu irgendeinem Zeitpunkt gegebenen Bezeichnung ist eine schärfere begriffliche Fassung nicht zu gewinnen. Aus diesen Überlegungen folgert Brauneder: "Landesordnungen im spezifischen Sinn sind Gesetzeswerke, die das Recht des neuzeitlichen Territorialstaates in einer möglichst alle Rechtsgebiete umfassenden Kompilation festhalten wollen, wobei aber keine vollständige Regelung der einzelnen Teilgebiete angestrebt wird, sondern eher nur die Klarstellung besonders wichtiger oder aktueller Fragen ....... Es tritt darin das Bemühen des werdenden modernen Staates zutage, sich zu strukturieren".7
Demnach finden wir als Inhalte von LO Verfassungsrecht, Straf- und Strafprozeßrecht, Zivil- und Zivilprozeßrecht, wie auch Gewerberecht und Verwaltungsrecht in ausgedehntestem Sinne; mithin die zahlreichen Vorschriften "guet ordentlich wesen und policeyen betreffendt". Durch ihren wichtigeren und weitergespannten sachlichen Gehalt heben sich die LO von anderen zeitgenössischen Rechtsquellen erkennbar ab. Die in ihnen enthaltenen Materien sind zudem weitgehend davon bestimmt, ob neben den LO noch weitere Rechtsquellen bestehen wie Landrechte, die sich meist auf Zivil- und Zivilprozeß beschränken, Halsgerichts-, Malefiz- oder Landgerichtsordnungen, in denen wir materielles und formelles Strafrecht antreffen, aber auch das Polizeirecht, das Regelungen von meist öffentlichem Interesse zum Gegenstand hat. Dabei sind die Grenzen der LO gerade zu den Polizeiordnungen am ehesten unscharf, der Bestand [Seite: 91*] der einen schließt nicht den der anderen aus. Simultaner Bestand beider Quellen ist genauso möglich wie die Verbindung zum Mischtyp einer "Landes- und Polizeiordnung".8
Wenn die LO meist auch legislatorische Vorhaben aus dem Mittelalter fortsetzen und oft an Vorläufer aus dieser Zeit anknüpfen, bezeichnen sie gemeinsam mit den Polizeiordnungen in der Geschichte der Gesetzgebung den Beginn einer neuen Zeit: Das "Zeitalter des Gebotsrechts" hat mit ihnen begonnen.9 In den dualistisch verfaßten Territorien äußert sich der landesfürstliche Absolutismus in immer stärkerem Maße dadurch, daß er die Landstände aus der Gesetzgebung verdrängt. Damit einher geht das Schwinden der Vorstellung, daß das Recht als eine vorgegebene und nicht machbare Ordnung unabhängig vom Wollen der Rechtsgenossen bestehe; am längsten kann sich diese Auffassung vom Wesen des Rechtes noch beim Landrecht erhalten. Die LO dagegen als Manifestationen der Vorstellung von einer "konstituierbaren und disponiblen Rechtsordnung" (Brauneder) werden zum Wegbereiter des modernen Gesetzesstaates und des neuzeitlichen Positivismus.
Schon eine informative Durchsicht der Inhalte der edierten LO läßt ohne jeden Zweifel erkennen, daß der Mischtyp einer Landes- und Polizeiordnung im oberwähnten Sinn vorliegt. Zu dieser Erkennntnis gelangen wir auch aus dem wenigen, was uns über die Entstehung unseres Textes bekannt ist. Seiner rechtsgeschichtlichen Interpretation steht nämlich besonders erschwerend entgegen, daß es sich bei unserer LO nur um einen Entwurf handelt. Obwohl formell nie in Geltung gesetzt, ist die LO von 1526 in zahlreichen — bisher 11 bekannten — Handschriften übereinstimmenden Inhaltes erhalten. Dieser Umstand in [Seite: 92*] Verbindung mit anderen Tatsachen läßt darauf schließen, daß sie trotz des formalen Mangels eines nicht zum Abschluß gelangten Gesetzgebungsverfahrens eine gesetzesgleiche Geltung und beträchtliche Verbreitung erfahren hat. Gedruckt wurde die LO dagegen nie; diese Edition macht sie erstmals — von der möglichen Benutzung einer der Handschriften abgesehen — zugänglich.
