Die Auseinandersetzung des alten mit dem neuen Bekenntnisse gestaltete sich in Österreich zu einer Kraftprobe besonderer Art. Der Kampf der Anschauungen trat sogleich mit einer gewissen Notwendigkeit den längst bestehenden Schwierigkeiten zwischen Landesfürstentum und ständischer Macht zur Seite und fiel schließlich mit diesem zusammen. Die etwa ein Jahrhundert erfüllenden konfessionell-politischen Spannungen gewannen so eine Bedeutung, die sie an sich — als rein weltanschauliche Meinungsverschiedenheiten — nie erlangt hätten.
Das katholische Landesfürstentum blieb siegreich. Dieser Ausgang des großen Grundsatzstreites ist vieldeutig; mußte die neue Lehre unterliegen, weil sie von Ständen getragen wurde, die auch ohne das Hinzutreten der religiösen Gegensätze über kurz oder lang ihre alte Stellung verloren hätten? Oder haben Adel und Bürgerschaft ihre Stellung verloren, weil der religiöse Gegensatz ihren Kampf darum erschwert hat? Waren die Herrscher im Bunde mit der alten Kirche wirklich so stark oder haben ihr die Gegner selbst die Angriffspunkte dargeboten?
Jeder Versuch, das Kräfteverhältnis der beiden Gegner genauer zu bestimmen, ist bei dem Fehlen der Maßstäbe und bei der Lückenhaftigkeit der verläßlichen Angaben äußerst verwickelt. Die Tatsache gar, daß geistig-seelische Einflüsse einen sehr starken Anteil am Verlaufe der Ereignisse unleugbar gehabt haben, macht solche Versuche fast aussichtslos. Ein klareres Bild kann man allenfalls durch Abschätzung und Vergleichung der vorhandenen Angriffslust hüben und drüben gewinnen.
Da zeigt es sich, daß eine Reihe von wichtigen, seelischen Vorteilen auf Seite der Protestanten gewesen sein muß. Schon daß sie überhaupt das Neue, das Andere wollten, daß sie die Gemüter aufregten und die Denkenden anregten, sicherte ihnen einen starken Vorsprung in Kreisen, auf die es allezeit denn doch anzukommen pflegt, ungeachtet ihrer zahlenmäßigen Minderheit. Auch dort, wo innere Unentschlossenheit herrschte, konnten die Protestanten wenigstens auf [Seite: 82] abwartende Teilnahmslosigkeit rechnen, und dies ist gerade in entscheidenden Augenblicken wichtig. Zu dem kam, daß die Stände nicht nur auf Grund alter Privilegien und angemaßter Rechte, sondern durch ihre wirtschaftliche Bedeutung dem Landesfürstentum größte Schwierigkeiten auch dann bereiten konnten, wenn sie an offene Widersetzlichkeit gar nicht dachten.
Das Landesfürstentum der Habsburger befand sich in keiner leichten Lage, seit es sich entschlossen hatte, der alten Kirche die Treue unbedingt zu wahren. Der Apparat, über den es verfügte, war unzeitgemäß, langwierig und dem Ansturm einer Volksbewegung keineswegs gewachsen, das Personal, das ihm diente, schwung- und begeisterungslos.
Die starke Bindung an auswärtige Faktoren, tausend Rücksichten auf dynastische Fragen und auf die Erhaltung des Einflusses in nichtdeutschen Ländern, hinderte herzhafte Entschlüsse. Es war damals ja die Zeit, da das von Grillparzer ausgesprochene "Halbe" geschah. Die Türkengefahr kam hinzu. Überall zeigte sich die Schwäche der Krongewalt, die sich immer wieder mit den Gegnern an den Verhandlungstisch setzen mußte, anstatt ihren Willen einfach zu erzwingen, oder dies wenigstens zu versuchen. Es ist kein Wunder, wenn sich die Habsburger in dieser Lage völlig der Kirche hingaben, der einzigen Macht, die ihnen ein natürlicher Bundesgenosse war und der entscheidende auf die Dauer werden mußte. Sie blieb einheitlich, wußte genau, was sie wollte und führte schließlich im Jesuitenorden der kaiserlichen Sache eine Hilfstruppe von besonderer Bedeutung zu: Sie entfachte in dem ermüdeten Katholizismus neuen Angriffsgeist, der bekanntlich die beste Verteidigung ist.
