Titelaufnahme: Dr. Karl Großmann, Reichart Strein von Schwarzenau, Ein österreichischer Staatsmann und Gelehrter aus der Zeit der Renaissance, Reformation und Gegenreformation. In: Jahrbuch für Landeskunde und Heimatschutz von Niederösterreich und Wien, N.F. 20 (1926/27) II. Teil Wien 1927, S. 1 - 37.
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Heino Speer
Klagenfurt am Wörthersee
30. November 2012
Vorliegende Abhandlung1.1 ist dem Leben eines Mannes gewidmet, dessen Name in weiteren Kreisen heute kaum mehr gekannt wird, der jedoch in der bedeutsamen Zeit des späteren 16. Jahrhunderts, da die alte, nun wieder versunkene österreichische Monarchie eben geboren war, jahrzehntelang auf wichtiger Stelle stehend, oft entscheidenden Einfluß auf die Geschicke dieses unseres Staates genommen hat, der auch ein vornehmer, gütiger Mensch war, ein Freund und Förderer der Kunst und ein Gelehrter ersten Ranges, ein Mann, unserem heimatlichen Boden entsprossen und ein rechter Vertreter des deutschen Stammes in Österreich. So mag es gestattet sein, sein Andenken zu erneuern und damit ein kleines [Seite: 2] Lebensbild aus der Zeit der Reformation und Gegenreformation und der späten Renaissance in Österreich zu geben2.1.
Richard Streun wurde 1538 aus altangesehener adeliger Familie des Waldviertels geboren. Er gehört somit dem Österreich des 16. Jahrhunderts an, unserer abendländischen Kultur in der Entwicklungsstufe der Spätrenaissance und Reformation und da wieder den Besonderheiten, wie sie das Leben in Österreich gerade bot. Dieses Österreich war damals und noch für lange Zeit die führende Macht im Deutschen Reiche, es war seit wenig Jahren, seit 1526, durch die Erwerbung Böhmens und Ungarns europäische Großmacht und Vormauer gegen die Türken geworden, den stärksten Militärstaat der Zeit. Hier im Osten lagen die Hauptaufgaben der äußeren Politik, die dabei übrigens auch Polen und selbst Rußland als fördernd oder hemmend in Rücksicht zu ziehen hatte. Die Stellung in Deutschland zwang wieder, Frankreich ständig im Auge zu behalten, wenngleich dies damals durch seine Hugenottenkriege gebunden war. Aber gerade der große, in ganz Europa spielende Kampf zwischen Katholizismus und Protestantismus konnte das katholische Fürstenhaus Österreichs nicht so ganz unberührt lassen, wenn es sich auch zu wirklichem Eingreifen noch nicht stark genug fühlte. Aber es war doch aufs engste verwandt mit der katholischen Vormacht, dem Spanien Philipps II., der mit den aufständischen Niederländern, damals noch Gliedern des Deutschen Reiches, im Kampfe lag, dessen Pläne sich bis auf das England der Elisabeth und der Maria Stuart erstreckten, der aber auch gegen reformatorische Bestrebungen in Österreich ein wachsames Auge hatte.
Denn dieser Religionskampf spielte ja auch im Innern Österreichs, das damals überwiegend protestantisch war, die wichtigste Rolle, zumal er sich mit dem andern, ebenfalls in ganz Europa geführten Kampf zwischen absolutem Fürstentum und ständischer Macht verquickte. Für Österreich kam dazu noch die schwierige und nie gelöste Aufgabe, die drei Ländergruppen organisch zu [Seite: 3] verbinden, einen einheitlichen Staat zu schaffen. So war die Zeit also politisch reich, reich an großen Fragen, an Bewegung und Kämpfen. Dagegen war es wirtschaftlich für ganz Mitteleuropa eine Zeit des Rückganges, ja Stillstandes und auch geistig gekennzeichnet durch das Auslaufen der großen Bewegungen vom Anfang des Jahrhunderts, des Humanismus, der Renaissance und Reformation. Auch der Kampf zwischen Protestanten und Katholiken war bereits rein politisch geworden und brachte geistig kaum mehr Neues hervor.
Dies die Fragen, vor die der Österreicher des späteren 16. Jahrhunderts sich gestellt sah; ein Streun aber mußte an ihnen tätig Anteil nehmen, denn er war der Sproß einer alten, mächtigen Familie, die es als Recht und Pflicht betrachtete, im öffentlichen Leben ihres Landes mitzusprechen.
Das Geschlecht der Streun, heute ausgestorben, wurzelte in dem kargen, spätbesiedelten Boden des nördlichen Waldviertels. Dort erbaute Pilgrim von Schwarzenau, dem Ministerialengeschlecht der Herren von Mühlbach bei Maissau entsprossen3.1, vor 1197, als der Stammvater des Geschlechtes, die Burg, nach der er sich nannte3.2. Streun von Schwarzenau hieß sich aber erst sein Enkel Pilgrim seit 1266 und zugleich ministerialis Austriae, herzoglicher Dienstmann3.3. Der Name ging durch Verschwägerung von dem erlöschenden Geschlechte der Streun von Falkenstein bei Poysdorf auf die Schwarzenau über3.4. Diese Ministerialengeschlechter waren meist von nicht sehr bedeutender Herkunft und einer dieser Herren von Mühlbach wird bezeichnenderweise nicht nobilis oder ingenuus, edel oder frei, genannt, sondern bloß non ignobilis, nicht unedel3.5. Jedenfalls gehören sie nicht zum deutschen Uradel. Aber dem Fürsten unentbehrlich als Kriegsleute und Beamte und dafür bei den naturalwirtschaftlichen Verhältnissen der Zeit mit Untertanen und Grundbesitz ausgestattet, verschmelzen sie sehr bald mit den wenigen eigentlich edlen Geschlechtern zum Herrenstand im Land. [Seite: 4] Wie die deutschen Fürsten das Reich, so hatten sie wieder die einzelnen Länder unter sich geteilt, übten fast alle staatliche Gewalt, zuletzt auch die Religionshoheit, über ihre untertänigen Bauern und bezogen Einkünfte, Herrengülten, von ihnen.
Dieser herrschenden Gesellschaftsklasse gehörten auch die Streun an. Der Mittelpunkt ihrer Besitzungen blieb Schwarzenau, doch haben sie sich über alle Viertel des Landes verbreitet. Ein Pilgrim Streun war Hofmarschall Herzog Rudolfs IV. und im 16. Jahrhundert bewarben auch sie sich um Stellen im neuen Beamtenstaat zur Wahrung des alten Einflusses. Kinderreich schon im Mittelalter, teilten sie sich bei wachsendem Besitz im 16. Jahrhundert in mehrere Linien, doch auf diese blühendste Entfaltung erfolgte im 17. Jahrhundert ein fast plötzliches und völliges Erlöschen.
Wir kennen nicht Wesen und Eigenschaften der einzelnen Vorfahren Streuns, nur die allgemeine Vermutung dürfen wir aussprechen, daß neben günstigen äußeren Umständen, wie der allgemeinen Aufwärtsbewegung des Herrenstandes, die Familie auch die besonderen Eigenschaften besessen und vererbt haben muß, um emporzukommen; so etwa Gesundheit, kriegerische Tüchtigkeit, Tatkraft und Unternehmungsgeist, Erwerbsinn und Klugheit, auch Rücksichtslosigkeit. Der Reichtum und die Unabhängigkeit mußten Macht und Selbstbewußtsein geben und das Bewußtsein der bedeutenden, verantwortungsvollen Stellung und ihrer Verpflichtungen, aber auch konservativen Sinn, der leicht zur Erstarrung führen konnte. Dies freilich nicht, solange noch Entwicklungsmöglichkeit vorhanden war, solange neuer Wettbewerb, neue Erwerbsmöglichkeit und neue Ideen auch neue Kämpfe auslösten, jung erhielten. Und an neuem Spielraum und neuen Gedanken war gerade das 16. Jahrhundert überreich. Keiner aber hat das deutsche Volk damals mächtiger ergriffen als die kirchliche Reformation. Auch der österreichische Adel hat sie anfangs mit Begeisterung erfaßt und sie hat ihm wieder eine Rolle zugewiesen, die des Vorkämpfers der neuen Lehre gegen die Fürsten. Daß dieser Adel im 16. Jahrhundert soviel bedeutende Männer aufzuweisen hat, wird man wohl auch diesem neuen Ziel zuschreiben dürfen, für das er seine Kräfte einsetzen konnte. Auch die Streun haben sich früh und tatkräftig zur Reformation bekannt und haben sie, soweit ihr Einfluß reichte, gestützt und verbreitet. [Seite: 5]
Reichart Streuns Vater hieß Wolfhart und war der Begründer des jüngeren Zweiges der jüngeren Linie der Streun, und zwar auf Hartenstein; 1557 erwarb er dazu Neuungarschitz in Mähren5.1. Er heiratete Anna von Hohenfeld, die 600 lb. Heiratsgeld mitbrachte und nach dem Tode ihres Bruders noch 1500 bekam, eine beträchtliche Summe5.2. Sie starb vor Wolfhart und dieser heiratete ein zweites Mal. Die Kinder waren alle aus erster Ehe, zwei Söhne, der ältere Johann Wolfhart und unser Reichart, und vier jüngere Schwestern, Amalia, Sekunda, Polyxena und Christina, Namen, die vielleicht auf ein gewisses Maß klassischer Bildung des Vaters deuten. Der ältere Sohn wurde 1533 geboren und übernahm die wohl reicheren mährischen Güter. Seine Söhne studierten an italienischen Universitäten. Das Verhältnis der Brüder und Verwandten untereinander scheint das der Freundschaft und gegenseitigen Unterstützung gewesen zu sein.
