Quelle: Grete Mecenseffy, Geschichte des Protestantismus in Österreich. Hermann Böhlaus Nachfolger / Graz-Köln 1956. Digitalisiert mit Hilfe eines OCR-Programms (Optical Character Recognition) durch Heino Speer; mit an die Vorgaben der TEI angelehntem Markup versehen und in HTML transformiert durch Heino Speer.
Ziel dieser Transkription ist nicht allein die Verfügbarkeit des Werkes im Internet, sondern die Verknüpfung der hierin zitierten Quellen und Sekundärliteratur mit eventuell bereits vorhandenen Digitalisaten. Über eine bloße Image- oder Volltextdigitalisierung hinaus sollte hierdurch eine Möglichkeit der Erzeugung digitalen Mehrwertes bei der Digitalisierung wissenschaftlicher Literatur aufgezeigt werden.
Dabei ist diese Verlinkung vorläufig eine Arbeit mit "open end", da Vieles noch nicht digitalisiert ist. Und nicht immer ist die Verlinkung auf die zitierte Seite selbst gerichtet, sondern häufig auch — aus arbeitsökonomischen Gründen — nur auf die Titelseite, so dass der Benutzer selbst zu der betreffenden Seite finden muss. Auch das, denke ich, ist aber ein erheblicher Fortschritt im Vergleich zu der bisherigen Notwendigkeit, eine gut ausgestattete Bibliothek aufsuchen zu müssen, um diesen Text einsehen zu können. Und immerhin wird in absehbarer Zeit die komplette Reihe der Jahrbücher der Gesellschaft für die Geschichte des Protestantismus in Österreich im digitalen Angebot der Österreichischen Nationalbibliothek verfügbar sein. Die entsprechenden Verlinkungen (etwa 90 Zitate) werden zu gegebener Zeit nachgetragen werden. Insgesamt konnten etwa 370 Zitierungen mit Links auf digital vorliegende Werke versehen werden.
Das von der Autorin gefertigte Register ist hier nicht integriert — schließlich kann das Werk über eine Volltextsuche durchsucht werden. Es wird aber in Bälde als Teil eines Experiments verfügbar sein, in dem die in den Registern der Werke von Raupach (1741), Wiedemann (1879 - 1886) und Mecenseffy genannten Personen als Vorstufe für eine protestantische Prosopographie zusammengeführt werden. Jede Nennung ist dann mit einem Link auf die jeweilige Textseite verbunden.
Rechtliches: Grete Mecenseffy ist 1985 im Alter von 87 Jahren kinderlos gestorben. Nachforschungen nach etwaigen Erben blieben ergebnislos. Obwohl die urheberrechtliche Schutzfrist von 70 Jahren nach Ableben der Rechteinhaberin noch nicht abgelaufen ist, schien es doch vertretbar, diese digitale Transkription angesichts der Wichtigkeit des Werkes vorab ins Netz zu stellen. Sollten sich Erben melden, die hiermit nicht einverstanden sind, wird der Text unverzüglich aus dem Repertorium entfernt werden.
Eine gewisse Präsumtion für die Zustimmung der Autorin zu einer digitalen Verbreitung ihres Werkes erschließt sich mir aus folgendem Satz ihrer Einleitung:
"So möge denn das Büchlein, zu dessen Abfassung mir Gott Kraft und Mut geschenkt hat, seinen Weg in die Öffentlichkeit nehmen als Zeuge des Bekenntnisses zu einem Glauben, für den viele der Besten Gut und Leben gaben und dem unsere ganze Kraft zu weihen auch heute nicht vergeblich erscheint."
Heino Speer, Klagenfurt am Wörthersee im November 2015.
Einführung | 1 |
I. Die staats- und kirchenrechtliche Stellung Österreichs | 3 |
II. Die kirchlichen und religiösen Verhältnisse | 6 |
III. Die Anfänge der Reformation in Österreich | 8 |
. Allgemeines | 8 |
2. Wien und Niederösterreich | 9 |
3. Oberösterreich | 11 |
4. Steiermark und Kärnten | 14 |
5. Tirol, Vorarlberg und Salzburg | 15 |
6. Das Burgenland | 18 |
IV. Erste Gegenmaßnahmen der Regierung | 20 |
V. Von der Confessio Augustana zum Augsburger Religionsfrieden | 27 |
VI. Das österreichische Täufertum | 35 |
VII. Vom Augsburger Religionsfrieden zur Religionskonzession | 44 |
VIII. Die Hohe Zeit des österreichischen Protestantismus | 50 |
1. Religionskonzession und Assekuration | 50 |
2. Die steirische Religionspazifikation 1572-1578 | 61 |
3. Vorgänge in Tirol und Vorarlberg | 66 |
4. Verhältnisse im Burgenland | 68 |
IX. Die Anfänge der rückläufigen Bewegung | 71 |
1. Vorbemerkung | 71 |
2. Gegenreformation in Innerösterreich | 71 |
3. Die unter Rudolf II. einsetzende Religionsreformation in Niederösterreich | 82 |
4. Erster Vorstoß der Gegenreförmation in Oberösterreich | 89 |
a) Bauernkrieg und Rekatholisierung | (89) |
b) Die "Reformation" der landesfürstlichen Städte | (96) |
X. Die Gegenreformation in den Nachbargebieten | 109 |
1. Im übrigen Deutschland | 109 |
2. Die Lage in Ungarn und der Friede von Wien | 113 |
XI. Der Bruderzwist und seine Folgen für das evangelische Bekenntnis in Österreich | 123 |
1. Der Vertrag von Lieben | 123 |
2. Der Kampf um die Erbhuldigung | 127 |
XII. Böhmen und Österreich im Kampfe um die religiöse Freiheit | 134 |
1. Der Majestätsbrief | 134 |
2. Die Gleichberechtigung der Städte | 135 |
XIII. Die zweite Blüte des österreichischen Protestantismus | 140 |
XIV. Der Dreißigjährige Krieg | 149 |
1. Der Auftakt | 149 |
2. Die Auswirkung des Krieges auf die österreichischen Länder | 161 |
a) Der Aufstieg der kaiserlichen Macht (161) | 161 |
b) Die habsburgische Macht im Abstieg. (174) | 174 |
XV. Vom Dreißigjährigen Kriege zum Toleranzpatent | 186 |
1. Der Geheimprotestantismus in den Erbländern | 186 |
2. Die Austreibung der salzburgischen Geheimprotestanten | 190 |
3. Die Transmigration | 198 |
XVI. Die rechtliche Stellung der evangelischen Kirche in Österreich vom Ende des 18. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts | 208 |
1. Vom Toleranzpatent zur Konkordatspolitik | 208 |
2. Das Protestantenpatent und die weitere Entwicklung | 214 |
Allgemeines Schrifttum und Nachschlagewerke | 225 |
Personenverzeichnis | 226 |
ABGB. Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch
AKOG. Archiv für Kunde öster-
reichischer Geschichts-
quellen
AÖG. Archiv für österreichische
Geschichte
A und K Akten und Korrespondenzen
Ber. Bericht
BGBl. Bundesgesetzblatt
Bll. Blätter
FRA. Fontes Rerum Austriacarum
F. Folge
Ges. Gesellschaft
HZ. Historische Zeitschrift
JB. Jahrbuch
JBGPÖ. Jahrbuch der Gesellschaft für die Geschichte des Protestantismus in Österreich
JBer. Jahresbericht
LA. Landesarchiv
Mitt, Mitteilungen
MIÖG. Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung
N. F. Neue Folge
N.Ö. Niederösterreich, niederösterreichisch
oJ. ohne Jahr
OKR. Oberkirchenrat
O.Ö. Oberösterreich, oberösterreichisch
PRE. Realenzyklopädie für die protestantische Theologie und Kirche
RGBl. Reichsgesetzblatt
RGG. Religion in Geschichte und Gegenwart
SBer. Sitzungsberichte
Ver. Verein
Vjs. Vierteljahrsschrift
W.A. Weimarer Ausgabe der Werke Luthers
ZKG. Zeitschrift für Kirchengeschichte
Zs. Zeitschrift
[Seite VII]
Das vorliegende Buch entstand aus meiner Beschäftigung mit der Geschichte der Reformation in Österreich und aus meinen Vorlesungen über die Geschichte der Gegenreformation. Nachdem ich die ersten archivalischen Vorarbeiten 1948 in Oberösterreich begonnen, ist es in verhältnismäßig kurzer Zeit im Laufe der letzten zwei Jahre niedergeschrieben worden. Es ist für einen weitgespannten Leserkreis gedacht: für jeden, der an der Geschichte unseres Landes Anteil nimmt; für den, der sich der Kirchengeschichte besonders verpflichtet weiß; für die Evangelischen Österreichs, die erfahren möchten und erfahren sollen, wie es gewesen ist; insbesondere für Studenten, Religionslehrer und Pfarrer. Es soll ein bescheidener Ersatz sein für das umfangreiche, seinerzeit sehr verdienstvolle Werk von Georg Loesche, "Geschichte des Protestantismus im vormaligen und im neuen Österreich". Anders als Loesche beschränkte ich mich auf das heutige Österreich, in das auch das Burgenland eingeschlossen ist. Der zweite Unterschied gegenüber Loesche ist die Anlage in Quer-, statt in Längsschnitten. Der Leser mag entscheiden, ob dies für die Kenntnis der einzelnen Epochen und Länder ein Vor- oder Nachteil ist. Das letzte Kapitel unterscheidet sich inhaltlich von den übrigen. Eine ausführliche Darstellung auch der inneren Entwicklung des Toleranzprotestantismus und der Zeit nach 1861 hätte den in Aussicht genommenen Raum bei weitem überschritten. Deshalb habe ich mich auf die Skizzierung nur einer Seite des kirchlichen Lebens, der rechtlichen, beschränkt, die bei Abschluß der Arbeit am Buch, im November 1955 zur Zeit der Synode, besonders zur Debatte stand. Namen wie Tobias Kießling und Martin Boos wird man aus diesem Grund vergeblich suchen.
Ein Vorzug des Buches mag in der Zusammenstellung der Literatur am Ende jedes Kapitels erblickt werden. In diesen Literaturübersichten wäre es nicht möglich gewesen, eine lückenlose Zusammenfassung des gesamten Schrifttums zu bieten, so wurden auch unter anderem nicht alle einschlägigen Aufsätze aus den Jahrbüchern der Gesellschaft für die Geschichte des Protestantismus in Österreich aufgenommen, ohne den Umfang zu sehr anschwellen zu lassen. So aber hoffe ich, dem Benützer eine brauchbare Hilfe zu weiterem Studium an die Hand gegeben zu haben. Ungedruckte Dissertationen wurden nur in den Anmerkungen genannt, wo auch Spezialliteratur verzeichnet ist. Die in den Zusammenfassungen an den Kapitelenden angeführten Werke sind in den Anmerkungen nur in Kurzform zitiert. Eine Übersicht des allgemeinen Schrifttums und der Nachschlagewerke ist am Ende des Buches zu finden. [Seite VIII]
Für die Förderung meiner Arbeit habe ich in erster Linie den Leitern und der Beamtenschaft des Oberösterreichischen Landesarchivs in Linz zu danken, den Herren Hofräten Dr. I. Zibermayr, Dr. E. Straßmayr, Dr. E. Trinks und Herrn Hofrat Dr. A. Hoffmann, dem jetzigen Direktor; sie alle sind mir mit Rat und Tat beigestanden. Auch Herr Oberlehrer i. R. Georg Grüll war mir aus der Ferne stets ein nie versagender Mentor. Zu danken habe ich der Leitung und den Beamten des Haus-, Hof- und Staatsarchivs in Wien, Hofrat Dr. G. Rath, des Niederösterreichischen Landesarchivs, Hofrat Dr. K. Lechner, der Stadtarchive in Steyr, Wels und Regensburg, dem Administrator des Stiftes Lambach in Oberösterreich und Herrn Direktor Dr. M. Simon vom Landeskirchlichen Archiv in Nürnberg. Für manche Auskunft bin ich den Herren Karl Friedrich von Frank auf Schloß Senftenegg, Hofrat Dr. M. Doblinger in Aschach, Herrn Pfarrer W. Liebenwein in Innsbruck und Herrn Pfarrer B. H. Zimmermann in Graz verpflichtet.
Die Drucklegung der Arbeit wäre ohne einen großzügig gewährten Druckkostenzuschuß des Bundesministeriums für Unterricht nicht möglich gewesen, für den ich an dieser Stelle meinen wärmsten Dank ausspreche.
Ich kann dieses Vorwort nicht schließen, ohne Herrn Hofrat Doktor K. J. Mayr besonders herzlich zu danken für die erste Durchsicht des Manuskriptes, für viele wertvolle Hinweise und das Mitlesen der Korrekturen sowie dem Verlag Hermann Böhlaus Nachf. für die gewissenhafte Betreuung der Drucklegung.
So möge denn das Büchlein, zu dessen Abfassung mir Gott Kraft und Mut geschenkt hat, seinen Weg in die Öffentlichkeit nehmen als Zeuge des Bekenntnisses zu einem Glauben, für den viele der Besten Gut und Leben gaben und dem unsere ganze Kraft zu weihen auch heute nicht vergeblich erscheint.
Wien, im Frühjahr 1956.
Grete Mecenseffy [Seite 1]
Reformation nennen wir eine Teilerscheinung jenes gewaltigen Umbruches, der die abendländische Welt seit dem 13. Jahrhundert ergriffen hatte. Sie ist am sinnfälligsten in Erscheinung getreten, wirkt bis zum heutigen Tage nach und ist darum so bedeutsam, weil sie die Einheit jener Institution in Frage stellte, die das Abendland bis dahin zusammengeschlossen hatte: der Kirche. Ansätze zur Auflösung, merkbare Risse im Bau hatten sich seit langem fühlbar gemacht, die Sprengung aber vollzog ein Mann, von seinen Anhängern als Werkzeug Gottes gepriesen, von seinen Gegnern als Teufel gescholten, Martin Luther.
Für uns Österreicher ist entscheidend geworden, daß der Mönch Martin Luther in Deutschland lebte und wirkte, in jenem Deutschland, das die politische Gestaltung Westeuropas nicht mitgemacht hat, jene Zusammenfassung der nationalen Kräfte in einem geschlossenen Staate unter der Führung der Krone und unter Ausschaltung widerstrebender partikularer Gewalten, wie sich dies in Frankreich, England und Spanien vollzog. Italien und Deutschland, die Länder der europäischen Mitte, die Länder der Renaissance und der Reformation, haben an dieser Entwicklung im 15. Jahrhundert nicht teilgenommen; die beiden Nationen blieben zerrissen und aufgespalten in eine Fülle von Territorien, und in Deutschland wurde diese Zerrissenheit und der Gegensatz von Reichsoberhaupt und Reichsständen gestützt und verschärft durch die Glaubensspaltung. Innerhalb der einzelnen deutschen Fürstentümer aber vollzog sich unaufhaltsam, was sich in größerem Rahmen in Frankreich und Spanien vollzogen hatte, die Umbildung des feudalen mittelalterlichen Staates zum absolut regierten Fürstentum. In diesem Kampfe zwischen Adel und Bürgertum einerseits, dem Landesherrn andrerseits prallten nicht nur die politischen Machtgegensätze aufeinander, sondern auch die religiösen Glaubensgegensätze, wenn Landesherr und Untertanen verschiedenen Bekenntnissen anhingen. Dies war in den österreichischen Erbländern der Fall, die einen Teil des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation bildeten. Ihre Entwicklung verläuft im Staatlichen, Kirchlichen, Wirtschaftlichen, Rechtlichen parallel mit der Entwicklung Deutschlands, und doch haben sie, als Hausmacht der Habsburger ein Ganzes bildend, eine Sonderentwicklung durchgemacht. Dieses Doppelgesicht Österreichs verkörpert in sinnfälliger Weise Kaiser Maximilian I.: Österreicher seiner Herkunft nach, dem Boden Tirols vor allem verhaftet, ständig bestrebt, seine Hausmacht zu mehren, suchte er doch im Gesamtreiche ein strafferes Regiment herzustellen, ohne daß ihm dies allerdings gelungen wäre. Seine politische Planung reichte weit über Deutschland [Seite 2] hinaus; im Westen durch seine Heirat mit Maria von Burgund und durch die Vermählung seines Sohnes Philipp mit der spanischen Infantin Johanna, im Osten durch die Vorbereitung des Anfalles der Sudeten- und Karpatenländer an sein Herrscherhaus. Das Ende seiner Regierung fällt zusammen mit dem Beginn der weittragenden religiösen Bewegung in Deutschland. Maximilian selbst ist als Renaissancefürst und aus politischen Gründen kein Freund des Papsttums gewesen. Hatte er doch den phantastischen Plan gefaßt, selbst Papst zu werden, um so die wahre Einheit des Abendlandes herzustellen. Ehe er seinem Enkel Karl von Spanien die Nachfolge im Reiche hatte sichern können, starb er unerwartet frühzeitig am 12. Jänner 1519 in Wels auf der Rückkehr von jenem schicksalschweren Reichstage zu Augsburg, "einem der romfeindlichsten, den es je gegeben"Einführung.1, auf dem es zum ersten schweren Zusammenstoß zwischen Luther und der Kurie gekommen war.
Für die Aufnahme der Botschaft Luthers war der Boden gut bereitet durch den immer stärker fortschreitenden sittlichen und geistlichen Verfall der römisch-katholischen KircheEinführung.2; glichen doch ihre Bischöfe und Erzbischöfe weltlichen Fürsten mehr als geistlichen Hirten und Seelsorgern, konnte die niedrige Geistlichkeit sich aus ihrer Armut und Unbildung nicht erheben, während die Gläubigen in großer Sehnsucht nach dem ewigen Heil dieses nach der, mindestens in der Praxis gröblich verschobenen Lehre der Kirche in der Häufung von guten Werken zu erlangen trachteten, die in der Stiftung von Altären und Meßgeräten, in der Sammlung von Reliquien und in Wallfahrten ihren Ausdruck fand. Dennoch wurde man des Heiles nicht gewiß. So mancher zweifelte an der Gnade Gottes wie der fastende, sich geißelnde, mit Gott im Gebete ringende Mönch im Kloster zu Erfurt. Dieser fand das erlösende Wort, daß nicht das Werk, sondern der durch Gottes Gnade geschenkte Glaube den Menschen vor Gott rechtfertige, und er verkündete die frohe Botschaft seinen Mitmenschen.
Vornehmste Aufgabe des neuen jungen Kaisers, des trotz des französischen Gegenspielers gewählten und gekrönten Habsburgers Karl V., wurde es, die kirchlichen und religiösen Verhältnisse in Deutschland zu ordnen. An dieser Aufgabe ist er dadurch gescheitert, daß er sich mit dem Papsttum zur Vernichtung der "Ketzerei" verbündete. Dieser Gegensatz zwischen römisch-katholischem Oberhaupt und evangelischen Untertanen, wie er sich im Römischen Reiche Deutscher Nation herausbildete, fand seine Entsprechung in den österreichischen Erbländern, die demselben Kaiser und seinem Bruder Ferdinand gehörten; dieser Gegensatz wurde zum Schicksal des österreichischen Protestantismus, dessen Geschichte wir uns nun zuwenden wollen. [Seite 3]
Keimzelle der österreichischen Länder war die karolingische, dann ottonische Ostmark, die 976 den Babenbergern verliehen und 1156 zum Herzogtum erhoben wurde, im wesentlichen das heutige Niederösterreich, damals Österreich unter der Enns. 1192 wurde die Steiermark damit vereinigt, und dadurch wurde auch der Traungau, das Kernland Oberösterreichs, babenbergisch. Doch blieb die Stellung des "Landls", Österreichs ob der Enns, dauernd ungeklärt und strittig. War es ein eigenes Herzogtum oder bloß ein Anhängsel Niederösterreichs? Die Zeitgenossen waren sich darüber nicht im klaren, manche hielten es für einen Teil Bayerns. Als Kaiser Maximilian I. in Wels gestorben war, fragte der Verfasser der Grabinschrift bei Konrad Peutinger, dem humanistisch gebildeten Stadtschreiber von Augsburg, an, ob Wels in Bayern oder Österreich liege. Der gelehrte Humanist erwiderte, er dürfe es weder dem einen noch dem anderen zuweisen, sondern müsse schreiben: apud Anasanam Welsam, beim Ennsischen Wels1.1. Ferdinand I. wollte Österreich ob der Enns nicht als eigenes Herzogtum, sondern als Markgrafschaft in seinem großen Titel führen. Die Stände des Landes erreichten im Jahre 1565, daß sie auf dem Schlosse zu Linz dem neuen Herrscher Maximilian II. getrennt von den anderen huldigen durften. Diese Selbständigkeitsbestrebungen fielen zusammen mit dem Höhepunkte der Reformation und der evangelischen Zeit Oberösterreichs, dessen Führer die Adeligen des Landes und die Patrizier in den Städten waren.
Den beiden Österreich war im Jahre 1335 Kärnten, 1363 Tirol angeschlossen worden. Nicht vergessen werden darf der Rest des schweizerisch-oberdeutschen Herrschaftsgebietes der Habsburger in Schwaben (Breisgau) und dem Elsaß, Vorderösterreich genannt, das der Regierung in Innsbruck unterstand1.2. Wir wollen bemerken, daß Salzburg als ein Erzbistum des Reiches damals nicht zu den Erbländern gehörte, wohl aber hat es als kirchliche Obrigkeit eine bedeutsame Rolle gespielt.
Diese Ländermasse hatte keine einheitliche Verwaltung. Maximilians I. Versuch, Zentralbehörden zu schaffen, einen Hofrat als oberstes Gericht, die Hofkammer als oberste Finanzbehörde, ist über [Seite 4] die ersten Ansätze nicht hinausgekommen. Erst Ferdinand I. baute im Zuge der Umwandlung des Feudalstaates in einen Beamtenstaat diese Behörden planmäßig aus. Durch die Länderteilung nach seinem Tode wurde aber diese Vereinheitlichung wieder zunichte gemacht. Die einzelnen Ländergruppen hatten ihre Regierungen in den Landeshauptstädten: Österreich ob und unter der Enns in Wien; Tirol, Vorarlberg und die Vorlande in Innsbruck; Innerösterreich (Steiermark, Kärnten, Krain) in Graz. An der Spitze jedes Landes stand der Landeshauptmann; gemeinsam mit den auf dem Landtag vertretenen Ständen regierte er das Land, d. h. er sorgte für die Aufrechterhaltung der Ruhe im Innern und den Schutz nach außen durch Einhebung von Steuern und das Aufgebot von Soldaten, war aber in seinen Entscheidungen immer an die Weisung der kaiserlichen Regierung in Wien oder zu Kaiser Rudolfs II. Zeiten in Prag gebunden. Die Stände waren vierfach gegliedert, in die Geistlichkeit, den hohen Adel, die Herren und den niederen Adel, die Ritter und die Vertreter der Städte als vierter Stand; in Tirol hatten auch die Bauern Sitz und Stimme auf den Landtagen. Im Laufe der religiösen Kämpfe stieg die Macht der Stände bedeutend, bis sie zu Beginn des 17. Jahrhunderts ihren Höhepunkt erreichte. Nie darf man vergessen, daß der durch die Einrichtung des Beamtenstaates nach absoluter Macht strebende Fürst die Gewalt der ständischen Gegenspieler, die vermöge ihrer großen Grundherrschaften fast das gesamte Land inne hatten, brechen mußte, wenn er wirklich alleiniger Herr im Lande sein wollte. Der Umstand, daß in Österreich der überwiegende Teil der Stände sich zu einer anderen Religion bekannte als der Landesherr, verschärfte den Gegensatz; mit dem politischen Sieg des Fürsten verschwand das Bekenntnis des nun zur Ohnmacht verurteilten Adels. Dem Landesherrn unmittelbar unterstellt war das sogenannte Kammergut, z. B. das Salzkammergut, die landesfürstlichen Herrschaften und die landesfürstlichen Städte. Die Pfarren zerfielen in landesfürstliche, grundherrschaftliche und geistliche. Die kirchliche Oberhoheit lag hauptsächlich bei dem Hochstift Salzburg und dem ihm unterstellten Suffraganbistum Passau.
Österreich ob und unter der Enns gehörte größtenteils zur Passauer Diözese; Salzburg hatte hier nur geringen Anteil, doch um so größeren in Steiermark, Kärnten und Tirol (Untersteier, Oberkärnten, Friesach und Defreggental); dem Bistume Freising unterstanden in Niederösterreich Waidhofen a. d. Ybbs, in Steiermark Ober- und Niederwölz im Murtal. Bamberg hatte große Besitzungen in Kärnten (Villach, Wolfsberg und Arnoldstein). Von den niederösterreichischen Bistümern waren Wien und Wiener Neustadt kraftlose Schöpfungen Friedrichs III., Seckau, Lavant und Gurk waren Suffraganbistümer Salzburgs und erstreckten dessen Geltungsbereich bis an die Drau, während südlich dieses Flusses der Sprengel des Patriarchates von Aquileja begann, dem die Bistümer Trient und Laibach unterstellt waren. Tirol fiel zum großen Teil in den Bereich des Bistums Brixen, nordtirolische Orte, wie Rattenberg und Kitzbühel, gehörten zu Salzburg, der Vintschgau zum Bistum Chur. [Seite 5]
Da in den Schwierigkeiten, die sich aus dem Eindringen der lutherischen Lehre ergaben, die Kirche versagte, lag das Schwergewicht ihrer Bekämpfung beim Landesfürsten, dem der Zustand, daß der größte Teil des Landes "ausländischen" Kirchenfürsten unterstand, ein Dorn im Auge war. Besonders mit Passau gab es zur Zeit des Administrators Herzog Ernst von Bayern (1507-1540) immer wieder Reibungen; Nutznießer dieser Zwistigkeiten war der dem Kirchenfürsten aus Gründen des Bekenntnisses und infolge seiner Patronatsrechte Widerstand leistende Adel.
SCHRIFTTUM ZU 1.
H. Hantsch, Geschichte Österreichs, 2 Bde. 1. Bd. 3. Aufl. 1951, 2. Bd. 2. Aufl. 1953 — A. Huber, Geschichte Österreichs, 5 Bde. 1885-1896 Huber-Dopsch, Österreichische Reichsgeschichte, 1901 — Krones-Uhlirz, Österreichische Geschichte, 4 Bde. 2.-3. Aufl. 1915-1922 — A. v. Luschin, Handbuch der österreichischen Reichsgeschichte, 1. Bd. 2. Aufl. 1914, 2. Bd. 1896 — I. Zibermayr, Das Oberösterreichische Landesarchiv, 3. Aufl. 1950.
Das eben erwähnte Versagen der kirchlichen Stellen hatte seine Ursache in den schweren Verfallserscheinungen der römisch-katholischen Kirche, wie sie sich in ganz Europa, insbesondere in Deutschland, bemerkbar machten2.1. Der Verweltlichung der hohen Geistlichkeit, die sich in ihrem Aufzuge von den übrigen Fürsten kaum unterschied — hatte doch mancher Bischof keine Weihen empfangen und niemals Messe gelesen —, entsprach die Unbildung und moralische Verwahrlosung des niederen Klerus und der Klostergeistlichkeit. Sie konnte den Aufgaben, die ihr im Gottesdienst und Seelsorge gestellt waren, nicht mehr genügen; die infolge der zahlreichen Meßstiftungen im 14. und 15. Jahrhundert wachsende Pfarrgeistlichkeit war arm, wohl auch unwirtschaftlich und mußte sich nach neuen Einnahmsquellen umsehen; die Pfarrer beschwerten deshalb nicht nur die armen Leute mit ungebührlich hohen Stolgebühren bei Taufen, Hochzeiten und Begräbnissen — verweigerten sie doch sogar Begräbnisse, wenn die Gebühren nicht ordentlich bezahlt wurden, sprachen aber andrerseits gegen Geld auch ohne Beichte von Todsünden frei —, sondern sie verwandelten auch durch Bier- und Weinausschank die Pfarrhöfe vielfach in Tavernen zur großen Empörung der Gutsherrschaft, die sich geschädigt sah, und der Frommen, denen solches Treiben im Pfarrhofe höchlichst mißfiel. Heftige Klagen wurden wie auf dem Reichstage in Augsburg 1518 so auf dem gleichzeitig tagenden Ausschußlandtage der österreichischen Länder laut, den Maximilian zur Bewilligung der nötigen Geldmittel nach Innsbruck berufen hatte2.2.
Neben den Beschwerden über die Münzverschlechterung, über die großen Handelshäuser und Kaufleute, die den gesamten Handel des Landes in ihre Hand gebracht hatten und die Preise willkürlich bestimmten, neben der Forderung nach Bestrafung der Schwörer und Lästerer Gottes und seiner Heiligen durch die weltliche Obrigkeit finden wir auch Beschwerden gegen den Klerus, vor allem gegen die Klöster, die "Spitäler des Adels", deren Angehörige auch das liegende Gut von Vätern, Müttern und Verwandten zu erben streben, wo man doch wisse, daß aus dem Kloster nichts mehr herauskommt; dadurch werde der Besitz der toten Hand ständig vermehrt und die Basis der steuerzahlenden Schicht ständig verkleinert. Außerdem wurde geklagt gegen den Abbruch der Stiftungen, d. h. gegen die Vernachlässigung der gestifteten Messen, die kein Priester lese; die alten Stiftungen [Seite 7] gerieten in Verfall, die Kirche ziehe das Geld ein, ohne dafür etwas zu leisten, deshalb wurde die Anlage neuer Stiftungsbücher gefordert. Außerdem rügten die weltlichen Stände die Vernachlässigung der Residenzpflicht durch die Geistlichen, einen Übelstand, über den allgemein geklagt wurde. Inhaber mehrerer Pfarrstellen oder einträglicher Pfründen hielten in der Pfarre nur Vikare, die oft gänzlich ungeeignet waren. Auch forderten die Stände, daß die Pfarren keinen Fremden oder Courtisanen, das hieß Italienern, verliehen würden; Stifte und Klöster inkorporierten sich auch ständig Pfarren, was zur Verminderung der Gottesdienste beitrage und dem Adel bei Versorgung seiner Kinder schade. Aus allen Ländern ertönten dieselben Klagen, die Beschwerden häuften sich, und keiner war, der Abhilfe geschaffen hätte.
SCHRIFTTUM ZU II.
W. Andreas, Deutschland vor der Reformation, eine Zeitenwende, 5. Aufl. 1948 — F. Bezold, Die Geschichte der deutschen Reformation,1886 — K. Brandi, Deutsche Reformation und Gegenreformation, 2 Halbbde.: I. Die deutsche Reformation (1927), II. Gegenreformation und Religionskriege (1930); unveränderter Neudruck 1941. — Ders., Kaiser Karl V., 2 Bde. 3. Aufl. 1941 — P. Joachimsen, Das Zeitalter der Reformation. In: Propyläen-Weltgeschichte, 5. Bd. 1930; erw. Neudruck: Die Reformation als Epoche der deutschen Geschichte, 1951 — J. Lortz, Die Reformation in Deutschland, 2 Bde. 3. Aufl. 1949 — Ders., Reformation als religiöses Anliegen heute, 1948 — L. v. Ranke, Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation, 6 Bde. 1839-1847 — G. Ritter, Die Neugestaltung Europas im 16. Jahrhundert. Die kirchliche und staatliche Wandlung im Zeitalter der Reformation und der Glaubenskämpfe, 1950. — K. Schottenloher, Bibliographie zur deutschen Geschichte im Zeitalter der Glaubensspaltung, 6 Bde. 1933-1940. [Seite 8]
Das Eindringen der Lehre Luthers in Österreich kann man fast unmittelbar nach der Entscheidung auf dem Reichstage zu Worms feststellen. Der Boden war wohl vorbereitet und die Verbindung unserer Länder mit dem übrigen Deutschland sehr innig.
Adelige Herren ritten als Mitglieder von Gesandtschaften nach Spanien und den Niederlanden, kamen, wie Cyriak von Polheim, der 1521 Landeshauptmann in Oberösterreich wurde, zur Krönung Karls V. nach Aachen3.1, sie unterhielten Beziehungen zu den deutschen Fürstenhöfen, wie die Jörger zu Kursachsen3.2. Der sächsische Mönch und sein kühner Aufruf gegen Rom in der Schrift "An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung" (1520) waren in aller Munde.
Aber es war nicht nur der Adel, der mit der neuen Geistesrichtung in Berührung kam, es waren die österreichischen Bürger, die als Kaufleute nach Augsburg, Nürnberg und Breslau reisten, es waren die handeltreibenden Reichsstädter, die zu den Märkten nach Wien, Linz und Krems kamen und das neue Glaubensgut übermittelten. Die reichen Handelsbürger unserer Städte hatten auch die Ratssitze im Stadtregiment inne; je unfähiger die kirchlichen Behörden sich zeigten, unhaltbare Zustände zu wandeln, desto mehr fühlten sich die Patrizier für das kirchliche Leben der Städte verantwortlich. Es kamen in unser Land fremde Handwerksgesellen und Studenten, es kamen Buchführer und Geistliche, mit Luthers Lehre wohlvertraut, die sie Hoch und Niedrig predigten, dem Adel auf seinen Schlössern, den Bürgern, Bauern und Bergknappen allenthalben in den Kirchen in Stadt und Land. Aus der Schweiz strömte Zwinglisches Glaubensgut und die Lehre der Täufer besonders nach Tirol.
Wir wollen die Anfänge der Bewegung in den einzelnen österreichischen Ländern näher verfolgen und damit beginnen, wo die Abwehr eigentlich am kräftigsten hätte sein sollen, mit Wien und seiner Universität. [Seite 9]
Nach dem Tode Maximilians I. stand die Stadt Wien unter dem Einflusse jener Oppositionspartei, die dem neuen, fern in Spanien weilenden Landesherrn, dem jungen König Karl, die Huldigung vor der Bestätigung ihrer Rechte und Freiheiten versagte. Die treibende Kraft war der im Jahre 1520 zum Bürgermeister von Wien gewählte Martin Siebenbürger3.3. Als der neue Landesherr, der Bruder Karls, Erzherzog Ferdinand, vom Reichstage von Worms kommend, in seinen österreichischen Landen Einzug hielt, bestellte er das Strafgericht nach Wiener Neustadt, den Sitz der landesfürstlichen Regierung, die von den Ständen verächtlich behandelt worden war. Das Urteil war streng, Siebenbürger und fünf weitere Bürger Wiens büßten ihre Widersetzlichkeit mit dem Tode.
In jenen Jahren mußten die Behörden zur Lehre Luthers und zum Wormser Edikt Stellung nehmen. Die Universität, die zur Zeit Maximilians I., von diesem auf alle Weise gefördert und zur humanistischen Lehrstätte umgewandelt, eine Blütezeit durchmachte, als sie Conrad Celtis, Johann Cuspinian und Joachim Watt (Vadianus) aus St. Gallen in der Schweiz, der 1516 Rektor war, zu ihren Lehrern, Ulrich Zwingli und Konrad Grebel aus Zürich zu ihren Studenten zählte, war dem Geiste des Humanismus so sehr verfallen, daß sie es nicht mehr wagte, in Glaubensdingen ein Urteil abzugeben. Daß ihr Geist kaum mehr katholisch zu nennen war, verriet das Verhalten der Universität gegenüber der Bannandrohungsbulle "Exsurge Domine", die Johannes Eck Anfang November 1520 zur Veröffentlichung überschickt hatte. Die theologische Fakultät erklärte sich bereit, der Weisung gemäß zu handeln, doch der Rektor protestierte, da die Bulle an anderen Orten Deutschlands auch nicht publiziert sei und die Pariser Universität Luther auch noch nicht verdammt hätte3.4. Deshalb schob er die Sache auf. Erst auf nachdrücklichen Befehl Kaiser Karls wurde die Bulle im Jänner 1521 in Wien gedruckt und am Sonntag Invocavit in der Aula den versammelten Mitgliedern aller Fakultäten verkündet. Der Bischof von Wien, Georg von Slatkonia, der bis jetzt geschwiegen hatte, ließ sie erst am Sonntag Reminiscere von den Kanzeln verlesen. In den folgenden Jahren, als das Luthertum steigende Bedeutung gewann, sank die Universität zur Bedeutungslosigkeit hinab. Zählte sie 1519 noch 661 Studenten, so waren es 1526 kaum 100 und 1529 nur 303.5. Sie verfiel so vollständig, daß sie für die Söhne des Adels wie des Bürgertums keinen Anziehungspunkt bilden konnte und diese an andere deutsche Universitäten gingen, die dem neuen Geiste entsprachen: nach Wittenberg, Jena, Tübingen, Rostock. Das Fehlen einer landeseigenen evangelischen Universität mit entsprechender theologischer Fakultät war für die junge evangelische Kirche Österreichs ein großer Nachteil.
Nahm aber die Universität an dem neuen geistigen und religiösen Leben keinen Anteil, so fand es doch in der Bürgerschaft Wiens ein [Seite 10] lebhaftes Echo. Im Jahre 1521 erschien die erste reformatorische Schrift Vadians: "Ein Underscheyd zu erkennen den almechtigen got und wie die newen göter uff sind kommen kürtzlich begriffen", gedruckt in der Offizin von Hanns Singriener in der Weihburggasse3.6. 1522 predigte Paul Speratus im Stephansdom über Römer 12, 1: "Ich ermahne Euch nun, liebe Brüder, durch die Barmherzigkeit Gottes, daß Ihr Eure Leiber darbringt zum Opfer, daß da lebendig, heilig und Gott wohlgefällig sei." Er wetterte gegen die Klostergelübde und pries den ehelichen Stand. Dies war ein Thema, das bei Geistlichen und Laien Anklang fand. Die neue Lehre griff um sich. Der im Jahre 1523 als Nachfolger Slatkonias zum Bischof von Wien bestellte Johann von Revellis war wachsamer als sein Vorgänger. Er setzte einen Gerichtshof ein, vor dem sich der neuen Lehre zuneigende Geistliche und Laien verantworten mußten. So kam es zum Prozeß und zur Verurteilung des ersten Wiener Märtyrers für die Lehre der Rechtfertigung aus dem Glauben: Kaspar Tauber wurde am 17. September 1524 vor dem Stubentore zu Wier enthauptet, der entseelte Leib wurde verbrannt. Die Flammen seines Scheiterhaufens gaben der jungen Bewegung neue Nahrung. In Wien bekannte sich in der Folge ein bedeutsamer Prozentsatz der Bürgerschaft zu Luthers Lehre und in anderen Städten Niederösterreichs geschah dasselbe.
Freilich fließen die Quellen nicht überall reichlich und oft sind sie nur fallweise erschlossen. In St. Pölten können wir vielleicht in lästerlichen Äußerungen gegen die Jungfrau Maria im Jahre 1522 die ersten Regungen reformatorischen Geistes spüren. Im März wurde der Schuster Zumprecht eingesperrt und im Dezember traf es Philipp Hueter, bis auf den nächsten Ratstag bei Wasser und Brot zu schmachten, weil er die hochgelobte Jungfrau Maria als Vertreterin des menschlichen Geschlechtes so übel geschändet und gelästert3.7. Laien sind die Träger reformatorischer oder altevangelisch-sektiererischer Gedanken. Der Rat ist die strafende Behörde, die sowohl über Ausschreitungen bei Trunk und Spiel wie auch über die Lästerungen der göttlichen Personen zu wachen hatte. Die Stellung der weltlichen Behörde wird wichtig, wo die kirchliche zu versagen drohte. Dem Propste des Augustiner Chorherrenstiftes in St. Pölten gelang es nicht, die Fortschritte der Reformation einzudämmen.
Ungefähr um dieselbe Zeit hat sich die Predigt des Evangeliums in Waidhofen a. d. Ybbs durchgesetzt, das dem Hochstifte von Freising unterstand3.8. Dort ist es das Zusammenwirken von katholischen Pfarrern, die zum evangelischen Bekenntnis übertraten, und von einflußreichen Männern des Stadtrates, das die allgemeine Anerkennung der Lehre Luthers nach sich zog.
Im Hinblick auf den Bauernkrieg des Jahres 1525, dessen Wellen auch in die österreichischen Lande schlugen, können wir nicht zweifeln, [Seite 11] daß der Bauernstand die neue Lehre nicht nur kennenlernte, sondern auch innerlich von ihr ergriffen wurde, um so mehr als ja der adelige Grundherr sich ihr anschloß. Bahnbrecher und kräftige Förderer des evangelischen Wesens in Niederösterreich wurden die Grabner, die Eitzing, die Hofkirchen, Puchheim, Kuefstein, Rogendorf, Teufel, Wolzogen und Zinzendorf. Wohl mögen bei Ergreifung des neuen Glaubens fallweise auch materielle Erwägungen mitgespielt haben, aber wir müssen doch Verwahrung einlegen gegen die von katholischer Seite immer wieder aufgestellte Behauptung, daß wie in Deutschland so auch in Österreich der Adel nur aus Sucht, Verlangen und Liebe zum Kirchengute zur neuen Lehre übertrat3.9. Wir werden sehen, wie tief und nachhaltig sie die Gemüter der adeligen Herren und ihrer Frauen im Lande ob und unter der Enns, in Steiermark und Kärnten ergriffen hat. Es hätten nicht viele hunderte Adelige das Land verlassen um des Glaubens willen, wenn ihnen nichts anderes im Sinne gelegen hätte als die Erwerbung des Gutes, das sie nun achtlos zurückließen, um als scheel angesehene und kaum geduldete Exulanten ein elendes Dasein zu führen.
In diesem Teile Österreichs haben hoher und niederer Adel, Herren und Ritter, eine hervorragende Stellung im Bekenntnis und im Kampf um das Evangelium eingenommen, wobei auf dem Worte Kampf besonderer Nachdruck liegt. Nirgends sind im 17. Jahrhundert in Osterreich die adeligen Stände in der Auflehnung gegen den katholischen Landesherrn so weit gegangen wie im Lande ob der Enns. Das bedeutet nicht, daß Städte und Bauern zurückblieben, im Gegenteil, unter dem Schutze und dank der tätigen Unterstützung der adeligen Grundherren haben sie größere Freiheiten erreicht als in anderen Teilen des Landes, und Österreich unter der Enns wurde von ihnen geradezu ins Schlepptau genommen. Das hängt möglicherweise mit dem calvinischen Einschlag zusammen, der sich im "Landl" feststellen läßt.
Es gibt keine evangelische Kirchengeschichte, in der nicht der Name Christoph Jörgers mit leuchtenden Buchstaben geschrieben wäre: und doch steht manches Falsche über ihn in unseren Büchern. Es ist nämlich nicht richtig, daß dieser Sohn des Landeshauptmannes Wolfgang IV. Jörger (1462-1524) im Jahre 1521 von seinen Eltern zu Luther nach Wittenberg geschickt wurde. Nicht die Eltern waren die zuerst Bekehrten, sondern der Sohn. Wahr ist, wie früher schon erwähnt, daß Wolfgang Jörger 1520 in Worms Beziehungen zum kursächsischen Hofe anknüpfte, als er nach einem Orte Ausschau hielt, wohin er seinen ältesten Sohn zur Ausbildung in höfischer Zucht und Sitte schicken könnte. Das geschah denn auch im Jahre 1522, als der 19jährige [Seite 12] Christoph in einer Zeit der drängenden Gärung mit einem Herrn von Wolffstain nach Torgau zog. Die jungen Männer hatten ein Gelübde getan, beim päpstlichen Glauben zu bleiben und nicht lutherisch zu werden, "aber aus den Gnaden Gottes" wurden sie beide "aus biblischer-apostolischer schrifft durch Gottes Werkhzeug, des gottseeligen Martin Lutters, erleucht und aus menschlicher Satzung zu der rechten Wahrheit gefüert". Nachdem die Bekehrung Christophs wohl durch Luthers Septemberbibel 1522 erfolgt war, ging er nach Wittenberg und hielt bei Luther "demietig" um einen Prädikanten an, worauf der Reformator ihm Michael Stiefel empfahl3.10. Der Tod des Vaters rief Christoph 1524 in die Heimat zurück. Im Jahre 1525 traf Stiefel als erster Prädikant einer adeligen Familie auf Schloß Tollet ein, wo er die Familie Jörger und deren Verwandte und Freunde für die Lehre Luthers gewann. Die Mutter Christophs, Dorothea, trat später in persönlichen Briefwechsel mit dem Reformator, dem sie Geld für bedürftige Studenten schickte3.11. Christoph selbst wurde ein Vorkämpfer des Protestantismus, der als Regimentsrat bei der "niederösterreichischen" Regierung in argen Gewissenskonflikt geriet, da er als Beamter an der Fronleichnamsprozession teilnehmen sollte, was ihm sein evangelisches Gewissen untersagte. In seiner Not wandte er sich an Luther, der ihm bedeutete: Was nicht aus dem Glauben geht, ist Sünde3.12.
Die Verbindung zwischen Luther und dem oberösterreichischen Adel wurde auch durch den Trostbrief hergestellt, den der Reformator 1524 an Bartholomäus Starhemberg schrieb, als dieser sich im Lesen von Totenmessen und Vigilien für seine verstorbene Hausfrau Magdalene von Losenstein nicht genugtun konnte. Er solle sich lieber, so schrieb Luther, an dem Troste Hiobs erquicken3.13. Bartholomäus Starhemberg wandte sich dem neuen Glauben zu, er wurde evangelisch, wenn nicht früher, dann durch Johannes Wunderlich oder Bünderlin aus Linz, den er 1526 zu seinem Prädikanten berief3.14
Wir finden Bartholomäus Starhemberg im Jahre 1527 unter den Adeligen, die sich für den vom Administrator des Bistums Passau gefangenen und als Ketzer zum Tode verurteilten Vikar von Waizenkirchen Leonhard Käser (Kaiser) verwandten. Dieser Mann, der aus Raab [Seite 13] bei Passau stammte, hatte im Jahre 1526 seine Vikarstelle aufgegeben und war nach Wittenberg gegangen, wo er Schüler Luthers wurde. Als er im Frühjahre 1527 in die Heimat zurückkehrte, um seinen todkranken Vater zu besuchen, wurde er auf die passauische Feste Oberhaus gelockt und dort gefangengenommen. Das Verhör in Passau ergab unbestreitbar evangelische Gesinnung. Wir lesen es im 23. Band der Weimarer Ausgabe der Werke Luthers, denn dieser hat es als "herrliches Bekenntnis der Wahrheit" veröffentlicht. Dieses Bekenntnis ist ein treuer Spiegel der lutherischen Lehre, denn gleich am Beginne lesen wir von der Rechtfertigung aus dem Glauben3.15. Käser wurde am 16. August 1527 in Schärding verbrannt. Dieser Märtyrertod eines unerschrockenen Bekenners der neuen Lehre hat einen großen Teil der oberösterreichischen Adeligen zu Anhängern des Wittenberger Reformators gemacht. So wandte sich auch Georg von Schaunberg von der Papstkirche ab und sein ganzes Haus wurde evangelisch. Als das Geschlecht mit seinem Sohne Wolfgang 1559 ausstarb, wurden die Starhemberge die Erben ihres Besitzes, denn Anna von Schaunberg, Wolfgangs Schwester war die Gemahlin Erasmus' I. Starhemberg, des Sohnes Bartholomäs. Wolfgangs Witwe, Anna, geb. Gräfin von Ortenburg, die in Eferding gebot, hob das benachbarte Franziskanerkloster in Pupping auf und ließ Paramente und Kostbarkeiten des Klosters auf dem Markte öffentlich versteigern3.16.
Neben den genannten Geschlechtern der Jörger, Schaunberg und Starhemberg wären als bedeutsam und führend die Perkheim, Polheim, Scherffenberg und Zelking zu nennen. Der Schloßherr und seine Familie brachten auch das Gesinde zur neuen Lehre und die bäuerlichen Untertanen wurden bald für sie gewonnen. Wie aber stand es in oberösterreichischen Landen mit den Bürgern in den Städten? Vielleicht zu unserer Verwunderung waren sie noch früher als Adel und Bauern der reformatorischen Lehre verhaftet. An der Spitze der sieben landesfürstlichen Städte Linz, Enns, Freistadt, Gmunden, Steyr, Vöcklabruck und Wels steht die wirtschaftlich stärkste, die Eisenstadt Steyr. Durch eine sehr gute Quellenlage und das Werk des evangelischen Chronisten der Stadt, die Annales Styrenses des Valentin Preuenhuber, begünstigt, können wir den Beginn der Reformation genau verfolgen3.17.
Hier war es die katholische Geistlichkeit, die sich zuerst der neuen Lehre zuwandte, aus geistlichen und weltlichen Gründen. Wurde doch durch ihre Annahme auch der unseligen Verwirrung und Seelennot abgeholfen, die der Zölibat schuf. Wir wollen dahingestellt sein lassen, ob die Inschrift jenes Grabsteines des Kaplans Simon in St. Florian dem Jahre 1519: "Simonem o Paule bona, quae tribuisti, efficiant aulae coelestis participem" schon als reformatorisches Zeugnis zu [Seite 14] werten ist3.18. In der Stadt Steyr läßt sich das Einströmen der neuen Lehre an den Fastenpredigten des Barfüßermönches Patricius im Jahre 1520 und noch stärker an jenem des Mönches des gleichen Ordens, Calixtus, 1525 nachweisen, dessen Predigten über den Römerbrief eine solche Begeisterung auslösten, daß seine Tätigkeit auf Ersuchen des Rates verlängert wurde.
In Gmunden sehen wir das Luthertum durch das Wirken Caspar Schillingers, des Fronamters (Vikars), 1524 Fuß fassen. Von Gmunden ging er nach Enns, das ebenfalls zu Beginn der zwanziger Jahre vom lutherischen Geiste erfaßt wurde.
Aus Linz ist die erste schriftliche Äußerung unleugbar reformatorischen Geistes nachweisbar. Dort gab im Jahre 1524 der Schulmeister Leonhard Eleutherobius (Freisleben) die Schrift von Johannes Bugenhagen heraus "Welches die sünd sei in den heiligen geist, davon Matthäus im 12. Kapitel redet, die nicht vergeben wird". In der Vorrede richtet der Herausgeber einen scharfen Angriff gegen die Marienverehrung. Maria wird dort eine "Abgöttin" genannt. Die Unterdrückung der Wahrheit, das ist die Sünde wider den Heiligen Geist. Wir finden Eleutherobius 1527 unter den von Hans Hut Wiedergetauften; sein Bruder Christoph war Schulmeister in Wels.
Außerordentlich rasch sind die Lehren der Reformation in Steiermark und Kärnten eingedrungen und haben sich bald über das ganze Land und in allen Schichten der Bevölkerung verbreitet. Der Boden war auch hier durch den sittlichen und geistigen Verfall der Priesterschaft und die Verwahrlosung des kirchlichen Lebens vorbereitet. Die Kirchenfürsten, die für die religiöse Betreuung verantwortlich waren, der Erzbischof von Salzburg nördlich, der Patriarch von Aquileja südlich der Drau, kümmerten sich um staatliche Belange mehr als um geistliche. Wie Cyriak von Polheim, der 1521 Wolfgang Jörger als Landeshauptmann in Oberösterreich folgte, neigte auch der Landeshauptmann in Steiermark, Siegmund von Dietrichstein, der neuen Lehre zu und ihm folgten viele Adelsgeschlechter. In Bruck a. d. Mur wird schon vor dem Bauernaufstand 1525 das Wirken lutherisch gesinnter Geistlicher, des Stadtpfarrers Dr. Otmar und des Priesters Christoph Wagner, bezeugt3.19. Auch in St. Lorenzen, der Hauptpfarre des Mürztales, brachte der dortige Pfarrer einen Gutteil der Bürger und Bauern zur Annahme der neuen Lehre. In Leoben stand der Priester Caspar Turnauer 1523 im Verdacht, lutherisch zu sein, konnte sich aber rechtfertigen3.20. Dr. Otmar gelang dies nicht, denn der Landesherr, [Seite 15] Erzherzog Ferdinand, nahm seine Rechtfertigungsschrift nicht an und verfügte die Landesverweisung und die Besetzung der Pfarre mit einem frommen ehrbaren christlichen Priester, "so der lutherischen Sekte nicht anhängig sei". Diese Verfügung hatte der Landeshauptmann durchzuführen, der mit dem gemaßregelten Pfarrer eines Sinnes war; keine ganz leichte Aufgabe.
Auf mancherlei Weise mag die neue Lehre in Kärnten Eingang gefunden haben: durch Bergknappen, die übers hohe Gebirge aus Salzburg und Tirol zuwanderten, durch Buchführer aus dem Enns- und Murtale, durch den Adel und sein Gesinde, die von Graz nach Klagenfurt reisten. Mit dieser Stadt hatte es eine besondere Bewandtnis: 1514 war sie vollkommen niedergebrannt und 1518 von Kaiser Maximilian I. den Ständen überlassen worden. Diese schritten an den großzügigen Aufbau der verwüsteten Stadt, in die Arbeitsgelegenheit und Wohnraum Handwerker aus Württemberg, Bayern und Sachsen herbeilockten3.21. Bald beriefen die adeligen Geschlechter, die Dietrichstein, Khevenhüller, Paradeiser und Ungnad, in ihre städtischen Häuser evangelische Prädikanten und Erzieher, die katholischen Kirchen leerten sich, und so bahnte sich bereits in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts der Umschwung an, der Klagenfurt zu einer evangelischen Stadt machen sollte.
Der Villacher Rat besetzte die St. Jakobs-Kirche mit Zustimmung des Patronatsherrn Siegmund von Dietrichstein 1526 mit einem evangelischen Prädikanten; sie wurde, ehe es noch ein eigenes evangelisches Gotteshaus in Klagenfurt gab, die wichtigste evangelische Kirche des Landes. Auch in St. Veit und dem wegen des Handels mit Italien wichtigen Völkermarkt fand die neue Lehre Anklang, die sich auch unter den Slovenen im anstoßenden Krain verbreitete3.22.
In Tirol wird das Eindringen des neuen Geistes zuerst in den Bergwerkstädten von Schwaz und Hall bezeugt. Träger lutherischer Gesinnung waren Christoph Söll und der aus Basel gebürtige, von Berchtesgaden zugewanderte Dr. Jakob Strauß, dessen biblische Unterweisung bei den Pfarrern in Hall viel Anklang fand. Er pflegte ihnen die Heilige Schrift in lateinischer Sprache auszulegen. Noch mehr aber verfingen seine Predigten, zunächst im Kloster der Augustinerinnen, dann aber auch in der Pfarrkirche zu St. Nikolaus. Sie waren dem gemeinen Manne "fast annehmlich", und der Zulauf der Bergknappen und der Landbevölkerung war groß. Eine Zitation vor den Bischof nach Brixen verfing [Seite 16] nicht, denn Strauß leistete ihr, gestützt auf das Wohlwollen des Rates der Stadt und des Volkes, das schon damals eine drohende Haltung gegen die Behörden einnahm, keine Folge. Erst die Regierung von Innsbruck setzte die Entlassung des beliebten, wie wir nicht zweifeln dürfen, lutherischen Predigers durch, denn sein Wettern gegen Bischöfe, Mönche und Pfaffen und das Überhandnehmen der Zeremonien mußte dem Volke angenehm in den Ohren klingen. 1522 mußte Strauß weichen. Von Haslach schickte er seiner Haller Gemeinde ein Traktätlein "Ain kurz christenlich Unterricht von den erdichteten Bruderschaften". Von Kernberg in Sachsen sandte er eine Predigt: Eyn verstendig trostlich leer über das wort Sanct Paulus: Der mensch soll sich selbst probieren und also von dem brott essen und von dem kelch trincken3.23. Nachfolger von Strauß wurde Urban Rhegius, der schon damals stark lutherische Neigungen zeigte. Doch mußte auch er nach kurzer Zeit die Stadt verlassen.
In Kufstein war der erste Anhänger Luthers der durch seine Reisen ins Heilige Land bekannte Bergwerksbesitzer Martin Baumgartner3.24; ebenso wie Martin Lodinger in Gastein wurde er Empfänger eines Trostbriefes Luthers3.25. Aus dem Kloster Stams erfahren wir, daß eine Untersuchungskommission im Jahre 1524 eine Menge lutherischer Bücher und "Traktätel" fand; sechs Mönche, darunter der Prior, bekannten sich zum lutherischen Glauben3.26. Auch der Pfarrer in Stams war lutherisch und seine Verkündigung des Evangeliums hatte unter den Bauern gezündet. Sie rotteten sich gefährlich zusammen, als die Kommission die lutherischen Bücher beschlagnahmte. Nur mit Hilfe einer List konnte sie sie fortbringen. Bis Bludenz in Vorarlberg ist der Einfluß lutherischer Lehre zu verspüren3.27. Ein beredter und feuriger Laienpriester, Lutz Matt, verkündete sie3.28. Das Land vor dem Arlberg war kirchlich drei Diözesen zugeteilt, den Bistümern von Augsburg, Chur und Konstanz, politisch gehörte es nicht zu Tirol, sondern zu dem ausgedehnten und zerstreuten habsburgischen Restbesitz in Südwestdeutschland, den Vorlanden, und hat deren wechselvolle Geschicke geteilt. Geistige Strömungen verschiedener Art machten sich geltend, zwinglisches und täuferisches Glaubensgut brach herein; zwei wanderlustige Feldkircher, Johannes Dölsch und Bartholomäus Bernhardi, [Seite 17] studierten in Wittenberg3.29; zu nachhaltiger Wirkung der Reformation ist es nicht gekommen.
Wieweit in Tirol religiöse und wirtschaftliche Forderungen sich vermengten und wie sehr die Unzufriedenheit gestiegen war, zeigte der Fastenlandtag des Jahres 1525, der bereits im Zeichen der Empörung stand. Die evangelischen Bergknappen von Schwaz erhoben als erste die Fahne des Aufruhrs3.30. Auch jener Augustinermönch in Rattenberg, Dr. Stefan Kastenbauer (Agricola), dessen Überstellung von Rattenberg nach Salzburg nicht gelang, weil der Mönch die Freiheit zu gewinnen wußte3.31, gehört ebenfalls in die Anfänge der Reformationsgeschichte Tirols, wenn auch Rattenberg unter der geistlichen Botmäßigkeit des Erzbischofs von Salzburg stand.
Ein ausgezeichnetes Beispiel dafür, wie untheologisch und unkirchlich ein Kirchenfürst sein konnte und wie wenig er sich um seine Diözese kümmerte, weil er in Diensten der kaiserlichen Regierung stand, ist der Erzbischof von Salzburg Kardinal Matthäus Lang (1519 bis 1540)3.32. Aus kleinen Verhältnissen stieg der kluge Augsburger Bürgerssohn, ohne je Theologie studiert oder die Priesterweihe empfangen zu haben, bis zur hohen kirchlichen Würde eines Erzbischofs und Kardinals empor; er wurde 1519 Nachfolger Leonhards von Keutschach. Während er bei der Kaiserkrönung in Aachen und auf dem Reichstage in Worms weilte und 1521 in Linz die Vermählung des Erzherzogs Ferdinand mit Anna von Ungarn einsegnete, hatte die neue Lehre in seiner Stadt Salzburg Einzug gehalten. Luthers verehrter Freund Johann von Staupitz hatte 1520 sein Amt als Generalvikar des Augustinerordens niedergelegt und war Abt des Benediktinerstiftes St. Peter geworden. Paul Speratus hatte sich von 1519 bis 1520 in Salzburg aufgehalten. Rasch verbreitete sich in der Bürgerschaft die neue Lehre. Der Kardinal stand in religiöser Hinsicht auf seiten seiner habsburgischen Herren. Als Lang 1522 in seine Bischofsstadt zurückkehrte, rief er seine Suffraganbischöfe zu einer Synode nach Mühldorf, wo es sich weniger um Maßnahmen gegen das Luthertum als um die Hebung des gesunkenen Klerikerstandes handelte. 1523 erschien das erste Mandat gegen die lutherische Lehre nach einem Aufruhr der Salzburger Bürger, die sich offen für Luther erklärt hatten. Wieweit dessen Lehre bereits um sich gegriffen hatte, offenbarte der Bauernaufstand 1525, der in Gastein losbrach und den Erzbischof in eine böse Lage brachte; drei Monate war er Gefangener seiner Salzburger Bürger und Bauern auf der Feste Hohensalzburg, bis ihn die Hilfe des Schwäbischen Bundes daraus befreite. Ebensowenig ermutigend für die Aufrechthaltung des katholischen Bekenntnisses waren die Nachrichten aus den zur Salzburger Diözese gehörigen Gebieten in der Steiermark und in [Seite 18] Kärnten. Auch das Erzstift schien unaufhaltsam dem neuen Geiste verfallen, dem sich die Bauern von Tirol und Oberösterreich verschrieben hatten. Nach der Niederwerfung des Aufstandes statuierte der Erzbischof ein Exempel: Der Mönch Georg Scherer, der seit 1525 in Radstadt das Evangelium gepredigt hatte, wurde 1528 hingerichtet. Martin Lodinger aus Gastein zog es vor, das Land zu verlassen3.33.
Der Niederösterreich und Steiermark benachbarte östliche Teil unserer Heimat, das Burgenland, gehörte damals staatlich zu Ungarn und innerhalb desselben zur Raaber Diözese. Auch in das Königreich des Jagellonen Ludwig II. drang mit nachhaltiger Wirkung das neue Glaubensgut ein3.34. Von städtischen Mittelpunkten, Ödenburg und Güns, ging die Verbreitung des Luthertums in Westungarn aus. Franziskaner geißelten die Zustände in der römischen Kirche, und schon 1522 versammelten sich in Ödenburg Bürger in Gasthäusern zu evangelischen Gottesdiensten3.35. Auch heute ganz katholische Orte, wie Apetlon, Donnerskirchen, Podersdorf, Schützen, wurden von der religiösen Strömung erfaßt. Zu den Gemeinden, denen 1524 der Gebrauch lutherischer Bücher verboten wurde, gehörte auch Rust3.36. Im Sommer desselben Jahres wurde in Neusiedl bei Güssing ein Buchhändler wegen Verbreitung lutherischer Schriften verbrannt3.37. Adelige Geschlechter, an ihrer Spitze die Herren von Weißpriach, die aus Kärnten stammten, wurden zu Wortführern der Bewegung.
2. Abschnitt:
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Burgenland-Landeskunde, hg. v. Österreichischen Bundesverlag, 1951
G. A. Dornhöfer, Die evangelische Kirche im Burgenland, 1924
K. Fiedler, Geschichte der evangelischen Pfarrgemeinde A. B. in Rust, 1951
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Handwörterbuch des Grenz- und Auslandsdeutschtums,
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B. H. Zimmermann, Das Luthertum in Eisenstadt in Geschichte und Gegenwart, 1532-1932, 2. Aufl. (1936).
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Der neue Landesfürst, der achtzehnjährige Erzherzog Ferdinand, Bruder Karls V., war ein Fremdling, als er im Frühjahr 1521 ins österreichische Land kam. Auf Grund der Verträge mit seinem kaiserlichen Bruder (Worms 1521 und Brüssel 1522) übernahm er nach den Wirren und umstürzlerischen Regungen, die sich nach Maximilians Tode bemerkbar gemacht hatten, die Regierung in den österreichischen Erblanden4.1. Seiner spanischen Umgebung trat der einheimische Adel sofort mißtrauisch entgegen. Er wollte keine Fremden im Lande sehen. Sehr bald kam der religiöse Gegensatz hinzu. Ferdinand war ein treuer Sohn der katholischen Kirche, seiner Herkunft aus Spanien und der Politik seines Bruders auf dem Reichstage zu Worms verpflichtet. Bei ihm hat es nie eine andere Anschauung gegeben, als daß die Ketzerei auszurotten sei. Er hat keine Mühe darum gescheut. Am 12. März 1523 erging im Gefolge des Nürnberger Reichstages 1522 ein Mandat gegen die Schriften Luthers, Oekolampads, Zwinglis und andere dergleichen neue verführerische Bücher4.2. Was die Kirche nicht zu leisten vermochte, trachtete der Landesherr durchzuführen. Aber der anschwellenden Flut evangelischen Lebens gegenüber war er machtlos. Im Jahre 1524 vertrat er auf dem Reichstage zu Nürnberg den kaiserlichen Bruder. In religiöser Hinsicht erwies sich dort die Unmöglichkeit, das Wormser Edikt durchzuführen, denn eine Erfüllung seiner Forderungen durch die Stände, "so vil inen muglich"4.3, kam einer Nichterfüllung gleich. Eine Bestimmung des Reichstagsabschiedes lautete dahin, daß tüchtige Männer aus den Büchern der neuen Lehre die anfechtbaren Stellen ausziehen sollten, damit man sie widerlegen könne. Ein diesbezüglicher Befehl Ferdinands erging an die Wiener Universität, blieb aber ohne Erfolg. Der junge Fürst glaubte schließlich in Dr. Johann Fabri, dem Generalvikar von Konstanz und späteren Bischof von Wien, den Mann gefunden zu haben, der ihm helfen könnte, die geistigen Waffen im Kampfe gegen die Irrlehre zu schmieden. Fabri, bekannt als Gegner Zwinglis bei dem ersten Religionsgespräch zu Zürich im Jänner 1523, trat in Ferdinands Dienste und nahm in der Folge als Berater und Beichtvater entscheidenden Einfluß auf die weltliche und kirchliche Politik des Landesfürsten4.4.
Die Lösung der religiösen Frage wurde in Nürnberg einer "gemeinen Versammlung teutscher Nation" vorbehalten, die noch 1524 in Speyer [Seite 21] zusammentreten sollte. Ein solches Nationalkonzil war weder im Sinne der Habsburger noch der Kurie. An dem Kardinallegaten Lorenzo Campeggi gewann Ferdinand einen verständnisvollen Bundesgenossen. Zur Verhinderung des in Aussicht genommenen Konzils beschlossen der Gesandte des Papstes und der Erzherzog die Berufung süddeutscher weltlicher und geistlicher Fürsten zu einem Konvent nach Regensburg4.5. Auf dieser in der Geschichte höchst bedeutsamen Versammlung kam ein Sonderbündnis der katholisch-geistlichen Fürsten des süddeutschen Raumes (des Erzbischofs von Salzburg, der Bischöfe von Augsburg, Basel, Bamberg, Brixen, Freising, Konstanz, Passau, Regensburg, Speyer, Straßburg, Trient) mit den katholisch-weltlichen Fürsten Süddeutschlands, den Habsburgern und den Wittelsbachern zustande. Durch dieses Bündnis vernichteten sie die Einheit des Reiches, wie sie bis dahin in den Reichstagen verkörpert gewesen war. Die Entwicklung zum Landeskirchentum bahnt sich an. Das Ergebnis der vom 27. Juni bis 8. Juli 1524 dauernden Beratungen war ein Edikt zur Bekämpfung der lutherischen Lehre und die sogenannte Konstitution des Kardinallegaten, die in 38 Punkten die Hebung der sittlichen und geistlichen Belange des Klerus zum Gegenstande hatten4.6. Diese Regensburger Ordnung, von Ferdinand am 1. September 1524 in seinen Landen verkündet, wurde in der Folgezeit die Richtschnur für das Vorgehen in kirchlichen Dingen.
Zur religiösen gesellte sich die wirtschaftliche und politische Erregung. 1525 fegte der Bauernsturm über das Land. Er war in Süd- und Mitteldeutschland schlimmer als in Österreich, aber die Verquickung von wirtschaftlichen mit religiösen Forderungen ließ die Gefahr ermessen, die der Kirche drohte, vor allem dort, wo sie der Grundherr war. Am 10. Mai 1525 brach der Aufruhr in Brixen, Südtirol, los, am 25. desselben Monats in Hofgastein, wenige Tage später in Oberösterreich, wo er am glimpflichsten verlief. In Steiermark geriet der Landeshauptmann Siegmund von Dietrichstein bei Schladming in die Gewalt der Bauern, die unter dem Hauptmann Michael Gruber aus Salzburg herübergekommen waren; aus dieser Lage befreite ihn Niklas Salm, dessen Leute an dem Städtchen grausame Rache nahmen4.7.
In Tirol richtete sich die Unzufriedenheit der Bauern vor allem gegen die Geistlichkeit und gegen Ferdinands Günstling, den Spanier Gabriel von Salamanca4.8. Die Stimmung trat auf dem Innsbrucker Landtag im Sommer 1525 zutage, zu dem 200 Bauern abgeordnet waren; auch Michael Gaismair war anwesend. Als Gegenspieler fungierte Ferdinand selbst, der schon Zugeständnisse über die Predigt des [Seite 22] Evangeliums hatte machen müssen. Die wichtigsten Forderungen der Stände, vor allem die Säkularisierung der Bistümer Brixen und Trient und die Wahl der Pfarrer durch die Gemeinden, lehnte der Erzherzog ab, aber die Entlassung des verhaßten Günstlings mußte er in Aussicht stellen4.9. Die neue Landesordnung von Tirol war das Ergebnis des Landtages. Die Lage der Bauern im Lande der Berge wurde günstiger als in anderen Gebieten Deutschlands.
Ein Spiegelbild der Stimmung in den österreichischen Ländern bot der Generallandtag der Erbländer in Augsburg 15254.10. Er war vom Herrscher einberufen worden, weil dieser Geld zur Kriegführung brauchte, denn das Reich befand sich im Kriegszustande: im Westen mit Frankreich, im Osten mit den Türken. Dieser Umstand wurde für unser Land besonders wichtig. Noch lag Ungarn als schwache Schranke zwischen der österreichischen Grenze und dem türkischen Eroberer; sie sollte 1526 fast ganz zerbrechen. An den "Hofzaun des Reiches", die Steiermark, brandete schon die ottomanische Flut. 1453 war Konstantinopel gefallen, 1463 wurde Bosnien von den Türken besetzt. 1469 gingen Laibach und die Gottschee zum ersten Male in Flammen auf. 1521 fiel Belgrad. 1524 klagten krainische Gesandte in Augsburg, daß die Türken solche Fortschritte gemacht hatten, daß sie Krain in zwei Tagen erreichen konnten. Das Land war ohne fremde Hilfe nicht zu halten; dasselbe galt von Kroatien.
Deshalb stand die Türkenhilfe in allen Verhandlungen der Reichs- und Landtage obenan. Hier konnten die Stände den Hebel ansetzen und sagen: erst Abhilfe unserer Beschwerden, dann Gewährung der verlangten Gelder. Etwa ein Jahrhundert lang wurde so gefeilscht, und ganz unrichtig ist es nicht, wenn katholische Geschichtsschreiber meinen, die Religion sei zur Tausch- und Handelsware geworden. Manche evangelische Führer mochten sich auch sagen, daß ihnen die Türken und der ständige Druck, unter dem sie den Fürsten hielten, nicht ganz ungelegen kämen.
Auf dem Generallandtag zu Augsburg (Dezember 1525 bis März 1526) waren alle österreichischen Erbländer durch adelige und bürgerliche Gesandte vertreten; ihre Weisungen hatten sie von den Landständen erhalten. Unter ihnen scheinen neben der hohen Geistlichkeit Angehörige von Geschlechtern auf, die zu den Vorkämpfern der evangelischen Sache wurden, wie die Polheim, die Starhemberg, Dietrichstein und Auersperg. Die Hauptklage richtete sich auch hier gegen den Schatzmeister Ferdinands, Gabriel Salamanca Grafen von Ortenburg, der Steuern erpreßte, das Kammergut verringerte und sich selbst bereicherte. Wie in Innsbruck mußte Ferdinand auch hier in die Entlassung des verhaßten Spaniers willigen, sonst wäre es kaum zu einer auch [Seite 23] nur teilweisen Erledigung seiner Forderung nach sechsmal 300.000 fl. gekommen, die er für die Verteidigung der Länder gegen Osten verlangte. Es wurde eine Rüstungs- und Empörungsordnung aufgestellt, um gegen den Krieg nach außen und innen gewappnet zu sein. Unter den Beschwerden der einzelnen Länder standen die religiösen obenan. Da der gemeine Mann glaube, es würde ihm das wahre und lautere Wort Gottes vorenthalten, was auch der Grund zur letzten Empörung war, wurde die Predigt des klaren, lauteren, reinen Wortes Gottes ohne allen Zusatz gefordert, das bedeutete die Verkündigung des Evangeliums nach lutherischer Art. Priester, gegen die Klage erhoben wurde, daß sie gegen das Gesetz und die christliche Kirche predigten, sollten vor unparteiischer geistlicher und weltlicher Obrigkeit am Orte ihrer Tätigkeit verhört werden. Sie sollten also nicht vor den Bischof oder die Regierung zitiert werden, auch nicht mit Drohungen, Gefängnis oder dergleichen durch den bischöflichen Offizial belangt werden, der vielleicht selbst Urheber der Klage und daher ein parteiischer Richter sein könnte. Wir sehen daraus, wie sich die Stände bereits hinter ihre evangelischen Prädikanten stellten, wozu sich der Adel befugt glaubte, der vielfach das Patronatsrecht ausübte. Nicht minder glaubten sich nach dem Muster der Reichsstädte die Magistrate der österreichischen Städte berechtigt, das geistliche Regiment an sich zu ziehen, wo der Bischof versagte. Einen scharfen Tadel Karls V. über ihr Verhalten mußten die Tiroler Verordneten auf dem Ausschußlandtag in Augsburg sich gefallen lassen, die es gewagt hatten, "seinem lieben Bruder, ihrem Fürsten, Maß und Gesetz vorzuschreiben"4.11.
Am 29. August 1526 erfüllte sich das Schicksal Österreichs, als der Jagellone Ludwig II., König von Böhmen und Ungarn, in der Schlacht von Mohacs Sieg und Leben verlor. Die Bestimmungen der Erbeinigung des Jahres 1515 wurden Wirklichkeit. Die Habsburger traten die Erbschaft im Osten an. Ihre Lage gestaltete sich dadurch nicht einfacher, denn mit der Herrschaft in Ungarn ging auch die Verpflichtung der Verteidigung des Abendlandes gegen die Türken an sie über. Die Wahl Ferdinands zum König von Böhmen vollzog sich klaglos, in Ungarn war sie zwiespältig, da der östliche Teil des Landes dem Woiwoden von Siebenbürgen, Johann Zápolya, gehorchte. Er war als erster in Stuhlweißenburg zum König gekrönt worden, was schließlich aber auch Ferdinand 1527 erreichte.
Trotz dieser neuen großen Sorgen hat König Ferdinand, der immer mehr in seine Pflichten hineinwuchs, die Bereinigung der religiösen Schwierigkeiten in seinen Ländern nicht außer acht gelassen; sein Eifer um diese Angelegenheit ist bemerkenswert. Schon damals trat jene Haltung in Erscheinung, die später von ausschlaggebender Bedeutung werden sollte, da dort, wo die Kirche versagte, der habsburgische Landesfürst in die Bresche trat. Am 20. August 1527 erließ er aus Ofen [Seite 24] das grundlegende umfangreiche Mandat4.12, in dem er allen geistlichen und weltlichen Obrigkeiten seiner Länder die Durchführung des Wormser Ediktes befahl. Lutherische Bücher wurden verboten, auf alle Ungläubige war streng achtzuhaben, die Regensburger Ordnung wurde eingeschärft. Insonderheit wandte sich das Mandat gegen die unverschämte Gotteslästerung der "verneuerung des taufs und myßbrauch des hochwirdigen sacraments des zarten fronleichnams Christi", wie sie Karlstadt, Zwingli, Oekolampad und die Wiedertäufer lehrten. Jeder Ketzer verfällt der Acht und wird an Leib und Leben gestraft. Am 24. Juli 1528 wurde allen, die ketzerische Bücher druckten oder damit handelten, mit der Strafe des Ertränkens gedroht. Im selben Jahre ordnete der Landesherr eine kirchliche Visitation an, die ein erschreckendes Bild enthüllte.
In Wien gab es bei den Schotten nur sieben Mönche, der Abt hielt eine Mätresse. Der Prior der Karmeliten wurde wegen Unsittlichkeit verhaftet. In zahlreichen Männer- und Frauenklöstern fand man lutherische Bücher. Nur die Franziskaner und die Augustiner Chorherren bestanden die Probe4.13. Was half es, daß Ferdinand dem Bischof Revellis befahl, geschickte Priester einzustellen, wenn es solche nicht gab? Jedenfalls glaubte der dem evangelischen Glauben zuneigende Adel, solche Priester nur unter den lutherischen Prädikanten finden zu können.
In Oberösterreich sah es ähnlich aus, obwohl dort der Gesamteindruck günstiger war4.14. In vielen Klöstern fand sich der Übelstand des Konkubinates, die Ordensgeistlichkeit selbst war zum Teil dem Luthertum verfallen. In manchem Stifte fanden sich Zeugnisse frühreformatorischen Schrifttums.
In der Steiermark bewies die Visitation, daß "die Reformation schon im ersten Jahrzehnt seit dem Auftreten Luthers tiefe Wurzeln geschlagen hatte"4.15. In Leoben gab es einen lutherischen Vikar, in Rottenmann einen evangelischen Prädikanten. In Schladming und Murau wurden Ohrenbeichte, Fürbitte der Heiligen und Ablaß verworfen4.16. In Windischgraz hatte der Prediger Haas das Abendmahl unter beiderlei Gestalten gereicht; er wurde in Graz gehängt. In der dem Millstätter Stift inkorporierten Pfarre St. Lorenzen hatte der Gesellpriester Andre die Monstranz, die beim Wettersegen umgetragen worden war, verspottet: Es wäre kein Wunder, wenn uns der Blitz erschlüge, weil wir mit dem Affenspiel um die Kirche gerennt4.17. Auch in Bruck an der Mur stand es um den alten Glauben schlecht, und im [Seite 25] benachbarten Kapfenberg war der Kaplan des Herrn Wolfgang von Stubenberg evangelisch. Besorgniserregend mußten aber der Regierung besonders die Verhältnisse in Graz erscheinen, wo der Bürgermeister Simon Arbeiter und einige Stadträte "von der lutherischen Sache ganz vergiftet" waren und der Landeshauptmann Siegmund von Dietrichstein und seine Hausfrau als Beschützer der neuen Lehre auftraten. Auch der Süden des Landes mit dem wichtigsten Orte Marburg war lutherisch gesinnt4.18. Nicht viel anders lagen die Verhältnisse in Kärnten. Die gesamte Landschaft erhob den Ruf nach dem allgemeinen Konzil.
Der Schaden der Kirche war aufgedeckt; wer aber sollte ihn heilen? Die Regierung war von schweren Kriegssorgen bedrängt: 1529, als die Türken vor Wien erschienen, hatte das Land die erste gewaltige Probe zu bestehen. Die gesamte Kraft mußte aufgeboten werden, um den Sturm abzuschlagen, was schließlich auch gelang; die Sorge aber blieb: Wann würde der Feind wiederkommen? Für kirchliche Reformen blieb keine Zeit. Kaiser Karl weilte untätig in Bologna, wo er auf die päpstliche Bestätigung seiner Kaiserwürde und auf den Empfang der Kaiserkrone aus den Händen des Papstes Clemens VII. wartete. Der Friede von Barcelona vom Jahre 1529 hatte die Niederlage der Kurie in dem blutigen Kriege (Sacco di Roma, 1527) besiegelt. Zur großen Betrübnis und zur Verzweiflung Ferdinands, der die Lage richtiger beurteilte als sein Bruder, weigerte sich der Kaiser, weiteres Geld für die Fortführung des Krieges gegen die Türken und deren Verfolgung durch Ungarn zur Verfügung zu stellen, da er ganz in die Ziele seiner westlichen Politik verstrickt war.
Als aber der Friede mit der Kurie und mit Frankreich geschlossen war (Cambrai 1529), machte sich der Kaiser auf, die religiöse Frage in Deutschland zu bereinigen, und reiste 1530 zum Reichstag nach Augsburg. Das Bild der kirchlichen Verhältnisse im Reiche hatte sich nicht zum besten für den Katholizismus verändert, da das Wormser Edikt selbst von gut römisch und kaiserlich gesinnten Obrigkeiten nicht durchgeführt worden war, weil sie sich vor dem Volke scheuten, das der Lehre Luthers in Massen zufiel; so manche Reichsstände hatten aber selbst die Reformation durchgeführt und waren zu Rebellen geworden; auf dem zweiten Reichstag zu Speyer 1529 legten Kursachsen, Hessen, Anhalt, Lüneburg, Brandenburg-Ansbach und 14 Reichsstädte gegen den Reichstagsabschied Protest ein, weil er alle Neuerungen verbot und nicht nur die Lehren der Wiedertäufer, sondern auch das Bekenntnis Zwinglis mit Ausrottung bedrohte. Von allen Seiten war immer wieder der Ruf nach einem Konzil erhoben worden, das den religiösen Kampf beenden sollte. Aber Papst Clemens VII. war zur Ausschreibung eines solchen trotz allem Drängen des Kaisers nicht zu bewegen gewesen.
Wir kennen die Bedeutung des Augsburger Reichstages vom Jahre 1530. Sie liegt einerseits in der Unversöhnlichkeit der Gegensätze, da nach Überreichung der Confessio Augustana und der Apologie von [Seite 26] evangelischer und der Konfutation von katholischer Seite keiner der Gegner sich für überwunden erklärte; andrerseits war sie für den Protestantismus außerordentlich groß, denn zum erstenmal war das Bekenntnis schriftlich niedergelegt und jeder konnte unmißverständlich lesen, was eigentlich der Inhalt der neuen Lehre war. Für die österreichischen Protestanten wurde dies von ausschlaggebender Bedeutung: Die Confessio Augustana des Jahres 1530 wurde die Grundlage der jungen evangelischen Kirche Österreichs; sie fehlte in keiner größeren Bibliothek, auf sie wurden die Pfarrer vereidigt. Viele schöne alte Drucke der Augustana sind heute noch in unseren öffentlichen Büchereien und selbst in katholischen Klöstern zu finden.
Drei Wege waren dem Kaiser offen gestanden: Der der Rückführung der Protestanten zu einer reformierten katholischen Kirche, Ausgleichung der Gegensätze auf einem Konzil und schließlich nackte Gewalt. Dieser war der einzige, der offen blieb, aber wegen der Türkengefahr mußte er damals vertagt werden.
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Im Dezember 1530 vereinigten sich Kursachsen, Hessen, Lüneburg, Anhalt-Köthen, Mansfeld, Magdeburg und Bremen zum Schmalkaldischen Bunde, mit dem der Kaiser zwei Jahre später den Frieden zu Nürnberg schloß. Sultan Suleiman war im Frühjahr 1532 zum zweitenmal gegen Deutschland aufgebrochen, belagerte im August drei Wochen lang die Festung Güns, aber zu neuem Sturm auf Wien kam es nicht; die Türken zogen ab, auch der Kaiser verließ Deutschland, um den afrikanischen Feldzug gegen Goletta und Tunis zu unternehmen, und Ferdinand, nun auch erwählter römischer König, blieb mit den Türken als äußeren, den evangelischen Reichsständen und Untertanen als inneren Feinden auf sich selbst angewiesen.
Im Jahre 1537 berief Papst Paul III. das lange in Aussicht genommene Konzil nach Mantua, aber die schmalkaldischen Bundesgenossen lehnten auf den Rat Luthers hin die Beschickung dieser Versammlung ab. Melanchthon schrieb damals seinen "Tractatus de potestate et primatu papae", Luther verfaßte die Schmalkaldischen Artikel, die Sache des Konzils schien hoffnungslos, aber die Verhandlungen, den Frieden zu erhalten, gingen weiter (Frankfurter Anstand). 1540 eroberten die Türken Ofen. Auf dem Reichstage zu Speyer im Jahre 1544 beschlossen die Stände außer der Franzosenhilfe die "beständige tapfere Defensivhilfe, um die beschwerten Christen, Land und Leute aus der viehischen Gewalt der Türken zu erretten". Außerdem wurde wieder ein gemeines freies Konzil deutscher Nation in Aussicht genommen, um eine christliche Reformation zustande zu bringen; bis dahin sollten alle Fehden auf Grund religiöser Gegensätze ruhen. Die Parität beider Bekenntnisse wurde anerkannt, was dem Kaiser einen Tadel des Papstes eintrug. Schließlich aber führte doch der konfessionelle Gegensatz zwischen dem Kaiser und den evangelischen Ständen zum Kriege, den wir den schmalkaldischen nennen. Im März 1545 hatte der Papst das in Mantua geplante Konzil für den 3. Advent nach Trient berufen, die Protestanten lehnten ab, beiderseits rüstete man zum Kriege: Herzog Moritz von Sachsen versprach dem Kaiser gegen die Verleihung der Stifte Magdeburg und Halberstadt gehorsame Gefolgschaft, der Feldzug an der Elbe endete bei Mühlberg am 24. April 1547 mit dem Siege des Kaisers und hob diesen auf den Höhepunkt seiner Macht. Er glaubte, eine religiöse Kompromißlösung befehlen zu können, das sogenannte Interim, das 1548 auf dem Reichstag zu Augsburg zustande kam. Es forderte den lebhaftesten Widerspruch aller wahrhaft evangelisch Gesinnten heraus, und die politische Wendung, die Moritz von Sachsen [Seite 28] nun gegen den Kaiser vollzog, brachte dessen kirchliche Politik vollends zum Scheitern. Als ein Geschlagener mußte Karl V. aus Deutschland weichen und schließlich im Augsburger Religionsfrieden 1555 die Gleichberechtigung des evangelischen mit dem katholischen Bekenntnis in Deutschland anerkennen.