Aus dem wenigen, das uns über die Umstände ihrer Entstehung bekannt ist, und aus dem Textvergleich der 11 HS ergibt sich kurz skizziert das folgende, für die Rechtsgeschichte bedeutsame mögliche Bild:
Von der HS A kann angenommen werden, daß es sich dabei um die Leithandschrift, um den Entwurf der LO durch den mutmaßlichen Verfasser, gehandelt hat. Die übrigen uns bekannten HS sind demnach Abschriften des Erstexemplares; über die näheren Umstände der Entstehung dieser Kopien sind wir nicht informiert. Inhaltlich stimmen alle HS überein; nur ist bei zweien der eigentlichen LO eine zusätzliche "Fürkaufordnung" angefügt, von der wir durch einen hinzugesetzten Vermerk wissen, daß es sich dabei nur um eine vorläufige Ergänzung des Textes der LO gehandelt hat. Die Annahme, daß HS A das Manuskript des Verfassers gewesen sein dürfte, wird dadurch untermauert, daß hier ein Inhaltsverzeichnis fehlt, dagegen 10v und 10r unbeschrieben blieben. Außerdem schließt dieser Text mit dem Vermerk "Enndt der Lanndes Ordnung durch D. Auer". Auf diesen Mann wird im folgenden noch zu kommen sein.
Eine bedeutsame Unterlage für eine rechtsgeschichtliche Bewertung der LO fehlt dadurch, daß das Kodifikationsverfahren abgebrochen worden ist, so daß die normative Geltung nur "per consuetudinem" eingetreten ist; ein Schicksal, das sie allerdings mit anderen namhaften [Seite: 93*] Rechtsquellen der Neuzeit teilt.10 Uns fehlen deshalb jedenfalls außer dem archivalischen Niederschlag, in den Landtagsakten z.B., vor allem "grundsätzliche und frühe Äußerungen über die Legislative im Lande", wie sie die "Vorred" zum Landrechts-Entwurf für Niederösterreich aus dem selben Jahre 1526, wie sie aber auch im Bereich des Salzburger Rechtes die Vorrede und die Schlußpassagen in der Salzburger Stadtordnung von 1524 enthalten.11 Da es sich bei unserem Text nur um einen Entwurf handelte, unterblieben diese wahrscheinlich der Endredaktion vorbehaltenen und bei der Unruhe der Entstehungszeit politisch äußerst sensiblen Formulierungen vorderhand.
Beim Fehlen eines mit Erfolg zum Abschluß gebrachten Gesetzgebungsverfahrens kann die rechtsgeschichtliche Beschäftigung mit der Salzburger LO nicht auf einer offenliegenden Kodifikationsgeschichte aufbauen, sondern muß vielmehr als eine Analyse des in ihr enthaltenen Rechtsgutes durchgeführt werden. Die näheren sozial- und geistesgeschichtlichen Umstände ihrer Entstehung — vor allem ihre Verbindungen zum Bauernkriegsgeschehen — werden im Rahmen dieser Edition an anderer Stelle von Heinz Dopsch abgehandelt. Auf Einzelheiten der Entstehungsgeschichte soll hier nur in einem bescheidenen Ausmaß, soweit es für rechtshistorische Zielsetzungen erforderlich scheint, eingegangen werden.
Wenn die LO von 1526 nur in Verbindung mit dem Phänomen der Bauernkriege gesehen werden kann, dann muß nachdrücklich darauf verwiesen werden, daß unübersehbar auch Mißstände im Bereich der Rechtspflege mit ein Grund für die Unzufriedenheit der Bauern waren, was ein Blick in die Forderungen der Aufständischen belegen kann.12 [Seite: 94*]
In den Verhandlungen zur Beilegung der Unruhen des Jahres 1525 spielte daher die Zusage des Landesfürsten, EB Matthäus Lang, eine allgemeine LO zu erlassen, in deren Rahmen er die drückendsten Mißstände beizulegen versprach, eine bedeutsame Rolle.
Im Vertrag vom 31.8. wurde das festgehalten und der EB berief auch für die Fastenzeit des Folgejahres einen Landtag zur Neuordnung der Landesangelegenheiten ein. Darunter stand an bevorzugter Stelle die Redaktion einer allgemeinen LO. Im Landtagsabschied vom 31.3.1526 wird ein kleiner, "... aus verständigen Landsassen bestehender Ausschuss verordnet, welcher mit den erzbischöflichen Räthen, worunter auch Landleute sein müssen, die Gebräuche im Lande, die Landbriefe, Landsöffnungen, Ehehaften, Rügungen und andere Particularordnungen, wie auch die Landordnungen der anstossenden Fürstenthümer vor sich nehmen, daraus eine passende Landsordnung verfassen und solche dem Erzbischof vorlegen soll. Die Landsordnung wird sodann auf einem gemeinen Landtage, den der Erzbischof ungefähr bis Pfingsten ausschreiben wird, geprüfet und nach Gebühr aufgerichtet werden”.13 Zu dieser "Prüfung und Aufrichtung" sollte es aber nicht mehr kommen. Die neuerlichen Unruhen im Lande führten nicht bloß zu einem Ruhen, sondern auf lange Sicht zu einem gänzlichen Scheitern des Kodifikationsprojektes.