Reichart selbst wurde am 9. November 1538 geboren5.3, wohl in Hartenstein, nahe Weißenkirchen in der Wachau. Die einsam schöne Natur um Hartenstein mag den Sinn des Knaben vor Zerstreuung bewahrt haben. Die mittelalterliche Burg, die Hartenstein heute noch als schönes Beispiel darstellt, vielleicht auch Erzählungen der Eltern waren geeignet, ihn auf die Vergangenheit zu lenken. Die Erziehung geschah wohl, wie üblich, durch einen Hofmeister und Ziel der Bildung war nach einem berühmten Worte literata pietas, das heißt die jungen Leute sollten gute Lateiner und fromme Christen werden. Mit 16 Jahren bezog Reichart die Universität, und zwar, da man Auslandsreisen als Bildungsmittel schätzte, die Universität Padua. 1554 ließ er sich in die Matrikel der deutschen Juristen an dieser altberühmten Schule des römischen Rechtes eintragen5.4. Er hörte hier den bedeutenden Lehrer Guido Pancirolli, der das Recht aus der Geschichte zu erklären suchte5.5 und damit, wie es scheint, vertiefend auf die historischen Neigungen des jungen Reichart gewirkt hat. Er gedenkt5.6 auch des Lehrers [Seite: 6] noch in späten Jahren mit Worten der Achtung, die zugleich bezeugen, daß der Schüler selbständiges Denken in dieser Schule wohl entwickeln konnte. Drei Jahre blieb Streun in Padua und ging dann an eine deutsche und protestantische, die berühmte Straßburger Schule, die Schöpfung Sturms. Die Stadt war damals noch bewußt deutsch und eine hervorragende Stätte geistiger Arbeit.
Ein freier, duldsamer Geist gegen die verschiedenen Konfessionen herrschte hier6.1. Auch Streun ist niemals zum religiösen Fanatiker geworden. Er hatte hier wieder das Glück, einen hochbedeutenden Lehrer zu finden in Franz Hotman, Hotomanus. Dieser hatte als Kalviner seine französische Heimat verlassen müssen und lehrte damals in Straßburg, als Jurist und Humanist ein Gelehrter ersten Ranges, der nach humanistischer Weise das Studium des römischen Rechtes mit der römischen Altertumskunde zu verbinden suchte6.2. Anfang 1557 kam Streun zu ihm und hat sich auch persönlich eng an ihn geschlossen6.3. Er wohnte bei ihm und hörte Privatissima über Ciceronische Altertümer6.3a, was vom Besten war, was Hotoman geben konnte. Allerdings mußte Streun ziemlich viel zahlen6.3b und gab auch später noch reiche Geschenke. Aber er hat hier auch tiefen Einfluß erfahren, viel gelernt an Wissen und Methode, und vor allem wohl durch Hotoman wurde in Streun der Gelehrte geweckt, der er, auch als Staatsmann und Beamter, zeitlebens geblieben ist. 1559 mit 21 Jahren konnte er schon, wenn auch wahrscheinlich unter Anleitung des Lehrers, ein kleines Buch über die altrömischen Familien herausgeben6.4, das überall in der gelehrten Welt Anklang fand und drei Auflagen bis 1698 erlebte.
Bis 30. März 1559 ist Streun noch in Straßburg nachweisbar.6.5 Über die nächstfolgenden Jahre wissen wir nichts. Wahrscheinlich kehrte er bald in die Heimat zurück, um unter Leitung des Vaters Einblick in die Gutsverwaltung zu bekommen, die damals ja auch staatliche Befugnisse umfaßte, Rechtsprechung, Steuerwesen, Sorge für Kirche und Schule, was aber wieder eine praktische Vorübung für den künftigen Staatsmann sein konnte. In den Besitz der Güter [Seite: 7] ist Streun aber erst nach dem Tode des Vaters getreten. Das Erbe haben die Brüder 1579 geteilt7.1, der ältere übernahm Neuungarschitz, Reichart Hartenstein. Es umfaßte7.2 das Schloß mit Burgstall und Kirchenlehen, die Vogtei über die Pfarrkirche zu Els und zahlreiche Dörfer mit 7 Höfen, 140 Lehen, 60 Hofstätten, 8 Mühlen, einem Hammer, die Fischweid auf der Kl. Krems, Holz und Wildbann in den Wäldern und das Halsgericht in den Dörfern. Die Einkünfte daraus an Geld und Naturalien würden sich nur teilweise und ungefähr angeben lassen, waren aber von dem harten Boden des Waldviertels im Vergleich zu anderen Gegenden des Landes nicht sehr hoch. Bei der Teilung übernahm Reichart übrigens auch die Herrschaft Gobelsburg im Kamptal, die die Brüder 1565 gekauft hatten7.3. Er hatte aber damals auch schon andere bedeutende Erwerbungen gemacht.
Streun dachte nun auch an Heirat. Seine Wahl fiel auf ein Fräulein Katharina von der Dürr zu Pernstein. Erst traute er sich nicht recht, war seiner Sache nicht sicher, zögerte, bis ihn sein Verwandter Christoph von Rappach in seiner Unruhe tröstete und ihn ermunterte, die Werbung zu wagen, denn der alte Herr Jakob sehe ihm freundlich entgegen und auch das Fräulein scheine ihm nicht abgeneigt7.4. Im Jänner 1564 feierte Reichart zu Wien seine Hochzeit7.5. Der Ehe sind 2 Söhne und 7 Töchter entsprossen. Streun war damals 25 Jahre alt, die Zeit der Bildung und Vorbereitung war abgeschlossen und noch im selben Jahr tritt er in den Staatsdienst, ins öffentliche Leben, in die großen Fragen der Zeit.
Mit 26 Jahren, 1564, kam Streun an den Wiener Hof. Sein Vetter Gabriel wirkte hier seit 1552 in wichtigen Ämtern. Reichart selbst stand schon früher mit Erzherzog Karl in vertrautem Umgang7.6, [Seite: 8] vielleicht auch schon mit dem späteren Kaiser Maximilian II., jedenfalls hat er bald Freundschaft mit ihm geschlossen. Eine kleine Episode deutet darauf hin. Kaiser Ferdinand I. hatte den protestantischen Hofprediger Maxens Pfauser mit Namen entlassen. Der Sohn bat den Vater, ihm wenigstens die schuldige Besoldung auszuzahlen und an Streun schrieb er in dieser Herzenssache: »Lieber Schtrein! ier wollet darow sein, damit dem Phausero sein pension richtig gemacht werde. Maximilian8.1.« Diese Freundschaft erklärt auch Streuns rasches Emporkommen. 1563 führt er noch keinen Titels8.2, im August 1564 heißt er kaiserlicher Rat und nö. Landrechtsbeisitzer8.3, am 24. November 1561 bestieg Max II. den Thron und bereits am 4. Dezember wird Streun Hofrat8.4, Mitglied einer der höchsten Behörden, mit 58 fl. Rh. 20 kr. monatlicher Hofbesoldung8.5. Im November und Dezember 1566 war er Gesandter bei den rheinischen Reichsfürsten8.6. Am 31. August 1567 wurde er Hofkammerpräsident, also Finanzminister mit 66 fl. 40 kr. und jährlich 200 fl. Zubußgeld8.7; am 14. Oktober bekam8.8 er außerdem einen Provisionsbrief auf 2000 fl. und endlich 1570 wurde Streun Geheimer Rat mit 100 fl. monatlich8.9 und war nun Mitglied der obersten Regierungsbehörde und eigentlichen Leitung des Staates.
Die hohe Stellung und der Verkehr am Hofe Maximilians wird auch auf den Menschen in Streun fördernd gewirkt haben. Max II. liebte und verstand es, wie der erste Kaiser dieses Namens, geistig bedeutende Männer, Katholiken und Protestanten, um sich zu sammeln und eine letzte Nachblüte von Humanismus und Renaissance in Wien hervorzurufen8.10. Da war der Botaniker Clusius, der Leibarzt Crato von Craftheim, der Sammler und Altertumsforscher Busbeck, der Historiker Sambuceus, der Hofbibliothekar Blotius, der die Bibliothek zuerst den Gelehrten Öffnete, und Caspar Nidbruck sammelte für das große protestantische [Seite: 9] Geschichtswerk der Magdeburger Zenturien. Der Kaiser baute in Ebersdorf und im Neugebäude bei Wien prächtige Renaissanceschlösser mit prächtigen Gärten voll seltener Pflanzen und Tiere, er bereicherte seine Bibliothek und Kunstsammlung und pflegte die Hofkapelle. Seine freie Sinnesart gipfelt in der Überzeugung, daß Gegensätze des Glaubens nicht mit dem Schwerte ausgetragen werden dürfen. Streun hat in all dem verwandte Neigungen mitgebracht und hier gefestigt.
Doch nun wieder zum Beamten Streun. Mit 28 Jahren, 1567, war er Hofkammerpräsident geworden und blieb es acht Jahre bis zum November 15759.1. Sein Werk ist wohl der Erlaß der Hofkammerordnung vom 1. Juli 1568 durch den Kaiser9.2 als Ausführung eines Konzepts von 1557, das wieder eine Erneuerung der Ordnung von 1537 geben will9.3. Einige der allerwichtigsten Grundsätze sind Einvernehmen mit dem Geheimen Rat, Buchführung, Budget, Wahrung des Kredits, Sparsamkeit und Mehrung der Kammergüter, während Steuern nicht genannt sind; dann Rücksicht auf die heimischen Kaufleute bei Staatslieferungen und Handelsverträgen, und auf die »armen Leute«, die möglichst Arbeit bekommen sollen. Wir hören auch, daß der Dienst in der Hofkammer täglich von 7 bis 10 und von 1 bis 5 Uhr dauerte, außer an Sonn- und Feiertagen und Donnerstag nachmittags. Die Geschäftsführung ist kollegial. Diensteid, Dienstgeheimnis und Unbestechlichkeit sind selbstverständlich. Ob alle diese Grundsätze auch wirklich gehalten wurden, ist damit freilich noch nicht gesagt, aber daß sie überhaupt gegeben wurden, ist ein Fortschritt und ein Kennzeichen für die Planmäßigkeit der Neuzeit, zeigt auch, daß Streun sein neues Amt mit Ernst und Eifer anpackte und als Gelehrter auch mit Methode. Zum Aufbau der modernen Verwaltung in Österreich hat damit auch er einen Baustein beigetragen.