Alle diese Ereignisse mußten die lebhafteste Rückwirkung auf die Verhältnisse in den österreichischen Erblanden ausüben. Hier stand Ferdinand dauernd unter dem zweifachen Drucke der Türkengefahr und des steigenden Abfalls von der katholischen Kirche. Den Forderungen des Landesherrn nach Geldern für den Türkenkrieg standen auf den Landtagen die Forderungen der Stände in den Belangen der Religion entgegen. Der Ausschußlandtag der "niederösterreichischen" Länder (aller Erblande außer Tirol und den Vorlanden) in Innsbruck 1532 erhob die Forderung nach der Predigt des klaren Wortes Gottes ohne allen Menschenzusatz. Nach der vernichtenden Niederlage des kaiserlichen Heeres bei Esseg 1537 ließ sich auf der Tagung der ständischen Ausschüsse in Linz im Frühjahr 1538 zum erstenmal lutherische Dogmatik vernehmen5.1. Der Mann, der genügend theologische Bildung besaß, um für seine Glaubensgenossen das Wort zu führen, war Jörg von Perkheim, dessen Name mit der Gründung der später so berühmt gewordenen Linzer Landschaftsschule unlöslich verknüpft ist. Er war der Verfasser der Eingabe an den Landesherrn vom 18. März 1538, in der das Wort von der Rechtfertigung aus dem Glauben, das Kernstück der lutherischen Lehre, ertönte5.2; die Stände verlangten Reichung des Abendmahles unter beiderlei Gestalt und verwahrten sich gegen Bestrafung wegen Einschreitens gegen offenbare Mißbräuche. Das klang dem Landesfürsten unmißverständlich und schrill in den Ohren. Was aber hätte er angesichts der furchtbar drohenden Gefahr aus dem Osten tun sollen? Auch die steirischen Verordneten, die von der zunächst gefährdeten Grenze kamen, stammten aus einem Lande, in dem trotz wiederholter Mandate des Königs die Lehren Luthers unaufhaltsam Boden gewannen.
Auf dem Prager Generallandtag 1541/42 klang es noch viel bestimmter. Die Supplikation der Ausschüsse der "niederösterreichischen" Stände machte für die bösen Zeiten und die Türkenkriege, die Gott als Strafe verhänge, die Verachtung Gottes und seines heiligen Wortes verantwortlich. Dagegen gäbe es nur das Heilmittel, daß das heilige Evangelium nach rechtem christlichem Verstande und der höchste Artikel unserer Heilwürdigkeit als Vergebung der Sünde allein aus dem Verdienst und Leiden Jesu Christi und daneben die Liebe des Nächsten und alle guten Werke als Frucht und gewisse Anzeigen des innerlichen Glaubens gepredigt werde und mit den Geboten Gottes zu steter rechter Pönitenz gereiche. Auch sollte das Sakrament des Altares so gespendet werden, wie es im Anfange der Christenheit auf etlich hundert [Seite 29] Jahr gelehrt worden5.3. Verfasser dieser Schrift war Luthers Mitkämpfer, der Theologe Justus JonasV.4, aber auch manche seiner adeligen Auftraggeber werden in den wesentlichen Punkten der neuen Lehre, Rechtfertigung und Abendmahl, Bescheid gewußt haben. Führend waren die auf der Supplikation unterschriebenen Herren: Pilgram von Puchheim und Christoph Eitzing aus Niederösterreich; Siegmund Ludwig von Polheim, Erasmus Starhemberg aus Oberösterreich; Hans Ungnad von Sonneck, Georg von Herberstein aus Steiermark; Hans von Weißpriach aus Kärnten. Außerdem unterzeichneten die Abgeordneten der Städte Wien, Graz, Linz, St. Veit, Laibach, Korneuburg, Stein, Enns und Steyr.
Die Visitation des Jahres 1544 zeigte ein Bild gänzlichen Verfalles der katholischen Kirche. Viele Pfarren und Benefizien waren unbesetzt. Besonders schlimm sah es in den Klöstern aus. Die Zahl der Mönche hatte in einer Weise abgenommen, daß den Klöstern die Lebensberechtigung fehlte; nicht nur Äbte, sondern auch Klosterbrüder lebten im Konkubinate. In vielen Kirchen hatte der katholische Gottesdienst zu bestehen aufgehört, weil der katholische Klerus keinen Nachwuchs hatte. Frei gewordene Pfründen wurden von den Lehens- oder Patronatsherren, waren es nun adelige Herren oder Städte, die das Vermögen einzogen, nicht mehr besetzt. Verfall und Schmälerung der geistigen Stiftungen entzogen dem Klerus die Existenzgrundlage. Was aber die Hauptsache war, die Kirche verfügte über keine gelehrten und geschickten Pfarrer, die das Wort Gottes nach christlicher Ordnung zu führen und den widerwärtigen Sekten mit Grund zu widerstehen gewußt hätten5.5.
Die katholische Kirche schien in den österreichischen Ländern tatsächlich am Ende und dies am Vorabend des Konzils von Trient, das endlich am 13. Dezember 1545 eröffnet wurde. Die "niederösterreichischen" Stände ließen daraufhin die Schrift Melanchthons wider das Konzil nachdrucken : "Ursach, warumb die Stende, so der Augspurgischen Confession anhangen, christliche Leer erstlich angenommen und endtlich auch dabei zu verharren gedenken. Auch warumb das vermeinte Trientische Concilium weder zu besuchen, noch darein zu willigen sey": 1546. Die erste sehr wichtige Phase des Konzils, auf der der unumstößliche Wille der katholischen Partei zutage trat, in keine noch so geringfügigen dogmatischen Zugeständnisse zu willigen, dauerte bis März 1547, als der Papst das Konzil nach Bologna verlegte. Das geschah, bevor die Schlacht bei Mühlberg den Sieg Kaiser Karls über die schmalkaldischen Verbündeten entschieden hatte. Nun konnte der Kaiser darangehen, die religiösen Verhältnisse auf dem Reichstag zu Augsburg 1548 durch das Interim eigenmächtig zu regeln.
Zur Vorbereitung dieses Reichstages entbot König Ferdinand die Vertreter aller "niederösterreichischen Länder" zu einem Ausschußlandtag nach Steyr5.6. Türkenhilfe und Religionswesen standen im [Seite 30] Vordergrunde der Beratungen. Der Sieg der Habsburger im schmalkaldischen Kriege hatte die evangelischen Stände Österreichs nicht wankend gemacht. In ihrem Berichte, der dem König in Prag vorgelegt wurde, scheuten sie sich nicht, ihn zu ermahnen, die Religionsangelegenheit in ihrem Sinne zu ordnen. Sie glaubten ihrer Sache sicher zu sein. Das protestantische Steyr dürfte ihnen den nötigen Rückhalt geboten haben.
Die Stadtkirche von Steyr war eine Filiale des Klosters Garsten. Das Kloster selbst schickte evangelisch gesinnte Prediger in die Stadt, so Michael Forster. Als dieser wegen ketzerischer Lehren von dem Abte ins Kloster zurückberufen wurde, setzte der Rat der Stadt im Jahre 1528 zum erstenmal einen Prediger nach seinem Ermessen ein, Johannes Weinberger5.7. Wer waren die Männer, die im Rate saßen und dieses taten5.8? Es waren die reichen Eisen- und Handelsherren, die in der Stadt das Regiment führten: die Brüder Fenzl, die eine Faktorei in Venedig besaßen; Lorenz Guetprot, der als armer Diener in die Stadt gekommen war, durch den Messerhandel aber einer der reichsten Patrizier wurde, wozu seine Heirat mit zwei reichen Bürgerstöchtern nicht wenig beitrug; seine erste Frau war eine Pranauer, seine zweite eine Prandstetter. Sein Sohn Wolfgang spielte in späteren Jahren in der Stadtverwaltung eine große Rolle. Dasselbe gilt von Daniel Strasser, dem Sohne Hans Strassers, der im Volksmunde der Reiche genannt wurde; er erwarb von den Herren von Scherffenberg die am rechten Ufer der Ybbs gelegene Herrschaft Gleiss. Veit Pfefferl stammte aus einer Familie, die aus Tirol zugewandert war. Hieronymus Urkhauff ließ seine Söhne in Wittenberg studieren; sie gehörten zu den bekenntnistreuesten evangelischen Männern der Stadt. Sie alle aber überragte an Macht, Einfluß und Reichtum das in drei Zweige aufgespaltene, aus Weyr stammende Geschlecht der Händl. Es waren insgesamt 16 Familien, die im inneren Rate Sitz und Stimme hatten; da sie alle untereinander verwandt waren, war Stetigkeit der Geschäftsführung verbürgt. Sie alle besaßen mindestens ein Haus in der Stadt am Marktplatz oder dem anschließenden Grünmarkte. Die schönen Häuser, die heute noch das Auge des Besuchers der Eisenstadt entzücken, sind bis auf das Bummerlhaus alle erst nach dem großen Brande von 1522 von Männern erbaut worden, die dem evangelischen Glauben schon gewonnen waren oder die sich später dazu bekannten. Jene Berufung Weinbergers war ihr Werk. Bald darauf hörte man auf, das Salve Regina zu Ehren der Jungfrau Maria zu singen. 1529 schloß die Stadt einen Vergleich mit dem Abte von Garsten, in dem sie ihm das Besetzungsrecht der Pfarre zuerkannte, aber angesichts der Zustände in Garsten wirkte sich diese Abmachung in einer für die Predigt des Evangeliums förderlichen Weise aus. Denn im Kloster selbst war die Ausbreitung lutherischen Geistes im Gange. Der erste als evangelisch anzusprechende Pfarrer der Stadt, Wolfgang Waldner, kam aus Garsten. Er heiratete 1548 seine [Seite 31] Haushälterin, was großes Aufsehen erregte, und entwich heimlich nach Augsburg, nachdem er nach Passau zitiert worden war. Aus Garsten kam Lorenz Twenger, der 1554 noch vor Abschluß des Augsburger Religionsfriedens den evangelischen Gottesdienst in Steyr einführte. Er hatte die Confessio Augustana zur Grundlage seines Bekenntnisses gemacht. Am Ostersonntag 1554 unterließ er bei der Messe die Elevation der Hostie, auch die Fronleichnamsprozession stellte er ein. Niemals hätte er ohne Billigung des Rates diese Neuerungen durchführen können.
Wechselseitig mögen die Gesandten am Ausschußlandtag und die vornehmsten Ratsherren sich in ihrer religiösen Haltung bestärkt haben. Jene fanden den Mut, König Ferdinand an sein Versprechen zu erinnern, alles abzustellen, was dem Worte Gottes und der Seelen Seligkeit zum Nachteile gereiche. Dieses Versprechen konnte man in verschiedenem Sinne auffassen. Die Auslegung der Stände war eindeutig. Sie erhofften, von Ferdinand das Zugeständnis der Duldung des evangelischen Bekenntnisses zu erlangen. Dafür war aber dieser keinesfalls, noch dazu in einem Augenblicke zu haben, als sein kaiserlicher Bruder sich anschickte, das deutsche Religionswesen auf eigene Art und aus eigener Machtvollkommenheit zu ordnen.
Über das Interim, das den Protestanten in Priesterehe und Laienkelch nur unwesentliche Zugeständnisse machte, während ihr Zentraldogma, das Sola fide, keine Beachtung fand und die Geltung des katholischen Dogmas unangetastet blieb, haben sich Prädikanten und Laien auch in Österreich Gedanken gemacht. Christoph Jörger und sein Prediger Martin Moseder prüften das neue Reichsgesetz an der lutherischen Lehre und nahmen dazu Stellung5.9. Was dort von der Rechtfertigung und des Menschen eigenem Willen gesagt ist, erkannten sie nicht an. Von der Wahrheit, daß der Mensch allein durch den Glauben selig werde, wollten sie nicht weichen; andere Bestimmungen des Interims, die nicht das Kernstück der Lehre betrafen, erschienen ihnen weniger wichtig, doch lehnten sie den Opferbegriff der Messe, Privat- und Seelenmessen, Anrufung der Heiligen, Prozessionen mit dem Umhertragen des Sakramentes ab.
Wir wissen, daß die Bestimmungen des Interims nicht durchdringen konnten, erstens wegen des Stellungswechsels Moritz' von Sachsen und zweitens wegen des tapferen Widerstandes vieler lutherischer Theologen, die lieber Existenz und Stelle opferten, als sich dem kaiserlichen Befehle zu unterwerfen, und Melanchthons Haltung tadelten,weil er ihrer Meinung nach das wahre Wesen der Reformation verwässerte. Unter diesen hat vor allem der streitbare Matthias Flacius, nach seiner Heimat in Istrien Illyricus genannt, Bedeutung gewonnen. Seine Richtung war besonders unter den in Österreich wirkenden Prädikanten auch in der Folgezeit stark vertreten. Ferdinand hatte sich um die Durchführung des Interims bemüht. Nach der Verlautbarung in den katholischen Ländern Süddeutschlands sollte die Salzburger Provinzialsynode 1549 die Einführung [Seite 32] des Interims erleichtern5.10. Doch fanden die Statuten, Mandate und Gravamina, die man dort ausarbeitete und die sich nicht so sehr mit der Reform des Klerus als mit den Eingriffen der Laien in die geistlichen Befugnisse beschäftigten, nicht die Billigung König Ferdinands. So wenig waren sich katholische geistliche und weltliche Gewalt über das erforderliche Vorgehen einig. Den Gewinn trug der Protestantismus davon, der sich unaufhaltsam ausbreitete. Die Stände hakten in ihrem Gutachten über die Artikel der Salzburger Synode dort ein, wo sie mit dem Landesherrn eines Sinnes waren: in der Ablehnung der Einmischung der Geistlichkeit in weltliche Belange. In Oberösterreich ging der geistliche Stand gemeinsam mit dem weltlichen vor. In Steiermark stammte das Gutachten allein von den weltlichen Ständen. Es ist ein Bekenntnis zum Protestantismus. Hier tritt die steirische Landschaft zum ersten Male als evangelische Körperschaft auf5.11. Ganz ähnlich lautete das Gutachten der Kärntner, wo der Landeshauptmann Christoph Khevenhüller sich zur neuen Lehre bekannte: nur was dem Gotteswort entspräche, sei anzunehmen, alles andere zu verwerfen; die Laien sollten bei der Stellung und Wahl der Geistlichen mitreden; das ärgste Unkraut haben diese gesät durch die Trennung des geistlichen Standes vom weltlichen; es gäbe nur einen einzigen geistlichen Stand unter den Christen, sie alle seien Glieder eines einzigen Leibes, dessen Haupt Jesus Christus ist
.Man sieht, die Herren waren in der Bibel gut bewandert. Über ihre Stellungnahme konnte der König unmöglich erfreut sein; aber seine eigenen Gesandten überwarfen sich in Salzburg mit den geistlichen Herren, so daß Ferdinand die Veröffentlichung der Salzburger Beschlüsse in seinen Ländern untersagte.
Die einzige Hoffnung blieb das Konzil, das 1551 wieder eröffnet werden sollte. Aber die deutsche Fürstenrevolution unter der Führung Sachsens versetzte der katholischen Partei einen gewaltigen Schlag. Von seinem Bruder zur Ordnung der deutschen Verhältnisse bestimmt, mußte Ferdinand sehen, wie er mit den evangelischen Reichsständen zurecht käme. Der Passauer Vertrag gewährte 1552 lediglich eine Atempause.
In seinen Erblanden war der König nicht gewillt nachzugeben. Er ließ ein scharfes Mandat nach dem anderen ausgehen. 1551 wurde der Vertrieb lutherischer Bücher und die Anstellung von Schulmeistern, die nicht vom Bischof geprüft waren, aufs strengste verboten. Das Mandat vom 5. Juni 1553, erneuert am 5. Februar 1554, sah die Reform der Wiener Universität vor, die so herabgekommen war, daß an der theologischen Fakultät weder Professoren noch Studenten vorhanden waren. Deshalb forderte der König Prälaten und Stadtmagistrate auf, Stipendiaten an die Universität zu senden5.12. Der Erfolg war gering, weil der evangelische Adel seine Söhne an die evangelischen Universitäten nach Wittenberg, Jena und Rostock schickte, trotz des Verbotes, [Seite 33] das Ferdinand 1548 erlassen hatte. Seine Untertanen sollten nur in Wien, Freiburg i. Br. und Ingolstadt studieren5.13. 1550 waren die Väter der Gesellschaft Jesu ins Land gerufen worden, 1551 trafen die ersten Sendboten des streitbaren Ordens ein5.14.
Die größte Aufregung und den heftigsten Widerspruch forderte aber das Mandat vom 20. Februar 1554 heraus, das den Genuß des Abendmahles unter beiderlei Gestalt verbot und im Jahre mindestens einmal Beichte und Kommunion vorschrieb5.15. Die Stände lehnten dieses Mandat mit dem Hinweis ab, daß der Herr das Abendmahl unter beiderlei Gestalt eingesetzt habe und daß dies der ältere Gebrauch durch viele hundert Jahre gewesen sei, womit nicht sie, sondern der andere Teil sich abgesondert habe5.16. In Oberösterreich wurde der Kampf gegen das Verbot des Laienkelches am schärfsten aufgenommen. In der Replik der drei Stände des Erzherzogtums Österreich ob der Enns erklärten diese zwar in einer unterwürfigen, in der Sache aber festen, bestimmten und überaus aufrichtigen Weise, sie hätten etliche Jahre schon das hochwürdige Sakrament des Leibes und Blutes Christi nach fürgehender Beicht und Absolution unter beiderlei Gestalt empfangen. Diese Nebenschrift wegen der Kommunion übergaben sie auf dem Landtage 1554 zu Linz5.17. In Graz ertönten ähnliche Reden.
Da von dem Konzil in Trient ein Entgegenkommen offenbar nicht zu erwarten war, blickten die Evangelischen gespannt nach Augsburg, wo der Reichstag im Jahre 1555 zusammentrat. Das Ergebnis in religiöser Hinsicht war der Augsburger Religionsfriede, der die Spaltung Deutschlands in zwei Lager zu einem gesetzmäßigen Zustande machte. Die katholischen Reichsstände mußten die evangelischen als gleichberechtigt neben sich anerkennen. Wichtig ist hervorzuheben, daß nur den Reichsständen, nicht aber den einzelnen Gläubigen das Bekenntnis freigestellt war nach dem Grundsatze: Cuius regio eius religio. Das obrigkeitliche Regiment bestimmte die Religion seiner Untertanen. Wie wirkte sich diese Regelung in den österreichischen Erblanden aus? Ehe wir diese Frage beantworten, sei eines Seitentriebes der religiösen Erneuerung im 16. Jahrhundert gedacht, der in unseren Ländern so tief Wurzel geschlagen und so weite Verbreitung gefunden hat, daß man Österreich und insbesondere Tirol als ureigentliches Täuferland bezeichnen kann. [Seite 34]
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[Seite 35]
Als Ursprungsland des süddeutschen Täufertums gilt die Schweiz, wo in Zürich im Jänner 1525 die erste Wiedertaufe stattfand. Doch machten sich in Österreich auch noch Einflüsse des mitteldeutschen Schwärmertums geltend, wie wir es in Thomas Müntzer verkörpert sehen, von dem Hans Hut abhängig ist, der allerdings seine aggressiv-kämpferische Haltung im Verkehr mit Hans Denk aufgegeben hat6.1. Als ein Verbindungsmann zwischen der Schweiz und Österreich kann der Schwabe Balthasar Hubmaier, Pfarrer im österreichischen Waldshut, gelten, der, von dort flüchtig und aus Zürich ausgewiesen, 1527/28 in Nikolsburg in Mähren bei den Herren von Liechtenstein eine Zuflucht fand6.2.
Zum Streitgespräch zwischen Hut und Hubmaier in Nikolsburg, in dem Hut für die "Wehrlosigkeit" der Christen eintrat, Hubmaier die mit dem Schwerte richtende Obrigkeit verteidigte, hatten sich 1527 auch Männer eingefunden, die in der Folgezeit höchst bedeutsam wurden: so aus Oberösterreich Hans Schlaffer und Leonhard Schiemer, der in Wien von Oswald Glaidt getauft wurde; beide waren Schüler und Anhänger von Hans Hut, dem Buchbinder und Buchhändler aus Franken, dem Apostel des österreichischen Täufertums. Dieser war 1527 von Nikolsburg, wo er gefangengesetzt worden war, nach Wien geflohen, wo er nach seiner eigenen Aussage 50 Personen getauft hat6.3. Mit Schlaffer und Schiemer zog Hut dann nach Westen. Durch seine Predigt vom baldig herannahenden Reiche Gottes und dem Jüngsten Tage hat er auf seine Zuhörer gewaltigen Eindruck gemacht. Er verkündete die Lehre vom Geheimnis der Taufe, die der Mensch nur empfangen kann, nachdem er von Gott durch Kreuz und Leiden dazu bereitet worden ist, vom Bund der Getauften, die sich zwar von der Welt absondern, aber doch von Christus dazu bestimmt sind, über die Welt zu herrschen6.4.
Hut wanderte nach Melk, wo er wieder taufte und neue Gefolgsleute gewann, zwei Melker Bürger, mit denen er sich nach Steyr begab. In [Seite 36] Steyr muß schon Hubmaier eine Täufergemeinde angetroffen haben, als er sich 1526 von Zürich auf dem Wege nach Mähren befand. Der Ursprung dieser Gemeinde ist in Dunkel gehüllt. Wir können heute nicht sagen, ob sie auf Reste waldensischen Glaubens zurückgeht; zu neuem Leben aber wurden sie sicherlich durch Luthers Predigt vom reinen Gottesworte und die seiner Anhänger erweckt sowie durch Nachrichten vom Widerstand gegen die Kindertaufe in den Lehren Thomas Müntzers und Karlstadts und durch die Praxis in Zürich. Von Huts nachhaltiger Tätigkeit in Steyr gibt die Nachricht Zeugnis, daß er nicht nur auf dem Schlosse predigte, wo der kaiserliche Verwalter saß, sondern auch in den Häusern angesehener Bürger, wie des Veit Pfefferl am Grünmarkt, dessen Familie später zu den aufrichtigsten und überzeugungstreuesten Protestanten zählte. Der Kaplan im Schlosse, Jakob Portner, hat ihn dort eingeführt. Von Steyr zog Hut über Linz und Gallneukirchen nach Freistadt im Mühlviertel, wo er ebenfalls schon eine Täufergemeinde vorfand, selbst aber noch viele getauft hat. In dieser Gemeinde muß Hans Schlaffer gelehrt haben, der 1526 auf Schloß Weinberg (bei Kefermarkt) bei den Herren von Zelking weilte. Die Aussagen von sechs Freistädter Täufern, die 1527 gefangengenommen wurden, decken sich in auffallender Weise mit dem Traktat Schlaffers "Kurzer Bericht und Leer eines recht christlichen Lebens". Diesen Täufern wurde auf Befehl König Ferdinands 1527/28 der Prozeß gemacht. Sie widerriefen ihre Lehre und taten Kirchenbuße. Todesurteil wurde damals in Freistadt keines gefällt6.5.
Einen anderen Verlauf nahm der Täuferprozeß in Steyr, zu dem der König als Ankläger im Herbst 1527 den Magister Wolfgang Künigl sandte. Dieser fand dort eine größere Menge von Täufern vor, als er sich vorgestellt hatte. Über die Zahl ihres Anhanges und die Entschlossenheit der Leute war er nicht wenig erschrocken, so daß er sich kaum getraute, selbst den Widerrufenden die strenge Strafe der Kirchenbuße aufzuerlegen, wie sie in Vorderösterreich zu Horb und Rottenburg am Neckar festgesetzt worden war6.6. Über die Aussagen der Täufer sind wir durch Künigls Aufzeichnungen genau unterrichtet6.7. Zeichen ihres Bundes ist die Taufe, die auf die Wortverkündigung und das Bekenntnis des Bekehrten folgt. Sie behaupten, ihre Bruderschaft sei die wahre christliche Gemeinde, außerhalb stünden die Gottlosen. Prediger und Täufer werden von den Gemeinden gewählt. Im Abendmahl folgen sie der Lehre Zwinglis; deshalb werden sie in den Mandaten Ferdinands, besonders in dem Ofener vom 20. August 1527 zusammen mit Karlstadt, Oekolampad und Zwingli genannt. Einige lehrten damals auch in Steyr, daß alle Dinge gemeinsam sein sollten6.8. Alle diese österreichischen Täufer gehörten nach dem Schweizer Vorbild und der Hutischen Lehre zur Gruppe der widerstands- oder wehrlosen Frommen, die jedem Christen die Führung des Schwerts untersagten. Deshalb wollten sie niemals Obrigkeit sein. Diese Gruppe ist scharf von Müntzers [Seite 37] Gefolgsleuten im Bauernkrieg und von den streitbaren Täufern in Westphalen zu trennen.
Künigl und der Steyrer Rat, die im Beisein von Abgeordneten der anderen fünf oberösterreichischen Städte (alle außer Freistadt) über die Täufer zu Gericht sitzen mußten, waren nicht der Auffassung, daß über diese Männer die Todesstrafe zu verhängen sei. Die Erklärung der Täufer, daß sie niemals der Meinung gewesen seien, gegen die Mandate des Königs zu handeln, und daß sie nach den Worten der Schrift: "Seid untertan aller menschlichen Ordnung um des Herren Willen!" dem Kaiser gehorsam sein wollten, vor allem aber ihre sichere Kenntnis jener Stellen der Schrift, mit denen sie ihr Bekenntnis unterbauten6.9, mag auf die Richter Eindruck gemacht haben. Bei den Ratsherren und dem Vorsitzenden des Gerichtes, dem Bürgermeister Georg Bischofer, ist unverhohlene Sympathie für die Angeklagten zu verspüren. Wie wohltuend wirkte in der Atmosphäre des grausamen Mordens, die uns umgibt, woimmer eine Obrigkeit, sei sie katholisch oder lutherisch, mit Täufern zu tun gehabt hat, das Urteil des Linzer Beisitzers Michael Widmer, es sei ihm schwer als einem Laien, unerfahren in göttlicher und weltlicher Schrift, in dieser Sache zu urteilen. Die Gefangenen sollten — so lautete das Urteil — so lange durch gelehrte und andere verständige Christgläubige unterrichtet werden, bis sie von ihrem Irrsal abstehen und sich wieder zum wahren, rechten und christlichen Glauben bekehrt hätten; wo nicht, sollten sie gegen Eid des Landes verwiesen werden6.10.
Der König, dem vor dem Überhandnehmen der Sekte graute, ließ sich in der Strenge seines Spruches nicht beirren: Er hob das Urteil der Mehrheit, die sich Michael Widmer angeschlossen hatte, auf und verfügte am 28. März 1528 den Tod durch das Schwert für die Verstockten; es traf zwölf Männer und eine Frau, die ertränkt wurde.
Damit war die Steyrer Gemeinde vernichtet, aber in der Folgezeit flammte täuferisches Wesen in der Stadt und ihrer Umgebung immer wieder auf und nicht nur unter den armen und geringen Leuten. Waren doch Wolf Khoberer, ein Ratsherr, und seine Frau, die Schwester Daniel Strassers, Täufer. Als diese starb, ließ der Bruder sie außerhalb der Stadt in der Kirche von Opponitz einsegnen und auf seiner Herrschaft Gleiß beerdigen, um kein Aufsehen zu erregen6.11. Im Jahre 1575 gab es Schwierigkeiten mit dem Goldschmied Hans Fäbl, der sein Kind nicht wollte taufen lassen6.12.
Aus dem Blute der Märtyrer erstanden neue Zeugen. Dem Wirken des Linzer Täuferbischofs Wolf Brandhuber ist die Ausdehnung der Brüdergemeinden über das ganze Land zuzuschreiben. Wir finden Täufer in Enns und Wels, wo acht Männer verbrannt und zwei Frauen ertränkt wurden. In Vöcklabruck fand eine Hinrichtung statt. Der Einfluß Brandhubers ist bis nach Franken zu verspüren, in Wels taufte [Seite 38] er Jakob Storger von Koburg6.13. In Gmunden lag drei Jahre, 1529-1532, einer der hervorragendsten Täufer, der Schlesier Peter Riedemann, gefangen, kam aber mit dem Leben davon. Brandhuber wurde im Jahre 1529 in Linz hingerichtet; 70 seiner Anhänger sollen dort dem Scharfrichter zum Opfer gefallen sein. Ein Linzer, Ambrosius Spitelmeier, der in seiner Vaterstadt von Hans Hut getauft worden war, wurde in Erlangen, in der Markgrafschaft Ansbach-Bayreuth, die zu Brandenburg gehörte, gefangengenommen und am 6. Februar 1528 in Cadolzburg hingerichtet. Seine Aussagen sind deshalb so aufschlußreich, weil bei ihm der Bundesgedanke ganz scharf herausgearbeitet ist; er ist überhaupt ein tiefgläubiger Mann gewesen, der über die Heilige Schrift und das Verhältnis des Menschen zu Gott viel nachgedacht, den Gedanken der Gütergemeinschaft ausgesprochen, die Gottheit Christi möglicherweise nicht anerkannt, die Nachfolge aber stark betont hat. Aufreizend war für die Obrigkeit, daß er den aufständischen Bauern recht gab6.14.
Schiemer, der in Steyr von Hut zum Vorsteher oder Bischof bestellt worden war, und Schlaffer, der mit Schiemer von der Augsburger Täufersynode im August 1527 zur Predigt nach dem Westen geschickt worden war, wurden beide in Nordtirol gefaßt und hingerichtet, Schiemer am 14. Jänner 1528 zu Rattenberg6.15, Schlaffer in Schwaz am 2. Februar 15286.16.
Auch in Niederösterreich flammten die Scheiterhaufen; 105 sollen gerichtet worden sein, besonders in Wien, wo Balthasar Hubmaier als eines der ersten Opfer, von den Herren von Liechtenstein an seinen Landesherrn ausgeliefert, am 10. März 1528 als Aufrührer auf der Richtstätte vor dem Stubentor in Erdberg verbrannt wurde, wo auch Tauber den Tod gefunden hatte. Da alle Mandate nichts fruchteten und die ordentlichen Gerichte dem Landesherrn zu langsam arbeiteten, betraute Ferdinand 1528 den Hauptmann der Stadt- und Spanschaft Ödenburg, Dietrich von Hartitsch, als Landesprofos mit der Aufgabe, die ketzerische Lehre in Niederösterreich auszurotten6.17. Dieser begann eine fürchterliche Jagd und ein grausames Morden. In Neulengbach fielen dem dortigen Pfleger 33 Wiedertäufer, Männer und Frauen jüngeren Alters, in die Hände, 18 Verstockte wurden Hartitsch zur Hinrichtung übergeben.
Das Jahr 1528 ist als Höhepunkt der Verfolgung zu bezeichnen, nicht nur für Ober- und Niederösterreich, sondern auch für Steiermark6.18. Neun Brüder und drei Schwestern erlitten in Bruck den Märtyrertod. Diese drei Mädchen hat das Lied verherrlicht. Am [Seite 39] wenigsten Hinrichtungen wurden in Steiermark und Kärnten vollzogen. In Wolfsberg wurden drei Täufer gerichtet, in St. Veit zwei6.19. Das mag der milden Gesinnung des Landeshauptmannes von Steiermark, Hans Ungnad von Sonneck, zuzuschreiben sein, der es nicht über sich brachte, einen Menschen um des Glaubens willen zu töten. Die unmittelbare Macht des Königs mag sich hier nicht so verhängnisvoll ausgewirkt haben. Der berühmteste Kärntner Täufer, Antoni Erfordter, entging dem Tode nur dadurch, daß er das Bekenntnis zweier mitgefangener Brüder "ain secten und verfüerung" nannte, eine Schwachheit, deren er sich in seinem "Urlaubsbrief" bitter anklagte: diese Schrift verfaßte er noch in seinem Hause in Klagenfurt, ehe er der Stadt, die er ihrer Unsittlichkeit wegen ein Sodom und Gomorrha nennt, den Rücken wandte. Mit seiner Scheltrede traf er Katholiken und Lutheraner in gleicher Weise, den ganzen Haufen der papistischen und lutherischen Schriftgelehrten; sie sind ihm alle Heiden, weil sie sich einen matten Glauben erdichtet haben, sich auf Gottes Barmherzigkeit ausruhen und die Gebote Gottes nicht halten6.20. Deshalb sonderte er sich von ihnen ab und zog nach Mähren. Von ihm stammt der schöne Trostbrief an die 136 Täufer von Steinabrunn in Niederösterreich, die 1539 während einer Versammlung vom Profosen aufgegriffen und nach der Burg Falkenstein gebracht worden waren. Die Frauen und Kinder gingen frei, die Männer sollten auf die Galeeren des Andreas Doria nach Genua verschifft werden, aber sie entkamen in Triest, nur 20 wurden wieder eingefangen, 70 fanden den Weg nach Mähren6.21.
Grausame Taten geschahen in Salzburg; in der Stadt hatte Hans Hut im Sommer 1527 getauft. Im ganzen Lande sollen 38 Täufer hingerichtet worden sein. Im Herbst 1527 vollzog sich das Schicksal zahlreicher Brüder. Drei davon waren unmittelbare Gefolgsleute von Hans Hut, die wir schon in Steiermark nachweisen können: Eukarius Binder aus Koburg, Hieronymus von Mansee, ein Mönch aus Ranshofen, und Joachim Mertz. Sie waren von der Täufersynode in Augsburg als Evangelisten ins Salzburgische geschickt worden. Alle drei wurden gefaßt und am 25. Oktober 1527 verbrannt. Keiner von ihnen hatte widerrufen6.22. Bei einer Versammlung in einem Hause außerhalb Salzburgs wurden 16 Männer und Frauen überrascht. Sechs davon, die nicht widerriefen, wurden wieder in das Haus gesperrt und am 6. November 1527 mit dem Hause verbrannt6.23.
In keinem Lande hat die Botschaft der Täufer so sehr gezündet wie in Tirol. Tausende schlossen sich ihr an. Es ist höchst bemerkenswert, daß dies in einem Lande geschah, das immer als Hochburg des Katholizismus gegolten hat und noch heute gilt. Hier haben sich selbst Adelige wie Helene von Freiberg und Anton von Wolkenstein dem Täufertum [Seite 40] angeschlossen, die 1534 nur mit Mühe zum Widerruf gebracht wurden6.24. Bestimmt haben Einflüsse aus der Schweiz herübergewirkt, da Georg Blaurock, der Gefährte von Konrad Grebel und Felix Manz, der gewaltige Prediger, in seinem Heimatkanton Graubünden 1525 tätig war und nach seiner Vertreibung aus Zürich im Jahre 1527 seine Arbeit überhaupt nach Tirol, und zwar ins Eisacktal, verlegte. Er erlitt 1529 in Klausen den Märtyrertod6.25.
Täufer sind nachgewiesen im Wipptal6.26, im Eisacktal6.27; nirgends aber ist die Ausbreitung so intensiv gewesen wie im Unterinntal und im Pustertal6.28, aus dem der größte Täuferführer Österreichs, Jakob Huter, stammte.
Im Unterinntal ist Rattenberg und Kitzbühel die Heimat bedeutender Täuferführer. Von hier stammten die Vorsteher Pilgram Marpeck, Jörg Fasser, Sigmund Schützinger, Georg Gschäl und Hans Kräl. Jakob Huters Heimatdorf ist Moos bei St. Lorenzen in der Nähe von Bruneck. Von ihm, "dem Manne eines herrlichen Gemütes gegen Gott, einem in Feuer wohlbewährten Mann, einem treuen Diener Jesu Christi" berichtet das Geschichtbuch der Hutterischen Brüder im Tone der Bibel: "Unter solchen aber kam einer mit Namen Jakob, seines Handwerks ein Hutter. ...".6.29 In Kärnten mag er für das Täufertum gewonnen worden sein; das Eisacktal wurde die Domäne seines Wirkens. Dort waren Guffidaun und Klausen wie auch Sterzing Mittelpunkte der Bewegung. Michael Kürschner, der ehemalige Gerichtsschreiber von Völs, von Jörg Zaunring 1528 getauft, hatte im Eisack-und Etschtal missioniert und an 100 Personen getauft. Im Jahre der grausamen Verfolgung 1528 wurde er in Kitzbühel gefangengenommen und am 2. Juni dort lebendig verbrannt. Der verwaisten Gemeinde nahm sich Jörg Blaurock an; nach seinem Märtyrertode übernahm Huter die Führung. Aber die Verfolgung war so heftig, daß er und seine Getreuen nicht hoffen konnten, im Lande durchzuhalten; so organisierte er den Auszug der Tiroler nach Mähren.
Dort hatte sich in der Gemeinschaft dadurch eine Spaltung vollzogen, daß sich die Anhänger der friedlichen Richtung Huts im Gegensatze zu der wehrhaften Hubmaiers, dessen Nachfolger Hans Spittelmaier geworden war, unter der Führung von Jakob Wiedemann und Philipp Weber 1528 von Nikolsburg nach Austerlitz begeben hatten. Diese spöttisch "Stäbler" genannten Frommen begannen alsbald, ihre Habe zusammenzulegen und "Diener der Notdurft" zu bestellen, die sich [Seite 41] der Bedürftigen annehmen sollten. Auf diese Verhältnisse stieß Huter, als er mit Schützinger im Jahr 1529 das erste Häuflein Tiroler Täufer nach Mähren führte. Es gelang ihm, die Vereinigung mit dem Volke von Jakob Wiedemann durchzuführen. Viermal ist Huter nach Mähren gezogen, wo es immer wieder galt, Streitigkeiten zu schlichten. Ihm, dem gewaltigen Prediger und Organisator, hat sich die Gemeinde willig unterworfen. Ihre geistliche Ordnung schließt sich an die "Brüderliche vereynigung etzlicher kinder gottes sieben Artickel betreffend" an, die Michael Sattler am 24. Februar 1527 in Schlaten am Randen (Schleitheim) verkündigt hatte6.30. Wir finden diese Gemeindeordnung im Geschichtbuche der Hutterischen Brüder in zwölf Artikeln aufgezeichnet6.31. Die Gemeinde kommt im Gottesdienst zusammen, die Brüder und Schwestern, die unordentlich leben, werden ermahnt und, wenn nötig, öffentlich gestraft. Sie betrachten alle Gabe als von Gott empfangen und halten sie nach dem Brauch der ersten apostolischen Kirchen gemein. Erwählte Diener haben acht auf die Armen der Gemeinde. Ein ehrbarer Wandel soll vor allem vor denen, die draußen sind, geführt werden, in den Versammlungen soll es ordentlich zugehen. Täglich sollen sie sich unter das Werk und Kreuz des Herrn stellen. Wie sie alle untereinander einen Leib und ein Brot darstellen, sollen sie das Nachtmahl zum Gedächtnis seines Todes halten. Allezeit sollen sie wachen und auf des Herren Ankunft warten.
Dies lag schon fest, ehe Huter kam. Das Entscheidende seiner Tat lag in der Organisation des Gemeindelebens in Gütergemeinschaft, in der Errichtung jener Produktions- und Konsumgenossenschaften, die wir Haushaben oder Bruderhöfe nennen, wie sie sich zur hohen Zeit des Täufertums in Mähren an etwa 80 Orten des Landes entwickelten; es waren ungefähr 15.000 Brüder. Jede Haushabe, die in ihrem Bereich gemeinsame Arbeit und gemeinsames Leben in persönlicher Besitzlosigkeit entwickelte, umfaßte etwa 200 Menschen6.32. Es waren größtenteils Handwerker; die Erzeugnisse täuferischer Schuster, Schmiede, Töpfer und Weber waren hochgeschätzt, aber auch die Weinbauern hatten ihre eigenen Ordnungen. Die Leute selbst befleißigten sich der größten Einfachheit und waren ungemein emsig und arbeitsam. "Da war keiner, der müßig ging, es tät jedes etwas, was ihm befohlen war ... wie ein künstlich Werk einer Uhr" griff ein Teil in den anderen und machte ihn gehen. Haushälter organisierten die Arbeit und den Einkauf. Aber auch das Schulwesen stand auf hoher Stufe. Die Kindererziehung erfolgte nach Grundsätzen, die in anderen Gemeinden erst viel später entwickelt wurden.
Im Jahre 1533 war Huter zum vierten Male nach Mähren gekommen und hatte die Organisation der Haushaben tatkräftig in die Hand genommen. Er hat auch die böse Verfolgung miterlebt, die auf Betreiben König Ferdinands zur Vorbeugung einer Wiederholung der Vorgänge in Münster zur Vertreibung der Täufer durch die mährischen Adeligen [Seite 42] 1535 führte. Damals, als das Elend groß war, die Leute auf freiem Felde ohne Unterkunft liegen mußten, schrieb Huter seinen Brief an den Landeshauptmann in Mähren, in dem der Satz steht: "Darumb ach und weh und abermal wee in ewigkait, ir mährischen herren, das ir dem grausamen türanen und feind der göttlichen warhait, Ferdinandum, habt zuegesagt und verwilliget, die fromen und göttsförchtigen zu vertreiben aus euren landen und förchtet den sterblichen und unnutzen menschen mehr dan Gott, den lebendigen, ewigen und allmechtigen Gott und herrenn6.33."
Seines Bleibens in Mähren war nicht länger, er mußte nach Tirol weichen, aber auch dort waren seine Tage gezählt. Er mag, als er seinen letzten Brief an die Gemeinde nach Mähren schrieb, geahnt haben, was seiner harrte: "Wir leben und wandeln in lieb und glauben in fried und ainigkeit des heiligen Geistes. Wir haben auch großen truebsal inwendig in unsern herzen eurenthalben und auch sunst große schwere verfolgung, eißerlich von den gottlosen türannen. Der grausame, wüetende track hat seinen schlund und raachen weit aufgetan und will das weib, das mit der sunnen beklaidt ist, verschlucken, welches ist di braut und die gmain unseres herren Jesu Christi".6.34
Am 30. November 1535 abends wurde Huter im Hause des gewesenen Mesners Steiner zu Klausen durch "Betrug und Verräterei" vom Pfleger auf Säben verhaftet. Am 9. Dezember brachte man ihn nach Innsbruck; er wurde gütlich und peinlich verhört, nichts hätte ihm nach dem Willen des Landesfürsten von der Todesstrafe durch Verbrennen erretten können. Er ist entsetzlich gefoltert worden und erlitt den Tod standhaft bis zum letzten Augenblick am 26. Februar 1536. Sein Werk aber lebt bis zum heutigen Tage.
Huter hat in Tirol Nachfolger gefunden, die allen Verfolgungen zum Trotz unentwegt gearbeitet haben, bis sie den Tod auf dem Scheiterhaufen fanden: Onophrius Griesinger, hingerichtet in Brixen am 31. Oktober 1538, Hans Mändl, hingerichtet am 10. Juni 1560, nicht gerechnet die vielen anderen, die im Lande der Berge den Märtyrertod fanden. Es waren über 600 Menschen. Auch in Mähren leiteten vielfach Tiroler die Gemeinden, zunächst war Hans Amon Bischof, dann Peter Riedemann, der in seiner "Rechenschaft unserer Religion, Lehr und Glaubens" die umfassendste huterische Bekenntnisschrift verfaßt hat. 1565 wurde Peter Walpot, wieder ein Tiroler, zum Vorsteher gewählt; ihm folgte Hans Kräl. In die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts fiel, zusammen mit der Regierungszeit Maximilians II. und dem Beginne der Rudolphinischen Ära, die goldene Zeit des mährischen Täufertums. Erst nach der Katastrophe des österreichischen Protestantismus in der Schlacht auf dem Weißen Berge mußten sie 1622 Mähren verlassen. Sie wichen immer weiter nach Osten aus, zunächst nach Oberungarn, dann nach Siebenbürgen, wo sie 1755 frischen Zuzug aus Kärnten erhielten. Über Rußland fanden sie im Laufe der Jahrhunderte [Seite 43] den Weg nach Kanada, in die Vereinigten Staaten und nach Südamerika, wo heute noch Bruderhöfe zu finden sind.
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Der Augsburger Religionsfrieden, der nur den Reichsständen die Wahl des Bekenntnisses freistellte, nicht aber den einzelnen Untertanen, hätte eigentlich für den Protestantismus der Erbländer den Todesstoß bedeuten müssen. Dies wäre aber nur dann der Fall gewesen, wenn der katholische Landesfürst hätte absolut regieren können und die Macht der Stände gebrochen gewesen wäre. Das geschah erst infolge des Zusammenbruches der ständischen Revolution zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges. An den österreichischen Verhältnissen kann man die enge Verknüpfung wahrnehmen, die zwischen der Aufrichtung der absoluten Fürstengewalt und der Niederwerfung des ständischen Protestantismus bestand7.1. Dasselbe geschah in den spanischen Niederlanden. Wollte Philipp II. Herr dieser Länder bleiben, so mußte er den protestantischen Adel niederschlagen. Er hat den Teil des Landes aufgeben müssen, in dem der Adel, von einem genialen, zähen und zielbewußt vorgehenden Manne geführt, siegreich blieb: die nördlichen Provinzen oder die Generalstaaten erkämpften sich unter Wilhelm von Oranien die Freiheit. Damit siegte auch der Protestantismus. In Frankreich kam es durch die Verkettung der Umstände, daß der Führer der Protestanten, Heinrich von Bourbon, König in einem größtenteils katholischen Lande wurde, zu einem Kompromiß, dem Edikte von Nantes, das in dem Augenblicke aufgehoben wurde, da König Ludwig XIV. seine unumschränkte Macht aufrichten wollte. Wir sehen, es herrschen überall dieselben Gesetze. Niemals haben die Habsburger, auch Maximilian II. nicht, das Recht der Stände, ihrer Untertanen, auf freie Religionsübung anerkannt; immer haben die Stände auf dieses Recht gepocht, indem sie erklärten, in Gewissensfragen dem Grundsatze folgen zu wollen: Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen.
Ein deutliches Bild der Lage zeigte der Wiener Ausschußlandtag 1556. Er war wegen der Geldbewilligung für den Türkenkrieg einberufen worden. Die Stände aber brachten sofort die Religionsfrage zur Sprache7.2. Die Oberösterreicher erklärten in der Instruktion ihrer Gesandten, die von den Äbten von Kremsmünster und von Garsten neben den weltlichen Herren Wolf von Schaunberg und Andrä von Polheim [Seite 45] gefertigt war, sie könnten wegen der Gefährlichkeit des Erbfeindes und ihrer wahren katholischen (!) und apostolischen Religion ein Mehreres nicht auf sich nehmen, und verlangten Abschaffung ihrer religiösen Beschwerden. Die Ständevertreter Innerösterreichs erklärten dasselbe. Ferdinand wich zurück; er stellte die Durchführung seines Mandates, das den Laienkelch verbot, vorläufig ein; mußte sich aber sagen lassen, daß bei Durchführung der Bestimmungen des Religionsfriedens, wenn aus seinem, des katholischen Fürsten, Lande die andersgläubigen Untertanen fortzögen, das Land der meisten Einwohner verlustig gehen würde, so daß niemand übrig bliebe, um es gegen den Erbfeind zu verteidigen; außerdem erklärten die Stände, daß sie von ihrer Konfession und ihrem Bekenntnisse nicht abstehen noch weichen wollten, sondern dabei zu bleiben und zu verharren gänzlich "gedacht" seien7.3.
In allen österreichischen Ländern außer Tirol, das eine Sonderstellung einnimmt, bekannte sich die Mehrheit des hohen und niedern Adels zur neuen Lehre und wagte, den Befehlen des Landesfürsten zu trotzen. In Niederösterreich führten die Eitzing, Grabner, Puchheim, Rogendorf; in Oberösterreich die Jörger, Polheim, Starhemberg; in Steiermark die Hoffmann, Praunfalck, Saurau und Stubenberg; in Kärnten die Khevenhüller. Zwar mußte der gewissenhafte Landeshauptmann der Steiermark, Hans Ungnad von Sonneck, 1556 von seinem Posten zurücktreten, weil er als Protestant die Ausführung der landesherrlichen Mandate nicht auf sich nehmen konnte — er wählte das freiwillige Exil und ging nach Württemberg —, aber an der allgemeinen Lage änderte sich nichts. Der Sohn Christoph Khevenhüllers, des 1557 verstorbenen Landeshauptmannes, der berühmte Bartholomäus, der nach dem Willen des Vaters ein Geistlicher hätte werden sollen, selbst aber ein Kriegsmann werden wollte, auf weite Reisen ging und in Spanien fast der Inquisition zum Opfer gefallen wäre, war evangelisch7.4. Sein Vetter Georg ist der Erbauer der schönsten Kärntner Burg Hochosterwitz7.5. Auf ihren Schlössern, in ihren Freihäusern in den Städten und in den Pfarren auf dem Lande, in denen sie das Patronatsrecht übten, hielten diese Adeligen evangelische Prädikanten. Es war in jener Zeit, daß Martin Moseder, Christoph Jörgers Prediger, sein Glaubensbekenntnis veröffentlichte (1561), und Christoph Reuter, Prädikant der Grabner auf der Rosenburg am Kamp, tat 1562 das gleiche.
Stand die Sache bei den adeligen Herren so, waren die Klöster, besonders die Mendikantenklöster vom Luthertum gänzlich zersetzt und der Auflösung nahe, wie die Visitation von 1561 ergab7.6, so sah es in den Städten nicht viel anders aus.
In St. Pölten schwankte der Rat um die Mitte des Jahrhunderts zwischen dem Gehorsam in Durchführung der landesherrlichen Mandate und seinen evangelischen Neigungen hin und her. In Befolgung des landesfürstlichen Befehles vom 2. Mai 1551 führte er eine Büchervisitation durch7.7. Am 8. August 1557 wurde eine evangelische [Seite 46] Adelshochzeit in der Stadt gehalten, und Christoph Reuter segnete das Brautpaar ein. Der damalige Stiftsprädikant Georg Paldt muß als evangelisch angesprochen werden. Der Streit zwischen der dem Luthertum zuneigenden Ratsbehörde und dem Augustiner Chorherrenstift kam nicht zur Ruhe; viele wußten nicht, was sie eigentlich waren, ob evangelisch oder katholisch. Auf die bei der Visitation 1559 vorgelegten Fragen erklärten sich Pfarrer, Kapläne und Benefiziaten als gut katholisch, obwohl sie gut evangelisch geantwortet hatten. Bei der Visitation von 1561 bot das Stift ein beschämendes Bild. Die geistliche Aufsicht über einen großen Teil des kirchlichen Lebens in der Stadt hatte praktisch aufgehört und war an den Rat übergegangen. In der Pfarrkirche predigte der Lutheraner Konrad Lindenmayer, von 1562 an Andreas Starckh. Die Stadt errichtete eine vom Stifte unabhängige Lateinschule und übernahm die Aufsicht über das Spital. Seit dem Eintritte des jungen tatkräftigen Martin Zandt in den Rat im Jahre 1561 war der evangelische Charakter des Gemeinwesens entschieden. 1564 wurde Zandt Stadtrichter. Von der Kanzel wurde das Wort Gottes rein und lauter gepredigt, das Sakrament des Altares so gereicht, wie es Christus eingesetzt, und bei den Begräbnissen wurden die schönen deutschen Gesänge nicht verwehrt und "die Leichpredig ungeirrt zu thun gestattet7.8".
War es in St. Pölten der evangelische Stadtrichter, der der Predigt des Evangeliums zum Durchbruche verhalf, so war es in Waidhofen a. d. Ybbs der Stadtschreiber Wolf Ebenperger, der dasselbe bewirkte. Er stand mit der Familie Strasser in Steyr in freundschaftlichen Beziehungen7.9.
In jenen Jahren um den Augsburger Religionsfrieden vollzog sich unter Führung des evangelischen Rates auch die Wandlung Steyrs aus einer katholischen in eine evangelische Stadt. Seit Lorenz Twenger 1554 den evangelischen Gottesdienst eingeführt hatte, berief der Rat die Prediger an die Stadtpfarrkirche und das Spital und die Schulmeister an die Lateinschule, die er in dem ihm von Ferdinand I. überlassenen Dominikanerkloster 1559 errichtet hatte. Erster evangelischer Schulrektor war Andreas Küttner. Ihm folgte Thomas Brunner (Pegaeus) aus Wittenberg, den möglicherweise die Urkhauffsöhne Wolf und Georg in ihre Vaterstadt gezogen haben. Hieronymus Urkhauff, den Vater der beiden, nennt Pegaeus seinen besonderen Gönner. Der Schulmann war nicht nur gelehrt, sondern auch Verfasser zahlreicher deutscher Schuldramen; für die Hochzeit des Wolf Urkhauff dramatisierte er die "Historia von dem frommen und gottesfürchtigen Tobia"7.10, die in der Lateinschule von den Knaben aufgeführt wurde. Die Geistesgeschichte der Stadt Steyr mündet in die Kulturgeschichte Deutschlands.
Dramatisch gestaltete sich die Berufung des ersten evangelischen Pfarrers nach der regsamen Handels- und Industriestadt im Mühlviertel, [Seite 47] Freistadt a. d. Aist, das den Salzhandel von Gmunden nach Böhmen vermittelte7.11. In dem etwa 1500 Menschen umfassenden Gemeinwesen hatten sich in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts unter der katholischen Geistlichkeit dieselben Mängel bemerkbar gemacht, wie wir sie allenthalben feststellen konnten: Vernachlässigung der kirchlichen Pflichten, Unbildung, Übertretung des Zölibates. Die Pfarre St. Katharina war eine Filiale von Neumarkt, das dem Bischof von Passau unterstand. Trotz aller Bemühungen des Rates, der die Unfähigkeit des alten Wendelin Brandenburger nachgerade als untragbaren Skandal empfand, war aus Passau kein ordentlicher Prediger zu erhalten. Der Großteil des Rates, Wolf Gebmhofer, Anthoni Aidn, Thoman Attl, Caspar Reisinger und der berühmte Rechtsgelehrte, der Stadtschreiber Veit Stahel, neigte dem neuen Glauben zu; er unterhielt rege wirtschaftliche und geistige Beziehungen mit Steyr, aber auch mit Böhmen, Schlesien und Franken. Die Fügung wollte es, daß der Bischof von Passau zum Kommissar den Pfarrer von Enns, Hans Khuglmann, bestellte, der selbst lutherisch war. Er empfahl den Freistädtern die Berufung eines Mannes, mit dem sie "seines leben und leer wol zufrieden sein" würden. Das war der Pfarrer von Windischgarsten Matthias Hoffmändl, ein feiner, gebildeter Mann, der den Freistädtern wohl gefiel. Während er mit zwei Ratsherren in Passau weilte, um die Konfirmation vom Bischofe zu erlangen, starb in Freistadt zu gelegener Zeit und nicht zum Leidwesen des Rates der alte Brandenburger, und nun war die Bahn frei für den neu Einzusetzenden, den der Bischof ohne Zögern bestätigte. Das geschah im Jahre 1555. Hoffmändl kann als der erste evangelische Pfarrer in Freistadt angesprochen werden, wenn er auch nicht so weit ging, daß er die Messe abgeschafft und richtigen evangelischen Gottesdienst gehalten hätte. Seiner ketzerischen Lehre wegen wurde er nach Passau vorgeladen, von wo er nach seinem Verhöre glücklich entkam. Damit war seine Laufbahn jäh unterbrochen und für Freistadt beendet, wo ungefähr zwölf Jahre lang unsichere Zustände herrschten, bis 1567 mit der Berufung des Prädikanten Johannes Heiß aus Aigen die Durchführung der Reformation entschieden war.
Nicht anders als in Österreich unter und ober der Enns gestalteten sich die Verhältnisse in Steiermark und Kärnten. Die wichtigsten Städte wurden evangelisch. Aus Judenburg wurden 1562 die Franziskaner vertrieben. Aufschlußreich ist das Absinken der Kommunikanten in Graz: 1545 waren es 3000, 1555 nur 2007.12. Seit 1564 wirkte Georg Khuen als ständischer Prediger in Graz. In Klagenfurt trat 1560 der Deutschböhme Martin Knorr den Dienst an der Stadtpfarrkirche an. Er schaffte 1563 die Messe, 1564 die Fronleichnamsprozession ab7.13.
Fragen wir nach dem Ergebnis der kirchlichen Politik Ferdinands I., so muß sie als Mißerfolg bezeichnet werden. Trotz aller Mandate und Befehle war der Protestantismus in unaufhaltsamem Fortschreiten [Seite 48] begriffen. Vergebens hatte sich der Kaiser in Erkenntnis dieser Sachlage bemüht, das Konzil von Trient wenigstens zu den geringfügigen Zugeständnissen der Priesterehe und des Laienkelches zu bewegen. Christoph Jörger hatte in dieser Angelegenheit 1561 durch Auszüge aus der Bibel den Schriftbeweis zu erbringen gesucht7.14. Zwar wurde durch ein Breve des Papstes Pius IV. an die Kurfürsten von Mainz, Köln und Trier, die Erzbischöfe von Salzburg, Prag und Gran vom 16. April 1564 der Laienkelch gewährt; aber für die katholische Kirche war die Maßnahme eine Enttäuschung, da die Zahl der Kommunikanten mächtig anschwoll, für die Evangelischen war sie unbefriedigend. Viele verzichteten überhaupt auf das Abendmahl. Die unpopuläre Maßnahme wurde von Papst Pius V. wieder aufgehoben.
Für das Anwachsen des Protestantismus ist neben dem starken religiösen Bedürfnis der Zeit, dem die katholische Kirche nicht genügen konnte, die Wirkung des reinen Gotteswortes verantwortlich zu machen, das die Menschen in der von Martin Luther verdeutschten Bibel fanden. Die Heilige Schrift ist das vornehmste Bekenntnisbuch unserer evangelischen Altvordern gewesen. Dann waren es die Fortschritte der Reformation in Deutschland und die Stütze, die man von dort her zu gewinnen hoffte, die den österreichischen Protestantismus stärkten. Schließlich aber gaben die Verhältnisse am Hofe selbst begründeten Anlaß zu diesem Aufstieg. Es war ein offenes Geheimnis, daß der älteste Sohn des Kaisers, der Thronfolger Maximilian, der neuen Lehre zugeneigt war; hatte er doch in Sebastian Pfauser einen evangelischen Hofprediger gehalten und im Jahre 1561 die persönliche Erlaubnis des Papstes zum Genusse des Abendmahles in beiderlei Gestalt erlangt7.15. Doch ist es zu dem erhofften Übertritt nicht gekommen, im Jahre 1562 hat der Erzherzog vielmehr dem Vater eine Loyalitätserklärung bezüglich seines Verbleibens in der katholischen Kirche abgegeben. Dies mag mit Rücksicht auf seine Wahl zum römischen König und den alternden Kaiser geschehen sein, vor allem aber im Hinblick auf die spanische Schwestermacht, denn ein Katholik nach dem Herzen Roms und Madrids war Maximilian gewiß nicht. In den Augen seiner spanischen Gemahlin und seines königlichen Vetters in Madrid war er ein Häretiker. Maximilian II. war aber auch kein Lutheraner; die Grundlage des lutherischen Glaubens, das Sola fide, hat er nie begriffen. Jeder Radikalismus stieß ihn ab, sowohl der der Flacianer, die damals, 1561/62, aus Thüringen vertrieben, nach Österreich strömten, wie auch der der strengen Calvinisten oder fanatischen Katholiken. Wie brauste Maximilian auf, als er der gegen die Protestanten gerichteten "Evangelische Inquisition" betitelten Hetzschrift des Reichshofrates Georg Eder ansichtig wurde! Er war eine irenische, religiös gleichgültige Natur; der Vermittlungstheologe Joachim Camerarius in Leipzig zog ihn an; was aber auf diesem Wege zu erreichen sein sollte, trug den Fluch der Halbheit an sich, und schwer hat der österreichische Protestantismus [Seite 49] daran getragen. Da sich Ferdinand so wenig auf seinen Ältesten glaubte verlassen zu können, hatte er schon 1554 eine Erbteilung verfügt, die bei seinem Tode rechtskräftig wurde7.16. Maximilian, der zukünftige römische Kaiser, bekam Ober- und Niederösterreich, Böhmen und Ungarn, Ferdinand Tirol und die Vorlande, Karl, der Jüngste, Innerösterreich; durch diese Trennung der Herrschergewalt gestalteten sich die Schicksale der Protestanten in den einzelnen Ländern verschieden. Wir wenden uns zunächst der Entwicklung in Nieder- und Oberösterreich zu.
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H. Wurm, Die Jörger von Tollet, 1955. [Seite 50]
Am 25. Juli 1564 schloß Kaiser Ferdinand I. die Augen. Erwartungsvoll sahen alle Protestanten in Deutschland der Thronbesteigung des Freundes so mancher evangelischen Fürsten entgegen. Cyriacus Spangenberg, der Superintendent von Mansfeld, dessen Werke in Österreich gern gelesen wurden, begrüßte ihn mit dem heißen Wunsche, daß die göttliche Güte durch ihn vollenden möge, was sie so segensvoll in ihm begonnen.
Der Wiener Huldigungslandtag des Herbstes 1564 verlangte Beilegung des Zwiespaltes in der Religion und Belassung der Augsburgischen Konfession. Durch Gewährung der freien Ausübung des evangelischen Bekenntnisses werde die Wohlfahrt des kaiserlichen Hauses und der Erbländer herbeigeführt werden8.1. Da diesem Verlangen nicht stattgegeben wurde, überreichten die Stände auf dem Landtage 1565 eine neue Bittschrift, in der sie sich lebhaft über den Passauer und den Wiener Offizial beklagten, die die Pfarrer und Priester auf dem Lande zur Unterfertigung einer "widerwärtigen" Kirchenordnung zwängen. Die evangelischen Stände forderten die Ausübung ihrer Religion in offenen Kirchen, Abschaffung aller Satzungen, Zeremonien und Mißbräuche, die der Augsburgischen Konfession zuwider seien, denn diese sei allein der Ausdruck der wahrhaften, recht katholischen und apostolischen Religion.
Maximilian ging auf die Wünsche der Stände weder in Nieder- noch in Oberösterreich ein, wo der Landtag in Linz am 28. Dezember 1565 dasselbe Begehren stellte, Freistellung der Religion der A. C., in der sie "zu genesen und zu sterben" verlangten. Dieser Bitte erteilte Maximilian eine unerwartet scharfe Abfuhr. Das hatten die Stände vom Thronfolger nicht erwartet. Aus dieser Stimmung heraus sind die Worte zu verstehen, die Christoph Jörger an den Superintendenten von Regensburg, Nikolaus Gallus, schrieb, zu dem die Beziehungen der österreichischen Kirche besonders innig waren, weil Gallus zahlreiche Pfarrer für unser Land ordinierte: "... es stockt, des wir nit gehofft; Gott wol den stilstand und weissheit nit verkiertzen. Es ist sorglich, wider den stachel löcken. Wer sein hand einmal an den pflueg legt, siecht wider hinder sich, ist mein nit wert. Gott Erparm sich unser8.2." [Seite 51]
Aber das Blatt wandte sich zugunsten der Stände. Es erfüllte weder der Reichstag zu Augsburg 1566 des Kaisers Erwartungen8.3 noch der mit so großen Hoffnungen und so großem Aufwand unternommene Türkenkrieg (1566-1568). Der Reichstag war wegen der Türkenhilfe einberufen worden und wegen Durchführung der Beschlüsse des Konzils zu Trient; deshalb hatte der Papst als Legaten Giovanni Francesco Commendone abgeordnet. Der von den Protestanten erhoffte religiöse Vergleich kam ebensowenig zustande wie die von Maximilian betriebene Ausschließung des calvinistischen Kurfürsten von der Pfalz aus dem Religionsfrieden. Friedrich III. hatte sich durch Einholung einer Darlegung seines Glaubens in Zürich zur Abwehr gerüstet. Man hatte ihm von dort Heinrich Bullingers Bekenntnisschrift gesandt, die 1566 gedruckt wurde und eine der überzeugendsten Grundlagen des reformierten Glaubens darstellt (Confessio Helvetica posterior)8.4. Der Türkenkrieg endete nach dem Falle von Szigeth und dem Mißerfolge der Kaiserlichen vor Gran mit dem unerfreulichen Frieden von Adrianopel, der den status quo aufrechthielt8.5.
Diese Verhältnisse mußten die Protestanten in ihren Forderungen dringender und kühner machen. Im Jahre 1566 vertröstete der Kaiser die Stände auf die Vollendung der Vergleichung und ließ im folgenden Jahre eine Kommission aus weltlichen und geistlichen Gliedern zusammentreten, um das Werk in Angriff zu nehmen8.6. Gleichzeitig aber hat er eine Sache ins Werk gesetzt, die der katholischen Kirche seines Landes helfen sollte. Die von dem tatkräftig im Sinne der Beschlüsse des Trienter Konzils arbeitenden Bischof von Passau, Urban von Trenbach, und dem Kaiser im Jahre 1566 vorgenommenen Klostervisitationen ergaben eine vollkommene Zerrüttung des klösterlichen Wesens8.7. Viele Klöster standen leer, das Klostergut verfiel, der Adel hätte es gern eingezogen; viele Äbte, wie die von Gleink, Spital a. Phyrn, Schlägl, Pulgarn in Oberösterreich, waren verheiratet; der Kaiser erklärte sie für abgesetzt und verbot den Kauf und Verkauf geistlicher Güter ohne seine Einwilligung. Im Jahre 1568 gründete er zur Besserung der Verhältnisse den Klosterrat.
Zur Nachgiebigkeit gegenüber den Protestanten im entscheidungsreichen Jahre 1568 mag den Kaiser auch die internationale Lage bewogen haben. Das Bild der Gewalt und des Unfriedens, das religiöse Auseinandersetzungen heraufbeschworen hatten, erschreckte und ängstigte die friedliebende Natur Maximilians. In den aufständischen spanischen Niederlanden und in Frankreich wüteten die Religionskriege. Dazu sollte es in seinen Ländern nicht kommen.
Die evangelischen Stände nützten die physische und psychische Notlage des Kaisers aus und setzten 1568 als Gegenleistung einer [Seite 52] ungewöhnlich hohen Steuerbewilligung von 2,500.000 fl. die Religionskonzession durch. Ihr Inhalt lautete: Den beiden Ständen der Herren und Ritter wird die A. C. des Jahres 1530 zugelassen und nachgesehen, so lang "bis etwa Seine ewig göttliche Allmächtigkeit durch die ordentlichen und christlichen Mittel eine ganz gemeine Vergleichung derselbig Glaubenssachen in dem Heiligen Römischen Reiche Deutscher Nation erlangt und getroffen oder aber ihre Majestät das angefangene Werk einer vollkommenen und gänzlichen Universalreligion für die Königreich und Erbfürstentum und Länder zu gewünschter Vollendung bringen möge"8.8. Mit der Aufrichtung einer solchen Universalreligion schmeichelte sich der Fürst, der glaubte, Kompromisse schließen zu können, wo es in Wirklichkeit um die Forderung "alles oder nichts" ging. Die Religionskonzession war ein Provisorium; das ganze Religionswerk Maximilians II. verriet schon in ihr den Charakter der Halbheit und Unaufrichtigkeit. Denn nur dem Adel war in seinen Schlössern, Herrschaften und Dörfern auf dem Lande das Religionsexerzitium gewährt, während Städte und Märkte als fürstliches Kammergut von diesem Rechte ausgeschlossen waren. Außerdem war die Bestätigung der Konzession an zwei Bedingungen geknüpft: erstens daß die katholische Religion nicht geschmäht und angetastet und ihren Bekennern kein Schaden zugefügt würde; zweitens daß eine Agende für die Durchführung des Gottesdienstes und die Ordnung der Kirche geschaffen werde, da es, seit die Welt stehe, keine Religion ohne derartige Ordnung gegeben hätte.
Das Ergebnis der Bemühungen der Stände um den geeigneten Mann, der die Agende schaffen sollte, war die Berufung des Rostocker Professors David Chyträus nach Österreich, eines Vermittlungstheologen melanchthonischer Prägung8.9. Auf dem Kirchbergischen Schlosse in Spitz a. d. Donau schuf er gemeinsam mit Christoph Reuter die "Christliche Kirchen Agenda, wie die von den zweyen Ständen der Herrn und Ritterschaft im Ertzherzogthumb Österreich unter der Enns gebraucht wirdt". Auch ständische sogenannte Religionsdeputierte waren zu Mitarbeitern ernannt worden: Hans Wilhelm von Rogendorf, Rüdiger von Starhemberg, Leopold von Grabner, Wolf Christoph von Enzersdorf8.10.
Als Vorbild für die österreichische Agende dienten die sächsische Kirchenordnung (1528), die nürnbergische (1530), die brandenburgische (1540), die für den Erzbischof Hermann von Köln ausgearbeitete von 1543, die pfalz-zweibrückensche (1557) und das weit verbreitete und gern benützte Agend-Büchlein für die Pfarrer auf dem Lande von Veit Dietrich.
Da die von Chyträus fertiggestellte Agende dem Kaiser nicht zusagte, wurde sie von den ständischen Deputierten umgearbeitet, die nichts [Seite 53] sehnlicher wünschten, als die versprochene Assekuration möglichst bald zu erlangen. Sie ließen daher die Agende noch ehe sie vom Kaiser genehmigt war, in ihrer zu Stein a. d. Donau errichteten Druckerei im August 1570 drucken. Der Kaiser, der gerade auf dem Reichstage zu Speyer weilte, war unangenehm berührt. Der Vermittlungsmann zwischen den Ständen und dem Hofe, der gelehrte Reichard Freiherr von Strein, hatte einen schweren Stand. An jedem Orte, wo der reisende Kaiser sich im Jahre 1570 aufhielt, versuchte Strein einen neuen Vorstoß, bis er endlich am 14. Jänner 1571 die ersehnte Assekurationsurkunde in Händen hielt.
Darin wird dem Adel das Recht zugestanden, auf seinen Schlössern und Besitzungen auf dem Lande für sich und seine Untertanen evangelischen Gottesdienst zu halten. Absichtlich oder unabsichtlich ungenau gelassen ist die Bestimmung über die Freigabe des Gottesdienstes in den Stadthäusern des Adels, die von beiden Vertragspartnern verschieden ausgelegt wurde8.11. Sollte der Adel in den Städten, in denen er Häuser hatte, die Religion ausüben dürfen? Der Kaiser, der alle Städte als sein Kammergut betrachtete, war sicherlich der gegenteiligen Meinung, aber die Herren legten die durch eine Auslassung zweideutig gemachte Bestimmung zu ihren Gunsten aus und gewährten auch der Bürgerschaft in den Orten, in denen sie Schlösser hatten, Zutritt zu den evangelischen Gottesdiensten, wenn nicht schon überhaupt in der Pfarrkirche der Stadt ein Prädikant seines Amtes waltete.
Unablässig lief der Adel Sturm, um die Abhaltung öffentlichen evangelischen Gottesdienstes in der Residenzstadt Wien durchzusetzen, und er erreichte, daß der Kaiser 1574 die mündliche Erlaubnis dazu gab, unter der Bedingung allerdings, daß die Predigten in den anderen Häusern des Adels, etwa in dem des Landmarschalles Hans Wilhelm von Rogendorf, eingestellt würden, was übrigens nicht geschah. Wie es bei diesen Privatgottesdiensten zugegangen ist, schildert anschaulich David Chyträus, der 1569 in Wien weilte8.12.
Was Maximilian in Niederösterreich gewährt hatte, mußte er auch in Oberösterreich den Herren und Rittern zugestehen. Dies geschah, als Maximilian am 7. Dezember 1568 den vier Vertretern des Herren- und Ritterstandes eine schriftliche Entschließung zustellen ließ,welche den beiden adeligen Ständen die Ausübung der evangelischen Religion unter den gleichen Bedingungen zugestand wie dem niederösterreichischen Adel8.13. Die oberösterreichischen Stände wurden so gleichsam den niederösterreichischen angehängt. Die Städte erhielten auch hier einen abschlägigen Bescheid, während das evangelische Wesen bei ihnen im vollen Gange war und ihre Bürgermeister und Ratsherren niemals die Hoffnung aufgaben, dasselbe zu erreichen wie der Adel. Denn tatsächlich waren die bäuerlichen Untertanen besser daran als die Bürger. Die niederösterreichische Agende nahmen die oberösterreichischen Stände indes nicht [Seite 54] an und legten dem Kaiser 1574 eine eigene vor, die dieser wieder seinerseits nicht genehmigte. In dieser Frage gingen die Städte, die sich wie Steyr eigene Kirchenordnungen geschaffen hatten, mit dem Adel nicht gleichartig vor, sie verweigerten ihm kurzsichtig ihre Mitarbeit8.14. Erst 1578 kam unter dem Drucke der Verhältnisse der Anschluß an den Adel zustande, der in der gemeinsamen Kirchenordnung vom 5. September 15788.15 seinen Ausdruck fand.
Man wird nicht leugnen, daß Maximilian II. seinen lutherischen Untertanen verständnisvoll gegenüberstand. Niemals wäre er der Mann gewesen, die Gegenreformation mit Gewalt durchzuführen; und als er infolge der Assekuration in Schwierigkeiten mit seinen spanischen Verwandten und dem Papste geriet, der einen eigenen Legaten an ihn sandte, stand er zu seinem Versöhnungswerke und ließ sich nicht einschüchtern. Trotzdem trug dieses den Fluch der Halbheit an sich, war vom Kaiser vielleicht auch nur als Provisorium gedacht. Es muß aber doch gesagt werden, daß sich der Kaiser in der Folgezeit jedem Versuche des Adels, seine Kirche zu organisieren, ein Konsistorium und Superintendenten zu bestellen, widersetzte. Dies erst hätte dem österreichischen Protestantismus die Festigkeit verliehen, den späteren Stürmen zu widerstehen. Als man 1580 diese Organisation ins Werk setzen wollte, hatten die Gegenangriffe des Katholizismus bereits begonnen.
Die Regierungszeit Maximilians II. brachte dennoch die erste Blütezeit des österreichischen Protestantismus hervor, die ihren Ausdruck besonders in den kulturellen Schöpfungen der Städte fand.
In Wien war zur Zeit Maximilians die Ausbreitung des Luthertums so weit fortgeschritten, daß der Hofprediger Martin Eisengrein 1569 kaum eine Spur zu finden glaubte, daß Wien einmal katholisch gewesen war8.16 Solange die Landhauskirche verwehrt war, wurde in den Freihäusern des Adels, vor allem in dem des Landmarschalles Hans Wilhelm von Rogendorf, Gottesdienst gehalten, aber auch in Bürgerhäusern, was auf David Chyträus besonderen Eindruck machte. Durch die Religionsassekuration kam es zu weiterer Festigung und Organisation des evangelischen Wesens, aber der Mangel einer kirchlichen Oberbehörde und einer Ausbildungsstätte für Theologen machte sich nachteilig geltend. Die österreichischen Prediger mußten von auswärts, meist von Regensburg verschrieben werden, wo Nikolaus Gallus Superintendent war. Der Umstand, daß er Anhänger und Freund des Flacius Illyricus war, wenn auch in sehr gemäßigter Form, macht es verständlich, daß der Flacianismus in Österreich weitgehend Fuß fassen konnte, so daß auch viele Laien ihm anhingen wie Hans Wilhelm von Rogendorf in Wien und Rüdiger von Starhemberg in Eferding, was zu einer Aufspaltung und infolgedessen Schwächung des Protestantismus führte, die sich in der Zeit des Kampfes verderblich auswirken mußte.
Auch der erfolgreichste Prediger des Landhauses, der im Jahre 1574 von den Ständen aus Regensburg nach Wien berufene Josua Opitz, war Flacianer, aber er hatte sich bei Antritt seines Dienstes verpflichten müssen, den Streit über die Erbsünde ganz ruhen zu lassen8.17. Während seiner vierjährigen Tätigkeit übte er infolge seines untadeligen Wandels und der Gewalt seiner Predigt eine ungeheure Wirkung aus. Tausende Wiener haben seine Gottesdienste besucht, so daß der Landhaussaal, in dem die Kapelle eingerichtet war, die Menschen nicht fassen konnte. Sein Wirken bedeutet den Höhepunkt evangelischen Lebens in Wien, wo fallweise auch andere Prediger zu Worte kamen, so Christoph Reuter und Polykarp Leyser.
Wie oft mag der Hofkammerpräsident Helmhard Jörger, Sohn Christophs, dem Landhaus-Gottesdienste beigewohnt haben! Er ist die glänzendste Gestalt des österreichischen evangelischen Adels gewesen, reich, unabhängig, Geldgeber der Kaiser, ein Fürst auf seinem ausgedehnten Grundbesitz, der noch das volle Vertrauen Rudolfs II. genoß. Er gehört nach Österreich unter der Enns so gut wie nach Oberösterreich8.18. Dort ist sein Name mit der Erbauung der Holzkirche neben dem Schlosse Scharnstein, hier mit dem Schlosse in St. Margarethen (Matzleinsdorf bei Wien) verknüpft. Denn allenthalben im Weichbilde der Stadt richteten die adeligen Herren besonders nach der durch Rudolf II. verfügten Schließung der Landhauskapelle sich evangelische Schloßkirchen ein, die berühmteste in Hernals, das Wolfgang Jörger, der Bruder Helmhards, von Ferdinand Geyer von Osterburg 1587 kaufte. Dazu gesellte sich im Süden Wiens Inzersdorf, das ebenfalls diesem Geschlechte gehörte.
Soweit der protestantische Einfluß auf dem Lande reichte, d. h. wo der evangelische Grundherr gebot, waren die Pfarren mit evangelischen Prädikanten besetzt, so im Herrschaftsgebiet Helmhard Jörgers, St. Veit a. d. Gölsen und Kleinzell8.19. Horn, das den Herren von Pucheim gehörte, war die Hochburg evangelischen Glaubens im Viertel ober dem Manhartsberg, dort gab es auch ein evangelisches Gymnasium. Die berühmteste ständische Schule in Niederösterreich war die Lateinschule in Loosdorf; von den Herren zu Losenstein im Jahre 1524 geplant, aber erst 1574 begründet, hat sie die Blüte ihrer Entwicklung als evangelische Schule am Ende des 16. und zu Beginn des 17. Jahrhunderts erfahren8.20. Auch in Wien richteten die Stände eine Lateinschule ein, die aber nur zwei Jahre Bestand hatte8.21. Daneben gab es eine ganze Reihe von deutschen Schulen mit evangelischen Schulhaltern und Schulhalterinnen. So konnte sich, geschützt durch den hohen Adel, geduldet vom Kaiser, evangelisches Leben in Wien ungehindert entfalten.
Die unselige Halbheit der Maßnahmen Maximilians, der wohl aus Sorge, daß das Land ganz evangelisch werden würde, den Bürgern Religionsfreiheit versagt hatte, bewirkte in manchen Orten ein [Seite 56] verhängnisvolles Schwanken zwischen Katholizismus und Protestantismus, so daß viele Leute tatsächlich nicht wußten, was sie glauben sollten. Das war besonders dort der Fall, wo eine energische Persönlichkeit weltlichen oder geistlichen Charakters sich auf den Rechtsgrund stellte, der den Bürgern das evangelische Religionsexerzitium versagte; dies können wir in St. Pölten beobachten8.22. 1569 ist die Stadt in Kirche und Schulwesen evangelisch zu nennen. Der gesamte Rat war evangelisch. In demselben Jahre brach der Kampf aus, als im Augustiner Chorherrenstift wieder ein energischer katholischer Propst ans Ruder kam. Der Kaiser stellte sich auf die Seite des Stiftes und verfügte die Abschaffung des Prädikanten8.23. Solange Maximilian lebte, konnte man auf Änderung der Lage zugunsten des Protestantismus hoffen. Nach seinem Tode aber verschwand diese Hoffnung bald infolge der Maßnahmen Rudolfs II.
Ähnliches geschah in Bruck a. d. Leitha, dessen Pfarrkirche dem Chorherrenstift von St. Pölten inkorporiert war. Im Jahre 1558 hatte der Propst das Besetzungsrecht für zehn Jahre an den Rat abgetreten. Bruck a. d. Leitha wurde eine evangelische Stadt; als aber der katholische Freiherr Leonhard IV. Harrach am 30. April 1575 ein Mandat Maximilians gegen den Stadtrat erwirkte, die Pfarre an das Stift zurückzustellen, entbrannte auch hier der Kampf, der in die Zeit der Gegenreformation hineinreicht8.24.
Während in der Residenzstadt Wien die katholische Kirche eine Stütze am Hofe und an den katholischen Adeligen und ihrem Gesinde fand, brauchte der fast zur Gänze evangelische Adel Oberösterreichs in Linz sich keine Schranken aufzuerlegen. Er richtete 1570 den Landhausgottesdienst ein, mit dessen Leitung er 1576 Georg Khuen betraute, und er schritt an die Ausgestaltung seiner stolzesten Schöpfung, der oberösterreichischen Landschaftsschule, die die bedeutendste Österreichs wurde. Ihre Keimzelle ist vielleicht in jenem Internat für adelige Knaben zu suchen, das Christoph von Schallenberg unter der Leitung von Dr. Friedrich Hase (Lagus) 1542 auf seinem Schlosse Luftenberg einrichtete8.25. Aber zur Gründung einer öffentlichen Anstalt wurde erst geschritten, als das großzügige Vermächtnis der Brüder Jörg und Wolf Perkheim aus dem Jahre 1543 die nötige finanzielle Grundlage schuf. Sie vermachten ihr ganzes liegendes und fahrendes Gut, im Falle sie ohne Leibeserben stürben, den adeligen Ständen des Landes zur Errichtung einer lateinischen Schule8.26. Nach dem Tode Jörgs 1539 hätte die Verfügung in Kraft treten sollen; dies verzögerte sich aber dadurch, daß Wolf von Perkheim eine zweijährige Tochter hinterlassen hatte, mit deren Vormündern die Stände sich einigen mußten. Durch einen Schiedsspruch König Maximilians im Jahre 1562 kam ein Ausgleich zustande: Der bedeutendste Teil des Vermögens der beiden Brüder [Seite 57] wurde den adeligen Ständen zur Errichtung der Schule überlassen. Noch zu Lebzeiten Kaiser Ferdinands wurden die nötigen Schritte unternommen, die Gründung der Schule erfolgte wahrscheinlich 1566, sie wurde aber wegen des Landhausbaues nach Enns verlegt und am 24. Juni 1567 im dortigen leerstehenden Minoritenkloster feierlich eröffnet. 1574 kehrte sie ins Landhaus nach Linz zurück. Sie wurde eine Stätte der Pflege protestantischen Geistes und protestantischer Wissenschaft. Die Stände beriefen im Jahre 1576 den Württemberger Johannes Memhard, der eine so bedeutende Kraft wie den Dichter Georg Calaminus aus Straßburg nach sich zog8.27. Unter Memhards Leitung hat die Anstalt einen solchen Aufschwung genommen, daß er bald um Erweiterung der Schulräume ansuchen mußte8.28. Sie war nicht nur den Söhnen der Adeligen, sondern auch bürgerlichen Schülern zugänglich. Auch die Landhausgottesdienste standen den Bürgern der Stadt offen.