Für unsere weiteren Überlegungen höchst bedeutsam sind dagegen zwei Verordnungen von November 1526, die — beide gedruckt — erkennbar zur Befriedigung der tagespolitisch vordringlichsten Bedürfnisse gedacht waren, darüberhinaus aber ..."biß zu auffrichtung der neuen Lanndsordnung in vnnserm Stifft vnd Lannde vesstigklich [Seite: 95*] gehallten werden" ... sollen.14
Dem "Manndat der Beswärung der Vnderthanen in Stifft Saltzburg" vom 20.11.1526 entnehmen wir, daß während der Fastenzeit dieses Jahres das Projekt für ..."ain löbliche, gleichmässige gute Landsordnung vnd Pollicey" ...zwischen Landesfürst und Ständen vereinbart worden war, wozu es wegen der neuerlichen Unruhen nicht mehr gekommen sei. Bei dem inzwischen zu Martini (11.Nov.) abgehaltenen Landtag nach der Niederwerfung der Aufständischen sei zwar dieses Vorhaben wieder zur Sprache gekommen, bis zu seinem Abschluß sollten aber die vordringlichsten Bedürfnisse durch die gegenständliche Verordnung befriedigt werden. Zugleich wurde in Aussicht genommen, die Regelungen auch in die auszuarbeitende LO aufzunehmen, wodurch wir erfahren, daß anscheinend zeitgleich neben diesen beiden Einzelverfügungen weiterhin am Entwurf einer vollständigen LO gearbeitet wurde.
In Bezug auf seinen Gehalt stellt sich das "Manndat" weitgehend als Vorläufer der späteren LO dar, wie überhaupt auffallend im Text des LO-Entwurfes geschlossene Partien aus den beiden Verordnungen vom November 1526 — zum Teil wörtlich — wiederkehren.
Zu Ende des "Manndats" sind einige wissenswerte Details über das damals verfolgte LO-Konzept anzutreffen: Dort lesen wir, daß die künftige LO neben "aym guten ordennlichen Lanndsrechten" noch Gerichtsprozeß, eine Fürkaufsordnung sowie "annderer guter Pollicey" enthalten solle. Besonders interessant ist jener Passus, in dem sich Matthäus Lang vorbehält, die Artikel des Mandats im Bedarfsfall ..."allzeyt zu myndern, zu meren vnd zu mässigen". Und wenn der Landesfürst zu Ende die strikte Einhaltung bei Vermeidung "swären vngnad vnd straff" [Seite: 96*] gebietet, so erinnert das insgesamt an die Gegebenheiten beim Erlaß der Stadt- und Polizeiordnung für Salzburg von 1524: Der landesfürstliche Absolutismus hat mit Matthäus Lang in Salzburg den entscheidenden Durchbruch15 vollziehen können, der — worauf noch zu kommen sein wird — nicht unwesentlich dazu beigetragen hat, daß diese LO nie über das Entwurfsstadium hinaus gediehen ist.
Dem Mandat folgte am 26.11. eine weitere "Ordnung den Frid jm Stifft vnnd Land Saltzburg zuhandthaben vnd Empörung vnd aufstand zufürkomen" — überwiegend polizeilichen Inhalts und darauf angelegt, durch Entwaffnung der Bevölkerung, strenge Aufsicht etc. weitere Erhebungen der Landbevölkerung auszuschließen. Die einzelnen Bestimmungen dieser Ordnung sind gleichfalls zu einem guten Teil in die LO übernommen worden. Wie schon beim Mandat finden wir auch hier die bestimmende Position des Landesfürsten beim Erlaß dieser Ordnung, ..."die auch sein Fürstlich gnad Ir vnd Iren nachkomen zumynndern vnnd zumeren oder gar abzethun hyemit genntzlich vorbehelt". Von der noch im "Manndat" in Aussicht genommenen, allgemeinen, auf einem Landtag zu beschließenden LO lesen wir in der "Ordnung den Frid ..." nur mehr, daß zufolge der Unruhen "...solh Ordnung zu khainer Execution vnd volziehung gebracht ..." werden konnte.