Wie es mit den tatsächlichen Finanzen damals stand, das können wir leider nicht sagen, weil die wichtigsten Quellen dazu fehlen9.4. Venezianische Gesandtschaftsberichte9.5 der Zeit geben ein [Seite: 10] düsteres Bild, was aber für Deutschland im 16. Jahrhundert überhaupt gilt und in der Zeit bedingt ist. Auch Streun hat diese Verhältnisse und eine schwere Schuldenlast vorgefunden und in seine Amtsführung fällt ein neuer Türkenkrieg, der, der durch Zrinys Heldentat berühmt geworden ist. Es galt schon etwas, wenn man überhaupt weiterleben konnte. Immerhin hat Streun 1568 die Übernahme einer Schuld von 2 Millionen Gulden durch die niederösterreichischen Stände durchgesetzt. Eine gründliche Besserung der Finanzen hätte eine gründliche Änderung des Steuersystems vorausgesetzt, doch daran durfte man damals noch nicht rühren. In der Kammerordnung ist fast nur von den Kammergütern und Hoheitseinnahmen, Ämtern die Rede, die immer noch als die Grundlage der Finanzen gelten10.1. Daß auch die Geschäftsführung immer noch recht mittelalterlich war, das zeigen einige erhaltene Zettel des Kaisers an seinen Hofkammerpräsidenten10.2. Etwa »Lieber Schtrain, nachdem bai mainer camer allerlai gnetig ausgaben furfallen, so wollet ain 200 taler dem Clamhofer zueschtellen lassen«10.3; oder Streun möge Geld aufbringen, daß die kaiserlichen Prinzen abreisen könnten10.4; er möge Dietrichstein »nit schteckhen lassen«, da der Kaiser auf seine Bürgschaft hin »bai des Fukers diener« 5000 Dukaten für eine Reise nach Augsburg aufgebracht hätte10.5. Das zeigt eine recht armselige Wirtschaft, die von der Hand in den Mund lebte und noch durch unberechenbare Eingriffe des Fürsten gestört wurde. Bei solch patriarchalischen Zuständen ist es auch begreiflich, daß der persönliche Kredit und Vorschüsse des Finanzministers für den Staat noch recht wichtig waren und Streun hat sich darin mehrmals zur Verfügung gestellt10.6. Dafür erhielt er auch eine Reihe von Ehrungen und Verehrungen, die man ihm allerdings öfter vorläufig schuldig blieb10.7. Das bedeutendste war am 4. Juli 1572 die eben frei gewordene kaiserliche Pfandherrschaft [Seite: 11] Dürnstein in der Wachau, wofür Streun nicht einmal die Pfandsumme von 13.000 fl. zu zahlen, wohl aber zu 60 % zu leihen hatte, rückzahlbar Martini 1573 und 157411.1. Zuletzt erhielt er noch 1577 nach seinem Austritt aus dem Amt von Kaiser Rudolf II. 4000 fl. Abfertigungsgeld für seine langjährigen und treuen Dienste unter zwei Kaisern11.2.
Zu Ende seiner Präsidentenschaft, 1575, schickte der Kaiser Streun nach Prag, diesmal in einer wichtigen, rein politischen Sache. Die Böhmen machten Schwierigkeiten, des Kaisers Sohn als Nachfolger und König ohne Wahl einfach »anzunehmen«, wie man sagte. Die Böhmen vertraten eben den Standpunkt der bloßen Personalunion und Wahlmonarchie, der Kaiser und die Wiener Regierung und so auch Streun die Idee des erblichen Einheitsstaates. Streun konnte sich später rühmen, an einer im Sinne des österreichischen Gedankens glücklichen Lösung erheblichen Anteil genommen zu haben, und zwar durch seine persönliche Liebenswürdigkeit und das Ansehen seiner Ehrenhaftigkeit. Rudolf wurde doch bloß angenommen11.3.
Wir haben nun, um das Bild des Politikers Streun zu vollenden, noch der Rolle zu gedenken, die er in der größten innerpolitischen Frage der Zeit spielte, der Religionsfrage.
Der Protestantismus war früh auch nach Österreich eingedrungen. Kaiser Ferdinand I. hatte ihn nicht verfolgt, doch auch nicht anerkannt, trotz allen Bitten der evangelischen Stände. Auch sein Sohn Maximilian II. tat es nicht, den man doch eine Zeitlang selbst geradezu für einen Protestanten halten mußte. Aber er begnügte sich mit einer geheimen Dispens des Papstes für das Abendmahl unter beiderlei Gestalt und mit Bemühungen um Laienkelch und Priesterehe, denn sein letzter Wunsch scheint doch nicht der Protestantismus gewesen zu sein, sondern die Einigung beider Konfessionen auf dem Boden eines reformierten Katholizismus11.4. Und [Seite: 12] doch weicht der Kaiser von diesem Ziel ab und erläßt am 18. August 1568 die »Religionskonzession«, das heißt das Zugeständnis der Ausübung der reinen Augsburger Konfession für den Adel Niederösterreichs und seine Untertanen auf seinen Gütern. Freilich, zahlreiche Einschränkungen und Zweideutigkeiten lassen diese Bewilligung nicht als Gabe erscheinen, die aus vollem Herzen gegeben ist. Des Kaisers eigentlicher Wunsch war eben doch ein anderer und für das Verhältnis zu den katholischen Mächten, zum Papst, zu Philipp II. von Spanien war auch dies Zugeständnis an den Protestantismus gefährlich genug. So mag vielleicht wirklich, wie der Kaiser sich gegen seinen Bruder Ferdinand von Tirol entschuldigt, bitterste Not die letzte Ursache gewesen sein12.1. Im selben Landtag übernahmen ja die Stände 2 Millionen Gulden kaiserlicher Schuld zur Einlösung verpfändeter Kammergüter und der Staatshaushalt war wieder für einige Zeit gerettet. Freilich hätte ein streng katholischer Fürst doch kaum so gehandelt. Jedenfalls finden wir die eigentümliche Verquickung einer geistigen Angelegenheit, die freilich auch eine politische war, mit einer finanziellen und da drängt sich die Vermutung auf, daß Streun, dem die Sache als Finanzminister ebenso wie als Protestanten so sehr am Herzen liegen mußte, tätigsten Anteil an ihr genommen hat. Auch Bibl, der die Geschichte der Reformation und Gegenreformation in Niederösterreich am eingehendsten erforscht hat, meint, es wäre denkbar, daß Streun bei seinem Einfluß auf die Finanzen, auch wenn er vielleicht noch nicht Hofkammerpräsident war, und bei der hohen Gnade, die er beim Kaiser genoß, die Sache der Stände geführt habe12.2. Streun war aber damals schon Hofkammerpräsident, war es schon seit einem Jahr. In einer, allerdings jüngeren amtlichen Darstellung12.3 heißt es: »Dieweil aber dieses ganze werkh der concession und assecuration von herrn Reicharten Strein mit Ihro kay. Mayt. mundlich und schriftlich tractiret worden ...« und weiter »... wann aber niemand so familiariter in diesem negotio als er tractiret ... « und in einem Landtagsprotokoll vom 16. September [Seite: 13] 157213.1: »Dann obwohl herr Reichart Strein pisher in dieser sach ... bey der k. Mt., bey welcher er in sondern gnaden und vertrauen ist, trefflich vill ausgericht.« Und endlich sei noch einer der Zettel des Kaisers von seinen vertrauten Verhandlungen mit Streun in der Religionsfrage allerdings erst aus der Zeit nach der Konzession angeführt. »Lieber Strein, Ihr werdet Euch wohl wissen zu erinnern, was wir gestern miteinander geredet haben. Nun befind ich in der wahrheit, daß es jetzt nit allein nit de tempore, sondern würde sich gar nit thun lassen. Derweil es dann an dem, so wäre das beste, das man es dieser zeit also verbleiben ließe, denn Gott weiß, daß ichs nit anders als gut und vons besten wegen vermain. Maximilian etc.13.2« Diese Zeugnisse sprechen wohl von der innigen Vertrautheit Streuns mit dem Kaiser, mit dem er in seiner milden, gemäßigten Sinnesart aufs engste verwandt war13.3, und sie sprechen für Streuns Einflußnahme auf den Kaiser für seinen Glauben. Wir dürfen wohl ihn für den Mann ansehen, der den Wunsch der Stände nach Anerkennung ihrer Religion in der Konzessionsurkunde beim Kaiser durchsetzte. Als Hofkammerpräsident mußte er die Finanzlage darlegen, die jetzt nach dem Türkenkrieg, der im Februar 1568 zu Ende ging, sicher wieder recht böse war; als Mitglied der protestantischen Stände aber konnte Streun andeuten, daß auch sie bereit wären, ein übriges zu tun, wenn ihnen ihr Herzenswunsch erfüllt würde. Es erfolgte die Schuldenübernahme und am 18. August 1568 wurde die Konzession gegeben. Allzuviel war freilich nicht erreicht und Streun hat sich später einmal entschuldigt. »Man hat freilich viel gehandelt, aber die Bewilligung stand beim Kaiser13.4.«
Die Stände dachten auch gar nicht daran, den Kampf etwa aufzugeben. Auch in den folgenden Verhandlungen ist Streun der Mittler13.5.[Seite: 14] Zunächst mußte nach Wunsch des Kaisers, und zwar des Auslandes wegen geheim, eine Agende oder Kirchenordnung ausgearbeitet werden. Streun hat sie für den Kaiser mehrmals durchgesehen, sie ihm auch am Ostertag 1570 im Oratorium zu Prag zur Approbation überreicht, die freilich erst nach vielen Zugeständnissen an die katholische Liturgie geschah. Am 30. Mai 1570 erfolgte zu Prag die endgültige Bewilligung, die »Religionsassekuration«, die Streun wieder den Ständen übermittelte. Er übernahm es auch, die zahlreichen »Bedenken« der Stände beim Kaiser zu vertreten. Er begleitete ihn damals auf den Reichstag nach Speyer und wieder zurück über Dinkelsbühl und Nürnberg nach Prag und benutzte den ganzen Weg, um den Kaiser mürbe zu machen. Endlich zu Prag »auf sein unaufhörliches, schier etwas ungestümes Anhalten«, wie er sagt14.1, gelang es ihm, wenigstens einen Teil der ständischen Wünsche durchzusetzen. Darauf erfolgte die endgültige Fassung der Assekuration am 14. Jänner 1571.
Nach langen Kämpfen war doch nur das, was man hatte, rechtlich anerkannt. Die Bürger blieben nach wie vor vom Evangelium ausgeschlossen. Aber der Kampf ging weiter. Das Nächste, was man wollte, war eine Kirchenorganisation, Konsistorium, Superintendent und eine öffentliche Kirche in Wien. Auch da hatte der unermüdliche Streun die Führung der Verhandlungen, trotz immer neuer »Irrungen« zwischen Kaiser und Ständen, die Streun oft sehr in Verlegenheit setzten; besonders war es die heftige Opposition der radikalen protestantischen Partei der Flaccianer und der unerlaubte Zulauf der Wiener Bürger zu den Predigten in den Adelshäusern, was den Kaiser verstimmte. Dennoch gelang es Streun, durch den allein noch Maximilian mit den Ständen verkehrte14.2, durchzusetzen, daß 1574 ein Superintendent bestellt wurde, freilich ein aus Regensburg vertriebener Flaccianer, 1575 der Landhaussaal für den Gottesdienst in Wien bewilligt und 1576 eine protestantische Schule hier wenigstens stillschweigend zugestanden wurde.