Wie es in Linz um die geistig-religiöse Haltung eines wenn auch vielleicht kleinen Kreises bestellt gewesen sein mag, zeigt die Geschichte eines Mannes, der der Kronzeuge evangelischen Lebens in Österreich zur Zeit seiner ersten Blüte geworden ist. Christoph Hueber war als Sohn wohlhabender Eltern am 1. März 1523 im Eckhause auf dem Hauptplatz geboren, das den linken Eingang in die Pfarrgasse bildet8.29 Er wurde sorgfältig an den lateinischen Schulen in Ybbs und Wien erzogen und zeigte früh die Neigung eines tief veranlagten religiösen Gemütes, das Kräftigung und Nahrung für das ganze Leben gewann, als er anderthalb Jahre in Wittenberg bei Luther und Melanchthon studieren durfte. Dann ließ ihn der Vater ein ganzes Jahrzehnt in Italien den Beruf des Kaufmannes erlernen, den er aber wohl nie ausgeübt hat. Nach dem Tode des Vaters nach Hause zurückgekehrt, übernahm er das väterliche Erbe und gründete einen Hausstand. Er lebte als angesehener, mit Stadtämtern betrauter Mann von den Einkünften seines Besitzes und vielleicht auch von Wechsel- und Geldgeschäften. Dieser vom Gewöhnlichen nicht wesentlich abweichende Lebensweg erhält aber, seine Bedeutung durch das geistig-religiöse Innenleben des Mannes. Seine Gebete, Sprüche, die er teils aus der Heiligen Schrift zusammengestellt, teils selbst gedichtet hat, die Abhandlungen und Erbauungsschriften, seine Lebensgeschichte und das Verzeichnis seiner bedeutsamen Bibliothek sind in seinem Nachlasse, der zum Teil im Landesarchiv in Linz, zum Teil in Regensburg8.30 liegt, auf uns gekommen. Sie zeigen einen ungewöhnlich gebildeten und besonders auf theologischem Gebiete bewanderten Mann. Sein Leben stand unter dem Leitspruch: Selig ist, der mit dem Worte Gottes umgeht Tag und Nacht. [Seite 58] Er war ein eifriger Bibelleser und frommer Beter. Drei Bücher sind es vor allem, die der Vater seinen Kindern ans Herz legt: Luthers Auslegung der Genesis, Melanchthons Loci communes und seinen Kommentar zum Römerbrief. Das Problem des leidenden Gerechten hat ihn dauernd beschäftigt: "Hie die gottlosen jubilieren, dort die fromen triumphieren." Seine Geschichtsauffassung ist dadurch bestimmt, daß das Leben in dieser gefallenen Welt einen steten Kampf des Teufels gegen Gott darstellt. Zwei Höhepunkte hat es für Hueber in diesem Kampf gegeben: Die Sendung des Gottessohnes auf Erden und die Erweckung Martin Luthers, der Gottes Wort mit seinem Lehren und mit seinen Schriften wiederum klar und rein ans Licht gebracht hat. Als treuer Schüler Luthers setzt Hueber den Papst dem Antichrist gleich. Wie die ehrende Erwähnung von Nikolaus Gallus in einer seiner Schriften zeigt, stand auch Hueber wie so viele Österreicher der strengen Form des Luthertums, dem Flacianismus, nahe. Wie andere Fromme hat er die Sittenlosigkeit seiner Zeit gerügt und seine Kinder vor Geiz, Wucher, Unzucht, Fressen und Saufen gewarnt. In seinem Hause herrschte christliche Zucht und Ordnung; auch das Gesinde war evangelisch. Für die sieben Tage der Woche verfaßte er sieben Dialoge, die vor Tisch nach dem Gratias und den gesungenen Psalmen von den Kindern aufgesagt wurden. Sie enthalten in leicht faßlicher Form die evangelische Glaubenslehre, indem sie von Erbsünde, Taufe, Gesetz, Unterschied von Gesetz und Evangelium, Glauben, Gebet und Sakrament des Altares handeln. Auch die Folge der gesungenen Lieder teilt er uns mit. Am Sonntag zu singen das heilige Vaterunser,
Montag: Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort ... (M. Luther, 1542)
Erchtag: Herr Christ, der einig Gottes Sohn ... (E. Creutziger, 1525)
Mittwoch: Gott, der Vater, wohn uns bei ... (M. Luther, 1525)
Pfinztag: Nun bitten wir den heiligen Geist ... (M. Luther, 1525)
Freitag: Dies sind die heiligen zehn Gebot ... (M. Luther, 1524)
Samstag: Wir glauben all an einen Gott ... (M. Luther, 1525)
Gewiß war Hueber eine Einzelerscheinung. Dennoch muß er Freunde gehabt haben, die wie er zu der evangelischen Landhausgemeinde gehörten. Die theologische Bildung des Bürgertums kann nicht vereinzelt gewesen sein. Dies erkennen wir aus dem Testament eines einfachen Gastwirtes in Steyr, des Erasmus Unstetter, aus dem Jahre 1560, der nicht wie die reichen Messerer über Silbergeschirr und Goldgeschmeide verfügte, sondern nur über zinnerne und kupferne Teller und Gefäße, der aber eine Vertrautheit mit den christlichen Symbolen und der Confessio Augustana zeigt, die erstaunlich ist8.31. Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß das gesamte Gemeinwesen, die reichen Eisen- und Handelsherren voran, aber auch die Messer-, Sensen- und Klingenschmiede und die übrigen Handwerker und Arbeiter zu jener Zeit evangelisch waren. Keiner konnte in Steyr ins Bürgerrecht aufgenommen werden, der nicht ein Zeugnis des evangelischen Pfarrers beibrachte. [Seite 59]
In Steyr wirkten neben dem Pfarrer an der Hauptkirche zwei Prediger, zwei Gesellpriester und ein Diakon. Der bedeutendste Gehilfe des Pfarrers Wolfgang Prenner war Basilius Camerhofer8.32. Er stammte aus Aflenz und hatte in Wittenberg studiert, dann etliche Jahre als Privatlehrer in Joachimsthal und als Archidiakon am Dome zu Freiberg in Sachsen gelebt. Im Jahre 1565 wandte sich der Rat von Steyr an Professor Paul Eber in Wittenberg um einen Prediger und dieser empfahl ihm Camerhofer als einen gelehrten und beredten Mann. Ihm dürfte wohl der Hauptanteil an der Kirchenordnung zuzuschreiben sein, die der Rat im November 1566 genehmigte8.33; ihr folgte kurz darauf die Begräbnisordnung. Jene war eigentlich eine Gottesdienstordnung, die vorzüglich das regelte, was das Herzstück des katholischen Gottesdienstes, die Messe, ersetzen sollte, die Feier des heiligen Abendmahles und die Predigt. Dem Empfang des Abendmahles gingen Unterweisung und Beichte voraus. Die Verwandtschaft der Steyrer Kirchenordnung mit der sächsischen Visitationsordnung von 1528 und ähnlichen Verfügungen im sächsischen Raume ist leicht nachzuweisen. Wohl werden Vesper und Metten gesungen, aber sonst wurde alles abgetan, was an "papistischen Aberglauben" erinnern konnte. Die von den Pfarrern befürwortete Wiedereinführung der Meßgewänder lehnte der Rat ab. Wolf Händl von Ramingdorf, der vornehmste Bürger der Stadt, der wiederholt das Bürgermeisteramt bekleidet hat, bestimmte 1589 in seinem Testament, daß er "mit onabgöttischen christlichen Ceremonien" seinem Stande gemäß in der Pfarrkirche begraben werden sollte. Sein schönes Epitaph ist heute noch an der Außenseite der Kirche erhalten. Großer Wert wurde auf den Kirchengesang gelegt, der in deutscher Sprache von der Gemeinde, in lateinischer von den Knaben der Lateinschule bestritten wurde. Diese sangen auch bei Begräbnissen.
Die Schule war eine Zierde der Stadt. Nachfolger von Pegaeus war der Nürnberger Georg Mauritius geworden, der auch aus Wittenberg gekommen war. Er ist ebenfalls Dichter zahlreicher deutscher und lateinischer Schulkomödien. Im Jahre 1572 traf die Stadt das Unglück einer großen Überschwemmung. Viele Häuser stürzten, von den Fluten der Enns unterwaschen, ein, so auch ein Teil der Schule. 1575 war sie wieder aufgebaut; ihre Wiedereröffnung durch den Bürgermeister Wolf Händl, den Stadtrichter Hans Adam Pfefferl und den gesamten Rat war ein großes festliches Ereignis für die Stadt8.34.
Aus den von Pegaeus und Camerhofer hinterlassenen Büchern errichtete der Rat die erste öffentliche Bibliothek. Sie hatten beide reichhaltige Büchereien hinterlassen. Auch sonst muß es schöne Privatbibliotheken gegeben haben, leider sind nur wenige Bücherverzeichnisse in den Testamenten enthalten. Von Simon Händl, dem Sohne des 1550 verstorbenen Stadtrichters Joachim Händl, wissen wir, daß er einen großen Schatz, eine Ausgabe der achtteiligen Bibel, "so unter des Königs von [Seite 60] Spanien Verlag" zu Antwerpen gedruckt worden, 1590 der Stadt vermachte, damit sie "zu der prediger und schulpersonen der Augsburgischen Confessionsverwandten notturft gebraucht werden" sollte8.35.
Prediger und Schullehrer wurden von der Stadt besoldet. Der Gehalt eines Pfarrers bewegte sich zwischen 200 und 300 fl. im Jahr, wie es auch in anderen Städten üblich war. Dazu kamen die Stolgebühren und Legate; fast immer wird in den Testamenten außer der üblichen Gebühr für die Leichenpredigt eine besondere Summe Geldes ausgesetzt, so besonders für den Nachfolger des im Jahre 1572 verstorbenen Camerhofer, Joachim Müller, der ein hervorragender Prediger gewesen sein muß. Auch einen neuen Friedhof legte die Stadt durch den Stadtbaumeister Magnus Ziegler 1572 auf der Höhe des Tabor an. Das Armenwesen ließ sie sich besonders angelegen sein. Sie verfügte über ein Spital, ein Bruder- und Siechenhaus und sorgte auch für die "verschämten Hausarmen."
Etwas anders als in Steyr, aber nicht minder lebendig und fruchtbar, entwickelte sich das evangelische Wesen in Freistadt. Dort hat es an der Hauptkirche zu St. Katharina auch während der evangelischen Zeit immer einen katholischen Pfarrer gegeben, aber er sank neben dem Prädikanten und dessen Helfern, die allein die Gottesdienste hielten, zu völliger Bedeutungslosigkeit herab8.36. Man kann eine parallele Reihung der Geistlichen beider Bekenntnisse aufstellen. Es sind dies (mit Auslassung der ganz kurzfristigen Besetzungen)
auf katholischer Seite: | auf evangelischer Seite: |
Hans Schlundt | Johannes Heiß |
Jakob Strigl | Georg Eder |
Achaz Freyunger | Andreas Pucher |
Andreas Sturm | Ambrosius Glemer |
Johannes Bucher | Johannes Hosch. |
Als im November 1567 der Prädikant Johannes Heiß vom Rate aufgenommen wurde, war Hans Schlundt katholischer Pfarrer. Vom Treiben des Prädikanten hatte man in Passau bald Nachricht, denn dort war ein Mann ins Bischofsamt eingerückt, der entschlossen war, der katholischen Kirche um jeden Preis aufzuhelfen und die ketzerische Religion zu beseitigen: Urban von Trenbach (1561-1598). Heiß wurde nach Passau vorgeladen; der Rat aber entschuldigte ihn, er sei unabkömmlich. Heiß versah seinen Dienst weiter und Schlundt bekam im Juli 1569 vom Bischof einen Exkommunikationsbefehl zugeschickt. Der Rat verbot die Veröffentlichung. Einige Monate später sah sich Schlundt eines Sonntags doch genötigt, seiner geistlichen Pflicht zu genügen, und verlas den Bannspruch von der Kanzel. Aber da kam er schlecht an. Er begegnete so vielen Widerwärtigkeiten, daß er bald darauf den feierlich verkündeten Bann wieder aufhob. Der Bischof enthob ihn seiner "Mängel und defectus" wegen, der Rat aber war entschlossen, sich keinen katholischen Priester mehr aufdrängen zu lassen. Neben Heiß finden wir den Prädikanten Hans Goldner, dann Georg Eder, der ein gewaltiger Eiferer gegen die Messe war. Sie versahen gemeinsam den Dienst an der Katharinen-, St. Peter- und an der Spitalskirche. Der Bischof aber suchte einen ordentlichen Priester auf die Pfarre zu setzen. Georg Spehr, den er 1575 sandte, lehnten die Freistädter ab. Im selben Jahre kamen sie auf den Gedanken, die alten Reverse in dem Sinne wieder aufleben zu lassen, daß sie Jakob Strigl, angehenden und konfirmierten Pfarrer zu Freistadt, einen Revers zu unterschreiben zwangen, in dem dieser unter anderem versprach, die bestehende Kirchenordnung aufrechtzuerhalten und dem Prädikanten Georg Eder das Amt der Predigt, die Spendung der Sakramente und andere seelsorgerliche Verrichtungen ungehindert zu überlassen.
Das war in der Tat ein für einen katholischen Priester ungewöhnliches Versprechen. Der entrüstete Bischof wandte sich an den Kaiser. Maximilian II. aber starb unversehens am 12. Oktober 1576 in Regensburg, ehe die Angelegenheit geordnet gewesen wäre. So konnte der Bischof Strigl nur einen Verweis erteilen und ihn abberufen. Beim nächsten Pfarrer sollte sich das Spiel mit dem Revers wiederholen, aber Achaz Freyunger unterschrieb nicht und zog es überhaupt vor, angesichts der ungebärdigen Freistädter in seine Pfarre Hofkirchen an der Trattnach zurückzukehren. Der Bürgermeister Eustach Attl und der Stadtrichter Wolf Landshuetter, zwei aufrechte evangelische Männer, schritten unbeirrt auf ihrem Wege fort; und zu einer Zeit, da Rudolf II. schon seinen Willen kundgetan hatte, Übertretungen der Assekuration nicht zu gestatten, beriefen sie einen Dresdner, Andreas Pucher, den Prediger des reichen Eisengewerken Jakob Röttl auf Reichenau. Dieser Mann war der erste an einer deutschen Universität (Wittenberg) zum Theologen ausgebildete evangelische Pfarrer Freistadts. Andreas Sturm, der 1579 von Passau eingesetzt worden war, überließ Pucher neidlos das Predigtamt; er stand wohl selbst dem evangelischen Glauben nahe. Außer für die Kirchen sorgte die Stadt auch für die evangelischen Schulen. An der Lateinschule wirkte seit 1574 Bartholomäus Alder aus Neiße, der bis zum Einsetzen der Gegenreformation, und als Lehrer darüber hinaus, ausgehalten hat. Ihre Bürgersöhne schickte die Stadt als Stipendiaten nach Wittenberg.
Linz, Freistadt und Steyr sind nicht die einzigen evangelischen Städte Oberösterreichs; in den anderen: Enns, Gmunden, Vöcklabruck, Wels herrschte überwiegend dasselbe Bekenntnis; Wels besonders war infolge des festen Schlosses der Polheim in der Stadt eine Trutzburg evangelischen Glaubens.
Ähnlich wie in Nieder- und Oberösterreich entwickelten sich die Dinge in Steiermark und Kärnten, den innerösterreichischen Ländern, zu denen damals auch Krain gehörte. Nur hat Maximilian es [Seite 62] aufrichtiger mit der Verleihung der Religionsfreiheit an den Adel seiner Länder gemeint als sein jüngerer Bruder.
Erzherzog Karl II., der dritte Sohn Kaiser Ferdinands, war fest entschlossen, von seinem Glauben nicht zu weichen. Dieselbe Entschlossenheit legten Herren, Ritter, Bürger und Bauern an den Tag, die sich der evangelischen Lehre zugewandt hatten. Die Stände Innerösterreichs verlangten schon bei der Erbhuldigung 1564 nicht mehr und nicht weniger als die verbriefte Duldung der Augsburgischen Konfession. Der Landesherr war nicht gewillt, sie zu gewähren. Da er aber infolge der drohenden Türkengefahr auf die Geldzahlungen der Stände angewiesen war, wurde seine Lage immer schwieriger. Seine ganze Regierungszeit ist von einem hartnäckigen Kampf um die Gewährung der religiösen Freiheit erfüllt. Schließlich schienen die Stände gesiegt zu haben, aber sie hatten nicht mit der Unaufrichtigkeit des von der katholischen Kirche gelenkten Fürsten gerechnet.
Bedeutsam war der Landtag des Jahres 1565. Der Erzherzog klagte über den Verfall des kirchlichen Wesens. Er verlangte Abstellung der Mißstände, das hieß Reform der katholischen Geistlichkeit. Die Herren erklärten, daß sie ohne Verlust ihres Seelenheiles von der Augsburger Konfession nicht weichen könnten. Einen größeren Gegensatz konnte es nicht geben. Es standen sich die Forderungen nach Geld auf der einen, nach religiöser Freiheit auf der anderen Seite gegenüber. Die unmäßige Verschuldung des Kammergutes zwang 1569 den Erzherzog, die Stände erneut um Abzahlung der Schulden zu bitten. Die Landschaft verlangte die Freigabe des Augsburgischen Bekenntnisses, auch in den Städten, Märkten und auf dem Lande. Erasmus von Windischgrätz hielt eine beschwingte Rede, in der klar zum Ausdruck kam, daß an Tilgung der Schuld nur zu denken sei, wenn die religiöse Unwissenheit und Abgötterei aufhöre. Mancher Adelige verstand damals mehr vom Evangelium als so mancher katholische Priester. Die Bitte der Landschaft ging dahin, "sie bei ihrer Konfession bleiben, deshalb zu assekurieren und mit Schein versehen und versichern zu lassen"8.37. Karl gab halbe Versprechungen, er werde wie bisher mit väterlicher Milde und Sanftmut die Religionssachen ordnen. Damit waren die Stände nicht zufrieden8.38. Auch dieser Landtag ging wie der vorige ergebnislos auseinander. Nicht anders war es im Jahre 1570, denn mittlerweile häuften sich einerseits die Klagen über Ausweisung evangelischer Prädikanten in Riegersburg, Radkersburg und Fürstenfeld, andererseits mußten die Nachrichten über die Zugeständnisse Maximilians II. in Nieder- und Oberösterreich den Steiermärkern den Mut stärken. Die Stände wiederholten ihre weitgesteckte Forderung nach religiöser Freiheit auch für die Städte und Märkte, was Karl ebensowenig zugestehen wollte wie sein Bruder Maximilian. Zäh wurde auf der Zusammenkunft der Stände in Bruck a. d. Mur im Jänner 1572 um diese Forderung gerungen8.39. Am 4. Februar 1572 trat ein neuer [Seite 63] Landtag in Graz zusammen. Hier erfolgte der Umschwung. Der Landesfürst mußte das erste Versprechen geben; er versprach den Ständen, sie und ihre Religionsverwandten wider ihr Gewissen und jenen Stand, darin er die Religionssachen bei Antretung seiner Regierung befunden, nicht zu beschweren, solange sie sich der gebührlichen Bescheidenheit und des schuldigen Gehorsams befleißen würden. Diesen Passus wünschten die Stände gestrichen, sie verlangten eine bindende Erklärung ohne Einschränkungen. Der Erzherzog gewährte schließlich "die Notel der Pazifikation", in der er erklärte, daß er die vom Herren- und Ritterstande samt Weib, Kind, Gesinde und angehörigen Religionsverwandten, niemanden ausgeschlossen, in Religionssachen wider ihr Gewissen nicht bekümmern, beschweren oder vergewaltigen werde, sondern ihnen ebenso wie den anderen, die der katholischen Religion zugetan seien, jederzeit mit landesfürstlichen Gnaden entgegengehen werde, im besonderen aber ihre Prädikanten unangefochten und unverjagt, die Kirchen und Schulen uneingestellt, die Vogt- und Lehensherren bei ihren alten wohlhergebrachten Rechten und Gerechtigkeiten unbedrängt lassen wolle, alles bis zu einem allgemeinen christlichen und friedlichen Vergleiche mit der Bedingung, daß die Herren und Ritter ebenso gegen die Katholischen verfahren, die, welche dagegen handeln, strafen und sich endlich im übrigen aller gebührenden Bescheidenheit befleißen würden8.40. Die Versicherung des Landesherrn bezüglich der Zukunft fehlte, die Bedingung des Wohlverhaltens war wieder gestellt, der Artikel über Pfarrgemeinden und Vogtherren war den Führern der Stände nicht deutlich genug. Diese Führer waren: Hans zu Scherffenberg, Landeshauptmann; Pankraz von Windischgrätz, Hofmarschall und Präsident des Hofrates; Hans Friedrich von Hoffmann, Landmarschall; Wolf von Stubenberg, Stallmeister; Erasmus von Windischgrätz, Kammerpräsident. Die höchsten Ämter des Landes wurden von Evangelischen bekleidet. Statt "Religionsverwandte" wünschten die Herren "Untertanen" gesetzt. Sie waren unzufrieden, daß die Städte und Märkte nicht erwähnt waren. Längst hatten die Magistrate in den Städten Prediger eingesetzt und sorgten für deren Besoldung. Graz, Judenburg, Klagenfurt und Laibach waren privilegierte Städte, in denen evangelisches Kirchenregiment und evangelische Schulen eingerichtet worden waren. In St. Veit in Kärnten wurde kein katholischer Bürger mehr zugelassen8.41. Das Luthertum drang auch in der Oststeiermark vor; Fehring, Fürstenfeld, Gleisdorf, Kirchberg, Ilz, Riegersburg, Weiz wurden evangelisch. Im Jänner 1574 kam auf Einladung der Stände David Chyträus nach Graz, um die Kirchenordnung auszuarbeiten. Sie enthielt die Lehrpunkte, die Kirchenagende und die Verfügung über die Bestellung des Ministeriums; auf dem Generallandtage zu Bruck 1578 wurde sie für alle drei Länder, Steiermark, Kärnten, Krain, als verbindlich vorgeschrieben und in die Religionspazifikation aufgenommen. Dadurch war in Innerösterreich das evangelische Leben einheitlicher und besser organisiert als in Österreich unter und ob der Enns. In gleicher Weise sorgten die Stände für das Schulwesen. 1568 hatten sie das Eggenberger Stift für die Grazer Lateinschule angekauft8.42. Chyträus arbeitete neben der Kirchen- auch die Schulordnung aus. Landschaftsschulen wurden in Graz, Klagenfurt und Laibach eingerichtet und mit Bibliotheken ausgestattet. Zahlreiche Privatbüchereien zeugen von dem hohen Bildungsstand der evangelischen Adeligen und Bürger. Wie es in Kärnten ausgesehen haben mag, kann man daraus ermessen, daß der Protestant Hans Friedrich von Hoffmann bambergischer Vizedom in Wolfsberg war8.43. Ganz Kärnten fiel dem Protestantismus zu.
Aber schon hatte die erbittertste Gegnerin ihren Einzug gehalten. Erzherzog Karl hatte 1571 Maria von Wittelsbach geheiratet. An der streng katholischen Ausrichtung seiner Politik war nicht mehr zu zweifeln. Die Abhängigkeit des Grazer Hofes vom Münchner wurde vollständig. 1572 erschienen die Jesuiten in Graz und gründeten dort mit sieben Patres eine Niederlassung des Ordens. Seit 20 Jahren wurde zum ersten Male die Fronleichnamsprozession mit großem Pomp abgehalten. Die Klostervisitation des Jahres 1573 zeigte ein ähnlich trostloses Bild wie in den anderen habsburgischen Ländern. Die Männerklöster standen nahezu leer: In Admont gab es 19, in St. Lambrecht 9, in Reun 7, in Seckau und Stainz je 5, in Pöllau 3, in Vorau und Rottenmann je 2 Brüdern8.44. Im Markte Rottenmann gab es drei bis vier katholische Kirchenbesucher.
Trotz des Verfalles der katholischen Kirche hatten die Evangelischen Grund zur Beschwerde. Schwierigkeiten erhoben sich in der fast ganz evangelischen Stadt Leoben8.45. Auf dem Ausschußlandtage in Bruck wurden im September 1575 heftige Klagen laut. Prädikanten waren verjagt, Angehörige der Augsburgischen Konfession verfolgt worden. Die Ständevertreter liefen Sturm gegen die Jesuiten. Schon fiel das scharfe Wort Inquisition8.46. Dem Erzherzoge wurden die verlangten Gelder nur auf ein Jahr bewilligt. Auf dem nächsten Landtage im März 1576 forderte der Landesherr wieder die Tilgung der Schuldenlast. Diesem Anspruche gegenüber begehrten die Stände eine lautere, gewisse, beständige Erklärung, daß alle Sachen bei der Pazifikation vom Jahre 1572 verbleiben sollten. Unter Führung ihres glänzendsten Redners, des Landmarschalls Hans Friedrich von Hoffmann, durften die Stände Augsburgischer Konfession damals ihren bisher größten Erfolg buchen: Im August lenkte der Erzherzog ein. Am 21. des Monats unterschrieb er eine Erklärung, daß er halten werde, was er im Laufe der Religionstraktation versprochen habe. Der Sekretär der Landschaft, Caspar Hirsch, las das Schreiben zur großen Genugtuung der Stände [Seite 65] vor, von denen die Prälaten abwesend waren. Doch ging der Kampf auf dem Ausschußlandtage in Bruck im November 1577 weiter. Für den 1. Jänner 1578 wurde der Generallandtag dorthin einberufen. Er sollte Zeuge des Triumphes der evangelischen Stände Innerösterreichs werden. Der Erzherzog forderte zu Beginn des Landtages angesichts des traurigen Zustandes der Erbländer Geldhilfe zur Türkenabwehr. "Der Türk ist der Lutherischen Glück" ließen sich damals die Katholiken, nicht ganz zu unrecht, vernehmen8.47. Die Stände antworteten, daß sie willens seien, die Heimat gemeinsam mit dem Landesfürsten zu schützen, daß sie aber hinsichtlich ihres Glaubens "assekuriert" zu sein wünschten. Niemand, der sich zu ihrer Konfession bekenne, dürfe in seinem Gewissen beschwert werden, die gesamten Lande mögen bei dem, was ihnen einst zugesagt worden, ungetrübt gelassen werden. Die Schmähungen der Jesuiten, die sie für verdammte Ketzer ausschrieen und ihren Toten das Erdreich nicht gönnten, müßten aufhören. Am 30. Jänner hielt Hoffmann eine vom Geiste äußerster Entschlossenheit getragene Rede, in der er auf die üblen Machenschaften der Jesuiten hinwies, die Friede und Einigkeit störten und durch die Drohung, daß man der fürstlichen Durchlaucht die Absolution verweigern werde, die Gewissen beschwere. Um Frieden, Ruhe und Einigkeit herzustellen, verlangten sie eine schriftliche Versicherung, daß jeder, hohen und niederen Standes, in Städten, Märkten und auf dem Lande, der sich zur Augsburgischen Konfession bekenne, ungetrübt und unangefochten bleibe. Am Morgen des Sonntags Estomihi, des 9. Februars 1578, hielt der Erzherzog eine Rede, die den Herren ewig denkwürdig im Gedächtnis haften blieb. Er versprach feierlich, alles zu halten, was er in der Religionspazifikation vom Jahre 1572 versprochen hatte. Niemand, auch der Bürger nicht, sollte in seinem Gewissen beschwert werden; in den privilegierten Städten Graz, Judenburg, Klagenfurt und Laibach würden die Prädikanten nicht vertrieben werden. Der steirische Adel hatte im Kampfe um die Gleichberechtigung der Bürger mehr erreicht als seine Standesgenossen in Österreich unter und ob der Enns. Die Glaubensfreiheit war vom Landesherrn gewährt. Welcher Erfolg! Die Stände ließen die Schriften der Jahre 1572, 1575, 1576 und 1578 im Brucker Libell, dem Freiheitsbriefe des innerösterreichischen Protestantismus, zusammentragen. Aber eine schriftlich bindende Zusicherung war vom Erzherzoge nicht gegeben, von den Ständen in ihrer Vertrauensseligkeit nicht verlangt worden. Sie hätte ihnen auch nichts genützt. Sofort setzte zunächst in Steiermark die Gegenströmung ein, der der Erzherzog, anders als sein kaiserlicher Bruder, der damals allerdings nicht mehr unter den Lebenden weilte, keinen Widerstand entgegenstellte. Anderthalb Jahre später hat er sein Wort bereits gebrochen. [Seite 66]
Tirol nimmt unter den österreichischen Erbländern insoferne eine Sonderstellung ein, als das Luthertum keine so intensive Verbreitung fand wie in den anderen Ländern. Die Masse der Bauern, etwa 20.000 an der Zahl, fiel dem Täufertum zu, der Adel blieb großenteils der alten Kirche treu — nur wenige Geschlechter waren evangelisch, die Geizkofler, Fuchs, Spaur8.48. Nur in den Bergwerksorten im Norden des Landes, in Schwaz, Hall, Kitzbühel, wo es immer Zuzug aus dem übrigen Reiche gab, Fuggerische Faktoren und fremde Gewerken, hielten sich Evangelische in beschränkter Zahl.
Kitzbühel war einer der Mittelpunkte des Täufertums gewesen. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts finden wir dort das Luthertum stark verbreitet, was auch hier mit dem Bergbau und den ausländischen Faktoren zusammenhing8.49. Treibende Kraft war 1569/70 der Gewerke Hans Steinberger8.50. Anstatt in die Pfarrkirche gingen die Bergknappen in sein Haus, wo er die Bibel mit ihnen las. Er versorgte die Leute auch mit lutherischen Büchern. Den Erfolg zeigte die Büchervisitation des Jahres 1569, bei der man unter 469 Büchern 261 sektische fand. Es war dasselbe Schrifttum, wie wir es etwa in Oberösterreich feststellen können: Ausgaben der Bibel, Lutherische und Spangenbergische Postillen, die Loci communes des Melanchthon und die Erklärung des Buches Jesus Sirach von Caspar Huberinus8.51. In Rattenberg war fast alles "ketzerisch" und in Kufstein und Sterzing herrschten ähnliche Verhältnisse8.52.
Doch war dieses Luthertum in Tirol wie das Täufertum dem Untergange geweiht. Denn wenn auch die Mandate Ferdinands I. nicht viel gefruchtet hatten, so war der neue Landesherr, sein gleichnamiger Sohn Erzherzog Ferdinand II., Gemahl der Philippine Welser, der seit 1548 die Statthalterschaft in Böhmen bekleidet hatte, doch von vornherein gewillt, in seinem Lande keine andere Religion zu dulden als die katholische, wenn er auch in Böhmen sich Utraquisten als Mitglieder seines Hofstaates hatte gefallen lassen müssen8.53. Schon in seinem ersten Mandat vom 16. September 1566 erklärte er, daß er vom festen Willen beseelt sei, die alte wahre katholische Religion zu erhalten und keine neue Lehre oder Sekte einwurzeln zu lassen8.54. Die Regierung Ferdinands ist erfüllt von Mandaten zur Unterdrückung der ketzerischen Lehre und von Visitationen in den als religiös besonders verdächtigen Orten; alle, die sich nicht bekehrten, mußten das Land räumen. Hand in Hand damit liefen die Bestrebungen zur Hebung der Sittlichkeit und des Bildungsniveaus des katholischen Klerus, Einrichtung von [Seite 67] Priesterseminaren, Förderung der Franziskaner und Jesuiten, Berufung der Kapuziner. Dann erst konnte an die religiöse Erziehung des Volkes geschritten werden.
Die Jesuiten hatten 1561 eine Schule in Innsbruck eröffnet8.55. In Hall stiftete die Erzherzogin Magdalena, Tochter Kaiser Ferdinands I., das Damenstift, das der Leitung des Ordens unterstellt wurde; dadurch sollte dem protestantischen Wesen in der Stadt entgegengearbeitet werden. Petrus Canisius selbst war von 1571 bis 1573 Hofprediger des Erzherzogs; an seine Stelle trat, als er nach Rom ging, der Franziskaner Johannes Nas, ein bedeutender Prediger und polemischer Schriftsteller, der alsbald in heftige Fehde mit der Gesellschaft Jesu geriet, aber vom Erzherzog bewundert und gehalten wurde8.56. Den Franziskanern wurde die heutige Hofkirche eingeräumt; die Kapuziner gründeten 1593 in Innsbruck das erste Kloster auf deutschem Boden8.57. Sie stellten ihre stille und nachhaltige Wirksamkeit besonders in den Dienst der Erneuerung des religiösen Lebens und der Bekämpfung des Protestantismus.
Allen diesen Bestrebungen verlieh die Regierung durch unablässiges Einschärfen der kirchlichen Vorschriften, vor allem der Fastengebote und Teilnahme an österlicher Beichte und Kommunion, den erforderlichen Nachdruck. Man kann sagen, daß am Ende der Regierung Ferdinand II. (1564-1595) Tirol wieder ein katholisches Land geworden war. Erst unter seinen Nachfolgern trat die volle Wirksamkeit der Maßnahmen seiner Regierung zutage; im 17. Jahrhundert erhielt Tirol den Charakter des einheitlich geschlossenen, ausgesprochen katholischen Landes, den es ungebrochen bis ins letzte Viertel des 19. Jahrhunderts gewahrt hat und vielfach heute noch besitzt.
Dennoch ist der Funke des Evangeliums nicht ganz ausgetreten worden. Beweis dafür ist der Konflikt, in den der berühmte Geigenbauer Jakob Stainer aus Absam bei Hall mit der Obrigkeit geriet. Man warf ihm den Besitz lutherischer Bücher und die Abhaltung geheimer Zusammenkünfte vor. Von der öffentlichen Leistung der Buße und der Abschwörung der Irrtümer wurde Abstand genommen, da man seine Auswanderung befürchtete; man ließ es bei der Verbrennung der Bücher bewenden8.58. Auch in den hohen Bergtälern hielt sich evangelisches Glaubensgut; es ist bezeichnend, daß dies in Gebieten der Fall war, die dem Hochstifte Salzburg gehörten; denn in diesem geistlichen Fürstentume war das Vorgehen gegen die Anhänger des lutherischen Glaubens viel nachsichtiger als in dem so manches weltlichen Landesherrn, besonders unter dem milden Regimente Wolf Dietrichs von Raitenau.
In Vorarlberg konnte die Regierung Ferdinands II. wegen der verwickelten kirchlichen Verhältnisse, vor allem wegen des Einflusses des Bistums Chur, nicht in demselben Maße durchgreifen wie in Tirol. [Seite 68] Dort gab es vielfach calvinistische Prädikanten. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts schuf die Kapuzinermission Wandel. Der Orden ließ sich in Feldkirch und Bludenz nieder. 1649 ist das Gründungsjahr des Kollegiums der Jesuiten in Feldkirch8.59. Von evangelischem Geiste war in Vorarlberg bis ins 19. Jahrhundert so gut wie nichts mehr zu verspüren.
Zahlreich waren die Beziehungen, die das evangelische Burgenland mit dem Westen verbanden. Der Einfluß des Regensburger Superintendenten Nikolaus Gallus ist auch dort nachzuweisen. Als Hans von Weißpriach, der über Forchtenstein, Kobersdorf und Landsee gebot, 1553 die Pfandherrschaft von Eisenstadt erwarb, wirkte dort alsbald ein lutherischer Prediger, Georg Egger, der allerdings auf Befehl Ferdinands I. abgeschafft werden mußte8.60. Wenige Jahre später verschrieb sich Hans von Weißpriach einen Prediger aus dem Kreise des Flacius Illyricus und Nikolaus Gallus aus Regensburg. Es war der Italokroate Stefan Consul, der bis dahin an der von Primus Truber mit Hilfe des exilierten steirischen Landeshauptmannes Hans Ungnad von Sonneck in Urach ins Leben gerufenen Bibelanstalt und Druckerei tätig gewesen war8.61. Er hatte Luthers kleinen Katechismus, die Postille von Johannes Brenz und Trubers slowenische Schriften ins Kroatische übersetzt und sollte ihr Ideengut den vor den Türken geflüchteten und auf den Gütern Weißpriachs angesiedelten Kroaten vermitteln und diese für die Reformation gewinnen8.62. Der Erfolg dieser Bemühungen war gering.
In Eisenstadt wirkte zu gleicher Zeit (1569-1582) der Stadtprädikant Jakob Beygewither. Auch in anderen Gemeinden des Burgenlandes finden wir lutherische Prediger meist flacianischer Richtung, so auch in Rust. Der bedeutendste unter ihnen war Markus Volmar in Schleining, der aus Eferding hatte weichen müssen. Die Ausbreitung des lutherischen Bekenntnisses wurde allenthalben von den Adeligen auf ihren Gütern und ihren Dörfern gefördert, den Zinzendorf, Königsberg, Erdödy, Nádasdy und Batthyány, denen Güssing gehörte. Dem Reformator Odenburgs und Schöpfer seiner Kirchenordnung, Simon Gerengel, einem gewaltigen Prediger, gelang die Bekehrung Balthasar Batthyánys, des Schwiegersohnes von Nikolaus Zriny, den "Gott gnädigklichen erleuchtet und zur seligen erkhäntnuß seines heilligen Evangelii" hatte kommen lassen. Er hat die "Meßpfaffen" abgeschafft und evangelische Prädikanten rufen lassen8.63. [Seite 69]
Balthasar Batthyány ist später zum Calvinismus übergetreten. Er war einer der gebildetsten und feinsinnigsten Adeligen seiner Zeit, ein Freund von Johannes Sambucus, dem Polyhistor und Hofhistoriographen Maximilians II. Selbst ein eifriger Bücher- und Handschriftensammler hat er 1582 den aus Laibach vertriebenen Buchdrucker und Verleger Hans Mannel in seine Dienste genommen. Dieser war zunächst nach Graz gegangen, um die Aufhebung der Ausweisung zu erwirken, was ihm nicht gelang. Von Jeremias Homberger wurde er an Stephan Beythe, den Prediger in Ödenburg, empfohlen und dieser hat ihn wahrscheinlich nach Güssing zu Batthyány geschickt. Dort errichtete er eine Druckerei, in der er ausschließlich evangelisches, vielfach religiöses Schrifttum herstellte. Aus den Holzschnitten mancher Bücher kann man Rückschlüsse auf das kirchliche Brauchtum im Schlosse zu Güssing ziehen8.64. Der rührige Mannel war auch auf den Gütern anderer Magnaten, der Erdödy, Nádasdy, Zriny, als Buchdrucker tätig; es muß damals ein lebendiges geistiges Leben in Westungarn geherrscht haben.
Nach dem Tode von Hans von Weißpriach 1571 löste Maximilian II. Eisenstadt aus der Pfandherrschaft; Schloßhauptmann wurde Hannibal von Zinzendorf. Als er im folgenden Jahre starb, folgte ihm Seyfried Kollonitsch; auch er war gut lutherisch. Am Ende des Reformationszeitalters sind im Burgenland 60 evangelische Gemeinden nachweisbar. So blieben die Verhältnisse, bis die ersten Rekatholisierungsmaßnahmen einsetzten, nachdem 1578 Georg II. Draskovich Bischof von Raab geworden war.
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Im allgemeinen ist zu sagen, daß die Kirche aus eigener Kraft auch nach dem Tridentinischen Konzil nicht imstande war, durch die ihr zur Verfügung stehenden mehr oder weniger friedlichen Maßnahmen den Protestantismus zu verdrängen und den römischen Katholizismus wieder aufzurichten. Es mußte der starke Arm der weltlichen Gewalt dazukommen, das bracchium saeculare, Verhaftungen, Kerker, Zwangseinquartierung, Vertreibung der Erwachsenen, um der katholischen Kirche wieder das Übergewicht in unserem Lande zu verschaffen. Diese mit den Machtmitteln des Staates durchgeführte Aktion bezeichnen wir als Gegenreformation. Von katholischer Seite wird der Ausdruck für das Gesamtgebiet der damaligen Zeiterscheinungen abgelehnt, da er die Selbstreform der römischen Kirche nicht in sich schließt9.1. Aber für die hier in Frage stehenden Geschehnisse besteht der Ausdruck zu recht. Joseph Lortz hat ihn gleichsam rehabilitiert9.2.
Es dürfte am vorteilhaftesten sein, mit den Verhältnissen in Innerösterreich zu beginnen, weil dort die Entwicklung, durch keinen Gegenschlag unterbrochen, geradlinig verlief und es nicht nach einem ersten Vorstoß gegenreformatorischer Maßnahmen zu einem Wiederaufleben des Protestantismus am Beginne des 17. Jahrhunderts kam, wie in Nieder- und Oberösterreich.
Auch können wir hier an einem Musterbeispiel deutlich machen, mit welchen Mitteln und Maßnahmen die von Rom gelenkte Regierung arbeitete, um den Protestantismus zu vernichten. Als vornehmste Grundlage für die Darstellung steht uns ein mustergültiges Quellenwerk über die Ereignisse in Steiermark, Kärnten und Krain zur Verfügung, die von Johann Loserth herausgegebenen Akten und Korrespondenzen zur Geschichte der Gegenreformation in Innerösterreich, die in drei Bänden vorliegen.
Wir wissen, daß nach mancherlei Bemühungen in den Jahren 1572 und 1576 die steirischen Stände im Jahre 1578 in der sogenannten [Seite 72] Brucker Religionspazifikation die Glaubensfreiheit und, wie sie vermeinten, auch die Religionsübung nicht nur für den Adel, sondern auch für das Bürgertum durchsetzten. Dies geschah in einer mündlichen Zusage des Erzherzogs Karl, die von den ständischen Sekretären sogleich schriftlich fixiert wurde, die aber doch nie die Unterschrift des Landesherrn erhielt. Denn sobald an diesem denkwürdigen Sonntage Estomihi (9. Februar) 1578 der Führer der protestantischen Stände, der Landmarschall Hans Friedrich von Hoffmann, dem Landesherrn für seine Gnade überschwenglich gedankt hatte, packte den eben nicht sehr charakterfesten, den Einflüssen seiner Umgebung stark ausgesetzten Fürsten die Gewissensangst. Seine Gemahlin, die Wittelsbacherin Maria, wird ihn darin nur bestärkt haben, und als bekannt wurde, was er den protestantischen "Ketzern" gewährt hatte, brach im katholischen Lager der Sturm los.
Drei an der Zahl waren die Gewissensräte, von denen der seelisch bedrängte Fürst sich nun raten ließ, wie er den begangenen Fehler wieder gutmachen könne. Erstens: der Bruder Erzherzog Ferdinand in Innsbruck; er war der ruhigste und besonnenste, wenn er auch der Meinung war, daß mit dem "Unwesen" aufzuräumen sei, wie er es ja in seinem Lande auch tat. Zweitens: die römische Kurie; der Papst beorderte eigens den Nuntius Feliciano Ninguarda nach Graz. Drittens: die Verwandten in München, die bayrischen Wittelsbacher, die von den Vorgängen genau unterrichtet waren, da die Erzherzogin, die Tochter Herzog Albrechts und die Schwester Herzog Wilhelms, sie auf dem laufenden hielt.
Alle diese befreundeten, über das Vorgefallene beunruhigten und entsetzten Berater suchten einen Ausweg und sannen auf Abhilfe. Nun geschah etwas Schwerwiegendes. Es wurde ihnen nicht der Umfang dessen mitgeteilt, was den evangelischen Ständen eingeräumt worden war. Die Religionsfreiheit in den Städten und Märkten, unter der die Stände auch die Ausübung des Bekenntnisses verstanden, wurde verschwiegen und verleugnet. Nun rächte sich, daß die Evangelischen vom Landesfürsten nichts Schriftliches, nicht einmal eine Unterschrift in der Hand hatten. Diese Finte war am erzherzoglichen Hofe ausgeheckt worden, der Vizekanzler Dr. Wolfgang Schranz stand dahinter und wir nennen, seitdem Loserth diese Umstände aufgedeckt hat, die der Öffentlichkeit vom Grazer Hofe präsentierte Fassung der Brucker Pazifikation des Jahres 1578 die Schranzische Fälschung9.3. Darin wird wohl nicht die Gewährung der Glaubensfreiheit, wohl aber die Ausübung des religiösen Bekenntnisses in Städten und Märkten unterschlagen. Deshalb wurde vom Grazer Hof — dies war ja eine der Methoden der Durchführung der Gegenreformation — immer wieder fälschlich behauptet, daß durch evangelische Gottesdienste in Städten [Seite 73] und Märkten die Konzession überschritten worden sei. Was in Ober-und Niederösterreich mit Recht von Kaiser Rudolf II. beanstandet wurde, wurde hier den Ständen gänzlich unberechtigt vorgeworfen. Denn hier hatte der Adel unter Führung von Hans Friedrich Hoffmann sofort erkämpft, was in Österreich unter und ob der Enns Georg Erasmus Tschernembl erst im 17. Jahrhundert gelang.
Wir vermerken in der Tatsache, daß man dem Adel die Religionsfreiheit noch gerade zugestehen wollte, den Bürgern aber nicht, ein antidemokratisches Element im Kampfe des Landesfürsten gegen die Selbständigkeit der Untertanen. Es ist dies eine Phase in der Errichtung des absoluten Landesfürstentums. Man mag wohl auch das Übergewicht des Protestantismus gescheut haben.
Erzherzog Karl hatte zu dieser offenkundigen Fälschung, zu diesem Wortbruch, dessen er, wie wir hören werden, von dem ständischen Sekretär Caspar Hirsch geziehen wurde, sich um so leichter entschlossen, da bleiches Entsetzen ihn packte, als der päpstliche Nuntius ihm erklärte, daß er auf Grund der Bulle In coena domini aus dem Jahre 1363 als Ketzerfreund eigentlich der Exkommunikation verfallen sei.
In seiner Gewissensangst nahm der Erzherzog eine Einladung seines bayrischen Schwagers nach München an, wo unter Zuziehung Erzherzog Ferdinands aus Tirol am 13. und 14. Oktober 1579 über die Gutmachung des von ihm begangenen Fehlers und die Zurücknahme der Konzession beraten wurde. In 13 Punkten wurde das Programm der von Karl und seinem Nachfolger durchzuführenden Gegenreformation in Innerösterreich aufgestellt. Von einer sofortigen Zurücknahme des Gewährten sollte keine Rede sein, aber letzten Endes war sie das Ziel, indem man schrittweise, nicht "verbis, sed factis", nicht "fulminanter, sed pedetentim et gradatim" das verlorene Gelände zurückgewinnen wollte9.4. Man griff dort an, wo der Gegner sich unbewußt oder bewußt Übergriffe erlaubte, nämlich in den Städten.
In einem Teil des Landes hatte die Bedrückung der Evangelischen schon zu Beginn des Jahres 1579 eingesetzt, und zwar in Görz. Dort war schon im Februar an Andreas von Attems der Befehl der Landesverweisung ergangen. Bei solchen Maßnahmen stützte sich der Landesherr, als ob es eine Brucker Pazifikation nie gegeben hätte, auf den Augsburger Religionsfrieden9.5.
Bald darauf begannen die Bedrückungen in Fürstenfeld, wo alle Neuerungen in religiöser Hinsicht verboten wurden, auch in Krainburg und Radmannsdorf wurde der evangelische Gottesdienst abgeschafft, in Sachsenfeld bei Cilli wurde die Einstellung eines evangelischen Kirchenbaues befohlen.
Gewiß machte auch die evangelische Seite Fehler. Der Vorsteher des Grazer Kirchenministeriums, D. Jeremias Homberger, war ein streitbarer Eiferer. Er konnte das "Skalieren" von der Kanzel nicht [Seite 74] lassen. Damit schädigte und gefährdete er die evangelische Sache; und gewiß war es unklug, den Exjesuiten Kratzer 1580 aus Tübingen an die Grazer Stiftsschule zu berufen. Die Jesuiten erhoben sofort ein großes Geschrei und die Landschaft mußte ihn wieder entlassen.
Der große Kampf aber setzte auf dem Landtage des Jahres 1580 ein. Man kann sich denken, wie erbittert er geführt wurde, zumal es nur fünf katholische Adelige unter den Ständen gab9.6. Ohne auf die Proposition des Landesfürsten — sie entspricht der späteren Thronrede — einzugehen, brachten die Herren und Ritter ihre Beschwerden über das Vorgehen in Fürstenfeld und Cilli vor, das den Landesfreiheiten zuwiderliefe. Und nun ließ sich der Hof verleiten, den Münchner Grundsatz, "pedetentim et gradatim" zu gehen, zu verlassen; mit dem Dekret vom 10. Dezember 1580 schlug er vielmehr "fulminanter" zu: Es verbot die Ausübung der evangelischen Religion in Städten und Märkten, auch in den privilegierten Städten Graz, Klagenfurt, Laibach und Judenburg und gestattete in Graz nur die Belassung zweier Prädikanten, die auf dem Landhause für den Gottesdienst der Herren und Ritter zur Verfügung stehen durften. Erbittert wogte der schriftlich und mündlich geführte Streit hin und her. Dem Reskripte der Regierung folgte die lange Erwiderung der Stände, darauf wieder ein Schreiben des Erzherzogs und eine neuerliche Antwort. Der Landtag lag brach, es kam zu keinen Verhandlungen. Klage wurde erhoben gegen den Nuntius, der "beschwerliche" Verbitterung anrichte. "Wir sind Teutsche, in teutschen Landen geboren, wir sind in Schutz und Schirm des Reiches." Wortführer im Kampfe war der Landmarschall Hoffmann, unter dessen Führung das ganze Ennstal evangelisch geworden war. Er hielt am 31. Dezember 1580 seine erste, am 7. Jänner 1581 seine zweite Rede. Im Augenblick errangen die Stände einen Sieg, am 26. Jänner 1581 nahm der Erzherzog das Reskript zurück.
Es war aber nur ein Waffenstillstand geschlossen worden. Die Regierung trachtete, auf andere Weise zu einem für sie günstigen Ergebnis zu kommen. Sie unterstützte zunächst die geistlichen Obrigkeiten, so den Propst von Rottenmann, dem die von Hoffmann evangelisch gemachte Pfarre von Pöls unterstand. Es erging Befehl an Hoffmann, die Pfarre zu restituieren. Damit brach ein langer Kampf aus, da die Herren hier ebensowenig wie in anderen Ländern sich ihr Patronatsrecht, das Recht der ersten Instanz, wollten streitig machen lassen. Aber die Regierung ließ nicht locker. Am 9. März 1582 wiederholte sie das Verbot der Religionsausübung in Städten und Märkten. Die Stände wehrten sich dagegen. Die Städte, 19 an der Zahl, legten Protest gegen diese Verletzung der Brucker Pazifikation ein. Am 23. April verbot der Erzherzog der Bürgerschaft in Graz die Teilnahme am Gottesdienst im Eggenberger Stift. Eingeschüchtert gab der Stadtrat am 5. Mai 1582 nach, widerrief aber kurz darauf sein Versprechen, sich des Exerzitiums im Stifte zu enthalten. Der Adel war in höchster Alarmbereitschaft. Er bereitete eine Gesandtschaft zum Reichstag 1582 vor. Von [Seite 75] dieser Gesandtschaft erfuhr der Erzherzog. Er schrieb an den Hofmarschall Hans Ambros von Thurn: "Nun solt jr wisen, es kumen gleich Sachsen, Meklburger, Brandenburger, Braunschweiger etc. oder wer da well, sie gehn halt gleich auch auf den köpfen, henden oder knien, so werden sie kein andern beschaidt als bisher bekumen9.7."
Von der Regierung ergingen die ersten Ausweisungsbefehle an Grazer Bürger. Diese verstanden es zwar, die Abreise monate-, selbst jahrelang hinauszuschieben, aber die Bedrohung war da. Gestützt wurde die Bürgerschaft in ihrer ablehnenden, von der Regierung als widersetzlich bezeichneten Haltung durch den früher genannten ersten evangelischen Prediger in Graz, den tatkräftigen, eigensinnigen und leidenschaftlichen Jeremias Homberger9.8. Er lehrte seine Glaubensgenossen, daß man sich in Fragen des Gewissens dem Landesherrn nicht zu fügen habe; in nicht gerade vorteilhafter Weise wetterte Homberger alljährlich gegen die Fronleichnamsprozession. Unbeirrt und folgerichtig, ohne sich um die auf jedem Landtage wiederholten Klagen und Beschwerden der Stände zu kümmern, schritt die Regierung auf ihrem einmal eingeschlagenen Wege fort. Im Februar 1583 nahm sie eine erregte Auseinandersetzung des Vizekanzlers Schranz mit dem ersten Landschaftssekretär Caspar Hirsch, einem aufrichtigen evangelischen Manne, der den Erzherzog als wortbrüchig bezeichnete, zum Anlasse, Hirsch am 14. Februar 1583 auszuweisen9.9. Ein Aufschrei der Empörung über diese Vergewaltigung, die einem ständischen Beamten geschah, erhob sich, aber er nützte nichts. Im Juni desselben Jahres traf der Ausweisungsbefehl den Prediger Magister Bernhard Egen. Nach Leoben erging ein Befehl gegen das Auslaufen zum Gottesdienste und zum Empfang der Sakramente auf "sektische Art" nach Eisenerz.
Sowohl der Frühjahrs- wie der Herbstlandtag 1583 verliefen erfolglos, aber die Regierung konnte es sich leisten, ohne Landtagsbewilligung zu regieren, da an den Grenzen Ruhe herrschte. Am 1. Jänner 1585 erfolgte die Erhebung des Jesuitenkollegiums zur Universität, die ein Jahr später vom Papste bestätigt wurde. Außer den Jesuiten waren zwei Kirchenfürsten die treibenden Kräfte, Martin Brenner, Bischof von Seckau, der Ketzerhammer, und Georg Stobäus, Bischof von Lavant. Von Jahr zu Jahr mehrten sich die "unerhörten" Bedrückungen in Graz und auf dem Lande. Als Homberger trotz des Predigtverbotes im Sommer 1584 in der Kirche eine Ansprache mit einem scharfen Ausfalle hielt, erfolgte 1585 seine Ausweisung. 1586 wurde ein katholischer Adeliger aus dem Hause Montfort Landeshauptmann. Im Jahre 1587 begannen die Religionsreformationskommissionen durch das Land zu ziehen, sie enthielten sich aber noch der Unterstützung durch bewaffnete Kräfte. Es begann die Reformation im Ennstale, der Domäne der Hoffmann, durch Einsetzung katholischer Pfarrer in den lange Jahre [Seite 76] evangelisch geleiteten Gemeinden von Liezen, Lassing und Oppenberg9.10. Dort erschienen als Kommissare der Abt von Admont und der Pfleger der Herrschaft Wolkenstein, Primus Wanzl. Die Bevölkerung widersetzte sich mit bewaffneter Hand und die Regierung machte Hoffmann dafür verantwortlich, der sich dagegen wehrte, als "Rädelsführer gemeinen Aufrurs und Aufstands der Untertanen" gebrandmarkt zu werden. Auch im Süden und Osten des Landes, in Radkersburg, Marburg, Pettau, in Feldbach und Ilz kam es zur Abschaffung der "widerwärtigen" Prädikanten. Zwanzig evangelische Bürger Fürstenfelds saßen in Graz gefangen9.10a.
In Kärnten enthob der Bischof von Bamberg Hoffmann seines Vizedomamtes. Bartholomäus Khevenhüller hatte Schwierigkeiten, als er 1595 seine verstorbene Frau Bianca Ludmilla (geb. Thum) im Erbbegräbnis in Villach beisetzen wollte. Die Leichenpredigt mußte in Klagenfurt gehalten werden9.11. Der Stadt St. Veit, die die Prädikanten nicht ausgewiesen hatte, wurde eine Strafe von 6000 Dukaten auferlegt und die Überlassung des katholischen Friedhofes zur Bestattung evangelischer Glaubensverwandten versagt9.12. Beschwerden wegen der Verweigerung der kirchlichen Begräbnisse auf katholischen Friedhöfen kamen häufig vor. Am 17. Dezember 1588 wurde der katholische Bürgereid eingeführt. Eine unerhörte Neuerung, über die geklagt wurde, betraf auch die Aufhebung der städtischen Freiheiten wie die der Richterwahl.
So war die Gegenreformation bereits im Gange und alle Richtlinien der späteren Maßnahmen vorgezeichnet, als Erzherzog Karl am 10. Juli 1590 starb. Sein Erbe Ferdinand war 12 Jahre alt, es mußte eine vormundschaftliche Regierung eingesetzt werden, an deren Spitze Kaiser Rudolf seinen Bruder, den bisherigen Statthalter von Niederösterreich, Erzherzog Ernst, berief. Dieser hatte zwar in Wien Erfahrungen gesammelt, wie man mit Erfolg gegen eine zwar widerspenstige, aber zum Äußersten doch nicht entschlossene Bürgerschaft vorging; dennoch bedeutete die Zeit der Regentschaft eine Atempause in der Verfolgung des evangelischen Glaubens.
Zwei Jahre lang zog sich der Huldigungsstreit hin, weil die Stände darauf bestanden, daß die Religionskonzession des Brucker Libells expressis verbis in die Eidsnotel des Statthalters eingeschlossen werde9.12a. Unverrichteter Dinge ging der Landtag des Jahres 1591 auseinander. Erzherzog Ernst kam nicht recht vorwärts, aber er blieb fest und am 19. März 1592 wurde die Huldigung schließlich doch geleistet, nachdem Ernst versprochen hatte, es in religiösen Belangen so zu halten wie der verstorbene Erzherzog. Der Versuch, die Religionsfreiheit in die Privilegien des Landes einzubauen, war fehlgeschlagen. Das Zugeständnis war ein sehr dehnbarer Begriff, der nichts bedeutete, wie es ja die katholische Partei auch auffaßte. Die einzige Waffe, die die protestantischen [Seite 77] Stände hatten, die Verweigerung der Huldigung, ließen sie sich in Befolgung des Gehorsamsgebotes aus der Hand schlagen. Im wesentlichen hielt sich Ernst an sein Versprechen, aber die kirchlichen Stellen setzten die Verfolgung um so ungestörter fort. Der Bischof von Freising reformierte auf seiner Herrschaft Rotenfels bei Oberwölz9.13, der Erzbischof von Salzburg in Leibnitz9.14. Die Verfolgungen im Ennstale und Murtale nahmen ihren Fortgang. 1592 vertauschte Erzherzog Ernst die Statthalterstelle in Innerösterreich mit der in den Niederlanden, und sein Bruder Maximilian rückte in Graz ein.
Mittlerweile wurde der künftige Landesherr bei den Jesuiten in Ingolstadt erzogen. Ahnungsvoll sagte Bartholomäus Khevenhüller im Jahre 1595: Die Pfaffen wollen anfangen, unseren jungen frommen Herrn zu regieren. Es war das Ärgste zu befürchten, wenn das Kinder-, Weiber- und Pfaffenregiment erst angehen werde9.15. Wie weit es aber kommen würde, davon konnte sich auch der ärgste Schwarzseher unter den Adeligen noch keine Vorstellung machen.
Eine klare Beurteilung der Lage herrschte unter den evangelischen Stadtvätern in Marburg, als 1596 dort eine katholische Stadtrichterwahl durchgesetzt worden war: "Diese Ausschließung (der Evangelischen) werde gradatim vom Richter auf die Ratsfreunde, von den Ratsfreunden auf die gemeinen Bürger, von der Ausschließung von Ämtern und Ehren zur wirklichen Verwehrung des Wortes Gottes, Anhörung und Gebrauch der Sakramente und endlich zur gewalttätigen Nötigung zum papistischen abscheulichen Greuel und Abgötterei führen, oder im widrigen wo nit gar zur Nehmung des Leibs und Lebens, doch auf das wenigst zum voluntario exilio und Proskription." Genau das ist eingetreten9.16.
Als Erzherzog Maximilian im Jahre 1596 die Statthalterschaft niederlegte, wurde am 9. Juli Ferdinand großjährig erklärt. Von neuem begann der hartnäckige, ermüdende und zermürbende Kampf um den Huldigungseid, in dem wiederum die Regierung siegte. Der Adel resignierte wohl aus der richtigen Erwägung heraus, daß auch ein Versprechen dort nichts galt, wo die Losung herrschte, daß man das Ketzern gegebene Versprechen nicht zu halten brauche. Eine Art Lähmung hatte die Landschaft ergriffen, nachdem die Kämpfer der vorigen Generation entweder gestorben oder zu alt und müde für den Kampf geworden waren, wie der ehemalige Sekretär der Stände, Matthias Amman von Ammannsegg. Die Huldigung wurde in Graz am 12. Dezember 1596, in Klagenfurt am 28. Jänner 1597, in Laibach am 13. Februar 1597 geleistet.
Für seine eigene selbständige Regierung rüstete sich Ferdinand auf einer Wallfahrt nach Loreto und Rom; dem Papste Clemens VIII. stellte er sich in Ferrara vor. Am 28. Juni 1598 kehrte er nach [Seite 78] Graz zurück, um die Regierung in dem Sinne zu führen, für den er durch seine Neigung, seine Erziehung und die aus München und Rom erhaltenen Weisungen bestens vorbereitet war: mit seinem Namen ist die fast völlige Vernichtung des evangelischen Bekenntnisses in Österreich verbunden. Man hat sich gefragt, wie dieser von Natur aus gutmütige Mann, der ein treuer Gatte, ein sorgender Familienvater war, an dessen Hof sich keine solchen Unzukömmlichkeiten zutrugen, wie sie vom spanischen in Madrid berichtet wurden, so harte und grausame Maßnahmen gegen seine evangelischen Untertanen ergreifen konnte, daß es Kaiser Rudolf in Grillparzers "Bruderzwist" schaudern machte. "Und zwanzigtausend wandern flüchtig aus mit Weib und Kind, die Nächte sind schon kühl." Nicht immer wurde den Auswandernden die Mitnahme der Kinder gestattet. Die Erklärung liegt wohl darin, daß Ferdinand völlig unter dem Einflüsse seiner geistlichen Ratgeber, der Bischöfe Brenner und Stobäus, und seiner jesuitischen Beichtväter stand.
Nach dem Regierungsantritt des neuen Landesfürsten bekamen alle Maßnahmen einen anderen Schwung. Was bisher durch Mandate und friedlich umziehende Reformationskommissionen nicht zu erreichen gewesen war, sollte nun auf dem Wege der Gewalt durchgeführt werden. Dagegen waren alle Klagen und Beschwerden der Stände machtlos, nur passiver oder aktiver Widerstand hätte hier genützt. Aber dazu war der lutherische Adel Innerösterreichs niemals bereit, selbst dann nicht, als Ober- und Niederösterreich ein Vierteljahrhundert später zu den Waffen griffen. Denn dort hatte man erkannt, daß ein Kompromiß nicht zu schließen war, daß man siegen oder fallen müsse.
Mit welchem "Schimpf und Spott" selbst höchste Adelige behandelt wurden, zeigt das Verhalten gegenüber Bartholomäus und Franz Khevenhüller, als sie sich in Angelegenheit der Besetzung ihrer Herrschaft Kreig mit einem katholischen Pfarrer 1598 nach Graz begaben. Die Herren hatten dem Befehle nicht gehorcht, eine ständische Abordnung war in der die gemeinsamen Interessen betreffenden Angelegenheit nach Graz gereist, wo sich auch die beiden Khevenhüller einfanden. Die ständische Deputation wurde mit ihrer Klage abgewiesen und die beiden Herren arretiert. Unnachsichtig blieb es beim landesfürstlichen Bescheid9.17.
Auf Betreiben des jesuitischen Stadtpfarrers von Graz, Laurentius Sonnabenter, erfolgte am 13. September 1598 eine einschneidende Maßnahme: Der Erzherzog befahl, den evangelischen Schul- und Kirchendienst in Graz und Judenburg einzustellen9.18; am 24. desselben Monates erfolgte unter offenem Bruche der Brucker Pazifikation die Ausweisung der Prädikanten und Schullehrer binnen acht Tagen. Der Einspruch der Landschaft fruchtete nichts, einen anderen Widerstand leistete sie nicht. 19 Prediger und Lehrer verließen am 29. September Graz, ein wichtiges Kapitel der österreichischen Kulturgeschichte, das [Seite 79] der evangelischen Schule in Graz, war geschlossen9.19. Die Vertriebenen fanden zum Teil ein Asyl auf den Gütern ungarischer Adeliger, der Nádasdy und Batthyány. Am 23. September 1598 hatte in Graz die letzte Taufe stattgefunden. Am 3. Oktober 1598 wurden die Judenburger Kirchen- und Schuldiener ausgewiesen9.20. Zur selben Zeit riet die Erzherzogin Maria ihrem Sohne, alle Prädikanten hängen zu lassen.
Die Schließung der evangelischen Kirchen und Schulen in Graz hatte auch den Professor für Mathematik an der Landschaftsschule, den Schwaben Johannes Kepler, getroffen, der sich durch sein Buch "Das Mysterium Cosmographicum" einen Namen gemacht hatte. Ihm wurde als einzigem die Erlaubnis zuteil zurückzukehren, vermutlich wegen der Gunst, deren er sich bei Hofe und bei den Jesuiten erfreute. Die Verbindung mit den Vätern der Gesellschaft Jesu war nicht unmittelbar, sondern durch den bayrischen Kanzler Hans Georg Herwart von Hohenburg hergestellt worden, der wissenschaftlich-astronomischer Fragen wegen mit Kepler in regem Briefwechsel stand9.21. Kepler kehrte zurück und lebte eine Zeitlang in unsicherer, demütigender Lage in Graz, bis er, seinem guten Sterne folgend, eine Einladung Tycho de Brahes nach Benatek annahm, wohin er sich auf dem Wege über Prag begab; dorthin reiste er im Jänner 1600 in Begleitung Johann Friedrichs von Hoffmann, des Sohnes Hans Friedrichs, der Hofkammerpräsident Kaiser Rudolfs in Böhmen war9.22.
Unbeirrt durch die zahlreichen Beschwerdeschriften der adeligen Herren schritt der junge Erzherzog, von seiner Mutter und seinen katholischen Ratgebern tatkräftig unterstützt, seinen Weg; er erkannte keine Beschwerde an, er ließ sich keine Bedingung vorschreiben, wie es die Stände 1599 versuchten, als sie sich erboten, die geforderten Gelder zu bewilligen, wenn sie in ihren Häusern unangetastet blieben; denn schon war die völlige Vernichtung des Protestantismus beschlossene Sache. Der ergebnislos verlaufene Frühjahrslandtag 1599 wurde am 12. März auf den 20. April vertagt; wieder ließen die Stände die erzherzogliche Proposition außer Acht. Dabei muß man bedenken, daß der Türkenkrieg 1593 wieder ausgebrochen und die Bedrohung des Landes groß war. Schließlich bewilligten die Steiermärker die beantragten Gelder, während sich die Kärntner und Krainer weigerten. Das war zu eben der Zeit, da die Regierung zu einem entscheidenden Schlage ausholte, zur Hauptresolution vom 21. Juli 1599, die auf den 23. April rückdatiert wurde. Durch sie wurden auch die letzten bisher noch gehegten Hoffnungen auf ein Einlenken des Landesherrn zerstört. Mit sarkastischem Hohne wurde das abgetan, was der Adel über seine Rechte und die Aufrechterhaltung der Predigt des reinen [Seite 80] Evangeliums vorgebracht hatte. Nur persönlich blieb er noch unberührt. Man fragt sich, ob sich die Regierung dessen bewußt war, was sie tat; denn Tausende fügten sich ihren Befehlen nicht und zogen die Auswanderung einem Leben unter dem "papistischen Greuel" vor. Aber auch diese war ein Akt der Passivität, auf den Kampf ließ man es nicht ankommen, während das Vorgehen der Regierung immer rücksichtsloser wurde. Die Stiftskirche in Graz wurde den Evangelischen mit Gewalt genommen, 1602 schenkten die Stände der Erzherzogin-Mutter das Eggenberger Stift, mit dem ihre stolzesten evangelischen Erinnerungen verknüpft waren; muß man nicht fragen, ob dies nicht an Würdelosigkeit grenzte? Die Erzherzogin machte daraus ein Clarissenkloster.
Auch die Tätigkeit der Religionsreformationskommissionen setzte mit erhöhtem Nachdrucke ein. Da auf friedlichem Wege die Rückgewinnung der evangelischen Bürger und Bauern durch die Predigt des Wortes Gottes, die das alleinige Schwert hätte bleiben müssen, nicht gelungen war, betrat nun Ferdinand den Weg der offenen Gewalt und eröffnete damit ein neues Kapitel der Gegenreformation. Die Kirche mußte zugeben, daß sie des bracchium saeculare nicht entbehren konnte.
Am 14. Oktober 1599 begann die Reformationskommission in Leoben ihr Werk9.23. Sie war von je einem Fähnlein deutscher und windischer Knechte begleitet. Ihren Weg kennzeichnen ausgeraubte Pfarrhäuser, niedergetretene Kirchhöfe, geplünderte und zerstörte Kirchen — auch die St. Salvator-Kirche der Hoffmann beim Schlosse Thalhof, deren Inschrift lautete: Preces et lacrimae sunt arma huius ecclesiae, wurde ein Raub der Flammen. Der Widerstand der Bergknappen in Eisenerz wurde mit Gewalt gebrochen, die Rädelsführer wurden gefangen nach Graz geführt, wo sie ihrer Aburteilung entgegensahen. Mit Besorgnis hörten die Bürger von Steyr in Oberösterreich von diesen Vorkommnissen; lebten doch auch sie, die evangelischen Eisenherren, ihre Gesellen und Knechte vom Innerberger Eisen, standen ja auch sie damals im Kampf um das Evangelium gegen den katholischen Landeshauptmann Freiherrn von Löbl. Durch das obere Murtal, das Enns- und Mürztal zog die Kommission. Am 11. November 1599 kam sie nach Schladming; dort entging auch ein so verdienter Mann wie der Gewerke Hans Steinberger, einer der erfolgreichsten Bergingenieure der Zeit, der von Tirol nach Steiermark gekommen war, nicht der Einkerkerung, weil er sich geweigert hatte, den Eid auf das katholische Bekenntnis zu leisten9.24.
Neben den Kirchen loderten die Bücherhaufen und kündeten vom Werke der gewaltsamen Bekehrung. Das Buch, das Schwert des Geistes, mußte als Träger reformatorischer Gedanken vernichtet werden, das erkannten die Zerstörer des evangelischen Glaubens wohl. In Frohnleiten wurden 200 Bücher beschlagnahmt, in Bruck 200, in Knittelfeld 400, in Neumarkt 1000, in Graz aber waren es acht große Fuhren mit 10.000 Bänden, die im August des Jahres 1600 den Flammen [Seite 81] übergeben wurden9.25. Erstaunlich groß war die Verbreitung des evangelischen Schrifttums.
Der Schlußstein dieses Reformationswerkes wurde in Graz gesetzt, wo am 27. Juli 1600 allen Bürgern befohlen wurde, sich bei einer Strafe von 100 Dukaten am 31. Juli in der Pfarrkirche zum katholischen Gottesdienste einzufinden. Bis auf 100 Bürger leisteten alle dem Befehle Folge; 61 wanderten schließlich aus. Im ganzen dürfte die bürgerliche Abwanderung aus der Steiermark 2500 Köpfe betragen haben. In Radkersburg sollen im Jahre 1600 siebzig Häuser leer gestanden haben9.26. Am 1. März 1601 wurden aus allen innerösterreichischen Ländern die evangelischen Prädikanten, Präzeptoren, Schreiber und Schulmeister ausgewiesen; dieser Befehl wurde 1602 wiederholt und nur übertroffen von dem strengen Mandate 1603, das allen Landbewohnern, Bauern, Bürgern, Rittern und Herren verbot, "das giftige und schädliche Exercitium der A. C." außer Landes zu suchen. Wer das Gebot übertrat, wurde zu schwerer Geldstrafe verurteilt. Am 22. März 1601 war auch das private Postillenlesen verboten worden. Noch wurde der Adel geschont, aber das evangelische Bürgertum war zu Tode getroffen. Unter solchem Zwange und solcher Drangsal wurde die junge Generation der Städte katholisch.
Dies alles spielte sich zu einer Zeit ab, da der Feind das Land gefährlich bedrohte. Am 14. Oktober fiel die Grenzfestung Kanisza in türkische Hand, die der Erzherzog in eigener Person vergeblich zurückzuerobern suchte.
Ähnlich wie in der Steiermark wurde in Kärnten vorgegangen. Vom 1. Juni 1600 datiert das Dekret, das die Auflösung des protestantischen Kirchen- und Schulwesens in Klagenfurt und die Ausweisung der evangelischen Lehrer und Geistlichen verfügte. Binnen zehn Tagen hatten sie Stadt und Land zu verlassen9.27. So wie Kepler in Graz, traf dieser Befehl den berühmten Geschichtsschreiber Hieronymus Megiser, Rektor der Landschaftsschule in Klagenfurt. Dem Befehle wurde nicht sofort entsprochen, weil die Prediger glaubten, daß nur jene sie entlassen könnten, die sie angestellt hatten, das waren die Stände. Auch war ihre Meinung, daß keine Obrigkeit die Macht habe, über die Gewissen der Untertanen zu verfügen. Die Stände erhoben Protest und die Geistlichen blieben vorläufig im Lande. Im September 1600 erschien aber die Religionsreformationskommission, die nicht viel Federlesens machte. Vielleicht wurde in Kärnten in einem 70tägigen Feldzuge noch radikaler vorgegangen als in der Steiermark. An der Spitze der Kommission stand der Landeshauptmann Graf von Ortenburg in Person, neben ihm der Bischof von Seckau, Martin Brenner. Die 300 Mann [Seite 82] umfassende Truppe wurde von Hans Christoph von Pranck kommandiert9.28. Von der Drangsalierung, dem Leid und Elend, das die Musketiere, die den Bauern und Bürgern ins Quartier gelegt wurden, mit sich brachten, kann man sich kaum eine Vorstellung machen. Nicht nur, daß die Kirchen zerstört, die Geräte vernichtet, alle Bücher, deren man habhaft werden konnte, verbrannt wurden, die wilde Soldateska, die den Evangelischen ins Haus gelegt wurde, plünderte und raubte die armen Leute vollkommen aus. In der Krems (Kremsbrücken) wurde der Anfang gemacht, dann ging es ins Maltatal, wo Gmünd und Malta an die Reihe kamen, dann ins Gailtal nach Kötschach und Mauthen, durchs Drautal nach Spittal und in den östlichen Teil des Landes an den Ossiacher See und nach Villach, nach Völkermarkt und St.Veit an der Glan; zuletzt kam die Hauptstadt Klagenfurt daran, die nur eine verschwindende Minderheit an katholischen Bürgern aufwies. Endgültig wurden nun hier die Prediger und Lehrer vertrieben, den Bürgern der katholische Eid aufgezwungen, jene, die sich nicht fügten, zur Auswanderung verhalten, und die Bücher in 28 Städten und Märkten haufenweise verbrannt9.29. Vergebens waren alle Proteste der Stände, vergebens alle Worte der Bürger und Bauern, daß sie lieber tot sein wollten als eine solche Reformation über sich ergehen lassen, die schonungslose Soldateska tat das ihrige zur wenigstens äußerlichen Bekehrung. Zu gewaltsamer Auflehnung von Seiten der Bevölkerung und Abwehr des schrecklichen Schicksals, zu Bauernunruhen wie in Ober- und Niederösterreich kam es nirgends. Aber die Bekehrung war vielfach eine rein äußerliche; in den entlegenen Bergtälern hielt sich im geheimen der evangelische Glaube, der allerdings auch durch neuen Zufluß von Schrifttum aus dem evangelischen Deutschland gespeist wurde, das sich die schlauen, hartnäckigen und zielbewußten Bergbewohner immer wieder zu beschaffen wußten. In Kärnten wie in Oberösterreich und im Burgenlande hat sich das evangelische Bekenntnis durch die Not der Unterdrückung und Verfolgung hindurch bis zum heutigen Tage erhalten. Wie das zugegangen ist, wird die Geschichte des Geheimprotestantismus erzählen.
Als der von den Jesuiten in Spanien erzogene älteste Sohn Maximilians, Rudolf II., 1576 zum Kaiser gewählt wurde, hatte der Protestantismus in Österreich vielfach seinen Höhepunkt noch nicht erreicht. Die Protestanten erhofften sich nichts anderes als den Ausbau ihrer Position und waren im Bewußtsein ihrer Stärke voller Zuversicht. Am 12. Jänner 1577 schrieb der Reichshofrat Georg Eder an den Obersthofmeister Adam von Dietrichstein: "Das religionwesen ist alhie in 20 jaren übler [Seite 83] nie gestanden, alls eben jetzo. Ausser des heufflens, so die frummen heylige vatter der Societet Jesu bis anhero auffgehalten, ist es alles gefallen. Die sacramenta werden nicht mer bey den haupt- und pfarrkirchen, sonder alle im landthaus gesuecht und prophaniert, also das bey s. Steffan etwo ain gantz monat über zway kinder nicht zue tauff gebracht werden9.30."
Rudolf II. selbst war es, der den ersten Anstoß zu gegenreformatorischen Maßnahmen am Anfange seiner Regierung gab, als er des Handelns noch nicht so überdrüssig war wie in späterer Zeit. Infolge seiner Erziehung in Spanien war er streng katholisch und infolge seines Wesens in seiner Würde so verletzlich, daß die Vertreter des neuen Glaubens, die durch Beschränkung der fürstlichen Prärogative auch eine neue Ordnung heraufzuführen drohten, ihm als die Feinde schlechthin erscheinen mußten. Dazu kam die enge Verbindung mit dem bayrischen Hofe, die, wie in Graz durch die Erzherzogin Maria, von Wien aus durch zwei Persönlichkeiten hergestellt wurde, den Reichsvizekanzler Dr. Sigmund Vieheuser, der ehemals in Diensten Herzog Albrechts gestanden hatte9.31, und den Reichshofrat Georg Eder. Dieser setzte Herzog Albrecht von jedem Vorfalle in Wien in Kenntnis, auch kann er als Urheber gar mancher Verfügung Rudolfs angesprochen werden. Die ersten Verordnungen zur Beseitigung des evangelischen Wesens in Wien und Niederösterreich gingen von Prag aus und setzten dort ein, wo durch offensichtliche Übertretung der gewährten Glaubensfreiheit der Adel sich ins Unrecht gesetzt hatte, beim Landhausministerium in Wien, das auch der Bürgerschaft die Möglichkeit gab, Predigt und Sakrament zu genießen, was ihr nie gestattet worden war.
Von Prag trafen Anfang März die ersten Edikte gegen das Landhausministerium ein, die Erzherzog Ernst, der für seinen Bruder die Statthalterschaft in Niederösterreich führte, angesichts des überwiegend evangelischen Adels und der ebenso gesinnten Bürgerschaft zunächst gar nicht zu veröffentlichen wagte9.32. Als er sie auf neuerlichen Befehl aus Prag dem Landmarschall Hans Wilhelm von Rogendorf mitteilte und die Einstellung des von Maximilian II. nur mündlich gestatteten Landhausgottesdienstes forderte, blieb dieser Befehl zunächst erfolglos. Obwohl man sich von Seiten Rudolfs keiner entgegenkommenden Haltung in Sachen der Religion versah, leisteten die evangelischen Stünde nach mannigfachen Verhandlungen auf Grund mündlicher Versprechungen, die sich als nichtig erweisen sollten, im Herbste 1577 die Erbhuldigung. Es war das erste Zurückweichen der Stände vor der landesfürstlichen Macht. Es mußte zum Kampfe kommen, als die Herren ihren Fehler erkannten. Die adelige Opposition wurde geführt von Landmarschall Rogendorf, Nikolaus und Veit Albrecht von Puchheim, den Herren von Horn und Wolfgang Christoph von Mamming. [Seite 84]
Rudolf ließ nicht locker, die drei Landhausprediger mußten weichen, denn einer von ihnen, Josua Opitz, war ein so erfolgreicher Betreuer seiner Gemeinde und ein so gewaltiger Prediger, daß kaum einzusehen war, wie man das evangelische Leben eindämmen sollte, wenn er blieb. Wenn auch Opitz nicht der scheltende und polternde Eiferer gewesen ist, als den die katholische Partei ihn unablässig verschrie, so hat er doch als ernster und verantwortungsbewußter Hirte seiner Gemeinde nicht davon Abstand genommen, die Gegenseite dort zu rügen, wo ihre "Abgötterei" am auffallendsten in Erscheinung trat, in der Verherrlichung des Meßopfers und bei der Fronleichnamsprozession. Dabei muß es zu harten und für die Katholiken kränkenden Äußerungen gekommen sein9.33.
Als Kaiser Rudolf im Jahre 1578 auf dem Wege zur Erbhuldigung nach Linz in Wien weilte, nahm er die Sache selbst in die Hand, da Erzherzog Ernst bei einer Vorladung Opitzens nichts ausgerichtet hatte. Rudolf ließ den Prediger mit seinen Amtsgenossen am 10. Mai zu sich bescheiden, und trotz allen Bemühens und Replizierens seiner ständischen Auftraggeber erfolgte nach langen, schleppenden Verhandlungen, die vielleicht bei einiger Nachgiebigkeit der Adeligen zu einem Fortführen des Gottesdienstes in der neuen Schule hätten führen können, am 21. Juni 1578 die Ausweisung des Predigers und die Abschaffung des Landhausministeriums, die nach Meinung des Kaisers auch jede Kulthandlung evangelischer Geistlicher in seiner Stadt Wien ausschloß. Daran sich zu halten, waren die Stände allerdings nicht gewillt, und der Kampf ging weiter.
Zur selben Zeit begann die Rekatholisierung auch in anderen städtischen Gemeinwesen; so wurden im Mai 1578 die führenden evangelischen Ratsmitglieder und Schulmeister aus St. Pölten nach Wien zum Kaiser entboten und mit dem Reskript vom 7. Mai 1578 war es mit der Verkündigung des Evangeliums auch dort zu Ende9.34.
Regierung, Adel und Bürgerschaft rüsteten sich für den Landtag des Jahres 1579. Gegen den Adel konnte der Statthalter, Erzherzog Ernst, bislang nicht mit voller Kraft einschreiten, zunächst nahm er sich die Bürgerschaft vor, die durch Teilnahme an den Gottesdiensten in den Adelshäusern der Stadt und durch das "Auslaufen" nach Hernais und Inzersdorf das Verbot verletzt hatte. 1577 hatte der Erzherzog dafür gesorgt, daß ein Katholik Bürgermeister von Wien wurde. 1578 rückte ein Katholik in den Inneren Rat, wodurch die Lutheraner dort in die Minderheit gerieten. Äußerer Rat und Stadtgericht waren fast zur Gänze protestantisch9.35.
Im Zusammenhange mit den Schwierigkeiten, die der Adel der Regierung auf dem Frühjahrslandtag 1579 bereitete, den er gesprengt hatte, weil er nicht zu einem Religionstraktat gelangen konnte, faßten Bürgerschaft und Zünfte neuen Mut. Damals wurden vier Supplikationen [Seite 85] abgefaßt und überreicht, drei davon an den Rat und die Stände, die vierte an den Kaiser. In allen wurde die Freigabe der A. C. gefordert9.36. Am Morgen des 19. Juli, eines Sonntages, kam es im Rahmen des sogenannten Fußfalles der Fünftausend zur Überreichung einer fünften Bittschrift an den Erzherzog, als dieser aus der Kapelle von der Messe zurückkehrte. Die Menge hatte sich vor der Burg zusammengerottet, und ein Ausschuß von 14 Männern überreichte dem Erzherzog fußfällig die Bittschrift (Wiener Bürger-Libell). Erzherzog Ernst, der entschlossen war, keine Zugeständnisse zu machen, antwortete abschlägig, wenn auch nicht ganz ungnädig.