Obwohl sich die weitere Regierungszeit des EB Matthäus Lang durch eine überaus umfangreiche Gesetzgebungstätigkeit16 auszeichnet, wird unter ihm das LO-Projekt nicht mehr weiter verfolgt. Dafür mag bestimmend gewesen sein, daß das Verlangen nach der Abfassung einer LO in Salzburg nie ein landesfürstliches, sondern immer ein ständisches Postulat gewesen ist. Da aber die Erlassung einer allgemein verbindlichen und damit auch den [Seite: 97*] Landesfürsten selbst bindenden LO erkennbar gegen die Interessen des sich gerade etablierenden fürstlichen Absolutismus wirken mußte, kamen von dieser Seite keine weiteren Impulse mehr.17 Vielmehr beginnt mit Matthäus Lang unübersehbar auch in Salzburg das schon eingangs erwähnte "Zeitalter des Gebotsrechtes", in dem der Landesfürst erfolgreich die Landstände aus der Gesetzgebung abzudrängen vermochte.
In dem dieser Edition zugrundeliegenden Text kann zweifellos jener Entwurf einer LO erkannt werden, an dem unmittelbar nach der Niederlage der Aufständischen noch gearbeitet wurde, an dessen Gesetzwerdung aber bald kein Interesse von seiten des nun das politische Leben allein beherrschenden Landesfürsten mehr bestand: Die unbedingt erforderlichen gesetzgeberischen Maßnahmen waren ja in Form der beiden Verordnungen vom November 1526 erfolgt. Außerdem begann der Entwurf der LO zwischenzeitlich die von ihm schon berichtete gewohnheitsrechtliche Geltung zu erlangen, was leicht verständlich ist, wo doch weite Partien der LO mit dem Inhalt der beiden Verordnungen ident sind, so daß hier die LO kein neues Recht schuf — nicht zuletzt gründet das aber in der Persönlichkeit und der Leistung des mutmaßlichen Verfassers.
Eine Vielzahl von Vermutungen läßt als Redaktor der LO einen Dr. Leonhard Auer annehmen, der 1526 noch als Landrichter in der Gastein nachweisbar ist. Diesen Dr. Auer finden wir auch auf dem Landtag von 1525 — es liegt nahe, daß man den Landrichter, dessen Sprengel einer der Hauptunruheherde des Bauernaufstandes war und in dem sich die Knappen den aufrührerischen Bauern angeschlossen hatten, zum Landtag einberufen hat. "Die Folgerung, daß dieser [Seite: 98*] mit den Bedürfnissen der Zeit und den Zuständen im Lande wohlvertraute Mann dem Ausschüsse zur Entwerfung einer Landesordnung angehört, dass er dann sogar bei der Landesregierung selbst verwendet, dass er sowohl das "Manndat der Beswärungen", die "Ordnung den Frid", ja, dass er die Landesordnung ebenfalls verfasst habe, ist nun eine so naheliegende, dass an der Autorschaft des Dr. Leonhard Auers kaum zu zweifeln sein dürfte".18 Bis zum Beweis des Gegenteils kann diesen Widmann'schen Überlegungen gefolgt werden. Wieweit nähere Informationen über die Person dieses Dr. Auer — seine Studien, allfällige Verwendungen in anderen Diensten etc. auch Aufschlüsse hinsichtlich des in der LO enthaltenen Rechtsgutes geben könnten, muß vorderhand dahingestellt bleiben.
Dem Rechtshistoriker wird sich überdies die LO weniger durch eine weitere Aufhellung ihrer Entstehung und durch weitere Informationen über ihren Verfasser, als vielmehr durch eine inhaltliche Analyse erschließen.
Bei der relativen Unergiebigkeit einer Einlassung im Bereich formaler Kriterien — Entstehungsgeschichte, Verfasser usw. — muß die für die Rechtsgeschichte alles entscheidende Frage sein, ob und inwieweit die LO als ein Dokument des Rechtes im Fluße seiner Entwicklung aufgefaßt werden kann. Daß das für die LO ohne jeden Zweifel zutrifft ergibt sowohl der Rechtsvergleich, der die in der LO erkennbaren Tendenzen und Trends als im höchsten Ausmaß typisch für die sozialen Umbrüche ihrer Entstehungszeit macht, als auch die Stellung dieser Rechtsquelle vor dem Hintergrund der spezifischen Salzburgischen Verhältnisse.