Kurz darauf, am 12. Oktober 1576, starb Maximilian II. Die günstige Zeit für die neue Lehre war vorüber. Die Protestanten hatten sie doch nicht recht zu nutzen verstanden. Mit Maximilians Sohn Rudolf II., der in Spanien erzogen war, begannen die ersten Versuche der Gegenreformation. Schwere Kämpfe standen den [Seite: 15] österreichischen Protestanten bevor, wollten sie auch nur das Errungene bewahren. Immer noch und bis an sein Ende stand Streun unter den Kämpfern, doch hat er sich zunächst vom öffentlichen Leben auf seine Landgüter und in den Kreis seiner Familie zurückgezogen und wir wollen ihm vorerst folgen.
Schon 1575, ein Jahr nach dem Tode seines Vaters, hatte sich Streun dauernd auf seinen Lieblingssitz Freydegg zurückgezogen, um seiner Familie und seinen Neigungen zu leben, freilich auch immer wieder vom Kaiser oder den Ständen ins öffentliche Leben hervorgerufen.
Zunächst sei noch etwas über den Besitz nachgetragen. Seit 1579 besaß Reichart Streun Hartenstein und Gobelsburg allein, verkaufte aber letzteres 1587. 1579 erwarb er auch die kaiserliche Pfandherrschaft Dürnstein mit Tal Wachau, Feistritz, Weißenkirchen, Weinzierl und Pixendorf, endlich 1574, teils durch Erbschaft von Hans Kaspar und Maria Streun, Freydegg bei Amstetten, womit er noch die Schlösser Schönegg und Ernegg vereinigte15.1. Auch die Feste Haugsdorf kaufte er 159915.2 und war in Oberstockstall begütert15.3. Endlich besaß er ein Haus in Wien, und zwar »underhalb des kay. Hofspitals«15.4, nach Schimmer15.5 das Haus n. 42 auf dem Minoritenplatz, wo Streun wohl auch gewohnt hat, wenn er in Wien war.
Der Besitz wurde von Pflegern oder Amtleuten verwaltet. Was dem Gutsherrn selbst noch an Sorgen verblieb, darüber einiges aus dem Briefwechsel und aus einer Art Notizbuch, dem »Memorial Freydek« von 158615.6. Da ist einmal die Gerichtsbarkeit; etwa »Den Khunigshofer zu erfodern« heißt es im Memorial »per seiner tochter begangen ehepruch mit des von Odt pauer, lautt seines schreibens vom 12. November A. 85«. Oder Rat und Richter von Weißenkirchen bitten um Bestätigung eines Urteils, wodurch ein [Seite: 16] Mädchen, das gestohlen hatte, zu Pranger und Ausweisung begnadigt wurde16.1. Dann Wahrung der eigenen Rechte. »Marx, amtmann zu Schönek hat mir gesagt, ich hab noch ain holz, darumb ich nit gewist hab, so der von Odt abgehakt vnd jezo wider herzuewax vnd das mir die Pechlarisch vndertanen darin schaden thuen sollen16.2.« Oder »Die grafin von Ortenburg hat mir gesagt, ir her hab gefunden vnder den briefen, das die tafern zu Schönek vngeltfrey sei; abschrift zu begern«16.2a. Dann Geld- und Wirtschaftssachen. »Pader zu Versniz bleibt laut des Andre abraitzetl von dem 22. Juny anno 84 vber alles per rest heraus 13 fl. 6 dn. zu fragen, wie viel zu endt dies jars16.2.b.« Oder »N. mit maister Rupen abraitten lassen die alt und neu abraytung«16.c. Wir hören über Sendung und Stundung der Wein- und Getreideabgaben, Verbesserung des Weinbaues16.3, Bauten zu Hartenstein und Dürnstein16.4, ärgerliche16.5 Steuer-und allerlei Geldsachen16.6. Die größeren Geldgeschäfte, z. B. für die Gesandtschaftsreisen nach Polen besorgte der Kaufmann Wolf Stubenvoll in Wien16.7.
Als Gutsherr hatte Streun endlich auch für das geistige Wohl seiner Untertanen zu sorgen durch Ausübung der Kirchen- und Schulhoheit auf seinen Gütern. Tüchtige Prediger waren bei der unsicheren Lage des Protestantismus in Österreich schwer zu bekommen. Streunsche Pfarrer wirkten zu Ober-Nondorf, Els, Weißenkirchen und St. Michael in der Wachau, Gobelsburg und Zöbing und zu Ferschnitz bei Amstetten. Sie hielten meist auch Schulen. Wir kennen sie von der großen Visitation von 158016.8. Zu Weißenkirchen gab es einen Schulmeister Mag. Anthony Ebhart16.9.
Streuns ständiger und Lieblingssitz wurde Freydegg; wohl der freien Lage wegen am Rande des Voralpenlandes mit der Kette der Kalkalpen im Rücken, zu Füßen das weite Tal der Donau [Seite: 17] und Ybbs, jenseits davon die dunklen Berge des Waldviertels und ringsum grünes Hügelland. Neben dem Schlosse liegt der wohlhabende Ort Ferschnitz; nächste Stadt, etwa zwei Stunden entfernt, ist Ybbs, von wo aus die Donau bequeme Fahrt nach Wien bietet. Dies sein Freydegg machte Streun zu einem der gerühmtesten Adelsschlösser seiner Zeit, die prächtige Schloßbauten in freiem Gelände überhaupt liebte. Auch der Stammsitz Schwarzenau wurde damals zu einem regelmäßigen Renaissanceschloß umgebaut, doch nicht von Reichart Streun17.1, der es nie besessen hat. Schwarzenau steht noch, Freydegg aber ist längst von den Türken zerstört worden. Nur der Torturm hat sich erhalten, an dem eine lateinische Inschrifttafel meldet, Streun habe das Schloß zwischen 1575 und 1594 fast von Grund aus neu erbaut17.2. Eine gewisse Vorstellung gibt eine Radierung Vischers von 167217.3 und eine Schilderung in verschnörkelten lateinischen Hexametern von dem Späthumanisten Calamin, der Streun als Gönner verehrte17.4. Vischers Bild zeigt ein Herrenhaus in fünf zweistöckigen Gebäuden, drei runden und zwei viereckigen Türmen dazwischen und einem mächtigen viereckigen Hauptturm, alles rings um einen unregelmäßigen Hof im Gegensatz zu den regelmäßigen italienischen Schloßbauten. Links abseits stehen noch drei Nebengebäude, im vordersten der erhaltene Torturm. Hinter dem Schloß lag nach Calamin der Garten, in vier große Beete geteilt. Das Ganze war von einer stark befestigten Mauer umgeben. Im Innern führt uns Calamin durch einen Speisesaal, mit symbolischen Gemälden geschmückt, einen Bildersaal, der Darstellungen der Kaiser und Könige und allerlei Seltenheiten enthält, durch eine reiche Bibliothek mit Dichterbildnissen geziert, durch eine Münzen- und eine Urkundensammlung. Mit besonderer Bewunderung aber beschreibt Calamin die großen Gemälde (pictura Streinii), freilich ohne ein wirklich klares Bild davon zu geben. Wahrscheinlich war es der innere Säulenhof der Renaissanceschlösser, dessen Wände Fresken trugen. Der untere Säulengang (porticus) zeigte symbolisch die Macht Österreichs, die thronende [Seite: 18] Austria und habsburgische Herrscher mit den Zeichen ihrer Taten, in den Bogen aber (fornix porticus) ihre Brustbilder. Im Stockwerk trägt eine Wand den kaiserlichen Adler und die Wappen aller habsburgischen und deutschen Länder, die gegenüberliegende die spanischen, die beiden anderen Wände aber die Abzeichen der Kirchen und Städte. Der Turm endlich (turris historica) zeigt Trachten und Sitten der Völker, darüber die Ströme Europas und Amerikas und zuoberst den Oceanus. Die Idee dieser Darstellungen, die an manches Werk von Max I. erinnern, ist wohl Streun selbst entsprungen, ausgeführt mag sie »Meister Mathes, herrn Streuns maler« haben, der 1581 als sein Gast genannt wird18.1. Von anderen Künstlern wird gelegentlich von einem Baumeister Streuns18.2) und von einem Bildhauer Hans Petzlinger18.3 gesprochen.