Die stürmische Julipetition erwirkte das Gegenteil dessen, was man zu erreichen gehofft hatte: alle evangelischen kaiserlichen Beamten, 23 an der Zahl, wurden ihres Dienstes enthoben; am 1. Dezember 1578 stellte die niederösterreichische Kammer die Zahlung der Gehälter und Pensionen an sie ein. Der nächste Schlag traf diejenigen unter den Bürgern, die man für die Rädelsführer und Organisatoren der Sturmpetition hielt. Das Mitglied des Äußeren Rates Lamprecht Janitschiz, die Hofprokuratoren Ortolf Eisenhammer und Hieronymus Örtl und der Handelsmann Kaspar Huethofer wurden verhaftet. Trotz aller Petitionen und Eingaben erreichten weder der Adel noch die Bürgerschaft das geringste, es gab immer nur ein weiteres Zurückweichen, Bewilligung unter Protest, aber doch Bewilligung und keine genug eindrucksvolle Demonstration, daß man dem Drucke entsprechenden Gegendruck entgegensetzen würde; denn dazu war der Adel nicht bereit. Auf den Rat der beiden bayrischen Herzöge wurden 300 Mann unter einem katholischen Stadthauptmann nach Wien gelegt. Im Jahre 1581 war es so weit, daß die Stände in der Reichshauptstadt neben Gottesdienst und Schule auch den Buchhandel im Landhause, den Elias Freytag betrieben hatte, verloren. Damals entzog Kaiser Rudolf die Entscheidung in geistlichen Angelegenheiten der niederösterreichischen Regierung und übergab sie der Hofkanzlei.
Das Jahr 1580 ist zu einem Schicksalsjahr für die evangelische Sache in Niederösterreich geworden. In dem Kampfe der Stände gegen die landesfürstliche Gewalt wurde es entscheidend dadurch, daß sich von den größtenteils protestantischen Ständen auf dem Landtage die katholische Minderheit abspaltete, die nun zum Kern einer katholischen, die Regierung stützenden Adelspartei wurde9.37. In kirchlicher Hinsicht ist das Jahr bedeutend geworden, weil die evangelischen Stände versuchten, durch Abfassung eines Bekenntnisses und Berufung eines Superintendenten, dem evangelischen Religionswesen in Niederösterreich eine feste Organisation zu geben9.38. Auf Empfehlung von Chyträus hatten sie den Rostocker Professor Lukas Backmeister in der Absicht [Seite 86] zu sich berufen, daß er eine Visitation der niederösterreichischen Pfarrer vornehme; auf einer Zusammenkunft der adeligen Herren und einiger der bedeutendsten Pfarrer, darunter auch Christoph Reuter, mit Backmeister in Horn wurden im Frühjahr 1580 die Grundlagen einer Norma doctrinae ausgearbeitet, nach welcher die Pfarrer examiniert werden sollten, denn außer der Confessio Augustana gab es kein Bekenntnisbuch und diese schien zu weitläufig, um als Prüfungsgrundlage zu dienen. Die Formula concordiae wollte man nicht annehmen. Gekrönt werden sollte dieses Werk durch die Errichtung eines ständigen Konsistoriums und einer Superintendentur. 16 Artikel wurden fertiggestellt und die Unterschrift der Prediger gefordert9.39. Hier zeigten sich aber nun die größten Schwierigkeiten, denn mancher eifrige Flacianer, wie z. B. Johannes Tettelbach, früher Prediger in Wien, nun aber Pfarrer zu Carlstein und Münchreut, wollte sich dem Artikel von der Erbsünde nicht fügen, weil er ihm den gänzlich verderbten Zustand des Menschen nach dem Falle nicht genügend zur Geltung brachte. Nur 125 Pfarrer unterschrieben. Das Horner Werk scheiterte erstens an den streitbaren Theologen, zweitens an dem Umstande, daß es nicht gelang, eine machtvolle Persönlichkeit zum Superintendenten zu gewinnen, die sich genügend Autorität verschafft hätte, um die Pfarrer zu Ruhe und Gehorsam zu bringen, und drittens an dem von der Regierung eifrig betriebenen Werke der Rekatholisierung, dem nur offener Widerstand hätte Einhalt gebieten können. Dieser leidende Gehorsam der Lutheraner, der hier nicht weniger als in der Steiermark und in den anderen Ländern zutage trat, verlieh der Periode der Gegenreformation sein Gepräge.
Die katholische Kirche aber bekam in dieser Zeit Sukkurs durch jenen Mann, der ihr in Verbindung mit der weltlichen Macht unschätzbare Dienste leistete, den ehemals evangelischen Bäckerssohn Melchior Khlesl. Mit dem Eifer des Konvertiten stürzte sich der junge Priester in die seiner wartende Arbeit, als er 1579 zum Propst von St. Stefan und zum Kanzler der Universität ernannt wurde. Vom 2. Juli 1581 ist die kaiserliche Verordnung datiert, daß niemand mehr vor Ablegung des römisch-katholischen Glaubensbekenntnisses zur Promotion zugelassen werden dürfe9.40. Im Jahre 1580 wurde Khlesl zum Offizial des Bischofs von Passau ernannt.
Vierfach war die Front, gegen die er zu kämpfen hatte: Zunächst war es die eigene Klerisei; er begann sofort mit der Visitation der verrotteten Pfarren rings um Wien, verhörte, entsetzte Pfarrer, verhing in Todesfällen die Sperre ihrer Güter und lag im Kampfe mit Äbten und Pröpsten, da er rücksichtslos in die Besetzung von Prälaturen eingriff; weil er seine reformierende Tätigkeit auf die landesfürstlichen [Seite 87] Pfarren erstreckte, lag er auch im Kampfe mit dem Klosterrate, der dies Vorgehen des Offizials als Übergriff der Kirche in den staatlichen Bereich empfand. Die dritte Front war der evangelische Adel, der die Abschaffung seiner Prädikanten nicht widerspruchslos hinnahm. Die vierte Front waren die Städte, und hier vermeinte Khlesl seine größten Erfolge erzielen zu können. Unermüdlich und unentwegt reiste er selbst im Lande umher in alle von evangelischen Magistraten geführten Städte und zwang Bürgermeister, Richter und Rat zur Unterschreibung von Reversen, in denen sie die Rückkehr zur katholischen Religion versprachen. Manchmal suchte er dem erwarteten Widerstande dadurch zuvorzukommen, daß er führende Ratsbürger nach Wien kommen ließ und sie dort als Geisel so lange festhielt, bis das gewünschte Ergebnis erzielt war. 1589 konnte er sich rühmen, elf Städte katholisch gemacht zu haben: Bruck a. d. Leitha, Baden, Eggenburg, Gumpoldskirchen, Hainburg, Korneuburg, Retz, Tulln, Waidhofen a. d. Thaya, Weitra und Zwettl9.41. Khlesl war der Urheber des entscheidenden kaiserlichen Dekretes vom 22. Dezember 1585, das nur denjenigen das Bürgerrecht zuerkannte, die ihre religiöse Haltung den Verordnungen des Kaisers anpaßten, und das jeden anderen als den katholischen Gottesdienst in der Stadt verbot. In Durchführung dieses Dekretes begann Khlesl, mit der Religionsreformationskommission durchs Land zu ziehen. Aber schon vorher hatte er in mancher Gemeinde durchzugreifen versucht. 1581 war er in Stein a. d. Donau erschienen. Mit der Einsetzung eines katholischen Pfarrers gab es Schwierigkeiten, weil der Rat die Besetzung der Pfarre, die passauisches Lehen war, für sich beanspruchte. Während Khlesl selbst in einer Kirche die Messe las, fand in der anderen evangelischer Gottesdienst statt. 1587 kam es zu offener Rebellion der Bewohner, erst unter Ferdinand II. erfolgte die endgültige Rekatholisierung9.42. Ein ähnliches Nest des Widerstandes war Krems. Dort kam es im Frühjahr 1584 zum passiven Widerstand der Bürgerschaft und 1589 zu offenem Aufruhr9.43. Vier Jahre dauerte der Prozeß gegen die Bürger, die mit der Religion auch die übrigen Rechte und Freiheiten verloren. Aber noch 1602 weigerten sich die Kremser, einen Revers auszustellen. Sie halfen sich mit dem "Auslauf"9.44. Im Jahre 1586 erfolgte die "Reformation" in Bruck a. d. Leitha9.45. Neun Ratsherren, darunter der aufrechte evangelische Stadtschreiber Georg Khirmair, wurden des Landes verwiesen. Vier wurden im Mai 1586 ausgewiesen; sie gingen nach Iglau. Als Khlesl 1588 abermals erschien, war das Schicksal der evangelischen Religion ihrer Vaterstadt besiegelt. In Waidhofen a. d. Ybbs reformierte 1586 eine freisingische Kommission. Im folgenden Jahre wurde der Jesuit Georg Scherer dort eingesetzt. Es kam zu einem Tumult und zum Sturm auf das Schloß. Die [Seite 88] widerspenstige Stadt wurde zu hoher Geldstrafe verurteilt, die Hälfte davon sollte der Stadtschreiber Ebenperger zahlen. Er wurde dauernd in Haft gehalten, in der er 1590 starb. 1589 konnte kein Bürger zur Wache bei der Fronleichnamsprozession bereit gefunden werden9.46. In der Fastenzeit 1590 weigerte sich der katholische Pfarrer, die Leiche eines protestantisch getauften Kindes einzusegnen; darauf bestattete der Vater das Kind unter Beteiligung der ganzen Gemeinde. Das gab den Auftakt zu neuen Unruhen. Die Pfarrkirche wurde wieder lutherisch. Der 1599 neubestellte Pfleger des Bischofs von Freising, dem die Stadt Untertan war, Tristan Schenk von Tierhof, ging mit großer Strenge gegen die Protestanten vor. Viele verließen die Stadt, so daß im Jahre 1600 160 Häuser und 200 im Jahre 1608 leerstanden.
So brachte der Konvertit Khlesl anscheinend viele Städte zum Gehorsam zurück, aber vollkommen gelang das Werk nicht. Denn um die Jahre 1600 und 1602 hören wir neuerlich von Reversen, die diese Städte über ihr Bekenntnis zur katholischen Religion ausstellten9.47. Fast unmöglich war es ihm aber, dort durchzugreifen, wo der Adel seine Schloßprediger schützte, in Inzersdorf ( Hans Adam Geyer von Osterburg), in Vösendorf ( Wilhelm von Hofkirchen) und Hernals (seit 1587 Wolf Jörger). 1588 ließ Erzherzog Ernst die Prediger von Inzersdorf und Vösendorf vor sich fordern und verbot ihnen die Fortsetzung des öffentlichen Gottesdienstes; als sie sich weigerten, den geforderten Revers zu unterschreiben, wurden sie des Landes verwiesen9.48. Vergebens liefen die Stände Sturm gegen diese Verfügungen und sandten Gesandtschaft auf Gesandtschaft an den kaiserlichen Hof nach Prag, was gänzlich erfolglos war, da der Kaiser das Vorgehen seines Bruders durchaus billigte. Im Zuge der Aufrichtung der absoluten Fürstengewalt entzog der Kaiser dem adeligen Grundherrn das Recht der ersten Instanz in religiösen Angelegenheiten, die nun unmittelbar von der Hofkanzlei behandelt wurden.
Im Jahre 1590 wurde Khlesl zum Direktor der Reformationskommission ernannt. In demselben Jahre verließ Erzherzog Ernst Wien, um in Graz nach dem Tode seines Oheims Karl von Steiermark die vormundschaftliche Regierung für Ferdinand zu führen. Erzherzog Matthias nahm seine Stelle in Wien ein, für den die Beziehungen zu Khlesl von entscheidender Bedeutung werden sollten. Zwei Ereignisse veränderten den Lauf der Dinge: der im Jahre 1593 wieder ausbrechende Türkenkrieg, der den Protestanten letzten Endes zum Vorteile gereichen sollte, und der Bauernaufstand, der im Jahre 1595 in Oberösterreich ausbrach und sich auch in den zwei westlichen Vierteln Niederösterreichs ausbreitete; hier spielten allerdings jene religiösen Motive, die im Mühlviertel die Bewegung ausgelöst hatten, keine Rolle, sondern rein wirtschaftliche Verhältnisse waren die Ursache der Beschwerden der Bauernschaft, gleichgültig, ob die Grundherrschaft katholisch oder evangelisch war. Die wieder aufflammende Bedrohung an [Seite 89] der Ostgrenze machte neue Rüstungen und neue Ausgaben notwendig, für die der Herrscher die Bewilligung der Stände brauchte. Die Grundherren aber forderten höhere Steuern und Stellung von Soldaten von ihren Untertanen und steigerten damit den Druck, der auf den Holden lastete, bis zum Überlaufen9.49. War der Türkenkrieg, der den Herrscher in erhöhte Abhängigkeit vom Adel brachte und so zu Zugeständnissen auch in religiöser Hinsicht zwang, dem Protestantismus günstig, wie wir dies auch während der Regierung Maximilians II. und Karls in der Steiermark beobachten konnten, so mußte sich der Bauernaufstand schädlich für die gesamte Wirtschaft, auch für den Grundherrn selber, auswirken. Zunächst kam das Reformationswerk infolge der angespannten Lage in den Jahren 1595 und 1596 und der Bemühungen der kaiserlichen Regierung, durch Verhandlungen den Bauern zu Hilfe zu kommen und die Berechtigung ihrer Forderungen zu untersuchen, zum Stillstand, schließlich war es aber doch gerade der Bauernaufstand und seine Niederwerfung, woran die tatkräftige Bekämpfung des evangelischen Wesens anknüpfte. Mit den evangelischen Bauern sollte auch der evangelische Grundherr getroffen werden. Dies zeigt sich am deutlichsten in Oberösterreich. Deshalb erscheint es angezeigt, einen Blick auf die dortigen Verhältnisse zu werfen.
Auch in Österreich ob der Enns mußten sich die Stände nach dem frühzeitigen Tode Maximilians II. in ihren Privilegien bedroht fühlen, da sie anläßlich der Erbhuldigung keine ausdrückliche Bestätigung ihrer Freiheiten von Rudolf II. erlangen konnten. Die Erklärung, die der Herrscher gab, war völlig nichtssagend. Eine enttäuschende Zurückweisung erfuhren die Städte, als ihre Vertreter bei der Huldigung um Gewährung der Glaubensfreiheit einkamen. Was von Maximilian nicht zugestanden, aber stillschweigend geduldet worden war, war Rudolf keineswegs gesinnt zuzulassen, geschweige denn zu bestätigen. Damals befürchteten die evangelischen landesfürstlichen Städte schon, daß die Regierung konfessionelle Maßnahmen gegen sie ergreifen werde und wandten sich mit der Bitte um Hilfe an die adeligen Glaubensbrüder9.50. Diese versicherten die Städte ihres Beistandes, und die gemeinsame Gefahr führte zum Zusammenschlüsse des Adels und der Bürger in Fragen der religiösen Ordnung; am 5. September 1578 kam es zur Unterzeichnung einer alle evangelischen Gemeinden des Landes [Seite 90] verpflichtenden Kirchenordnung9.51, am 11. August 1579 schlossen die Städte ein streng geheimes Schutz- und Trutzbündnis.
Die religiöse Freiheit blieb damals noch unangetastet. Evangelisches Leben entwickelte sich nicht nur auf den Schlössern der Adeligen, sondern auch in den Häusern der Bürger. Im Landhaus zu Linz wurde evangelischer Gottesdienst gehalten, Taufen und Trauungen wurden vorgenommen9.52, die adelige Landschaftsschule blühte. Man horchte aber doch auf, als die Kunde von den Vorgängen in Wien auf den Landtagen 1578 und 1579 nach Linz drang und zum zweiten Landtage dieses Jahres beschloß man, ständische Beobachter zu entsenden. Gundacker von Starhemberg fuhr mit einem Begleiter nach Wien, und auch die Stadt Steyr entsandte den Stadtschreiber Melchior Höber als ihren Vertreter9.53. Mag sein, daß diese Wachsamkeit in religiösen Dingen dazu beigetragen hat, daß Steyr die Forderung nach einem Darlehen von 30.000 fl, das die Regierung damals für die Kaiserin-Mutter verlangte, ablehnte9.54. Die Stadt, die ungefähr mit einem Drittel der Steuern, die die landesfürstlichen Städte zu zahlen hatten, veranschlagt wurde, hatte an ordentlichen Abgaben bereits 11.896 fl abgeliefert, ihr Kredit war übermäßig angespannt. Die Stadtväter waren hellhörig und auf ihrer Hut. Zur leichteren Finanzierung der Eisenbeschaffung wurde die Gründung einer Gesellschaft geplant, die gegen den Widerspruch so einflußreicher Ratsherren wie der Brüder Simon und Hieronymus Händl und gegen den Rat eines so erfahrenen Bergingenieurs wie Hans Steinberger doch zustande kam9.55. Die wirtschaftliche Blüte war im Absinken begriffen.
Für Oberösterreich wurde 1581 ein Unglücksjahr, als sich bei der Hochzeit Reichard Streins von Schwarzenau mit Rosina Tschernembl, die Ende September auf Schloß Freidegg gefeiert wurde, beim Hochzeitsmahl das furchtbare Unglück des Einsturzes des Saales ereignete, in dem die wohl hundertköpfige Hochzeitsgesellschaft versammelt war. Wie durch ein Wunder war kein Menschenleben zu beklagen, aber die Mutter der Braut, Barbara von Tschernembl, erlitt eine schwere Schädigung ihrer Gesundheit: drei Jahre später starb sie9.56. Der Reichshofrat Georg Eder sah in diesem Ereignis ein Gottesurteil. Die Nachricht davon muß auch den Bruder der Braut Georg Erasmus erreicht haben, der damals auf der Hohen Schule in Altorf weilte.
Im Jahre 1586 machte der Abt Johannes Spindler von Garsten einen ersten Versuch, die Stadtpfarrkirche von Steyr wieder unter seine Obrigkeit zu bringen. Er scheiterte an dem Widerstande des [Seite 91] evangelischen Stadtrates. Im selben Jahre bedrohte ein Dekret des Erzherzog-Statthalters alle Untertanen, die sektischen Predigern nachliefen, mit strengen Strafen9.57. 1588 sehen wir in der Zusammenrottung der Bauern von Sierning, die der Einsetzung eines katholischen Pfarrers offenen Widerstand leisteten, vor den Toren Steyrs das erste Anzeichen der großen Unruhe, die das Land ergriffen hatte9.58. Ähnliches wie in Steyr wurde in Freistadt versucht. Dort erschien im Jänner 1589 im Auftrage des Statthalters eine Kommission, die an Stelle des enthobenen katholischen Pfarrers Sturm einen neuen Pfarrer Johannes Bucher einsetzte. Diese Amtshandlung mußten sich zwar der Bürgemeister Wolf Landshuetter und der Kirchherr Eustach Attl gefallen lassen, aber sie weigerten sich, den Prädikanten bei der Pfarrkirche abzuschaffen. Sehr energisch erklärten sie, sie seien gänzlich entschlossen, bei des Lutheri Lehre zu leben und zu sterben. Dabei sind sie auch geblieben. Bucher mußte einen Revers fertigen, in dem er den Ratsherren das Versprechen gab, "sie als seine Vogt- und Lehensherren bei ihrer Augsburgischen Confession, derselben Apologia und Schriften Lutheri und in summa bei ihrer ganzen Kirchenordnung und bishero fürgehaltenen lutherischen Religion unreformiert zu lassen"9.59. Die Versuche der geistlichen und weltlichen Obrigkeit, selbst des so tatkräftigen, zur Wiederaufrichtung der katholischen Kirche entschlossenen Bischofs von Passau, Urban von Trenbach, blieben erfolglos. Höchst bedeutsam aber wurde die Tatsache, daß im Jahre 1592 jener Mann Landeshauptmann wurde, der entschlossen war, den Geboten der Regierung und den Anstrengungen des Bischofs den nötigen Nachdruck zu verleihen: Hans Jakob Löbl, Freiherr von Greinburg; kein Angehöriger des Herrenstandes, sondern aus dem Beamtenadel hervorgegangen, pflichtgetreu und fanatisch katholisch. Seiner Herkunft und seiner Religion wegen stand er mit dem Adel von vornherein auf gespanntem Fuße. Zunächst freilich mußte Löbl das ihm so sehr am Herzen liegende Werk der Religionsreformation, die Beseitigung des Protestantismus, vor der Wucht des Bauernaufstandes, der von 1595 bis 1597 das Land schwer erschütterte, noch zurückstellen.
Während dieser Wirren trat zum erstenmal der Mann bedeutsam hervor, der nicht nur seiner oberösterreichischen Heimat, sondern dem gesamten Österreich zum Schicksal werden sollte: Georg Erasmus von Tschernembl9.60. Seiner Mutter Barbara, einer geborenen von Starhemberg, ist oben gedacht worden. Sein Vater war der ständische Verordnete Hans von Tschernembl, Herr auf Schwertberg. Ein evangelischeres Adelshaus kann man sich nicht leicht vorstellen. Der begabte Sohn erhielt die beste Erziehung; 1592 kehrte er von seiner Kavalierstour heim, deren Brennpunkte Paris, London und Genf gewesen waren. [Seite 92] Auf ihr vollzog sich seine Wendung vom Luthertum zum Calvinismus, dessen Geist er in der Stadt Calvins von dessen unmittelbaren Gefolgsleuten und aus den Schriften des Reformators und seiner Nachfolger einsog.
Der junge Adelige wurde sofort in das Spiel der großen Politik hineingezogen, da seine Fähigkeiten, seine Kenntnisse und seine Rednergabe ihn für politische Missionen der ständischen Regierung, die in Oberösterreich besonders in Erscheinung trat, da die Zentralgewalt weit abseits lag, hervorragend geeignet machten. So wird uns bei der Darstellung der Geschicke dieses Landes, die sich sehr bald mit denen Niederösterreichs verflochten, der Vorteil zuteil, daß wir eine machtvolle, politisch handelnde Persönlichkeit in den Mittelpunkt stellen können.
Solange der Türkenkrieg nur Geplänkel an den Reichsgrenzen war, bewegte er die Gemüter wenig. Als aber Raab am 29. September 1594 fiel, rückte die Gefahr näher, und aus dem Feilschen mit der Wiener Regierung (Erzherzog Matthias) um die vom Landtage bewilligte Türkenhilfe wurde eine unmittelbare Beteiligung an der Abwehr dadurch, daß die oberösterreichischen Stände sich an die Nachbarn, Tirol und Bayern, um Unterstützung wandten, die ihnen auch zugesagt wurde. Es sei hier bemerkt, daß die Last der Türkenabwehr praktisch auf den österreichischen Ländern ruhte, soweit das Aufgebot an Soldaten in Frage kam, denn die Reichs- oder Türkenhilfe, um die der Kaiser jeweils auf den Reichstagen ansuchte, kam in der Regel zu spät. An den Türkenkriegen baute sich die österreichische Wehrmacht auf, die freilich damals noch große Mängel aufwies, sowohl in der Form der Rekrutierung als auch in der Versorgung der Armee, weil auch hier der Sold zu spät gezahlt wurde und die Lieferungen mangelhaft erfolgten.
Tschernembl war es, der 1594 nach Innsbruck an den Hof des Erzherzogs Ferdinand, nach München an den des Bayernherzogs Maximilian geschickt wurde, wo er beide Male Erfolg hatte, während ihm dieser ein Jahr später in Graz, da die Steiermark selbst durch den Krieg in größte Mitleidenschaft gezogen war, versagt blieb. Dort trat er zum ersten Male in seinem Leben dem Manne gegenüber, der ein ebenso entschlossener Kämpfer für den Katholizismus war wie Tschernembl für den Protestantismus: dem Erzherzog Ferdinand, nachmaligem Kaiser Ferdinand II. Der Türkenkrieg zog sich mit wechselndem Erfolge jahrelang hin. Die Kaiserlichen hielten in Oberungarn stand, konnten Gran erobern und behaupten, verloren aber Erlau und wurden in einer großen Schlacht bei Meszö-Keresztes im Oktober 1596 so entscheidend geschlagen, daß die größten Anstrengungen notwendig waren, um den Feind von den Erbländern abzuhalten. Schließlich schien der Erfolg dadurch gesichert zu sein, daß Sigismund Báthory von Siebenbürgen sein Land dem Kaiser abtrat und kaiserliche Truppen unter dem General Georg Basta es besetzten.
Der Krieg erforderte von Jahr zu Jahr größere Ausgaben. Deshalb mußte der Kaiser von den Ständen seiner Länder Geld fordern; der Adel bewilligte zwar das Verlangte, überwälzte aber die Stellung der [Seite 93] Rekruten wie auch die Türkensteuer auf die bäuerlichen Untertanen, die am Ende des Jahrhunderts in Nieder- und Oberösterreich verschiedentlich über die hohen Abgaben und die willkürlich gesteigerte Robot und das Freigeld Klage führten. Unmittelbarer Anlaß für den Ausbruch des Bauernaufstandes in Oberösterreich war der Versuch der gewaltsamen Rekatholisierung, der Vertreibung der Prädikanten und der Einsetzung katholischer Pfarrer, die die Messe lasen, was den Bauern verhaßt war, so daß allenthalben der Ruf nach dem "Deutschen Herrgott" ertönte. Ein Vorspiel der gewalttätigen Zusammenrottung war die Vertreibung des katholischen Pfarrers in Sierning 1588 gewesen. Aus ähnlichen Gründen kam es 1594 zum Aufruhr in St. Peter am Windberge, dessen Pfarre dem Stifte St. Florian unterstand. Ein Jahr später erhoben sich die Bauern um Rohrbach, wo der Abt von Wilhering die geistliche Obrigkeit war; von dort breitete sich der Aufstand über das ganze Mühlviertel aus und griff bald auf das Hausruckviertel und das Machland über. Da half kein beschwichtigendes Dekret des Landeshauptmannes, man werde die Beschwerden untersuchen, keine Abordnung einer adeligen Kommission ( Sigmund Ludwig von Polheim und Hans von Schifer), um mit den Bauern zu verhandeln. Wie ein Fieber hatte es die Leute ergriffen, auch wohlwollende Gutsherren, die aus den Urbaren nachwiesen, daß sie weniger forderten, als wozu sie berechtigt wären, mußten erleben, daß ihre Untertanen aufstanden. Die Bauern bedrohten die Städte und nahmen Eferding ein, das ihnen vom Landeshauptmann und einer Reihe adeliger Herren wieder abgenommen werden mußte.
Hatten die Herren anfangs mit den Bauern sympathisiert und der Bewegung kaum Einhalt geboten, um der Regierung augenfällig zu demonstrieren, wohin die gewaltsame Rekatholisierung führen mußte, so sahen sie sich schließlich doch genötigt, gegen ihre rebellischen, wenn auch evangelischen Untertanen Stellung zu beziehen. Darin lag eine Tragik für den evangelischen Adel, und keiner hat dies lebhafter empfunden als Tschernembl, der am 21. Oktober 1595 gleichsam mit dem Bibelbuche in der Hand vor seine Standesgenossen trat, die sich versammelt hatten, um zu beraten, wie der Aufstand zu dämpfen wäre9.61. Hier sehen wir einen christlichen Politiker am Werke, der aus der Bibel lebt, die er zur Grundlage seiner Anschauungen und Taten macht. Daneben tritt als Lehrmeisterin die historische Erkenntnis und die praktische Erfahrung der Gegenwart. Sie zeigen Tschernembl, daß die Forderungen der Bauern nach Ermäßigung der Lasten so unberechtigt nicht waren; er ersparte seinen Standesgenossen den Vorwurf nicht, daß ihre rücksichtslosen unbarmherzigen Maßnahmen mit Ursache der Empörung seien und ruft mit den Worten des Propheten Jesaja (5, 8) aus: Wehe denen, die ein Haus an das andere ziehen und einen Acker zum anderen bringen, bis daß kein Raum mehr da sei, daß sie allein das Land besitzen! Den eigentlichen Grund des Übels aber sah Tschernembl in der Glaubensbedrückung, deren Berechtigung er niemals zugeben wollte. [Seite 94] Nur in der Verkündigung des Wortes lebt der wahre Glaube, nur sie ist berechtigt und warum sollten, ruft der vom Gedanken der Toleranz durchdrungene calvinistische Edelmann aus, in dem Lande Österreich nicht zwei Bekenntnisse nebeneinander leben und gemeinsam zum Wohle des Ganzen wirken können, anstatt sich gegenseitig zu bekämpfen9.62? Dies ist ein Gedanke, den Tschernembl wiederholt geäußert hat. Er eilte damit seiner Zeit weit voraus. Es verdient aber vermerkt zu werden, daß die Möglichkeit und Notwendigkeit der Toleranz von evangelischer Seite in Österreich wiederholt betont wurde, so in der Steiermark von Hans Friedrich von Hoffmann; in anderen Ländern, wie in Frankreich, wurde sie vom hugenottischen König Heinrich IV. verwirklicht, von dessen Taten Tschernembl genaue Kunde hatte. Sosehr aber der calvinische Grundherr die Berechtigung der bäuerlichen Beschwerden anerkannte, sosehr verurteilte er die gewalttätige Erhebung der Untertanen gegen die Obrigkeit, die nicht umsonst das Schwert trage, zur Rache des Bösen und zum Schutze des Frommen. Dreierlei empfahl Tschernembl zur Beseitigung des Übels: 1. Eigene Einkehr und Buße; 2. Behebung des Übels auf gütlichem Wege; 3. aber Anwendung der obrigkeitlichen Gewalt gegen rebellische Untertanen. Schließlich war nur dieser dritte Weg gangbar.
Ehe man Waffengewalt anwandte, sollte die Beschwichtigung der Bauern mit Güte versucht werden. Beide Parteien riefen den Schiedsspruch des Kaisers an, der die Bauern aufgefordert hatte, ihre Beschwerden vorzulegen. Die kaiserliche Resolution vom 6. April 1596 war nur eine Vertröstung auf spätere Entschließungen, wie sie dem unentschlossenen Sinne Rudolfs entsprach. Aber die Notwendigkeit, für den Türkenkrieg Truppen auszuheben, drängte. Im Herbst 1596 sollten Musterungen durchgeführt werden, so auch in der Stadt Steyr. Die Bauern der Umgebung waren aufs Schloß gefordert worden, sie kamen, aber nicht guten Willens, sondern entschlossen, sich der Forderung nach Stellung des fünften und zehnten Mannes zu widersetzen. Es kam zu tätlichen Übergriffen gegen den Burghauptmann Ludwig von Starhemberg. Zwei Rädelsführer wurden festgenommen. Damals lagerte ein bäuerliches Heer vor Freistadt, konnte aber die Stadt nicht nehmen, sondern sich nur aus ihr verproviantieren. Als aber jene beiden Rädelsführer in Steyr heimlich hingerichtet worden waren, flammte die Empörung erneut auf, und nun versuchte Georg Tasch, der Führer der Bauern im Traungau, Steyr einzunehmen, nachdem eine ähnliche Aktion gegen Kremsmünster gescheitert war. Auch die Steyrer Bürger verhielten sich den Forderungen der Bauern gegenüber durchaus ablehnend, wenn auch manche von ihnen mit den adeligen Grundherren nicht sympathisiert haben mochten. Fünf Tage dauerte die Belagerung Steyrs, dann zogen die Haufen ab. Wie aber würde man sie zur Ablegung der Waffen bringen? Mittlerweile hatte die Bewegung auf Niederösterreich [Seite 95] übergegriffen. Am 18. Jänner 1597 wurde ein "articulierter" Stillstand geschlossen, Abgeordnete beider Parteien vom Kaiser nach Prag geladen. Tschernembl fuhr als Beauftragter der Stände voraus, die anderen folgten. Auf dieser Reise lernte er die Verhältnisse am Hofe kennen: Die Langsamkeit der Geschäftsführung, die Verschleppungstaktik, die Bestechlichkeit der kaiserlichen Räte. Diese neigten dazu, den Bauern in ihren Forderungen nach Ermäßigung der Robot und des Freigeldes, der Abgaben bei Besitzveränderungen, wie Sterbefall des Bauern, nachzugeben. Ergebnis der Prager Verhandlungen war die Resolution des Kaisers vom 6. Mai 1597, die für lange Zeit die Beziehungen zwischen Herrschaft und Untertanen regelte9.63; die Robot wurde nun auf 14 Tage im Jahre beschränkt und Bestimmungen über das Freigeld getroffen, das über eine gewisse Höhe nicht hinausgehen durfte. Über die Einzelheiten sollte auf jeder Herrschaft besonders verhandelt werden.
Aber auch auf diese Weise war die Unruhe nicht zu stillen, die Bauern lieferten die Waffen nicht ab, und als schließlich alle Bemühungen der Regierung, den Aufstand durch gütliche Verhandlungen beizulegen, gescheitert waren, mußte die Gewalt eingreifen. Die Stände selbst stellten die Truppen, die unter Führung des calvinischen Gesinnungsgenossen Tschernembls, Gotthard Starhemberg, den Widerstand der Bauern blutig niederschlugen, ähnlich wie dies in Niederösterreich der Fall war. So kehrte wieder Friede im Lande ein und war doch kein Friede, denn die Niederwerfung der aufständischen Bauern sollte mit ihrer Rekatholisierung verbunden werden. Den Gedanken, zugleich mit den rebellischen Bauern auch das protestantische Bekenntnis zu treffen, hat vielleicht Khlesl in seinem Gutachten vom Oktober 1596 zum ersten Male ausgesprochen9.64. Er findet sich jedenfalls schon in der Resolution Rudolfs vom 6. Mai 1597, in dem die Abschaffung der Prädikanten und die Restituierung der dem Katholizismus durch die Reformation verlorengegangenen Pfarren an die katholische Kirche gefordert wurde9.65. In dieser Hinsicht war Starhemberg dem Landeshauptmann nur ein lahmer Vollstrecker der kaiserlichen Befehle, da er mit der Befriedung keineswegs auch die Einsetzung der katholischen Pfarrer betrieb9.66. Dieses Werk mußte Löbl selbst in die Hand nehmen, und er ist, gestützt auf das maßgebende Mandat Kaiser Rudolfs II. vom August, das die Rekatholisierung der übrigen drei Viertel des Landes (Machland-, Hausruck-, Traunviertel) anbefahl, und das vom 6. Oktober 1597, mit aller Tatkraft zur Durchführung geschritten9.67.
Wenn wirklich alle Pfarren, auch die von den Bauern nicht eingenommenen, zurückgestellt werden mußten, bedeutete dies einen schweren Abbruch, gegen den die Stände am 21. September 1597 Einspruch erhoben. Wie stark sich der Adel damals noch fühlte, beweist ein [Seite 96] Streitgespräch, das der Abt Burkhart von Lambach ein Jahr später mit Sigmund Ludwig von Polheim führte9.68. Der Polheimer war, vom Begräbnis der Frau Wolf Jörgers kommend, mit Hans Jörger abends im Stifte eingekehrt. Im Gespräch pries er den Prädikanten, der die Leichenpredigt gehalten hatte, als einen gewaltigen Redner; der Abt aber nannte den ehemaligen Mönch einen gottlosen Buben und fügte hinzu, daß die Prädikanten im Linzer Landhause das Fronleichnamsfest schmähten; schamlos werde dort das Lied gesungen: Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort und Steuer' des Papst und Türken Mord ... Da sagte Hans Jörger, man solle ihm Lutherum nicht schmähen, und der Polheimer meinte: Ihr geistlichen Herren wollt die evangelischen Bauern aus dem Lande haben, und wenn das geschehen, wollt Ihr uns auch hinnach vertreiben ... Es wird Euch ja nicht geraten. Einen Prälaten kann der Kaiser aus dem Lande jagen, aber keinen Herrn, und wenn zehn Kaiser aufeinandersäßen, sollten sie mich von meiner Religion nicht bringen: denn sie, die Herren, hätten den Kaiser gemacht. Wer spürte nicht hinter diesen Worten die Lehre von der Souveränität des Volkes? Wir stellen dazu ein Wort, das Tschernembl zwei Jahrzehnte später geschrieben hat: "Wer den Erbherrn macht, der kann auch den Erbherrn rejizieren"9.69, d. h. ursprünglich ist auch der jeweilige Erbherr vom Adel eingesetzt. Aus der Bemerkung Polheims geht hervor, wie hoch der Adel seine Macht einschätzte. Niemals glaubte er eine derartige Niederlage erleben zu müssen, wie die Gegenreformation sie ihm gebracht hat. Die Mandate vom 27. August und 6. Oktober 1597 sind der eigentliche Beginn der Gegenreformation im Lande ob der Enns9.70. Die Abschaffung der Prädikanten hat viel Unruhe und Gewalttaten hervorgerufen. In Gunskirchen wurde der katholische Pfarrer von Bauernburschen erschlagen, nachdem er verkündet hatte, daß er am nächsten Sonntage wieder Messe lesen werde9.71. Löbl begann nun vor allem in den landesfürstlichen Städten zu reformieren, wozu ihm die Rechtslage die beste Handhabe bot. Denn niemals war den Bürgern das Religionsexerzitium freigegeben worden.
Freistadt kam zuerst an die Reihe. Löbl hatte die Verhältnisse dort 1589 kennengelernt; er war ein Mitglied der unter Führung des Abtes Burkhart von Lambach amtierenden Kommission, die den katholischen Pfarrer Johannes Bucher eingesetzt hatte. Aber damals hatten sich die weltlichen und geistlichen Gewalten machtlos erwiesen, die Freistädter Bürger schritten entschlossen auf ihrem Wege fort, gaben sich eine neue Kirchenordnung, beriefen 1590 nach dem Tode ihres aus Sachsen stammenden Prädikanten Andreas Pucher einen Nachfolger aus Tübingen, [Seite 97] Johannes Hosch, und spotteten mehr oder weniger des katholischen Pfarrers, der unter so auffallenden Umständen eingesetzt worden war und doch nichts ausrichten konnte, ja seine Kinder sogar bei dem Prädikanten taufen ließ. Bucher selbst war über die Verhältnisse verzweifelt; er war auch einer von denen, die nach dem bracchium saeculare riefen, nach dem "Compelle intrare!", für das die katholische Kirche den Anspruch aus Lukas 14, 23 herleitet9.72.
Erst die Gewalttätigkeiten und Übergriffe der evangelischen Bauern boten der Regierung die Handhabe, mit Drohungen und Gewalt vorzugehen, wozu sie auch Truppen im Lande liegen hatte. Am 5. Dezember 1597 erschien die Kommission überraschend zum zweitenmal in Freistadt, und diesmal stand der Landeshauptmann in eigener Person an der Spitze. Sie verlangte kurz und bündig die Unterzeichnung eines Reverses des Inhalts, daß der Rat 1. die Prädikanten und vermeinten Seelsorger abschaffe; 2. die eingezogene Pfarre und die Kirchen zurückerstatte; 3. wider den neu eingesetzten katholischen Pfarrer und seine Nachfolger, auch deren Lehre und Zeremonien, Gebrauch der Sakramente und Verrichtung des katholischen Gottesdienstes nichts unternehme, sondern ihn in allem schütze; 4. sollte er seine Beschwerden gegen die geistliche und weltliche Obrigkeit am gebührenden Orte anbringen.
Über diese Forderungen packte die Männer großes Entsetzen und der ganzen evangelischen Stadt bemächtigte sich gewaltige Aufregung. Aber nun gab es kein Ausweichen. Zwei Tage dauerte der Kampf um den Revers, dann mußte der Stadtrat, da der Landeshauptmann mit offener Gewalt drohte, unterschreiben und mit dem Stadtsiegel siegeln. Keine Widerrede über die Schädigung der Stadt in wirtschaftlicher Hinsicht, dadurch daß viele der geschickten, aus dem übrigen Deutschland zugewanderten Schmiede nun ihren Abzug nehmen würden, verfing, und schon gar nicht der Hinweis, daß sie befugt seien, die Vogtei und Lehenschaft über die Kirche auszuüben. Dies wurde glatt geleugnet.
Am 7. Dezember 1597 dürfte der Revers gefertigt worden sein, er trägt das Datum des 5. Dezember. Mit einem Schlage waren durch die "erbärmlich fürgenommene Kirchenreformation" die Freistädter um ihre Prädikanten, um den evangelischen Gottesdienst gekommen. Würde dies auch die Aufgabe der Religion an sich bedeuten? Eine bewegliche Bitte um Hilfe wurde sofort an die Stände nach Linz gesandt und eine Gesandtschaft an den Kaiserhof nach Prag abgeordnet. Die Stände, die sich in Linz versammelt hatten, nahmen den Kampf in Form einer Denkschrift an den Kaiser vom 31. Dezember 1597 auf, in der sie gegen die allgemeine Religionsreformation im Lande lebhaft Klage führten und sich über den Entzug der ersten Instanz, die der adeligen Grundherrschaft auf ihren Gütern zustand, besonders beschwerten9.73. Der Kaiser beantwortete diese Eingabe ebenso abschlägig wie die früheren und behandelte das Recht der ersten Instanz in Österreich ob der Enns nicht anders als in Niederösterreich. Bekümmerten und traurigen [Seite 98] Herzens mußten die Freistädter ihre Prediger ziehen lassen. Der Kampf ging weiter. Löbl setzte die Rekatholisierung der Städte fort. Enns, Wels, Vöcklabruck und Gmunden kamen an die Reihe, Steyr und schließlich Linz.
Besonders hartnäckig und ereignisreich gestaltete sich der Kampf in Steyr. In jenen Tagen, da die Dekrete Kaiser Rudolfs vom 27. August und 6. Oktober 1597 bekannt wurden, die nichts Gutes für die Zukunft ahnen ließen, rüsteten sich Rat und Pfarrerschaft für den bevorstehenden Kampf. Aus dieser Zeit stammt das "Theologische Bedenken", die Bekenntnisschrift der Stadt Steyr9.74, deren Abfassung wohl in erster Linie auf die beiden einflußreichsten Pfarrer, Wolfgang Lämpl und Joachim Müller, zurückgeht. Der Bürgermeister, Michael Aidn, und die Ratsherren Hans Muth und Hieronymus Händl waren eines Sinnes mit der Geistlichkeit. Die Bekenntnisschrift enthält das Rüstzeug für den bevorstehenden Kampf in Form eines Glaubensbekenntnisses in 20 Artikeln. Die Verfasser nennen ihre Schrift "ein Summarium oder kurzen Begriff der ganzen christlichen Lehr und Glauben nach Anleitung der Augsburgischen Confession". Sie hoffen, den Kampf mit dem geistlichen Schwerte ausfechten zu können, mit dem Worte Gottes, "dadurch unsere Herzen getroffen und geöffnet werden und den Widersachern auch ein starkes auf die Kappen gegeben wird, daß sie es in ihrem Gewissen fühlen und empfinden".
Zu Anfang des Jahres 1598 beschloß Löbl, gegen die evangelische Eisenstadt vorzugehen9.75. Anfang Jänner forderte er den Bürgermeister, Richter, Stadtschreiber und drei Ratsherren samt sechs anderen Bürgern nach Linz. Steyr entsandte aber nur zwei Vertreter, den Bürgermeister Hans Muth und Hieronymus Händl, die den Landeshauptmann in Wels trafen, wo er gerade im Begriffe war, sein Reformationswerk in die Wege zu leiten. Sie kamen mit schlimmer Kunde heim. Im Beisein des Abtes von Garsten hatte ihnen Löbl bei Strafe von 4000 Dukaten befohlen, ihre Kirchen zu sperren, die Prediger abzuschaffen und den Pfarrer Wolfgang Lämpl als Landeskind und Apostaten auf das Schloß nach Linz zu stellen. Standhaft und bekenntnistreu, wie das "Theologische Bedenken" es vorschrieb, dachten die Herren nicht daran, sich zu fügen. Sie schrieben an den Landeshauptmann, daß sie, was die Religion beträfe, nicht gesonnen seien, sich mit den rebellischen Bauern in eine Reihe stellen zu lassen. Ihre Kirche gehöre ihnen, fundatione, constructione et aedificatione; durch Änderung des Religionswesens werde der Stadt der größte Schaden erwachsen. Löbl erhöhte in seiner Antwort die bei Ungehorsam verfallene Strafe auf 8000 Dukaten, ließ aber die Sache vorläufig auf sich beruhen. Die Steyrer hatten auch an der ständischen Gesandtschaft nach Prag teilgenommen. Ehe diese noch eine Antwort erhielt, traf die kaiserliche Hauptresolution vom 18. Oktober 1598 ein, die auch die Antwort für Steyr enthielt9.76: Sie hätten [Seite 99] den Befehlen des Landeshauptmannes unverzüglich Folge zu leisten und die Strafe von 8000 Dukaten zu bezahlen. Nun war guter Rat teuer; die folgenden Tage waren sehr bewegt, der Bevölkerung bemächtigte sich große Unruhe. Sofort wurden zwei Ratsherren nach Linz zum Landeshauptmann abgeordnet, in Steyr beriet der Rat mit den Predigern, was zu tun sei. Diese zeigten sich tapfer und rieten von Nachgiebigkeit ab: als Christen müßten sie ihr zeitlich Gut, Leib und Leben in die Schanze schlagen, Haus und Hof verlassen, sie würden's tausendfältig wieder erhalten9.77. Aus Linz traf die Nachricht vom völligen Mißerfolg der ständischen Intervention in Sachen der Städte beim Kaiser ein. Eine Ratssitzung jagte die andere, ununterbrochen ritten die Boten hin und her9.78. In einem Schreiben an den Landeshauptmann erklärte der Rat sich zur Zahlung der Strafe von 4000 Dukaten — die 8000 nahm er scheinbar gar nicht zur Kenntnis — nicht für verpflichtet, da kein richterliches Erkenntnis vorliege. Die große Frage war: Sollte man die Pfarrkirche sperren? Die ganze Gemeinde war dagegen; unter Zuziehung auch anderer Bürger gab es eine lebhafte Debatte, ob man am Dreikönigstage in der Stadtkirche Gottesdienst halten solle oder nicht. Leider läßt sich aus den Akten kein Entscheid darüber feststellen. Der Gottesdienst dürfte wohl stattgefunden haben, denn erst am 7. Jänner entschloß man sich, die Pfarrkirche zu schließen und nur in der Schulkirche Gottesdienst zu halten und im Spital. Was für eine aufgeregte Zeit muß es gewesen sein! Um seiner Trauer Ausdruck zu geben, verbot der Rat Saitenspiel, Tanz, Schlittenfahren und Gelage9.79. Aber auch alle kirchlichen Handlungen, wie Taufen, Sakramentreichung, Krankenbesuche, waren eingestellt. Aus Linz drohte Löbl, er werde Bewaffnete in die Stadt legen, und am 20. Jänner 1599 traf der Revers von dort ein, dessen Unterzeichnung man forderte; er lautete gleich dem freistädtischen. An der Enns aber geschah anderes als an der Aist. Es wurde nicht unterzeichnet. Den alten Prediger Wolf Lämpl mußten die Steyrer wehen Herzens mitten im Winter ziehen lassen, er ging nach Sachsen; die andern aber blieben in der Nähe. Noch gab man die Hoffnung auf bessere Zeiten nicht auf.
Der 21. Februar 1599 wurde von Löbl zur Entsühnung und Wiedereinweihung der Stadtkirche festgesetzt. Der Landeshauptmann kam nnter dreifacher Assistenz und brachte den neuen Pfarrer mit. Die Stimmung unter der Bevölkerung war denkbar schlecht. Der Ratsherr Hieronymus Hirsch weigerte sich, des Landeshauptmanns Kutschierpferde einzustellen. Während des Gottesdienstes flog ein Stein in die Kirche, der Löbl fast getroffen hätte. Unter solchen Verhältnissen zog der neue Pfarrer vor, bald wieder abzureisen. Ein anderer war rasch zur Stelle. Zwei Kommissare hatten dafür zu sorgen, daß die Bürger dem Gottesdienste beiwohnten. Aber sie fanden wenig Gehorsam; der "römische Götzendienst" wurde nicht besucht. Am 7. März gab es [Seite 100] neue Unruhe. Die Leute wußten wohl, daß der Rat auf ihrer Seite stand. Löbl hatte Bestrafung der Unruhestifter verlangt; in seiner Antwort ging der Rat so weit zu sagen, daß die Konventualen von Garsten in der Kirche ihr mönchisches Unwesen trieben. Die meisten Ratsherren hatten dem Bürgermeister Hans Muth beigepflichtet, daß man, da die Lindigkeit nicht habe verfangen wollen, es lieber einmal mit der "scherff" versuchen wolle und so blieben die Worte gegen den Einspruch der anderen stehen.
Am Osterdienstag wurde der Rumor ärger als je zuvor. Eine hundertköpfige Menge versammelte sich vor dem Pfarrhofe, in dem sich der Pfarrer mit den Kommissaren aufhielt. Als diese sich anschickten, mit Gewalt den Weg in die Kirche zu erzwingen, wehrten ihnen die jungen Burschen, und als auf dem Pfarrhofe in die Menge geschossen wurde, brach ein gewaltiger Tumult los. Drei Leute wurden getötet, und nur der Geistesgegenwart des Stadthauptmannes Jacob Vischer war es zu danken, daß nichts Ärgeres geschah. Steyr war ein heißer Boden, weder Löbl noch der Abt von Garsten konnte etwas ausrichten. Die Lage blieb gespannt, und schon wurden Stimmen laut, ob Widersetzlichkeit gegen die Obrigkeit in geistlichen Dingen Ungehorsam und crimen laesae majestatis sei und als solches gestraft werden könne. Bis jetzt hatte die Stadt nichts gezahlt, durch Einspruch der Stände war die Pön der 8000 Dukaten vorläufig aufgehoben worden, aber erledigt war der Fall damit nicht.
Gesandtschaften an den Kaiser sollten Wandel schaffen; hierin aber täuschte man sich gründlich. Niemand fühlte sich wohl; da es nun gar keinen Gottesdienst in der Stadt mehr gab, konnte niemand getauft, niemand getraut, keinem das Abendmahl gereicht werden. Vor allem aber war es unerträglich, daß auch die Predigt des Gotteswortes gänzlich eingestellt war; diesem Umstande schrieb man es zu, daß Laster und Unzucht überhand nahmen. Im Sommer 1599 war man so weit, daß, bei anscheinender Ruhe von Seiten der Regierung, der Rat daran denken konnte, diesem unseligen Zustande ein Ende zu machen und die evangelische Seelsorge in bescheidenem Umfange wieder einzuführen. Der Rat fand das vom Pfarrer Joachim Müller eingereichte "gottselige Bedenken" nützlich und gut, daß nämlich die Unterrichtung der lieben Jugend im Katechismus an Sonn- und Feiertagen wieder anfangen solle, daneben auch die heilige Taufe, Administration des Abendmahles und Kopulierung der Eheleute in der Spitalskirche stattfinden sollen und wieder Hausbesuche gemacht würden; dies alles sollte Andreas Renmann, ehemaliger Gesellpriester, verrichten. Man betete, Gott möge seine Gnade zum Fortgang dieses christlichen Werkes geben. Am liebsten hätte man im Oktober 1599 den Gottesdienst im vollen Umfang wieder aufgenommen, wagte es aber doch nicht. Immerhin wurde jeden Morgen das Türkengebet gesprochen, die Kinderlehre am Sonntag im Spital und die Kommunion in der Stube daselbst gehalten, weil "I. kays. Majestät auf diese Stadt dermaßen hoch ergrimmt und man des Pönfalles noch nicht versüent wäre"9.80. [Seite 101]
Im April 1600 wurde der Stadt ein neuer katholischer Pfarrer aufgezwungen, Dr. Rueff, aber den Kirchenbesuch zu heben gelang nicht. Der nächste Pfarrer zog vor, in Garsten anstatt im Pfarrhofe der Stadt zu wohnen.
Im August 1600 zitierte Löbl fünf Bürger nach Linz, darunter auch den Altbürgermeister Michael Aidn, einen der aufrechtesten Männer der Stadt. Sein Schicksal sollte sich nun erfüllen; worum er in seinem Testamente gebeten hatte, daß Gott ihn bei der reinen christlichen Lehr, der Augsburgischen Religion, bis an sein Ende festiglich erhalten möge9.81, das wurde ihm nun zuteil. Aidn stammte aus Freistadt (geb. 1536). Die Handelsbeziehungen zwischen den beiden Städten waren innig, nicht minder die Bande der Verschwägerung der reichen Geschlechter. Hatte doch Simon Händl eine Gebmhofer aus Freistadt zur Frau. Michael war der Sohn des Ratsbürgers Anthoni Aidn. In jungen Jahren wanderte er nach Steyr aus; vielleicht zog ihm Benedikt Attl nach, der ebenfalls von der Aist an die Enns gekommen war. Beide wurden durch den Eisenhandel reich und vermögend, Aidn handelte überdies mit Baumaterial. Mit 29 Jahren wurde er Mitglied des Äußeren Rates, 1571 sehen wir ihn erstmals ein städtisches Amt bekleiden: Aidn wurde Spitalmeister und in der Folge stand er ununterbrochen im öffentlichen Leben. Er war der Pflichteifrigste in den Ratssitzungen, der Verläßlichste und Vertrauenswürdigste in Geld- und Vormundschaftsangelegenheiten, ein Mann unsträflichen Wandels. Seine Kaufmannsgeschäfte führten ihn auf die großen Märkte nach Linz und Krems, vielleicht auch nach Freistadt, seine Handelsbeziehungen reichten bis Venedig. Zahlreich waren die Gesandtschaften, zu denen die Stadt ihn abordnete. 1578 war er beim Erbhuldigungslandtag in Linz und erfuhr sozusagen aus des Kaisers Munde, daß die Städte in Fragen der Glaubensfreiheit nichts zu erwarten hätten. 1585/86 war Aidn Stadtrichter, 1595 wurde er zur höchsten Würde erhoben, die die Stadt zu vergeben hatte, er wurde Bürgermeister. Zweimal wurde er wiedergewählt, so daß er auch im Jahre 1597 diese Würde bekleidete, als Prediger und ihres Glaubens bewußte Bürger das erwähnte "Theologische Bedenken" abfaßten. Seine Frau war Eva Strasser, Kinder hatte er keine. Sein Testament enthält das aufrechte Bekenntnis zur Augsburgischen Religion, "wie sie bei hiesiger Kirchen und Stadt viel Jahr gepredigt und gelehrt worden". Er war sich damals schon bewußt, daß er Gefahr und Ungemach leiden werde, wenn er Christus treulich bekenne, aber er war bereit, dies auf sich zu nehmen, in der festen Gewißheit, daß er mit Ehren und Preis gekrönt und zur ewigen Herrlichkeit Christi werde eingehen.
Die im Jahre 1598 einsetzende religiöse Verfolgung traf Aidn schwer. Er scheint damals auch schon körperlich leidend gewesen zu sein, so daß er nur widerwillig und vom Bürgermeister Hans Muth gezwungen, die Einsendung auf den Landtag 1599 annahm. Dort fanden die Beschwerden der Stände über die religiöse Unterdrückung lebhaften Ausdruck. Als der Landeshauptmann im August 1600 fünf Bürger nach [Seite 102] Linz forderte, war Aidn unter ihnen. Er gehörte auch zu denen, die den katholischen Gottesdienst nicht besuchten. Am 8. August morgens trafen jene in Linz ein und meldeten sich gleich auf dem Schlosse. Der Landeshauptmann war abwesend. Sie wurden für ein Uhr wiederbestellt. Es wurde ihnen der Befehl verlesen, sie sollten den alten Pfarrer aus dem Spital abschaffen und selbst so lange im Arrest in Linz gehalten werden, bis der Pönfall von 8000 Dukaten gezahlt sei. Auch wurde ihnen ein Revers vorgelegt, daß sie alle Stiftsbriefe und Urkunden über Pfarre, Kirche und Kloster zu Händen des Landeshauptmannes hinterlegen würden, das öffentliche und heimliche Religionsexerzitium samt allem unkatholischen Schulwesen gänzlich abschaffen und sich dem Religions- und Reformationswesen akkomodieren würden, wie andere landeseigentümliche Städte Ihrer kaiserlichen Majestät es auch getan. Die Männer verweigerten die Unterschrift und wurden in Haft genommen. Da saßen sie nun in einem alten Losament des Linzer Schlosses und schrieben einen beweglichen Brief nach Hause mit der Bitte, man möge sie aus ihrer Lage durch Zahlung der Strafe befreien. Das geschah aber nicht.
Aidns Zustand verschlechterte sich im Gefängnis von Tag zu Tag. In Linz herrschte damals schon an sich große Aufregung, die Kunde von der Behandlung der Steyrer Bürger vermehrte sie noch. Die Freunde verwandten sich für die Gefangenen, besonders für den schwer erkrankten Ratsherrn. Endlich gab Löbl der Bitte statt, Aidn in das Haus eines der reichsten evangelischen Bürger der Stadt zu entlassen. Sebastian Sumerauer besaß ein geräumiges Haus am Marktplatze; seine schöne Bibliothek ist aus einem Verzeichnis bekannt9.82. Dort starb Aidn nach wenigen Tagen und nur der entseelte Körper konnte nach Steyr zurückgebracht werden, wo er mit großem Gepränge begraben wurde. Wir wissen nicht, wer der Prediger war, der ihn einsegnete. Des Pönfalles gingen aber die Steyrer kraft dieses Todesfalles ledig.
Wieviel Leid, Kummer und Verzweiflung sich für die Einzelnen aus der gewaltsamen Einführung der von ihnen gehaßten und verabscheuten Religion ergab, melden keine Ratsprotokolle und keine Annalen. In den also "reformierten" Städten traten unselige Zustände ein, denn von einer wirkungsvollen Ausübung des katholischen Gottesdienstes konnte keine Rede sein. Ein Jahr lang war es dem katholischen Pfarrer in Freistadt, Georg Bucher, nicht möglich, seine Kirche zu betreten. In Steyr wurden die Kirchen nicht einmal dem katholischen Pfarrer übergeben; man bedenke, was es hieß, daß die Gemeinden praktisch ohne Seelsorge und ohne Schulen jahrelang dahinlebten. Nur in verbotenen Winkelschulen erhielt sich mühsam ein Elementarunterricht; stets waren die Schulmeister der strengsten Bestrafung ausgesetzt. In Steyr kam es immer noch zu Gewaltausbrüchen, wie am Markustage 1601, als die Prozession von Garsten in die Stadt durch das ledige Handwerksgesindel gesprengt und der Pfarrer durch einen Steinwurf schwer verletzt wurde. Für die Besetzung der Ämter und Ratsstellen gab es nicht genug [Seite 103] Katholiken. 1599 war der langjährige hingebungsvolle evangelische Stadtschreiber Melchior Höber gestorben, "homo pessimus, haereticus"9.83. 1602 wurde der Katholik Nikolaus Praunfalk Stadtschreiber, die anderen Ratsmitglieder waren evangelisch.
Für den entzogenen Gottesdienst hielten sich die Steyrer wie die Freistädter durch das "Auslaufen" schadlos, die Freistädter nach St. Oswald auf das Schloß, die Steyrer nach Stadlkirchen und Losensteinleithen. Ähnliche Zustände herrschten in den anderen Städten, in denen sich die Bürger unter Androhung von Gewalt zur Zeichnung des Reverses verstanden hatten, in Enns, Gmunden und Vöcklabruck, das mit der hohen Strafe von 1000 Dukaten belegt worden war9.84.
Diese Verhältnisse führten zur heimlichen Abwanderung einflußreicher Bürger. Hieronymus Händl zog nach Regensburg; in Freistadt machte sich der Niedergang des Stadtwesens auch dadurch bemerkbar, daß die führenden Männer aus der Zeit der Reformation ihre Ämter niederlegten, ja wie Eustach Attl auch das Bürgerrecht aufsagten. Er ist dann doch geblieben und 1602 schwer verschuldet gestorben.
Nirgends aber trafen die Gegensätze so hart aufeinander, wurde der Kampf so erbittert geführt wie in Linz, wo der katholische Landeshauptmann unmittelbar dem protestantischen Adel gegenüberstand, und in Wels, wo die Bürgerschaft an der starken Feste der Herren von Polheim mitten in der Stadt einen Rückhalt hatte. War es doch der im Jahre 1598 nach Prag abgeordnete Welser Bürger gewesen, der Siegmund Teubl aus Freistadt sagte, er hätte sich eher den Kopf abhauen lassen, als in den Revers zu willigen9.85. Als die Stadtkirche gesperrt wurde, verlegten die Welser den Gottesdienst ins Spital. Ständig konnten sie sich geistlichen Trost beim herrschaftlichen Prädikanten holen. Erst mit der Schließung des Landhausgottesdienstes in Linz fiel auch das Polheimer Kirchenministerium in Wels.
In der Landeshauptstadt holte Löbl im Frühjahr 1600 zum entscheidenden Schlage aus. Beide Parteien hatten sich gerüstet: Löbl durch die Berufung der Jesuiten, die mit Georg Scherer im April 1600 ihren Einzug hielten, die Stände, indem sie im Jahre 1599 Herrn von Tschernembl zu ihrem ständischen Verordneten machten; dadurch gehörte er nun dem Ausschusse der Stände an, der in Permanenz tagte. Für Tschernembl war dies ja von ausschlaggebender Bedeutung. Auch er hatte für den Kampf Waffen geschmiedet. Aus dem Jahre 1600 stammt die Niederschrift der von ihm verfaßten oder mindestens abgeschriebenen Schrift "De resistentia subditorum adversus principem legitima"9.86; die wichtigste Literatur vom Widerstandsrecht, die das 16. Jahrhundert hervorgebracht hat, ist hier Pate gestanden: Calvins Institutio, Franz Hotmanns Franco-Gallia, die Schrift: De jure magistratuum in subditos von Theodor Beza und die Vindiciae contra tyrannos des Duplessis-Mornay.
In der "Resistentia" gilt die gegenseitige Verpflichtung von Fürst und Volk. Die Fürsten haben die Gewalt vom Volke erhalten, das [Seite 104] freiwillig auf gewisse Rechte verzichtet hat, seinerseits aber die Erhaltung seiner Freiheit vom Fürsten erwartet. Die Custodes patriae wachen über der Wahrung dieser Rechte. Deshalb müssen die Ämter im Lande von Landleuten, nicht von Fremdlingen verwaltet werden. Es findet eine Art Teilung der Gewalten zwischen Fürst und Vertretern des Volkes statt. "Die einseitige Lösung des Vertrages von Seiten des Fürsten durch Verletzung der garantierten Freiheiten und Rechte des Volkes entbindet auch die Untertanen vom Eide des Gehorsams und verleiht ihnen das Recht, Widerstand zu leisten." An erster Stelle bezeichnet der Verfasser Veränderungen im Religionswesen als berechtigte Ursache zum Widerstand. Scharf wendet sich die Schrift gegen die Übergriffe der katholischen Landesfürsten gegenüber ihren evangelischen Untertanen. Tschernembl ist in der Geschichte seines Landes Oberösterreich ebenso zu Hause wie in der des römischen Reiches, der Türkei, Frankreichs und der Niederlande. Er weiß genau Bescheid über das, was in der Steiermark vorgeht. Er übersieht auch nicht das 13. Kapitel des Römerbriefes, das er so auslegt, als hätte Paulus nur von der gerechten Obrigkeit, von gerechten Fürsten gesprochen. Im 2. Kapitel des Traktates wird die Lehre vom praktischen Widerstand an zahlreichen Beispielen der Geschichte von Cäsar über Maria die Katholische von England bis zu den Königen von Frankreich hin erläutert. Auch die Anwendung auf den konkreten Fall des eigenen Landes mit dem katholischen Fürsten einerseits und den die alten Rechte und Freiheiten wahrenden Ständen andererseits fehlt nicht. Diese Schrift zeigt, daß Tschernembl, wenn kein anderes Mittel mehr verfangen wollte, auch vor dem äußersten, dem Tyrannenmord, nicht zurückgeschreckt wäre, wenn er auch solange als möglich den Widerstand in den gezügelten Bahnen des Erlaubten und des Gehorsams halten möchte. Der Charakter der Schrift ist aristokratisch: Widerstand sei nur den Ständen erlaubt. Mit seinem großen Wissen, seiner Redner- und Führerbegabung und seiner Tatkraft wurde Tschernembl ein gefährlicher Gegner, als der Landeshauptmann im März 1600 daranging, nun auch in Linz, wo die Stände im Landhause Gottesdienst und Schule hielten, das vom Kaiser gebotene Reformationswerk durchzuführen.
Von den Ständen unerwartet fiel der Schlag in Gestalt der Vorladung zweier Verordneter, Hans Jörgers und Hans Schifers, auf das Schloß am 17. März 1600, wo man ihnen mitteilte, daß sie Landhausministerium und Schule zu schließen, Prädikanten und Lehrer zu entlassen hätten9.87. Der früher erwähnte Memhard hatte die Schule infolge seiner Charakterschwächen nicht auf jener Höhe halten können, auf die er sie in den ersten Jahren gebracht hatte. Sie hatte von ihrem Rufe manches eingebüßt; 1597 wurde der Rektor von den Ständen entlassen und der ständische Arzt Dr. Matthäus Anomäus, der auch ein tüchtiger Gelehrter war, im Februar 1598 mit der Leitung betraut9.88. Ihn ereilte der Schließungsbefehl. Vorläufig mußte man sich fügen. Am 22. März [Seite 105] 1600 verließen die Prädikanten, an ihrer Spitze Johannes Caementarius, Linz und begaben sich nach Regensburg. Man hielt dies aber nur für eine vorläufige Maßnahme und beschloß, zunächst passiven Widerstand zu leisten. Bürger wurden mit Geldstrafen bis zu 50 fl belegt, wenn sie die katholische Pfarrkirche nicht besuchten9.89. Der Landtag 1600 verlief wie der des Vorjahres ergebnislos, und am 16. Mai erfolgte ein Akt tätlichen Ungehorsams: der Schulbetrieb wurde wieder aufgenommen. Vierzehn Tage später beschlossen die Stände die Bewaffnung von Bauern auf dem Lande und von Bürgern in den Städten zur Sicherung gegen die infolge Abdankung kaiserlichen Kriegsvolks in Ungarn "gartenden" Landsknechte, die die Straßen unsicher machten. Da zwei kaiserliche Regimenter ins Land gelegt wurden, wollte man sich vorsehen; diese ständischen Rüstungen waren mehr als passiver Widerstand. Unter der Führung Tschernembls waren Akte der Gewalt gegen den die religiöse Freiheit antastenden Landesfürsten, gegen seine Söldlinge, die Jesuiten, und seinen ergebenen Diener, den Landeshauptmann, nicht ausgeschlossen. Die Fronten versteiften sich immer mehr. Damals knüpften Tschernembl und Reichard von Starhemberg die ersten Fäden zu Christian von Anhalt, dem tätigen Politiker der calvinistischen Partei im Reiche9.90. Für die Heftigkeit des Kampfes, in dem die Oberösterreicher diesmal unterliegen sollten, gibt folgender Vorfall Zeugnis.
Im Spitale zu Ottensheim bei Linz hatten die Starhemberg einen Prädikanten angestellt. Am 7. Juni 1600 ließ Löbl die Kirche sperren. Am Abend dieses Tages begab sich Tschernembl mit einigen Adeligen aufs Schloß und forderte die Wiedereröffnung der Kirche. Löbl berief sich auf einen kaiserlichen Befehl; Tschernembl meinte, es könne kein kaiserlicher Befehl vorliegen, der diese Verletzung der Religionskonzession beinhalte. Es ging hart auf hart in der Auseinandersetzung der beiden Männer, Tschernembl drohte mit gewalttätiger Abreißung der Siegel. Als Löbl ihn an seine Pflicht als kaiserlicher Rat und Diener erinnerte, sprach Tschernembl die seinem Gedankenkreise vollkommen entsprechenden folgenschweren Worte: "Mit leib, guet und bluet seye er der röm. khays. Mt. zu gehorsamen schuldig und willig", aber wider sein Gewissen könne er sich nichts schaffen lassen und es werde die Entfernung der Siegel durch ihn oder durch andere geschehen. Sie erfolgte am nächsten Tage durch Erasmus Starhemberg9.91. Hier prallte nicht nur der Gegensatz protestantisch-katholisch aufeinander, sondern die ständische Macht erhob sich gegen die landesfürstliche. Der Kampf um das Recht der ersten Instanz entbrannte auch hier. Im August mußte sich Tschernembl für den gewalttätigen Akt am kaiserlichen Hof rechtfertigen. Im Herbst sehen wir ihn an der Spitze einer adeligen Gesandtschaft, die Abstellung der politischen und religiösen Bedrückung forderte, abermals in Prag9.92. Er erhielt nicht nur Audienz, sondern anscheinend auch günstigen Bescheid, denn als er zurückgekehrt war, [Seite 106] erfolgte am 11. Februar 1601 die Wiedereröffnung des Landhausgottesdienstes. Löbl aber befahl die sofortige Wiederabschaffung und legte die Bürger, die den Gottesdienst besuchten, in Arrest9.93. Drei ständische Petitionen gingen nach Prag ab, die die Verordnungen des Landeshauptmannes und seiner Helfershelfer, der Jesuiten, besonders aufs Korn nahmen9.94.
Der Kaiser aber gab dem Landeshauptmann recht. Mit seiner Resolution vom 31. August 1601 erfolgte die endgültige Schließung des Gottesdienstes. Alle Bemühungen der Stände, auch ihre Gesandtschaft nach Prag, waren erfolglos gewesen, sie hatten eine unbestreitbare Niederlage erlitten. Der erste Zusammenstoß endete mit dem Siege der landesfürstlichen Gewalt.
Diese vermochte sich aber ihres Sieges kaum zu freuen. Im Salzkammergut bekannten sich Arbeiter und Amtleute zum Luthertum. Nicht so widerstandslos wie an anderen Orten nahmen sie die Einsetzung katholischer Pfarrer dort hin, wo zwei Generationen hindurch die lutherische Lehre verkündet worden war. Es kam zu Akten der Widersetzlichkeit und zu Unruhen. Nach Verkündigung scharfer kaiserlicher Patente brach Ende Juli 1601 in Hallstatt der Aufstand aus9.95. Auf Weisung der Regierung in Wien griffen die Stände vermittelnd ein, und die Leute nahmen die Arbeit wieder auf, forderten aber gleichzeitig Abhilfe ihrer Beschwerden. Erst mit Unterstützung salzburgischen Kriegsvolkes wurde die Rebellion im Februar 1602 niedergeworfen.
Im weiteren Verlauf wurde Oberösterreich infolge der Ereignisse auf dem ungarischen Kriegsschauplatz und der Politik seiner Führer in die Geschichte Deutschlands, ja Europas hineingezogen.
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Der Türkenkrieg am Ende des 16. Jahrhunderts brachte das Reich und die Erbländer wieder näher zueinander. Was in Österreich im kleinen Maßstabe sich abspielte, vollzog sich in größerem Umfange im übrigen Deutschland, bis sich die Geschicke aller Ländergruppen des Reiches im großen Kriege vereinigten.
Die Ereignisse in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts werden in Deutschland durch den Augsburger Religionsfrieden und das Konzil zu Trient bestimmt. Die Wiederbesinnung der katholischen Kirche auf ihre eigene Kraft und ihre damit gesteigerte Abwehrfähigkeit wirkte sich hier wie in Österreich aus. Zugleich aber versteifte sich auch hier nach einem deutlichen Rückzuge des Protestantismus der Wille zum Widerstande auf calvinistischer Grundlage.
Sechs Jahre dauerte es, bis Rudolf II. 1582 seinen ersten Reichstag einberief10.1. Die führenden evangelischen Reichsstände waren Sachsen und Kurpfalz. Der Kaiser wünschte zweierlei: Hilfe gegen die Türken und Hilfe für Spanien im niederländischen Kriege, damit die nördlichen Staaten wieder mit dem Reiche und den österreichischen Ländern vereinigt würden. Darin fand er keinen Widerhall. Besser gelang es ihm mit dem Türkenkrieg. Aber auch hier wurde die Türkenhilfe mit den kirchlichen Machtstreitigkeiten in Verbindung gebracht. Kurpfalz suchte durch Erschwerung der Bewilligung den Kaiser für die Erfüllung der evangelisch-kirchlichen Forderungen zu gewinnen. Zwei Fragen standen auf der Tagesordnung: Erstens die Aufhebung des geistlichen Vorbehalts und zweitens die Bestätigung der sogenannten Ferdinandeischen Deklaration.
Sachsen aber unterstützte den evangelischen Mitstand nicht. In seiner dem Kaiser und den katholischen Ständen entgegenkommenden Haltung verzichtete Kurfürst August auf die wichtigsten Belange der protestantischen Partei. Er stand in vertrauten Beziehungen zu Mainz ( Wolfgang von Dalberg) und Bayern ( Herzog Wilhelm V.) und pflegte sorgfältig seine Beziehungen zum jungen Kaiser. Solange Friedrich III. von der Pfalz lebte (gest. 1576), war die pfälzische Politik von tatkräftigem Handeln gegenüber den katholischen Bestrebungen getragen gewesen. Als aber der ängstliche und unselbständige Lutheraner Ludwig VI. ihm folgte, verlor die pfälzische Politik den Charakter der [Seite 110] Unversöhnlichkeit und paßte sich der katholischen Partei weitgehend an. Deshalb waren es auf dem Reichstage 1582 größtenteils die Städte, die sich wegen der Vorkommnisse in Aachen dem kaiserlichen Antrage auf Gewährung der Türkenhilfe widersetzten, bis nicht ihren Beschwerden Genüge geschehen war. In Aachen hatte Rudolf durch ein Dekret die Entfernung aller Protestanten aus den Ämtern und dem Stadtrate verlangt. Die beiden Bekenntnisse standen in scharfem Gegensatze und für die protestantische Sache stand viel auf dem Spiele.
Noch bedeutsamer wurden die Ereignisse in Köln. Dort vollzog im Dezember 1582 der Erzbischof Gebhard Truchseß von Waldburg seinen Übertritt zum Protestantismus, was nichts Geringeres bedeutet haben würde als die Überführung Kölns in eine weltliche Herrschaft. Auf diese Position konnte die katholische Kirche nicht verzichten; das Domkapitel wie der Erzbischof warben Truppen, der Papst entsandte nicht weniger als fünf Bevollmächtigte an den Rhein. Die katholische Partei setzte die Wahl eines sittlich nicht einwandfreien und keineswegs würdigen Vertreters ihrer Sache durch, des Herzogs Ernst von Bayern, der bereits Bischof von Freising, Hildesheim und Lüttich war, des Bruders des regierenden Herzogs Wilhelm (23. 5. 1583). Von den evangelischen Ständen nahm sich nur Ludwig von der Pfalz des Erzbischofs Gebhard an: der sächsische Kurfürst hingegen verhalf Ernst zur Anerkennung seiner Wahl. In dem Waffengang, der nun ausbrach, wandte sich der neue Kurfürst an den Statthalter der spanischen Niederlande, Alexander von Parma, und die Gewährung der Hilfe bewirkte, daß die rheinisch-westfälischen Grenzlande in die Verwüstung des spanisch-niederländischen Krieges hineingezogen wurden. Handel und Wandel stockten in diesen reichen Gebieten, die Bevölkerung verarmte und ging an Zahl bald zurück. Früher als in anderen Gebieten des Reiches machten sich hier die Schrecken des Krieges fühlbar, die sich noch steigerten, als 1598/99 spanische Truppen Winterquartiere bezogen.
Die nächste, die evangelische und die katholische Partei tief bewegende Frage war die Nachfolge in dem niederrheinischen Herzogtum Jülich-Kleve. Der alte Herzog Wilhelm hatte nur einen kränklichen Sohn, bei dem sich 1589 die ersten Spuren geistiger Zerrüttung zeigten; Aussicht auf Nachkommenschaft war nicht vorhanden, und die nächsten Anwärter auf den Thron, die Gemahle zweier Töchter Herzog Wilhelms, rüsteten sich zum Kampf: Herzog Albrecht Friedrich von Preußen und Pfalzgraf Philipp Ludwig von Neuburg. Die Spannungen wuchsen in einer Zeit, da durch die Niederlage der spanischen Armada in England 1588 die protestantische Sache gestärkt worden war.
Für Deutschland wirkte sich dies alles in der Weise aus, daß auf Anregung des Calviners Johann Kasimir von der Pfalz, der seit 1583 die Regentschaft für Friedrich IV. führte und wieder scharf in die Bahnen der antikaiserlichen und antikatholischen Politik Friedrichs III. zurücklenkte, eine Verständigung der Pfalz mit den evangelischen Ständen von Sachsen, Brandenburg, Braunschweig, Mecklenburg und Hessen zustünde kam. Diese im calvinischen Geiste vorgehende Partei beschloß, ein Hilfskorps für Heinrich IV. zu werben, der als [Seite 111] hugenottischer König Frankreichs mit dem Kriege gegen die Katholiken nicht fertig werden konnte. Führer dieses Hilfskorps war Christian von Anhalt, der in der Politik Deutschlands in der Folgezeit eine so bedeutende Rolle spielen sollte10.2. Dieser jüngere Sohn aus dem Hause der Askanier, die in Anhalt herrschten, war in pfälzische Dienste getreten und Statthalter in der Oberpfalz geworden, wo er in Amberg residierte. Durch seinen Aufenthalt in Frankreich dem reformierten Bekenntnisse gewonnen, wurde er durch seine politische Begabung, seine Tatkraft und Betriebsamkeit das Haupt und die treibende Kraft der pfälzisch-calvinischen Partei im Reiche, die zum Widerstande gegen die katholisierenden Bestrebungen entschlossen war. Mit ihr trat, wie schon erzählt, im Jahre 1600 die calvinische Partei der frondierenden Stände Österreichs, mit Tschernembl an der Spitze, in Verbindung.
Zu Beginn der neunziger Jahre wirkte sich aber der Ansatz zur Bundesbildung noch nicht aus, weil zwei Fragen nicht erledigt waren: wie stark sollte das Bundesheer und wer sollte der Führer sein? Überdies traten zwei Ereignisse ein, die die Kraft der neuen Vereinigung bis zur Untätigkeit schwächten: Der Tod Christians I. von Sachsen 1591 und der Johann Kasimirs 1592. Dort hatte unter Leitung des dem Calvinismus zuneigenden Kanzlers Nikolaus Krell der scharfe lutherische Kurs nachgelassen und ein freundschaftliches Verhältnis zur Pfalz war die Folge gewesen. Unter der vormundschaftlichen Regierung, die Friedrich Wilhelm von Weimar für Christian II. führte, änderte sich dies von Grund auf. Krell wurde gefangengesetzt und nach zehnjähriger qualvoller Haft hingerichtet. Man kehrte zur Konkordienformel, zum Gegensatz gegen den Calvinismus und damit auch gegen die Kurpfalz zurück, die evangelische Einheit im Reiche war wieder aufgelöst, und da Friedrich IV. von der Pfalz ebenfalls ein gänzlich unselbständiger Fürst war, kehrte auf Kosten des Protestantismus die Ruhe im Reich wieder ein, die den Protestanten allerdings den Verlust von Aachen, Köln und schließlich auch von Straßburg einbrachte. Auch mußten sie zu ihrem Schrecken erleben, daß Heinrich IV. im Jahre 1593 zur römisch-katholischen Kirche übertrat. Alles schien verloren.
Der Reichstag zu Regensburg 1594 zeigte deutlich die veränderte Lage. Zwar widerstrebten die protestantischen Stände der vom Kaiser dringend geforderten Türkenhilfe und verfaßten eine scharfe Beschwerdeschrift in Religionsangelegenheiten, aber Kursachsen stellte sich auf die Seite der Katholiken, die protestantischen Administratoren katholischer geistlicher Fürstentümer wie Magdeburg verzichteten, wie schon früher, auf Sitz und Stimme im Reichstag, so daß die protestantische Partei in die Minderheit geriet. Im Reichsabschied vom 19. August 1594 wurde dem Kaiser eine ansehnliche Türkenhilfe gewährt.
Diese war angesichts der Erfolge des Erbfeindes auf dem ungarischen Kriegsschauplatz dringend notwendig. 1594 war Raab gefallen, so daß sich im Herbst der Kaiser schon wieder an die Kreise um Geldhilfe [Seite 112] wenden mußte. 1595 gelang den Kaiserlichen die Eroberung Grans, 1596 kam es durch die Eroberung Erlaus und die verlustreiche Schlacht von Meszö-Keresztes zu einem neuen Rückschlag10.3, so daß Rudolf II., obwohl die gewährte Reichshilfe bis zum Jahre 1600 hätte reichen sollen, für 1597 einen neuen Reichstag einberief. Damals legten die "korrespondierenden" Stände unter Führung von Kurpfalz gegen die durch Mehrheitsbeschluß zusammengekommene Hilfe von 60 Römermonaten Protest ein10.4.
Die Höhe der bewilligten Hilfsgelder belief sich auf ungefähr eine Million Gulden im Jahr. Nun handelte es sich aber auch darum, dieses Geld hereinzubekommen, und der Krieg hätte kaum je erfolgreich geführt werden können, wenn nicht die Habsburger sich der Hilfe eines Mannes, eines Protestanten, hätten bedienen können, der ihnen so unentbehrlich wurde, daß ihm sein Ketzertum nicht schadete: des Reichspfennigmeisters Zacharias Geizkofler10.5. Dieser aus einem evangelischen Geschlechte Südtirols stammende Mann stand mit den führenden Finanzkreisen Oberdeutschlands und Wiens in enger Verbindung, und das Vertrauen in seine Person war so groß, daß es ihm möglich war, jenes Geld aufzunehmen, das erst langsam und spät von den Ständen eingezahlt wurde. Von 1595 bis 1600 brachte Geizkofler an Vorschüssen 3 ½ Millionen fl. auf, zu denen Lazarus Henckel von Donnersmarck, der reichste Mann in Wien und Oberungarn, eine Million beisteuerte. Auch dieser Protestant hat dem Kaiser durch seine Guthaben in Ungarn und durch die Lieferungen an Tuch, mit dem er die Armee bekleidete, unschätzbare Dienste geleistet10.6. Nicht viel weniger als das Reich hat die päpstliche Kurie an Finanzmitteln aufgebracht.
So war es den Kaiserlichen möglich, 1598 Raab wieder einzunehmen, die Waagschale des Erfolges neigte sich dem Kaiser zu. Denn auch in Siebenbürgen hatte sich ein bedeutender Umschwung vollzogen: Der Fürst Sigismund Báthory hatte 1597 in einem Vertrage sein Land dem Kaiser gegen die Herzogtümer Oppeln und Ratibor abgetreten, und wenn es auch in diesem östlichen Lande noch zu einigen Schwankungen kam, so war es 1602 doch so weit, daß, da die Türken sich ruhig verhielten, der kaiserliche General Georg Basta an die Besetzung des Landes schreiten konnte. Niemals noch hatte ein Habsburger eine ähnliche Stellung in Ungarn innegehabt. Die kaiserliche Macht schien einen Höhepunkt zu erklimmen, da es eben damals auch gelungen war, Leopold von Steiermark, dem Bischof von Passau, die Koadjutorstelle in Straßburg zu verschaffen. Der protestantische Adel in Oberösterreich hatte eben eine Niederlage erlitten. Die evangelische Partei war in höchster Alarmbereitschaft; durch die Überspannung der religiösen Forderungen in Ungarn aber sollte sich das Blatt wieder wenden.[Seite 113]
In Ungarn herrschten ähnliche Verhältnisse wie in Österreich. Es war zum Siege der Reformation und nicht nur des lutherischen, sondern auch des calvinischen Bekenntnisses gekommen. Lutheraner waren die Deutschen in Oberungarn und Siebenbürgen, Calvinisten die Magyaren, besonders östlich der Theiß. Mit der Besetzung Siebenbürgens durch den kaiserlichen General Basta, der selbst streng katholisch war, verstärkte sich der Einfluß der Jesuiten, die im Jahre 1595 ihren Einzug in das Land gehalten hatten10.7. Nun sollte mit ihrer Hilfe und der der Erzbischöfe Ungarns der Katholizismus in Siebenbürgen wieder herrschend werden. Dasselbe sollte in Ungarn geschehen. Dort überspannte Rudolf zum erstenmal den Bogen, als er versuchte, die oberungarischen Städte der Zips, Kaschau und Leutschau, wieder katholisch zu machen10.8. Die geistliche Gewalt des Bischofs von Erlau, Stephan Szuhay, und die weltliche, verkörpert durch den Oberkapitan, den kaiserlichen Befehlshaber in Oberungarn, Barbiana, Grafen von Belgiojoso, vereinigten sich, um im Herbste 1603 den Protestanten in Kaschau mit Gewalt ihre Kirche wegzunehmen und die Bürgerschaft zur Rückkehr zum Katholizismus zu zwingen. Wie die Städte Oberösterreichs, so schickten auch die Kaschauer eine Gesandtschaft an den Kaiser nach Prag, der sich die übrigen Städte der Zips anschlossen. Ihre Denkschrift, in der sie um Aufrechthaltung der Augsburger Confession baten, wie sie sie unter Ferdinand I. genossen hatten, ist erhalten. Auch ihnen hat die Gesandtschaft nach Prag nicht geholfen, wohl aber schließlich die Unverständigkeit der kaiserlichen Regierung und der fanatischen Katholiken.