Wenn schon zu Anfang unserer Überlegungen bei der Frage [Seite: 99*] nach der typenmäßigen Zuordnung die LO als dem Typus einer Landes- und Polizeiordnung entsprechend eingestuft wurde, findet das formal eine Bestätigung durch die im "Manndat" angeführten Zielsetzungen der Abfassung einer "Landsordnung und Pollicey". Inhaltlich muß, dem somit gegebenen Mischtypus entsprechend, Normengut landrechtlichen und polizeirechtlichen Charakters vorzufinden sein. Daß das auch zutrifft, sei vorgreifend schon an dieser Stelle festgehalten.
Es kann nicht Aufgabe einer rechtshistorischen Einführung zu einer Edition sein, die Ergebnisse von einläßlichen inhaltlichen Analysen vorwegzunehmen. Die hier veranstaltete Edition will aber bewußt als eine Voraussetzung für derartige Bearbeitungen der LO und der beiden sie begleitenden Verordnungen verstanden werden. Das kann rechtfertigen, daß schon in dieser Einführung versucht wird, einzelne Möglichkeiten des Ansatzes solcher rechtshistorischen Analysen anzudeuten. Dabei entspricht die Edition der vollständigen Texte dem wiederholt geäußerten Wunsch nach derartigen Editionen und bildet erkennbar einen Gegensatz zu jenen Teileditionen von Rechtstexten, die in der Regel unter einem einschränkenden Gesichtspunkt veranstaltet werden.19.
Die Anordnung und Darstellung der rechtlichen Gehalte der LO zeugt von einem, wenn auch im Vergleich zu anderen Landes- und Polizeiordnungen nur von mäßigem Erfolg begleiteten Bemühen um Systematik. Der Text der hier edierten LO enthält die in allen 11 HS idente, eigentliche LO; zusätzlich aber auch die bei nur 2 HS anzutreffende Fürkauf-Ordnung.
Formal gliedert sich die eigentliche LO in 9 sehr [Seite: 100*] ungleiche, ihrerseits wiederum in kleinere Abschnitte unterteilte Kapitel.20
Als I. Kapitel finden wir, wie schon bei der sogen. LO des EB Friedrich von 1328, die besonderen Gebote "Die Geistlichkait betreffendt", wobei es erkennbar um die Abstellung von Mißständen geht, die zur religiösen und sozialen Unruhe der Zeit beigetragen haben und auf die auch schon das Mandat eingegangen war.
Das II. Kapitel vereinigt eine Vielzahl "Von erhaltung friedens vnnd Rechtens" dienender Vorschriften, die insgesamt die Wahrung des Landfriedens zum Gegenstand haben. Dieses Bemühen um den Landfrieden setzt gewiß die für die Salzburger Rechtsentwicklung typische und schon mehrfach festgestellte Weiterbildung des Rechtes aus den Traditionen der bayrischen Landfrieden heraus fort.21 Unübersehbar ist aber der gerade zu Ende gegangene Bauernkrieg konkreter Anlaß für eine Vielzahl in die LO eingeflossener Bestimmungen, wie Vorschriften gegen den Waffengebrauch, gegen landschädliche Leute wie Landstreicher, Bettler, Zigeuner u.ä. und Verbrecher überhaupt. Der polizeiliche Geist dieser Normen ist unverkennbar. An die Spitze dieses Kapitels finden wir Landfriedensvorschriften des Reiches gestellt, was keinen Einzelfall bildet.22 Wenn dagegen die Artikel des Eides, den 1525 die Bauern dem EB und dem Schwäbischen Bund leisten mußten, nachfolgen, mit dessen Hilfe der EB letztlich den bewaffneten Aufruhr von 1526 brechen konnte, sind wir wieder im Bereich der spezifischen Salzburger Gegebenheiten.