Von dem künstlerischen Wert jener Gemälde können wir heute nichts mehr sagen, daß aber Streun ein Kunstfreund von Verständnis und Geschmack war, bezeugen der noch bestehende Bau und bildnerische Schmuck der Kirche im nahen Ferschnitz, die auch auf Streun als Bauherrn zurückgeht18.4. 1425 begonnen, wurde sie 1575 von Streun vollendet, im 18. Jahrhundert etwas verändert. Außen einfach, ist sie innen von mächtigem Eindruck und zeigt die letzte Stufe der ausklingenden Gotik, die in Österreich zugleich den Übergang ins Barock bezeichnet. Dagegen zeigen die Steinrahmungen zweier Türen klassisch-antiken Geschmack von großer Feinheit. Die Kirche umschließt auch künstlerisch sehr wertvolle Grabmäler der Familie Streun18.5, das Reicharts selbst, das seiner ersten Frau, das Grab seiner Vettern18.6 und endlich das Grab eines ungeborenen Kindes. Sie alle sind der Ausdruck altprotestantischer Frömmigkeit in schöner und vornehmer Arbeit der Renaissance. Streun hat in der Kirche zu Ferschnitz ein Denkmal geschaffen, das um so wertvoller ist, als wir an Denkmälern, die uns in die Stimmung gerade jener Zeit versetzen, in Österreich ohnehin nicht reich sind.[Seite: 19]
Seit 1575 lebte Streun dauernd auf seinem Freydegg glücklich im Kreise seiner Familie. Aus der Ehe mit Katharina von der Dürr waren 2 Söhne und 7 Töchter entsprossen, von denen 1594 noch 5 Töchter lebten. Frau Katharina starb 1580 und wurde in der Kirche zu Ferschnitz begraben. Sehr bald, wie es dama1 üblich war, vermählte sich Streun zum zweitenmal, mit Rosina Tschernembl. Am 24. September 1581 wurde zu Freydegg mit viel Prunk und Feierlichkeit Hochzeit gehalten und über hundert Gäste aus der österreichischen Adelsgesellschaft nahmen daran teil. Während des Mahles geschah ein schweres Unglück, der Boden des Saales mitsamt den Hochzeitsgästen stürzte in die Tiefe; ein Diener war tot, 3 Frauen schwer verletzt. Auf katholischer Seite sprach man gleich von einem Gottesgericht19.1, auf protestantischer beeilte man sich, das Gegenteil zu erweisen in einer eigenen Rechtfertigungsschrift19.2. »Schrecklicher, wunderbarlicher Fall, so sich an hohen und andern Personen zu Freydeck in Österreich auff Herrn Reichart Strein, Freiherrn, Heimfahrt zugetragen. daraus Gottes veterliche Erinnerung vnd Gnad vnd des Teufels Tyranney zu sehen.« Die Ehe hat also nicht unter guten Vorzeichen begonnen, scheint aber recht glücklich gewesen zu sein und war ebenfalls mit Kindern überreich gesegnet. Es waren 5 Söhne und 9 Töchter, von denen viele freilich schon in zartestem Alter starben. Calamin zeichnet ein kleines Idyll von Streuns Familienleben. Bei Frau und Kindern sucht er Erholung von der Arbeit, die Kleinen klettern an ihm empor, fahren ihm mit den Fingerchen durch den Bart. Solch eine Ehe sei ein Vorspiel zum Paradies, manch andere freilich eines zum Fegfeuer. Die heranwachsenden Kinder wurden durch einen Hofmeister unterrichtet, l58119.3 wurde z. B. ein studiosus artium, Samuel Hofmandl, empfohlen. Von den fünf Söhnen zweiter Ehe überlebten vier den Vater und wurden am 30. Juli 1603 mit seinen Gütern belehnt19.4, Wolf Heinrich, Hans Wolfhart, Reichart und [Seite: 20] Ulrich Wernhart. Die zwei ersten studierten 1604 in Basel20.1, Ulrich Wernhart 1617 und 1618 in Siena und Padua20.2.
Calamin rühmt auch die Geselligkeit und Gastlichkeit auf Freydegg. Streun war bei seinen Standesgenossen wie bei Hof hochangesehen, mag auch sein prächtiges Haus gern gezeigt haben. Einige wenige, zufällig erhaltene Briefe erzählen noch von dem einstigen Leben. Da erinnert Heimhart Jörger, daß er nächsten Donnerstag mit Herrn von Harrach zum Frühmahl nach Freydegg kommen werde20.3. Hieronymus Beck von Leopoldsdorf hatte Streun und Frau Rosina vergeblich bei sich in Ebersdorf erwartet und auch er hatte nicht nach Freydegg zur Weinlese kommen können. Er sendet Obstbäumchen und bittet um Sonnenrosensamen und empfiehlt den Garten der Schallaburg als musterhafte Anlage20.4. Ein Herr von Losenstein entschuldigt sein Fernbleiben von der Hochzeit von Streuns Schwager, Georg Erasmus von Tschernembl, dankt für eine geliehene Goldkette und eine Verwendung bei Hof und schickt eine kleine Aufmerksamkeit, einen »Kirtag«, für die Frau, ein Salbenbüchslein, ein Arzneibuch und ein Paar Innsbrucker Handschuhe20.5.
Auch Humanisten und Gelehrte sahen in Streun den Gönner, der sie nach der Sitte der Zeit und wohl auch aus eigenem Bedürfnis durch Geld und Fürsprache unterstützte und dafür von ihnen in lateinischen Versen und Prosa gepriesen ward. Calamin lebte lange als sein Gast in Freydegg und dankte ihm die Öffnung seiner Bibliothek und die Aufmunterung zu seinem Trauerspiel »Rudolph-Ottocarus«, das denselben Stoff, wie später Grillparzer, in lateinischen Senaren und Chorgesängen behandelte, mit sorgfältiger Angabe der Quellen20.6. Manchen Gefallen hat Streun dem gelehrten Hofbibliothekar Blotius erwiesen, ebenso hat er seinem Lehrer Hotoman noch nach vielen Jahren aus der Not geholfen. Der Venetianer Johann Michael Brutus, Hofhistoriograph in Prag, dankt für unsterbliche Wohltaten und die Güte, mit der sie erwiesen20.7. Der Hofkriegssekretär Hieronymus Arconatus [Seite: 21] vergleicht Streun mit der Sonne, die die anderen Gestirne überstrahlt21.1. Michael Lotichius aus Prag huldigt in einem langen lateinischen Brief21.2. Der Württemberger Sebastianus Malleolus bittet um gütige Aufnahme einiger Distichen21.3. Bartholomäus Reisacher widmet sein Buch über den Kometen von 157621.4 und Johann Sambuccus eine sehr schöne Abschrift des Valerias Maximus21.5. Auch kleinere Leute kommen mit allerlei Anliegen zu Streun, und daß er den Sohn des Predigers von Gallneukirchen in Wittenberg studieren ließ, mag nicht der einzige solche Fall gewesen sein21.6. Er hat gern hilfreiche Hand geboten.
Streun hat sich nun nicht nur gegen Humanismus und Wissenschaft als Gönner erwiesen, sondern er war auch selbst ein hochbedeutender Gelehrter als Jurist und Historiker und hat in seinen späteren Jahren die Forschung geradezu als seine Lebensaufgabe betrachtet, wie er denn auch seinem ganzen Wesen nach recht eigentlich als der Gelehrte erscheint. Auf sein Jugendwerk von 1559 folgte wohl eine lange Pause, zum Teil durch die öffentliche Tätigkeit bedingt, zum Teil aber wohl auch schon durch Sammlung und Bearbeitung eines überreichen Stoffes ausgefüllt, aus dem dann in den letzten Jahren scheinbar fast plötzlich eine ganze Reihe von Werken ganz oder fast ganz herausgearbeitet wurden. Die letzte Vollendung hat bei den meisten freilich der Tod gehindert. Sie sind der Erforschung der österreichischen Geschichte und des österreichischen Rechtes gewidmet, meist im Auftrag der niederösterreichischen Stände oder des Hofes gearbeitet, eines lateinisch, die übrigen deutsch verfaßt. Hier muß eine bloße Aufzählung genügen21.7.
Seit 1565 gehörte Streun auf Wunsch des Kaisers einer Kommission zur Ausgabe der sogenannten »Landtafel« an21.8, einer [Seite: 22] Unternehmung der Stände, durch die das heimische deutsche Recht gegen das eindringende römische Recht aufgezeichnet und festgehalten werden sollte. Streuns Arbeit daran beschränkt sich aber auf »Additiones und Bedenken« zum ersten Buch22.1 und er sucht darin in den einzelnen Anmerkungen die alten Rechte der Stände historisch zu begründen.
1588 erhielt Streun von den Ständen den Auftrag, eine »Landhandfest« auszuarbeiten22.2, zu ähnlichem Zweck, eine Sammlung aller Urkunden, welche die Macht der Stände gegen den vordringenden Absolutismus festlegen sollten, eine Aufzeichnung der spätmittelalterlichen Verfassung Niederösterreichs22.3. Aber Streun konnte die Arbeit nicht mehr zu Ende bringen; sie blieb unvollendet bis heute, denn der Gang der Entwicklung entschied sehr bald für den Absolutismus und die Landhandfest hatte ihre Bedeutung verloren.
Ganz der eigenen Liebe zur Sache entsprang das umfangreichste Werk, die Genealogie des österreichischen Adels oder vielmehr Urkunden und sonstiges Material dazu und allgemeine Abhandlungen zur Familienkunde in 14 Bänden, in zwei Abschriften erhalten22.4, ein Denkmal adeligen Familiensinnes.
Es folgt die Kaiserhistorie in drei Bänden, auch nichts anderes als eine Sammlung von Material zur Geschichte der habsburgischen deutschen Könige und Kaiser22.5.
Es folgen die »Annales historici oder historisches jahrzeitbuch desz ertzherzogthumbs Oesterreich ob der Ennszs«22.6, im Auftrag der dortigen Stände. Es stellt die Geschichte Oberösterreichs von der Römerzeit bis 1559 in Tabellenform dar, historisch ziemlich getreu.
Seit 1599 arbeitete Streun an einer Gegenschrift auf das Buch eines belgischen Benediktiners Wion, der die Habsburger von dem römischen Geschlechte der Anicier abstammen ließ. Streun bekämpft ihn mit viel Kritik, verfällt aber freilich auf die andere damals beliebte, doch ebenso wenig berechtigte Abstammung der Habsburger von den fränkischen Merowingern22.7. [Seite: 23]
Endlich folgt 1599 noch eine kleine habsburgische Stammreihe23.1, die vom Hofe für die Leichenrede einer österreichischen Prinzessin und Königin von Polen benötigt wurde.
So weit die Werke. Man sieht die Vorliebe für den heimischen Boden, das Gefühl des Verbundenseins mit ihm und das Streben, das Gefühlte auch wissenschaftlich zu fassen. Als Geschichtschreiber kann man dabei Streun kaum bezeichnen, wohl aber als einen der bedeutendsten Geschichtsforscher seiner Zeit, der ihre Forschungsmethode beherrschte und fortbildete und seine Arbeit auf kritisch gesichtete Quellen stützte. Seine eigenen Bücher-, Urkunden-, Inschriften- und Münzensammlungen kamen ihm dabei zu Hilfe. Zum kaiserlichen und ständischen Archiv hatte er Zutritt. Dieses hat er auch einmal als Mitglied einer Kommission selbst aufgenommen23.2. Auch die Hofbibliothek stand ihm offen und seit etwa 1595 war er ihr Oberaufseher, Superintendens, über dem Bibliothekar Blotius23.3. Dieser war zwar selber ein hochbedeutender Gelehrter, aber durch Verleihen waren ihm zahlreiche Bücher abhanden gekommen und nun durfte er ohne Streuns Bewilligung nichts unternehmen23.4. Zwar äußerte er einmal, daß er noch froh sei, daß man ihm einen Mann wie Streun vorgesetzt, aber bei seinem Tod hat er doch aufgeatmet, denn Streun hat sein Amt sehr ernst genommen und schon aus Interesse an den Büchern häufig und eingehend inspiziert23.5.