Auf dem am 3. Februar 1604 in Preßburg zusammentretenden Reichstage hat Rudolf die gleiche Politik angewandt wie seine Vertreter auf den Landtagen in Österreich10.9. Den Ständen wurde verboten, ihre religiösen Beschwerden vorzubringen, so daß auch dieser Reichstag infolge der Auseinandersetzung zwischen der katholischen Partei, die durch des Kaisers Stellvertreter, den Erzherzog Maximilian, geführt wurde, und den evangelischen Gegnern der habsburgischen Herrschaft fruchtlos verlief. Der Reichstagsabschied wurde in Prag redigiert und hier geschah es, daß zu den 21 auf Grund der Verhandlungen fertiggestellten Artikel ein 22. hinzugefügt wurde, der den Krug zum Überlaufen brachte. In diesem Artikel erklärte nämlich der König, daß er entschlossen wäre, das Land von aller Ketzerei zu reinigen und deshalb die früheren Gesetze zum Schutze und zur Förderung des katholischen Glaubens wieder herstelle, was die Vernichtung des evangelischen Bekenntnisses bedeutet hätte; überdies gebot er Bestrafung aller jener Unruhestifter, die die gedeihliche Arbeit der Reichstage durch Religionsstreitigkeiten hinderten.
Diese unkluge Verordnung, die sich mit Gewalt verband und den evangelischen Glauben mit dem Untergange bedrohte, rief einen [Seite 114] siebenbürgischen Adeligen auf den Plan, der, früher schon vielfach seiner religiösen Überzeugung wegen bestraft und gekränkt, das Äußerste zu wagen unternahm, den offenen Aufruhr; dies war Stefan Bocskay. Unter seinen Fahnen sammelten sich alle Unzufriedenen, und die kaiserlichen Generäle Belgiojoso und Basta waren nicht imstande, dem Siegeslauf des Siebenbürgers Einhalt zu tun. Die Soldaten der ungarischen Adeligen, die wilden Reiterscharen der Heiducken, fielen vom Kaiser ab und schlossen sich Bocskay an. Am 15. Oktober errang dieser seinen ersten großen Sieg und zog am 12. November 1604 als Triumphator und Befreier in Kaschau ein. Ganz Ungarn drohte, dem Kaiser verlorenzugehen und da sich sofort die Pforte einschaltete und Bocskay als Fürsten von Siebenbürgen anerkannte, schienen alle Errungenschaften des Türkenkrieges verloren zu sein.
Erzherzog Matthias versuchte zunächst, den Krieg fortzuführen und die verlorenen ungarischen Komitate zurückzugewinnen. Aber die Ungarn trauten weder dem Kaiser noch seinem Bruder. Am 21. Februar 1605 wurde Bocskay zum Fürsten von Siebenbürgen gewählt. So sah Matthias keine andere Möglichkeit, als die eines schleunigen Friedensschlusses. Die Untätigkeit der Regierung in Prag, die geistige Krankheit Rudolfs, der an Verfolgungswahn litt und dachte, man trachte ihm nach dem Leben, brachten einen völligen Stillstand der Regierungsgeschäfte mit sich. Dieser Zustand hatte den kaiserlichen Brüdern schon früher den Gedanken nahegelegt, die Leitung der Geschicke an sich zu ziehen. Im Jahre 1605 trafen Matthias, Maximilian, Erzherzog, Ferdinand und dessen Bruder Maximilian Ernst in Linz zusammen, um ein gemeinsames Vorgehen wegen der gefährlichen Lage in Ungarn zu beschließen10.10. Tatsächlich setzten sie beim Kaiser durch, daß Matthias unbeschränkte Vollmacht im ungarischen Kriegswesen erhalten solle. Alsbald knüpfte dieser Verhandlungen mit Bocskay und den Ungarn an, die selbst den Frieden wünschten. An die Spitze der ungarischen Großen trat Stephan Illesházy. Eigenmächtig machte Bocskay der Rekatholisierung in Siebenbürgen ein Ende, die Jesuiten verwies er des Landes.
In dem ersten Entwurf der Ungarn, der den Verhandlungen in Wien zugrunde liegen sollte, stand an vornehmster Stelle die Forderung nach religiöser Freiheit; absolute Gleichheit sollte zwischen den Bekennern der lutherischen, helvetischen und katholischen Kirche herrschen. Das Prinzip der Duldung ist auch hier ausgesprochen. Der Einfluß der Bischöfe sollte vermindert, die Jesuiten aus dem Lande geschafft werden. In allen Ländern, in denen die Väter der Gesellschaft Jesu als Träger der Gegenreformation auftraten, hatten sie sich verhaßt gemacht. Um ihren Einfluß zu steigern, ließen sie sich überall große Güter schenken und Privilegien ausstellen; sie waren landfremd und die Ungarn suchten jeden fremden Einfluß auszuschalten.
Auf diesen ersten Vorschlag antwortete Matthias im August 1605 nicht ablehnend; um der Religion willen sollte niemand belästigt werden. [Seite 115] Diese Antwort hatte die Not der Zeit geboren, denn schon wurde das niederösterreichische Land von den Ungarn gebrandschatzt. Was aber sagte die katholische Partei zu einer solchen Haltung, die allem zuwiderlief, was Habsburgs Herrscher bisher in religiösen Dingen getan hatten? Khlesl hat seine ganze Beredsamkeit aufgeboten und an dem Beispiel der Juden gezeigt, wie übel es ihren Königen ergangen war, die der wahren Religion abgesagt hatten; aus der christlichen Zeit zog er alle jene Kirchenväter heran, die sich gegen die Häretiker erklärten. Er versäumte auch nicht, den Zustand des römischen Reiches darzustellen, in den es durch den Passauischen Vertrag gekommen war. Khlesl erkannte die Gefahr, die darin bestand, daß sich das unkatholische Österreich mit jenen Ständen des Reiches so trefflich verstand, die die Hilfe gegen die Türken und Tataren abgeschlagen hatten. Sie würden nicht zögern, die Zwangslage des Herrschers auszunützen, um ihre Religionsgravamina zu erledigen10.11.
Dem stand das Gutachten des ehemaligen Reichspfennigmeisters Zacharias Geizkofler entgegen, das er für den Kaiser erstattete, indem er zur Nachgiebigkeit in Sachen der Religion rät, weil nur religiöse Duldung und Freiheit zur Blüte der Staaten führt, während Unterdrückung jenen traurigen Zustand zeitige, der in Innerösterreich zu verspüren sei, wo Handel und Wandel darniederläge10.12.
Wie Matthias durch Rudolf und seine Räte gehemmt war, so Bocskay durch den Landtag, den er nach Korpona einberufen hatte. Dieser mußte seine Zustimmung zu den vorgeschlagenen 15 Artikeln geben. Dort kam auch die Frage der Friedensgarantie durch die österreichischen Stände zur Sprache, die die Ungarn verlangten, um den Herrscher stärker zu verpflichten. Am 31. Dezember 1605 trafen die Bevollmächtigten Ungarn mit Illesházy an der Spitze in Wien ein. Die Verhandlungen zogen sich durch Monate hin, da Matthias, durch Khlesl, die Erzherzogin-Mutter in Graz und die Jesuiten mit ewiger Verdammnis bedroht, sich nicht getraute, religiöse Zugeständnisse zu machen. Schließlich wurde am 9. Februar 1606 in Wien ein vorläufiger Vertrag unterzeichnet und von Rudolf am 20. März bestätigt. Noch einmal mußte er einen Reichstag zu Kaschau passieren, der mit einem reformierten Gottesdienst eröffnet wurde, dann ging er im Mai nach Wien zurück. Dort war Matthias nicht untätig geblieben. In der Voraussicht, wie schwierig es sein werde, die Unifikation vom Kaiser zu erlangen, war das folgenschwere Bündnis der Erzherzoge vom 25. April 1606 zustande gekommen, in dem sie Matthias als Chef des Hauses anerkannten und sich seiner Führung unterstellten, um Rudolf schlimmstenfalls zur Annahme des Friedensschlusses zu zwingen. Gleichzeitig liefen die Verhandlungen mit den Fürsten. Die endgültige Unterzeichnung des Friedens von Wien erfolgte am 23. Juni 1606. Der Artikel über die Religion lautete folgendermaßen: Was die Religion anbetrifft, ungeachtet der öffentlichen Reichssatzungen, auch des letzten Artikels von 1604 (nachdem derselbe außer dem [Seite 116] Reichstage und ohne Zustimmung der Reichsinsassen eingeschaltet worden ist und darum aufgehoben wird), ist beschlossen worden, "daß Se. Majestät die Orden und Stände, die nur innerhalb der Grenzen Ungarns leben, insgesamt und einzeln, sowohl die Magnaten und die Adeligen, als die unmittelbar zur Krone gehörigen Freistädte und privilegierte Örter, weiterhin die ungarischen Soldaten in den Grenzorten in ihrer Religion und ihrem Bekenntnisse niemals und nirgends stören oder durch andere stören und hindern lassen werde, sondern daß einem jeden von den vorgenannten Orden und Ständen der freie Gebrauch und die Übung ihrer Religion gestattet sein solle, jedoch ohne Nachteil der römisch-katholischen Religion und so, daß der Klerus und die Kirchen der Katholiken unberührt und frei bleiben und die in den letzten Unruhen beiderseits abgenommenen Gotteshäuser gegenseitig wieder zurückgegeben werden"10.13.
Nicht leicht wurde es dem katholischen Habsburger, diese Zugeständnisse zu machen. Nur um den Preis der Religionsfreiheit sollte der Friede erkauft werden; und in Ungarn handelte es sich nicht bloß um das lutherische, sondern auch um das calvinische Bekenntnis. Was niemals von einem habsburgischen Herrscher gewährt worden war, geschah hier unter dem Drucke der finanziellen Unmöglichkeit, den Krieg weiterzuführen: freie Religionsübung wurde nicht nur dem Adel, sondern auch den freien Städten und den privilegierten Märkten zugestanden. Die Gegenreformation war in Ungarn vorläufig zu Ende. Die von Draskovich geschlossene evangelische Schule in Ödenburg erlebte eine neue Blüte. Der Führer der ungarischen Stände, Stephan Illesházy, hatte diesen Sieg erkämpft. Der Verlust Siebenbürgens an Bocskay und die Ungewißheit, ob dieses Fürstentum nun unter kaiserlicher oder türkischer Oberhoheit stand, war ebenfalls ein schwerer Nachteil für den Kaiser. Ein großer Erfolg aber war der am 11. November 1606 zu Zsitva-Torok geschlossene Friede mit der Pforte.
Was für einen Anschauungsunterricht boten aber diese Friedensverhandlungen den österreichischen evangelischen Ständen! Hier war ja augenscheinlich bewiesen, was mit Waffengewalt und durch die Gunst der Umstände zu erreichen war, hier war ein greifbarer Erfolg der Lehre vom Widerstand zu sehen!
Nach dem Tode Löbls am 10. Oktober 1602 war in Oberösterreich eine gewisse Beruhigung im Kampfe der landesfürstlichen Gewalt gegen die adeligen Stände und die evangelischen Städte eingetreten. An Stelle Löbls trat zunächst als Verweser der Landeshauptmannschaft Hans Ruprecht Hegenmüller, ebenfalls ein Beamter, der die Löblsche Politik fortsetzte. Die Stände waren wenig erfreut darüber, denn Landeshauptmann konnte nach uraltem Brauch nur ein Glied der Landschaft werden. Sie buchten es daher als einen Erfolg, daß der Kaiser im Jahre 1603 den Adeligen Hans Haim zum Reichenstein zum Landeshauptmann ernannte, zwar einen Katholiken, mit dem dennoch ein besseres Auskommen zu finden war als mit seinem Vorgänger. [Seite 117]
Anders hatten sich die Verhältnisse in Niederösterreich entwickelt, wo sich auf den Landtagen die Gegensätze zwischen den Katholiken, die von dem streitbaren Melchior Khlesl geführt wurden, und den nicht weniger auf ihre Rechte pochenden protestantischen Herren ständig steigerten10.14. Im Jahre 1600 hatten sich die Katholiken in einer "Konjunktion" zusammengeschlossen. Vor allem wollten sie durchsetzen, daß eine der vier Verordnetenstellen des Herren- und Ritterstandes mit einem Katholiken besetzt werde. Da aber die Protestanten in der Mehrzahl waren, konnten sie auf legalem Wege nicht durchdringen, wenn auch der Kaiser 1603 in der Landtagsproposition das Vorgehen der Protestanten rügte.
Angesichts der Rührigkeit der Gegenpartei fühlten auch die Evangelischen, daß etwas geschehen müsse. Es war der niederösterreichische Adel, der einen seiner vornehmsten Führer Wolf von Hofkirchen zu einer Reihe evangelischer Stände ins Reich entsandte10.15. Um die Verbindung mit dem oberösterreichischen Adel herzustellen, reiste Hofkirchen zuerst nach Linz. Er wurde dort etwas kühl aufgenommen, offenbar weil man den Niederösterreichern ihre laue Haltung verübelte und ihnen nicht recht traute. Die Sendung Hofkirchens hatte überdies in den Augen der oberösterreichischen Führer Tschernembl und Reichard Starhemberg, der Calviner, einen Haken: Hofkirchen war nur zu den lutherischen Höfen geschickt und nicht zu Christian von Anhalt, dem Politiker der calvinischen Partei, mit dem die Oberösterreicher schon in Verbindung standen. Dies war aber in Wien nicht mitgeteilt worden; das Vorgehen war somit nicht solidarisch; die mangelnde Glaubenseinheit gab hierzu den Anlaß. Wegen der schon geschilderten Zustände im Reich war Hofkirchens Mission nicht von Erfolg gekrönt. Sollte in Deutschland etwas zustande kommen, so war dies nur von der aktiven calvinistischen Front zu erwarten.
Was die katholischen Stände auf legale Weise nicht hatten erreichen können, sollte nun auf illegale Weise geschehen. Am 16. Februar 1604 fand im Landhause zu Wien eine neue Verordnetenwahl statt, da durch den Rücktritt Adams von Puchheim eine Stelle frei geworden war10.16. Mit absoluter Majorität von acht Stimmen wurde Ludwig von Starhemberg gewählt; aber das Ergebnis wurde vom Landmarschall, dem Katholiken Sigmund von Lamberg, nicht verkündet, und damit dieser vor der festen Haltung der Majorität nicht kapituliere, zog ihn der Hofkammerpräsident Seyfried von Breuner aus dem Saale. Mit ihm gingen sämtliche Katholiken bis auf Khlesl. Mit nicht stichhältigen Gründen wurde die Wahl von der katholischen Minderheit angefochten, Starhemberg sei nicht wählbar, weil er nicht das nötige liegende Gut im Lande besitze. [Seite 118] Die Protestanten aber wollten vom Rechte des Majoritätsvotums nicht weichen. Schließlich verfügte der Kaiser, daß ein Verordneter Katholik zu sein habe. Das war ein klarer Bruch der ständischen Freiheiten. Der protestantische Adel scheint nicht sehr zum Kämpfen aufgelegt gewesen zu sein. Die Ereignisse in Ungarn machten die Zeiten betrüblich. Hofkirchen wurde wegen seiner Reise ins Reich in Anklagezustand versetzt, so daß er seine Verordnetenstelle aufgeben mußte. Im Jahre 1605 konnte wegen der Abwesenheit der meisten evangelischen Herren Gundacker von Liechtenstein, ein Katholik, zum Verordneten gewählt werden; 1606 kam es wieder zur Wahl eines Protestanten. Hin und her wogte der Kampf.
Es scheint unrichtig, daß Tschernembl selbst anläßlich der Friedensverhandlungen 1606 in Wien weilte10.17. Aber er verfolgte die Vorgänge mit größter Aufmerksamkeit und reiste, dem Begehren der Ungarn folgend, daß der Vertrag unter die Garantie der Stände von Österreich, Steiermark, Böhmen, Mähren und Schlesien gestellt werde, im August 1606 mit Wolf Siegmund von Losenstein in die Hauptstadt, um an der feierlichen Bekräftigung des Friedens teilzunehmen. Die österreichischen, böhmischen und mährischen Stände garantierten die Einhaltung der Bestimmungen des Friedensschlusses am 25. September 1606.
Diese Reise war für den ständischen Führer von unermeßlicher Bedeutung. Hier lernte er den Boden kennen, auf dem er sich bald darauf mit souveräner Geschicklichkeit und rücksichtsloser Ausnützung der Schwächen des Gegners bewegen sollte. Er machte auch Bekanntschaft mit den ungarischen Ständeführern und es dürfte der Name des Mannes an sein Ohr geklungen sein, den Illesházy gleichfalls nach Wien geladen hatte, der aber damals dem Rufe nicht gefolgt war, des Mährers Carl von Zierotin, der neben Tschernembl bedeutendsten Persönlichkeit unter den ständischen evangelischen Gegnern der Habsburger. Was im Jahre 1603 anläßlich der Sendung Hofkirchens nicht gelungen war, sollte jetzt zustande kommen: die Fühlungnahme und der Zusammenschluß der oberösterreichischen mit den niederösterreichischen Ständen. Es war das Werk Tschernembls, der diesen Gedanken in einer Denkschrift des Jahres 1607 ausführte, an deren Abfassung auch der Landschaftssekretär der obderennsischen Stände, Philipp Bubius, Anteil gehabt haben mag10.18. Darin wird der Gedanke ausgesprochen, daß die Stände beider Länder im Kampfe um die Glaubensfreiheit als ein geschlossenes Korpus vorgehen sollten. Zehn Jahre hätten sie nun vergeblich um diese Freiheit gerungen und nun zu sehen bekommen, was die Ungarn erreicht hatten; desselben Rechtes dürften sie wohl auch teilhaftig werden. Denn niemand — dies ist ein Lieblingsgedanke Tschernembls — habe das Recht zur Verfolgung Andersgläubiger, die Religion sei Sache des Gewissens, in dem der Mensch nur Gott verantwortlich sei. Vor allem sei diese Verfolgung in Dingen des Gewissens mit dem Geiste christlicher Liebe unverträglich. Sie seien keine Ketzer, sondern in vielen Punkten, namentlich im gemeinsamen [Seite 119] Symbolum apostolicum, sei ihr Glaube der der römisch-katholischen Kirche. Noch einmal folgt dann die Aufzählung der zahlreichen Klagen, die die Evangelischen schon in Dutzenden von Beschwerdeschriften vorgebracht hatten.
Die Österreicher standen nicht allein. Um den Ring der sich zusammenschließenden Stände der Länder unter und ob der Enns legte sich ein weiterer, der aus der Verbindung mit den mährischen Ständen kraft der Entschlüsse entstand, die deren Führer Carl von Zierotin damals faßte. Dieser mährische Adelige, das Haupt eines der reichsten und vornehmsten tschechischen Geschlechter des Landes, der Schwager Wallensteins, war einer der feinsten und liebenswertesten Charaktere der Zeit; kein Lutheraner und kein Calvinist, sondern Mitglied der Brüderunität, die dem Calvinismus näherstand als dem Luthertum. Seine Erziehung, die der Tschernembls glich, hatte aus ihm einen Mann gemacht, der in seiner Bildung keinem österreichischen Adeligen nachstand. Er hatte zuerst auf der von seinem Vater begründeten Schule der Brüder in Eibenschitz gelernt, dann die Universitäten Straßburg, Basel, wo Johann Jakob Grynäus sein Lehrer war, und Genf bezogen, wo er die berühmte Hochschule besuchte, die unter Leitung Theodor Bezas stand; seine Kavalierstour hatte ihn nach Frankreich, England und den Niederlanden geführt. Die Begeisterung für die Sache Heinrichs IV. veranlaßte ihn, im Jahre 1591 ins Lager des Königs zu ziehen, der damals in einem aussichtslosen Ringen vor Rouen lag. Die Bekanntschaft mit dem Könige bereitete ihm eine der größten Enttäuschungen seines Lebens, denn zu seinem Schmerze mußte er erkennen, daß Heinrich von Navarra kein religiöser Mann war. In Frankreich lernte Zierotin wahrscheinlich den österreichischen Adeligen Tschernembl kennen, mit dem ihn gemeinsamer Glaube und gemeinsames Streben verband10.19. Aber nie ist das Glied der Brüderunität, die eine friedliche und keine kämpfende Gemeinde ist, so weit gegangen wie der feurige Calviner, der auch vor dem Abfalle von dem angestammten Herrscherhause nicht zurückschreckte. Er meinte, für die Sache Gottes dürfe man das Schwert nicht entblößen10.19a. Trotz seines immer mannhaften Eintretens für die Freiheiten seines Landes hat Zierotin aus tiefem innerem Friedensbedürfnis und aus besserer Kenntnis der Lage den letzten Schritt der Auflehnung 1619 nicht mitgemacht. Vom Jahre 1607 an aber umschloß die beiden Männer innige Schicksalsgemeinschaft.
Die treibende Kraft, die zur Verbindung führte, war Zierotin. Denn sein Land, ein Bestandteil der böhmischen Krone, war in einer ähnlichen Lage wie die österreichischen Länder. Seit den Hussitenkriegen herrschte in Mähren praktisch Gewissensfreiheit; die hutterischen Brüder hätten sonst die Blüte ihrer Gemeinden nicht entwickeln können. Unter Rudolf II. fühlte sich das Land in seiner von den früheren Königen bestätigten und aufrecht gehaltenen religiösen Freiheit bedroht. Im Jahre 1607 legte Karl von Liechtenstein die Landeshauptmannschaft nieder und die Ernennung des wenig geachteten Ladislaus von Berka [Seite 120] forderte die Unzufriedenheit des Adels heraus. Zierotin war auch der Meinung, daß die äußere Politik des Kaisers das Verderben heraufbeschwor; wohl hatte Rudolf die von Matthias geschlossenen Friedensverträge am 11. August 1606 ratifiziert, die Aushändigung war aber erst einen Monat später erfolgt10.20. Sehr bald reute ihn die Maßnahme, und aus Übelwollen gegen den Bruder und aus dem Bestreben, seine eigene Handlungsfreiheit wiederzugewinnen, trieb er von neuem zum Kriege. Er erfüllte die Friedensbedingungen trotz aller Bitten des Erzherzogs Matthias nicht, die Truppen in Ungarn wurden nicht abgedankt und so die Länder in dauernder Unruhe und in Angst vor der zuchtlosen Soldateska erhalten, die durch Einquartierungen auch das Land Mähren schwer drückte. Ebensowenig schickte der Kaiser die Gesandtschaft mit dem einmaligen Geschenke an die Pforte. Alles deutete darauf hin, daß Rudolf den Krieg erneuern wollte. Nichts aber fürchteten die Führer seiner Länder so sehr und in dem Bestreben, den Frieden zu erhalten, mußten sie sich miteinander und mit dem Erzherzog Matthias vereinigen. In einem Briefe vom 6. Dezember 1607 schrieb Zierotin an Tschernembl: "Wir sind alle durch ein gemeinsames Joch der Sklaverei verbunden, an einer Kette werden wir alle in ein Gefängnis geführt. Nur Gott kann uns Gelegenheit bieten, um uns zu retten, diese Rettung ist nah ... Nicht durch Bitten und Ermahnungen, durch andere Mittel müssen die Übel geheilt werden, die Krankheit ist heftig, sie bedarf einer starken Medizin. Ein Moses ist nötig, um die Israeliten aus Egypten zu führen; denn das Herz der Pharaonen ist taub10.21." Ende Dezember fand eine Zusammenkunft der adeligen Führer Österreichs mit Zierotin auf seinem Schlosse in Rossitz statt.
Dem Bunde Tschernembls mit Zierotin, der österreichischen Adelsopposition mit der mährischen, gesellte sich das Einverständnis mit dem Führer des böhmischen protestantischen Adels, Peter Wok von Rosenberg, Herrn auf Bechin und Wittingau, und schließlich schloß sich der dritte Ring, die Verbindung mit der calvinistischen Aktionspartei im Reiche, mit der Rosenberg in enger Fühlung stand. Auf die deutschen Verhältnisse dieser Zeit sei noch ein Blick geworfen.
Der Reichstag des Jahres 1607/08 wurde vom Vertreter des Kaisers, Erzherzog Ferdinand, nachdem er für November 1607 einberufen worden war, endlich am 12. Jänner 1608 durch die kaiserliche Proposition eröffnet. Rudolf verlangte neuerlich Geld angesichts der unsicheren Verhältnisse in Ungarn, was ein Beweis dafür war, daß er den Krieg wieder beginnen wollte. Aber diesmal waren die evangelischen Stände gar nicht und die katholischen nur sehr bedingt bereit, etwas zu bewilligen. Denn der Reichstag stand unter dem Eindrucke der Ereignisse in der Reichsstadt Donauwörth und löste sich schließlich ohne Bewilligung der Türkenhilfe auf, was ein deutliches Zeichen der außerordentlichen Schwäche der Reichsverfassung war. In Donauwörth war ein Akt der Gewalttat geschehen, der zeigte, wie weit die katholische Partei im Reiche zu gehen entschlossen war.10.22. In der evangelischen [Seite 121] Reichsstadt hatte die römische Kirche einen Stützpunkt in dem Benediktinerkloster zum Heiligen Kreuz gefunden, dessen Mönche an der Jesuitenuniversität Dillingen ausgebildet wurden. Gegen den Befehl des Stadtrates wagten sich die Katholiken wieder mit Prozessionen auf die Straße, was die protestantischen Bürger als Herausforderung empfanden. Es kam zu Unruhen und zur Anzeige der Vorgänge beim kaiserlichen Reichshofrat durch den Bischof Heinrich von Augsburg. Der Reichshofrat sprach zuerst eine Warnung, dann den Befehl aus, die Katholiken unbehelligt zu lassen. Als es 1606 zu neuen Zusammenrottungen der Bürgerschaft kam, verhängte der Kaiser die Acht über die Stadt und übertrug ihre Ausführung dem Herzog Maximilian von Bayern, dem Nachfolger Wilhelms V., der sich mit Eifer auf diese Aufgabe stürzte. Er sammelte binnen kurzem eine Streitmacht und besetzte am 17. Dezember 1607 die Stadt, wo er alsbald eine katholische Verwaltung einsetzte. Die infolge des Religionsfriedens unleugbar den Protestanten gehörende Stadtpfarrkirche wurde den Jesuiten übergeben.
Unter dem Eindrucke dieser Ereignisse standen die evangelischen Stände auf dem Reichstage. Es war kein Wunder, daß sie ihn sprengten. Nun bedurfte es keiner großen Anstrengungen mehr, um die ganze Reichsverfassung zum Erliegen zu bringen. Nachdem die Zusammenarbeit mit den katholischen Mitständen gescheitert war, fanden sich unter Führung von Kurpfalz die Stände der sogenannten Bewegungspartei Ansbach, Kulmbach und Pfalz-Zweibrücken mit Württemberg, Baden-Durlach und Pfalz-Neuburg im Mai 1608 in Ahausen an der Wörnitz zur Union zusammen. Kur-Brandenburg, Hessen-Kassel und 16 Städte traten in der Folge bei; Straßburg, Nürnberg, Ulm waren die ersten unter ihnen.
Dieser bewaffnete Bund zur Defension der evangelischen Religion hatte den Zusammenschluß der Katholiken unter dem tatkräftigen Herzog von Bayern zur Folge. Dieses im Juli 1609 geschlossene Bündnis erhielt den Namen Liga. Suchte die Union Anschluß an Frankreich, so die Liga an den Papst und an Spanien, das damals vor der aufstrebenden niederländischen Macht kapituliert hatte, indem es mit den Generalitäten am 9. April 1609 einen Waffenstillstand auf zwölf Jahre abschloß. Das Dasein eines neuen protestantischen Staates, seiner Handels- und Geldmacht war unweigerlich anerkannt. Im großen und ganzen gesehen war dies eine Niederlage für die katholische Sache.
Diese Ereignisse waren der Hintergrund, auf dem sich das Ringen des Erzherzogs Matthias mit seinem Bruder Rudolf um die Macht in Österreich und Deutschland abspielte und das Ringen der protestantischen Stände Österreichs um die Gleichberechtigung mit den Katholiken.
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Es waren indessen nicht die Stände, die die Initiative des Handelns an sich rissen, sondern diese ging von dem zutiefst unzufriedenen und besorgten Matthias aus. Schon durch die Entsendung Ferdinands von Steiermark als Vertreter des Kaisers zum Regensburger Reichstag 1607 war Matthias schwer gekränkt worden. Gegen den Wiener Frieden hatte zudem am Prager Hofe ein förmliches Kesseltreiben eingesetzt. Vor allem aber waren es die Verhältnisse in Ungarn, die gebieterisch ein Eingreifen und eine Lösung forderten. Es hatte die größte Unzufriedenheit erweckt, daß einer der katholischen Eiferer, Franz Forgacs, Erzbischof von Gran wurde und gegen die Bestimmung des Wiener Friedens kam auch der verhaßte Szuhay als Bischof von Neutra zurück. Den Protestanten waren Kirchen weggenommen und Pfarrer waren vertrieben worden. Die vom Kaiser in Sold genommenen Heiducken hatten sich in einem gefährlichen Aufstande erhoben.
In dieser Lage entschloß sich Matthias, selbständig zu handeln. Er berief aus eigener Machtvollkommenheit den ungarischen Reichstag für den 11. Jänner 1608 nach Preßburg und entbot die Ausschüsse der österreichischen Länder zur Beratung der ungarischen Angelegenheiten nach Wien. Das war der erste Akt des Aufruhrs gegen den kaiserlichen Bruder, der Beginn des Bruderzwistes. Die Führer der oberösterreichischen Delegation waren: Siegmund Ludwig von Polheim, Wolf Siegmund von Losenstein, Wolf Wilhelm von Volkenstorf, Reichard von Starhemberg und Tschernembl. Gemeinsam mit Matthias erfolgte Mitte Jänner die Abreise nach Preßburg11.1. Hier kam es nun zur Verbindung der ungarischen Stände mit den österreichischen; nicht nur zur gemeinsamen Durchsetzung ihrer Forderung, sondern auch, um Matthias in seinem Streite gegen den Bruder zu helfen. Illesházy drang auf eine Erneuerung der Garantie des Wiener Friedens und auf Stellungnahme gegen jeden, der den Frieden störe. Ein Ausschuß der österreichischen und der ungarischen Stände trat zu gemeinsamer Beratung zusammen. Der ungenannte Bedroher des Friedens konnte nur der Kaiser sein. Dieser hatte seinen Sekretär Tiburtius Himmelreich nach Preßburg geschickt und der illegalen Versammlung befohlen auseinanderzugehen. So manches Ständemitglied wurde wankend; war nicht der Kaiser der Herr, dem man gehorchen mußte? Aber Matthias drängte zum Abschluß und so kam, fast gegen den Willen der ständischen [Seite 124] Abgeordneten, das "firmum et inviolabile foedus" der österreichischen und ungarischen Stände mit dem Bruder des Kaisers zum Schutze der Friedensschlüsse von Wien und Zsitva-Torok zustande, das nur gegen die kaiserliche Majestät selbst gerichtet sein konnte11.2. Zierotin war damals nicht in Preßburg, erklärte sich aber in einem Briefe mit den anderen vollkommen solidarisch11.3.
Von den Preßburger Vorgängen wurde sowohl Peter Wok von Rosenberg in Wittingau wie auch Christian von Anhalt unterrichtet. Ob Matthias sich darüber klar war, welche Geister er durch die Zuziehung der evangelischen Stände gerufen hatte, wissen wir nicht. Khlesl, der vielleicht auch nicht erkannt hatte, worum es ging, arbeitete nur auf die Standeserhöhung seines Herrn hin, die seine eigene nach sich ziehen mußte. Der Führer der Stände, Tschernembl, war sich jedenfalls dessen bewußt, was die Hilfeleistung seiner Standesgenossen für Matthias bedeutete, der die katholische Sache seines Hauses zu verraten im Begriffe war, und er dachte wohl schon damals daran, dem Bundespartner einmal die Rechnung zu präsentieren. Aber er deckte seine Karten nicht auf, und deshalb mag sich Matthias einer Täuschung hingegeben haben. Obwohl drohende Mandate Rudolfs gegen das als ungesetzlich erklärte Bündnis zur Umkehr rieten, schritten der Erzherzog und die Stände unbeirrt auf dem eingeschlagenen Wege fort; er war nicht ungefährlich, da ja der katholische Kaiser auf Bundesgenossen im Reiche, vor allem auf die Wittelsbacher, zählen konnte. Tschernembl nennt den Herzog Maximilian ein "von sich hauendes Swein", vor dem sich Kurpfalz und die umliegenden Länder wohl zu hüten hätten11.4, darunter gewiß auch das "Ketzernest" Oberösterreich.
Vorwärtsgetrieben wurden die Ereignisse durch die Vorgänge in Mähren; das Land hatte durch die Unruhe an der Grenze, Einfälle der Heiducken und Durchzüge kaiserlicher Kriegsvölker besonders schwer zu leiden. Die antirudolfinische Partei mit Zierotin an der Spitze schickte sich an, gegen den Landeshauptmann Ladislaus von Berka und den Kardinal Franz von Dietrichstein aufzutreten. Diese wieder rüsteten sich, mit Gewalt gegen die akatholischen ständischen Führer vorzugehen. Anfang März 1608 wurde eine Sitzung des Landrechtes in Brünn abgehalten, wo sich die ganze Erbitterung gegen den Landeshauptmann Berka Luft machte; man wußte nicht, wieweit dieser Gewalt anwenden wollte, die Atmosphäre war von unheimlichen Gerüchten durchschwirrt. In dieser kritischen Situation vereinigte sich der Führer des katholischen Adels, Karl von Liechtenstein, dessen Übertritt zum Katholizismus 1599 das größte Aufsehen erregt hatte — waren seine Ahnherren doch die Beschützer der Täufer in Mähren gewesen! — mit dem Führer der Evangelischen, Zierotin, zum Schutze des Landes. Sie stürzten den Landeshauptmann, setzten in Austerlitz einen Ausschuß zur Regierung des Landes ein und baten den Kaiser um Abberufung Berkas. Der Kaiser wollte die Aufständischen beschwichtigen und lud zu einem Generallandtag der böhmisch-mährischen Länder nach Prag. [Seite 125] Dies lehnten die mährischen Stände ab und beriefen ihrerseits ihre Leute zu einem Landtage nach Eibenschitz, südwestlich von Brünn, nicht weit von Rossitz gelegen. Dort sollte die Vereinigung Mährens mit den österreichischen und ungarischen Ländern zustande kommen.
Preßburg war die erste Station des Erzherzogs Matthias auf dem Wege von Wien nach Prag. Eibenschitz wurde die zweite. Matthias forderte die nieder- und oberösterreichischen Stände auf, Vertreter dorthin zu entsenden. Letztes Ziel des Bündnisses war die Abdankung Rudolfs, ja vielleicht dachte manches Ständeglied an die Beseitigung des gesamten Erzhauses, denn schon waren Pläne laut geworden, die Erzherzog Ferdinand von Steiermark, dem Protestantenverfolger, die Nachfolge im Reiche sichern sollten. Christian von Anhalt, der durch Rosenberg und Reichard Starhemberg von allen Vorgängen unterrichtet wurde, erstrebte jedenfalls die Beseitigung der Habsburger, wenn nicht anders, dann mit französischer Hilfe. Entscheidend für das Schicksal Rudolfs wurde die mangelhafte Unterstützung, die ihm der Papst und Spanien angedeihen ließen. Guillén de San Clemente, der spanische Gesandte, zahlte in Erkenntnis der nicht zu bestreitenden Unfähigkeit Rudolfs dem Erzherzog Matthias Hilfsgelder11.5.
In Eibenschitz wurde die feierliche Absetzung Berkas ausgesprochen und die Leitung der Geschäfte einem Direktorium mit Liechtenstein an der Spitze übergeben. Die nieder- und oberösterreichischen Ständevertreter ersuchten die mährischen, dem Preßburger Bunde beizutreten. Auch Ungarns Gesandte waren zur Stelle, um den Bund zu besiegeln. Die Mährer erklärten sich bereit, nach Einfügung des Zusatzes "vel qualemcumque aliam ob causam justam et legitimam" nicht nur gegen jeden Störer des Friedens, sondern auch zur Verteidigung jeder anderen gerechten Sache dem Bunde beizutreten. Dadurch sollten die ständischen Freiheiten garantiert werden. Das Heft entglitt Erzherzog Matthias völlig und ging in die Hände der ständischen Vertreter über. Matthias selbst unterschrieb den Vertrag vom 19. April 1608 nicht, denn er hoffte, auch die böhmischen Stände zu gewinnen. Über die Haltung der Böhmen war man sich nicht klar. Würden sie sich den übrigen Ständen anschließen oder Rudolf treu bleiben? Deshalb trachtete man, in Verhandlungen mit ihnen einzutreten. Sie wurden durch Matthias in aller Form zum Landtage nach Tschasslau geladen, während Rudolf schon die Versammlung von Eibenschitz als illegal aufzulösen befohlen hatte11.6.
Als Matthias am 10. Mai in Tschasslau eintraf, fand er dort die Vertreter der böhmischen Stände nicht vor, wohl aber vom Kaiser gesandt den Kardinal Dietrichstein und Vertreter der Kurfürsten von Sachsen und Brandenburg. Dietrichstein ließ die Bereitwilligkeit des Kaisers durchblicken, dem Bruder die Verwaltung von Ungarn und Österreich zu übertragen und die Anwartschaft auf Böhmen in Aussicht zu stellen, wenn er seine Truppen entlasse11.7. Es sah so aus, als ob sich die böhmischen Stände den anderen nicht anschließen wollten. Rudolf schrieb für den 19. Mai einen Landtag nach Prag aus, damals lag Matthias in [Seite 126] Böhmisch-Brod. Er beorderte Gesandte der mit ihm verbündeten Stände nach Prag. Zierotin und Tschernembl reisten hin. Wegen der tschechischen Verhandlungssprache war Zierotin die Führung anvertraut. Der Kaiser selbst eröffnete, obwohl er krank und hinfällig war, den Landtag am 23. Mai. Auch hier brachten die Stände eine Petition in 25 Punkten vor, in der die Wiederherstellung des ständischen Staates und die Religionsfreiheit begehrt wurde, wie sie in der böhmischen Konfession des Jahres 1575 enthalten sei. Die Böhmen hatten nur ein Interesse an der Befriedigung ihrer nationalen Forderungen. Am 26. Mai erschienen die mährischen, österreichischen und ungarischen Gesandten im gedrängtvollen Landhaussaale, und Zierotin hielt eine lange bedeutsame Rede, in der er die Böhmen zum Anschlusse an die Verbündeten zu bewegen suchte. In der Unsicherheit der allgemeinen Lage, in der geringen Bereitwilligkeit des Kaisers, gegebene Versprechungen zu erfüllen, sowie in der Gefahr, die die Rüstung des kaiserlichen Kriegsvolkes mit sich brächten, wären die Gründe für die Union der anderen Länder zu suchen. Auch liege dem Erzherzog das Wohl des Landes Böhmen besonders am Herzen, und deshalb hätte man die Ankunft der Böhmen in Tschasslau erwartet. Sie mögen den leeren Versprechungen am Hofe nicht trauen. Das einzige Mittel, den herrschenden Übelständen gründlich abzuhelfen, sei die Übertragung der Krone Böhmens an Erzherzog Matthias. Losgelöst von Geschäften würde sich Rudolf auf einem Schlosse Tirols wohler fühlen als auf seiner Prager Burg.
Es ist wohl möglich, daß Zierotin mit der Darlegung der Vorteile eines solchen idyllischen Exils die wahre Meinung Rudolfs erraten hat. Der Kaiser war damals entschlossen, abzudanken und abzureisen. Aber die Bereitwilligkeit der böhmischen Stände, mit ihm zu verhandeln, hielt ihn fest. Damals zeigten die Böhmen die größte Entschlossenheit, alle ihre Forderungen durchzusetzen. Aber plötzlich gaben sie in dem entscheidenden Punkte der Religionsfreiheit nach, indem sie sich mit der Verschiebung seiner Beratung bis zum nächsten Landtage einverstanden erklärten. Das war ein bedeutender Sieg Rudolfs, ein Mißerfolg des Erzherzogs Matthias11.8. Diese Lage der Dinge veranlaßte Zierotin, mit Beaugy, dem Abgesandten Heinrichs IV. von Frankreich, in Unterhandlungen einzutreten11.9. Der Kaiser entschloß sich, da ihm die Herrschaft in Böhmen und im Reiche gesichert erschien, zu Friedensanträgen an seinen Bruder. Das Ergebnis war der Vertrag von Lieben vom 23. Juni 1608, der dem Zwiste vorläufig ein Ende machte. Kaiser Rudolf trat Ungarn, Mähren und Österreich an Matthias ab und sicherte ihm als designiertem König von Böhmen die Anwartschaft auf die böhmische Krone zu.
Der Vertrag von Lieben war ein Sieg der katholischen und eine Niederlage der protestantischen Partei. Die österreichischen Länder wechselten ihren Herrn; aus der Eidverpflichtung gegen den Kaiser entlassen, sollten sie nun einem neuen Herrscher dienen, eben dem, dem ihre Hilfe zum Siege über seinen Bruder und zur ungarischen Königskrone verholfen hatte. [Seite 127]
Die ständischen Führer sahen sich vor, der neue Landesherr schien ihnen kein verläßlicherer Garant ihrer Freiheiten zu sein als sein Vorgänger. Deshalb kam es im Feldlager des Erzherzogs Matthias zu Sterbohol am 29. Juni 1608 zu einer geheimen Abrede zwischen den ungarischen, mährischen und österreichischen Gesandten11.10. Sie sagten sich zur Verteidigung ihrer Freiheiten und Privilegien gegenseitig Schutz und Hilfe zu. In diesen Freiheiten stand die Freiheit des Gewissens und des Religionsexerzitiums an erster Stelle. So gerüstet konnte man dem Kampfe um die Erbhuldigung entgegengehen. Die Huldigung, von deren Bedeutung wir in Innerösterreich gehört haben, wurde der Prüfstein für das, was man von seiten Matthias' zu gewärtigen hatte. Sie wurde der nächste Akt. Die Wege der Stände und die des neuen Landesherrn, die bis dahin gemeinsame gewesen waren, trennten sich. Wie würde sich dieser nun seinen evangelischen Untertanen gegenüber verhalten, die ihm zum Siege verholfen hatten? Das war die große Frage.
Es wurde bald klar, daß Matthias unter dem Einflusse seiner katholischen Berater den Kampf gegen den Protestantismus, den er ja früher schon geführt hatte, wieder aufnehmen werde. Das Einvernehmen der Verbündeten mußte zerfallen, da es auf Unaufrichtigkeit gegründet war. Die Lage wurde nicht einfacher dadurch, daß man wußte, daß der in seinem Stolze tief gekränkte Kaiser alles tun werde, um das Verlorene wieder zu gewinnen.
Der erste, der dem Drucke, der von Wien ausgeübt wurde, nachgab, war der neue Landeshauptmann von Mähren, Zierotin. Er wollte den Frieden aufrechterhalten und Größeres nicht gefährden11.11. Mit großartiger Feierlichkeit wurde der Erzherzog am 28. August 1608 in Brünn empfangen, als er zur Eröffnung des Landtages dort einritt. Matthias lehnte am 30. August in einer Erklärung, die Kardinal Dietrichstein verlas, die bedingungslose Ausdehnung der Religionsfreiheit auf die königlichen Städte ab. Man begnügte sich mit mündlichen Versprechungen11.12, ähnlich wie es auch in Niederösterreich immer wieder geschehen war. Die politischen Freiheiten des Landes wurden zugestanden, und damit glaubte Zierotin die Grundlage für ein gutes Einvernehmen zwischen Katholiken und Protestanten gewonnen zu haben. Zierotin fand es eben nicht geraten, um der Religion willen die öffentliche Ruhe zu stören. Wirkliche Gewissensfreiheit wurde nur dem Adel zuerkannt. Darauf erfolgte am 30. August die Huldigung.
Einen anderen Verlauf sollten die Dinge in Österreich nehmen; hier gedachte man, gewitzigt durch das, was in Steiermark vor sich gegangen war, nicht auf halbem Wege stehenzubleiben. Der Calvinist Tschernembl war zu aktivem Widerstand entschlossen.
Als Antwort auf seine Anzeige, daß er nunmehr Fürst im Lande geworden sei, mußte Matthias einer langen Eingabe der oberösterreichischen [Seite 128] Stände entnehmen, daß er die tatsächliche Herrschaft im Lande, die erst mit der Huldigung begann, so leichten Kaufes nicht erringen werde. Tschernembl deckte seine Karten auf: Der wahre Grund des Kampfes gegen den Kaiser und für die Abschüttelung seiner Herrschaft war die Bedrängung der Gewissen gewesen. Die Stände forderten daher vor Leistung der Erbhuldigung Wiederherstellung ihrer religiösen Freiheiten, Eröffnung der Kirchen und Schulen auf dem Lande und in den Städten. Gemeinsam mit den Niederösterreichern wurden diese Forderungen am 19. August 1608 wiederholt11.13.
Kurze Zeit darauf schritt man in Linz zur Tat, indem am 30. August zwischen Adel und Städten ein Bund, die sogenannte "Konföderation", geschlossen wurde, in der man sich zu gegenseitiger Hilfeleistung im Kampfe um die Erlangung der Glaubensfreiheit vor der Erbhuldigung verpflichtete. Die Tat folgte dem Bündnisabschluß auf dem Fuße, denn am 31. August wurde der Gottesdienst im Linzer Landhaus wieder eröffnet. Wir kennen den Brief eines jungen Gmundeners an seinen Vater, der von diesem Ereignis begeisterte Kunde gibt. "Cito citissime" kann er dem Herrn Vater zu schreiben nicht unterlassen, daß Gott der Allmächtige wiederum sein heilig und allein seligmachendes Wort, welches fast in die zehn Jahr unter dem antichristlichen Joch und Rachen des Teufels gesteckt, wiederum schön und glänzend an Tag hat kommen lassen und man allhier auf dem Landhaus wieder zu predigen angefangen. "Was für ein menich volkh da gewesen, kann ich nit genuegsam beschreiben11.14." Wolf Wagner berichtet über dasselbe Ereignis, die erste Predigt des Herrn Clemens Anomäus, und endet mit dem Wunsche: "Gott sey Lob, daß es lang verpleibe11.15"
Es war ein Akt der Selbsthilfe und Widersetzlichkeit, ähnlich wie im Jahre 1601. Aber er hatte andere Folgen. Tschernembl schrieb bewegt und freudig an den Fürsten von Anhalt: "Das große Verlangen viler 1000 gotseliger herzen, so bisher in Ihrem gewissen durch zuviles Zusehen Ihrer Mt. auf antrib der Pepstischen Geistlichen im Land u. sonderlich des Bischofs zu Passa sind hart bedrangt gewesen, hat unss Landstende, als welchen neben dem Landesfürsten das Vaterland vertraut ist, bewegt, hie und auf dem Land, wo bisher unss die Kirchen de facto sind eingezogen worden, widerumb das Christliche offene exercitium religionis aufzurichten11.16." Staatsrechtlich stellt sich die Verfügung der Landstände so dar, daß sie in dem Zwischenzustand zwischen der Entlassung aus der Verpflichtung gegenüber dem einen Landesherrn und der noch nicht erfolgten Vereidigung durch den neuen die eigentlich für das Land verantwortlichen Machthaber seien. Hier wurden bisher noch nicht gehörte Töne angeschlagen, die einen revolutionären Sinn verrieten, gänzlich verschieden von den Beteuerungen der Loyalität, wie man sie bislang in Steiermark immer wieder abgeben [Seite 129] hatte. Hier nahmen die Stände dem Landesfürsten gegenüber unumwunden die Souveränität in Anspruch und waren damit von der Lehre Tschernembls und Polheims: Wir machen den Landesherrn! nicht mehr weit entfernt. Die Huldigung wird als "contractus inter magistratus et subditos" bezeichnet.
Zur Bekräftigung ihrer hoheitlichen Vollmacht verweigerten die Stände dem von Matthias zum Landeshauptmann eingesetzten Jakob Mollart den Gehorsam, und als es hieß, daß des Erzherzogs Matthias Bruder Maximilian mit Truppen nach Linz käme, um im Schlosse zu wohnen, wollten ihm die Stände die Aufnahme verweigern11.17. Man hatte guten Grund für dieses Auftreten, denn schon mußte man aus Matthias' Munde hören, daß er eher Land und Leute verlieren wolle, als Freistellung der Religion im Lande verwilligen. Dies berichtete der Gewährsmann der Stände Wolf Siegmund von Losenstein aus Wien11.18. In der Residenz wehte ein scharfer antiprotestantischer, von Haß geschwängerter Wind. Eusebius von Khuen äußerte den Wunsch, sich im Blute der Evangelischen die Hände zu waschen, seine Gesinnungsgenossen waren Khlesl und Meggau. Liechtenstein, Harrach und Breuner waren für milderes Vorgehen11.19. Vor den Toren der Stadt geschah Unerfreuliches: Hans Adam Geyer hatte seine Kirche in Inzersdorf dem evangelischen Gottesdienste geöffnet; darauf war er am 6. September verhaftet worden11.20. Dagegen protestierten die evangelischen Stände auf dem Landtage und die Huldigung mußte verschoben werden. In ihrer Eingabe an den König nannten sie die Schließung der Kirche einen "zuvor nicht gebräuchigen noch erhörten Prozeß"11.21, und in seiner Antwort bezeichnete Matthias die Eingabe als scharf und hitzig. Der Bruch war unvermeidlich, als Matthias am 12. September erklärte, die Bestätigung der Religionskonzession werde nach der Huldigung erfolgen. Die österreichischen Länder seien Erbländer und die Stände Erbuntertanen. Zwei Tage später, am 14. September, erfolgte die Sezession der niederösterreichischen Stände nach Horn. Wir kennen diese Stadt der Pucheim als Mittelpunkt evangelischen Wesens aus dem Jahre 1580; sie wurde zum Inbegriff der Fronde und Opposition gegen den Landesherrn. Zum großen Bedauern der oberösterreichischen Stände fehlten in Horn die niederösterreichischen Städte; nur Krems und Stein waren vertreten.
Ober- und niederösterreichische Stände schlossen am 3. Oktober 1608 ein Bündnis, in das das oberösterreichische Abkommen zwischen Adel und Städten vom 30. August 1608 im Wortlaute aufgenommen und nur die Stellen, die sich auf die Städte bezogen, ausgelassen wurden. Auch wurde bewußt die "Evangelisch Augspurgerisch glaubenskonfession und Gewissensfreiheit" betont11.22. Dies mag eine gewisse innerkirchliche Wendung gegen den Calvinismus in Oberösterreich bedeutet [Seite 130] haben. Tschernembl hat den Horner Bundesbrief nicht unterfertigt, doch dürfte dies schwerlich seinen Grund in konfessioneller Engherzigkeit gehabt haben.
Was sollte nun geschehen? Die beiden Parteien fingen an, sich militärisch zu rüsten, beide suchten Bundesgenossen. Die Stände glaubten sie in dem Sterboholer Vertragspartner zu finden, und schon einen Tag nach der Unterzeichnung des Horner Bündnisses begab sich Tschernembl mit einer Reihe niederösterreichischer Herren nach Preßburg, wo sich der ungarische Reichstag zur Wahl und Krönung von Matthias versammelt hatte. Aber die evangelischen Adeligen konnten in Preßburg nicht als Vertreter des gesamten Adels auftreten, denn die katholischen Stände Niederösterreichs hatten am 13. Oktober 1608, gleichsam als Protest gegen die Horner Aktion, gehuldigt11.23; auch zwei Protestanten hatten sich dabei eingefunden: Karl von Teufel und Friedrich von Windischgrätz.
Tschernembl gelang es trotz seiner glänzenden Reden vor dem Reichstage nicht, die Ungarn zu einer solidarischen Haltung zu veranlassen. Illesházy stand bereits damals im anderen Lager, die Ungarn waren von Matthias gewonnen worden, nachdem er die Bestimmungen des Wiener Friedens über die Protestanten in einem eigenen Gesetzartikel bestätigt hatte. Welche Überraschung mußte es für Tschernembl bedeuten, aus dem Munde derjenigen, die sich 1604 mit den Waffen in der Hand erhoben hatten, nun die Lehre vom leidenden Gehorsam christlicher Untertanen zu vernehmen! Demgegenüber konnte der Österreicher nicht umhin, seine Lehre von der Pflicht der "magistratus", der adeligen Stände, zu betonen, die den Schutz der Landesrechte und auch der im duldenden Gehorsam verharrenden "plebeji" zu übernehmen hätten11.24. Welche Erfolge das Dulden mit sich bringe, könne man in Frankreich und den Niederlanden sehen. Tschernembl forderte das rechtliche Zugeständnis an die Evangelischen, ebenso wie die Katholiken, ihren Glauben bekennen und öffentlich ausüben zu dürfen. Er konnte die in ihren Forderungen befriedigten und unverläßlichen Ungarn nicht zur Verschiebung der Krönung bewegen, für die alles vorbereitet war. Sie fand am 19. November 1608 statt.
Damit war aber die Angelegenheit für die Österreicher nicht erledigt. Wo sollten sie Hilfe im Kampfe um ihre Glaubensfreiheit finden? Naturgemäß suchten sie sie bei der Union. Reichard Starhemberg hatte sich im September an Christian von Anhalt gewandt, dessen Pläne, das Haus Habsburg zu stürzen, durch die Versöhnung Rudolfs mit Matthias durchkreuzt worden waren. Tschernembl erwog den Gedanken eines Beitritts der Österreicher zur Union. Mitte November 1608 traf er in Wittingau bei Rosenberg mit dem Fürsten von Anhalt zusammen. Dieser verhandelte im Namen von Kurpfalz, Tschernembl im Namen der Horner Stände11.25. Der Fürst entwickelte dort einen Gedanken, mit dem er sich schon längere Zeit trug: Falls Matthias sich unzugänglich [Seite 131] zeige, mögen die Österreicher wieder zu Rudolf zurückkehren. Davon konnte sich Tschernembl, der schärfer sah, nichts Gutes erwarten. Nur eine völlige Loslösung von Habsburg könne Österreich die dauernde Befriedung bringen. Kein anderer habsburgischer Fürst käme in Frage, weder Albrecht in den Niederlanden, noch Ferdinand in Graz, der ärger sei als selbst der Spanier. Das magere praktische Ergebnis der Unterredung war Tschernembls Bitte in seinem Briefe an Anhalt vom Dezember 1608, dieser möge sich für eine Intervention der evangelischen Reichsfürsten bei Matthias einsetzen.
Die Aussicht, sich wieder dem Kaiser zuzuwenden, konnte nur als eine Drohung gegen Matthias aufgefaßt werden, um diesen in die Enge zu treiben. Dies ist auch gelungen. In der doppelten Gefahr von Prag und Horn her mußte Matthias schließlich einlenken. Es konnte schon damals kein Zweifel bestehen, daß Rudolf versuchen würde, das Verlorene mit Hilfe des Erzherzogs Leopold zurückzugewinnen. Matthias ersuchte Zierotin, eine Vermittlung herbeizuführen. Dieser war dazu nur allzu bereit. Ende Oktober kam er selbst für ein paar Tage nach Horn und seither sind die Fäden zwischen Horn und Brünn nicht mehr abgerissen. Die Horner forderten die Hilfe der Mährer im Sinne des Bündnisses von Sterbohol. In Wien sah sich Matthias zwischen zwei Parteien gestellt. An der Spitze der einen, die zur Nachgiebigkeit riet, stand der Gegner Khlesls, Karl von Liechtenstein, während die andere von seinem ersten Minister geführt wurde, der von Nachgiebigkeit nichts wissen wollte. Unter dem Titel "Berathschlagung aines gehaimen rath zu Wienn, so den 10. Januarii anno 1609 beschehen sein soll" veröffentlicht Loserth ein Aktenstück, das die Spannungen am Hofe deutlich aufzeigt11.26. Matthias, schon geneigt, den Ständen zu willfahren, fragt, was zu tun sei, um mit den Evangelischen "auf ein orth" zu kommen. Erzherzog Maximilian, der Bruder des Königs, trat für den Frieden mit den Lutheranern ein, bei denen der größte Reichtum sei, für die Erneuerung der Religionskonzession Maximilians II. Er wandte sich mit scharfen Worten gegen den päpstlichen Nuntius, mit dem Khlesl unter einer Decke stecke. Schon machte sich die Gegnerschaft der Erzherzöge gegen den Kirchenfürsten geltend. Ebenso warme Fürsprecher der Protestanten waren die Grafen von Fürstenberg und von Trautson. Erzherzog Leopold, Bruder Ferdinands von Steiermark, Bischof von Straßburg und Passau, der als Parteigänger Kaiser Rudolfs nach Wien gekommen war und erhitzt vom Ballspiel das Beratungszimmer betrat, meinte, daß der König nichts bewilligen, sondern das Land von aller Ketzerei säubern sollte, "wie mein Herr Bruder Ferdinandus thuet und reformiert". Hans von Mollart schlug vor, vier bis sechs von den Hornern auf dem Burgplatze hängen zu lassen.
Im Kreuzfeuer der Meinungen sah Matthias keinen anderen Ausweg, als Zierotin nach Wien zu berufen. Durch dessen Einwirkung auf Tschernembl, den er beschwor, es nicht zum Äußersten kommen zu lassen, wurden die Horner bewogen, eine Gesandtschaft nach Wien zu [Seite 132] unmittelbaren Verhandlungen mit dem Könige zu entsenden11.27. Nach Zierotins Meinung konnte eine Wendung, die zum Anschlusse an den Prager Hof führen sollte, nur Unheil bringen. Am 22. Februar 1609 trafen die Horner in Wien ein. Vier Wochen hindurch wurde mit unglaublicher Zähigkeit verhandelt. Als Historiker, Staatsrechtler und glänzender Redner, dem kein anderer seiner Standesgenossen gleichkam, war Tschernembl die treibende Kraft der Horner Gesandtschaft. Die Reden, die er am 4. und am 6. März gehalten hat, bekunden seine Überzeugung, daß seine Stellung unangreifbar war. Aus der Geschichte weist er das Recht der Stände auf Übernahme der Landesregierung in den Zeiten eines Interregnums nach und leitet so aus dem Gewohnheitsrecht ein neues Staatsrecht ab; entscheidend ist aber sein religiöser Standpunkt. Die Bedrängung der Gemüter und der Gewissen ist ihm unerträglich. Es wird ganz klar, daß er bei Nichtgewährung des Geforderten und Nichteinhaltung des Versprochenen den Appell an die Waffen nicht gescheut hätte. Die Religion ist das Teuerste, was die Menschen auf der Welt haben. Welch ein Anwalt der Gewissensfreiheit, für die er ähnlich wie Schillers Marquis Posa zu früh in diese Welt gekommen war! Er bedroht den König mit dem Verlust seiner Lande, wenn er lange zögere; er und seine Verbündeten würden alles tun, um sich Hilfe dort zu verschaffen, wo sie sie finden könnten. Damit wird deutlich auf die Union angespielt, vielleicht auch auf den König von Frankreich, der in Unterhandlungen mit der Union stand. Tschernembl droht dem König und dem Prälatenstande, der mit einem Auge immer nach Rom schiele. Seine Beharrlichkeit hat schließlich gegen den Einfluß Khlesls und des Erzherzogs Leopold den Sieg davongetragen. Am 19. März 1609 unterzeichnete nach einer schlaflosen Nacht, von Gewissensqualen gepeinigt wie seinerzeit sein Oheim Karl von Steiermark, Matthias das Instrument, das die Protestanten immer als "Kapitulation" bezeichneten. Den Herren und Rittern, ihren Familien und Untertanen wurden die religiösen Freiheiten zugestanden, die sie kraft der Konzession (Kaiser Maximilians II.) besaßen: die Beschwerden über Beeinträchtigung des Religionsexerzitiums sollen von einer unparteiischen gerichtlichen Kommission untersucht werden, vor der auch die Prozesse wegen der gesperrten Kirchen in Inzersdorf und Hernals zu führen seien; mit übermäßigen Stolgebühren seitens der katholischen Pfarrer, besonders bei Begräbnissen, soll niemand beschwert werden; die Evangelischen sollen nicht mehr verpflichtet sein, jemanden von ihren Gottesdiensten auszuschließen; die Städte sollen bei ihren "alten Gewohnheiten und Gerechtigkeiten" belassen werden. Im übrigen war ihnen die Ausübung des Augsburger Bekenntnisses verwehrt, nur den oberösterreichischen Städten wurde Belassung bei dem zugestanden, was sie darüber vorlegen (dociren) konnten. Im großen und ganzen waren die Wünsche der Stände befriedigt, im einzelnen blieb manches ungelöst; Konfliktstoff für die Zukunft war genug gegeben11.28. [Seite 133]
Für die Stellung der katholischen Partei ist es bezeichnend, daß Khlesl zu Ostern dem Könige und dessen Räten das Abendmahl verweigerte, weil sie auf Grund der Bulle "In Coena Domini" der Exkommunikation verfallen waren. Matthias mußte sich vom Papste lossprechen lassen.
Der Sieg war errungen, aber er war nicht vollständig, weil die geforderte Glaubensfreiheit für die Städte nicht erteilt war. Der Kampf ging weiter und nicht nur in Österreich, sondern auch in Böhmen. Waren aber auch die Städte förmlich nicht in die Bewilligung eingeschlossen, so hat doch nichts die Wiedereröffnung der evangelischen Kirchen in ihnen verhindert. In Wien und Linz stand der Huldigung nun nichts mehr im Wege. Sie fand in aller Feierlichkeit am 29. April in Wien, am 17. Mai in Linz statt.
Die erzwungene Resolutionskapitulation befriedigte keinen der abschließenden Teile. Sofort setzte von katholischer Seite eine Gegenbewegung ein, die jedoch unmittelbar nicht viel ausrichten konnte. Aber auch Tschernembl sah den Kampf nicht als beendet an; was erreicht worden war, war wie zur Zeit der Religionskonzession eine Halbheit und nichts abschließendes Ganzes. Deshalb verhandelte er weiter mit Anhalt, der gerne den Beitritt der österreichischen Stände zur Union gesehen hätte. Im Sommer reiste Tschernembl nach Amberg. Wieder scheint eine enge Verbindung des österreichischen Protestantismus mit dem deutschen in Erwägung gezogen worden zu sein. Anläßlich des September-Landtages 1609 kamen die ungelösten Fragen wieder zur Sprache. Mittlerweile hatten sich in Prag Ereignisse vollzogen, die ihre Rückwirkung auch auf die österreichischen Erbländer haben mußten.
P. v. Chlumecky, Carl von Zierotin und seine Zeit, 2 Bde. 1862, 1879
J. v. Hammer-Purgstall, Khlesl's des Cardinals, Directors des geheimen Cabinetes Kaiser Matthias, Leben, 4 Bde. 1847-1851
J. Loserth, Akten und Korrespondenzen zur Geschichte der Gegenreformation in Innerösterreich unter Ferdinand II. In: FRA. 60. Bd. 1907
Ders., Die Stände Mährens und die protestantischen Stände Österreichs ob und unter der Enns in der 2. Hälfte des Jahres 1608. In: Zs. d. Vereines f. Geschichte Mährens u. Schlesiens IV, 1900
K. Mayr, Wiener Protestantengeschichte im 16. und 17. Jahrhundert. In: JBGPÖ. 70. Jg. 1954
G. Mecenseffy, Evangelisches Glaubensgut in Oberösterreich. Mitt. d. O.Ö. LA. 2. Bd. 1952
J. Stülz, Zur Charakteristik des Freiherrn Georg Erasmus von Tschernembl. In: AÖG. 9. Bd. (1853) 169 ff.
H. Sturmberger, Georg Erasmus Tschernembl. Religion, Libertät und Widerstand, 1953.
Zur selben Zeit, als die Stände in Wien in hartem Ringen lagen, kämpften auch die Böhmen in Prag um ihre religiöse Freiheit. Die böhmischen Stände hatten zwar im Jahre 1608 Rudolf die Treue bewahrt, aber doch nur unter der Voraussetzung, daß auch ihre religiösen Ansprüche voll befriedigt werden würden. Als Rudolf in seiner gewohnten Art, kaum daß er sich in Sicherheit glaubte, die Versprechungen, die er bezüglich der Religion gegeben hatte, nicht einhielt, kam es auf dem Landtage im Frühjahr 1609 zu einem erbitterten Ringen12.1. Der Kaiser zeigte sich in religiösen Dingen so unnachgiebig, als ob es keine Protestanten im Lande gäbe; in dieser Haltung wurde er unterstützt vom Kanzler Zdenko Popel von Lobkowitz, Wilhelm von Slawata, Jaroslaus von Martinitz und dem Freiherrn von Attems. Der Oberstburggraf von Sternberg, die Räte Hanniwald und Hegenmüller rieten zum Nachgeben. Im Hintergrunde der hartnäckigen Weigerung des Kaisers stand die Hoffnung, durch Vermittlung der katholischen Kurfürsten einerseits, des jungen Erzherzogs Leopold andererseits das Verlorene zurückzugewinnen. Ohne Bewilligung ihrer Forderungen befahl Rudolf die Erledigung der königlichen Proposition. Der Bruch war die Folge, die Stände versammelten sich nach geschlossenem Landtage eigenmächtig auf dem Neustädter Rathause. Ihre Führer waren Wenzel Budowec von Budowa, Heinrich Matthias Thurn und Graf Schlick. Um eine offene Rebellion zu verhüten, berief Rudolf einen neuen Landtag. Dieser wurde am 25. Mai eröffnet. Rudolfs Haltung hatte sich nicht geändert. Er ließ verkünden, daß der Stand der Religion derselbe sein solle wie unter Ferdinand I. und daß die Stände zur Beratung der königlichen Proposition schreiten sollten12.2. Die Geduld der Harrenden war zu Ende. Schon erschienen sie gespornt und gewappnet im Landtagssaale. Sie verfaßten ein dreifaches Schriftstück: Fürs erste erklärten sie, daß sie sich gegen diejenigen, die sie in der Religion bedrückten, in Verteidigungszustand setzen wollten. Die zweite Schrift enthielt einen scharfen Protest gegen das Verfahren des Kaisers und die Ankündigung der Bewaffnung des Landes. Das dritte Schriftstück war der Entwurf eines Gesetzes, das mit der einzigen Änderung von "evangelisch" in "utraquistisch" der berühmte Majestätsbrief geworden ist. Alle drei Stände, Herren, Ritter und Städte, sollen Glaubensfreiheit genießen [Seite 135] und in summa alle, welche sich zur böhmischen Konfession bekannten. Keiner, er möge auch dem Bauernstand angehören, soll von seiner Religion abgedrängt werden. Die Prager Universität soll den Ständen und dem Konsistorium übergeben werden. Über die Durchführung der Bestimmungen soll ein Ausschuß von Adeligen, die "Defensoren", wachen, an deren Spitze Heinrich Matthias Thurn und Graf Schlick. Um eine offene Rebellion- zu verhüten, berief Rudolf einen neuen Landtag. Dieser wurde am 25. Mai eröffnet. Rudolfs Haltung hatte sich nicht geändert. Er ließ verkünden, daß der Stand der Religion derselbe sein solle wie unter Ferdinand I. und daß die Stände zur Beratung der königlichen Proposition schreiten sollten12.2. Die Geduld der Harrenden war zu Ende. Schon erschienen sie gespornt und gewappnet im Landtagssaale. Sie verfaßten ein dreifaches Schriftstück: Fürs erste erklärten sie, daß sie sich gegen diejenigen, die sie in der Religion bedrückten, in Verteidigungszustand setzen wollten. Die zweite Schrift enthielt einen scharfen Protest gegen das Verfahren des Kaisers und die Ankündigung der Bewaffnung des Landes. Das dritte Schriftstück war der Entwurf eines Gesetzes, das mit der einzigen Änderung von "evangelisch" in "utraquistisch" der berühmte Majestätsbrief geworden ist. Alle drei Stände, Herren, Ritter und Städte, sollen Glaubensfreiheit genießen [Seite 135] und in summa alle, welche sich zur böhmischen Konfession bekannten. Keiner, er möge auch dem Bauernstand angehören, soll von seiner Religion abgedrängt werden. Die Prager Universität soll den Ständen und dem Konsistorium übergeben werden. Über die Durchführung der Bestimmungen soll ein Ausschuß von Adeligen, die "Defensoren", wachen, an deren Spitze Heinrich Matthias Thurn stand.
Ende Mai 1609 kam Erzherzog Leopold nach Prag; auch Anhalt fand sich ein. Das Spiel größerer Kräfte zeichnet sich ab. Die katholischen Kurfürsten ließen den Kaiser im Stiche; Köln, Bayern und Sachsen schickten nur Gesandte. Christian von Anhalt glaubte damals das "fatalis finis domus Austriae" gekommen. Im letzten Augenblicke gab der Kaiser nach. Er unterschrieb am 9. Juli 1609. Lobkowitz weigerte sich gegenzuzeichnen; dies tat der Oberstburggraf.
Die evangelischen Stände einigten sich anschließend daran mit den katholischen auf den sogenannten "Vergleich", die Keimzelle des böhmischen Aufstandes. Eine Bestimmung lautete dahin, daß die Evangelischen auch auf königlichen Gütern Kirchen und Schulen bauen dürfen. Im Hinblicke auf den Brauch im Lande erklärten sie auch geistliche Güter für königlich, weil sie aus dem Krongute stammten.
Die Kapitulationsresolution, die den Höhepunkt ständischer Autonomie und religiöser Freiheit in Österreich bedeutete, hatte die Lösung mancher Fragen auf einen späteren Zeitpunkt verschoben. Sie sollten auf dem Landtage im September 1609 in Wien zur Beratung kommen, zu dem auch die Oberösterreicher Abgesandte schickten. Auf ihm brach die Krisis aus. Denn die Stände forderten von Matthias die Publikation der Kapitulation und eine endgültige Verfügung über die Religionsfreiheit der Städte und Märkte, die dem Adel gleichgestellt werden sollten. Es war kein Wunder, daß sich die Vorkämpfer der Glaubensfreiheit das Schicksal ihrer Glaubensgenossen in den Städten besonders angelegen sein ließen. War doch hier das große Kräftereservoir des evangelischen Wesens. Klagen über ihre Hintansetzung hatten die adeligen Stände seit 1578 in Linz zu wiederholten Malen erreicht; auch hatte Hofkirchen auf seiner Mission nach Deutschland 1603 zu hören bekommen, es sei ein großer Fehler gewesen, daß sich der Adel Steiermarks von den Städten hatte trennen lassen12.3. Unter Hofkirchens Vorsitz tagte die Kommission der Stände, die diese Fragen beriet. Auf ihr kam der Wille zum Ausdruck, den schärfsten Gegner, Khlesl, zu stürzen. Er sei die Ursache aller Maßnahmen der Katholiken gegen die Protestanten12.4. Von diesem Vorgehen der evangelischen Stände Niederösterreichs [Seite 136] distanzierten sich damals die katholischen, indem sie erklärten, daß die Kapitulation für sie nicht bindend sei. Mit einem Hinweis auf seinen Vater verweigerte Matthias die Aufnahme der Städte in die Kapitulation12.5. Nach mannigfachen Denkschriften und Eingaben sprengten die Evangelischen durch ihre Abreise den arbeitsunfähigen Landtag. Die Schwäche ihrer Position hatte sich im Bruche mit den von Khlesl geführten katholischen Mitständen gezeigt. Diese schlossen eine Konföderation "zur Defension Gottes, des Allmächtigen Ehre und seiner Kirche", die vom Könige am 11. Februar 1610 ratifiziert wurde. Eine solche Schwächung ihrer Stellung war in Oberösterreich nicht zu befürchten, aber Tschernembl sah sich doch veranlaßt, am 17. Oktober 1609 mit Anhalt in Verbindung zu treten12.6. Es ist von Waffenlieferungen an die Stände die Rede. Von solchen kriegerischen Vorbereitungen wollte Zierotin nichts wissen12.7. Aber der Meinung, daß Khlesl aus dem Rate des Königs entfernt werden müsse, war auch er12.8. Tschernembl wandte sich mit der Bitte um Hilfe auch an die Mährer und die Ungarn. Eine österreichische Delegation reiste trotz des königlichen Verbotes im Dezember 1609 zum Reichstag nach Preßburg. An ihrer Spitze stand Tschernembl. Er wollte die Ungarn an ihre Solidarität mit den österreichischen Ständen erinnern. Mit dem neuen Palatin Georg Thurzo trat er sogleich in sehr herzliche Beziehungen. In einem lateinischen Schreiben an die Ungarn formulierten die Österreicher ihre Forderungen: 1. Keine Trennung des dritten Standes von den zwei übrigen; 2. Kundmachung der Kapitulation; 3. Verleihung von Ämtern ohne Rücksicht auf die Religion; 4. Abhilfe der zu Wien vorgebrachten Beschwerden; 5. Abrüstung. Am 14. Dezember hielt Tschernembl vor dem Reichstag eine große Rede; acht Tage später setzte er eine Audienz bei Matthias durch, in der er die Bedenken desselben zu zerstreuen suchte. Dieser befand sich in einer ähnlich fatalen Situation wie vor einem Jahre. Dem Drucke der Ungarn, die sich mit den Österreichern solidarisch erklärten, hielt Matthias nicht stand. Er versprach schließlich die Einberufung des Landtages in Wien für den 3. Februar 1610. Sehr weit war man noch nicht gekommen. Deshalb hielt Tschernembl noch eine Rede, und Thurzo versprach weitere Hilfe. Nun aber war durch die Vorgänge im Nachbarlande auch der mährische Landeshauptmann Zierotin lebhaft beunruhigt. Er erkannte die Gefahr, die aus dem engeren Zusammenschluß aller katholischen Kräfte entstehen mußte, wie sie sich im Reiche und unter dem Einflusse Khlesls auch in Wien anbahnte. Er bekannte: Sie (die Katholischen) bleiben sich immer gleich; von dem abzuweichen, was sie versprochen haben, ist zu ihrer Religion geworden12.9. Zierotin hätte Tschernembl schon im Herbste 1609 gerne im geheimen gesprochen. Nun entschloß sich Tschernembl, Mitte Jänner zum Landtage nach Olmütz zu reisen und die Hilfe der Mährer als Partner des Sterboholer Bündnisses anzurufen. Auch hier war dem [Seite 137] Unermüdlichen nach seiner Rede vom 19. Jänner Erfolg beschieden, und außer der ungarischen traf im Februar auch eine mährische Gesandtschaft in Wien ein.
Hier ging es nun wieder hart auf hart. Dem unablässigen Eintreten Thurzos für die gleichen Rechte der Österreicher, wie die Ungarn sie schon erlangt hatten, war es zu danken, daß Matthias endlich erklärte, er werde die Städte den übrigen Adeligen gleichstellen. Dies geschah in einer Botschaft an Thurzo vom 3. März 1610, die der Palatin selbst zur Verlesung brachte. Auf eine ausdrückliche selbständige Veröffentlichung der Kapitulation aber leisteten die Stände schließlich Verzicht.
So war erreicht, worum man seit Maximilians Zeiten gerungen: die Anerkennung des dritten Standes (oder des vierten, wenn man Herren und Ritter getrennt zählt) als gleichberechtigt mit den übrigen in religiösen Belangen.
Nun hätten sich die Politiker zurückziehen und in Muße die Früchte ihrer Arbeit genießen können. Wegen der Ereignisse und der großen Spannungen in der Welt war dies aber nicht der Fall. Im Jahre 1609 brach, ausgelöst durch den Tod des Herzogs Johann Wilhelm am 25. März, der jülich-klevische Erbfolgestreit aus. Die beiden berechtigten Anwärter auf das Erbe, Johann Sigismund von Brandenburg und Philipp Ludwig von Pfalz-Neuburg, besetzten nach dem Tode des Erblassers das Land. Zugleich aber rückte, da der Kaiser den Sequester darüber verhängt hatte, Erzherzog Leopold in Jülich ein. Die beiden anderen Fürsten aber fanden die Unterstützung bei der protestantischen Union, die in Verhandlungen mit Heinrich IV. von Frankreich stand. Leopold mußte aus Jülich weichen, das von den Truppen der Union besetzt wurde. Dagegen beschloß die Liga die Aufstellung eines Heeres. Vielleicht wäre es schon damals zum Ausbruch des Krieges gekommen, wenn nicht der Dolch Ravaillacs dem Leben des französischen Königs am 14. Mai 1610 ein Ende gesetzt hätte. Auf dem Konvent zu Prag, der von April bis September 1610 unter Vermittlung der deutschen Fürsten, besonders des Herzogs Julius von Braunschweig, stattfand, kam es zur neuerlichen Versöhnung zwischen Rudolf und Matthias, aber der ehrgeizige und ruhelose Erzherzog Leopold, der seine Pläne zur Befestigung der kaiserlichen Macht und seiner eigenen Nachfolge im Reiche weiter verfolgte, brachte neue Unruhe.
Der unglückliche Kaiser Rudolf konnte die Machteinbuße, die er durch seinen Bruder erlitten hatte, nicht verschmerzen. Seine Pläne, die Macht zurückzugewinnen, waren unklar; aber sie trafen mit denen Leopolds zusammen, der gerne auf seine geistliche Würde verzichtet, eine bayrische Prinzessin geheiratet und sich ein weltliches Fürstentum, Böhmen, Jülich oder Tirol, erworben hätte und sogar die Nachfolge im Reiche anstrebte. Zur Verfolgung seiner Ziele warb dieser Fürst in Passau Kriegsvolk, das untätig in der Stadt lag und um so unruhiger wurde, je weniger Aussicht es auf regelmäßige Auszahlung des Soldes hatte. Die Abdankung dieser Passauer war eine der Bedingungen des Vergleichsinstrumentes zwischen Rudolf und Matthias. Im November 161O sollte es abgedankt werden, aber es war kein Geld vorhanden. [Seite 138] Plötzlich ließ Oberst Ramée diese Kriegsvölker nach Oberösterreich marschieren. Das war ein Bruch des Abkommens mit Matthias, und dieser rüstete zur Gegenwehr. Fünf Wochen hausten die Soldaten in Oberösterreich und brachten Verderben und Schrecken über das Land. Dann zogen sie nach Böhmen ab, besetzten Budweis und Tabor und rückten gegen Prag. Die Kleinseite und die Burg wurden von ihnen erobert, aber die Stadt konnten sie nicht nehmen. Leopolds Unternehmen war gescheitert, der Kaiser mußte schließlich nachgeben und das Kriegsvolk abdanken. Matthias aber gaben diese Ereignisse neue Gelegenheit, seine Macht zu vergrößern; am 10. März 1611 brach er von Wien zum zweiten Male gegen seinen Bruder auf und zog am 24. desselben Monats in Prag ein. Er verhandelte mit Rudolf, der zur Abdankung gezwungen wurde. Ehe noch der vom Nürnberger Kurfürstentag beschlossene Wahltag zusammengetreten war, starb Kaiser Rudolf am 20. Jänner 1612. Am 13. Juni 1613 fand die Wahl Matthias' zum römischen König und Kaiser statt. Ihr folgte die Kaiserkrönung und am 13. August 1613 die Eröffnung des ersten Reichstages des neuen Kaisers in Regensburg.
In Österreich hatte sich die Lage für die Protestanten günstiger gestaltet, aber im Reiche war eine Entspannung nicht eingetreten. Khlesl, der zum Direktor des Geheimen Rates des neuen Kaisers aufgerückt war, betrieb damals zur Abwendung der Verschärfung der Gegensätze einen neuen Türkenkrieg, und deshalb wurde der Reichstag einberufen12.10. In Ungarn war es durch die Ermordung des kaiserlichen Parteigängers Gabriel Báthory, des Fürsten von Siebenbürgen, zu einer ungünstigen Wendung gekommen. Die Türken unterstützten seinen Widersacher Gabriel Bethlen, der in Siebenbürgen zum Fürsten gewählt wurde12.11. Matthias glaubte, in der bedrohlichen Haltung der Pforte die Notwendigkeit zu sehen, zu einem neuen Kriege rüsten zu müssen, aber der Reichstag bewilligte ihm nur 13 Römermonate. Der böhmische Landtag in Budweis 1614 zeigte sich nicht willfähriger und auch auf dem Generallandtag der österreichischen Stände 1614 zu Linz fand Matthias keine Unterstützung seiner Ostpolitik12.12. Etwa 70 Abgeordnete aus allen österreichischen Ländern mit Ausnahme Böhmens trafen sich damals in Linz. Tschernembl war nicht unter ihnen, aber sein Geist lenkte die Versammlung, die sich für die Erhaltung des Friedens aussprach. Tschernembl sah in der Beherrschung Siebenbürgens durch den an die Pforte gebundenen Bethlen Gabor eine geringere Unbill für das Land, als wenn es von der katholischen Habsburgerherrschaft unterdrückt wurde. So kam es im Jahre 1615 auf Grund der Friedensschlüsse von Wien und Zsitva Torok zu einem neuen Friedensschluß mit Siebenbürgen und der Pforte. Damit war die Ruhe im Osten auf lange Zeit gesichert. [Seite 139]
V. Bibl, Die katholischen und protestantischen Stände in Niederösterreich
im 17. Jahrhundert. In: JB. f. Landeskunde v. N.Ö. N.F. 2. Jg. 1903
P. v. Chlumecky, Carl von Zierotin und seine Zeit, 2 Bde. 1862-1879
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R. Neck, Andrea Negroni. Ein Beitrag zur Geschichte der österreichisch-türkischen Beziehungen nach dem Frieden von Zsitvatorok. Mitt. d. Österr. Staatsarchivs, 3. Bd. 1950
H. Sturmberger, Georg Erasmus Tschernembl. Religion, Libertät und Widerstand, 1953. [Seite 140]
Im ersten Viertel des 17. Jahrhunderts erlebte der Protestantismus in Österreich unter und ob der Enns seine zweite kurze und letzte Blüte. Doch war es nicht mehr jener ruhige Genuß des Erreichten, jene frohe Sicherheit und Zuversicht, wie sie zur Zeit Maximilians II. geherrscht hatte. Die katholische Kirche hatte manche Schlüsselstellung zurückgewonnen. Der grausamste Verfolger des Protestantismus, Bischof Khlesl, war der vornehmste Ratgeber des neuen Herrn. Zwei kampfbereite Gruppen standen einander gegenüber.
Die protestantischen Adeligen suchten ihre neugewonnene Stellung zu festigen. Hernals wurde die "große volkreiche, herrliche, reiche, weit berühmte" evangelische Landkirche13.1, "gern besucht und herzlich geliebt"13.2, deren Gotteshaus und Schule in den Testamenten der evangelischen Wiener Bürger regelmäßig bedacht wurden. Ehe noch die Kirche in Hernals restituiert war, richtete Helmhard Jörger 1609 den Gottesdienst im Saale des Schlosses ein. Die Berufung tüchtiger Prädikanten sicherte den hingebungsvollen Dienst am Worte und die Spendung der Sakramente. Den Anfang machte Mag. Johann Sartorius, dem ein gebürtiger Laibacher, Johann Snoilshik13.3, zur Seite stand. Zugleich wirkte der aus Steyr gebürtige Simon Mann, der in Wittenberg studiert hatte13.4. Von 1615 bis zur Katastrophe gab es in Hernals drei bedeutende Prediger: Johannes Mülberger aus Bayern, den Sachsen Elias Ursinus, der einer der gebildetsten Prediger seiner Zeit war, und den Schwaben David Steudlin13.5. Aus ihren Predigten können wir ein lebendiges Bild der religiösen und sittlichen Zustände in unserer Stadt gewinnen, das durch Bestimmungen der bürgerlichen Testamente13.6 und durch Stammbücher13.7 ergänzt wird.