Kapitel III normiert das Verhältnis der Obrigkeit zu den Untertanen. Der Wirkungskreis der weltlichen Obrigkeit, vor allem im Bereich der Gerichtsbarkeit, wird [Seite: 101*] geregelt. Hier begegnet auch als geschlossene Materie die Aufzählung der 39 Malefizfälle, die dem Landeshauptmann als oberstem Strafrichter vorbehalten sind; textgleich mit minimalen Abweichungen als "Ordnung der Hauptmannschaft" 1533 gesondert herausgegeben. Im Anschluß daran werden die Pflichten der Obrigkeit gegenüber den Untertanen festgehalten und folgen eine Vielzahl sittenpolizeilicher Verfügungen, wie Verbote von Spiel, Gelagen, der Errichtung neuer Wirtshäuser u.a.23
Das IV. Kapitel behandelt gewisse Materien des Schuldrechtes, wobei die pfandrechtlichen Bestimmungen erkennbar im Vordergrund stehen.
Im relativ kurzen Kapitel V werden die personen- und vermögensrechtlichen Wirkungen der Ehe dargestellt, wobei es sich zwar um ein vortridentinisches Eherecht handelt, das aber schon vom Kampf gegen die Unordnung im Bereich des ehelichen Lebens zeugt.
Kapitel VI enthält Erb- und Verwandtschaftsrecht. Dabei ist das Ausmaß der Romanisierung sowohl terminologisch als auch materiell unübersehbar; gerade hier scheint reichlich Material für eine rezeptionsgeschichtliche Untersuchung vorzuliegen.
Für Kapitel VII trifft gleiches zu, wenn das dort geregelte Vormundschaftsrecht mehrfach von gemeinrechtlichen Konzeptionen gestaltet ist.
Im VIII. Kapitel werden die Rechte der Grundherrn und ihrer Hintersassen in aller Ausführlichkeit dargestellt, wobei Bestimmungen des "Manndats" zum Teil wörtlich wiederkehren.
Auch Kapitel IX und seine zahlreichen "Polizeivorschriften" [Seite: 102*],, die Landwirtschafts-, Weg-, Wasser-, Forst-, Jagd- und Fischereiwesen erfassen, sind gleichfalls ident mit Geboten aus dem "Manndat".
Im Anschluß an den Text der eigentlichen LO findet sich bei zwei HS eine Reihe von Vorschriften polizeilicher Art; an den Anfang gestellt begegnet eine Fürkaufordnung, auf deren Unvollständigkeit eine Randnotiz verweist. Ausführlicher dagegen sind jene gewerberechtlichen Vorschriften, die eine umfassende Lohnordnung enthalten. Marktpolizeiliche Vorschriften, eine Verordnung zur Erhaltung der lateinischen Schulen und ein generelles Luxusverbot lassen starke Parallelen zum zeitgenössischen Recht Tirols und Bayerns erkennen; im Bemühen um die Guten Sitten wird als letzter Artikel der LO der letzte Absatz des "Manndat" übernommen: "Die Sunden vnd Lasster zuvermeiden".
Bevor wir den Versuch einer Beurteilung des hier im globalen Überblick vorgeführten rechtlichen Gehaltes der LO unternehmen, bevor wir auch auf mögliche Aspekte einer intensiveren rechtsgeschichtlichen Bearbeitung verweisen, soll überprüft werden, wieweit der fertiggestellte Entwurf den Vorstellungen entspricht, wie sie für dieses Kodifikationsvorhaben vor allem aus den beiden Verordnungen vom November 1526 erkennbar sind, wie sie aber auch der Rechtsvergleich mit dem Recht benachbarter Territorien, dessen Heranziehung ja vorgesehen war, ergänzend liefert. Wenn demnach den Inhalt der LO vor allem Landrecht, Prozeßrecht, Fürkaufsrecht und Gute Polizei hätten bilden sollen, dann ist das Vorhaben nur unvollkommen verwirklicht worden.:
Prozeßrecht fehlt völlig (wieweit dieser Umstand mit der in der Wiener HS enthaltenen Vorrede in Gedichtform, [Seite: 103*] die eigentlich eine Prozeßordnung darstellt, in Verbindung zu setzen ist, muß einem späteren Klärungsversuch Vorbehalten bleiben24, die Fürkaufsordnung ist nur in 2 von 11 HS, und auch dort nur als Provisorium anzutreffen. Im Gegensatz zu LO und LO-Entwürfen anderer Territorien fehlen Normen lehensrechtlichen Inhaltes in unserer LO zur Gänze25; auch der verfassungsrechtliche Gehalt ist minimal.26