Hier soll endlich noch eine kleine Episode eingefügt werden, die Streun auch als Forscher zeigt, wenn auch auf einem ganz anderen Gebiet, es ist seine Expedition auf den Ötscher und zu den Eishöhlen in seinem Innern23.6. In der Umgebung des Berges gingen nämlich allerlei abenteuerliche Sagen um, insbesondere von Welschen, die Gold heraustragen sollten. Streun erzählte davon dem [Seite: 24] für solche Dinge ja sehr interessierten Kaiser Rudolf II., der nun ihn und den Prior von Gaming mit der Untersuchung beauftragte. Am 25. August 1591 erstiegen sie mit Gefolge, Dienern und Führern, von Lackenhof aus nicht ohne Mühe und bange Erwartung den Berg, der sie durch seine herrliche Aussicht entzückte und belohnte. Leute des Gefolges untersuchten dann die Höhlen, freilich ohne das erhoffte Gold zu finden. Streuns Forschergeist aber hat sich auch hier bewiesen, nicht nur im Unternehmen als solchem, sondern auch in der äußerst gewissenhaften Beobachtung all der damals ja noch unbekannten Erscheinungen auf einem höheren Berg und der genauen Aufzeichnung im Bericht an den Kaiser.
Wir kehren zuletzt wieder zum Politiker zurück. War Streun auch nach Neigung und Begabung vor allem der Gelehrte, so ist er doch immer wieder willig dem Ruf der Stände oder des Kaisers gefolgt, um an den Geschicken des Landes auch tätig Anteil zu nehmen.
Immer war Streun ein treues Mitglied der protestantischen Stände und schon als genauer Kenner all der Fragen wurde er auch später immer wieder zu Hilfe gerufen. Auf Maximilian war 1576 sein Sohn Rudolf II. gefolgt, die Hoffnung der Katholiken. Energisches Vorgehen durften sie gerade von diesem Kaiser freilich nicht erwarten, aber zumindest mit der Gunst des Hofes war es für die Protestanten für immer vorbei. Ihr Kampf galt in den nächsten Jahren bald nur mehr der Erhaltung ihrer Religionsfreiheit gegen die beginnende Gegenreformation in Niederösterreichs24.1.
Die erste und für die ganze Zukunft wichtigste Frage war, ob man es durchsetzen könnte, daß die Religionsassekuration in die kaiserliche Privilegienbestätigung vor der Erbhuldigung einbezogen würde. Der Landtag im Mai 157724.2, an dem auch Streun teilnahm, entschied natürlich dafür, der Kaiser dagegen. Aus »gnädigstem Vertrauen« nur ließ er dem Landmarschall, Streun und Jörger [Seite: 25] sagen; daß er die Assekuration ja nicht aufheben wolle, doch das sei nicht der rechte Weg. Die Stände ließen sich einschüchtern, die Huldigung erfolgte ohne Bestätigung und der günstige Augenblick, die Religionsfreiheit zu einem Teil der Landesverfassung zu machen, war verpaßt durch die eigene Schwäche, was auch für später ungünstig wirken mußte.
Das nächste große Ereignis war die Religionsbesprechung zwischen Kaiser und Ständen im Juni 157825.1 über die protestantische Kirche und Schule in Wien, die Maximilian II. nur stillschweigend zugestanden hatte. Der Kaiser forderte zunächst rundweg ihre Aufhebung als durch die Assekuration nicht beglaubigt. Die Stände suchten die Bewilligung durch Maximilian zu erweisen. Streun wurde als Kronzeuge von ihnen dreimal berufen, wollte aber erst nicht kommen, weil ja seine selbst angebotene Zeugenschaft wenig Wert habe25.2. Auf Bitten der Stände verfaßte er dann die »Relation 1568-76«, für uns eine wichtige Quelle, aber fast zu ehrlich, als daß sie hätte was beweisen können25.3. Er beriet die Stände dann auch bei Abfassung einer neuen Schrift über ihre Rechte. Der Kaiser war nun wenigstens bereit, die Sache bis zum nächsten Landtag zu verschieben und zur vorläufigen Regelung eine Religionsbesprechung abzuhalten. Unter den sechs Abgeordneten der Stände war wieder Streun. Der Kaiser zeigte sich ziemlich entgegenkommend, doch im letzten Augenblick scheitert alles, diesmal am Starrsinn der Protestanten. Jetzt erklärt der Kaiser das ganze protestantische Schul- und Kirchenwesen in Wien für aufgehoben, die Protestanten wissen nicht zu antworten, die Katholiken jubeln, die Gegenreformation in Niederösterreich hatte ihren ersten Sieg errungen. Noch war er nicht sicher. Es geschah, was der Hof immer gefürchtet hatte. Adel und Bürgerstand schlossen sich auf dem Märzlandtag 1579 zusammen und sprengten ihn. Aber im nächsten Jahr bewilligten sie doch wieder und legten sich in der Religionsfrage aufs Bitten und Verhandeln25.4. Die katholische [Seite: 26] Fürstenmacht war bedeutend gestärkt, die Protestanten von nun an in die Verteidigung gedrängt.
Es waren nicht so sehr die äußeren Machtmittel, die ihnen fehlten, als innere Hemmungen, die sie an ihrem vollen Einsetzen hinderten. Einmal waren sie unter sich selbst uneins. Die eine Gruppe, die flaccianischen Prediger, riefen durch ihre allzu radikalen Forderungen Verwirrung herbei, doch wurden sie 1588 ausgewiesen. Die andere Gruppe, der auch Streun angehörte, war wieder allzu versöhnlich und daher nicht geeignet, Forderungen durchzusetzen. Nach der Lehre Luthers sahen sie auch im katholischen Kaiser die von Gott eingesetzte Obrigkeit. Die Protestanten im Reich, ebenfalls schwächlich, rieten zum Nachgeben. Auch bürgte der Kaiser für die bestehende Ordnung überhaupt und ein Umsturz hätte auch die Vorzugsstellung des Adels gefährden können. Das verfassungsmäßige Mittel der Steuerverweigerung endlich hätte bei dem ständigen Drohen der Türken auch nur den allgemeinen Untergang heraufbeschworen.
In Streuns Religionspolitik leuchtet ein Bericht des Bischofs Khlesl an Herzog Wilhelm von Bayern, einen der Führer der deutschen Gegenreformation26.1. Streun rät den Protestanten, Einigkeit herzustellen und die Reichsfürsten zu gewinnen, aber gemach zu tun und den Kaiser nicht zu erbittern; und in einem Gutachten von 158526.2 über die Zulassung der Bürger zum evangelischen Gottesdienst sagt er, es sei wohl richtig, daß man sie vom Wort Gottes nicht zurückweisen dürfe, aber man müsse vorsichtig sein und die Gefährdung der eigenen Assekuration bedenken. Litten die Bürger auch Unrecht durch die Obrigkeit, so habe es nach Luther seinen Lohn bei Gott. »Wer weiß, warum der Herr der Ernte, wie Luther davon redet, ihnen — den Bürgern — die Arbeit an der Ernte nicht gönnen will, uns ja.« Übrigens sei die Taufe bei den Katholiken gleich und das Abendmahl könne man, sagt Luther, eine Zeit entbehren und doch selig werden durch Wort und Glauben. So Streun. Zur selben Zeit ging Khlesl mit Tatkraft und Erfolg daran, die Städte wieder katholisch zu machen. Die Protestanten sind damals schon völlig in die Verteidigung gedrängt.
Streun hat auch weiter an den Ereignissen lebhaft Anteil genommen. Er war auf den Landtagen in Wien im Mai 1582 und im [Seite: 27] März 1583 auch im Ausschuß, wo hauptsächlich über eine neue Steuervorlage beraten wurde27.1. Ebenso im Mai 158327.1.a. Man bewilligte einen Aufschlag auf Waren aus Böhmen und Mähren, außer auf Wein und Getreide, um den »gemeinen Mann« nicht zu sehr zu belasten. Zu einer Anleihe wollte man nur im äußersten Fall greifen. Nach diesen Grundsätzen erfolgte dann die endliche Regelung auf dem Landtag im Herbst 158327.1.b., wo Streun wieder eifrig mitwirkte. Er hat auch ein Finanzgutachten verfaßt27.2. Der Versuch aber, die Lage religionspolitisch auszunutzen, und Streun hat auch an dieser Schrift mitgeholfen, wurde vom Kaiser höflich abgelehnt27.3.
Streun war auch auf dem Februarlandtag 1585 im Ausschuß27.1.c und dann im August auf dem Ständetag in Feldsberg27.4, der jedoch verboten wurde. Es hätte hier eine Einigung der Parteiungen unter den Protestanten versucht werden sollen. Am 13. Juni 1585 gab Streun das schon erwähnte Gutachten über den Zulauf der Bürger ab. Der Schloßprediger zu Inzersdorf bei Wien war verhaftet worden, weil er den Zulauf nicht hinderte. Vier Gesandtschaften gingen vergebens nach Prag zum Kaiser27.1.d. Streun aber riet zum Nachgeben. Im Jänner 1590 wurde noch über die Sache beraten, auch ohne Ergebnis27.1.e. 1592 wurde Streun in einen Ausschuß gewählt27.1.f, der Streitigkeiten des Herren- und des Ritterstandes um den Vorsitz im Landtag beilegen sollte und auch billig beilegte. Im Dezember 1592 gab Streun ein Gutachten über eine Geschäftsordnungsfrage im Landtag ab und begründet seine Stellungnahme historisch27.5. Im März 1595 hatte er einen Ausschuß zusammen mit Vertretern anderer Länder über das »Defensionswesen« zu beraten, was ja hauptsächlich auch eine Geldfrage war27.6. Einige Tage vorher hatten die Protestanten im Landhaus Gottesdienst gehalten. Dafür kam ein scharfer Verweis von Erzherzog Matthias, sie möchten doch alles lassen wie bisher. Auch sein Hofmeister Reichart Streun dürfte ihnen kaum anders geraten haben27.7. Dies [Seite: 28] ist das letzte Mal, daß er im Zusammenhang mit den Ständen und in der Religionsfrage genannt wird28.1.