Schwierigkeiten hatten sich sofort aus der Bestimmung der Kapitulationsresolution ergeben, daß dem katholischen Wesen kein Abbruch geschehen dürfe. Khlesl klagte über Eingriffe der Prädikanten in seine Gerichtsbarkeit und Verkürzung seiner Stolgebühren, aber Matthias erklärte 1612, daß die gewährte Freiheit aufrechterhalten werde13.8 [Seite 141].
Nichts war der katholischen Kirche, den von ihr gelenkten Adeligen und selbst dem schwachen Kaiser ein solcher Dorn im Auge wie das Auslaufen der Bürger zu den Schloßprädikanten, wobei Inzersdorf hinter Hernals noch weit zurücktrat. Denn diese zogen nicht nur die Glaubensgenossen, sondern auch die Katholiken mächtig an. In der Kapitulationsresolution war die in einem Gutachten "pro parte Lutheranorum" aufgeworfene Frage, "ob die löbliche zwen Stänndt von Herrn und Ritterschaft sich der Burger in Religionssachen annemen khünen oder sollen"13.9, insofern bejaht, als die Evangelischen nicht mehr verpflichtet wurden, jemanden von ihrem Gottesdienst auszuschließen, den Bürgern nachher überdies Glaubensfreiheit gewährt worden war; der Verfasser der oben angeführten Schrift, die möglicherweise schon aus dem Jahre 1609 stammt, war der Meinung, daß man sich frommer Christen, die einen rechten Hunger und Durst haben, das Gotteswort zu hören, treulich annehmen solle, damit sie mit dem reinen evangelischen und hochwürdigen Sakrament gespeist und getränkt würden. Ebenso nachdrücklich und leidenschaftlich haben die Katholiken die Frage verneint.
Dem Abt zu den Schotten war das Treiben des Prädikanten des Ritters Johann Baptist Pacheleb in St. Ulrich besonders verhaßt; er erklärte, daß die Pfarre ihm zustehe, der Prädikant mußte weichen und Pacheleb wurde in Arrest genommen13.10. Eine Beschwerdeschrift der Stände hatte keinen Erfolg. Im Jahre 1615 versuchte man, den Jörgern den Gottesdienst in Hernals zu sperren, angeblich weil der Lehensbesitz nicht rechtmäßig erworben sei. Der Hof tat nichts, den Beschwerden der niederösterreichischen Landstände ernstlich abzuhelfen, und im Jahre 1618 waren die Klagen dieselben wie 1609. Auf dem Lande entwickelte sich evangelisches Leben vor allem in den Pfarren evangelischer Patronatsherren, während der Protestantismus in den Städten Niederösterreichs schon am Ende des vergangenen Jahrhunderts in seiner Blüte geknickt worden war.
Freier und ungehemmter entfaltete sich evangelisches Wesen von neuem in Oberösterreich, wo der Druck der katholischen Kirche nach dem Tode Urbans von Trenbach 1598 nachgelassen hatte.
In Steyr hat am selben Tag wie in Linz, am 31. August 1608, wieder evangelischer Gottesdienst stattgefunden. Umjubelt von der Bevölkerung zogen der Prediger des Herrn von Neuhaus auf Stadelkirchen, M. David, und Valentin Lang aus Münzbach in die Stadt und hielten ihre ersten Predigten. Johannes Isingius aus Wittenberg wurde zum Stadtpfarrer berufen, Matthäus Schmoll, Tobias Schaidthauf und Georg Thomas wurden ihm zur Seite gestellt13.11. Die Lateinschule wurde unter dem Rektor Egidius Weixlberger wieder eröffnet, ein Konrektor und ein Kantor wurden angestellt. Aber so schrankenlos wie dies früher der Fall all gewesen war und wie es Enrica von Handel-Mazzetti in ihrem Roman "Der Richter von Steyr" schildert, konnten die Protestanten das Kirchenregiment nicht führen. Der katholische Gottesdienst bestand [Seite 142] weiter und die Pfarrkirche blieb den evangelischen Predigern verschlossen. Die Zahl der Kommunikanten erreichte im Jahre 1618 mit 7480 ihren Höhepunkt13.12; 1619 werden 6967 gezählt; damals war Joachim Händl Bürgermeister und Wolfgang Madlseder Stadtschreiber.
Ähnliche Verhältnisse eines Nebeneinander der offiziell beglaubigten katholischen Kirchenleitung und des illegalen Auslaufens oder vielleicht sogar des Aufenthaltes eines evangelischen Prädikanten oder Schulmeisters in der Stadt während des katholischen Intermezzos 1600 bis 1608 herrschten in Freistadt. Nachfolger des Dechanten Georg Bucher war Wenzel Jakob Ruland. Zwischen katholischem Pfarrer und evangelischer Stadtverwaltung war das Einvernehmen schlecht. Ohne Unterlaß gab es Reibereien zwischen dem Rat und dem Dechanten wegen Hereinbringung der Benefizien und Zahlung der Steuer.
Im Jahre 1609 ist ein Dechant Melchior Zuelandt bezeugt, der wegen der Fronleichnamsprozession in Schwierigkeiten geriet. Ein amtlich beglaubigtes evangelisches Kirchenministerium bestand in Freistadt erst seit dem Jahre 1614, aber früher schon muß es einen evangelischen Prediger gegeben haben; das beweist die Tatsache, daß die Freistädter 1613 den Pfarrer Daniel Hitzler in Linz baten, ihre Agende zu begutachten und zu verbessern13.13. Im Jahre 1614 führte die Stadt das evangelische Kirchenministerium offiziell wieder ein. Sie berief als ersten Prediger den Magister Johann Erhard und als zweiten Simon Brandt von Wittenberg. In einer ausführlichen Instruktion von 21 Punkten wurden Erhardt seine Pflichten eingeschärft; im zwölften Punkte wird dem Herrn Magister allen Ernstes eingebunden, mit dem "papstisch-katholischen" Pfarrer, desselben Kaplan und Musikanten einige Unruhe oder Widerwärtigkeit nicht zu erwecken13.14. Auch ein lateinischer Schulmeister wurde bestellt. Mit Ciriac Hessius hatte man seines Unfleißes wegen wenig Glück; ihm folgte der von Matthias Jahn und Joachim Händl in Steyr empfohlene Johann Kirchner. Neben den evangelischen Predigern und Lehrern hatten die Katholiken einen schweren Stand. Nur um ihres nackten Lebensunterhaltes willen mußten sie ununterbrochen beim Rate um Hilfe einkommen, der nicht immer gesonnen war, sie ihnen zu gewähren.
Kultureller Mittelpunkt Österreichs während der zwei ersten Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts wurde die Landeshauptstadt Österreichs ob der Enns, Linz a. d. Donau. Sie vereinigte in ihren Mauern einen Kreis erlesener Geister, die nicht nur für unser Land bedeutsam wurden, sondern für ganz Europa.
Erster Prediger des Landhausministeriums wurde 1608 Clemens Anomäus, der Neffe des Schulrektors Matthäus Anomäus. Er starb schon 1611. Ihm folgte Daniel Hitzler, den der Herzog von Württemberg den Ständen gesandt hatte. Damit ist der Mann genannt, der für das [Seite 143] kirchliche und religiöse Leben der Stadt wie des ganzen Landes eine entscheidende Rolle gespielt hat13.15. Aus Württemberg stammend, war er einer der strenggläubigen lutherischen Theologen im Sinne der Konkordienformel. Hitzler oblag nicht nur die Pflege des Gottesdienstes im Landhaus, für dessen Besorgung ihm zwei Diakone zur Seite standen, sondern auch die Erteilung des Religionsunterrichtes an der Landschaftsschule, deren Inspektor er zugleich mit zwei adeligen Herren war. Mit seinem Namen ist die Drucklegung der oberösterreichischen Agende 1617 verknüpft. Als Lehrer an der Schule stellte Hitzler die "Sprüche heiliger Schrift" als Vorbereitung für das Studium des Compendium locorum theologicorum von Leonhard Hutter zusammen; sie sind eine Sammlung von 34 Loci theologici oder Glaubensartikeln. Außerdem war Hitzler als Musikschriftsteller von Bedeutung. Sein "Extract aus der Neuen Musica", Nürnberg 1623, ist heute eine der großen Seltenheiten der musiktheoretischen Literatur. Hitzler hat auch ein evangelisches Gesangbuch herausgegeben, "Die christlichen Kirchengesänge", und sich mit einem einfacheren Solmisationssystem versucht als das guidonisch-aretinische es vorstellte. Die Pflege der Musik war eine der hervorragenden Aufgaben an der Landhausschule. Als Kantor und Komponist ist besonders Johann Kraut (Brassicanus) aus Murau in der Steiermark zu nennen, den die Stände 1609 an ihre Schule beriefen13.16.
Unter Hitzler stellte sich die Lage der Gemeinde folgendermaßen dar13.17:
An Kommunikanten sind in den Landschaftsmatriken folgende Zahlen überliefert13.18:
Neben dem Kirchenministerium ließen sich die adeligen Stände die Pflege ihrer Schule besonders angelegen sein. Sie hatte im Jahre 1608 ihre Tore wieder geöffnet und erlebte nun ihre stolzeste Zeit. Matthäus Anomäus wurde aus Wittenberg zurückberufen. Ihm folgte 1614 der landständische Pfarrer Konrad Rauschart13.19. Als Lehrer gewannen [Seite 144] die Stände zwei Wissenschaftler allerersten Ranges, den Historiographen, Genealogen und Linguisten Hieronymus Megiser aus Württemberg13.20 und seinen Landsmann, den Mathematiker und ersten Astronomen seiner Zeit, Johannes Kepler. Sie waren es, die Linz zu einem kulturellen Zentrum von europäischer Bedeutung machten. Megisers Lebensgeschichte ist ein Teil der Geschichte des evangelischen Schulwesens in Österreich, Keplers Wirken hat weltweite Bedeutung erlangt. Beide waren aus ihrer schwäbischen Heimat in unser Land gekommen.
Megiser war in Tübingen der Amanuensis von Nikodemus Frischling. Als dieser 1582 an das evangelische Gymnasium nach Laibach ging, begleitete ihn Megiser, wurde Erzieher in einer adeligen Familie, zog dann weiter nach Italien, wo er die Grundlage zu seinen gediegenen Sprachkenntnissen legte. Nach Graz zurückgekehrt, wurde er Hofhistoriograph des Erzherzogs Karl; nach dessen Tode begab er sich der Gegenreformation wegen auf Reisen und wurde 1593 Rektor des landschaftlichen Gymnasiums in Klagenfurt. 1601 mußte er der religiösen Unterdrückung halber weichen, ging nach Frankfurt, der Heimatstadt seiner Frau, die eine Tochter des Buchdruckers und Verlegers Johannes Spieß war. Dann fand er als Historiograph des sächsischen Kurfürsten Christian II. eine Stellung, arbeitete aber damals auch an einer Kärntner Landesgeschichte und beschäftigte sich mit den Sprachen und der Geschichte des Ostens. Seine Institutiones linguae turcicae libri IV sind die erste türkische Grammatik; er lieferte auch die erste deutsche Übersetzung der Reisebeschreibung des Marco Polo. Der Kärntner Landesgeschichte wegen kehrte Megiser 1609 nach Kärnten zurück, folgte aber 1613 dem Rufe der oberösterreichischen Stände, ihr Historicus und Vorstand der ständischen Bibliothek zu werden. Er war ein außerordentlich vielseitiger Geist; sein Lebenswerk umfaßte grammatikalisch-lexikographische Bücher, Reise- und Länderbeschreibungen und historisch-genealogische Abhandlungen. Megiser und der adelige Inspektor der Landschaftsschule Job Hartmann Enenkel trugen sich mit dem Gedanken, die österreichischen Geschichtsquellen herauszugeben. Megiser aber konnte nur mehr das Fürstenbuch des Jan Enenkel veröffentlichen. Er starb im Jahre 1619 mit Hinterlassung einer Bücherei von 964 Bänden, die von Kepler als eine "schöne, auserlesene und sonderlich in historicis, linguis und genealogis trefflich instruierte Bibliothec" bezeichnet wurde13.21.
Zur Aufzeichnung des obderennsischen Gewohnheitsrechtes hatten die Stände Dr. Abraham Schwarz aus Pfalz-Neuburg gerufen; etwa zehn Jahre hat er daran gearbeitet, bis er das Werk 1616 vollendete13.22.
Die größte Leuchte der Wissenschaft, der von den Habsburgern trotz seines evangelischen Bekenntnisses hochgeschätzte und geförderte Gelehrte war Johannes Kepler, dessen Bestallungsdekret am 11. Juni 1611 ausgestellt wurde. Die erste Berührung Keplers mit Oberösterreich [Seite 145] hatte im Jahre 1595 in Graz stattgefunden, als Tschernembl dort um militärische Hilfe ansuchte. Er ließ sich den Mann kommen, der in seinem Kalender für dieses Jahr das Eintreffen der Bauernunruhen vorausgesagt hatte13.23. Damals forderte Tschernembl den Mathematiker der steirischen Stände auf, eine Karte von Niederösterreich zu entwerfen. Als nach dem Tode Rudolfs II. seine Stellung in Prag unhaltbar geworden war, kam Kepler im Mai 1612 nach Linz, um den eigens für ihn geschaffenen Posten eines Landschaftsmathematikers anzutreten. Da ergaben sich zwischen den beiden Männern noch ganz andere Beziehungen. Kepler war gebürtiger Württemberger. In seinem Vaterlande konnte er, auch nachdem er als der bedeutendste Astronom seiner Zeit mit seinen Werken Mysterium Cosmographicum und der Astronomia Nova hervorgetreten war, keine Anstellung finden. Warum? Nicht weil er das von den Rechtgläubigen als schriftwidrig abgelehnte Kopernikanische Weltsystem bejahte, sondern weil er sich dem in Württemberg herrschenden strengen Luthertum der Konkordienformel nicht beugen konnte. Kepler war eine tief religiöse Natur, der wir die wunderbarsten Aussprüche über die Schönheit und Harmonie der Schöpfung Gottes verdanken. Er war aber auch ein Mann, der seine Überzeugung stets rückhaltlos vertrat. So hatte er als Lutheraner 1600 endgültig aus Graz weichen müssen, nachdem sich die Jesuiten vergebens Hoffnung gemacht hatten, ihn zu bekehren. Er war aber nicht in allen Stücken ein geschworener Lutheraner, so auch nicht in der Abendmahlslehre, in der er dem Calvinismus zuneigte. Wie hätten sich nicht zwischen ihm und Tschernembl Berührungspunkte ergeben müssen! Nun blieb der Herr auf Schwertberg, der seinen eigenen Prädikanten hielt und zur Kommunion von Linz auf sein Schloß reiste, in seiner Stellung unangefochten, Kepler aber mußte es erleben, daß Daniel Hitzler, der erste Pfarrer der Stände in Linz, ihn bald nach seiner Ankunft, da er das Abendmahl begehrte, sich aber nicht zu der in der Konkordienformel vertretenen Lehrmeinung bekannte, von der Kommunion ausschloß13.24. Die Haltung des Stuttgarter Konsistoriums, das seine Anstellung in der Heimat vereitelt hatte, verfolgte ihn auch hier. Infolge seiner Ausschließung von der Abendmahlsgemeinschaft war seine Stellung nicht leicht, da er manchen als Calviner galt, der er in Ablehnung der Prädestinationslehre nicht war, manchen sogar als Atheist. In einer Zeit großer politischer Erregung kam zur Wahrung und Stützung der Reinheit der lutherischen Lehre, wohl mit Zutun Hitzlers, 1619 der württembergische Theologe Johann Valentin Andreae nach Linz13.25. In seinem Reiseberichte nennt er die Namen der gut lutherischen Adeligen: die Hohenfelder von Aistersheim, die besonderen Gönner Hitzlers, Karl Jörger, der in politischer Hinsicht gänzlich auf Tschernembls Seite stand, ferner Weikhard von Polheim. Eine gewisse Spannung zum Calvinismus macht sich bemerkbar, wenn auch Tschernembl [Seite 146] nirgends genannt wird. Jedenfalls waren sich dieser und Kepler in einem Punkte einig : in der Ablehnung allen theologischen Gezänkes, das sie als Unglück für den Protestantismus erkannten. Der Schloßherr auf Schwertberg wird dem großen Gelehrten die Teilnahme am Genuß des Sakramentes, das für jeden Gläubigen eine so große Bedeutung hat, nicht versagt haben.
Dem geistigen Fluidum der Stadt und der gegenseitigen Befruchtung großer Geister müssen wir dankbar sein, denn Kepler erlebte in Linz seine erfolgreichsten Jahre. 1613 schloß er seine zweite Ehe mit der Tischlerstochter Susanne Reuttinger aus Eferding; im selben Jahre veröffentlichte er seine Untersuchung über das Geburtsjahr Christi "De vero anno quo aeternus Dei filius humanam naturam in utero benedictae virginis Mariae assumpsit", die heute allgemein anerkannt ist. Zwei Jahre später brachte er den ersten Buchdrucker Hans Plank aus Erfurt nach Linz. Kepler nahm auch zur Frage der Kalenderreform Stellung und wie im Spiele fand er, als er einmal an der Donaulände die Messung des Inhalts von Weinfässern mittels einer Rute beobachtete, die Grundgesetze der Stereometrie. Er arbeitete auch an einer Landkarte Oberösterreichs, vollendete die Rudolfinischen Tafeln und schuf sein Hauptwerk: Die Weltharmonik, die das dritte seiner planetarischen Gesetze enthält. Er hatte es am 15. Mai 1618, acht Tage vor dem Prager Fenstersturz, gefunden. Es lautet: Die Quadrate der Umlaufzeiten der Planeten verhalten sich wie die Kuben der großen Halbachsen ihrer Bahnellipsen. Die Stände besoldeten nicht nur ihre Pfarrer, Schulmeister, Bibliothekare und Mathematiker, sondern auch ihre Ärzte und Ingenieure. Unter diesen ragen Georg Stripf, der 1610 von den Ständen angestellt wurde, und Abraham Holzwurmb aus Villach hervor, der Kepler in der Arbeit an der Landkarte entlasten sollte, die diesem wenig Freude machte. Beider Testamente mit Bibliotheksverzeichnissen sind erhalten13.26.
Wer singt den Ruhm der österreichischen evangelischen Büchereien? Otto Brunner hat zum erstenmal die "erstaunliche Weite der Interessen, die uns ein Blick in die österreichischen Adelsbibliotheken offenbart", geschildert13.27. Neben die adeligen Bibliotheken habe ich die bürgerlichen gestellt und beide besonders auf ihren theologisch-religiösen Gehalt untersucht13.28. Gemäß dem gründlichen Bildungsgang ihrer Eigentümer besonders als Juristen, aber auch als Theologen, waren in jenen Bibliotheken alle Wissensgebiete von der klassisch-römischen und griechischen Literatur bis zu den italienischen, französischen und deutschen Schriftstellern der Renaissance und des Humanismus vertreten. Johannes Chrysostomus war ebenso vorhanden wie Robert Bellarmin, die Werke des Hippokrates standen neben den zeitgenössischen Kräuterbüchern. Das 16. und 17. Jahrhundert lieferte reiches staatswissenschaftliches, historisches und theologisches Material. Die Starhemberg auf Peuerbach, Riedegg und Eferding, die Jörger auf Steyregg und Tollet, die Rödern in Perg, die Öedt auf Götzendorf legten bedeutende [Seite 147] Bibliotheken an. Die größten Sammler aber waren Job Hartmann von Enenkel13.29 und Tschernembl. In dessen Bibliothek, von der heute nur mehr spärliche Reste vorhanden sind, deren Verzeichnis sich aber erhalten hat, fällt die geschlossene Reihe der Kirchenväter auf und die Fülle juridischer und historischer Werke. Aus einer früheren Generation ist Reichard Strein von Schwarzenau, der Genealoge und Geschichtsschreiber, zu nennen und aus späterer Zeit der hochgebildete, wissenschaftlich und dichterisch tätige Adelige in Niederösterreich Wolf Helmhard von Hohberg (1612-1688), der ins Exil wanderte, und der radikale Protestant, der später konvertierte und 1630 Landeshauptmann von Oberösterreich wurde, Hans Ludwig von Kuefstein, der Übersetzer der "Diana" des Diego von Montemayor.
Diese Privatbibliotheken überragt an Bedeutung die Lieblingsschöpfung der Landstände, ihre der Schule angeschlossene Bibliothek, deren Betreuer der jeweilige Schuldirektor und die Instruktoren waren, so zugleich Megiser und Job Hartmann von Enenkel. Zur Erweiterung dieser Bücherei haben die Stände keine Ausgabe gescheut; 1616 wurde für ihre Aufstellung ein neuer Trakt des Landhauses fertiggestellt; kostbare neuerschienene Werke wurden angeschafft. Die Bibliothek stellte das Musterbeispiel einer universalen Büchersammlung dar. Im Jahre 1800 fiel sie dem Landhausbrande zum Opfer und nur ein kleiner Teil der nicht vernichteten Bände aus der Reformationszeit hat sich, da er in einem niedriger gelegenen Geschoß aufbewahrt war, erhalten. Diese 100 Sammelbände bilden heute eine Zierde des oberösterreichischen Landesarchivs.
Wir können aber auch in bürgerlichen Häusern beachtlichen Bücherbesitz nachweisen, nicht nur den des Laientheologen Christoph Hueber, sondern auch den des Bäckers Sebastian Sumerauer in Linz, des mutigen Beschützers des todkranken Michael Aidn. In der Gegenreformation wurden die evangelischen Bestände aus den Bibliotheken ausgeschieden, verbrannt und vernichtet. Spärliche Reste fanden über die Jesuitenschulen ihren Weg in unsere heutigen öffentlichen Bibliotheken, wo man noch schöne in Schweinsleder gebundene Bücher, zuweilen mit handschriftlichen Eintragungen, finden kann.
O. Brunner, Adeliges Landleben und europäischer Geist, 1949.
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M. Doblinger, Hieronymus Megisers Leben und Werke. In: MIÖG. 26. Bd. 1905.
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J. K. Mayr, Evangelisches Leben in Wien am Ende des 17. Jahrhunderts. In. JBGPÖ. 68./69. Jg. 1953.
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Ders., Sieben neue Leichenpredigten. In: JBGPÖ. 71. Jg. 1955.
Ders., Der Hernalser Prädikant Mag. Johann Mülberger. In: Südostforschungen, 14. Bd. 1955.
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Ders., Neue Beiträge zur Pflege der Musik an der evangelischen Landschaftsschule und Landhauskirche zu Linz. In: Mitt. d. O.Ö. LA. 3. Bd. 1954. [Seite 149]
Die Spannungen in Deutschland waren religiöser und politischer Art; das religiöse Moment ist in jener Zeit vom politischen nicht zu trennen. Da eine gütliche Lösung der strittigen Fragen, vor allem der Rückstellung des seit 1555 von den evangelischen Fürsten eingezogenen Kirchengutes, das auch noch auf dem westfälischen Friedenskongresse eine so große Rolle spielen sollte, und des Problems des Sitzes und der Stimme der Administratoren der ehemaligen katholischen Bistümer auf den Reichstagen, nicht zustande gekommen war, die Reichsverfassung in ein Stadium des Verfalles und der Wirkungslosigkeit geraten und das Reich in zwei bewaffnete Bünde gespalten war, blieb nur mehr die Entscheidung der Waffen übrig. Von den beiden Bünden, der Union und der Liga, war diese unter einheitlicher und straffer Führung, während die Union, auf der die Hoffnungen der österreichischen Protestanten ruhen mußten, keineswegs so einheitlich organisiert war. Es entschied dort nicht ein Wille, sondern die Gesamtheit der Mitglieder, und da mußte es immer Meinungsverschiedenheiten geben, besonders wenn es sich um Zahlungen handelte. Christian von Anhalt konnte in Diensten von Kurpfalz keine autoritäre Stellung einnehmen und nicht über die Macht verfügen wie der Bayernherzog. Die Bedeutung der Union für den Protestantismus hat Tschernembl deutlich erkannt; so sagte er 1616, dieser wäre schwer gefährdet, ja sogar verloren, wenn die Union bei weiterer Verschärfung der Lage sich nicht zum Handeln entschließe14.1.
Im Jahre 1617 wurde Tschernembl nach einigen Jahren der Zurückgezogenheit vom politischen Leben wieder ständischer Verordneter. Er rückte damit wieder in den Vordergrund der politischen Szene. Seit dem 16. April 1616 war Khlesl Kardinal. Zu jener Zeit wurde die Nachfolgefrage im habsburgischen Hause gelöst. Der alternde und kranke Kaiser Matthias konnte auf Nachkommenschaft nicht mehr hoffen, ebensowenig seine Brüder, der Hoch- und Deutschmeister Maximilian und Albrecht, der Statthalter der Niederlande und Gemahl der Tochter Philipps II., Klara Isabella Eugenia. Beide verzichteten zunächst auf die Nachfolge in Böhmen. Es gab aber noch einen anderen Thronanwärter, das war als Sohn einer Tochter Maximilians II., Anna, der spanische König Philipp III. selbst. Auch von ihm mußte ein formeller Verzicht verlangt werden, aber Khlesl, obwohl er selbst die Absendung [Seite 150] eines kaiserlichen Botschafters, des Grafen Franz Christoph Khevenhüller, des Konvertiten, betrieb, beschleunigte in keiner Weise dies Geschäft der Nachfolge Ferdinands, weil er von diesem Zurücksetzung, wenn nicht Schlimmeres befürchten mußte. Als aber Philipp III. den Grafen Oñate als seinen Botschafter an den Kaiserhof sandte, kam nach langwierigen Verhandlungen der sogenannte Oñate-Vertrag zustande, den Ferdinand am Tage seiner Krönung zum König von Böhmen, dem 29. Juli 1617, ratifizierte. Darin verzichtete Philipp auf die Nachfolge in den Erbländern, aber nur gegen die Geheimklausel, in der Ferdinand ihm die deutschen Reichslehen Finale und Piombino in Italien sowie das Elsaß in Deutschland verspracht14.2. Ansprüche des Reiches und Belange der Nation wurden damit von dem Habsburger preisgegeben. Das Jahr 1617 ist auch dadurch gekennzeichnet, daß in ihm der Krieg, in den Ferdinand durch die Uskoken mit Venedig verwickelt worden war, durch einen in Madrid geschlossenen Frieden beigelegt wurde. Die Lage der Protestanten schien Tschernembl so wenig günstig, daß er, kommende Ereignisse vielleicht vorausahnend, den Fürsten von Anhalt bat, einen vertrauenswürdigen Mann zu Unterhandlungen nach Oberösterreich zu schicken. Dieser Bitte wurde durch die Sendung Christoph von Dohnas entsprochen14.3.
Im Mai 1618 kam dank der Rührigkeit des Primas von Ungarn, des aus dem Jesuitenorden hervorgegangenen Peter Pázmány, auch die Erhebung Ferdinands zum König von Ungarn zustande.
Zwei Tage später brach die von Tschernembl erahnte Krise in Böhmen aus. Ebensowenig wie die Kapitulationsresolution in Österreich hatte der Majestätsbrief die Beschwerden der Evangelischen in Böhmen erledigt. Das Nebeneinander zweier Konfessionen war in der damaligen Zeit offenbar nicht möglich. Streitigkeiten brachen über den sogenannten Vergleich aus. Die Protestanten hatten auf kirchlichen Gütern, die sie als königliche ansahen, in Klostergrab und Braunau, Kirchen errichtet, dagegen hatten der Bischof von Prag und der Abt von Braunau Gegenmaßnahmen ergriffen. Beschwerden, die die Defensoren erhoben hatten, waren im Jahre 1616 von Matthias ungünstig erledigt worden. Im Jahre 1618 wurde das Verfahren wegen des evangelischen Kirchenbaues in Braunau wieder aufgenommen und die Beschwerde der Protestanten vom Kaiser abermals zurückgewiesen. Da beschloß unter der Führung des Grafen Matthias Thurn der evangelische Adel zu handeln. Etwa 100 Edelleute begaben sich auf die Prager Burg, um dem Statthalter die Antwort der Stände auf den kaiserlichen Bescheid mitzuteilen. In der erregten Wechselrede, die sich anschloß, kam es zu jenen Tätlichkeiten, die man als den zweiten Prager Fenstersturz bezeichnet (23. Mai 1618). Die beiden Statthalter Martinitz und Slawata wurden mit dem Schreiber Fabricius durch das Fenster in den Burggraben geworfen. Daß sie mit dem Leben davonkamen, war nicht unbedingt im Sinne der Gewalttäter. Diese Handlung war ein Akt des Aufruhrs, dem die [Seite 151] Einsetzung eines Direktoriums von 13 Männern an Stelle der königlichen Regierung folgte14.4.
Was sollte nun geschehen? Khlesl wollte verhandeln, aber die Aktionspartei trug unter Führung Ferdinands den Sieg davon. Es wurde beschlossen, die Rebellen mit Waffengewalt niederzuwerfen. Zu diesem Zwecke wurden Truppen geworben, aber auch die böhmischen Stände stellten ein Heer auf. Hatte doch Böhmen schon einmal einen Glaubenskrieg gewonnen. Durch seine Gefangennahme wurde Khlesl am 20. Juli 1618 von allen Geschäften entfernt.
Die Stände Böhmens traten alsbald mit den Glaubensgenossen in Nieder- und Oberösterreich in Verbindung. Sie baten, die Stände mögen keine feindlichen Maßnahmen gegen sie ergreifen, ihnen vielmehr Hilfe und Assistenz zukommen lassen. Es war die alte Konföderation, an die sie erinnerten14.5. Tschernembl selbst hatte sie seinerzeit errichten helfen. Er war durchaus gesonnen, ihr treu zu bleiben. Deshalb fand die Sendung eines kaiserlichen Abgeordneten mit der Bitte um Waffenhilfe und Einrichtung von Musterplätzen gegen die böhmischen Aufständischen in Linz nur eine sehr kühle Aufnahme. Die Aussicht, Truppen in ihrem Lande beherbergen zu müssen, war für die Stände immer das rote Tuch. Ihre ganze Aktivität ging daher darauf hinaus, einen friedlichen Ausgleich zu schaffen. Karl Jörgers Sendung nach Wien mit der Bitte um Einstellung der Einquartierung war erfolgreich. Starhemberg hatte sie mit der Überbringung von 20.000 fl. unterstützt. Wortführer für den friedlichen Ausgleich der Krone mit den böhmischen Aufständischen war vor allem Tschernembl. Er sah böse Folgen dieses Kampfes für das regierende Haus voraus. Aus dem Memorandum, das er ausarbeitete, spricht die Überzeugung, daß ein Krieg dem Kaiser oder seinem Nachfolger den Thron kosten, ja das ganze Haus Habsburg "depossedieren" werde.
Die Stände waren nicht nur nicht bereit, dem Kaiser zu helfen, sie rüsteten; zu ihrer eigenen Verteidigung, wie sie sagten, vielleicht aber auch, um an der Seite Böhmens in den Kampf einzugreifen. Diese Maßnahmen machten Oberösterreich außerordentlich "suspect". Die Haltung der Stände war regierungsfeindlich; ihre Verbindung mit den Böhmen wurde noch inniger, als sich diese im September mit der Bitte an die Oberösterreicher wandten, alle feindlichen Durchmärsche zu verhindern14.6. Im November 1618 versuchte Tschernembl, Zierotin für seine Sache zu gewinnen, aber Mähren schloß sich Böhmen nicht an.
Die niederösterreichischen Stände nahmen in diesen kritischen Tagen den Kampf um Abhilfe in ihren religiösen Beschwerden wieder auf14.7. Am 28. September 1618 erschien eine Deputation von 85 evangelischen Adeligen beim Kaiser. Endlich sollten sich nun die Katholiken zur Resolution von 1609 bekennen, was sie bisher unter der tatkräftigen Führung Khlesls stets abgelehnt hatten. Auch hier drohte eine [Seite 152] Konföderation mit den böhmischen Ständen. Im November rückte Matthias Thurn in Niederösterreich ein. Der erschreckte Kaiser ordnete Ausgleichsverhandlungen an. Am 9. März 1619 bewilligte er die Abstellung der evangelischen Beschwerden. Drei Wochen später starb er, ehe eine Entscheidung gefallen war.
Im Vergleich zu dem Kampfe, der nun mit seinem Nachfolger um die Huldigung entbrannte, war alles Vorhergehende Kinderspiel gewesen. Nun trat der Gegner auf den Plan, der in Innerösterreich schon gesiegt hatte. Hier aber traf Ferdinand auf härteren und entschlosseneren Widerstand. Ohne Bewilligung und Bestätigung unserer Freiheiten, wozu auch die religiöse Freiheit gehört, keine Huldigung, das war die Losung. Der erste Huldigungstermin war für den 25. März angesetzt. Er ging vorbei, ohne daß der Landesherr gegen den passiven Widerstand hätte ankämpfen können. Die protestantischen Stände zeigten keine Neigung zur Nachgiebigkeit. Ein Wort sei gesagt über die sogenannte "Sturmpetition" der evangelischen Stände in der Hofburg am 5. Juni 1619, über die nach so vielen entstellenden katholischen Darstellungen der evangelische Kirchenhistoriker Karl Völker das letzte Wort gesprochen hat, indem er nicht die von den katholischen Geschichtsschreibern verbreitete legendenhafte Ausschmückung der Bedrohung des Königs durch die Stände sprechen ließ, sondern die Quellen14.8. Eben damals hatten die Verhandlungen der katholischen mit den protestantischen Ständen zum Bruch zwischen beiden geführt. Deshalb waren Audienzen beider Gruppen beim Könige vorgesehen, der um des allgemeinen Wohles willen eine Versöhnung anstrebte, da der Feind vor Wien stand. Die Audienz der evangelischen Stände hat etwa eine Stunde gedauert und sich in ruhiger Weise abgespielt. Von einer Bedrohung des Herrschers konnte keine Rede sein. Wahr aber ist, daß zur Zeit, als die protestantischen Abgesandten beim König in der Burg weilten, Saint-Hilliersche Kürassiere den Burghof besetzten. Dies erleichterte die Lage des Herrschers, aber gesichert war sie keineswegs. Die Stände waren in keiner Weise eingeschüchtert, stand doch nach Überschreitung der Donau bei Fischamend Matthias Thurn bereits vor den Toren der Stadt. Sie verhinderten zwar selbst, daß er hereinkam14.9, dem Könige aber erklärten sie, daß sie von der Konföderation nicht weichen würden, und um den Böhmen näher zu sein, entwich eine große Zahl von ihnen Ende Juni 1619 nach Horn, nachdem Thurn abgezogen war.
In Oberösterreich kam es gar nicht zu einem Gespräche über die Huldigung, weil dort die Stände die Verwaltung des Landes selbst übernahmen. Eigenhändig hatte Tschernembl am 24. März das Tor des Linzer Schlosses geöffnet, um den Soldaten Gotthard Starhembergs den Weg zu bahnen. Dem auf sein Erbrecht pochenden Fürsten sprachen [Seite 153] sie das Recht der Herrschaft ab. Zum Landeshauptmann wählten sie Sigmund Ludwig von Polheim, den Vertreter jener Lehre, daß erst der Adel den Fürsten mache. Eifrig wurde mit den Böhmen verhandelt, aber auch mit den Freunden und Feinden im übrigen Deutschland, an die Gesandte abgeordnet wurden. Die Stände erkannten die Verzichtleistung des Erzherzogs Albrecht nicht an und schickten Weikhard von Polheim nach Brüssel. In diesem Sinne ging am 18. April 1619 ein Schreiben an Ferdinand ab14.10, an das sich ein Schriftenwechsel mit der Wiener Regierung anschloß. Diese parierte geschickt, schließlich aber erreichten es Ferdinands Ratgeber, daß dieser seinen größten Widersacher nach Wien einlud. Tschernembl ist dieser Einladung nicht gefolgt, sicherlich nicht, weil er meinte, daß man ihn in seiner Gesinnung wankend machen könne, eher weil er einen Anschlag auf sein Leben befürchtete. Für ihn war Ferdinand, der in Innerösterreich das evangelische Bekenntnis mit grausamen Mitteln ausgerottet hatte, der Tyrann, der in seinem Fanatismus vor nichts zurückschrecken würde. Nach Tschernembls Meinung gehörte dieser Fürst unschädlich gemacht. In seinem Brief vom 12. Mai versuchte er es noch mit guten Ratschlägen; darauf folgte seine große Eingabe vom 20. Mai14.11. In diesem Memorandum steht der bedeutsame, seiner Zeit weit vorauseilende Satz: "Es ist auch einem großen Monarch, der vil und große Königreiche und volkreiche Lande hat, unmüglich, ruhig und friedlich ohne diese indulgierung (nämlich der Religionsfreiheit) zu regieren." Der König solle seine ganze Kraft auf die friedliche Beilegung des Konfliktes verwenden, den Bruch vermeiden und eine Versöhnung herbeiführen; diese hätte nur auf der Grundlage der Anerkennung der Rechte der protestantischen Stände erfolgen können. Ferdinand hätte seine ganze Vergangenheit, ja gerade jenen Teil seines Wesens verleugnen müssen, der ihm die Ausrottung des protestantischen Bekenntnisses befahl. Die Gegensätze waren nicht nur religiöser, sondern auch politischer Art. Der Vertreter der Stände, der sich einen Exponenten des Volkswillens nannte, stand dem des absoluten Fürstenstaates gegenüber. Hier gab es keine Einigung. Im Juni 1619, als sich die oben geschilderten Ereignisse in der Hofburg abspielten, war Tschernembl in Wien; er muß Thurn getroffen haben und hatte eine Audienz beim König.
Der oberösterreichische Ständeführer stand damals auf dem Höhepunkte seiner Macht und seines Einflusses. Um wegen der Konföderation mit Böhmen und eines Darlehens zu verhandeln, ordneten die niederösterreichischen Stände Hans Ludwig von Kuefstein im Juni 1619 nach Linz ab14.12. Sie ließen sich von Tschernembl weitertreiben; auch die Lutheraner waren eines Sinnes mit den Calvinisten in der Auffassung, daß ein Regiment des katholischen Ferdinand untragbar sei. Doch wurde den Niederösterreichern keine Waffenunterstützung gewährt. Die Oberösterreicher aber befürworteten die Absicht, Wien wieder wie 1608 zu verlassen und sich in Horn zu treffen, was noch vor der [Seite 154] Rückkehr Kuefsteins am 1. Juli 1619 geschah. Von dort verhandelten die Stände weiter mit Ferdinand ; der auf den 5. Juli zum zweitenmal einberufene Huldigungslandtag war abermals verschoben worden, Ferdinand reiste zum Wahltag nach Augsburg und ließ seinen Bruder Erzherzog Leopold als Stellvertreter in Wien zurück. Tschernembl aber rüstete sich, den entscheidenden Schritt der Verbindung mit Böhmen zu tun, ehe noch die Wahl Ferdinands zum römischen König erfolgt war. Im Juli 1619 begab sich eine ständische Gesandtschaft nach Prag, die aus vier Herren bestand : Tschernembl, Hans Ortolf Geymann, Christoph Toppler aus Freistadt und dem Syndikus der Stände, Hieronymus Gienger. Es sollte mit den böhmischen Direktoren eine Besprechung zwecks gegenseitiger Hilfeleistung stattfinden. Die Oberösterreicher waren mit einer Generalvollmacht ausgestattet. Sehr bald war man in Prag mitten in den Beratungen über die einzelnen Vertragsartikel, die das Bündniswerk bilden sollten. Wichtig ist die religiös-sittliche Grundlage dieses Bündnisses, die für die Auffassung Tschernembls so bezeichnend ist. Hauptzweck der Konföderation ist die Verteidigung der evangelischen Religion; alle ihre Mitglieder sollen sich wie in einem Orden zusammenfinden und sich zur Führung eines wahrhaft christlichen Lebens miteinander verbinden. Sie sollen einen unschuldigen christlichen Wandel führen, vorsätzliche Sünden, Laster, öffentliches Ärgernis und Heuchelei, sie seien gleich zu Hof, im Krieg oder wo immer, meiden und verhüten. Es wird wohl selten vorkommen, daß ein politisches Bündnis solche Bestimmungen aufweist, die an die Verpflichtungen der Ordensmitglieder vom Goldenen Vließ erinnern. Auch das Kriegswesen soll im evangelischen Sinne umgestaltet werden. Lasterhafte Leute, sie seien welchen Standes auch immer, sollen wissentlich nicht befördert werden. Ihrem innersten Wesen nach waren die oberösterreichischen Ratschläge nicht auf Krieg ausgerichtet, sondern auf friedlichen Ausgleich. Das Wagnis des Krieges sei immer gefährlich, Gott könne Unheil über die Stände bringen, deshalb rate man zu christlichem Vergleiche und schlage als Ort der Verhandlung Iglau vor14.13. Manche Forderungen der Böhmen schwächten die Oberösterreicher ab. Ämter sollten nicht durchaus mit Evangelischen besetzt werden, sondern lediglich nach dem Gesichtspunkt der Tauglichkeit. Den König könne man nicht zwingen, auf die Bestimmung des Tridentinums, die Exceptio de fide haereticis non servanda, die in der böhmischen Konföderation enthalten sei, zu verzichten.
Am 31. Juli ist die Konföderation Böhmens mit den inkorporierten Ländern Mähren und Schlesien abgeschlossen worden14.14. Böhmen wurde zum Wahlkönigtum. Der König sank zu einer machtlosen Figur herab. Die ganze Staatsgewalt lag in den Händen der Stände oder, besser gesagt, der Defensoren. Es war eine Adelsrepublik geschaffen. Am 16. August wurde in Prag der Pakt Böhmens mit dem Land Österreich ob der Enns unterzeichnet. Einen Tag später wurde er durch einen reitenden Boten nach Linz gesandt, wo er bestätigt wurde. Der [Seite 155] Abschluß des Bündnisses wurde durch ein Tedeum im Landhause gefeiert. Die Prälaten hatten sich allerdings geweigert, die Konföderation durch ihre Unterschrift anzuerkennen. Gleich den oberösterreichischen schlossen die niederösterreichischen evangelischen Stände ihren Pakt mit den aufständischen Böhmen14.15. Damit hatten sie sich selbst zu Rebellen und Aufständischen gestempelt.
Die Konföderation war geschlossen worden, damit der König sie bestätige. Er hätte damit auch alle Majestätsbriefe, Privilegien, Konzessionen und Kapitulationen der früheren Zeit gewährleistet, besonders die, die das freie Exerzitium der evangelischen Religion betrafen. Bräche der Fürst durch seine Handlungen die Konföderation, so sollten die Untertanen ihrer Pflichten los und ledig sein. Automatisch erlischt die Gehorsamspflicht der Untertanen, wenn der Fürst seine Obliegenheiten verletzt, und das Recht des Widerstandes tritt in Kraft. Die Rechte des Landesfürsten wurden stark beschnitten, ohne Bewilligung der Länder konnte er keinen Krieg führen. Was in Böhmen die Defensoren, waren in Oberösterreich die Verordneten.
In Prag schritt man nach Absetzung Ferdinands am 19. August zur Wahl des neuen Königs Friedrich V. von der Pfalz (26. August 1619). Zwei Tage später wurde Ferdinand mit der Stimme eben dieses Pfälzers, der in Prag sein Gegenkönig geworden war, zum römischen Kaiser gewählt. Damit hatte er seine Stellung außerordentlich gefestigt und konnte nun in seinen Erbländern anders auftreten als früher. Den nötigen Rückhalt schuf er sich aber durch das Bündnis, das er auf der Rückreise nach Wien, am 8. Oktober 1619, in München mit dem Haupte der Liga, dem Herzog von Bayern, abschloß, das diesen zum unbeschränkten Befehlshaber über ein ligistisches Heer machte und ihm als Entgelt für seine Auslagen die Verpfändung eines österreichischen Landes in Aussicht stellte. Damit hatte der Bayernherzog den Kaiser in seiner Hand. Dessen Lage gestaltete sich kritisch dadurch, daß der Fürst von Siebenbürgen, Bethlen Gabor, mit einem Heer aus Ungarn heranzog. Am 14. Oktober fiel Preßburg in seine Hand. Bei ihm trafen sich die Führer der Opposition, Thurn, Hohenlohe und Tschernembl, und beschlossen den kombinierten Angriff auf Wien. Gotthard von Starhemberg war auf dem Wege nach Niederösterreich, er nahm Ybbs und Pöchlarn und drang bis Melk vor. Von dem kaiserlichen General Bouquoy gedrängt, mußte er sich aber wieder zurückziehen.
Tschernembl wäre dafür gewesen, daß Christian von Anhalt sich des Bistums Passau bemächtige. Im November 1619 tagte der Unionstag in Nürnberg. Hans Ludwig Kuefstein wurde von den Niederösterreichern dahin entsandt, aber Tschernembl war nicht anwesend, obwohl es außerordentlich wichtig gewesen wäre, der "Zerfahrenheit" der Union entgegen zu wirken14.16.
Ferdinand setzte seine Bemühungen, die Oberösterreicher sowohl wie die Niederösterreicher zur Huldigung zu bewegen, nach seiner [Seite 156] Rückkehr nach Wien fort. Die Oberösterreicher forderten zunächst die Zurückziehung der spanischen Truppen aus dem Bistume Passau. Trotz seiner ihnen durch Ferdinand kundgemachten Verzichtleistung erkannten sie immer noch Albrecht in Brüssel als rechtmäßigen Herrn an und beglückwünschten Ferdinand erst am 3. Dezember zur Kaiserwahl. Tschernembl versuchte noch einmal, zu einem Ausgleich zu gelangen. Die Lage des oberösterreichischen Landes verschlechterte sich; der Gegensatz der Lutheraner zu den Calvinisten wurde durch die damals erfolgte Reise Jakob Valentin Andreaes nach Linz deutlich. Die Horner sandten anfangs 1620 einen Ausschuß aus ihrer Mitte nach Wien, um sich mit dem Herrscher zu vergleichen; auch der Bund mit Ungarn wurde erneuert. Tschernembl reiste mit Ortolf Geymann und einem Gmundner Ratsbürger nach Prag, wo sich auch die Ungarn unter Thurzo zahlreich einfanden, so daß es dort im Jänner 1620 zu einem großen ständischen Konvent kam. Die Hoffnung der oberösterreichischen Stände richtete sich auf Anhalt, der das böhmische Generalat angenommen hatte. Aber alle Erwartungen, einen Frieden oder Waffenstillstand zu erlangen, scheiterten. Am 25. April 1620 wurde zwischen Böhmen, Ungarn und den beiden Österreich ein neuer Bundesvertrag geschlossen.
Der niederösterreichische Landtag war am 10. April 1620 eröffnet worden; nicht bloß Katholiken, auch Protestanten aus den Vierteln ober und unter dem Wienerwald hatten sich eingefunden. Paul Jakob Starhemberg forderte Aufschub der Beschlußfassung; die Horner hatten sich geweigert zu erscheinen. Am 28. Mai versprach eine kaiserliche Resolution, es bei der Religionsfreiheit, soviel sie vermög der Konzession im Gebrauch hätten, zu belassen; die Konföderation aber müsse aufgegeben werden. Das war der springende Punkt. Von nun an waren diejenigen Rebellen, die darein nicht willigen wollten14.17. Das Entscheidende war, daß die Radikalen es ablehnten, sich wieder mit Versprechungen hinhalten zu lassen, weil man sicher war, daß Ferdinand nach dem, was in Steiermark vorgegangen war, diese Versprechungen nicht halten, sondern leicht einen Vorwand finden würde, sie zu brechen. Sie wollten eine Vereinigung stabilieren, die "nicht so lüderlich möchte gebrochen werden"14.18. Zu den Radikalen, die an der böhmischen Konföderation festhielten und das Heil von den Waffen erwarteten, gehörte auch Hans Ludwig Kuefstein. Er machte, unentwegt hin und her reitend, den Vermittler zwischen den Ständen in Horn und dem Wiener Hofe.
Schließlich kam es zu einer Spaltung in der ständischen Oppositionspartei Niederösterreichs. Ein Teil entschloß sich zur Huldigung, die Ferdinand auf den 13. Juli 1620 festlegte, nachdem er am 11. Juli erklärt hatte, daß er die Adeligen bei jenem Religionsexerzitium ungestört belassen wolle, das sie unter Matthias genossen hätten. Dieser Zusage ist die Sonderstellung des niederösterreichischen Adels im westfälischen Friedensinstrument zu verdanken. Darauf erschienen 39 protestantische Herren und 47 Ritter zur Huldigung neben 19 Prälaten, 32 katholischen [Seite 157] Herren und 30 Rittern. 150 protestantische Herren blieben fern14.19. Sie hatten ihren Sitz nach Retz verlegt. Die Nichterschienenen erhielten eine Gnadenfrist zugemessen; unter dem Einflusse Tschernembls schworen die Radikalen Friedrich von der Pfalz Treue14.20. Das letztemal war Kuefstein im Juli zu Hofe geritten, eben als sich die Spaltung vollzog, mit Schriften der Horner an den Kaiser und den Geheimen Rat. Da diese als zu scharf und unbotmäßig empfunden wurden, wurde Kuefstein von Ferdinand aus der Stadt gewiesen14.21. Auf Fürsprache der Stände konnte er ein paar Tage länger bleiben und war Zeuge der von den Katholischen und einem Teil der Evangelischen vollzogenen Huldigung am 13. Juli 1620. Er wurde noch einmal am 19. Juli vom Kaiser empfangen und reiste dann nach Horn zurück.
In Retz waren 59 evangelische Adelige versammelt. Sie erhielten Botschaft von Bethlen Gabor, daß dieser zum Frieden mit dem Kaiser bereit sei, wenn alle Konföderierten eingeschlossen wären. Dies schien nach der Spaltung und seit dem Huldigungstag nicht mehr wahrscheinlich. Die Horner Konföderierten sicherten sich in einem Eide gegenseitig Treue zu, aber einige Adelige, vier an der Zahl, darunter Hans Ludwig Kuefstein und sein Bruder, schworen nicht. Hans Lorenz starb als Protestant, aber Hans Ludwig machte seinen Frieden mit dem Kaiser, trat 1627 zum Katholizismus über und wurde 1630 Landeshauptmann von Oberösterreich.
Das erste Achtungsdekret vom 12. September 1620, die erste Rebellenproklamation, umfaßte 31 Namen, darunter die von Heinrich Matthias Thurn, Georg Andreas Hofkirchen und Ludwig Starhemberg14.22. Am 14. Oktober erschien das zweite Ächtungsdekret, das 36 weitere Namen enthielt, darunter waren vier Puchheim, zwei Herberstein, zwei Jörger. Mancher hatte sich nach Verweigerung der Huldigung mit dem Herrscher versöhnt. Der Hofkammer erwuchs aus diesen Verfügungen die Aufgabe, die Güter der Rebellen einzuziehen. Dies war ein langwieriges und mühsames Geschäft, das von den dazu eingesetzten Kommissaren oft nicht mit dem größten Eifer betrieben wurde. Es war ja das gesamte Eigentum der Geächteten, nicht nur der Grundbesitz aufzunehmen; es lag im Interesse des Hofes, die Güter zu verkaufen, um aus dem Erlös die Mittel zur Fortsetzung des Krieges zu gewinnen. Aber die Hoffnungen auf die Erzielung eines namhaften Gewinnes erfüllten sich nicht, denn da sich wenig Käufer fanden, wurde das Land oft zu Schleuderpreisen verkauft. Manche Güter waren auch schwer verschuldet.
Teilweise Konfiskation ihres Vermögens wurde auch über Wiener Bürger verhängt, die nachweislich mit dem Grafen Thurn oder mit den ungarischen Ständen in Preßburg in Verbindung gestanden hatten. Diese [Seite 158] Vermögensbeschlagnahme brachte mehr als 100.000 fl. ein14.23. Die einschneidenden Maßnahmen führten vielfach zu Besitzwechsel und zu einer Umschichtung der Bürgerschaft der Residenzstadt. Vielfach erwarben Hofbedienstete den Besitz. Durch das Mandat vom 14. September 1627 wurde die Ausweisung aller Prediger aus Stadt und Land verfügt14.24, der Kirche war der Lebensquell der Verkündung des Gotteswortes entzogen.
Wir kehren nach Oberösterreich zurück. Noch im März 1620 verhandelten die Stände mit der Regierung über die Huldigung. Erasmus Starhemberg reiste an der Spitze einer Gesandtschaft nach Wien14.25. In der Instruktion, die ihm mitgegeben wurde, tritt das Prinzip des wechselseitigen Vertragsverhältnisses sehr klar zutage. Der Fürst gelobt bei Abschluß des Vertrages, nämlich bei der Huldigung, Schutz und Treue, die Stände Gehorsam. Ferdinand war nicht gesonnen nachzugeben. Er schrieb für Oberösterreich einen Huldigungstag auf den 9. Juli aus, die Stände verweigerten die Publikation, aber ihre Hoffnungen auf Hilfe von Bethlen Gabor oder der Union sollten schmählich zuschanden werden. Denn diese ließ die Glaubensbrüder im Südosten des Reiches im Stiche. Auf dem Unionstag in Ulm gelang es dem Herzog Maximilian von Bayern, am 3. Juli 1620 zwischen der katholischen Liga und der evangelischen Union einen Neutralitätsvertrag zustande zu bringen, der dem Bayernherzog für seine Aktion gegen Österreich und Böhmen den Rücken deckte14.26. Am 30. Juni 1620 hatte ihn der Kaiser mit der Niederwerfung des Aufstandes in Oberösterreich betraut; dieses Land war das erste Pfand, das dem Ligaführer zum Opfer fallen sollte.
Überraschend schnell rückten bayrische Truppen unter Tillys Führung im Lande ein, die Stände konnten keinen Widerstand entgegensetzen, der der Bauern bei Haag wurde schnell zerschlagen. Am 4. August zog der Bayernherzog auf dem Schlosse zu Linz ein. Am 20. August, ein Jahr, nachdem die Konföderation mit Böhmen geschlossen worden war, erzwang der Herzog die Auslieferung der Urkunde und die Huldigung der Stände. 2 Prälaten, 20 Herren und 15 Ritter fehlten, darunter Tschernembl, der in Retz bei den frondierenden Ständen Niederösterreichs weilte. Von Retz begab sich Tschernembl nach Prag. Noch war nicht alles verloren, wenn sich Böhmen halten konnte. Er setzte seine ganze Energie ein, um der protestantischen Sache zum Siege zu verhelfen. Er wurde Präsident des Kriegsrates. Friedrich V. von der Pfalz blieb aber isoliert, während es Ferdinand II. gelungen war, außerdeutsche Hilfe von seinen katholischen Freunden zu erlangen. Der Papst zahlte Subsidien, Philipp III. von Spanien versprach Hilfe. Der einzige Bethlen Gabor war der Bundesgenosse des Winterkönigs, aber der Siebenbürger hatte zu Beginn des Jahres 1620 einen Waffenstillstand mit dem Kaiser geschlossen. Auch war Friedrich V. nicht die Persönlichkeit, die die große Stunde forderte. Er war kein Führer, genußsüchtig, kleinlich und feige. Das Kommando seiner Armee führte [Seite 159] Christian von Anhalt. Das ligistische Heer rückte in Böhmen ein. Am 8. November 1620 erfüllte sich das Geschick des böhmischen und des österreichischen Protestantismus : In der Schlacht am Weißen Berge bei Prag unterlagen die böhmischen Truppen, und da Friedrich V. sofort aufgab und nach Schlesien floh, war auch seine Sache verloren.
In Böhmen wie in den österreichischen Ländern setzte unbarmherzig die Reaktion gegen die Adelsherrschaft und den Protestantismus ein. 27 der vornehmsten Adeligen, deren man hatte habhaft werden können, und drei Prager Bürger wurden am 21. Juni 1621 auf dem Altstädter Ring hingerichtet14.27. Karl von Liechtenstein, der erste Fürst seines Hauses, wurde Statthalter. Hunderte Adelige waren geflohen. Ihre Güter wurden beschlagnahmt; aber man zog hier ebensowenig Gewinn aus der Beschlagnahme wie in Österreich, denn der freigebige Kaiser verschenkte viel an seine Getreuen, eben den Statthalter Liechtenstein und an den ersten Mann in seinem Rate, Ulrich von Eggenberg. Auch Albrecht von Wallenstein hat damals eine große Herrschaft aus Rebellengütern billig zusammengekauft. Der tschechische Adel mußte dem deutschen weichen. Die katholische Reaktion war vollständig. Unmittelbar nach der Schlacht bei Prag kehrte die katholische Geistlichkeit zurück, aber nur die Spitzen der Hierarchie waren vorhanden, es fehlte an allem übrigen. Vom 13. Dezember 1621 datiert das Patent, daß alle Geistlichen, die die Proklamation der Regierung nach vollbrachtem Fenstersturz von den Kanzeln verlesen und an dem Akte der Krönung des Pfalzgrafen teilgenommen hatten, binnen drei Tagen aus Prag und binnen acht Tagen aus dem Lande verwies. Die Vertreibung der lutherischen Geistlichkeit wurde aus Rücksicht auf den Kurfürsten von Sachsen bis zum Herbst 1622 aufgeschoben14.28. Aber auch der Utraquismus sollte vollständig ausgerottet werden. Das bedeutete Verbot und Abschaffung der Laienkirche. Die hutterischen Brüder mußten aus Mähren nach Ungarn auswandern. Den Majestätsbrief hat Ferdinand mit eigener Hand zerschnitten, die Freiheiten des Adels wurden beseitigt, in der "Verneuerten Landesordnung" wurde Böhmen zum Erbreich im Mannesstamme der Habsburger erklärt. An Stelle des das Land im Vereine mit dem Fürsten regierenden Adels trat der Hofadel, der dem Herrscher in allem zu willen sein mußte, weil er von seinen Gnaden lebte. In den folgenden Jahren des großen Krieges hat Böhmen mehr gelitten als irgendein anderes habsburgisches Land. Seine Bevölkerung soll auf ein Fünftel ihres Bestandes zusammengeschmolzen sein: von 4,000.000 Einwohnern auf 800.000.
Tschernembl selbst wurde ein heimatloser Flüchtling, der zunächst in die Pfalz floh, und als diese von den spanischen Truppen Spinolas besetzt wurde, in die Stadt seiner geistigen Heimat, nach Genf ging, wo man ihm ehrenvolles Asyl bot. Sein schriftlicher Nachlaß fiel in der Pfalz den Gegnern in die Hände. Ein Teil davon wurde publizistisch ausgewertet. Das sind die für die politische und religiöse Gedankenwelt Tschernembls so bedeutsamen "Consultationes", die 1624 veröffentlicht [Seite 160] wurden14.29. Ihr Verfasser starb am 18. November 1626 in der Stadt Calvins.
In Oberösterreich machte ein kaiserliches Patent vom 6. März 1621 bekannt, daß das Land pfandweise dem Bayernherzog überlassen werde. Damit beginnt eine Periode der Besetzung und der damit verbundenen schmerzlichen Erfahrungen für das Land, dessen Stände einerseits immer wieder mit dem Bayernherzog verhandeln mußten, andererseits aber mit dem Kaiser in Verbindung standen, um dessen endgültige Verzeihung zu erlangen. Am 20. März wurden in Linz einige Adelige und Landschaftsbeamte festgenommen, darunter auch Erasmus von Starhemberg; Helmhard IX. Jörger traf am 21. Juni 1621 dasselbe Schicksal in Wien. Sie wurden etliche Jahre in Haft gehalten, später begnadigt und bekamen auch einen Teil ihrer Güter zurück14.30. Von Wien drohte dem Lande die Einsetzung einer Kommission und die Verhängung scharfer Strafmaßnahmen, die die Stände um jeden Preis verhindern wollten. Sie bedienten sich der Vermittlung des Obersthofmeisters Ferdinand II., des Fürsten von Eggenberg. Ohne auf diese Verhandlungen Rücksicht zu nehmen, verfügte der Kaiser durch sein scharfes Mandat vom 4. Oktober 1624 die Abschaffung aller Prädikanten aus dem Lande14.31. Verzweifelt kämpften Adelige und Bürger mit der Berufung auf früher erteilte Privilegien um Erhaltung ihrer Religion. Nichts vermochte bei Ferdinand zu verfangen; er forderte am 6. Februar 1625 bedingungslose Unterwerfung. Diese Resolution kam den ständischen Abgesandten in Wien "beschwerlich und schmerzlich" vor14.32. Noch hofften sie auf Änderung dieser schwerwiegenden Entscheidung und "Erzeigung mehrerer Milde und Gnade". Aber die sogenannte Pardonierungsresolution vom 27. Februar 1625 enthielt keine Milderung und in weiteren langwierigen Verhandlungen konnte nur eine Ermäßigung des Strafgeldes von 1,000.000 fl. auf 600.000 fl. erreicht werden. Die Religion war nicht zu retten, weder für den Adel noch für das Bürgertum. Die Abwanderung setzte ein. Regensburg wurde für viele Österreicher Durchzugsort oder dauernde Zufluchtsstätte. Andere begaben sich nach Ödenburg, denn in Ungarn lagen die Dinge doch wesentlich anders.
Die für die evangelische Sache so hoffnungsvoll erscheinende Erhebung Gabor Bethlens war infolge der Schlacht am Weißen Berge in sich zusammengebrochen und 1621 mußte der Fürst von Siebenbürgen in Nikolsburg Frieden mit dem Kaiser schließen. Im Friedensvertrage wurde den Protestanten die Religionsfreiheit zugesichert. Dasselbe [Seite 161] geschah im Frieden von Linz, den der mit den Schweden verbündete Georg I. Rakoczy mit Ferdinand III. 1645 schloß. Durch die Tatkraft und das Geschick des Graner Erzbischofs Peter Pázmány (1570-1637) wurden die Adelskreise weitgehend dem katholischen Bekenntnis zurückgewonnen; es gelang ihm, dreißig Magnatenfamilien, darunter die Esterházy und die Bocskay, wieder katholisch zu machen, die nun auf ihren Gütern rücksichtslos die Gegenreformation durchführten, aber in Städten und Märkten konnte sich unter dem Schutze der genannten Friedensschlüsse evangelisches Leben erhalten und bis in die Zeit Leopolds I. blühend entfalten.
In Ödenburg können wir Angehörige von 45 österreichischen evangelischen Adelsfamilien nachweisen14.33; auch Anna Maria von Eggenberg, eine geborene Markgräfin von Brandenburg-Bayreuth, die ihr evangelisches Glaubensbekenntnis beibehalten hatte und nach dem Tode ihres Gemahls, des Reichsfürsten Johann Anton Ulrich zu Eggenberg, in Graz lebte, übersiedelte 1671 nach Ödenburg, 1679 nach Rust14.34.
Im Jahre 1647 hatten sich die Ruster aus dem benachbarten Mörbisch den Pfarrer geholt, Johann Pfister, gebürtig aus Ödenburg. Unter diesem "sehr agilen, tüchtigen und begabten Pfarrer" wurde an den Bau der Kirche geschritten, die am 9. Juli 1651 feierlich eingeweiht wurde14.35. Auch für die Schule und ihre Lehrer sorgten die Ruster aufs beste. Die treibende Kraft dieses evangelischen Lebens war wie in so vielen anderen Gemeinwesen unseres Landes ein Laie, der Marktrichter Leopold Natl, der in der Kirche bestattet wurde und dessen sich die Gemeinderäte anläßlich der Erhebung des Marktes zur Stadt 1681 noch lobend und dankbar erinnerten14.36.
Mittlerweile hatte freilich die Unterdrückung des evangelischen Glaubens, wie sie unter Leopold I. nach Aufdeckung der Adelsverschwörung 1669 überall in Ungarn in Schwung kam, auch in Rust durchgegriffen, und traurigen Herzens mußten die Bürger ihre mit so großen Opfern erbaute geliebte Kirche am 5. Februar 1674 dem Erzbischof von Raab, Georg Széchenyi, zur Einrichtung des katholischen Gottesdienstes übergeben14.37. Dennoch hat sich durch Privatgottesdienst und Verbindung mit dem evangelischen Leben in Ödenburg der Glaube der Väter erhalten und 1783 ist Rust als Toleranzgemeinde wieder erstanden.
Mit dem uneingeschränkten Siege Ferdinands über seine rebellischen Untertanen hätte der Krieg zu Ende sein können. Aber nun suchte die katholische Partei, den Sieg auszunützen, und es war vor allem eine ausländische Macht, die als stärkste Stütze des Katholizismus und [Seite 162] erbgesessener Thronanwärter in Deutschland ihre Stellung in Mittel- und Westeuropa ein für allemal sichern wollte : das war Spanien. Man kann die Geschichte dieses Krieges, die Maßnahmen der deutschen Habsburger nicht verstehen, wenn man nicht ihre Abhängigkeit von ihren spanischen Verwandten in Betracht zieht, denen sie in finanzieller Hinsicht hervorragend verpflichtet waren14.38. Am 27. August 1620 hatte der spanische General Ambrosio Spinola den Rhein bei Koblenz in Richtung auf Frankfurt überschritten und alle Orte von Offenheim bis Trarbach besetzt. Einen Monat später überschickte der Kaiser dem Erzherzog Albrecht, dem Gemahl der Infantin Klara Isabella Eugenia und Statthalter der spanischen Niederlande, in zweifacher Ausfertigung die Achterklärung gegen den Pfälzer, die das spanische Vorgehen am Rhein rechtfertigen sollte. Dem Erzherzog Albrecht und dem Herzog von Bayern wurde die Durchführung der Acht übertragen, deren feierliche Erklärung im Jänner 1621 erfolgte. Der besiegte Winterkönig und Pfalzgraf flüchtete in die Niederlande und verzichtete auf die Verteidigung selbst seines eigenen Landes, der Pfalz. Aber auch die Union stand davon ab und löste sich praktisch auf; nur einzelne protestantische Führer kämpften für Friedrich weiter, vor allem der fähige Graf Ernst von Mansfeld. Der Protestantismus im Reiche war auf einem Tiefpunkt angelangt. Die Pfalz war von einer fremden Macht besetzt, Spanien hatte sich nicht nur als Geldgeber, sondern auch mit militärischer Kraft in den Krieg eingeschaltet. Die Besetzung der Pfalz durch spanische Truppen wurde vom Bayernherzog mit scheelem Blick betrachtet, dem der Kaiser, der ihm zu großem Dank verpflichtet und damals schon mit über 3,000.000 fl. verschuldet war, die Übertragung der Kurwürde und die Oberpfalz in Aussicht stellte. Die spanische Regierung bewilligte dem Kaiser zur Führung des Krieges 1,000.000 Dukaten; sie belud sich kurz darauf mit einer furchtbaren Last, die das Mark aus den Knochen des spanischen Landes ziehen sollte.
Am 31. März 1621 starb Philipp III. und Nachfolger wurde sein gänzlich unerfahrener, den Regierungsgeschäften abholder, aber den Vergnügungen um so mehr hingegebener Sohn Philipp IV., der ganz in den Händen seines ersten Ministers, des Conde-Duque Olivares war. Dieser fand, daß die katholische Partei so mächtig war, daß sie sich den Schimpf einer Anerkennung des neuen niederländischen Staates nicht gefallen lassen mußte. Er erneuerte deshalb den Waffenstillstand nicht, sondern eröffnete den Krieg gegen die Generalstaaten. War doch die Pfalz im Besitze Spaniens, das somit seine Stellung in Deutschland bedeutend gefestigt und auch eine Verbindung der vorderösterreichischen Gebiete im Elsaß mit den südlichen Niederlanden hergestellt hatte. Olivares hoffte, England auf seine Seite ziehen zu können, denn der Prinz von Wales, der spätere Karl I., war nicht abgeneigt, eine spanische Infantin zu heiraten. Dann wäre die Pfalz gegen entsprechende Sicherungen vielleicht den Enkeln Jakobs I. zurückgestellt worden. Deshalb erhob der spanische Botschafter Graf Opiate auf dem Kurfürstentage [Seite 163] zu Regensburg 1623 Protest, als die feierliche Übertragung der Kurwürde auf Maximilian von Bayern erfolgte. Tatsächlich waren die Spanier, und nicht der Bayernherzog, Herren der Pfalz. Eine fremde Macht hatte auf deutsches Gebiet übergegriffen, sich in die deutschen Wirren eingemengt, und dies war eine der Ursachen, die den Krieg nicht zum Erlöschen kommen ließen.
Durch die Übertragung der Kurwürde eines evangelischen Fürsten auf einen katholischen ward die Macht dieser Partei bedeutend gesteigert. Sie erklomm in diesen Jahren den Höhepunkt ihrer Entwicklung, in denen ein Sieg der katholischen Sache auch in Deutschland in unmittelbare Nähe gerückt schien. Wichtig dafür wäre die Rückführung auch Norddeutschlands zum Katholizismus gewesen. Diesem Vorhaben aber wurde ein Riegel vorgeschoben. Nicht nur katholische, sondern auch protestantische Mächte maßen in diesem Kriege in Deutschland ihre Kräfte. Um sich gegen die drohende kaiserlich-ligistische Macht zu schützen, die in Gestalt eines Tillyschen Heeres in Norddeutschland stand, wählten die niedersächsischen Stände Christian IV. von Dänemark, den Herzog von Holstein, zum Kreisobersten. England schloß mit den Generalstaaten ein Bündnis zur Unterstützung des Dänenkönigs. Die zweite Phase des Krieges begann: der Niedersächsisch-Dänische Krieg. Sie erhält ihre charakteristische Note dadurch, daß auch der Kaiser ein eigenes Heer aufstellte unter dem Manne, dessen Name durch seinen Charakter, seine Taten und sein Schicksal unsterblich geworden ist: Albrecht von Wallenstein.
Wallenstein und Tilly erfochten für den Kaiser gegen Ernst von Mansfeld und den Dänenkönig entscheidende Siege: Wallenstein schlug Mansfeld im Frühjahr 1626 an der Dessauer Elbebrücke, Tilly den Dänenkönig im Sommer desselben Jahres bei Lutter am Barenberge. Die großartigen maritimen Pläne Wallensteins sollten dem Kaiser auch das Übergewicht an der Ostsee sichern.
Auf dem Hintergrunde dieser weltbewegenden Ereignisse spielten sich in unserem österreichischen Vaterlande nicht minder schwerwiegende Vorgänge ab. Der Krieg, den Bethlen Gabor 1626 gegen den Kaiser begann, endete noch im selben Jahre mit einem Friedensschluß. Wichtiger und unser Mitgefühl aufs tiefste erregend war der dritte Tauernkrieg in Oberösterreich unter der Führung Stefan Fattingers14.39.
In dem unter bayrischer Pfandherrschaft stehenden Lande gingen die ersten gegenreformatorischen Maßnahmen auf Befehl des Bayernherzogs von dessen Statthalter Adam von Herberstorf aus. Dieser war ein emigrierter protestantischer Adeliger aus der Steiermark, der in Pfalz-Neuburg, wo Pfalzgraf Wolfgang Wilhelm aus Anlaß des jülich-cleve'schen Erbfolgestreites zum Katholizismus übergetreten war, von den Jesuiten 1616 bekehrt wurde. Er selbst griff freilich in religiöser Hinsicht nicht entscheidend durch; schwerwiegender war, daß seine Truppen das Land bedrückten und auch der Kaiser zur Werbung von Soldaten Musterplätze im Lande aufschlagen ließ. Dies bedeutete eine [Seite 164] schwere Last, da die Söldner bis zum Abmarsche verpflegt werden mußten, was nun nicht mehr mit Bewilligung der machtlos gewordenen Stände, sondern auf Befehl des Fürsten ohne Widerstand zu geschehen hatte. 4500 Soldaten standen im Land.
Entscheidend war, daß der Kaiser, dem die Rekatholisierung des Landes viel zu langsam vor sich ging, am 30. August und am 4. Oktober 1624 die Mandate erließ, kraft deren alle protestantischen Prediger das Land binnen acht Tagen zu räumen hatten14.40. Schon im Februar war eine Religionsreformationskommission mit Herberstorff an der Spitze eingesetzt worden14.41. Die Landschaftsschule in Linz wurde noch 1624 geschlossen. Mit den Städten wurde auch hier der Anfang gemacht. Zuerst kam 1625 Steyr an die Reihe, wo es vor 5 Jahren nur 16 katholische Bürger gegeben hatte14.42. Die Verkündigung des Reformationspatentes vom 4. Oktober 1624 fand in Gegenwart der kaiserlichen und kurfürstlichen Kommissare in Begleitung von 50 Musketieren statt und am 9. Oktober erschien die Reformationskommission14.43. Alle Bürger, so hieß es, müßten den Gottesdienst in der Pfarrkirche besuchen oder auswandern. Als erste hatten die Prediger zu weichen. Die Abgaben der Auswandernden waren hoch, bei reichen Bürgern betrugen sie bis zur Hälfte des Vermögens14.44; auch Zwangseinquartierung wurde in die Häuser gelegt. Der Abzug der unkatholischen Bürger aus Steyr schädigte die Stadt schwer14.45; das Eisengeschäft kam zum Erliegen. Der letzte evangelische Bürgermeister der Stadt, Joachim Händl, wanderte nach Ödenburg aus.
In Freistadt hatte die Abbröckelung der Bevölkerung schon zu Beginn des Jahrhunderts eingesetzt. Die beiden Pfarrer Johannes Erhard und Johannes Haltmair verließen im Oktober 1624 die Stadt14.46. Das Schwierige war hier wie anderswo, die richtigen katholischen Pfarrer zu finden, die sich der schweren Aufgabe unterzogen, eine völlig evangelische Bevölkerung zu einer ihr von Kindheit an verhaßten Religion zu bekehren. Die katholische Kirche verfügte über zu wenig deutsche Pfarrer. Erzherzog Leopold, der Bischof von Passau, der Tirol verwaltete, schickte aus Südtirol italienische Priester, "welische, ungeschickte undt ärgerliche Geistliche", wie sie Herberstorff selbst bezeichnete14.47; dies vereinfachte die Lage nicht.
So kam es schon im Jänner 1625 zu einem Aufruhr der Bauern von Natternbach gegen einen welschen Priester, den ihnen der ebenfalls italienische Dechant von Linz aufdrängen wollte. Der Statthalter [Seite 165] verhaftete fünf Rädelsführer, ließ sie aber wieder auf freien Fuß setzen. Das war das Vorspiel zu dem Blutgerichte auf dem Haushammerfeld, das auch als Würfelspiel von Frankenburg bekannt ist.
In Frankenburg, das damals noch Zwiespalten hieß, wurde ein katholischer Pfarrer eingesetzt. Richter, Rat und die Vorsteher der Zünfte kamen am 11. Mai nicht in die Kirche, sondern blieben draußen stehen. Um sie sammelte sich bald eine Schar von bewaffneten Bauern, die es auf den katholisch gewordenen Pfleger des Khevenhüllerschen Schlosses abgesehen hatten, der drinnen bei der Messe war. Sie wollten ihn töten, er entkam aber ins Schloß, das die Menge nun belagerte. Sofort erging die "Ansage" durch das Hausruckviertel und den Attergau und eine Menge von 5000 Männern sammelte sich bald um das Schloß. Der Statthalter zog Truppen zusammen und befahl den Bauern auseinanderzugehen. Dies geschah. Am 14. Mai erschien Herberstorff in Frankenburg und ließ die gesamte männliche Bevölkerung der Umgebung zusammentrommeln. Gegen 6000 Männer stellten sich waffenlos ein. Er ließ sie gemeindeweise antreten. Dann sonderte er die Richter und Vorsteher der Gemeinden und die der Zünfte von den anderen ab und erklärte, sie müßten nun statt der entwichenen Rädelsführer büßen. Es waren 38 Männer, die, wie er sagte, alle gehängt zu werden verdienten. Er wolle aber Gnade üben und jeden zweiten freigehen lassen. Unter der Linde des Haushammerfeldes mußten die Männer je zu zweit um ihr Leben würfeln. Es war ein grausames Spiel; zwei von denen, die das Todeslos traf, wurden begnadigt, 17 wurden gehängt, vier an der Haushammer Linde, die anderen an den Kirchtürmen ihrer Dörfer und drei Tage später wurden die Köpfe zum schaurigen Exempel an den Straßen auf Spießen aufgepflanzt. Das ist das blutige Würfelspiel auf dem Haushammerfeld, dessen jetzt alljährlich durch Aufführung eines Spieles gedacht wird. Ein Gedenkstein erinnert an die Opfer14.48.
Diese verbrecherische Tat hat Herberstorff im ganzen Lande verhaßt gemacht. Aber unbeirrt und unbelehrbar schritt Ferdinand, der sah, daß bisher wenig ausgerichtet war, auf dem Wege der Rekatholisierung fort. Von der Steiermark her gewohnt, jedes Jahr ein Reformationspatent zu veröffentlichen, erließ er am 10. Oktober 1625 ein neues Patent14.49, das neun Punkte umfaßte: Abschaffung aller Prädikanten und unkatholischen Schulmeister, Verbot der Abhaltung von Konventikeln mit heimlichen Predigern, Bibel- oder Postillenlesen und des Besuches evangelischen Gottesdienstes im Auslande; bei Strafe habe jeder dem katholischen Gottesdienst an Sonn- und Feiertagen vom Anfang bis zum Ende beizuwohnen und die Fasttage zu halten, auch haben sich die Zünfte an der Fronleichnamsprozession zu beteiligen; Kinder, die in unkatlholischen Orten erzogen werden, müssen zur Anzeige gebracht werden. Die Frist zum Übertritt laufe bis Ostern 1626, zu dieser Zeit habe jeder Dechant ein Verzeichnis seiner Beichtkinder vorzulegen. Nur der alte Adel, dessen Voreltern seit 50 Jahren Ständemitglieder gewesen [Seite 166] seien, dürfe bei der Augsburgischen Konfession verbleiben. Die Beamten der Landschaft müssen binnen einem halben Jahre katholisch werden; unkatholische Bücher sind binnen Monatsfrist abzuliefern. Den Bürgern wurden die Bücher weggenommen. Die Adeligen mußten Listen anlegen. Auch Keplers Bücherei in Linz wurde versiegelt14.50. Jene, die nicht übertreten wollten, mußten das Land nach einer Vermögensaufstellung und Zahlung des zehnten Pfennigs, verlassen. Zum Verkauf der Güter wurde auf Bitte des Adels eine Frist von zwei Jahren gewährt.
Der Erfolg dieser Maßnahmen war gering: Zwei Adelige traten über, Georg Achaz von Losenstein und Erasmus von Rödern, aber die Pfarrgemeinde Peuerbach war so mutig, um Belassung der Augsburgischen Religionsausübung zu bitten. Deshalb wurde nach Ostern 1626 die Einquartierung von Soldaten als Zwangsmittel angewandt; dies war eine gefürchtete Maßnahme, aber im Vollgefühle seiner Siege glaubte Kaiser Ferdinand, sich ein strenges und unnachsichtiges Vorgehen leisten zu können.
Herberstorff war dabei nicht ganz wohl zumute; drei Tage nach Ostern 1626 beschloß er, die Bauern und Bürger zu entwaffnen. Er hatte das richtige Gefühl, daß sich Schlimmes vorbereite. Die Bauernverschwörung richtete sich vor allem gegen die bayrische Besatzungsmacht. Der Aufstand brach im Mühlviertel infolge eines Streites der Bauern von Lembach mit bayrischen Soldaten aus, die Führer saßen aber im Hausruckviertel, es waren Stefan Fattinger (oft auch Fadinger) aus Parz bei St. Agatha und sein Schwager Christoph Zeller aus St. Agatha selbst. Am 18. Mai 1626 ging das Aufgebot durchs Land und wenige Tage später besetzten die Bauern Waizenkirchen, plünderten die Schlösser Gallspach und Tratteneck und marschierten gegen Peuerbach, das von bayrischen Soldaten besetzt war. Sie legten Feuer an den Ort und nahmen die Soldaten in ihren Dienst. Hier trat ihnen der Statthalter entgegen, erlitt aber eine blutige Niederlage. Die Bauern wählten Stefan Fattinger zu ihrem Hauptmann im Hausruck- und Traunviertel, während Christoph Zeller im Mühl- und Machlandviertel kommandieren sollte. Das ganze Land wurde aufgeboten, um die Bayern zu vertreiben. Vom Kaiser hoffte man, daß er den Zustand vor 1620 wiederherstellen werde.
Herberstorff hatte begründete Angst, in die Hände der Bauern zu fallen; als Flüchtling erreichte er Linz, wo er fieberhaft an den Befestigungen der Stadt arbeiten ließ; andererseits suchte er die ständischen Verordneten zu bestimmen, mit den Aufständischen zu verhandeln. Zeller hatte bald das ganze Mühlviertel unter seine Gewalt gebracht. Das Kloster Schlägl wurde geplündert. Fattinger besetzte Aschach und Eferding, verjagte die Franziskaner aus Pupping und lag am 24. Mai vor Wels, das er besetzte. Ebenso erging es Vöcklabruck, Gmunden und Ebensee; Schloß Orth, das dem Statthalter gehörte, wurde niedergebrannt. Kremsmünster und Steyr mußten den Bauern die Tore öffnen.
Durch die Stände knüpfte Herberstorff Verhandlungen an, indem er den Bauern versprach, sich beim Kaiser für die Einstellung der [Seite 167] Gegenreformation zu verwenden. Die Stände ernannten zu Kommissaren: Leopold, Propst zu St. Florian, Helmhard Jörger, Niklas Sigmar, Christof Anschober14.51. Die Bauern glaubten, daß nur Bayern an den Gewaltmaßnahmen schuld sei und daß sie beim Kaiser Gehör finden würden. Das war eine arge Täuschung. In ihren auf Herberstorffs Anraten überreichten Forderungen stand die Freistellung der Religion an erster Stelle. In seiner Unsicherheit und Angst fand es der Statthalter geraten, das Verlangen der Bauern nach einem evangelischen Prediger zu erfüllen und veranlaßte, daß Andreas Geyer von Ennsdorf in Niederösterreich ins Bauernlager nach Steyr kam. In Steyr machten der Stadtrichter Wolf Madlseder und der Advokat Dr. Lazarus Holzmüller gemeinsame Sache mit den Bauern. Am 8. Juni lagen die Bauern vor Ebelsberg und bedrohten Linz und Enns.