Das in der LO vorfindliche Rechtsgut stellt demnach in seiner großen Masse entweder Landrecht (Privat- und Strafrecht) oder Polizeirecht dar. Unsere bereits anfangs aufgestellte Behauptung, daß die Salzburger LO dem Mischtypus einer Landes- und Polizeiordnung entspräche, wird demnach schlüssig belegt. Diesen Mischtypus findet man im Bereich aller Kapitel, innerhalb derer wir Vorschriften privat- und polizeirechtlicher Struktur gemischt antreffen; nur das Strafrecht wurde, wie schon ausgeführt, in Kapitel III konzentriert. Die Folge ist eine "... nur erst teilweise durch Hoheitsakte bestimmte Rechtsordnung..." (Brauneder).27
Damit ist auch eine zentrale Fragestellung angezogen — die Frage, wieweit die LO, in der sich Polizei- und Landrecht durchkreuzen und im Zusammenwirken das soziale Leben gestalten, ein der Wirklichkeit entsprechendes Abbild wiedergibt. Dafür spricht vieles — nicht zuletzt auch der erkennbare Standard der Gesetzgebungskunst — diese LO enthält kein Recht von Gelehrten für Gelehrte; eine Kluft zwischen Recht und Volk ist hier nicht aufgerissen!28
Der Mischtypus einer Landes- und Polizeiordnung ist im Bereich der Legislative charakteristisch für den verfassungsrechtlichen Strukturwandel in den Territorien der frühen Neuzeit; Das Vordringen des Polizeirechtes ist ein [Seite: 104*] Indikator für die zum Absolutismus aufsteigende landesfürstliche Gewalt. Der aufgeklärte Absolutismus wird später — ihm verdanken wir die großen Kodifikationen — überhaupt keine rechtserzeugende Quellen neben sich dulden! Die Landes- und Polizeiordnungen der frühen Neuzeit bezeichnen dabei Etappen der schrittweisen Vergrößerung der landesfürstlichen Position im Bereich der Gesetzgebung. War im Mittelalter die schriftliche Fixierung des "Landsbrauches”, des Landrechtes gewohnheitsrechtlicher Herkunft, nur in den durch die landständische Verfassung vorgezeichneten Bahnen, durch das Zusammenwirken von Landesfürst und Ständen möglich, so erfolgt jetzt die Beiziehung der Stände zunehmend nur mehr fakultativ und beratend. Beim reinen Polizeirecht wird sie letztlich ganz unterbleiben.29
Im Bereich der Gesetzgebung der frühen Neuzeit beobachten wir den Dualismus von Land- und Polizeirecht, für den unsere LO in jeder Weise typisch ist. Bezogen auf das Verhältnis von Polizei- und Privatrecht schreibt dazu Schmelzeisen: "Es ist manchmal schwer auszumachen, ob man ein Landrecht mit polizeirechtlichen oder eine Polizeiordnung mit privatrechtlichen Einsprengseln hat".30 Da auch unsere LO — die in Kapitel III enthaltenen 39 Malefizfälle abgezogen, die 1533 überdies gesondert als Hautpmannschaftsordnung publiziert wurden — somit erkennbar auf der Spannung zwischen Privat- und Polizeirecht aufbaut, soll dieses Spannungsverhältnis etwas ausgeleuchtet werden.
Diese Spannung scheint durch die strukturelle Verschiedenheit der Ordnungen des Privat- und des Polizeirechtes grundgelegt, löst sich aber durch deren funktionelles Ineinandergreifen bei der Gestaltung der sozialen Wirklichkeit auf.31 Ist für die Privatrechtsordnung das genossenschaftliche [Seite: 105*] Prinzip konstituierend und hat es eine Anspruchsordnung zur Folge, so ist das Polizeirecht herrschaftliches Recht, eine Pflichtenordnung. Dem unentwickelten Rechtsdenken des ausgehenden MA ist die prinzipielle Spannung zwischen diesen beiden Ordnungsprinzipien noch nicht zugänglich, wonach die mit der Wende zur Neuzeit vermehrt einsetzende gesetzgeberische Tätigkeit keine Berechtigungen, sondern Pflichten schafft: Die "Polizei" wird eine "planende, organisierende, pflichtenbegründende Rechtsgestaltung" — das Polizeirecht "... eine soziale Mißstände ("Landesgebrechen" d.V.) beseitigende, reglementierende und Pflichten begründende Ordnung ..." , wobei "... die polizeiliche Norm .... unmittelbar aus den Gegebenheiten mit Bezug auf die zutage getretenen Bedürfnisse und die von ihnen erforderten Mittel gewonnen ..." wird.32 Das insgesamt sind Probleme, die für das Privatrecht nicht bestehen und denen es seiner Anlage nach auch gar nicht gewachsen wäre.