Auf Streuns Haltung mag nun wohl auch der Umstand hemmend gewirkt haben, daß er kaiserlicher Beamter gewesen war und auch später wieder im Dienste des Hofes stand. Im Juli 1582 wurde er Hofmeister und vertrauter Rat des Thronfolgers Erzherzog Matthias28.2. Schon früher28.3 hatte sich dieser in seinem verunglückten Unternehmen in den Niederlanden an Streun um Rat gewandt, der dahin ging, möglichst schnell aus dem »Niederlendischen Labyrintho« herauszukommen und sich lieber in Ungarn zu versuchen. Um so mehr als Hofmeister wurde Streun von dem zeitlebens wenig selbständigen Erzherzog immer wieder und in allen möglichen Dingen um Rat gefragt28.4. Er ist teils im Auftrag, teils in Begleitung des Prinzen auf dem Linzer Landtag im Juli 158228.5, darauf beim Reichstag in Augsburg28.6 und um Neujahr 1588 auf dem ungarischen Landtag in Preßburg, wo er ganz als kaiserlicher Beamter und Vertreter der Gesamtstaatsidee auftritt. Die Ungarn seien hart gewesen, berichtet er an Dietrichstein, weil der Landtag von 1583 schwere Präjudiz geschaffen, aber nun seien dem Kaiser die Zügel wieder in die Hand gegeben, um die Beschlüsse von 1583 nach Recht, Ehre und Autorität des Königs zu interpretieren28.7. Dann kam wieder einmal eine ganz persönliche Angelegenheit des Erzherzogs. Um seinen trüben Gedanken zu entfliehen, war er in der Neujahrsnacht auf 1587 heimlich fortgeritten zu einer Reise nach Norddeutschland. Streun, vorher um Rat gefragt, hatte im ganzen mehr zugestimmt und auf die Bedeutung der Hansastädte28.8 gewiesen, die ein Mitglied des deutschen Kaiserhauses kennen lernen sollte28.9. Ihm selbst blieb [Seite: 29] übrigens die wenig angenehme Aufgabe, den Erzherzog daheim zu vertreten und den Unmut des Kaisers zu besänftigen.
Sonderbar mag es vielleicht erscheinen, daß Streun, soweit wir sehen; nicht versucht hat, den unselbständigen Prinzen in protestantischem Sinn zu beeinflussen, wie Khlesl in katholischem. Aber Streun war dazu wohl selbst zu duldsam, besaß nicht Khlesls Kraft der Überzeugung und des Willens.
In jenen Jahren mußte Streun auch noch einmal drei große und beschwerliche Reisen unternehmen. Im Sommer 1587 ist er als Mitglied der kaiserlichen Gesandtschaft in Warschau, die sich bei der polnischen Königswahl für einen Habsburger bewerben sollte. Bei den heftigen Parteikämpfen der Polen, ihrer Abneigung gegen alles Deutsche, ihrer Furcht vor der Türkei, die natürlich gegen die Habsburger war, und dem Umstand endlich, daß gleich vier kaiserliche Prinzen als Bewerber auftraten, war die Aufgabe der Gesandtschaft sehr schwierig und sehr wenig aussichtsreich bei aller Mühe, die sie sich gegeben. Streuns Berichte29.1 zeigen scharfes Beobachten und klares Erfassen der so fremden Verhältnisse, geben ein anschauliches Bild ihrer Wirrheit und Gewaltsamkeit, lassen Streuns Klugheit in den Verhandlungen und in der Behandlung der Personen erkennen. Sie beginnen ziemlich zuversichtlich, sprechen bald von der Zunahme der Gegenpartei, verlieren die Hoffnung auf einheitliche Wahl, fürchten eine solche »per acclamationem et tumultum«, sehen endlich die Sache »in extremis«. Damit brechen sie ab. Wirklich wurde am 19. August sowohl Sigismund Wasa als auch Erzherzog Maximilian tumultuarisch gewählt29.2. Dieser machte dann einen leichtsinnig unüberlegten Einfall nach Polen, den Streun in vertraulichen Briefen an den Obersthofmeister Adam von Dietrichstein29.3 wie auch in einem Gutachten für den Hof29.4 unumwunden verurteilt hat. Man hätte früher genau überlegen sollen, »ob man der Sache befuegt« sei, wenn ja, dann umsichtig durchführen, nicht sich und andere [Seite: 30] leichtsinnig in Gefahr bringen; jetzt freilich »jacta est alea und ligt jetzt allain an der hilf von oben und unden«. Das Allerklügste wären freilich Verhandlungen. Inzwischen war der Erzherzog bereits in polnische Gefangenschaft geraten. Es galt nur mehr seine Befreiung, und zwar durch gütlichen Vergleich, da an Waffengewalt nicht zu denken war. Im Jänner 1589 ging Streun mit einer Gesandtschaft abermals nach Polen. Auf dem Tag zu Beuthen wurde die Freilassung erreicht; alle anderen kaiserlichen Wünsche scheiterten jedoch an der Festigkeit der Polen und der schwächlichen Haltung des Kaisers30.1. Max wurde befreit, doch kaum in Sicherheit, leistet er den bedungenen Eid nicht, ruft so neue Verwicklungen hervor. Die Gegenpartei sucht das zu benützen, um die Habsburger für alle Zeit von der Wahl auszuschließen30.2. Streun und Bischof Pawlowski, der Führer der früheren Gesandtschaften, gingen ein drittes Mal nach Polen, zu Weihnachten 159030.3, und vermochten durch ihr geschicktes Auftreten, daß die Ausschließungsfrage im Sande verlief30.4. Pawlowski mußte dann noch einmal (1596) nach Polen, Streun lehnte wegen Kränklichkeit ab30.5. Endlich 1598 leistete Erzherzog Max den versprochenen Eid, womit die böse Sache aus der Welt geschafft war. Noch zwei kleine Gesandtschaftsreisen führten Streun im Juni 1591 zu Erzherzog Ferdinand nach Innsbruck30.6 und im August 1594 auf den deutschen Reichstag nach Regensburg30.7.
Nach 1594 hat Streun keine größere Reise mehr unternommen, seiner Kränklichkeit wegen, doch nahm man seine politische Erfahrung auch weiterhin in Anspruch und eine Reihe von Gutachten sind die Frucht davon.[Seite: 31]
1594 stand er in lebhaftem Briefwechsel mit Erzherzog Matthias, der damals Befehlshaber gegen die Türken in Ungarn war, mußte Geldsachen besorgen und selbst über militärische Fragen seine Meinung abgeben31.1. Vom selben Jahr ist die »opinio in causa Wirtenbergensi«31.2. Streun untersucht die Frage juristisch und historisch, findet Österreichs Recht auf die seit Karl V. bestehende Lehenshoheit über Württemberg nicht unzweifelhaft erwiesen und rät zum Verzicht auf die Hoheit gegen gewisse Bedingungen. So ist auch später (1599) der Prager Vertrag zustande gekommen.
Als nach dem Tode Ferdinands von Tirol 1595 Erzherzog Matthias der Administrator seiner Länder wurde, hatte Streun zunächst ein Gutachten über die Art der Belehnung und Huldigung abzugeben31.3. Er war dann weiter unter den kaiserlichen Kommissären, die Ende März 1597 über die Teilung jener Länder zwischen der österreichischen und der steirischen Linie zu beraten hatten31.4. In einem Gutachten darüber vom 13. September 159731.5 rät er das in der österreichischen Geschichte bewährte ständische Schiedsgericht und eine Interimsverwaltung bis zur endgültigen Austragung der Sache, die aber erst 1602 erfolgte. Dazu gehört noch ein Gutachten31.6 über die Belehnung des Sohnes Ferdinands aus der morganatischen Ehe mit Philippine Welser mit dem österreichischen Afterlehen Burgau, dazu endlich, wahrscheinlich von Streun, ein Gutachten über die Grafen von Arco (Arch), die gegen Rückgabe ihrer Schlösser zum Treueid (juramentum fidelitatis) doch nicht zum Untertaneneid (subjectionis) bereit waren. Streun rät auch hier bei strittiger Rechtsfrage zu gütlicher Handlung statt zu Prozeß und will vor allem die österreichischen Privilegien nicht in Diskussion gezogen sehen31.7.
Noch einmal mußte Streun eine schwierige und beschwerliche Sendung auf sich nehmen, als eine große innere Gefahr die Heimat [Seite: 32] bedrohte. 1595 brach in Oberösterreich infolge des gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und religiösen Drucks und der schweren Opfer des Türkenkrieges ein Bauernaufstand aus, der Ende 1596 auch nach dem westlichen Niederösterreich übergriff32.1. Streun konnte sich nicht entziehen, als ihn der Kaiser mit anderen als Unterhändler zu den empörten Bauern entsandte. Die Kommissäre waren vom besten Willen beseelt und gaben sich alle Mühe, die Beschwerden zu prüfen und eine billige Einigung herbeizuführen. Aber das Mißtrauen der Bauern und der Ehrgeiz ihrer Führer, die Angst des Adels und ihre militärischen Aufgebote während der Verhandlungen ließen den Aufstand immer aufs Neue emporlodern, bis schließlich die Gewalt siegte. Im Frühjahr 1597 wurden die Bauern von ständischen Truppen niedergeworfen, die Rädelsführer martervoll hingerichtet, die übrigen nahmen die Arbeit wieder auf.
Über die Behandlung der besiegten Bauern hatte auch Streun wieder ein Gutachten abzugeben32.2. Er findet die Schuld auf beiden Seiten, bei Adel und Bauern, doch hätten die Bauern auch öffentlich-rechtliche Forderungen aufgestellt, sogar von Schweizer Freiheit gesprochen. Die privaten Beschwerden sollten durch gemischte Kommissionen erledigt werden, doch müßte man auf Robot, schuldigem Gehorsam und Genugtuung für die beschimpften Herren bestehen.