Am 4. Juni waren kaiserliche Kommissare in Linz eingetroffen, und die Verhandlungen begannen. Die Bauern schickten einen Ausschuß, der vor allem Sicherung der religiösen Freiheit verlangte. Die kaiserlichen Kommissare reisten unverrichteter Dinge von Linz ab, wurden in Ebelsberg eingeholt und von den Bauern auf das Schloß nach Steyr gebracht. Eine Abordnung der Bauernschaft begab sich auf Vorschlag der Kommissare nach Wien, wurde aber weder vom Kaiser noch von der Kaiserin zur Audienz zugelassen, was sie sich besonders gewünscht hätten. Wiederum verlangten sie religiöse Freiheit und Abzug des bayrischen Kriegsvolks. Wie hätte Ferdinand die Forderung nach freier Ausübung der Religion bewilligen sollen! Er mußte trachten, der Bewegung durch Waffengewalt Herr zu werden. Da die Gesandtschaft nach Wien ergebnislos verlaufen war, trachteten die erbitterten Bauern sich durch die Einnahme von Linz, Enns und Freistadt zu Herren des Landes zu machen. Am 26. Juni begann die Belagerung von Linz. Damals wurde die Werkstatt Planks, in der Kepler die Rudolfinischen Tafeln drucken ließ, durch Brand zerstört14.52. Bei den Kampfhandlungen wurde Fattinger schwer verwundet. Am 1. Juli wurde Freistadt eingenommen, am 3. Juli kam es nach Eintreffen einer kaiserlichen Botschaft aus Wien zur vorläufigen Einstellung der Feindseligkeiten. Am 5. Juli starb Fattinger an den Folgen seiner Verletzung. Das war ein unersetzlicher Verlust für die Sache der Bauern. Sein Nachfolger wurde ein Adeliger, Achaz Wiellinger. Der Sturm auf Linz am 21. Juli mißlang, da bayrische Schiffe die Stadt verproviantiert hatten. Durch einen Schuß aus einem dieser Schiffe wurde Zeller getötet, als er mit einer Schar Bauern am Donauufer bei St. Margarethen den Feind beobachtete. Dänische Hilfe, auf die die Bauern gehofft hatten, langte nicht ein, wohl aber kaiserliches Kriegsvolk aus Niederösterreich unter Hans Christoph Löbl und Weikhard von Auersperg. Außerdem rückten kaiserliche Soldaten unter Oberst Breuner aus Böhmen heran und besetzten das Machland. Große Grausamkeiten wurden auf beiden Seiten verübt. Nach einer Belagerung von neun Wochen wurde Linz wieder befreit, auch im Mühlviertel wurden die Bauern geschlagen und das Land von den [Seite 168] Kaiserlichen besetzt. Neue Verhandlungen in Melk waren ergebnislos; dort wurde eine von Madlseder und Holzmüller verfaßte Klageschrift der Bauern übergeben. Vom 10. bis zum 18. September wurde ein Waffenstillstand geschlossen, kein Kriegsvolk sollte feindselig gegen die Bauern vorgehen. Am 23. September unterzeichnete der Kaiser das Begnadigungspatent. Er versprach Milde und Erleichterung der Lasten, aber von Einstellung der Religionsreformation war natürlich keine Rede. Unter Bruch des Waffenstillstandes rückte bayrisches Kriegsvolk unter Herzog Adolf von Holstein heran und besetzte den Markt Neukirchen. Darauf brach der Kampf von neuem aus, die Bayern wurden geschlagen, und bald stand das ganze Mühlviertel wieder in Aufruhr. Nun entsandte der bayrische Kurfürst Gottfried Heinrich von Pappenheim; er vereinigte sich mit dem Herzog von Holstein und den Kaiserlichen und schlug die Schlacht im Emlingerholze bei Eferding am 9. November. Die Bauern kämpften ohne Schußwaffen mit dem größten Mute, 3000 opferten ihr Leben. Gnade wurde weder erbeten noch gewährt14.53. Die nächste Schlacht fand bei Pinsdorf in der Nähe von Gmunden statt, wo es wieder zu einem grausamen Fechten kam, wie Pappenheim selbst gestehen mußte. 2000 wurden auf dem sogenannten Bauernhügel mehr verscharrt als begraben. Trotz zweier neuerlicher Niederlagen, die eine bei Puchheim, die andere bei Wolfsegg, ergaben sich die Bauern nicht. Der letzte Widerstand wurde bei Neukirchen am Walde versucht, aber schließlich mußten die letzten Haufen der Bauern auseinandergehen und sich in ihren Dörfern ergeben. Die Soldaten bezogen in den Gehöften der Bauern Winterquartiere. Alle landesfürstlichen Städte wurden in gleicher Weise besetzt, Linz mußte 750 Knechte aufnehmen und 40 Reiter. Fürchterlich hausten die Soldaten im Lande, die Verarmung und Verödung war vollständig. Erst 1627 wurde die Besatzung wegen des Krieges in Deutschland abgezogen.
Durch ein hartes Strafgericht sollte ein Exempel statuiert werden. Etwa 100 Anführer lagen gefangen in der Burg zu Linz. Durch die Folter suchte man Geständnisse zu erpressen und Mitschuldige zu entdecken. Die erste Hinrichtung fand am 26. März 1627 statt; von den acht Verurteilten waren sieben zum katholischen Glauben übergetreten, darunter auch Wiellinger und Madlseder, nur ein Bauer war standhaft geblieben. Am 23. April wurden weitere zehn Rädelsführer zum Tode geführt, darunter auch der Stadtkämmerer von Steyr Hans Himmelberger mit anderen Bürgern und Bauern. Fattingers und Zellers Frauen und Kinder wurden auf ewig des Landes verwiesen. Am 13. Juni 1627 wurde ein Generalpardon verkündet. Für die angerichteten Schäden mußten die Bauern Ersatz leisten, Schlägl verlangte 100.000 Reichstaler.
Nun ging der Kaiser daran, seine Erbländer endgültig vom Protestantismus zu säubern. Prädikanten und evangelische Schulmeister wurden am 14. September 1627 aus Niederösterreich ausgewiesen. Dem Adel dieses Landes gegenüber war Ferdinand II. zwar durch sein Versprechen vor der Erbhuldigung im Juli 1620 gebunden, dennoch [Seite 169] versuchte er durch scharfe Mandate (23. April 1629, 2. August 1631) auch die "Nobilitierten" zur katholischen Religion zurückzuzwingen und sich vor allem der unkatholischen Mündel zu versichern, für die katholische Vormünder bestellt werden mußten14.54. Das Patent für Oberösterreich vom 22. April 162714.55 stellte dem Adel anheim, sich zu entscheiden, ob er binnen drei Monaten katholisch werden oder auswandern wolle. Im Mai 1628 ging Oberösterreich wieder in den Besitz des Kaisers über. Allen Evangelischen, den Adeligen, Landesbeamten, Bürgern und Handelsleuten, wurde befohlen abzuziehen. Der einmonatige Auswanderungstermin wurde den politischen Ständen bis zum Sonntag Judica 1628 verlängert, der Verkaufstermin der Güter wiederholt erstreckt; Adelige, wie Erasmus von Starhemberg, der nach Regensburg zog, sind zur Ordnung ihrer Verhältnisse öfters wieder ins Land gekommen. Beamte der Landschaft durften zunächst bleiben.
Es war nur ein folgerichtiges Fortschreiten auf dieser Linie, wenn der siegreiche Kaiser seinen Hofmathematikus Johannes Kepler, der sich im Jahre 1627 an den Hof nach Prag begeben hatte, um das unter Rudolf II. begonnene Werk der astronomischen Tafeln zu überreichen, die er aus dem Nachlasse Tycho Brahes vollendet hatte, zum Übertritt zum Katholizismus zu bereden, ja schließlich zu zwingen suchte. Kepler aber, der schon von der Reformationskommission in Linz, wo er ja noch seinen ordentlichen Wohnsitz hatte, zum Übertritt aufgefordert worden war, blieb fest. Das Exil war auch für ihn die Folge, denn selbst seine Verbindung mit Wallenstein, dem er damals das Horoskop stellte, konnte ihn nicht für den kaiserlichen Dienst retten. Allerdings mußte er nicht völlig aus den Erbländern weichen, denn Wallenstein, der von dem gelehrten Astronomen noch mehr über sein eigenes Schicksal zu erfahren hoffte, nahm ihn in seine Dienste und wies ihm Sagan als Wohnsitz an, wohin er sich mit Zustimmung des Kaisers begab, nachdem er seine Beziehungen zu den Ständen in Linz endgültig gelöst und seine Entlassung aus ihrem Dienste erhalten hatte.
Als Kaiser Ferdinand sich auf dem Höhepunkte seiner Macht wähnte, erfolgte die entscheidende letzte Verfügung auch in Innerösterreich. Dort waren, wie wir wissen, durch die Hauptreformation um 1600 wohl alle Diener an Kirchen und Schulen "ausgeschafft" und die Bürger gezwungen worden, den katholischen Gottesdienst zu besuchen oder auszuwandern, der Adel selbst aber war noch geschont geblieben. Da ihm die Möglichkeit, auf seinen Schlössern Gottesdienst zu halten, genommen war, suchte er diesen außerhalb des Landes oder hielt Hausandachten. Beides wurde vom Landesfürsten scharf gerügt und "categorice" verboten14.56. Wenn die Adeligen darauf nicht verzichten wollten, müsse er, so leid ihm dies tue, sie nach den Reichsgesetzen außer Landes ziehen lassen. Auf den Besuch des Gottesdienstes in Ungarn war eine Strafe von 15 Goldmark gelegt.[Seite 170]
Dennoch haben die steirischen und kärntnerischen Stände 1609/10 keinen nachdrücklichen Versuch gemacht, die Lage auszunützen und sich den Österreichern in ihrem Kampfe um die Glaubensfreiheit anzuschließen. Sie waren zwar von den Vorgängen genau unterrichtet, sandten wohl auch Vertrauensleute nach Wien, aber es ist auch weiterhin bei bloßen Protesten und Eingaben geblieben, die von Ferdinand jedesmal gerügt und abgewiesen wurden. Doch hielt sich das evangelische Bekenntnis wie in Steiermark so auch in Kärnten. Hier war Klagenfurt auch nach 1600 immer noch das Ketzernest. Unter Führung von Bischof Martin Brenner griff 1604 eine neu aufgestellte Reformationskommission hier wiederum durch. Zum ersten Male seit 40 Jahren wurde eine Fronleichnamsprozession abgehalten14.57. Fünfzig lutherische Handwerker mußten auswandern. Die größtenteils lutherischen Beamten der Landschaft blieben vorläufig auf ihren Posten. Ein landesfürstliches Dekret rügte 1621 die Übelstände in der Stadt, das Nichteinhalten der Fastengebote, die lutherischen Privatschulen. Die katholischen Geistlichen konnten trotz allen Eifers nicht durchdringen, waren freilich oft auch nachlässig und infolge ihres ärgerlichen Lebenswandels zu Missionaren und Reformatoren schlecht geeignet.
Manche Bürger zogen wie der Adel und die landschaftlichen Beamten bis nach Ungarn hinab, um dort ihre "vermeinten Sacramenta" zu suchen. Bewegliche Hilferufe des katholischen Stadtpfarrers Bartholomäus Cruciger aus den Jahren 1621 und 162214.58 legten die "Erfrischung der Religionsreformation" nahe, die durch kaiserliches Patent vom 26. April 1625 erfolgte. Der Landeshauptmann Freiherr von Urschenbeck wurde das Haupt einer neuen Religionsreformationskommission, der außer ihm auch der Bischof Leonhard von Lavant und der Vizedom Johann Baptist Vischer angehörten.
Gegen diese Maßnahmen nahm der Landtag des Jahres 1625 Stellung. Zugleich verlangte er auch, daß der Fürst das Verbot aufhebe, die adelige Jugend an Schulen außer Landes zu schicken. Dies wurde natürlich abgelehnt. Es wurde bei Hofe schon erwogen, wie man das Reformationswerk durchgreifend gestalten und das Übel an der Wurzel ausrotten könnte. Das Mandat, das die Ausweisung der evangelischen Herren und Landleute verfügte, die nicht katholisch werden wollten, datiert vom 1. August 1628. Binnen Jahresfrist hatte sich jeder zu entscheiden, ob er katholisch werden oder auswandern wollte14.59. Was in Oberösterreich infolge der Rebellion geschehen war, geschah hier in konsequenter Fortführung des einmal unternommenen Werkes auch an dem gehorsamen innerösterreichischen Adel, dem der Landesfürst das beste Zeugnis ausstellen mußte: Nie habe er es an der ererbten Treue und Aufrichtigkeit fehlen lassen, auch nicht während der "in dem meisten Teil der andern Königreich und Landen entstandenen [Seite 171] Rebellionen" ; weil aber dem Landesherrn eben an ihrem teuersten und wertesten Kleinod, der Seelen Seligkeit, für die er Gott verantwortlich sei, viel gelegen wäre, sei er ganz billig verursacht worden, auch sie, die unkatholischen Landleute, der Religionsreformation gleichfalls zu unterwerfen. Binnen Jahresfrist hätten sie ihre Güter zu verkaufen und das Land zu räumen. Grund und Boden könnten sie noch ein halbes Jahr lang in der Verwaltung von Verwandten und katholischen Freunden lassen, darnach würde sich der Fiskus um den Verkauf kümmern. Unkatholische Mündel dürften sie nicht außer Landes nehmen, unkatholische Frauen katholischer Adeliger dürften bleiben. Ob ihrer beständig geübten Treue wurde den auswandernden Adeligen die Zahlung der Nachsteuer oder des zehnten Pfennigs erlassen. Das war das einzige, was der Adel Innerösterreichs vor dem Adel Oberösterreichs voraus hatte.
Diese Verordnung zog eine ungeheure Umwälzung in Steiermark und Kärnten nach sich. Der Grundstock, ja die Besten unter den Adeligen verließen das Land, 754 an der Zahl14.60. Ob man mit dieser Menge gerechnet hatte, bleibe dahingestellt. Es waren die ersten Familien des Landes darunter, die Blüte des Adels: Die Amman, Gabelkofen, Galler, Gleispach, Herberstein, Khevenhüller, Praunfalkh, Saurau, Stubenberg, Teuffenbach, Trauttmansdorff, Windischgrätz. Wie bei dem nieder- und oberösterreichischen Adel war es vielfach so, daß ein Teil der Familie blieb und konvertierte. Zum größten Mißfallen seines Bruders Erasmus des Jüngeren, der selbst nach Regensburg zog, konvertierte Heinrich Wilhelm Starhemberg und stieg am Kaiserhofe zu hohen Ehren auf. Sein einziger Sohn starb als Kind. Auch Franz Christoph Khevenhüller, Verfasser des großen Geschichtswerkes der Annales Ferdinandei, Sohn Bartholomäs, wurde katholisch, während seine Brüder auswanderten. Auch zogen nicht alle evangelischen Adeligen gleich ab. Ein Teil blieb, weil er hoffte, sich tarnen zu können, andere verschafften sich Lizenzen zur Wiedereinreise, um ihre Vermögensverhältnisse zu ordnen; diese förderten das heimliche evangelische Wesen dadurch, daß sie verbotene Bücher mitbrachten und Andachten hielten. Eine dritte Gruppe glaubte, ohne Beichte und Kommunion dem landesfürstlichen Befehle trotzen zu können; Fleischessen in den Fasten war immer wieder an der Tagesordnung14.61.
Durch alle diese Maßnahmen ist das Land dennoch nicht katholisch geworden und die Regierung hatte ihre liebe Not mit der "unexemplarischen" Geistlichkeit, die sich von denen übertölpeln ließ, die durch Vorzeigen des Beichtzettels Bekehrung heuchelten, während sie innerlich gut evangelisch blieben und sofort bereit waren, mit Emigranten, die sich wieder in die Heimat stahlen, Verbindung aufzunehmen. Es fehlte auch oft an einmütigem Vorgehen der geistlichen und weltlichen Gewalten, deren Befugnisse sich in einer Zeit, da der Staat sich anschickte, sich das Aufsichtsrecht über die Kirche anzueignen, vielfach überschnitten. So war es nicht klar, wer eigentlich das Recht hatte, sich [Seite 172] der recht ansehnlichen Verlassenschaft des im Jahre 1633 verstorbenen Klagenfurter Stadtpfarrers Bartholomäus Cruciger anzunehmen, der Bischof von Gurk oder der Vizedom?
Die Reformationskommission hatte viel zu tun. Sie tat es nicht immer erschöpfend. Am 20. Juni 1631 erging ein neues Mandat, daß die noch im Lande befindlichen Unkatholischen sich entweder in gewisser Frist zur Beichte und Kommunion stellen oder weichen müßten.
Auf dem Lande war die Lage besonders schwierig, denn die Bauern wollten sich der Umstellung nicht bequemen. Es bedurfte nur eines Anstoßes, so brach das Bekenntnis zur alten Lehre mit Macht durch. Im Jahre 1636 geschah es, daß sich ein von den Batthyányschen Gütern in Ungarn vertriebener Prediger nach Kärnten einschlich und in der Treffener Gegend 2000 Personen das Abendmahl reichte, auch taufte und traute14.62. Von weither kamen die Leute, als sie von der Gelegenheit erfuhren, das Sakrament nach ihrer alten Gewohnheit empfangen zu können. Auch Adelige in Bauerskleidern sollen dort erschienen sein. Den Prädikanten wußten die Bauern vor dem Zugriff des Landeshauptmanns geschickt zu verbergen, der beiden Bauern aber, die ihm Unterschlupf gewährt hatten, konnte man sich endlich bemächtigen. Nach etlichen Wochen wurden sie freigelassen, nachdem sie sich bereit erklärt hatten, ihren Irrtum abzuschwören und sich zur katholischen Religion zu bekennen. Während des großen Krieges, der den Feind bis vor die Tore Wiens führte, konnte nicht durchgegriffen werden, um so nachhaltiger sollte dies nachher geschehen.
Daß Emigranten immer wieder trachteten, in die Heimat zurückzukehren, hatte seinen Grund auch darin, daß die Regierung vielfach ihr Wort gebrochen und in den schweren Zeitläuften des Krieges, da das Geld rar wurde, manches Kapital zurückgehalten und nur die Zinsen, und die nicht einmal regelmäßig, ausgezahlt hatte. Denn das war ja das Schlimme und wahrhaft Tragische an den Exulantenschicksalen, daß diese Männer und Frauen und ihre kleinen Kinder in die Not und das Elend des Krieges hineingestoßen wurden, der Deutschland durchtobte. Allen konnte Gustav Adolf nicht helfen, wenn auch manche Herren in sein Heer eingetreten sind, so Hans und Paul von Khevenhüller, die wir im Lager Gustav Adolfs vor Nürnberg finden14.63. Jammer und Not der Emigranten war vielfach groß; von dem Elend der Flüchtigen zeugen Abschiedsbriefe ihrer Untertanen und ihre eigenen beweglichen Klagen14.64.
Der weitaus größte Strom der Auswanderer wandte sich nach Regensburg, das Auffangstation auch für diejenigen wurde, die wie Hans Khevenhüller dann weitergezogen sind. Es ist erstaunlich, wie viele Exulanten aus allen österreichischen Gauen die gastliche Reichsstadt [Seite 173] aufgenommen hat. In den Beisitzer- und Bürgerbüchern sind sie alle verzeichnet14.65. Nach vorsichtigen Schätzungen mögen es etwa 750 gewesen sein. Zahlreiche adelige Namen scheinen auf, darunter besonders viele Frauen : Anna von Jörger, Karl Jörgers Witwe, Anna von Kuefstein, Anna von Herberstorff. Die Gienger von Grünpüchel, die Gall von Gallenstein, die Stubenberg sind nachweisbar, am zahlreichsten waren die bürgerlichen Flüchtlinge. Wien, Linz, Steyr stehen an erster Stelle, aber auch Villach, Graz und Paternion sind vertreten. Zwischen 1606 und 1656 bekamen 48 Linzer das Regensburger Bürgerrecht, andere erwarben nur den "Beisitz". Elf Österreicher rückten in den inneren Rat der Stadt auf; nach Johannes Hueber folgten später Johann und Hieronymus Peichl aus Graz, Daniel Eder und Christoph Chrundner aus Vöcklabruck14.66. Manche heirateten in Bürgergeschlechter ein. Katharina Händl vermählte sich mit dem reichen Handelsherrn Petrus Portner und wurde den armen Glaubensverwandten aus der Heimat Nährmutter und Gönnerin; das Schicksal des Matthäus Schmoll, Sohn des Prädikanten aus Steyr, hat sich mit ihrer Hilfe freundlich gestaltet. Aus Steyr waren schon 1604 Hieronymus Händl und Carl Elsenhammer gekommen, ihm folgten Valentin Preuenhuber mit Frau und Tochter, Lorenz Guetprot, Hans Adam Urkhauff. Die Wider kamen aus Vöcklabruck; Christoph war der Sohn des dortigen Stadtrichters, er diente der Stadt Regensburg 34 Jahre im Stadtgerichtsschreiberamt. Der Papiererzeuger Wolf Eisele und der Pfarrer Andreas Hafner, ein gebürtiger Regensburger, kamen aus Wels. Aus Freistadt stammten der Stadtschreiber Johann Zwigl und Benedikt Landshuetter, der 1625 von der Stadt zu den Verhandlungen der Stände mit dem Kaiser nach Wien entsandt worden war. Damit sind nur wenige Namen genannt. Aus den Leichenpredigten, die in der Stadtbibliothek und im Historischen Verein für Oberpfalz und Regensburg aufbewahrt werden, kann man so manches Exulantenschicksal erschließen und dabei staunend wahrnehmen, zu welch bedeutender Stellung österreichische Bürger aufgerückt sind. Andere Exulantenstädte wurden Nürnberg, Augsburg, Nördlingen, Weißenburg14.67.
Mit diesen geringen Angaben über die adelige und bürgerliche Abwanderung ist noch nichts über den Abzug der bäuerlichen Bevölkerung aus Österreich gesagt, die um des Glaubens willen die Heimat verließ und die durch den Krieg verödeten Landstriche Frankens und Schwabens besiedelte14.68. So wurde z. B. das Maulbronner Dorf Schützingen von 50 Emigrantenfamilien wieder aufgebaut, von denen 13 Sippen allein aus Grieskirchen in Oberösterreich stammten. In dem als Auslaufort so beliebten Ortenburg sind von 1630 bis 1700 im Traubuche 300 Exulanten verzeichnet.
Diesen ungeheuren Kräfteverlust von etwa 100.000 Menschen, glaubte der österreichische Landesherr leicht verschmerzen zu können. [Seite 174] Materielle Güter können ersetzt, zerstörte Häuser können aufgebaut, öde Ländereien wieder ertragreich gemacht werden. Unwiederbringlich aber war der Verlust der menschlichen Substanz, des geistigen und körperlichen Potentials, den die österreichischen Länder damals erlitten haben. Während der Türkenbelagerung 1683 hat Starhemberg nur einer einzigen bürgerlichen Abteilung, der "Compagnie der Burgerlichen Pixenmeister und Kunst-Stäbel", das Zeugnis des Wohlverhaltens und der Tapferkeit ausgestellt14.69 und am Abend vor der Befreiungsschlacht wandte er sich an die Kompagnie der Handelsangestellten und an die der Niederleger, der fremden Kaufleute, die größtenteils evangelisch waren, und bat sie, als seine "lieben Kinder und Brüder" auszuharren14.70.
In dem Verluste Österreichs an bedeutenden Menschen liegt der Grund für die Verschiebung des Schwergewichtes der deutschen Kulturentwicklung von Süd nach Nord. Zur deutschen Klassik steuerte das habsburgische Österreich nichts bei und erst spät hat es zu Beginn des 19. Jahrhunderts das übrige Deutschland auf dem Gebiete der Dichtkunst eingeholt. Dagegen hatten am deutschen Kulturleben des 18. Jahrhunderts, das wir als Vorstufe der Hochklassik ansehen können, Nachfahren österreichischer Exulanten namhaften Anteil. Drei Beispiele seien angeführt: Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf, der größte religiöse Genius des deutschen Luthertums nach seinem Gründer, ein Enkel des niederösterreichischen Adeligen Maximilian Erasmus von Zinzendorf, der 1661 nach Nürnberg auswanderte; dessen Sohn Georg Ludwig trat in kursächsische Dienste; er war der Vater des Begründers der Herrenhuter Brüdergemeinde.
Das Regensburger Patriziergeschlecht der Gumpelzhaimer stammt von zwei Brüdern Jakob und Georg ab, die aus Linz zugewandert waren14.71. Ihre Nachkommen zählten zu den angesehensten, vermögendsten und einflußreichsten Familien der Stadt. Der berühmteste Abkömmling war der Diplomat und Historiker Christian Gottlieb Gumpelzhaimer, der in hessisch-darmstädtischen und mecklenburgischen Diensten stand und die Geschichte seiner Vaterstadt geschrieben hat14.72.
Martin Zeiller war der Sohn eines Pfarrers aus Ranten in der Obersteiermark, der mit seinem Vater das Emigrantenschicksal teilte; er ließ sich schließlich in Ulm nieder und wurde weltberühmt durch seine Reisebeschreibungen und die Texte, die er zur Topographie des Matthias Merian geliefert hat14.73.
In dem großen Ringen des Dreißigjährigen Krieges war das Restitutionsedikt der schwerste Fehler, den die Regierung Ferdinands II. gegen den Rat Wallensteins begangen hat. Auch die spanischen Minister sahen darin eine Überspannung des Bogens, der Krieg mußte ins Unabsehbare verlängert werden. Kurz darauf hat der Kaiser auf dem Fürstentage zu Regensburg 1630 vor der fürstlichen Macht kapituliert und seinen Feldherrn Wallenstein entlassen. Das Auftreten der Schweden in Deutschland, die im Bündnisse mit Frankreich standen, das die notwendigen Subsidien bezahlte, ihre Siege, die durch den Tod Gustav Adolfs 1632 keineswegs beendet waren, die Verluste Spaniens im niederländischen Kriege, in dem Frankreich ebenso wie im mantuanischen Erbfolgekriege 1628-1631 seine Hand im Spiele hatte, all dies verlängerte das Ringen und verschob durch den endlichen Eintritt Frankreichs in den Krieg die Fronten, da nun eine große katholische Macht zwei anderen katholischen Staaten, Spanien und Österreich, entgegenstand. Aus dem Religionskrieg wurde trotz aller Versuche der Spanier, der französischen Regierung und besonders ihrem Leiter, dem Kardinal Richelieu, ins Gewissen zu reden, ein Machtkrieg.
Zur Charakterisierung der Lage sei Folgendes gesagt: Seitdem im Jahre 1624 Jean Armand Duplessis de Richelieu an die Spitze des Staatsrates und damit der Regierung Ludwigs XIII. getreten war, war er der Gegenspieler des Kaisers und des Conde-Duque, und diesem Meister der Staatskunst, der die Politik Heinrichs IV. fortsetzte, waren weder Ferdinand II. noch der Spanier gewachsen, da ihre Kräfte durch den jahrelangen Krieg außerordentlich geschwächt waren. Der dreißigjährige Kampf ging in Deutschland für die Habsburger verloren. Der Traum einer Wiederherstellung der katholischen Kirche, wie das Restitutionsedikt sie vorsah, zerfloß in nichts. Wie aber war die Rückwirkung auf die religiösen Verhältnisse der Erblande?
In ihnen mußten die Siege Gustav Adolfs neue Hoffnung auslösen. In einem Triumphzug ohnegleichen unterwarf sich der schwedische König Norddeutschland und nötigte Brandenburg und Kursachsen zum Bündnis. Bei Breitenfeld wurde der kaiserliche Feldherr Tilly, der nach Wallensteins Entlassung das Kommando führte, vernichtend geschlagen und Süddeutschland stand dem Schweden offen (17. September 1631).
Im nächsten Frühjahr rückte Gustav Adolf an die Donau und überschritt den Fluß nach dem Siege über Tilly bei Rain am Lech. Er besetzte Augsburg, wo er den protestantischen Gottesdienst wieder herstellte, und zog im Mai in München ein. Die Bauern Oberösterreichs schöpften neue Hoffnung und erhoben sich unter dem Laienprädikanten Jakob Greimbl, der in Peuerbach die Fahne des Aufruhrs hißte14.74.
Greimbl war schon während des Aufstandes von 1626 als Prädikant im Lande tätig gewesen; er war von den Kaiserlichen gefaßt, angeblich bekehrt und aus der Haft entlassen worden. Er hatte sich mit seinem Weibe nach Prag gewandt, und als nach der Schlacht bei Breitenfeld die Sachsen Böhmens Hauptstadt besetzten, trat er vermutlich mit [Seite 176] österreichischen Exulanten in Verbindung und kehrte in der Hoffnung auf schwedische Hilfe in seine Heimat zurück. Im Frühjahr 1632, als Gustav Adolf in Bayern stand, zog er predigend und das Abendmahl reichend von Hof zu Hof und fand Aufnahme und Hilfe. Einer seiner Freunde, der Bauer Ecklehner aus Hofkirchen an der Trattnach, begab sich ins Lager des Schwedenkönigs, um sich dessen Beistandes zu vergewissern; er erhielt Zusicherungen und am 13. August 1632 brach mit dem Sturme auf Peuerbach die Erhebung los. Schrecken erfaßte die Herren und den Landeshauptmann Hans Ludwig von Kuefstein, sie erinnerten sich des furchtbaren Aufstandes von 1626. Es geschah zunächst, was bei den vorigen Aufständen geschehen war: man suchte mit den siegreichen Bauern, denen im Hausruckviertel Aschach, Wolfsegg und Vöcklabruck rasch zufielen, zu verhandeln. Infolge des Mißtrauens der Bauern und ihres Vertrauens auf den Befreier kam man aber auch hier nicht weiter als bei früheren Gelegenheiten. Erst die Ankunft regulärer Truppen unter Franz Christoph Khevenhüller, der seine Herrschaft Kammer von den Aufständischen befreite, und unter Graf Werner Tilly, einem Neffen des Liga-Feldherrn, bot Gewähr für die Niederwerfung des Aufstandes, der anfangs Oktober auf das Mühlviertel überzugreifen drohte. Damals wurde durch den Abzug Gustav Adolfs nach Franken die Hoffnung auf schwedische Hilfe zunichte gemacht und den regulären Truppen gelang ohne größere Schwierigkeiten in mehreren Gefechten, deren letztes am 9. Oktober bei Eferding stattfand, die Entwaffnung und Auflösung der bäurischen Haufen. Nun setzte auch unter diesem Teil der Bevölkerung rücksichtslose und gewaltsame Rekatholisierung ein, der sich so manche Männer durch den Kriegsdienst entzogen. Khevenhüller ließ diejenigen seiner Untertanen, die sich mit den Rebellen eingelassen hatten, aufknüpfen14.75. Das Land wurde rekatholisiert, aber vielfach kam es auch hier nur zu Scheinbekehrungen14.76. Der Aufstand Greimbls blieb eine Episode, er zeigt aber doch, wie unentwegt die Bauern am Evangelium festhielten. Im Frühjahre 1636 kam es im Machlandviertel unter Führung eines Untertanen von Christoph Schallenberg, des schwärmerischen Martin Laimbauer, zu neuen Unruhen; dieser war schon 1635 predigend durch das Land gezogen14.77. In der Nähe von Luftenberg wurden die Aufständischen am 12. März 1636 von Kaspar von Starhemberg gestellt und überwältigt; Laimbauer wurde gefangen nach Linz geführt und dort enthauptet. Für die Zähigkeit, mit der sich das evangelische Bekenntnis im Lande hielt, zeugt der spätere Geheimprotestantismus.
Die gefährliche Lage im Frühjahr 1632 zwang den Kaiser, mit seinem grollenden entlassenen Feldherrn, dem Herzog von Friedland, in neue Verhandlungen zu treten, deren Ergebnis dessen neuerliche Betrauung mit dem Generalat wurde. Nunmehr aber war Wallenstein, dem [Seite 177] unumschränkte Macht eingeräumt war, nicht so sehr der Feldherr des Kaisers, als der Vollzieher seiner eigenen ehrgeizigen Pläne. Er zwang Gustav Adolf zum Abzug aus Bayern. Monatelang lagen sich die beiden Gegner vor Nürnberg gegenüber, bis schließlich im Herbst Wallenstein seine Stellung aufgab und nach Sachsen zog, um dessen Kurfürsten zum Frieden zu zwingen. Gustav Adolf folgte und in der blutigen Schlacht von Lützen verlor er zwar nicht den Sieg, aber das Leben (6./16. November 1632).
Oxenstjerna, der schwedische Kanzler, hielt die Evangelischen im Heilbronner Bündnis fest beisammen. Wallenstein aber versuchte durch Verhandlungen den Frieden herzustellen, was mit Sachsen und Brandenburg nur unter Preisgabe des Restitutionsediktes möglich gewesen wäre. Verhandlungen waren allenfalls im Sinne des Kaisers, gewiß aber nicht in dem der Kriegspartei am Hofe, an deren Spitze der Thronfolger Ferdinand stand, der mit der Schwester König Philipps IV. von Spanien verheiratet war. Die Anhänger dieser Partei waren auch die Gegenspieler Wallensteins, die den Herzog infolge seiner zweifellos hochverräterischen Pläne zu Fall brachten, wobei zu sagen ist, daß sich der Hof in Madrid mit seinen Vertretern in Wien, die auf die Beseitigung des Friedländers und die Erhebung Ferdinands zum Kommando hinarbeiteten, nicht einverstanden erklärte.
Wallenstein fiel, der Ungarnkönig Ferdinand erhielt das Kommando und noch einmal war der vereinigten kaiserlich-spanischen Macht ein Sieg beschieden in der Schlacht von Nördlingen am 5. und 6. September 1634. Der Friede von Prag war 1635 die Folge. Praktisch wurde durch ihn das Restitutionsedikt, dessen Durchführung 40 Jahre verschoben wurde, aufgehoben; außerdem mußte der Kaiser in Ausnahmebestimmungen für die schlesischen Protestanten willigen. Damals setzten die Bemühungen der Lutheraner ein, ihren Glaubensgenossen in den Erblanden die religiöse Freiheit zu erringen. Dies gelang lediglich für die außerhalb des Reichsverbandes stehenden schlesischen Gebiete, die Stadt Breslau, die Fürstentümer Liegnitz, Brieg, Oels und Münsterberg. Der Erfolg des Prager Friedens bestand darin, daß Sachsen aus der Reihe der Feinde des Kaisers ausschied; dafür trat nun Frankreich in den Vordergrund, das sich in dem Heere Bernhards von Weimar eine eigene Truppenmacht schuf und durch die Kriegserklärung an Spanien am 19. Mai 1635 offiziell in den Krieg eintrat. Der Mangel an bedeutenden Armeeführern wie an Truppenmaterial und Geld verhinderte weitere Erfolge der Habsburger.
Am 22. Dezember 1636 war Ferdinand zum Nachfolger seines Vaters gewählt worden. Dieser starb am 15. Februar 1637 und hinterließ dem Sohne das bittere Erbe der weiteren Kriegführung. Versuche, dem Kriege ein Ende zu machen und den Frieden herbeizuführen, sind vom Beginne der Regierung Ferdinands III. an nachzuweisen, doch war ihnen erst spät ein Erfolg beschieden. Im Jahre 1643 wurden in Hamburg die Präliminarien abgeschlossen, die den Beginn des Friedenskongresses in Münster und Osnabrück für dasselbe Jahr 1643 festsetzten14.78 [Seite 178]
Sehr langsam fanden sich die Bevollmächtigten der kriegführenden Mächte im Laufe des Jahres 1644 in Münster und Osnabrück ein und außerordentlich schleppend entwickelte sich der Geschäftsverkehr der kaiserlichen und spanischen Gesandten mit den schwedischen und französischen Bevollmächtigten unter Vermittlung des Königs von Dänemark und der Republik Venedig. Die Verhandlungen betrafen zunächst die Entschädigung der fremden Sieger; Schweden beanspruchte Vorpommern, Frankreich das Elsaß, und sehr bald wurde es klar, daß dieses deutsche Land preisgegeben werden mußte; zweitens die Ordnung der Verhältnisse im Reich, die einerseits die Stellung der Reichsstände, andererseits die Gravamina der Protestanten betrafen. Hauptdelegierter des Kaisers war Maximilian Graf Trauttmansdorff, ein Konvertit. Unter den Gravamina stand an erster Stelle das Restitutionsedikt und alle damit zusammenhängenden Fragen. Die Schweden machten sich zum Anwalt der Forderungen ihrer Glaubensgenossen, die sich, da der Kaiser in die Verlegung des Deputationstages von Frankfurt nach Münster gewilligt hatte, durch Vertreter ebenfalls am Friedenskongreß eingefunden hatten. Dieser wuchs dadurch zu einem wahren Monstrum einer Gesandtenversammlung an. Die Evangelischen suchten mit Hilfe der fremden Kronen ihre Forderungen beim Kaiser und bei ihren katholischen Mitständen durchzusetzen. Die evangelischen Flüchtlinge aus Österreich und auch solche Protestanten, die noch zu Hause zurückgeblieben waren und sich nur äußerlich akkomodiert hatten, schöpften neue Hoffnung.
So sehr aber Kaiser Ferdinand III. seinen ersten Bevollmächtigten am Friedenskongreß, den Grafen Maximilian Trauttmansdorff, gegen alle Verdächtigungen und Anfeindungen von seiten der spanischen Partei schützte, weil er der Überzeugung war, daß der Friede eine unumgängliche Notwendigkeit sei, so fest ist er doch in Befolgung der Religionspolitik seines Vaters in den Erblanden geblieben, wo er den von jenem beschrittenen Weg ohne abzuweichen fortsetzte. Deshalb wurde auch gleich zu Beginn seiner Regierung die Religionsreformation überall "erfrischt"14.79. In Innerösterreich, wo die bisherigen Maßnahmen nicht den gewünschten Erfolg gezeitigt hatten und das dem Kaiser als Geburtsland und Arbeitsfeld des Vaters besonders am Herzen liegen mußte, ergingen die Weisungen und Ausführungspatente für die einzelnen Länder auf Grund des Hauptpatentes vom 3. März 1638, das die Generalien und Mandate aus den Jahren 1628 und 1631 erneuerte. Es wurde eine neue Religionsreformationskommission für Kärnten aufgestellt, an deren Spitze Leonhard, Bischof von Lavant, stand. Sie hatte in jedem einzelnen Falle nachzuforschen, wo sich noch evangelisches Leben rühren mochte. Aber auch diese Maßnahmen waren nicht erfolgreicher als die früheren. Im Jahre 1641 konnte sich die Regierung nicht verhehlen, daß "selbiges Land Kärnten an etlichen Orten mit uncatholischen Bauersleuten häufig angefüllt" sei14.80, die man schwerlich zwingen könne, die katholische Religion anzunehmen oder das Land zu räumen, [Seite 179] da durch das Freiwerden so vieler Güter das Land und der Kaiser ernstlich Schaden nehmen würde. Der Landeshauptmann Georg Sigmund Paradeiser, ein Konvertit, der wohl auch einen Aufstand nach dem Muster des oberösterreichischen befürchtete, meinte deshalb, man dürfe "mit der Religionsveränderung nit also stark und mittels androhender Ausschaffung" vorgehen, sondern müsse auf Mittel bedacht sein, die Bauern "nach und nach zu der catholischen Religion Profession zu vermögen"14.81. Wenn einer zum Empfang der Sakramente außer Landes gehe, solle er gefaßt und in Arrest gelegt werden; keine Trauung, kein Kauf eines Ackers dürfe ohne vorhergehende Beichte vorgenommen werden. Das wichtigste sei die Einsetzung guter Priester an sektischen Orten. Die Regierung war jedoch eher der Meinung, daß unnachsichtig mit der Ausweisung vorzugehen sei. Scharf wurden die Grenzen überwacht, um das Auslaufen nach Ungarn zu verhindern. Aber angesichts der bedenklichen Kriegslage mußte mit der Ausschaffung der Sektierer nach 1641 noch etwas eingehalten werden.
In Niederösterreich kam es am 23. Juli 1638 zur Erlassung eines Reformationspatentes, das sich auf die Patente Ferdinands II. aus den Jahren 1628, 1629 und 1634 stützte. Es verbot das Auslaufen, das Singen und Lesen sektischer Lieder und Postillen und die Verkündigung lutherischer Lehren durch Laienprediger. Doch waren in Niederösterreich die Verhältnisse von denen der anderen Länder insofern verschieden, als der protestantische Adel dort hatte bleiben dürfen, kraft der Versprechung Ferdinands II. vom 11. Juli 1620. Über die Verhältnisse im Viertel ober dem Manhartsberg sind wir besonders gut unterrichtet14.82. 1620 waren von 198 Pfarren 60 katholisch und 138 lutherisch. Durch die gegenreformatorischen Maßnahmen erfuhren diese Verhältnisse selbstverständlich Veränderungen zuungunsten der Protestanten, aber selbst 1652 gab es noch 80 lutherische Pfarren und nur neun waren völlig rekatholisiert. Die katholischen Pfarrer hatten es im allgemeinen schwer, weil das Kirchengut zum Teile von den Gutsherren eingezogen war und sie nur geringen Lebensunterhalt hatten. Als 1655 die Wiedererrichtung der Pfarre Groß-Pertholz erwogen wurde und sich herausstellte, daß von den Einkünften 1627 ein Prädikant gelebt hätte, meinte der Dechant, es ginge nicht an, einen Pfarrer dort einzusetzen, denn ein katholischer Priester sei eines besseren Stück Brotes würdig als ein Prädikant14.83.
Aber der beste katholische Pfarrer konnte dort wenig ausrichten, wo die Grundherrschaft die protestantischen Pfleger und das Gesinde, allenfalls auch die Bauern schützte. Wie schwierig stellenweise die Verhältnisse waren, zeigen die Zustände und Vorkommnisse in der Pfarre Sebenstein, deren Kirche vom Grundherrn Wolf Matthes von Königsberg als Getreidekasten benützt wurde14.84. Auf Grund des kaiserlichen Generales hatte der Grundherr das jus patronatus verwirkt; diese Feststellung nützte aber wenig, denn tatsächlich übte Königsberg es aus. Da das Pfarrgut vom Kirchenherrn eingezogen war, hatte der [Seite 180] katholische Pfarrer keinen Lebensunterhalt; der Prozeß zog sich bis über den Tod Königsbergs hinaus. Andererseits erhob die katholische Kirche Ansprüche auf das von evangelischen Herren gestiftete Geld, das zur Erhaltung evangelischer Pfarrer hätte dienen sollen, wogegen die Stände Einspruch erhoben. Noch schlimmer stand es für die katholische Kirche in Oberösterreich, wo vielfach das Patronatsrecht der Grundherren nicht angetastet wurde. Außerdem machte sich dort immer wieder der Gegensatz der landesherrlichen Regierung zum Bistume Passau geltend, der auch dann nicht verschwand, als der Bruder Kaiser Ferdinands III., Erzherzog Leopold Wilhelm, Bischof war. Immer stärker springt eine Tatsache in die Augen, die schon im Konflikte Khlesls mit dem Klosterrat eine Rolle gespielt hatte: Der Landesfürst wollte auch die kirchlichen Geschäfte erledigen und sich in seine Befugnisse von der Kirche nichts hineinreden lassen. Das Staatskirchentum des Absolutismus bereitete sich vor. Auch die Bischöfe und kirchlichen Würdenträger sollten nur Organe der Staatsgewalt sein. Der 1629 als eigene Behörde aufgehobene Klosterrat wurde 1640 der niederösterreichischen Regierung inkorporiert.
Wenn schon die Heere der Feinde des Hauses Habsburg, der Schweden und Franzosen, den bedrängten Evangelischen der Erblande keine Erleichterung bringen konnten — man muß sich vorstellen, was für Folgen eine nur teilweise Besetzung des Landes durch Gustav Adolf gehabt hätte —, so bauten doch die Emigranten ihre Hoffnungen auf die Bemühungen ihrer Freunde am Friedenskongreß in Münster und besonders in Osnabrück, wo die Schweden verhandelten. Diese machten sich nicht nur zum Anwalt der Gravamina der evangelischen Reichsstände, sondern auch jener der Erbländer, deren religiös-kirchliche Lage sie auf den Stand vor dem Jahre 1618 rückgeführt wissen wollten. So lautete die Forderung in der schwedischen Proposition, die am 1. Juni 1645 dem kaiserlichen Bevollmächtigten übergeben wurde14.85. Die emigrierten evangelischen Herren und Landstände verliehen dieser Forderung in einem Memorial Nachdruck, das sie den Gesandten der evangelischen Reichsstände am 13. November 1645 übergaben14.86. Auch legten sie die Konzessionen, Privilegien und Resolutionen vor, die ihnen seit Maximilian II. verliehen worden waren14.87. Evangelische Reichsstände vertraten die Meinung, daß die Erzherzöge sich durch diese Konzessionen des ius reformandi begeben hätten.
So groß aber auch die Bereitschaft der deutschen evangelischen Reichsstände und der Schweden gewesen sein mag, ihren Glaubensgenossen zu helfen, so unerbittlich war in dieser Hinsicht die Haltung des Kaisers und seiner Räte, die sich schon im Hinblicke auf die spanische Regierung, auf deren Hilfe man in entscheidender Weise angewiesen war, den kaiserlichen Wünschen fügen mußten14.88. Schon auf dem Friedenskongreß ist mit dem auch später immer wieder aufgegriffenen [Seite 181] Argument gearbeitet worden, daß die österreichischen Protestanten Sektierer oder Aufrührer seien.
Ferdinand III. sah ein, daß er, der militärischen Lage Rechnung tragend, den Franzosen Teile seines eigenen Landes werde überlassen müssen und den Schweden das geforderte halbe Pommern sowie zwei Bistümer: Bremen und Verden; ja er war so nachgiebig, gegen den Willen und unter dem Hohne des spanischen Hauptbevollmächtigten, des Grafen von Peñaranda, seine Stellung im Reiche durch Gewährung einer bis dahin unerhörten Selbständigkeit und Unabhängigkeit der Reichsstände von der kaiserlichen Gewalt außerordentlich herabzusetzen und zu schwächen, aber in der religiös-kirchlichen Verfassung seiner Erbländer ließ er sich nichts vorschreiben. Nur in zwei Gebieten mußte er Erleichterungen gewähren: in Schlesien auf Grund des Prager Friedens, wobei den dort aufgezählten Fürstentümern noch Schweidnitz, Jauer und Glogau hinzugefügt wurden; und in Niederösterreich auf Grund der Versprechung seines Vaters vom 11. Juli 1620. Der Paragraph 39 in Artikel V des Osnabrückischen Friedensvertrages lautete dahin, daß in Schlesien und Niederösterreich Grafen, Barone und Edle, soferne ihnen dort nicht überhaupt Religionsfreiheit gewährt war, und in Schlesien auch die Untertanen ihre Güter nicht verkaufen und auswandern mußten, daß es ihnen auch nicht verwehrt sein sollte, ihre Religionsübung in den benachbarten Orten außer Landes zu suchen; wandern sie aber freiwillig aus, so ist ihnen der Zugang zu ihren Gütern jederzeit gestattet, falls sie dieselben nicht verkaufen wollen14.89. Darüber hinaus hätten auch die Bestimmungen der Paragraphen 34 bis 37, die die Verfügungen über die Behandlung andersgläubiger Untertanen enthalten, auf die österreichischen Protestanten Anwendung finden müssen, aber die Regierung der Habsburger in Österreich hat sich nie daran gebunden erachtet. Dies sollte sich später als sehr folgenreich erweisen.
Nach dem Abzug der schwedischen Besatzung aus Böhmen, Mähren und Schlesien und nach dem Abschlusse der Nürnberger Exekutionsverhandlungen 1650 nahm die kaiserliche Regierung das Reformationswerk in allen Kronländern wieder auf. Nun sollte ganz Österreich vom Ketzertum gereinigt und durch Zwangsbekehrung katholisch gemacht werden. In den einzelnen Ländern wurden wieder Religionsreformationskommissionen eingesetzt.
In Innerösterreich war eine Reformation kaum mehr nötig, dort war das Werk in den Städten fast zur Gänze getan. Nur in den Gebirgstälern gab es schwer faßbare Geheimprotestanten. Das einzige Adelsgeschlecht, für das die Schweden eine Sonderstellung hatten erreichen können, waren die Khevenhüller. Paul Khevenhüller, der 1645 in den schwedischen Adelstand aufgenommen worden war, sollte seine Güter zurückerhalten14.90.
In Oberösterreich wurde eine neue Reformationskommission mit dem Landeshauptmann und dem Vizedom an der Spitze eingesetzt. [Seite 182] Auch hier war aber bereits durch die Ausweisung des Adels und durch die schweren Strafen infolge der Bauernkriege ganze Arbeit geleistet worden. Doch blieben auch hier, besonders im Salzkammergut, Restprotestanten.
Hauptbetätigungsfeld der rekatholisierenden Kräfte unter Ferdinand III. wurde Niederösterreich, wo es infolge der evangelischen Grundherrschaften auch noch zahlreiche evangelische Untertanen gab. Am 15. April 1650 erging der Befehl der Regierung an die Pfarrer, ihre katholischen und unkatholischen Gemeindekinder wie auch die Pfleger und Bediensteten in den Schlössern zu melden. Doch waren diese Meldungen durch die Pfarrämter nicht zufriedenstellend14.91. Ein Jahr später erfloß ein Patent, das sich auf das Auslaufen bezog, das lediglich den Adeligen gestattet sei. Selbstverständlich war es so, daß auch die Dienerschaft auslief. Von neuem wurden die Fastengebote eingeschärft, das Lesen unkatholischer Bücher, das Beherbergen unkatholischer Prediger verboten. Im selben Jahre 1651 wurden für die vier Viertel die Kommissionen zusammengestellt, an deren Spitze ein Prälat stand, dem weltliche Beamte beigegeben waren. Die größte Rolle unter diesen spielte alsbald Joachim Enzmilner, Freiherr zu Windhag, der, aus dem bayrischen Schwaben stammend, 1625 Syndikus der oberösterreichischen Stände geworden war und sich durch Ankauf von Protestantengütern ein großes Vermögen erworben hatte14.92. 1652 wurde er in den Reichsfreiherrnstand erhoben.
Vor den Kommissionen mußten sich alle Nichtkatholiken melden. Die Ausreisen wurden strengstens kontrolliert, sie waren von nun an an besondere Ausweise der Lokalbehörden gebunden. Unmündige Kinder durften nicht über die Grenzen reisen. Das entscheidende Patent erfloß am 4. Jänner 1652. Den Kommissaren wurde eine ausführliche, 19 Punkte umfassende Instruktion ausgehändigt. Ein dreifacher Modus war für die Bekehrung vorgesehen: 1. Baldige Bekehrung. 2. Gestattung einer Bedenkfrist. 3. Erklärung der Emigration. In den verschiedenen Vierteln wurden Informatoren eingesetzt, bei denen sich binnen sechs Wochen alle Unkatholischen zu melden hatten. Witwen, Ehefrauen und erwachsene Kinder waren zum Besuche der Glaubensinformation verpflichtet. Alle nichtständischen Adeligen, die sich widersetzlich zeigten, mußten angezeigt werden. Pfarrer und Informatoren hatten Verzeichnisse der unter obige drei Rubriken fallenden Personen anzulegen.
Die Befolgung aller dieser Vorschriften erforderte hingebungsvolle Arbeit der damit betrauten Personen. Den Pfarrern war eine bedeutende Last aufgebürdet. Sie hatten ein sechsfaches Frageschema auszufüllen: 1. Wer in der Osterzeit gebeichtet habe; 2. wer zum unkatholischen Religionsexerzitium ins Ausland gereist sei; 3. wer zu Hause unkatholische Bücher gebrauche und heimlich oder öffentlich daraus lese; 4. wer die Sonn- und Feiertagsruhe nicht gehalten habe; 5. wer niemals oder nur selten zum Gottesdienst erscheine; 6. wer die Festtage nicht halte und an diesen seine Untertanen arbeiten lasse. Das Hauptkriterium [Seite 183] war immer die Teilnahme an der österlichen Kommunion. Eine solche organisierte Missionstätigkeit erforderte einen großen Apparat. Denn die Kommissare konnten wohl Verfügungen treffen, wer aber bot die Gewähr für ihre Durchführung?
Die protestantischen Stände, erhoben in einer Bittschrift beweglichen Protest gegen das Mandat14.93 und verlangten im Landtage 1652 die Einstellung der Reformation, da die Abwanderung der evangelischen Untertanen dem Lande großen Schaden brächte. Sie knüpften die Bewilligung der vom Kaiser geforderten Steuer an die Bedingung, daß die Ausweisung keinen allzu großen Umfang annehme, aber wie seine Vorgänger forderte auch Ferdinand III. bedingungslose Unterwerfung.
Tatsächlich waren die evangelischen Stände damals noch viel ohnmächtiger als ihre Standesgenossen in früheren Jahren. Sie beschwerten sich, daß ihre Freihäuser in der Stadt von Geistlichen visitiert würden; sie griffen wieder auf ihr Privilegium der ersten Instanz zurück, das schon durch eine Verfügung Rudolfs II. aufgehoben worden war. Die schwerwiegendste Bestimmung des Patentes vom 4. Jänner 1652, über die lebhaft geklagt wurde, war die, welche unmündigen Kindern die Ausreise mit ihren Eltern zum Religionsexerzitium über die Grenze verbot. Diesbezüglich war im Friedensinstrument nichts vorgesehen worden. Der Kaiser hat es nicht für notwendig befunden, auf diese Beschwerden zu antworten. Der spärliche Rest protestantischen Lebens, die letzte flackernde Flamme, war zum Erlöschen bestimmt. Auch die Intervention der evangelischen Reichsstände konnte sie nicht mehr zum Leben erwecken.
Im Waldviertel lag auf der Linie Gmünd Zwettl Krems der Schwerpunkt des evangelischen Wesens; dort gab es damals noch 67 Ortschaften mit einer Gesamtzahl von 4766 Lutherischen14.94. Da die Kommissare dieser Übermacht ziemlich ratlos gegenüberstanden, hat Enzmilner aus eigener Machtvollkommenheit Soldaten zur Bekehrung eingesetzt. Über die Tätigkeit dieses emsigsten Kommissars sind wir durch seine Korrespondenz mit dem Abt Benedikt von Altenburg besonders gut unterrichtet. Die Tätigkeit der Kommission erstreckte sich auf mehrere Jahre. 1654 wurde sie erneuert. Im März 1653 wies der Bericht der Kommissäre an die Regierung 30.000 bekehrte Personen aus. Vom Ende des Jahres 1654 liegt das Reformationsprotokoll für das Viertel ober dem Manhartsberge vor; demzufolge gab es in 140 Pfarren und 58 Filialen 77.319 alte Katholiken und 22.224 neubekehrte. Darunter Angehörige der Familien Sinzendorf, Trauttmansdorff und Landau. Die Lutherischen waren selbst in jenen Pfarren, in denen sie früher die Mehrzahl bildeten, zur Minorität herabgesunken.
Noch immer bot die protestantische Grundherschaft den Untertanen starken Rückhalt. Um Groß-Gerungs, Rappottenstein und Pöggstall lag das Kerngebiet des Protestantismus, Besitzungen der Herren von [Seite 184] Landau, Sinzendorf, Polheim und Hackelberger. Bis 1627 waren der Großteil dieser Pfarren mit Prädikanten besetzt gewesen. Derart geschlossene protestantische Grundherrschaftsgebiete gab es in den übrigen Vierteln nicht. Nur im Viertel ober dem Wienerwald war der Einfluß der protestantischen Grundherrschaft schon wegen des Herüberwirkens aus Oberösterreich ebenfalls sehr stark. Weniger großen Schwierigkeiten begegnete man in den Vierteln unter dem Manhartsberg und unter dem Wienerwald. Doch fand sich um die Mitte des 17. Jahrhunderts noch ein erstaunlich großer Prozentsatz von Protestanten in Wien, was mit den ausländischen Niederlegern und den Gesandtschaften der protestantischen Mächte zusammengehangen haben mag. Fürstbischof Philipp Friedrich Graf Breuner gibt ihre Zahl mit 25.000 neben 125.000 Katholiken an.
Im Jahre 1657 wurden die bisherigen Kommissare entlassen und Windhag und Matthäus Kohlweiß, Abt von Lilienfeld, wurden als Generalreformationskommissare für das ganze Land eingesetzt. 1659 bestellte Leopold I. wieder eine Kommission, der nur Prälaten angehörten. Noch 1660 entnehmen wir einem kaiserlichen Generalreformationspatent, daß das Schwergewicht des Widerstandes gegen die Rekatholisierung im Viertel ober dem Manhartsberge lag. Doch wie jede Kirche, der keine Missionskraft innewohnt, zum Verlöschen bestimmt ist, so auch dieser letzte Rest eines kümmerlichen, kaum geduldeten Protestantismus, dem neue Lebenskräfte nicht mehr zuströmten; und doch war der Protestantismus in den kaiserlichen Erblanden nicht zum völligen Versiegen verurteilt. Er lebte dort, wo unterirdische Quellen ihn speisten, nämlich im Geheimprotestantismus der Alpenländer.
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Nach Kaiser Ferdinands III. gründlich durchgeführter katholischer Restauration tritt Österreich in das Zeitalter des Geheimprotestantismus. Nun gibt es keine ständische Vertretung evangelischer Interessen mehr, nun gibt es nur mühsame Kleinarbeit der katholischen Behörden gegen schwer faßbare evangelische Untertanen; denn trotz aller Mandate und Strafen und Bedrängnisse zeigte sich das Wunder, daß das Evangelium nicht auszurotten war. Ein Rest blieb übrig, etliche Tausende, die die Kniee nicht beugten, sondern trotz Verfolgung, Kerker und Gewissensnot den Schatz des Glaubens an das unverfälschte Evangelium bewahrten und an ihre Kinder und Kindeskinder weitergaben. Das war nicht unter dem Adel der Fall, der sich zum Hofadel umbildete und in dieser Stellung den römisch-katholischen Glauben öffentlich bekennen mußte, nicht in den Städten, wo die Beaufsichtigung durch den katholischen Geistlichen, die Erfassung der Kinder in der Schule, die gegenseitige Bespitzelung gegeben und die Gefahr deshalb um so größer war, sondern in den abgelegenen Bergtälern unserer Alpen, wo man die verbotenen Bücher in Ställen, Stadeln, Heuschobern, Mauerritzen leichter verbergen und der Aufspürung durch die Reformationskommissionen entziehen konnte. Denn das Buch war immer Träger des Gotteswortes.
Seit dem Dreißigjährigen Kriege hatte sich die Lage von Grund auf geändert. Denn ebensowenig wie der Westfälische Friede die letzte Hoffnung der Protestanten in Österreich auf Verbesserung ihrer Lage verwirklicht hatte, ebensowenig hatten der Verlauf des Krieges und der Friedensschluß die katholische Partei befriedigt, die im ersten Drittel des Krieges drauf und dran gewesen war, den Protestantismus aus Deutschland zu verdrängen. Im wesentlichen blieben im Römischen Reiche Deutscher Nation die Verhältnisse so bestehen, wie sie durch den Passauer Vertrag 1552 und den Religionsfrieden 1555 geschaffen worden waren. Die beiden Bekenntnisse mußten sich nebeneinander einrichten. Zur Beobachtung der Friedensbestimmungen und ihrer Durchführung war zum Schutze der evangelischen Reichsstände gegenüber den katholischen ein Garant geschaffen worden, das Corpus Evangelicorum, das seinen Sitz in Regensburg hatte, wo seit 1663 der Immerwährende Reichstag tagte. Es sollte darüber wachen, daß die im Friedensinstrument festgelegten Bestimmungen zugunsten der Evangelischen nicht verletzt wurden; überblicken wir heute die Tätigkeit dieser wohlmeinenden [Seite 187] Institution, so müssen wir wohl sagen, daß ihre Reskripte, Beschlüsse, Beschwerden ebensowenig ausgerichtet haben, wie seinerzeit die der Landtage in Steiermark und Kärnten15.1. Aber das Vorhandensein einer solchen Körperschaft war an und für sich eine gute Sache und legte einem zu rigorosen Vorgehen gegen protestantische Untertanen Zügel an.
Die kaiserliche Regierung hatte in der Behandlung ihrer evangelischen Untertanen Rücksicht auf die evangelischen Reichsstände zu nehmen, die sie zur Durchführung ihrer Außenpolitik brauchte. Das waren Sachsen und Brandenburg, während Kurpfalz, seitdem es 1685 an die Neuburger Linie gefallen war, einen katholischen Fürsten hatte. Das war ferner die Fülle der kleineren evangelischen Reichsstände und das waren schließlich auch Schweden und England, das 1714 durch die Thronbesteigung Georgs I., Kurfürsten von Hannover, deutscher Reichsstand wurde. Alle diese Fürsten brauchte man zur Bekämpfung der Türken ebenso wie zur Niederringung des französischen Gegners im Westen. Auch mußte immer die Furcht vor Repressalien gegen Katholiken in evangelischen Territorien abschreckend wirken. Außerdem gab es in Österreich selbst konfessionell bevorzugte Kreise: Evangelische Reichshofräte, Angehörige des Heeres, ausländische Kaufleute, die sogenannten Niederleger, die größtenteils aus dem übrigen Deutschland stammten. Unter 80 Kaufleuten dieser Art wurden 1736 nur 30 katholische gezählt15.2. Ausländische Diplomaten hatten ihre Gesandtschaftskapellen und adelige Exulanten, die immer noch Prozesse um ihr Hab und Gut mit der Regierung führten, hielten evangelische Agenten.
So hören wir am Ende des 17. Jahrhunderts von dem geduldeten Aufenthalte evangelischer Ausländer in Graz15.3. Der Regierung war zu Ohren gekommen, daß sich Lutheraner und sonstige Unkatholische in der Stadt aufhielten, daß "in verschiedenen Häusern allhier allerhand lutherische und andere verdächtige Bücher anzutreffen" seien, die von den Hausgenossen gelesen wurden. Ob diese aus alten Beständen stammten, die dem Flammentode entgangen waren, oder neu hereingebrachtes Schrifttum waren, ist nicht ersichtlich. Tatsache ist jedenfalls, daß am 21. März 1697 die Verhaftung eines brandenburgischen Beamten erfolgte, des Magisters Johann Adam Windrich, der in Diensten der Frau Anna Margarethe Purgstall stand, die nach dem Tode ihres 1695 verstorbenen Gatten um ihr Erbe in der Steiermark einen langwierigen Prozeß mit den Jesuiten führte. Windrich wurde beschuldigt, unkatholische Bücher ins Land gebracht und unzulässige Zusammenkünfte gehalten zu haben. Eine solche Propaganda war strafbar; im übrigen aber erfahren wir aus den Akten, daß nur zeitlich begrenzter Aufenthalt solcher Ausländer, nicht aber dauernde Niederlassung gestattet war, ja daß adelige Herren und selbst Klöster akatholische Handwerker in ihre Dienste nahmen, wobei die Absicht mitspielte, daß man [Seite 188] diese "im abwegigen Irrtum wändelnde Schäfel" zum wahren Glauben bekehren könnte, wie es den Jesuiten manchmal wirklich gelang. Andererseits war eine solche Duldung im Hinblicke auf die Reichsfürsten und die akatholischen Potentaten geboten, womit zweifellos England und die Niederlande gemeint waren, mit denen Kaiser Leopold I. (1658-1705) im sogenannten dritten Raubkriege gegen Ludwig XIV. von Frankreich im Bündnisse stand (Große Allianz 1689). Die große Politik überspielte in einem Zeitalter, in dem die Staatsraison an erste Stelle trat, die konfessionellen Rücksichten des 17. Jahrhunderts; das Zeitalter der Toleranz kündigte sich an, unseßhafte Akatholiken wurden geduldet, weil man dadurch auch Katholiken an unkatholischen Orten die Vertreibung ersparen zu können vermeinte.
Windrich, der sich schon zwei Jahre im Lande aufgehalten hatte, wurde schließlich aus der Haft entlassen; wir können nicht zweifeln, daß es auch in anderen Städten Österreichs solche Ausländer gab, besonders in Wien, und daß man auch diese gleichermaßen behandelt hat.
Entscheidend waren aber nicht die Verhältnisse in den Städten, sondern in den Gebirgsländern Österreichs. Daß es hier trotz aller strengen Maßregeln Protestanten in namhafter Zahl gab, wußte die Regierung nur zu gut. Sie lebten vor allem in einem Gebiet, das sich vom oberösterreichischen Salzkammergut über die Obersteiermark nach Oberkärnten ausdehnte. Im oberen Ennstale, im Palten- und Liesingtal gab es Evangelische, ebenso im Murtale; Hauptgebiet war Oberkärnten, die Gegend nordöstlich der Drau um Spittal, Gmünd, Afritz, Treffen, Gnesau. Es sind dies jene Gebiete, wo sich auch heute die meisten Evangelischen befinden. Schwerpunkt im Salzkammergut war Goisern.
Die den Glauben stärkenden und ihm immer wieder neues Leben zuführenden Quellen waren lutherische Bücher, die durch rückkehrende Emigranten, Berufsschmuggler oder Agenten Eingang fanden15.4. Deshalb suchte die Regierung die Rückkehr emigrierter Adeliger zur Abwicklung ihrer Geschäfte zu verhindern und sie bot alle Mittel auf, der heimlichen Botengänger habhaft zu werden, aber sie vermochte die Quellen nicht zu verstopfen. Die Bauern der Ramsau unterhielten einen regen Viehhandel mit Bayern, besonders mit Regensburg, und in der Reichsstadt waren sie für die Versorgung mit der erwünschten Geheimware just am richtigen Orte. Die evangelische Geistlichkeit der Stadt schützte und förderte den Bücherhandel und eifrige evangelische Kaufleute machten es sich zur Aufgabe, solche Bücher zu stapeln, um sie den Sendboten mitzugeben15.5. Die Kärntner versorgten sich aus Nürnberg. Besonders groß war das Verlangen nach Bibeln. Manche wurden aufgestöbert. Viele aber blieben verborgen, und nur ihr Vorhandensein kann erklärlich machen, daß ohne jede seelsorgerliche Betreuung der Bauer Ruep Friz aus Ranten in den Wölzer Tauern ein so eindeutig [Seite 189] evangelisches Geständnis ablegen konnte, wie uns überliefert ist15.6. An solcher aus dem lebendigen Gotteswort genährter Glaubensfestigkeit prallten alle Bekehrungsversuche ab. Die Regierung hätte Ruep Friz laut Friedenschluß von Osnabrück das Benefizium emigrandi gewähren müssen. Nach der gewohnten Handlungsweise der österreichischen Behörden geschah dies nicht, der Mann wurde erst 49 Wochen lang gefangen gehalten, dann aber aus dem Lande gewiesen. Weib und Kinder behielt man jedoch zurück und so trieb es den Armen immer wieder in die Heimat, wofür er schließlich zur Galeerenstrafe verdammt wurde. Diese grausame Bestrafung des Vaters wirkte nicht so abschreckend, daß der Sohn sich zur römisch-katholischen Kirche bekehrt hätte. Auch er wurde schließlich als Kryptoprotestant ertappt15.7. Dieser Friz war nicht der einzige Evangelische im Gebiet der Herrschaft Murau. Die ganze Gegend war "verseucht". Eine Hausdurchsuchung im Jahre 1702 förderte 43 lutherische Bücher zutage.
Auch im Ennstale war es nicht anders. Dort wagte ein Bauer, Georg Strick, 1691 in der Ramsau bei Schladming öffentlich mit seinem evangelischen Bekenntnisse hervorzutreten. Dieser Tatsache und einer Gewalttat wegen, die er während eines Tumultes verübte, nachdem er während der Predigt laut das Lied: "Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort!" angestimmt hatte, wurde er verhaftet. Da sich aber die Obrigkeiten, der Abt von Admont und der Pfleger der Herrschaft Wolkenstein, nicht einigen konnten, in wessen Machtbereich dieser Strick eigentlich gehöre, ging er frei. Darüber aber waren sich die geistliche und die weltliche Obrigkeit völlig klar, daß es "in der Ramsau dergleichen Lutheraner wohl mehr" gäbe und "die mehristen admontische Untertanen"15.8.
Ebenso ging es in Oberkärnten in der Umgebung von Feldkirchen zu, in Gnesau, wo im Jahre 1709 der Bauer Thomas Neidhardt um seines evangelischen Bekenntnisses willen der Regierung zu schaffen machte; der Landeshauptmann, Sigmund Friedrich Graf Khevenhüller, ein eifriger Katholik, Enkel evangelischer Emigranten, nahm den Mann gefangen15.9. Er war ein richtiger Bauernprädikant, ein Laienprediger, der die Leute in ihrem lutherischen Glauben stärkte. Sein Prozeß förderte die Erkenntnis zutage, daß die ganze Gegend um Gmünd, Nörring, Teuchen, Gnesau und Afritz "mit dem lutherischen Gifte infiziert" sei. Wie man dies aber auch anderweits zu tun pflegte, so stempelte man auch Neidhardt zum Aufrührer, um ihn der Wohltaten des Friedensschlusses nicht teilhaftig werden zu lassen. Auf kaiserlichen Befehl wurde der Bauer auf freien Fuß gesetzt, sein Gut seinem Sohne übergeben und sehr zum Mißfallen des Landeshauptmannes erhielt Neidhardt die Erlaubnis, sich anderswo anzukaufen; immer wieder aber trat er mit seinem Bekenntnisse hervor, so daß er die Behörden bis zu seinem Tode 1725 beschäftigte.
Aber weder in Oberösterreich noch in Kärnten ist das Geschwür aufgebrochen, obwohl die Verhältnisse hier ganz ähnlich lagen wie in dem [Seite 190] benachbarten Osttirol, sondern hier, in dem zu Salzburg gehörigen Defereggentale, kam es am Ende des 17. Jahrhunderts zur Aufdeckung eines weitverzweigten Geheimprotestantismus.
Im Fürsterzbistum Salzburg hatte sich Matthäus Lang dem Eindringen des Luthertums zwar tatkräftig widersetzt, aber den neuen Glauben auszurotten war ihm nicht gelungen. Unter den Bergknappen dieses Landes hat die Bewegung tief Wurzel gefaßt. Wolf Dietrich von Raitenau, der kunstliebende Fürst, erließ wohl 1587 ein Mandat, das aus der Stadt Salzburg alle Unkatholischen auswies, auf dem Lande aber ließ er die Dinge auf sich beruhen, so daß er praktisch Duldung übte, was sich später an der weiten und tiefgehenden Verbreitung des evangelischen Glaubens im Salzburger Lande zeigen sollte15.10. Schärfer griff Marcus Sitticus (1612-1619) durch, aber von einer Ausrottung der Ketzerei konnte wohl auch unter ihm keine Rede sein. Während des Dreißigjährigen Krieges hatte Paris Graf Lodron genug zu tun, sein Land aus den Greueln des Krieges herauszuhalten, was ihm auch gelang. In religiöser Hinsicht war er duldsam; er ließ zur Betreibung seiner Bergwerke lutherische Knappen ins Land kommen und gestattete stillschweigend ein Privatexerzitium des Augsburgischen Bekenntnisses15.11. Ein böser Verfolger der Ketzer und ein Hexenverbrenner war aber Max Gandolph Graf zu Kuenburg (1668-1687). Unter ihm brach die lutherische Bewegung im Defereggentale auf15.12.
Dieses hochgelegene osttirolische Bergtal war salzburgischer Besitz. Heute ist es durch die Abtretung Südtirols an Italien nach dem Ersten Weltkriege von der Masse des übrigen tirolischen Landes getrennt, damals hing es damit zusammen. Die Bevölkerung trachtete, den kärglichen, harter Arbeit als Viehzüchter abgewonnenen Lebensunterhalt durch das Schürfen nach Kupfer und Blei und durch den Hausierhandel zu verbessern. Wann die lutherische Lehre im Defereggental eingedrungen ist, können wir mit Bestimmtheit nicht sagen. Es mag wohl schon im 16. Jahrhundert der Fall gewesen sein, und sie mag sich dort von den Eltern auf die Kinder fortgeerbt haben, ohne daß evangelische Prediger oder Lehrer zur Stelle gewesen wären. Äußerlich waren die Leute katholisch. Die Bauern verhielten sich im geistlichen Fürstentume so, daß man glauben konnte, alles wäre in schönster Ordnung.
Dennoch schöpfte die Regierung Verdacht; im Jahre 1666 kam ein Erlaß heraus, der die Visitation "suspecter" Häuser und die Beschlagnahme "sektischer" Bücher anbefahl. Dem Pfleger von Windisch-Matrei, [Seite 191] Wolfgang Adam Lasser, war die Lage schon längst als nicht geheuer erschienen; nun dang er einen Aufpasser, der ihm die Visitation bei den vorsichtigen und schlauen Bauern erleichtern sollte. Trotzdem konnte er ihnen nicht beikommen, weil sich keine Beweise finden ließen, wenn er auch so manchem hätte auf den Kopf zusagen können, daß er heimlich lutherische Bücher lese. Die Bauern kehrten den Spieß vielfach um, indem sie sich über die katholische Geistlichkeit beschwerten, die sich herausfordernd benahm und in grober und polternder Weise gegen die Lutherischen predigte. In ihrem Lebenswandel waren die katholischen Pfarrer keineswegs "exemplarisch". Die Antwort auf das Verhalten der Pfarrer war die Schmähung katholischer Bräuche. Aber greifbare Beweise für den lutherischen Glauben einer äußerlich brav katholischen Bevölkerung ließen sich nicht erbringen.
Erst im Jahre 1681 gelang es, einen der Haupträdelsführer, den 63jährigen Martin Veldner, zu einem Verhör nach Windisch-Matrei zu bringen. Er erhielt den Befehl, das Erzstift zu verlassen, vermochte aber die Abwanderung bis zum Winter 1683/84 hinauszuschieben15.13. Mit dieser Ausweisung hoffte man ein Exempel statuiert zu haben, um die anderen gefügiger zu machen. Zur geistlichen Unterbauung seiner Maßnahmen schickte der Erzbischof zwei Kapuzinermönche ins Tal. Der Orden hatte sich neben den Jesuiten um die Wiederherstellung der katholischen Religion sehr verdient gemacht. Die beiden Patres gingen gewissenhaft zu Werke und schon im Sommer 1684 war es ihnen möglich, das Ergebnis ihrer Examinierungen vorzulegen. Es zeigte sich, daß von etwa 1200 Bewohnern der verdächtigen Dörfer mehr als die Hälfte lutherischen Glaubens war. Das war eine böse Überraschung für die örtlichen Behörden und die Regierung in Salzburg. Zu welchen Maßnahmen würde sie sich entschließen?
Nach dem Wortlaute des Westfälischen Friedensschlusses, an den der Erzbischof von Salzburg als Reichsfürst gebunden war, wenn auch Paris Graf Lodron das Friedensinstrument nicht unterzeichnet hatte, gab es für Evangelische in katholischen Ländern drei Möglichkeiten: Sie konnten entweder geduldet werden und Hausandachten halten oder sich zur öffentlichen Religionsübung in die Nachbarschaft begeben (Art. V, § 34) oder sie konnten drittens freiwillig auswandern, wobei ihnen eine Frist von fünf Jahren, solchen aber, die erst nach dem Friedensschlusse ihre Religion änderten, eine solche von drei Jahren zur Regelung ihrer Vermögensverhältnisse gewährt werden sollte (§§ 36, 37); auch durften sie, so oft sie dies wünschen, zur Regelung ihrer Angelegenheiten in die Heimat kommen. Schließlich ist auch eine zwangsweise Auswanderung auf Befehl des Landesfürsten vorgesehen, aber keineswegs so, daß nicht eine mehrjährige Übergangsfrist zur Ordnung der Vermögensangelegenheiten hätte zugestanden werden müssen. Das jus reformandi hatte der Westfälische Friede aufgehoben.
Diesen geänderten Verhältnissen Rechnung zu tragen, war aber die erzbischöfliche Regierung nicht gesonnen; im Sommer 1684 forderte [Seite 192] sie vielmehr die Ablegung des römisch-katholischen Glaubensbekenntnisses oder die Räumung des Landes binnen 14 Tagen15.14. Diese Verfügung wurde am 20. Oktober durch die grausame Bestimmung verschärft, daß Kinder zurückzubleiben hätten. Dieser Befehl, der im November und Anfang Dezember verschiedentlich wiederholt wurde, stellte die evangelische Bevölkerung vor eine bittere und schwerwiegende Entscheidung. Aber auch hier siegte die Liebe zum Bekenntnis und die Abneigung, sich dem katholischen Zwange zu fügen.
Die Zahl der Abwandernden war erschreckend groß; am 13. Dezember 1684 setzte sich die erste Schar in Bewegung, der nach 14 Tagen eine zweite folgte. Im Winter mußte das hohe Gebirge durchwandert, und da man den Weg durch Tirol einschlug, der Brennerpaß überstiegen werden. Alle Leute waren mit Pässen versehen, aber die Kinder hatten nicht alle zurückgelassen. In Innsbruck wurden sie ihnen auf Ersuchen des Erzbischofs abgenommen und ins Defereggental zurückgebracht. Die Leiden der Auswanderer waren groß, da sie katholisches Gebiet durchwandern mußten, ehe sie zu ihren Glaubensgenossen nach Augsburg, Ulm, Memmingen, Nördlingen, ja bis nach Stuttgart und Frankfurt kamen. Auf ihrem Marsche mußten sie grausame Leiden und Quälereien erdulden, dabei fanden sie aber selbst in Tirol Glaubensgenossen, die nun ihrerseits verfolgt wurden. Die Auswanderer behaupteten, daß es im Toblacher und Brunnecker Gerichtsbezirk wie auch im Zillertale und im Pinzgau eine Menge "solcher christlicher Leute" gäbe, wie sie selbst waren. Etwa 1000 zogen von 1684 bis 1686 ab. Das brachte schwere wirtschaftliche Schädigungen mit sich; deshalb wurde die Abwanderung durch Verzögerung der Ausstellung der Pässe erschwert. Auch ließen sich die örtlichen Behörden, besonders der Pfleger Lasser, dadurch Verfehlungen zuschulden kommen, daß sie die zur Ordnung ihrer Angelegenheiten in die Heimat zurückkehrenden Leute kurzerhand einsperren ließen. Auch Entführungen von Kindern kamen vor. Zwar hätten auf Grund des Instrumentum pacis den Auswanderern die Kinder ausgefolgt werden müssen, aber alle Beschwerden am Reichstage und die Verwendung des Corpus Evangelicorum beim Kaiser waren von geringem Erfolg15.15
Die Leute im Defereggentale waren nicht die einzigen, die unter dem Erzbischofe Max Gandolph das Land Salzburg verlassen mußten. Ein Jahr nachdem das Mandat an die Deferegger ergangen war, wurde es ruchbar, daß auch die Bergknappen am Dürrnberg bei Hallein insgeheim Protestanten waren. Zur Rechenschaft gezogen, bekannten sie unerschrocken ihren Glauben und wurden ausgewiesen. Diese Gruppe ist durch den berühmtesten Exulanten des deutschen Südostens ausgezeichnet, den Laientheologen und Laienprediger Josef Schaitberger. Als Kind wohlhabender Eltern im Jahre 1658 zu Hallein "in der päpstlichen Finsternis" geboren und erzogen, wurde er in seiner Jugend durch seine Eltern mit Bibel, Hauspostille und lutherischem Katechismus vertraut gemacht. Sein Bekenntnis fußte auf der Augustana. In ihm [Seite 193] lebte ein starker Bekennergeist und durch seine Fähigkeit, seiner mutigen Gesinnung in seinem "Sendbrief" schriftlichen Ausdruck zu geben, wurde er der starke Tröster seiner Leidensgenossen15.16.
Auch Schaitberger mußte die Heimat unter Zurücklassung zweier kleiner Kinder aufgeben. Er wandte sich nach Nürnberg, wo er als einfacher Arbeiter bei einem Drahtzieher sein Brot verdiente. Das Lied "Ich bin ein armer Exulant" hat ihn unsterblich gemacht. Seine schriftstellerische Tätigkeit begann er bald nach seiner Niederlassung in der neuen Heimat. Arndts "Wahres Christentum" und Speners Schriften sind ihm geläufig. Er zeigt sich durch den Pietismus stark beeinflußt, lehnt jedoch seine Auswüchse ab. Dreimal ist Schaitberger in die Heimat zurückgekommen; als er es 1707 noch einmal versuchte, wurde er verhaftet. Seine Kinder waren zu seinem Schmerze streng katholisch erzogen worden, aber eine Tochter, Marie, konnte er zu seinem Glauben zurückgewinnen. Er erlebte noch den Auszug der 20.000 Salzburger; am 2. Oktober 1733 ist er in Nürnberg gestorben.
Was sich im 17. Jahrhundert im Defereggentale ereignete, war nur ein Vorspiel dessen, was sich im 18., dem Jahrhundert der Aufklärung und Toleranz, im Pongau und in den angrenzenden Landstrichen begab. Die dem Westfälischen Friedensinstrument stracks zuwiderlaufende Aktion des Salzburger Erzbischofs Leopold Anton Eleutherius Freiherrn von Firmian (1727-1744) hat das größte Aufsehen hervorgerufen und welthistorische Bedeutung erlangt. Als Bischof von Lavant und Seckau war er in engster Beziehung zu den Jesuiten in Graz gestanden. Der böse Geist des Austreibungswerkes aber war der Kanzler des Erzbischofs, der fanatische, bis zur Grausamkeit harte Hieronymus Christani von Rall15.17. Dem kaiserlichen Hofe kam die Vertreibung der Salzburger Protestanten durchaus ungelegen, denn sie fiel gerade in die Zeit, da Kaiser Karl VI. sich bemühte, die durch die Pragmatische Sanktion verfügte Erbfolge seiner Tochter Maria Theresia auch bei den evangelischen Reichsfürsten zur Anerkennung zu bringen. Daher war seine Regierung bestrebt, trotz aller Maßnahmen gegen unkatholische Alpenländler, keinerlei Mißtrauen aufkommen zu lassen; lieber bezeichnete man sie als insgeheim einer ketzerischen, irrigen, unzulässigen Lehre zugetan, als dem Luthertum oder dem Calvinismus, den beiden im Reiche einzig anerkannten evangelischen Bekenntnissen.
Jene im Jahre 1684/85 das Salzburger Land durchziehenden Deferegger Bauern hatten richtig gesehen, als sie die lutherische Lehre dort als weit verbreitet bezeichneten. Tatsächlich waren der Pongau und [Seite 194] die angrenzenden Landschaften weithin ketzerisch verseucht und dies seit altersher, weil gegenreformatorische Maßnahmen nie durchgegriffen hatten. Ob aber, wie man in Salzburg rekonstruierte, wirklich die Absicht einer Rebellion der 19.000 Bauern vorlag, die im Jahre 1731 eine Bittschrift beim Corpus Evangelicorum überreichen ließen, läßt sich nicht erweisen. Der Schrift lagen die stetigen und schließlich als unerträglich empfundenen Drangsalierungen durch die Pfarrer und Pfleger zugrunde. Immer wieder war es zur freiwilligen Abwanderung und zur heimlichen Einschmuggelung lutherischer Bücher gekommen. Neben der Bibel, der Lutherischen und Spangenbergischen Postille und dem Katechismus war der Sendbrief Schaitbergers das beliebteste Buch. Eine geheime, weil stets unterdrückte evangelische Kirche hat es seit der Reformation gegeben15.18. Am Laienkelch haben die Bauern ebenso zäh festgehalten wie die Oberösterreicher. Von 1565 bis 1571 hatte ihn der Erzbischof Johann Jakob von Khuen-Belasy gestattet15.19. Hauptschuld daran, daß die Bauern das Leben unerträglich fanden, waren die unaufhörlichen Drangsalierungen zum Zwecke des Eintrittes in die Bruderschaften. Marcus Sitticus hatte die Fronleichnams- und Rosenkranzbruderschaft gegründet. Der Eintritt in die Skapulierbruderschaft wurde von Firmian anbefohlen, aber die Bauern wollten nicht gehorchen. 1728 zog Firmian Jesuiten ins Land, die das Missionswerk in die Hand nehmen sollten. Nun begannen die Verhöre, die von den geistlichen und weltlichen Behörden gemeinsam angestellt wurden, bei denen den Bauern verwirrende und verfängliche Fragen vorgelegt wurden, desgleichen die Einkerkerungen in den entsetzlichen Gefängnissen, die die Leute mürbe machen sollten. In der oben genannten Bittschrift vom 16. Juni 1731 heißt es: "Man zwinget und dringet uns unter bedrohlicher Incarceration mit Wasser und Brot und würcklicher Relegation, von keinen anderen als ihren Glaubensarticuln etwas zu statuieren, all anders aber schlechterdings zu verdammen und zu verwerffen. Wie wir dann in den Kirchen von nichts als Ablaß, Bruderschaften, Rosenkräntzen, Fegfeuer, Meßopfer, Anruffung der Heiligen, voraus aber dieses zu innerster Kränkung zum öfteren hören: Man wisse von keiner als nur alleinig von der neu-catholischen Religion. Es ist unmöglich weiter so leben zu können"15.20.
Die Bittschrift der 19.000 evangelischen Bauern aus den sieben Gerichten Radstadt, Wagrain, Werfen, Bischofshofen, St. Johann im Pongau, St. Veit und Gastein an das Corpus Evangelicorum in Regensburg lenkte die Aufmerksamkeit der evangelischen Reichsstände auf die Vorgänge im Salzburgischen. Der erzbischöflichen Regierung erschien sie als ein rebellischer Akt. Mit Rall an der Spitze begann eine Untersuchungskommission ihr Werk. Es mußte alles geschehen, um die Glaubensbewegung als Rebellion zu stempeln. Nur so konnte man dem [Seite 195] Vorwurfe eines Bruches des Westfälischen Friedens entgehen, denn dieser sah für Leute, die sich nach 1624 zum evangelischen Glauben bekannten, eine dreijährige Frist bis zur Zwangsausweisung vor. Nur ein freiwilliger Abzug konnte die Regierung von der Gewährung des Trienniums entbinden.