Der etwas künstliche Gegensatz von Privat- und Polizeirecht löst sich allerdings auf, wenn man auch die Privatrechtsordnung insofern als eine Pflichtenordnung erkennt, daß der Berechtigung als dem Bezugspunkt im System der subjektiven Rechte eine Pflicht entspricht, die bei absoluten Rechten jedem Nichtberechtigten, bei relativen dem Verpflichteten obliegt.
An den Schluß unserer mehr als allgemeinen Überlegungen über die Struktur des in der LO enthaltenen Rechtsgutes sowie dieser rechtshistorischen Einführung überhaupt sollen einige jener erkennbaren Ansätze für detaillierte Untersuchungen gestellt werden, deren Durchführung auf der Basis der vorliegenden Edition lohnend erscheint: [Seite: 106*]
Eine quantifizierende Erhebung des Verhältnisses von Landrecht und Polizeirecht in der LO könnte die Schmelzeisen'sche Frage beantworten, wieweit hier "... ein Landrecht mit polizeirechtlichen oder eine Polizeiordnung mit landrechtlichen Einsprengseln ..." vorliegt; vieles spricht eher für das zweite.
Auch das Ausmaß der Romanisierung und allfällige Einflüsse der gemeinrechtlichen Doktrin (letztere scheinen beim völligen Fehlen von Alligaten kaum erweislich), die LO also als Indikator für den Romanisierungsprozeß, wäre ein verfolgbarer Aspekt einer Auseinandersetzung mit dem Rechtsgut der LO — und zugleich mit ein Beitrag zur Rezeptionsgeschichte. Damit verbinden würde sich eine Sichtbarmachung jener Sozialbereiche, die sich ihre deutschrechtliche Struktur beibehalten konnten. Es wäre nämlich eine irrige Annahme, davon auszugehen, daß Gesetzgebungsprojekte dieser Zeit reine Neuschöpfungen darstellen. Vielmehr können sie in beträchtlichen Partien ruhig als Rechtsaufzeichnungen aus der Praxis heraus verstanden werden. Letzteres macht die oft bloß gewohnheitsrechtliche Geltung solcher Entwürfe leichter verständlich: Sie schaffen ja nicht neues Recht, sondern zeichnen geltendes, wenn auch modifiziert, auf. Die bei Wesener angeführten Passagen aus einem Bericht von 1836 "... über die Entstehung und Rechtsgiltigkeit der obderenserischen Landtafel ..." (Entwurf von 1609) können treffend auch für unsere LO übernommen werden: "... sie bestand als Gewohnheitsrecht so wie sie selbst nur aus der Zusammenstellung der Landesgewohnheiten entstanden ist, sie mußte als solche gelten, weil ein anderes nicht vorhanden war, und doch Recht gesprochen werden mußte ..."33
Auch die Frage, wieweit neben dem Recht der LO noch [Seite: 107*] anderes Recht galt, wieweit also die LO nur subsidiäre Geltung hatte — altem Landrecht wie auch dem gemeinen Recht gegenüber — müßte noch geklärt werden; vielleicht hilft sie ein Blick in das Weistumsrecht beantworten?34
Bei all dem ist aber zu bemerken, daß die LO nur den Erkenntniswert einer Momentaufnahme vermitteln kann; beim fast völligen Fehlen von Arbeiten zur Geschichte des Salzburger Rechtes sind Urteile über den Fortgang der Rechtsentwicklung vorderhand nur behutsam zu fällen. Bei aller Vorsicht vor verfrühten Wertungen ist in der hier edierten Rechtsquelle ein die Gesetzgebung der frühen Neuzeit maßgeblich prägender Wesenszug klar erkennbar: Die Erfassung immer weiterer, bisher von gesetzlichen Regelungen frei gebliebener Bereiche der sozialen Existenz des Menschen. Dadurch erweiterte sich, gleichsam durch die Pflicht eines christlichen Regenten zu Gott verantwortlicher Obsorge für das Allgemeinwohl legitimiert, die uneingeschränkte Gesetzgebungskompetenz des Landesfürstentums.35 Für diese Entwicklung, durch die Vielzahl der Eingriffe in bisher ungeregelte Bereiche des menschlichen Lebens, wie sie die Vorschriften gegen Putzsucht, Unmäßigkeit, Kleiderordnungen etc. darstellen, ist die Salzburger Landesordnung von 1526 schlechterdings typisch. [Seite: 108*]