Streun selbst war übrigens ein milder Gutsherr. Seine Bauern in der Wachau wiesen die Werbungen der Aufständischen zurück, denn sie hätten keine Beschwerden32.3. Die Untertanen des Abraham Pfandler zu Obernondorf, Reuten und Losch erklärten, sie wären einst unter Reichart Streun mit Robot wenig beschwert gewesen, kaum habe Pfandler die Herrschaft übernommen, als er auch schon Abgaben und Dienste erhöhte, obwohl er die alten Rechte zu wahren versprochen hatte32.4. Wohl wurde Schloß Freydegg am 1. März 1597 von den Bauern bedroht, aber nur des Schloßpredigers wegen, der die Aufständischen beschimpft hatte32.5.[Seite: 33]
Endlich gibt es noch zwei Gutachten Streuns aus seinem letzten Jahre, 1599. Das eine handelt über die Erbfolge in Böhmen, eine Frage, in der Streun schon einmal tätig gewesen war. Auf eine Anfrage von Matthias verfaßte er nun eine »Information«, ausführlich, historisch genau und urkundlich belegt, wonach durch die Goldene Bulle die freie Wahl in Böhmen nur bei völligem Aussterben der Dynastie zugelassen werde und auch da noch der Bestätigung des Deutschen Kaisers und der Kurfürsten bedürfe33.1. Das zweite Gutachten handelt über ein Friedensangebot der Türkei, für das Streun lebhaft eintritt33.2. Man müsse Gott danken, daß man sich gegen den mächtigen Feind so lange habe halten können. Besser ein sicherer Friede als ein erhoffter Sieg, sage Hannibal zu Scipio33.3. Freilich müsse der Friede die Gewähr der Dauer haben. Das Gutachten wurde noch am 5. Juni 1600 für die »herrn Kommissare« abgeschrieben, zum Frieden aber kam es erst sechs Jahre später, als Österreich völlig besiegt war.
Streun hatte noch in den letzten Jahren trotz zunehmender Kränklichkeit viel Arbeit, politische und wissenschaftliche, auf sich genommen, zuletzt noch das mühevolle Amt im Bauernkrieg. Bedenkt man das ganze reiche und arbeitsreiche Leben, so nimmt es nicht Wunder, daß er seine Kräfte verhältnismäßig früh erschöpft und kein hohes Alter erlangt hat. Mehr und mehr klagt er über Beschwerden. Er und andere sprechen von seiner »Schwachheit«, ohne eine bestimmte Krankheit zu nennen. Im September 1598 fuhr er, so scheint es, zum letztenmal von Freydegg zu Schiff nach Wien mit Frau und Kindern und arbeitete in der Hofbibliothek33.4. Ein halbes Jahr später schon, im März 1599, entschuldigt er sich bei den Ständen, daß er nicht nach Wien kommen könne, immer übel auf sei33.5. Gefaßt erwartete er den Tod. Er habe seine Jahre ja erreicht, nur die Landhandfest möchte er noch gerne vollenden33.5.a. Das war ihm nicht mehr vergönnt. Am 8. November 1600 starb Reichart Streun zu [Seite: 34] Freydegg um 3 Uhr nachmittags, 63 Jahre alt. Am 16. April 1601 wurde er im Chor der Pfarrkirche zu Ferschnitz endgültig beigesetzt. 1603 haben ihm seine Kinder daselbst einen einfach vornehmen Grabstein gewidmet34.1.
Streun hinterließ eine Witwe, vier Söhne und mehrere Töchter, von denen drei sich vermählten. Die Familie blieb nicht in den besten Vermögensverhältnissen, vielmehr waren große Schulden da. Bauten, Sammlungen, Unterstützungen, die zahlreiche Familie, der kaiserliche Dienst und die wissenschaftliche Arbeit hatten viel Geld gekostet und wenig Zeit für die eigene Wirtschaft gelassen. Streun habe sich durch seine Landhandfest selbst aufgerieben und sei in Schulden geraten, klagt die Witwe, die Güter stünden in Gefahr, veräußert zu werden. Sie bat die Stände um Erhöhung der für die Landhandfest versprochenen Summe, wofür sich auch Erzherzog Matthias einsetzte. Doch die Stände zahlten nur 10.000 fl. und das erst 1613. Frau Rosina war schon 1609 gestorben34.2. Die Güter wurden verkauft, zuletzt Dürnstein 1622, 1623 die Bücherei an die kaiserliche Bibliothek.
Mit Reichart Streun hatte sein Geschlecht den Höhepunkt erreicht und überschritten. Nur sein jüngster Sohn hat es, soweit wir wissen, noch einmal fortgepflanzt. Dessen Sohn Georg, kaiserlicher General und Kommandant von Philippsburg, starb 1679 als der letzte seines Hauses. Der Name Schwarzenau wurde 1731 durch kaiserliche Verleihung erneut, betrifft aber eine ganz andere Familie33.3.
Reichart Streun darf als Symbol Österreichs in jenen Tagen der Ausbildung des alten Reiches angesehen werden. Aus altheimischer, vornehmer Familie entsprossen, hat er als Hof- und Staatsbeamter und als Mitglied des Adels an allen wichtigen, die Zeit bewegenden Fragen mitgewirkt. In der auswärtigen Politik als Gesandter im Reich und in Polen, als Ratgeber in der Türkenfrage, als Vertreter des werdenden Absolutismus, der Gesamtstaatsidee und moderner Verwaltung in Böhmen und Ungarn und als Hofkammerpräsident, aber auch im Zwiespalt dazu ein [Seite: 35]konservativer Vertreter und gelehrter Begründer der schwindenden ständischen Rechte und wieder ein Verteidiger der neuen Lehre mit, so scheint es, zwar großem, aber nicht dauerndem Erfolg. Er hat die Religionskonzession erringen helfen, aber die Gegenreformation nicht aufhalten können. Er hat vor ihr und vor den Verwüstungen des Dreißigjährigen Krieges noch eine letzte künstlerische und wissenschaftliche Blüte der Renaissance- und Reformationsperiode dargestellt. Nach den verschiedensten Richtungen hat Streun Einfluß auf die Geschicke seines Vaterlandes genommen. Daß er es in der geschilderten Weise getan, mag neben den Umständen sein Charakter erklären.
Auch hierin kann man Streun vielleicht als Symbol des Österreichers bezeichnen. Er war jedenfalls ein geistig, sittlich und religiös hochstehender Mann. Auf sein Österreichertum werden wir aber vielleicht seine milde, weitherzige und duldsame Sinnesart zurückführen dürfen, die dann noch von anderer Seite her, durch die gelehrte Richtung seines Geistes, vertieft wurde. Streun war durchaus ehrenhaft, billig und gerecht und fand auch bei Gegnern Vertrauen und Hochachtung, war liebenswürdig und gütig, ein milder Gutsherr, ein guter Familienvater, freilich auch, als ein überwiegend aufs Geistige gerichteter Mann, ein schlechter Hauswirt; er war fromm und ehrfürchtig gegen das Große, selbst nie kleinlich und gehässig, in der Politik konservativ, methodisch, klar und von weitem Blick, auch entschlossen, wo er sich des Rechtes bewußt war. Doch hier beginnt auch seine Schwäche als Politiker. Von Natur aus neigte er zu friedlichem Ausgleich, zum Verhandeln, zu Kompromissen. Als Historiker versteht er zu sehr die Berechtigung auch der Gegenseite, sieht er zu klar auch die möglichen schlechten Folgen voraus. Ein solcher Staatsmann wird das Höchste leisten, wenn er auch eine sehr starke Natur ist, sonst wird er seine Sache im allgemeinen vor Erschütterungen bewahren, aber nicht leicht alles einsetzen, um den entscheidenden Erfolg zu erringen. Streun hat in Verhandlungen für den Kaiser und für die Stände manches erreicht, für den Protestantismus scheinbar sogar viel, doch nicht die feste Grundlage, die ihn vor dem Zusammenbruch bewahrt hätte. Streun eignete sich vielleicht mehr dazu, dem Politiker die geistigen Waffen zu liefern, wie er es in seinen Gutachten getan hat und auch, freilich ohne Wissen und Willen, in seiner Landhandfest. Dies sei hier kurz noch dargestellt, weil es [Seite: 36] doch auch wieder eine Rechtfertigung der zurückhaltenden Politik Streuns gibt.
Es war in den letzten und entscheidenden Kämpfen der protestantischen Stände gegen Kaiser Matthias und Ferdinand II. Streuns Schwager, der »Tribun« Georg Erasmus von Tschernembl, hatte die Protestanten 1608 nach Horn geführt, die Huldigung geweigert und schließlich tatsächlich die Verbriefung der erweiterten Religionsassekuration durchgesetzt, am 19. März 1609. Dagegen haben die katholischen Stände unter Berufung auf Streuns Forschungen die Huldigung als bedingungslose Pflicht erweisen wollen36.1. Neuerdings stützte sich die große Beschwerdeschrift der vier (protestantischen) Stände vom 11. Februar 161336.2 teilweise wenigstens auf die »Landhandfest«, doch ohne sie zu nennen36.3. Und noch einmal tritt sie hervor im Höhepunkt des Kampfes der beiden Gewalten. Kaiser Matthias war gestorben und der Erbe, Erzherzog Albrecht, hatte Ferdinand II. zur Verwaltung Niederösterreichs ermächtigt. Wieder sammeln sich die Protestanten in Horn, verhandeln mit dem Grafen Thurn, protestieren gegen den Krieg in Böhmen, schicken die Deputation vom 11. Juni 1619 unter Thonradel zu Ferdinand und anfangs 1620 veröffentlichen sie »der gesamten Stände offenes Manifest an alle europäischen Mächte ...«36.4 und »der Stände historische und diplomatische Ausführung über sämtliche ihnen zustehenden Rechte und Freiheiten 1619«36.4.a. Was sie darin fordern, ist Punkt für Punkt der ständische Staat, aus der Landhandfest entnommen und begründet. Aber die tatsächliche Macht der Stände entsprach ihr nicht mehr. Dieselbe Bewegung, die drei Jahrzehnte später in England unter Cromwell zum Parlamentarismus führte, endete in Österreich in der Schlacht am Weißen Berg 1620 mit dem vollen Siege des absoluten Fürstentums, dem tatsächlichen Ende der Ständemacht, dem Untergang des Protestantismus im Habsburgerreich.
Diese Katastrophe der Gewaltpolitik ist immerhin eine Rechtfertigung der friedlichen Politik Streuns und seiner Zeitgenossen. [Seite: 37] Wir wissen freilich nicht, ob nicht in jenen Zeiten der Anfänge der Gegenreformation Männer, wie Tschernembl, Österreich zum evangelischen Staat mit all den gewaltigen Folgen hätten machen können, Männer, wie Streun, um 1620 den Protestantismus wenigstens vor dem Untergang bewahrt hätten. Wir können das heute kaum mehr nachrechnen, weil wir alle die anderen unzähligen Kräfte zu wenig kennen. Daß aber gerade diese und jeder der irgendwie führenden Männer zu ihrer Zeit aufgetreten sind und geschaffen haben, das hat die Entwicklung so bestimmt, wie sie gekommen ist, und wirkt immer und immer fort, denn die Taten der Vorfahren sind Schicksal der Nachkommen.