Diese Maßnahmen der Regierung forderten naturgemäß eine Reaktion von seiten der aufgeregten evangelischen Bevölkerung heraus. Schon die Bittschrift hatte gezeigt, daß eine Organisation vorhanden war; nun fand am 5. August 1731 in Schwarzach die berühmte Versammlung statt, die der Letzte Ratschlag genannt wurde, in der die Bauern auf das Salz einen feierlichen Bundesschwur leisteten. Es war nicht schwer, aus den Ergebnissen der Untersuchungskommission und aus solchen Vorkommnissen, die von furchtsamen Pflegern und Pfarrern noch aufgebauscht wurden, eine Erhebung zu beweisen. So wurde die Sache in Wien, desgleichen auch durch den salzburgischen Gesandten Zillerberg in Regensburg dargestellt. Am 26. August 1731 erließ der Kaiser ein Dehortationspatent, das jedoch in Salzburg nicht verlautbart wurde. Gleichzeitig versprach der Kaiser Hilfstruppen. Schlagartig folgten nun die Aktionen der Regierung. Ende September wurden über 30 Rädelsführer gefangen, zugleich rückten die kaiserlichen Hilfsvölker in Werfen ein, der ganze Pongau wurde mit Truppen belegt. Im Oktober kam es zur Entwaffnung der evangelischen Bauern. Vom 31. Oktober 1731 ist das Emigrationspatent datiert, das am 11. November verlautbart wurde. Es war auf eine Massenvertreibung angelegt. Das Triennium glaubte man durch die Behauptung umgehen zu können, daß es sich nicht um friedfertige, sondern um rebellische Untertanen handle15.21. Konnte man aber diesen Beweis nicht führen, dann standen die Verfügungen des Patentes auf schwachen Füßen, dann waren der Befehl, binnen acht Tagen das Land zu verlassen, die mit sofortiger Wirkung erfolgende Aufhebung des jeweiligen Dienstverhältnisses sowie die Aberkennung der Zunftzugehörigkeit für evangelische Kaufleute und Handwerker nichts anderes als grobe Verletzungen des Friedensinstrumentes15.22.
Das Patent löste nicht nur bei den 19.000 Salzburgern Trauer und Verzweiflung aus, sondern auch Unzufriedenheit und Mißbehagen am kaiserlichen Hofe, tiefe Betroffenheit beim Corpus Evangelicorum in Regensburg und den evangelischen Ständen, schließlich auch schwere Bedenken und die Überzeugung, daß hier ein Friedensbruch vorliege, den die oberste Reichsgewalt das war in diesem Falle der Kaiser nicht ungeahndet lassen könne. Die Lage wurde für Firmian auch dadurch nicht besser, daß der salzburgische Gesandte eine abgeschwächte Ausgabe des Manifestes veröffentlichen ließ, da das Original bereits in Regensburg in Druck gegangen war15.23.
Die kaiserlichen Räte waren sich gleich dem Corpus Evangelicorum darüber einig, daß, soferne durch vorgelegte Untersuchungsprotokolle die aufständische Bewegung nicht nachgewiesen werden konnte, die Wohltat der dreijährigen Auswanderungsfrist zu gewähren war. Während aber noch die Reskripte der Kanzleien zwischen Salzburg, Wien und Regensburg hin und her geschickt wurden, war das Los der Betroffenen bereits besiegelt. Aller diplomatische Schriftenwechsel hat ihnen nichts genützt, keiner war, der ihnen zu Hilfe gekommen wäre, unnachsichtig begann im November 1731 die Austreibung15.24.
Am Sonntag, dem 11. November 1731, war das Emigrationspatent nach dem Gottesdienst von allen Kanzeln des Pongaus verlesen worden. Die Austreibung der Unangesessenen sollte in Werfen beginnen, den Besitzern von Grund und Boden wurde länger Zeit gelassen. Die meisten der schwer getroffenen Bauern, die lieber ihr Leben als Grund und Boden lassen wollten, baten um Fristverlängerung, die schließlich bis Georgi (24. April) 1732 erstreckt wurde. Nun aber ergaben sich nicht nur die Schwierigkeiten für die Pfleger, die die Leute in Marsch setzen mußten, sondern auch mit den Nachbarn, den Regierungen von Bayern und Tirol, die sich weigerten, solch aufrührerisches Gesindel, als welches die Leute von ihrer Regierung erklärt worden waren, durch ihr Land ziehen zu lassen. Da mußte erst von Salzburg beschwichtigt und die Frage der Transportkosten gelöst werden. Plötzlich waren die ausgetriebenen Evangelischen keine gewalttätigen Aufrührer mehr, sondern die friedlichsten Leute der Welt, ja zum Teil wurden jene, die sich nach der Winterpause im Frühjahr 1732 zur Auswanderung anschickten, nun wirklich freiwillig Abziehende, zu denen sie der Erzbischof und schließlich auch die dem vornehmsten geistlichen Fürsten Deutschlands sich nun geneigter zeigende kaiserliche Regierung gestempelt hatten15.25.
Während zwischen Wien, Regensburg und Salzburg ein unfruchtbarer Schriftenwechsel geführt wurde, hatte sich den armen Heimatlosen, deren Leiden und Drangsale in der offiziellen Korrespondenz nicht aufscheinen, eine rettende Hand entgegengestreckt. Von ihren Regensburger Gesandten auf das gewissenhafteste unterrichtet, war die preußische Regierung langsam und schrittweise der Absicht nähergetreten, Salzburger Bauern zur Besiedelung ihres bevölkerungsarmen Landes aufzunehmen. Schließlich hat in die zögernden Vorschläge seiner Räte König Friedrich Wilhelm I. höchstpersönlich eingegriffen. Im August 1731 war er schon bereit, tausend Familien aufzunehmen und am 2. Februar 1732 erging das Edikt, in dem der König "aus christköniglichem Erbarmen und herzlichem Mitleiden" ihnen "die hilfliche und mildreiche Hand bot"15.26. Welch weiter Weg von den Grenzen des Salzburger Berglandes bis in die ebenen, seenreichen Gegenden Ostpreußens zurückzulegen war, schildern die alten Chroniken ebenso wie die aus den Akten geschöpften geschichtlichen Darstellungen der neueren Zeit. Die Organisation dieser Umsiedlung, dieses Kolonisationswerkes [Seite 197] war eine gewaltige Leistung, die in Berlin und Königsberg genau vorbereitet wurde und ihren ersten sichtbaren Ausdruck in der Sendung des preußischen Kommissars Johann Göbel nach Regensburg fand, der Ende März 1732 in der Nähe von Donauwörth den ersten für Preußen bestimmten (seit Austreibungsbeginn den siebenten) Exulantentransport übernahm15.27. In dem Staatengemengsel des Reiches waren die ersten Schübe auf mancherlei Schwierigkeiten gestoßen, da katholische Reichsstände, so der Abt von St. Hildegard in Kempten, sie nicht durchlassen wollten, oder der Rat der freien Reichsstadt Augsburg, dem Katholiken und Protestanten angehörten, ihnen die Aufnahme verweigerten; zogen aber die Vertriebenen durch eindeutig evangelische Orte, wie Erlangen, Gera, Schleiz, Halle und Leipzig, so wurde ihr Wandern zum Triumphzug; sie wurden mit Gaben und Geschenken überschüttet und die Bürger stritten sich förmlich um die Ehre, sie zu beherbergen. Der erste Transport wurde in Potsdam am 29. April 1731 vom Könige selbst willkommen geheißen. 20.694 Salzburger hat Göbel übernommen, aber nur 13.944 erreichten Königsberg, weil manche unterwegs andere Asyle fanden15.28.
Die Ansiedlung der Salzburger vollzog sich im Rahmen der Kolonisation der durch die Pest in den letzten Regierungsjahren König Friedrichs I. furchtbar verheerten litauisch-preußischen Lande. Es war diese Ansiedlung die zweite große Kolonisationsperiode Preußens unter Friedrich Wilhelm I. Sie war eine persönliche Tat des Königs, der selbst die Richtlinien für das Verhalten der neu angekommenen Kolonisten ausarbeitete. In Gumbinnen und seiner Nachbarschaft wurde das erste und nötigste Obdach geschaffen; zunächst wurden die Siedler den Bauern in die Häuser gelegt und auch in Zelten untergebracht. Das größte und schwerste blieb aber noch zu tun, die endgültige Aufteilung und Ansiedlung der Leute, die teils eigene Güter kauften, teils als Dienstleute, teils als Handwerker angesiedelt wurden. Etwa 1690 wurden auf eigenem Grund und Boden angesetzt. Wie die Folge zeigte, erwies sich das Werk als ein voller Erfolg. Die Darstellung dieser Dinge gehört nicht mehr in den Bereich dieser Arbeit. Es sei aber doch noch darauf hingewiesen, daß eine Gruppe von Salzburgern den Weg in die englische Kolonie Georgien in Nordamerika gefunden hat. Die Salzburger folgten der Einladung der unter Führung von James Edward Oglethorpe stehenden "Society for the Promotion on Christian Knowledge" und der "Trustees for the Establishing the Colony of Georgia in America"15.29. Die Vorarbeit für die Zusammenstellung des ersten Transportes lag in den Händen von Senior Samuel Urlsperger in Augsburg. Am 3. Dezember 1733 segelte eine Gruppe von 91 Menschen von Rotterdam ab; sie stand unter der geistlichen Leitung von Pfarrer Johann Martin Bolzius [Seite 198] aus Halle. Am Savannah in Georgien wurde ihnen Land angewiesen, und sie bauten die Stadt Ebenezer. Weitere Transporte folgten, so daß im ganzen etwa 250 Salzburger dort eine neue Heimat fanden, neben anderen Einwanderern, besonders Pfälzern, die in dieser jungen Kolonie angesiedelt wurden. Das salzburgische Element spielte im Aufbau des Landes und während des Befreiungskrieges eine bedeutsame Rolle, stellte es doch auch 1777 den ersten Gouverneur des neuen Staates. Während des 19. Jahrhunderts ist Ebenezer verfallen und zählt heute zu den toten Städten Georgiens. Die Nachkommen seiner Bewohner siedeln verstreut in verschiedenen Teilen des Landes und sind von der englisch sprechenden Bevölkerung aufgesogen worden, aber am Ufer des Savannah steht noch heute die von den Salzburgern gegründete Jerusalem-Kirche, die allsonntäglich zum Gottesdienst ruft, und eine Bronzetafel kündet von der Landung der ersten Emigranten am 14. März 1734.
In der Heimat hatte der Auszug der Salzburger noch ein Nachspiel. Auch aus dem Gasteiner Tal waren im Frühjahr 1732 Evangelische fortgewandert, etwa 300 an der Zahl. Bei einer neuerlichen Visitation im Herbst 1732 ergaben sich noch 644 Verdächtige. Im August 1733 mußten weitere 189 Evangelische das Gasteiner Tal verlassen. Der größte Teil wandte sich nach Preußen, etwa 50 gingen nach Georgien. Damit war das evangelische Bekenntnis nicht ausgerottet und auch in den folgenden Jahren fanden Einkerkerungen, Prozesse und Landesverweisungen statt. Im ganzen mögen 700 Bauern mit ihren Familien abgezogen sein15.30.
Erst 1817 finden wir wieder vierzig "akatholische Individuen" im Lande, 1848 schließt sich der "Evangelische Verein" als Predigtstation der Pfarrgemeinde Attersee an; 1861 wird die Salzburger Gemeinde selbständig15.31.
Es war zu befürchten, daß das Salzburger Beispiel nach Österreich herüberwirken und auch hier tiefgreifende Folgen nach sich ziehen könnte. Denn auch dort war zu Beginn des 18. Jahrhunderts d. O.Ö. LA. Linz.er Protestantismus im Zunehmen begriffen und die Regierung war besorgt, daß das "anglimmende Religionsunwesen in hellere und gefährlichere Flammen ausbreche"15.32. Kaum war Josef I. während des spanischen Erbfolgekrieges im Jahre 1711 gestorben, so mußte sich die Regierung seines Bruders Karl VI., der selbst noch in Spanien weilte, schon mit [Seite 199] dem Protestantenproblem in Österreich auseinandersetzen. Um jeden Anschein einer Glaubensverfolgung dem Auslande gegenüber zu vermeiden und um so ungestörter vorgehen zu können, wurde in den Akten nicht von Luthertum oder Calvinismus, sondern von einer ketzerischen, irrigen, unzulässigen Lehre gesprochen15.33.
Mittelpunkte der Bewegung waren Oberösterreich und Kärnten. Im Juli 1712 kam es zu Ausschreitungen gegen den Pfarrer von Goisern, der offenbar gelegentlich einer gemischten Ehe ein Ausweisungsgebot über den unkatholischen Teil verhängt hatte. Der Kaiser befahl ein aufmerksames Aufsehen in Religionssachen zu haben, einen tüchtigen Kaplan in die den Jesuiten gehörige Pfarre Goisern zu setzen, "die Religionswidersache mit aller Bescheidenheit zur wahren Glaubenslehr zu bringen und die Bücher mit Glimpf abzufordern"15.34. Schwerlich ahnte Karl VI., wie viele Tausend Protestanten es im Lande gab. In Steiermark sollen es fünf- bis sechstausend gewesen sein, in Kärnten 20.000. Ein Edikt Karls VI. gegen die Protestanten in Steiermark und Kärnten vom 15. Juni 1714 wandte sich gegen das Auslaufen junger Burschen zur Sommerzeit nach Deutschland und verbot aufs strengste die Einschleppung lutherischer Bücher15.35. Unentwegt ging der Bücherschmuggel weiter. In Gmünd waren 1709 tausend Bücher beschlagnahmt worden15.36. Die Gegend von Schladming und der Ramsau wurde dauernd mit geistlichem Gut versehen. Immer wieder wurden Bücherträger aufgefangen, abgeführt und darüber verhört, von wem die Bücher geliefert worden waren und wer die Abnehmer seien. Der Landeshauptmann Hannibal von Porcia war 1717 der Meinung, daß "die oberkärntnerische Bauernschaft schier auf die Halbscheit der lutherischen Sect beigetan sei"15.37.
Die Behandlung der ertappten heimlichen Protestanten war hart, sie wurden mit hohen Geldstrafen belegt und eingesperrt. Solches Vorgehen empfanden die Betroffenen als dem Westfälischen Friedensvertrag zuwiderlaufend, der ihnen ihrer Meinung nach das jus emigrandi zugestand. Dies zu erreichen bemühte sich 1724 das Corpus Evangelicorum bei der kaiserlichen Regierung, aber seine Intervention hatte geringen Erfolg, denn wie seine Vorgänger glaubte sich auch Kaiser Karl VI. nicht an den Friedensschluß gebunden, soweit er Protestanten betraf. Alarmierende Gerüchte über diese Behandlung verdichteten sich, heimlich Entwichene, die nach Regensburg kamen, bestätigten sie. Im Juli 1733 fand sich das Corpus Evangelicorum bemüßigt, der kaiserlichen Regierung vorzustellen, daß ihr Vorgehen "mit dem ganzen systemata Imperii Germaniae incompatibel" sei15.38. [Seite 200]
In Wien glaubte man jedoch, jede Einmischung des Corpus Evangelicorum beiseite schieben zu können, weil sich eben damals bewahrheitete, was der Leiter der österreichischen Gesandtschaft am Reichstage, Philipp Heinrich Freiherr von Jodoci, schon längst behauptet hatte, daß das Nest der Verschwörung, die dem geheimen Protestantismus in Österreich neues Leben einhauchte, in Regensburg selbst zu suchen sei. Im Juli 1733 wurden zwei Emmissäre, Adam Ablinger, ein alter Emigrant, und Hans Lerchner, vom Pfleger in Kogel aufgegriffen, die mit Pässen vom Regensburger Magistrat und mit Vollmachten vom kurfürstlich-braunschweigischen Legationssekretär Hattorf versehen waren15.39. Die Regierung war zutiefst beunruhigt, denn zur selben Zeit war in Goisern ein bedenklicher Mißgriff geschehen. Der Salzamtmann Ferdinand Freiherr von Seeau hatte erfahren, daß wildensteinische Untertanen heimlich entwichen waren und hatte sich daher am 30. Juni 1733 zu einer Visitation nach Goisern begeben. Mit beweglichen Worten suchte er die Leute von heimlicher Flucht abzumahnen, da diese den landesfürstlichen Patenten zuwiderlief, erklärte aber gleichzeitig in höchst unbedachtsamer Weise, daß denen, die sich zur evangelischen Religion bekennen würden, das Abzugsrecht freistünde15.40. Der Erfolg war ungeahnt: sogleich erklärten sich 1200 Menschen als evangelisch, die das beneficium emigrandi forderten. In einem "Gründlichen Bedenken" vom September 1733 aber wies der Freiherr von Jodoci nach, daß der Paragraph 39 des Artikels V des Osnabrücker Friedensinstrumentes mit seinen Sonderbestimmungen über österreichische Untertanen die allgemeinen Bestimmungen der Paragraphen 36 und 37 aufhob, die denen, die sich nach 1624 zur evangelischen Religion bekannten, das beneficium emigrandi zusprachen15.41. Dies suchte er aus der Entstehung des Friedensschlusses zu beweisen, da Ferdinand III. diese allgemeinen Bestimmungen für seine Erbländer nie anerkannt hatte. Den Habsburgern stünde also noch immer das uneingeschränkte jus reformandi zu15.42.
Die kaiserlichen Räte waren aber nicht so sicher, ob die strittigen Bestimmungen des Osnabrücker Friedensvertrages nicht doch auch für Österreich Gültigkeit hatten. Der Ausbruch des polnischen Erbfolgekrieges, der gegen Frankreich geführt werden mußte, gebot überdies äußerste Vorsicht. Das ganze Streben ging daher dahin, die Protestanten und besonders die heimlich Abwandernden als Verächter der kaiserlichen Befehle und abtrünnige Untertanen hinzustellen, die der Bestrafung nach den Landesgesetzen verfielen. Lerchner wurde des crimen seductionis subditorum et turbatae tranquillitatis publicae angeklagt und zur Zwangsarbeit in Ungarn verurteilt. Es war beunruhigend, daß trotz solcher abschreckender Beispiele eine Gruppe oberösterreichischer Bergknappen im Oktober 1733 ungescheut und im Vertrauen auf [Seite 201] ihr gutes Recht, das ihnen durch ihre Freunde in Regensburg bestätigt wurde, in einer Bittschrift an die Reformationskommission evangelische Predigt, Gottesdienst und Kirchenordnung nach der Augsburger Konfession oder Auswanderung erbaten. Sie dachten sich dabei nichts anderes, als daß ihnen der Abzug ins Reich gestattet würde.
Die Seele dieser Bestrebungen war der in einer Liste von 25 Namen, die der Pfleger von Wildenstein, Gottlieb Hueber, zusammenstellte, als Erzrädelsführer bezeichnete Andres Primesberger aus Goisern, ein "alter, erlebter Mann", der ein Gütel sein Eigen nannte, das auf 700 fl. geschätzt wurde; er ist eine der prachtvollsten Gestalten des österreichischen Protestantismus der Spätzeit, Stab und Stütze seiner Glaubensgenossen. In Goisern war einem sterbenskranken Mann durch den Pfarrer das Sakrament verweigert worden, weil er geleugnet hatte, daß es ein Fegefeuer gebe und die Anrufung der Heiligen nützlich sei. Dem Toten wurde die Bestattung im geweihten Erdreich verweigert. Darauf brachten ihn seine Glaubensgenossen zu Grabe und Andres Primesberger sprach die Worte: "Weillen man uns ausschließet und wir nirgends kein Zuflucht haben, also soll dies der letzte sein, den wir anhero bringen; guth ist, daß wir nicht allein seyn, sondern in dem Land noch mehr seyndt, die unseres Glaubens ... jetzt wollen wir ein Vaterunser beten15.43." Am 18. Jänner 1731 erschien er mit drei anderen Männern vor dem Pfleger und bat mit geziemender Submission, weil sie keine katholische Kirche frequentieren können, und soviel die Seel anlangt, trostlos leben müssen, zu dem Kaiser nach Wien reisen zu dürfen, um die Erlaubnis zu erhalten, jährlich einmal zum Empfang des hl. Abendmahles in den nächsten evangelischen Ort zu reisen15.44. In Wildenstein meldeten sich 113 Lutheraner.
Die Regierung erschrak angesichts der "so onzählig intendierten Emigration". Keinesfalls wollte sie eine ähnliche Massenabwanderung in das evangelische Deutschland gestatten, wie sie aus Salzburg geschehen war. Die Evangelischen wurden in zwei Gruppen geteilt, in Verführer und Verführte. Die Verführer wollte man abschaffen, entweder zum Militär oder zur Zwangsarbeit nach Ungarn. Im übrigen empfahl man zwecks Rückgewinnung der anderen lentissime zu prozedieren, die facultas emigrandi zwar nicht ausdrücklich abzuschlagen, aber doch auch nicht expresse zuzusagen, sondern auf alle Weise, jedoch mit guter Art und unter verschiedenen Vorwänden zu verzögern und diffizil zu machen, praktisch also zu verhindern. Zur Unterweisung der Leute müßten katholische Bücher verteilt werden. Ohne Paß dürfe keiner aus dem Lande gehen; wer dies täte, werde als ungetreuer und seinem Landesherrn abtrünniger Untertan angesehen. Besonders zu vigilieren seien die Kraxenträger, die unter ihren Sachen versteckte lutherische Bücher mit sich führen. An positiven Maßnahmen wurde die Anstellung eifriger Kooperatoren und wohlverständiger Schulmeister [Seite 202] empfohlen15.45. Dem entgegen meinte der Pater Superior von Traunkirchen, es sei nicht ratsam, alle Kinder lesen und schreiben zu lehren, denn in den Büchern habe das Luthertum sein Fundament15.46.
Der entsprechende Erlaß für Kärnten erging am 12. August 1733;auch da wurde empfohlen, mit christlicher Sanftmut und Bescheidenheit vorzugehen, besonders bei Wegnahme der sektischen Bücher; an allgemeinen Grundsätzen sollen im besonderen folgende gehandhabt werden: Kein Ankauf von Grund und Boden ohne Vorweisung eines Zeugnisses des christlichen Wandels und des Gelöbnisses, allezeit wahrhaft römisch-katholisch zu sein und zu bleiben. Alle jene, die predigen oder lutherische Schule halten, seien als Aufrührer, "Susurrones und Concitatores", zu behandeln und unter die Soldaten zu stecken. Als solche Aufwiegler seien auch jene zu betrachten, die einmal emigriert seien und ohne Erlaubnis das Land wieder betreten hätten. Um den Leuten die Lust zur Auswanderung zu nehmen, sei die "Miserie" bekanntzumachen, in der die Auswanderer ihr Leben im fremden Lande unter Hunger und Kummer hinbringen. Daneben erging die Mahnung an die Geistlichkeit, sich die Belehrung der Bevölkerung im christlich-katholischen Glauben angelegen sein zu lassen. Alles käme auf die geschickte Amtierung der Pfarrer an, die nicht mit Gewalt, sondern mit Glimpflichkeit vorgehen sollten15.47.
Trotz aller dieser Mahnungen beruhigte sich die Lage nicht, und ähnlich wie in Oberösterreich wurde auch in Kärnten um die Ausübung des Augsburgischen Bekenntnisses gebeten15.48. 1737 brachte der Pfarrer von Haus im Ennstale 400 Bücher auf, die er verbrannte. Zur Vorsorge legte die Regierung Truppen nach Oberösterreich und nach Kärnten. Da man sich aber doch nicht verhehlen konnte, daß den österreichischen Protestanten das Recht auf Auswanderung zustehe, man aber in jener Zeit des Merkantilismus sich nichts so angelegen sein ließ wie den wirtschaftlichen Aufschwung der Länder, die "Peuplierung" und Stärkung der Volkskraft, kam der Gedanke auf, die eigenen Kräfte dem eigenen Lande dadurch zu erhalten, daß man die Evangelischen in solche Gebiete der Monarchie verpflanzte, die ihnen die Möglichkeit freier Glaubensübung boten; dafür erkor man das seit der siegreichen Zurückdrängung der Türken gewonnene fruchtbare, wohlsituierte, gesunde, aber nicht sehr bevölkerte Fürstentum Siebenbürgen15.49.
Der erste dieser Transporte, die man Transmigrationen nannte, fand nicht aus Kärnten, sondern aus Oberösterreich statt15.50. 263 Personen sollten abtransportiert werden; am 9. Juli 1734 wurde die Reise von Linz angetreten und führte donauabwärts über Klosterneuburg, wo der [Seite 203] Hermannstädter Stuhlrichter Friedenberg den Transport übernahm, nach Siebenbürgen, wo er nach kurzem Aufenthalte in Heltau schließlich in Neppendorf bei Hermannstadt untergebracht wurde. Aber auch diese Transmigrationen waren Gewaltmaßnahmen, die Tumult und Aufruhr bei der Abreise mit sich brachten. Aus Briefen, die sie in die Heimat schrieben, ging aber eine leidliche Zufriedenheit der Leute hervor15.51.
Der erste Transport aus Kärnten erfolgte im September 1734. Er umfaßte nur Männer, die unmittelbar aus dem Gefängnisse abtransportiert wurden, Frauen und Kinder waren zurückbehalten worden; die unmündigen Kinder sollten zwangsweise katholisch erzogen werden, wogegen die Betroffenen beim Corpus Evangelicorum Einsprache erhoben. Die Frauen und erwachsenen Kinder wurden nachgeschickt15.52.
Im November 1734 wurde ein neuer Transport aus Kärnten nach Siebenbürgen abgefertigt. Andere Evangelische wurden unter die Soldaten gesteckt. Wegnahme und Verbrennung von Büchern, Drangsalierungen aller Art gingen daneben unentwegt weiter15.53. Die Transporte aus Oberösterreich und Innerösterreich dauerten bis zum Ausbruch des Türkenkrieges 1736 an. In diesem Jahr ging noch ein Transport von 72 Köpfen aus Kärnten nach Kronstadt15.54. Im ganzen sollen etwa 1000 Personen transmigriert worden sein, 700 Oberösterreicher und 300 bis 350 Personen aus Kärnten.
Eine Lösung des Problems des österreichischen Protestantismus war die Transmigration nicht. Die Hoffnung, daß die Verpflanzung abschreckend wirken und die Rückkehr zum Katholizismus erleichtern werde, erfüllte sich nicht. Für die frommen Menschen, die glaubten, ohne Ausübung ihrer Religion nicht leben zu können, wirkte die Aussicht auf religiöse Freiheit eher verlockend. Außerdem dauerte die heimliche Abwanderung ins Reich an, und es war keine Abnahme der Evangelischen, sondern eine Vermehrung zu verzeichnen.
Diese religiösen Zustände bereiteten der frommen Kaiserin Maria Theresia schwere Sorgen. Während des Kampfes um den Bestand der Monarchie mußte sie die Dinge auf sich beruhen lassen. Nachdem aber der Friede von Aachen geschlossen war, setzten die Maßnahmen ein, die mehr auf eine Missionierung abzielten als auf die Aussiedlung. Besonders unbefriedigende Verhältnisse herrschten in der Steiermark. Es kam am 4. März 1752 zur Einsetzung einer Religionskommission und kurze Zeit darauf zur Bestellung des Hofrates Carl Hieronymus Holler von Doblhof zum Generalreligionskommissar. Wie ihre Vorgänger stand auch die Kaiserin auf dem Standpunkte, daß die aus dem Lande abzuschaffenden "aufrührischen" Untertanen des Beneficii emigrandi wegen hartnäckiger Ketzerei unwürdig seien15.55, so daß sie sehr wohl zwangsweise umgesiedelt werden könnten. Das entscheidende Schreiben [Seite 204] des Grafen Haugwitz an die siebenbürgische Hofkanzlei trägt das Datum des 15. Jänner 175215.56.
Das eigentliche Ziel der Maßnahmen der Kaiserin war die Wiederherstellung der Glaubenseinheit auf dem Wege der Mission. Deshalb befahl sie auf Grund des Berichtes Doblhoffs die Errichtung von Konversionshäusern, besonders für den Unterricht der irregeleiteten Jugend15.57. Im Jahre 1752 wurde auf Vorschlag Doblhoffs eine Religionshofkommission gebildet. Es wurde auf eine verstärkte Belehrung der Bevölkerung durch hingebungsvolle katholische Geistliche hingearbeitet, auf die Schaffung einer neuen katechetischen Literatur, wodurch die "ketzerische" verdrängt werden sollte, auf die Unterbindung der Versorgung mit evangelischen Büchern und auf strengste Fahndung nach denselben, da man in ihnen die vornehmste Quelle des Glaubensirrtums erblickte; wieder wollte ein geistlicher Hirte die Kenntnis des Lesens und Schreibens durch Aufhebung der Landschulen unmöglich machen15.58. Aber die katholische Geistlichkeit behandelte die Evangelischen schmählich und grausam und schimpfte unflätig über den verfluchten lutherischen Glauben15.59. Den hartnäckigen älteren Bauern gegenüber verblieb nur das Mittel der Transmigration nach Siebenbürgen. Die schwankenden jüngeren und die halbwüchsigen Kinder, soweit man sie zurückhalten konnte, sollten in Konversionshäuser gesteckt werden, deren erstes in Rottenmann errichtet wurde15.60. Vielfach versprach man, Kinder und Vermögen mitzugeben und hat dann doch beides zurückbehalten.
Konversionshäuser wurden außer in Rottenmann in Kremsmünster, Judenburg und Klagenfurt errichtet. Auch diese Einführung erforderte eine große Organisation; geeignete Häuser, Bereitstellung von Geldern, um die Leute zu versorgen, Bereitstellung der nötigen geistlichen Leitung, kurz, die Lösung einer Fülle von Fragen, die solche Anstalten für mehr oder weniger gefangene Frauen und Männer mit sich brachten.
Im übrigen wurde unter Maria Theresia gegen die Protestanten mit großer Härte vorgegangen; der Besitz evangelischer Bücher wurde mit hohen Geldstrafen belegt, junge Burschen wurden gegen ihren Willen zum Militär gezwungen, die Leute nach Komorn zur Zwangsarbeit verschickt. Von dieser rücksichtslosen Härte zeugt der erschütternde Brief eines Oberösterreichers aus Komorn, des Johann Feichtinger von der Loidlmühl. Frau und Kinder hatte er zurückgelassen, aber sein Vater und sein Bruder waren mitverschickt worden und gestorben. Von dem ganzen Transport waren nur noch zwei am Leben, und wenn sie nicht erlöst würden von diesem "miserablen elendiglichen Zustand, so müssen uns die Läuß und das Ungeziefer fressen ... dan auf dem Erdboden auf einem scheibel Stroh müssen wir liegen, wie ein armer Hundt, das Ellend unser kann ich nicht beschreiben"15.61. Auch Feichtinger war [Seite 205] schwer krank geworden und damals ist es dem katholischen Pfarrer wohl gelungen, ihn zu "bekehren", denn er und alle, die noch bei ihm waren, haben schließlich den "wahren katholischen Glauben" angenommen. Nun wünschte der Mann nichts sehnlicher, als in die Heimat zurückkehren zu dürfen. Ob sein Wunsch in Erfüllung gegangen ist, wissen wir nicht.
Das Transmigrationspatent für die Erbländer datiert vom 19. Juni 1752. Es befahl die Zwangsaussiedlung aller derer, die nicht für den Katholizismus gewonnen werden konnten. Die große Transmigration nach Siebenbürgen in der maria-theresianischen Zeit erstreckte sich auf die Jahre 1752 bis 1756. Der erste Transmigrant hätte allerdings Philipp Schupfer werden sollen, der 1746 mit seiner Familie von Aussee ausgesiedelt wurde. Da die Behörden ihn in Ungarn nicht durchließen, wanderten die Leute nach Schlesien und gelangten schließlich nach Berlin15.62. Über die Verhältnisse im Landl sind wir, soweit sie den Gerichtsbezirk Lambach betreffen, durch Akten im dortigen Stiftsarchiv gut unterrichtet15.63. Aus ihnen erfahren wir, wie die Leute aufgespürt, festgenommen und verhört wurden; wie es zur Zusammenstellung der sorgfältig geführten Listen kam, die jeweils die Charakterisierung des Haushaltungsvorstandes enthielten, ob er oder die Hausfrau ein Seductor, Conventiculant oder Relapsus war. Vermögensabrechnungen finden sich in großer Zahl. Aus diesem Bezirk, der die Pfarren Eferding, Wels, Vöcklabruck, Gunskirchen und Schwanenstadt umfaßte, mögen im Laufe der genannten Jahre etwa 700 Personen abtransportiert worden sein.
Im ganzen wurden 14 Transporte abgefertigt, die 1022 Familien mit 2664 Personen umfaßten. Davon stammten 71 aus der Steiermark, 699 aus Kärnten, 1894 aus Oberösterreich15.64. Wir sehen, daß dieses Land die weitaus größte Zahl der Emigranten stellte.
Die Schwierigkeiten der Ansiedlung und die Leiden der Umgesiedelten waren groß, da zu wenig Vorsorge getroffen worden war. Die Leitung des Geschäftes lag in den Händen des Transmigrationsinspektors Hofrat Seeberg, einer hierzu völlig ungeeigneten Persönlichkeit, dessen Maßnahmen große Summen verschlangen, ohne zum gewünschten Erfolg zu führen. Die Ansiedlungsorte lagen in der Nähe von Hermannstadt. Die Lage der Siedler war schlecht, vielfach hat man ihr Vermögen zurückbehalten, sie wurden als mit Lumpen behangene Bettler bezeichnet15.65. Die Sterblichkeit war in den ersten Jahren außerordentlich [Seite 206] hoch; bis 1756 waren 656 Personen hinweggestorben, darunter allein 478 Oberösterreicher15.66. 59 oberösterreichische Familien sind völlig zugrunde gegangen. Im Jahre 1775 stellte man fest, daß von 309 transmigrierten Familien aus Oberösterreich 106 ganz ausgestorben, 29 völlig verarmt, 19 obdachlos und nur 155 richtig angesiedelt waren15.67. Jedenfalls war die Lage der Umgesiedelten völlig anders, als die österreichische Regierung das Corpus Evangelicorum in Regensburg glauben machen wollte. Dieses war jedoch von flüchtigen Emigrierten über die wahre Lage unterrichtet worden und alarmierte das ganze evangelische Europa bezüglich der Vergewaltigung der Glaubensgenossen in Österreich15.68. Deshalb wurde ein neuer Umsiedlungsinspektor in Gestalt des Hofkamerrates Freiherrn von Dietrich eingesetzt, der 1756 feststellen mußte, daß von 550 umgesiedelten Familien nur 48 dauernd ansässig waren. In drei Monaten gelang ihm die Ansiedlung weiterer 89 Familien15.69. Das hing damit zusammen, daß viele Familien auf Höfen der Sachsen und Walachen untergebracht worden waren und dort Taglöhnerdienste verrichteten, anstatt selbständig zu wirtschaften.
Im Hinblicke auf alle diese Übelstände kann die Transmigration alpenländischer österreichischer Protestanten nicht als durchweg geglückt bezeichnet werden. Es war auch nicht leicht, ein erträgliches Verhältnis zwischen den Sachsen und den Emigranten herzustellen, denn jene waren durchaus nicht gewillt, die Ankömmlinge ihrer Nation als freie Leute einzugliedern. 1758 wurde hierüber von der Regierung eine Verordnung erlassen. Die Assimilierung der Transmigranten an die sächsische Nation ging außerordentlich langsam vor sich. Dennoch kamen viele zu Wohlstand und Ansehen. Reicher Kindersegen derer, die festen Fuß faßten, glichen die Verluste der ersten Jahre aus. Als Blutaufmischung des Sachsentums und Wiederbelebung in religiöser Hinsicht war die Umsiedlung für Siebenbürgen zu begrüßen.
Schon dämmerte aber für den unterdrückten österreichischen Protestantismus das Morgenrot einer neuen Zeit. In den siebziger Jahren machte sich in steigender Weise der Einfluß des Mitregenten Maria Theresias, des Thronfolgers Kaiser Josef II., geltend. Keiner hat so wie er sich das Schicksal der Länder, die er künftig regieren sollte, zu Herzen genommen. Sein edles Streben im Sinne der Aufklärung und der Achtung vor der Menschenwürde, wie sie der deutsche Idealismus verkündete, macht ihn zum Ideal des Monarchen seiner Zeit. Im Jahre 1774 fand die letzte Transmigration statt15.70. Am 7. November desselben Jahres wurde durch Handschreiben Kaiser Josefs II. die Zwangsübersiedlung der "als Ketzer sich angebende oder betretende Untertanen" nach Siebenbürgen oder Ungarn aufgehoben15.71. Sieben Jahre später erging am 13. Oktober 1781 das Toleranzpatent. Mit ihm begann eine neue Epoche der Geschichte des österreichischen Protestantismus. [Seite 207]
SCHRIFTTUM ZU XV.
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E. Nowotny, Die Transmigration ober- und innerösterreichischer Protestanten nach Siebenbürgen im 18. Jahrhundert. In: Schriften d. Institutes f. Grenz- u. Auslandsdeutschtum d. Universität Marburg, Heft 8, 1931
Quellen zur deutschen Siedlungsgeschichte in Südosteuropa, Heft 11, 1936
K. Reissenberger, Zur Geschichte der evangelischen Transmigration aus Ober- u. Innerösterreich nach Siebenbürgen. In: JBGPÖ. 7. Jg. 1886. [Seite 208]
Das Verbot der Umsiedlung evangelischer Untertanen, das Josef II. 1774 aussprach, war nicht der einzige Vorläufer des Toleranzpatentes. Galizien brachte, als es durch die erste Teilung Polens 1772 an Österreich fiel, die Glaubensfreiheit sozusagen mit und erhielt sie erneut bestätigt. Dem Ascher Bezirk in Böhmen, der infolge der ehemaligen Reichsunmittelbarkeit eine Sonderstellung genoß, und den Evangelischen in Triest wurde sie 1778 gewährleistet16.1 1780 wurden die Religionskommissionen eingestellt und mit Hofdekret vom 16. Juni 1781 wurde erklärt, daß "kein Unterschied zwischen Katholiken oder Protestanten mehr gemacht werde", mit Ausnahme, daß diese kein öffentliches Religionsexerzitium hätten16.2.
Das Toleranzpatent vom 13. Oktober 178116.3 ordnet sich den Maßnahmen des Kaisers ein, die wir unter dem Schlagwort Josefinismus zusammenzufassen pflegen. Letzten Endes der Initiative des Kaisers entsprungen, der überzeugt war, daß "aller Gewissenszwang schädlich und wahre christliche Toleranz für Religion und Staat von großem Nutzen" sei, wurzelt es in der Auffassung jener aufgeklärten Kreise, zu denen auch der Staatskanzler Fürst Wenzel Kaunitz zählte; 1777 hatte er stillschweigende Toleranz für die Protestanten in Mähren durchgesetzt,16.4 und deren offizielle Bestätigung befürwortet16.5. In sieben kurzen Abschnitten legt das Toleranzedikt die Bedingungen fest, unter denen die akatholischen österreichischen Untertanen des Kaisers, evangelische und griechisch-nichtunierte, ihren Glauben bekennen dürften; das Patent für Ungarn erging am 25. Oktober 1781. Entsprechende Weisungen wurden für Galizien, Triest und Schlesien gegeben16.6. Dieses seit 1741 bei der Monarchie verbliebene Restschlesien nahm insofern eine Sonderstellung ein, als dort seit dem Prager und dem Westfälischen Frieden Glaubensfreiheit herrschte, die in der Altranstädter Konvention 1707 von Karl VI. hatte erneut zugesichert werden müssen16.7. 1748/49 wurde für die evangelische Kirche in Schlesien ein Konsistorium in [Seite 209] Teschen errichtet.
Durch das Edikt des Kaisers geschützt, konnten die Evangelischen nun darangehen, im zweifachen Sinne des Wortes, Kirche zu bauen. Im Jahre 1782 konstituierten sich in Wien die beiden evangelischen Gemeinden Augsburgischen und Helvetischen Bekenntnisses. Die vornehmste Sorge galt der Errichtung von Gotteshäusern. Zu diesem Zwecke erwarben sie die Gründe und Gebäude des aufgehobenen sogenannten Königsklosters in der Dorotheergasse. Es war dies das Clarissenkloster gewesen, das die unglückliche Witwe Karls IX. von Frankreich, Elisabeth, Tochter Maximilians II., die die Schrecken der Bartholomäusnacht nicht vergessen konnte, nach ihrer Rückkehr in die Heimat errichtet hatte. Die augsburgische Gemeinde verwendete die alte Kirche als ihr Gotteshaus, die helvetische baute nebenan auf dem Klostergelände ein neues16.8. Kirchen durften es ja nun nicht sein, sondern lediglich Bethäuser ohne Türme, Glockengeläut und Eingang von der Straße. Für die Gemahlin Erzherzog Karls, des Siegers von Aspern, Maria Henriette von Weilburg, die reformierten Bekenntnisses war, wurde das reformierte Bethaus mit einem Zugang von der Straße her versehen, der jedoch sofort wieder zugemauert wurde, als diese Fürstin 1830 vorzeitig starb. Der erste Seelsorger der evangelischen Gemeinde A. B. wurde der dänische Gesandtschaftspfarrer Johann Georg Fock16.9; zum ersten Pfarrer der reformierten Gemeinde wurde der Prediger der holländischen Gesandtschaft Karl Wilhelm von Hilchenbach16.10 bestellt.
Im übrigen Lande entstanden 48 Toleranzgemeinden: 1 in Niederösterreich (Mitterbach), 9 in Oberösterreich (Eferding, Goisern, Gosau, Neukematen, Rutzenmoos, Scharten, Thening, Wallern, Wels) 3 in Steiermark (Ramsau, Schladming, Wald), 14 in Kärnten (darunter Arriach, Bleiburg, Feffernitz, Feld am See, Gnesau, Weißbriach); die meisten, 23 an der Zahl, wies das nachmalige Burgenland auf (darunter Bernstein, Gols, Kobersdorf, Lutzmannsburg, Markt Allhau, Mörbisch, Oberschützen, Rust).
Als Nachfahren des 1784 von Teschen nach Wien verlegten Konsistoriums wurden für die beiden Kirchen zwei Konsistorien errichtet, an deren Spitze ein gemeinsamer katholischer Präsident stand.
Bedeutete das Toleranzedikt auch einen gewaltigen Fortschritt gegenüber dem früheren Zustande, so brachte es doch nur Duldung und keine Gleichberechtigung. Wohl war die rechtliche Gleichstellung vor dem Gesetz, die Zulassung zu allen Ämtern und zum Bürger- und Meisterrecht ausgesprochen, aber mannigfach waren trotzdem auch weiterhin die Einschränkungen für die Evangelischen in rechtlicher und gesellschaftlicher Hinsicht, vielfach die Schwierigkeiten, die katholische geistliche und weltliche Behörden dem Übertritt zum evangelischen [Seite 210] Bekenntnisse in den Weg stellten. Nur wo sich 100 und mehr Familien auf einmal meldeten, konnten Gemeinden mit Bethäusern und Schulen entstehen. Tapfere Bahnbrecher machten auch auf dem Lande den Anfang und nicht weniger als 73.000 meldeten sich im ganzen Land16.11, vor allem in Oberösterreich. Das war für die überraschten Behörden zu viel. Ein Hofdekret vom 19. Dezember 1782 verfügte, daß jeder, der sich zum Übertritt meldete, einen sechswöchigen Religionsunterricht beim katholischen Pfarrer durchmachen mußte, ehe ihn dieser den Übertritt vollziehen ließ. Solche Vorschriften gab es im umgekehrten Falle nicht. Es gehörte Mut, Ausdauer und feste Glaubensüberzeugung dazu, um dem Wechsel vom katholischen zum evangelischen Bekenntnisse gewachsen zu sein.
Sehr bald verwischte die tatsächliche Entwicklung der Verhältnisse die von Josef II. geschaffenen rechtlichen Grundlagen des österreichischen Protestantismus. Dem Zeitalter der Aufklärung, der Menschenrechte, der religiösen Gleichgültigkeit, ja des Unglaubens, folgte, gefördert durch Kampf und Sieg der konservativen Mächte über Napoleon, in dem die Ideen der Französischen Revolution letzten Ausdruck gefunden hatten, die Reaktion in Form der Restauration der vorrevolutionären Mächte, zu denen auch die katholische Kirche gehörte. Für die Evangelischen Österreichs drohten die Vorteile des Patentes zunichte zu werden, der Katholizismus wurde zur allein bevorrechteten, vom Staate geschützten und geförderten Religion. Diese Entwicklung ist deutlich an der Ehegesetzgebung zu beobachten, die sich ganz unbefriedigend gestaltete.
Laut Toleranzpatent mußte das Aufgebot evangelischer Eheleute durch den katholischen Pfarrer erfolgen. Bei gemischten Ehen nahm er auch die Trauung vor; zudem erhielt er Stolgebühren auch von evangelischen Gemeindegliedern, die daneben auch noch die Kosten für die eigene Kirche zu tragen hatten. In Fragen der Kindererziehung in gemischten Ehen hatte das Toleranzedikt klare Fronten geschaffen: Dem katholischen Vater folgten die Kinder beiderlei Geschlechts, dem protestantischen Vater nur die Knaben. Die Ausstellung von Reversen war verboten. In der Zeit der Reaktion nach den Napoleonischen Kriegen aber, als im Gefolge der Romantik mit der Festigung des Bündnisses von Thron und Altar die katholische Kirche außerordentlich erstarkte, schlich sich diese Übung wieder ein. 1829 wurde angeordnet, daß die Willenserklärung des akatholischen Vaters über die katholische Erziehung seiner Kinder ins Taufbuch eingetragen werden müsse. 1839 kam vollends der Rückschlag dadurch, daß bezüglich der katholischen Kindererziehung von dem evangelischen Bräutigam ein Revers verlangt wurde, sonst verweigerte man Verkündigung und Trauung des Brautpaares. Die evangelische Einsegnung gemischter Ehen, die unter den geschilderten Verhältnissen fallweise erfolgt war, wurde 1842 von der Regierung untersagt16.12. [Seite 211]
Wie wenig gesichert die Lage der evangelischen Untertanen eines habsburgischen Herrschers damals war, zeigt die Vertreibung der Zillertaler Protestanten im Jahre 1837. Für das fürsterzbischöfliche Konsistorium in Salzburg bedeutete es eine unliebsame Überraschung, als sich im Zillertal sechs Bauern aus Gründen des Übertrittes zu einer anderen "tolerierten" Konfession zum sechswöchentlichen Religionsunterrichte meldeten16.13. Auch die geistlichen und weltlichen Behörden Tirols und der streng katholische Adel waren sich darüber einig, daß es in dem "bisher glaubenseinigen Lande" keine akatholische Gemeinde geben dürfe16.14. Sie machten geltend, daß das Toleranzpatent für die Zillertaler keine Geltung habe, da es zu einer Zeit erlassen worden war, als die östliche Talseite noch zum Erzbistum Salzburg gehörte; niemals war es dort ordentlich verkündet worden. Ein Bericht des Erzbischofs Friedrich Fürst Schwarzenberg an die Wiener Regierung hat schließlich den Beschluß ausgelöst, der zur Austreibung führte16.15. Von den drei Möglichkeiten, die den Zillertaler Protestanten offenstanden, Bekehrung zum Katholizismus, Übersiedlung in eine jener Provinzen des Kaiserstaates, wo es schon akatholische Gemeinden ihres Bekenntnisses gab, und Auswanderung, wählten fast alle die dritte. Nach dem Muster ihrer Glaubensgenossen vor 100 Jahren hatten auch sie ihre Blicke nach Preußen gewandt, wo sie bereitwillig aufgenommen wurden. Etwa 460 "Inclinanten" fanden in Schlesien am Fuße des Riesengebirges eine neue Heimat. Erst 1869 konnten evangelische Christen sich zu Gottesdiensten in Innsbruck zusammenschließen, 1872 wird um eine Gemeindegründung angesucht, die gleichzeitig mit der Meraner 1875 vom Ministerium bewilligt wurde16.16. Vierzehn Jahre früher war nach Erlassung des Protestantenpatentes 1861 eine Gemeinde reformierten Bekenntnisses in Bregenz gegründet worden.
Aber nicht nur die Protestanten waren im Vormärz unzufrieden, auch die katholische Kirche wünschte sich von der lästigen Bevormundung durch den Staat zu befreien, die dem Geiste religiöser Erneuerung und Verinnerlichung nicht entsprach, von dem das Gutachten des Abtes Johann Othmar von Rauscher über die Neugestaltung der Ehegesetzgebung 1836 Zeugnis ablegte16.17.
Ein Gutes hat der Vormärz den Evangelischen gebracht: Um den Besuch evangelischer Theologiestudenten in Deutschland zu verhindern, wurde 1819 die Gründung der evangelisch-theologischen Lehranstalt gestattet16.18. Sie wurde 1821 in Wien eröffnet.
Das Revolutionsjahr 1848 stellte für die Evangelischen eine Lockerung des Druckes in Aussicht. Die Eingaben der Presbyterien der beiden Kirchen vom 8. April 1848 an Kaiser Ferdinand enthielten die Bitte, [Seite 212] vollkommene Religionsfreiheit und Gleichheit der Kulte zu gewähren und alle beschränkenden Verordnungen und Gesetze aufzuheben, die der Gleichstellung der Protestanten und Katholiken entgegenstanden16.19. Darauf wurde das Versprechen erteilt, daß die evangelische Kirche im Staatsgrundgesetz volle Berücksichtigung finden werde16.20. Im August 1848 tagte in der theologischen Lehranstalt eine Konferenz evangelischer Geistlicher und Laien, die die zur Erreichung der Rechtsgleichheit notwendigen Maßnahmen erwogen; ihr gehörte auch der Professor für Kirchengeschichte und Kirchenrecht an der evangelisch-theologischen Lehranstalt Friedrich Daniel Schimko an, Gestalter der presbyterial-synodalen Verfassung.
Erst mit dem Thronwechsel am 2. Dezember 1848, als Kaiser Ferdinand zugunsten seines Neffen Franz Joseph auf die Krone verzichtet hatte, wurde in einer vorläufigen Verfügung des Innenministers Franz Graf Stadion vom 30. Jänner 1849 das Versprechen der Regierung in die Tat umgesetzt: Die diskriminierende Bezeichnung Akatholiken sollte künftig fortfallen; nach dem vollendeten 18. Lebensjahre konnte der freie Übertritt von einem Bekenntnisse zum anderen erfolgen. Die evangelischen Seelsorger durften eigene Matriken führen und die Zahlung der Stolgebühren durch Evangelische an katholische Pfarrer hörte auf; evangelische Verlobte mußten nicht mehr in katholischen Kirchen aufgeboten werden16.21.
Der infolge der Unruhen in Wien vom Kaiser am 15. November 1848 aus der Residenzstadt nach Kremsier verlegte Reichstag beriet als Einleitung zur Verfassung die Grundrechte. Darin sollte die Gleichberechtigung der Konfessionen ausgesprochen werden. Rufer im Streite für dies Verlangen der evangelischen Kirche wurde der Bielitzer Pfarrer Carl Samuel Schneider, der einzige evangelische Geistliche in der Reichsversammlung16.22. Die Bestrebungen katholischer Kreise, besonders der Tiroler Abgeordneten, der katholischen Kirche als Kirche der Mehrheit nach "demokratischem" Grundsatze die Vorherrschaft zu sichern, erregten seine Besorgnis. In seiner Rede am 27. Februar 1849 beruhigte er die Tiroler, die sich vor dem Einbruch der Ketzerei in ihr Land fürchteten, wie sie dies zur Zeit der Auswanderung der Zillertaler getan hatten; so bezeichnete er freundlicherweise die Austreibung16.23. Demgegenüber nahm er die Gelegenheit wahr, in beredten Worten die Knechtung und Rechtlosigkeit seiner evangelischen Glaubensgenossen nicht bloß in den vergangenen Jahrhunderten, sondern in der unmittelbaren Gegenwart zu schildern, denn auch das Toleranzpatent habe keine Erlösung gebracht, die Duldung sei nicht immer vom Geiste echter Humanität, vom wahrhaften Geiste des Christentums durchweht gewesen. Schneider entrollte das düstere Bild der praktisch rechtlosen [Seite 213] evangelischen Kirche in Österreich. "Aus unseren Leiden heraus, aus den Erfahrungen, die wir gemacht haben, protestieren wir feierlich gegen eine herrschende Kirche, denn wir wollen nicht weiter die zurückgesetzten Stiefkinder, wir wollen ebenso wie die Katholischen wahre Söhne und Töchter des Vaterlandes sein."
Weder die Grundrechte, die der Kremsierer Reichstag beraten hatte, noch die Verfassung, die er vorbereitete, kamen zur Auswirkung. Die Regierung des jungen Kaisers Franz Joseph löste am 7. März 1849 den Reichstag auf und am selben Tage erließ der Kaiser die Verfassung vom 4. März. Das einleitende Patent verkündete die volle Glaubensfreiheit für jedermann und das Recht auf häusliche Ausübung des Religionsbekenntnisses. Jede gesetzlich anerkannte Kirche und Religionsgemeinschaft erhält das Recht der gemeinsamen öffentlichen Religionsausübung, ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig und bleibt im Besitz und Genuß der für ihre Kultus-, Unterrichts- und Wohltätigkeitszwecke bestimmten Anstalten16.24.
Im Sinne dieser Verfügung wurde im Juni eine Versammlung von Superintendenten und Vertrauensmännern der evangelischen Kirchen ins Innenministerium nach Wien berufen. Nach den Vorschlägen Schimkos kam in Anlehnung an ein ungarisches Vorbild ein Gesetzesentwurf zustande, in dem der Grundsatz der presbyterial-synodalen Gemeindeordnung nun auch in der lutherischen Kirche zum Durchbruch gelangte16.25. Die oberste Kirchengewalt sollte der Kirche selbst zustehen; Hauptträger dieser Gewalt sollten Presbyterien und Synoden sein. Demgegenüber betonten die Konsistorien, an deren Spitze Maximilian Freiherr von Werner stand, die Notwendigkeit der Aufrechthaltung der Konsistorialverfassung. Diese gegensätzliche Auffassung von Konsistorien und Kirchenmännern machte es der katholischen Regierung leicht, die gesetzliche Regelung für die evangelische Kirche auf die lange Bank zu schieben. Denn von der Gleichberechtigung der evangelischen mit der katholischen Kirche, die der Entwurf unumwunden gefordert hatte, war keine Rede, da ja auch die demokratische Verfassung wieder zu Grabe getragen wurde. Österreich kehrte zum vorrevolutionären absolutistischen Kurs zurück. Am 31. Dezember 1849 wurde die oktroyierte Verfassung vom März 1849 außer Kraft gesetzt. Kirchliche Gesetze konnten nur im Verordnungswege gegeben werden: Ein Erlaß vom 21. Jänner 1850 gestattete die Einsegnung gemischter Ehen durch den evangelischen Seelsorger; eine Entschließung vom 15. November 1854 setzte das Mindestalter für Pfarrer und Vikare fest. 1850 wurde die evangelisch-theologische Lehranstalt in eine Fakultät umgewandelt, auf die die an den Universitäten geltenden Normen Anwendung fanden16.26; 1856 wurden Kandidaten der evangelischen Theologie vom Militärdienste befreit. [Seite 214]
Mittlerweile war Österreich in eine neue Ära katholischer Kirchenherrschaft eingetreten. Seit der Thronbesteigung Kaiser Franz Josefs war der Ruf nach einem Konkordat nicht mehr verstummt. Im Frühjahr 1849 tagte unter dem Vorsitz des Kardinals Friedrich von Schwarzenberg eine Bischofskonferenz in Wien, deren Anträge die Grundlage für das Konkordat schufen, das am 18. August 1855, dem Geburtstage des Kaisers, unterzeichnet wurde. Tätigsten Anteil hatte an seinem Zustandekommen der Erzieher des Kaisers, Fürsterzbischof Rauscher, genommen. Vorläufer war 1850 die Aufhebung des Placetum regium gewesen16.27 und die Verordnung vom 23. April desselben Jahres, die die Beziehungen der katholischen Kirche zum öffentlichen Religionsunterrichte regelte. In dem folgenschweren Vertrage mit dem päpstlichen Stuhle16.28 werden der katholischen Kirche in ganz Österreich alle jene Rechte und Prärogativen zuerkannt, die sie nach "Gottes Ordnung und den kanonischen Bestimmungen genießen soll". Dem Klerus und dem Volke wird der Verkehr mit der Kurie freigegeben; die oberste Aufsicht über das Schulwesen wird den Bischöfen übertragen, die darüber zu wachen haben, daß nichts dem katholischen Dogma Widersprechendes gelehrt werde; in demselben Sinne üben die Bischöfe die Bücherzensur. Die Ehe wird dem kanonischen Rechte und den tridentinischen Dekreten unterworfen. Damit war das josefinische Staatskirchenrecht beseitigt, der Grundsatz der Kremsierer und der oktroyierten Verfassung von der Gleichberechtigung der Kirchen aufgehoben. Deshalb mußte von evangelischer Seite der Kampf darum weitergeführt werden.
Unentwegt drangen die Vertreter der evangelischen Kirchen auf eine Regelung des Verhältnisses ihrer religiösen Gemeinschaften zum Staat. Sie fanden eine Stütze in den Vorarbeiten, die zur Erlangung desselben Zieles vom Kultus- und Unterrichtsministerium unter der Leitung des Grafen Leo Thun für Ungarn zu leisten waren.
Mit Erlaß vom 13. September 1859 beauftragte Graf Thun die Konsistorien, in reifliche Erwägung zu ziehen, "inwieweit es unter Aufrechterhaltung der zu Recht bestehenden Consistorialverfassung den Verhältnissen, unter welchen in dem Gebiet ihrer Amtswirksamkeit ihre Glaubensgenossen leben, entsprechen dürfte, ihnen in der aufsteigenden Gliederung der kirchenregimentlichen Organe eine Beteiligung einzuräumen und welche Veränderungen etwa in der Einrichtung und Zusammensetzung der Consistorien wünschenswert wären"16.29. [Seite 215]
Mit der Leitung der Konsistorien wurde nach Enthebung des katholischen Hofrates Maximilian Freiherrn von Werner der evangelische Ministerialrat Joseph Andreas Zimmermann betraut, der in Verbindung mit Konsistorialrat Dr. Jakob von Jenny und dem Superintendenten der evangelischen Kirche H. B., Gottfried Franz, die Hauptlast des Gutachtens vom 6. Juni 1860 trug, das die Grundlage für das Protestantenpatent geworden ist16.30. Sie standen in regem Gedankenaustausch mit den Senioren und Superintendenten der evangelischen Kirche, von denen genannt seien : Bernhard Czerwenka in der Ramsau, Jakob Ernst Koch, Wallern, Ferdinand Kühne, Eferding, D. Gustav Trautenberger, Brünn, Adolf und Moritz Wehrenfennig, Gosau und Goisern16.31.
Der Neubau der evangelischen Kirche ging Hand in Hand mit dem Neubau des Staates. Der unglückliche österreichisch-italienische Krieg machte dem Absolutismus in Österreich ein Ende. Die Einberufung des verstärkten Reichsrates am 5. März 1860 bildete den Übergang zur konstitutionellen Regierung. Das Oktoberdiplom 1860 war der erste Versuch, dem im Februarpatent 1861 der zweite folgte. Sein Urheber war der bedeutendste Kopf im Ministerium Erzherzog Rainer, der Kultusminister Anton Freiherr von Schmerling. Sein Name ist mit der Verleihung des Protestantenpatentes vom 9. April 1861 aufs engste verknüpft.
In 25 Paragraphen schließt es sich im wesentlichen den allgemeinen Bestimmungen des Konsistorialentwurfes vom Juni 1860 an. Es werden die Rechte und Freiheiten der Kirche gewährleistet und der vierstufige Aufbau in Pfarr-, Seniorats-, Superintendential- und Gesamtgemeinde festgelegt. Das charakteristische Merkzeichen des Patentes ist die starke Bindung der Kirche an den Staat dadurch, daß die Superintendenten vor Einführung in ihr Amt vom Kaiser bestätigt werden müssen (§ 7), daß der Vorsitzende und die Räte des an Stelle der Konsistorien tretenden k. k. Oberkirchenrates vom Kaiser ernannt werden (§ 8), daß die von der Generalsynode beschlossenen Kirchengesetze der landesfürstlichen Bestätigung bedürfen (§ 9) ; auch Ausländer, die in den Schul- und Kirchendienst berufen werden, mußten vom zuständigen Ministerium genehmigt werden (§ 11). Dem Ministerium für Kultus und Unterricht, in dem die schon früher geschaffene, aus evangelischen Glaubensgenossen gebildete Abteilung fortbestehen sollte, stand das oberste Aufsichtsrecht über die evangelische Kirche in Österreich zu. Dagegen verpflichtete sich der Staat, für die evangelischen Unterrichts- und Kultuszwecke Zuschüsse aus dem Staatsschatz zu leisten. Das protestantische Eherecht wurde vorläufig wie früher durch die Bestimmungen des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches geregelt. Der V. Abschnitt (§§ 126-132) handelt von den Schulangelegenheiten, der VI. (§§ 133-137) von der Unterstützung der Kirche durch den Staat.
Das Ministerium gab der evangelischen Kirche bald darauf die erste provisorische Verfassung (9. April 1862), auf Grund deren die erste Generalsynode 1864 zusammentreten konnte, die nun ihrerseits an die [Seite 216] Beratung der ersten Kirchenverfassung ging. Sie wurde am 6. Jänner 1866 mit Ausnahme einiger Bestimmungen vom Kaiser genehmigt, am 23. Jänner im Reichsgesetzblatt verlautbart. Sie baut die Kirche in den im Patente vorgesehenen vier Stufen auf presbyterial-synodaler Grundlage auf. Oberste Beschlußkraft haben die beiden Generalsynoden, das ausübende Organ des Kirchenregimentes ist der staatliche Oberkirchenrat, der die Verbindung der Kirche mit dem zuständigen Ministerium herstellt. Die letzte Entscheidung trifft der Landesherr.
Das hervorstechende, niemals zu übersehende Merkmal dieser Verfassung für zwei nebeneinander bestehende Kirchen ist die gemeinsame Verwaltungsspitze des Oberkirchenrates, die trotz der konfessionellen Verschiedenheit beider Körperschaften die Einheit der evangelischen Kirche Österreichs bis zum heutigen Tage gewahrt hat16.32. Zu einer Union, wie sie vor 1848 manchmal angestrebt wurde, ist es nicht gekommen, wohl aber von Anfang an zu einer weitgehenden Übereinstimmung und Zusammenarbeit in gemeinsamen Belangen, Stellungnahme gegenüber der Regierung, Schul-, Friedhofs- und karitativen Angelegenheiten16.33.
Protestantenpatent und Verfassung haben das Haus für die Kirche gebaut, aber um es wohnlich zu machen bedurfte es noch mancher Arbeit. An Hand der gedruckten Berichte des Oberkirchenrates A. und H. B. an die Generalsynoden (1871, 1877, 1883, 1889, 1895, 1901, 1907, 1913) ist es möglich, diese mühevolle Kleinarbeit zu verfolgen. Nicht möglich ist es, sie hier im einzelnen darzustellen; nur das Wichtigste sei erwähnt, um zu zeigen, daß die brennenden Probleme der heutigen Zeit damals schon vorhanden waren.
Mit der im Patent von 1861 theoretisch anerkannten Gleichberechtigung der Protestanten mit den Katholiken standen eine Fülle gesetzlicher Vorschriften im Widerspruch, die der Oberkirchenrat und die Synoden abzubauen sich bemühten. Hauptforderung der Evangelischen war die Regelung der interkonfessionellen Beziehungen, vor allem die Schaffung eines neuen Eherechtes. Von der ersten Generalsynode an steht bis zum heutigen Tage diese Frage auf der Tagesordnung. Noch galt das Konkordat von 1855. Die liberale Gesetzgebung 1867/68 ließ eine Besserung erhoffen. Das Staatsgrundgesetz vom 21. Dezember 1867 verbürgte Kultus- und Religionsfreiheit und volle Gleichberechtigung. Das Gesetz vom 25. Mai 1868 stellte die Vorschriften des ABGB über das Eherecht für Katholiken wieder her und setzte das kaiserliche Patent vom 8. Oktober 1856 außer Kraft16.34. Durch Gesetz [Seite 217] vom 7. Mai 1874 wurde das Konkordat von 1855 aufgehoben16.35; am 25. Mai 1868 war die Notzivilehe eingeführt worden, aber die Hofdekrete vom 26. August 1814 und vom 17. Juli 1835 (betreffend die Wiederverheiratung getrennter Akatholiken und zum Katholizismus übergetretener Akatholiken16.36 und die Paragraphen 63 und 111 des ABGB (Verbot der Verheiratung ehemaliger zum Protestantismus übergetretener Priester und Ordensleute, Unauflösbarkeit der Mischehen) blieben aufrecht. Für katholische Ehen galt weiter das kanonische Recht, dem auch die Mischehen unterworfen waren16.37. Immer wieder erhob der Oberkirchenrat Klage gegen Übergriffe der katholischen Geistlichkeit bei Schließung konfessionell gemischter Ehen. Die evangelische Kirche hatte in den Landtagen und im Herrenhaus des Reichsrates nicht die der katholischen Kirche analoge Vertretung und auch nicht volles Bürgerrecht an der Universität. Der Ruf nach Eingliederung der k. k. evangelisch-theologischen Fakultät in den Verband der Universität ist von jeder Synode erhoben und vom Kaiser beharrlich abgelehnt worden. Erst nach der Hundertjahrfeier ist durch das Gesetz vom 20. Juli 1922 dieser Wunsch in Erfüllung gegangen16.38. Gegen die Einführung des katholischen Schulgebetes, das "eine unleugbare Beeinträchtigung des interkonfessionellen Charakters der Schule" darstellt16.39, hat die dritte, sechste, siebente, achte und neunte Generalsynode Beschwerde erhoben. Die Bildung evangelischer Gemeinden in Tirol war dadurch fast unmöglich gemacht, daß sie vom Einverständnis des Landtages abhängig war16.40.
Von besonderer Bedeutung wurde das Jahr 1889. Damals kam auf den Synoden der beiden Kirchen der vom Oberkirchenrat ausgearbeitete Revisionsentwurf der Kirchenverfassung zur Beratung. Da die von der ersten Synode im Jahre 1864 hergestellte Verfassung vom Kaiser nur bedingt bestätigt worden war, haben sich schon die zweiten Synoden beider Kirchen mit Änderungen und Ergänzungen befaßt. Da sich aber die Versammlungen nicht einigen konnten, die reformierte Kirche überdies mit dem Antrag einer zweiten Synode und eines zweiten Oberkirchenrates in Böhmen hervortrat, der vom Ministerium glatt abgelehnt wurde16.41, unterblieb die Revision. Erst den Synoden vom Jahre 1889 lag ein Revisionsentwurf des Oberkirchenrates vor, den die böhmische Superintendentur der reformierten Kirche, die zwei Drittel ihrer Gläubigen umfaßte, zu verwerfen geneigt war, da sie in einem eigenen Entwurf die presbyterial-synodale Ordnung stärker als bisher betonte und den [Seite 218] Oberkirchenrat überhaupt beseitigen wollte. Der Vertreter der theologischen Fakultät, Professor Dr. Eduard Böhl, hat diesen Entwurf warm befürwortet; er fiel aber bei der Abstimmung doch durch, da man sich die Aussichtslosigkeit der Annahme dieses Vorschlages sowohl durch die Schwestersynode wie durch die Regierung nicht verhehlte, und die Synode beschloß, den Revisionsentwurf des Oberkirchenrates en bloc anzunehmen16.42. Das war nun wieder eine Überraschung für die unter dem Vorsitze von Superintendent Theodor Haase gleichzeitig tagende Synode A. B., die einige Bestimmungen dieses Entwurfes für unannehmbar hielt. Sie beschloß auf ihrer ersten außerordentlichen Synode im Juli 1890 eine Einigung dadurch zu erzielen, daß auch sie den oberkirchenrätlichen Entwurf annahm und die Sonderwünsche ihrer Kirche in Zusatzbestimmungen Berücksichtigung fanden16.43. So kam die Kirchenverfassung des Jahres 1891 zustande, der der Kaiser am 9. Dezember die Bestätigung erteilte.
Gegenüber der Verfassung von 1866, die 137 Paragraphen umfaßte, ist sie um 28 Paragraphen gewachsen, die der genaueren und ausführlicheren Formulierung einzelner Punkte Bildung von Tochtergemeinden, Pflichten der Pfarrer, Wahlhandlungen Rechnung tragen. Sie gibt den kirchlichen Versammlungen größere Selbständigkeit gegenüber dem Oberkirchenrate und größere Unabhängigkeit vom Ministerium. Im VI. Abschnitt ist ein schwacher Ansatz zur Einführung einer Kirchenzucht gemacht worden, die die Reformierten so sehr wünschten.
Das sprunghafte Ansteigen der Gemeinden durch die sogenannte Los-von-Rom-Bewegung stellte die Kirchenleitung vor neue schwere Probleme16.44. Eindeutig war die Absage, die der Oberkirchenrat der Vermengung der politischen Motive der Übertritte mit den religiösen erteilte; in seinem Erlaß vom 19. Jänner 1899 schärfte er den Amtsträgern der Kirche ein, wie bisher bei allen Übertritten die religiöse Überzeugung im Auge zu behalten16.45. Dennoch wies die siebente Generalsynode A. B. auf das entschiedenste die Angriffe und Schmähungen zurück, die von katholischer Seite gegen die evangelische Kirche, besonders gegen Luther und die Reformation, erhoben wurden und protestierte gegen Verdächtigung des Patriotismus und der Kaisertreue der österreichischen Evangelischen16.46. Schier unüberwindlich waren die Schwierigkeiten, von der Regierung die Mittel zu erlangen, die zur Bildung und Erhaltung der zahlreichen neuen Gemeinden notwendig waren.
Die neunte Generalsynode im Oktober 1913 war die letzte in der alten Monarchie. Im Juli vorher hatte der Oberkirchenrat die [Seite 219] Abänderungen zahlreicher Bestimmungen der Kirchenverfassung verlautbart, die die landesfürstliche Bestätigung erhalten hatten16.47. Zum Präsidenten des Oberkirchenrates war im April 1913 der Sektionsschef im Justizministerium D. Dr. Wolfgang Haase ernannt worden, der größte Fachmann auf kirchenrechtlichem Gebiete. Ihm ist die Schaffung des evangelischen Theologenheimes im 18. Wiener Gemeindebezirk zu danken, das während der Tagung der neunten Synode feierlich eröffnet wurde16.48. Er hat die Kirche nach dem Zusammenbruche im Jahre 1918 in die neue Ära hinübergeleitet.
Mit der Auflösung der Monarchie schien 1918 auch das Ende der evangelischen Kirche Österreichs gekommen. Denn durch die Abtrennung jener Gebiete, die den Nachfolgestaaten, besonders der Tschechoslowakei und Polen, zufielen, verlor sie den größten Teil ihrer Glieder. Dies mögen ein paar Zahlen veranschaulichen: 1912 zählte die Wiener und oberösterreichische Superintendentur des Augsburgischen Bekenntnisses 164.854 Seelen, während es in Böhmen, Mähren, Schlesien und Galizien 286.363 Evangelische A. B. gab. Noch einschneidender war der Verlust für die reformierte Kirche. Diese umfaßte in Wien 14.626 Gemeindeglieder, in den böhmischen, mährischen und galizischen Senioraten jedoch 128.35416.49. Es schien fraglich, ob die Kirche diesen gewaltigen Verlust überdauern werde.
Sie hat mit finanzieller Unterstützung des Auslandes die bösen Zeiten nicht nur überdauert, sie ist vielmehr bis zum heutigen Tage bedeutend gewachsen. Im Staatsvertrag von St. Germain, Abschnitt V, Art. 63, 66 bis 69, wurde der religiösen wie der sprachlichen und rassischen Minderheit Schutz von Leben und Freiheit und öffentliche oder private Ausübung ihres Bekenntnisses zugesichert16.50. Durch Eingliederung des aus dem ungarischen Teile der Monarchie ausgeschiedenen Burgenlandes erhielt die evangelische Kirche so beträchtlichen Zuwachs, daß eine eigene burgenländische Diözese A. B. neben die beiden im Rumpfstaate Österreich übriggebliebenen Diözesen von Wien und Oberösterreich trat; die reformierte Kirche wurde durch eine Gemeinde von etwa 1500 Seelen meist magyarischer Volkszugehörigkeit in Oberwart gestärkt. Das Burgenland, auf das im Verordnungswege die Bestimmungen des Protestantenpatentes übertragen wurden, weist noch heute im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung den größten Hundertsatz an Evangelischen auf. Es besaß in Oberschützen eine evangelische Lehrerbildungsanstalt und ein achtklassiges Gymnasium. Seine Aufnahme in den Verband der Republik brachte insofern eine Neuerung mit sich, als das ungarische Zivileherecht dort bestehen blieb. Nun gab es in Österreich zwei Eherechte, ein staatliches und ein konfessionelles16.51. Die Verwirrung wurde noch größer, als einzelne [Seite 220] Bundesverwaltungskörper seit 1919 versuchten, Katholiken, die von Tisch und Bett geschieden waren, Dispens vom Ehehindernis des bestehenden Ehebandes zu erteilen, und so die Wiederverheiratung ermöglichten (Dispensehe). Zuständige Gerichte erklärten diese Ehen für ungültig, die katholische Kirche betrachtete sie als Konkubinate. Eine neue Übertrittswelle zur evangelischen Kirche war die Folge. In den Jahren von 1918 bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges ist die Kirche um 75.000 Glieder gewachsen.
Für die Entwicklung des Verhältnisses der beiden Kirchen zueinander ist das Jahr 1925 denkwürdig geworden. Zum erstenmal traten damals die Synode A. B. und die Synode H. B. zu einer gemeinsamen Sitzung zusammen und feierlich war der Augenblick, da am 23. April diese Vereinigung vollzogen wurde16.52. Bis dahin hatte es seit 1864 nur getrennt tagende Synoden und gemeinsam beratende Ausschüsse gegeben. 1926 wurde unter dem Oberkirchenratspräsidenten Dr. Viktor Capesius der Anschluß der evangelischen Kirche Österreichs an den Deutschen Evangelischen Kirchenbund vollzogen16.53.
Den geänderten Verhältnissen suchte die Kirche in einer neuen Verfassung Rechnung zu tragen. Der Entwurf des Oberkirchenrates lag 1931 vor und bildete den wichtigsten Beratungsgegenstand der im Dezember 1931 tagenden gemeinsamen zweiten Generalsynode. Als sie nach langer Verzögerung beim Ministerium eingereicht wurde, hatte die autoritär-klerikale Regierung Dollfuß in Bahnen eingelenkt, die eine Berücksichtigung der Wünsche der Evangelischen unmöglich machten. Am 1. Mai 1934, dem Tage der Verkündigung der neuen Staatsverfassung, wurde vom Bundespräsidenten das am 5. Juni 1933 in Rom abgeschlossene Konkordat ratifiziert. Indem es das Gesetz vom 7. Mai 1874, wodurch das Konkordat von 1855 aufgehoben war, außer Kraft setzte, lenkte es in die Bahnen der Konkordatspolitik zurück, gab dem Klerus das Recht des freien Verkehrs mit der Kurie, verzichtete darüber hinaus auf das dem Kaiser Franz Joseph gewährte Nominationsrecht der Bischöfe, erkannte das kanonische Eherecht für Katholiken an und unterwarf ihm auch den nichtkatholischen Ehepartner in Mischehen16.54. Nur im Burgenland blieben die bisherigen Zustände erhalten und katholisch geschlossene Ehen waren auch weiterhin trennbar16.55. Für die evangelische Kirche Österreichs brach eine Zeit der Drangsal und Verfolgung herein, die an die Gegenreformation des 17. Jahrhunderts erinnert.
In dieser Zeit des Austrofaschismus ist der gelehrte, tapfere und weise Superintendent der Wiener Diözese Augsb. Bek. D. Johannes Heinzelmann zum "Vertrauensmann" und "Notbischof" des verfolgten evangelischen Kirchenvolkes geworden16.56. [Seite 221]
Die Einbeziehung Österreichs in das Deutsche Reich im Jahre 1938 schien diese Not mit einem Schlage zu beseitigen. Durch das "Gesetz zur Vereinheitlichung des Rechtes der Eheschließung und der Ehescheidung im Lande Österreich und im übrigen Reichsgebiet" vom 6. Juli 1938 wurde die obligatorische Zivilehe eingeführt, die bis zum heutigen Tage besteht. Demgegenüber hält die katholische Kirche an der Gültigkeit des Konkordates von 1934 fest. Die Ehegesetzgebung in Österreich bedarf einer grundlegenden Regelung.
Die nationalsozialistische Reichsregierung erließ überdies eine Reihe von Gesetzen, die die Rechtsgrundlage des evangelischen kirchlichen Lebens in Österreich vollständig veränderten. Am 30. April 1939 wurde das "Gesetz über die Erhebung von Kirchenbeiträgen im Lande Österreich" verlautbart; damit wurden alle Beitragsleistungen des Staates an die Landeskirche eingestellt und diese war auf ihre eigenen finanziellen Mittel verwiesen. Das sofortige Inkrafttreten des Gesetzes hätte zur Katastrophe führen müssen, es gelang aber, seine Wirksamkeit bis zum Ende des Jahres hinauszuschieben und einen allmählichen Abbau der Staatszuschüsse zu erwirken16.57. Trotz der Kriegsläufte hat die österreichische evangelische Kirche das schwere Werk zustande gebracht, sich wirtschaftlich auf eigene Füße zu stellen. Sie erließ am 8. September 1939 die Kirchenbeitragsordnung und am 27. September desselben Jahres die Pfarrergehaltsordnung16.58
Die zweite Maßnahme, die einen weiteren Schritt auf dem Wege zur Trennung von Kirche und Staat bedeutete, war das Gesetz vom 7. Mai 1939 über die "Rechtsstellung des evangelischen Oberkirchenrates in Wien", der dadurch aus einer staatlichen eine kirchliche Behörde wurde. Sämtliche evangelischen Beamten vollzogen denselben Übergang. Der Oberkirchenrat mußte nun gleichfalls von der Kirche erhalten werden; aus staatlichen wurden kirchliche Angestellte. An seiner Spitze stand Dr. Heinrich Liptak.
Diese veränderte gesetzliche Lage suchte sich nun die Leitung der Kirche zunutze zu machen, um diese völlig von dem kirchenfremden Staate zu lösen. Der Entwurf eines neuen Kirchengesetzes wurde am 24. Juni 1939 von den Synodalausschüssen und vom Staate genehmigt, die evangelische Landeskirche wurde als Glied der Deutschen Evangelischen Kirche anerkannt. Die Bindung mit dem Staate war aufgehoben, die Verfassung vom 9. Dezember 1891 wurde in entsprechender Weise abgeändert. Trotz aller Bemühungen des Oberkirchenrates erfolgte aber die förmliche Aufhebung des Protestantenpatentes von 1861 nicht. Da nach österreichischem Recht eine durch Gesetz erfolgte Maßnahme nur durch ein Gesetz aufgehoben werden kann, die Gründung der österreichischen Landeskirche aber nur auf dem Erlaßwege erfolgt war, besteht das Protestantenpatent bis zum heutigen Tage; denn auch die österreichische Regierung hat kein neues Protestantengesetz an seine Stelle treten lassen. [Seite 222]
Am 4. September 1939 wurde vom Präsidenten des Oberkirchenrates der Superintendent von Oberösterreich, Dr. Hans Eder, zum geistlichen Leiter des Oberkirchenrates ernannt. Einer seit langen Jahren von der Kirche gestellten Forderung entsprechend wurde ihm der Titel "Bischof der evangelischen Kirche A. und H. B. in Österreich" verliehen16.59.
Der Zusammenbruch des Deutschen Reiches im Jahre 1945 und die Gründung der Zweiten Republik brachten auch eine Wende für die durch die nationalsozialistische Herrschaft schwer bedrohte österreichische evangelische Kirche. Ihr Leben und ihre Entwicklung, die einen deutlichen Niedergang aufgewiesen hatten, lenkten in normale Bahnen zurück. Kirchenrechtlich blieben bestehen: Das Gesetz über die Erhebung von Kirchenbeiträgen, das Gesetz über die Rechtsstellung des Oberkirchenrates und vorläufig das Kirchengesetz vom 24. Juni 1939. Dennoch gibt es, da das Protestantenpatent noch weiter Bestand hat, wenn es auch vielfach durchlöchert und praktisch außer Kraft gesetzt ist, keine völlige Trennung von Kirche und Staat, wofür die Bezahlung der Religionslehrer an den öffentlichen Schulen durch den Staat Zeugnis ablegt. Vom Jahre 1949 datiert die neue Kirchenverfassung, durch die die Verfassung 1891 mit ihren Novellen von 1913, 1930 und 1933 und das Kirchengesetz vom 24. Juni 1939 außer Kraft gesetzt wurden16.60. Sie beruht auf Grundlagen, die schon auf der Synode 1925 zur Debatte standen. Ihre wichtigsten Kennzeichen sind: Der engere Zusammenschluß der beiden Landeskirchen, wie er in der Präambel seinen Ausdruck findet; die gemeinsame Beratung der Synoden; der Aufbau der Kirche A. B. in drei Instanzen — Pfarrgemeinde, Superintendentialgemeinde, Gesamtgemeinde — der Kirche H. B. in zweien: Pfarrgemeinde und Superintendentialgemeinde; das aktive und passive Wahlrecht der Frauen; die gesetzliche Verankerung des Bischofsamtes für die Kirche A.B.; an der Spitze der evangelischen Kirche H.B. steht der Landessuperintendent; beide werden von den jeweiligen Synoden gewählt. Die Synoden wählen auch die Mitglieder der Oberkirchenräte. Die oberste gemeinsame Verwaltung der Landeskirche führt der Oberkirchenrat A. und H. B. Beschlüsse der Synoden erlangen durch Verlautbarung im Amtsblatt des Oberkirchenrates rechtsverbindliche Kraft. Über die Beziehungen zum Staate sagt die Kirchenverfassung naturgemäß nichts aus. Theoretisch steht immer noch das Protestantengesetz in Kraft, das praktisch eben durch die Kirchenverfassung und die Veränderungen im staatlichen Leben vielfach aufgehoben ist16.61. [Seite 223]
Seit 1946 hat sich der Oberkirchenrat bemüht, das Verhältnis der Kirche zum Staat durch die Vorlage eines neuen Protestantenverfassungsgesetzes zu ordnen. Bis zum heutigen Tage aber hat die Bundesregierung der Schaffung eines solchen neuen Gesetzes nicht zugestimmt. Die evangelische Kirche Österreichs befindet sich zur Zeit in einem Schwebezustand; doch besteht begründete Hoffnung, daß ihre Bestrebungen in absehbarer Zeit zu dem gewünschten Ziele führen werden, so daß sich den gesetzlichen Regelungen für die Kirche aus den Jahren 1781 und 1861 eine dritte anfügen wird.
Wir sind am Ende des Weges angelangt, auf dem wir die Geschichte der protestantischen Kirche in Österreich verfolgt haben; es ist ein Weg des Erfolges und des Versagens gewesen, ein Weg der Freude und des Leides, vielfach der Weg einer "Kirche unter dem Kreuz", für die das Wort des Apostels Paulus gilt: "Wir leiden Verfolgung, aber wir werden nicht verlassen, wir werden unterdrückt, aber wir kommen nicht um" (2. Kor. 4, 9). Es war aber zugleich ein Weg, auf dem auch Großes geschaffen, bedeutende Werte errungen wurden, die zum Wohle unserer österreichischen Heimat bis zum heutigen Tage fortwirken.
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