Allein diese Vorteile stellten sich erst im Laufe der Jahrzehnte heraus. Anfangs hatten die Protestanten unbestreitbar das moralische und machtpolitische Übergewicht. Damit ist das Problem der folgenden Untersuchungen eindeutig gegeben: Es gilt, jene Gründe nachzuweisen, aus denen der Protestantismus in Österreich — obwohl zu einer wahren Volksbewegung angewachsen und in keineswegs zweifelhafter oder gar aussichtsloser Lage auf die Dauer seine Schlagkraft einbüßte und schließlich unterlag.
Daß diese Gründe hauptsächlich im Seelisch-Geistigen zu suchen sind, erhellt schon aus der langen Dauer des Kampfes: Der Widerstreit nur-realer Tatsachen würde sich in weit kürzerer Frist erledigt haben. Zweifellos war die Bekenntnisfrage die eigentliche Triebfeder der "Opposition", keineswegs nur eine weitere Verschärfung längst bestehender Gegensätze; wäre dies der Fall, so hätte die gestellte Frage überhaupt keinen Sinn, wir nehmen vielmehr an, daß die konfessionelle Gegensätzlichkeit ohne ihre Bindung an die politische, für sich hätte bestehen können und zu ziemlich ähnlichen Erscheinungen geführt haben würde. Ist dies der Fall gewesen, so werden die geistigen Faktoren eben als die vorherrschenden, die politischen dagegen als die Nachgeordneten anzusehen sein — mag sich in der Praxis zuweilen auch das umgekehrte Verhältnis eingestellt haben. Die Darstellung wird darum von der Frage auszugehen haben, welchen [Seite: 83] ideologischen Gehalt die beiden Systeme zu Beginn und im Verlaufe ihrer Auseinandersetzung auswiesen, vor allem ihre Anschauungen von Staat und Herrschaft, denn darum hauptsächlich und nicht so sehr um Glaubensartikel ging es.
In den antiken Völkern und Staaten gab es keinen Gegensatz zwischen Religion einerseits, Staat und Gesellschaft anderseits.
Das Christentum aber trennte Staat und Gesellschaft, "die Welt" von dem geistig-seelischen Innenleben des Menschen, von der "Religion", von "Gott". Nach dem Willen seines Stifters — "Mein Reich ist nicht von dieser Welt" — und auch den Meinungen seiner ältesten Lehrer nahm es grundsätzlich nicht teil an der Gestaltung des Staates, wenn auch dessen Daseinsberechtigung nicht angezweifelt wurde. So bald es aber einmal zur sichtbaren Kirche geworden war, wurde das Christentum im römischen Katholizismus eine betont politische Religion, die nun nicht nur entscheidenden Einfluß auch im Staats- und Gesellschaftsleben, sondern auch das Übergewicht über beide beanspruchte und teilweise auch erhielt. Das ganze Mittelaller ist durchzogen von Streitigkeiten um die Vorherrschaft des Geistlichen oder Weltlichen, der Kirche oder des Reiches. Der letzte Schluß aus der durch so viele Jahrhunderte sich hinziehenden Streitschriftenliteratur mag um 1500 vielleicht schon manchem nahe gelegen haben: Daß mit den bisher gebrauchten Gedankengängen und Fachausdrücken — insbesondere mit den auf allen Seiten zur Grundlage genommenen Lehren des Aristoteles — kein sachlicher Fortschritt mehr zu erzielen war.
Das König- und Kaisertum aber hatte in dieser Zeit eine schon unter Barbarossa begonnene Entwicklung zu Ende geführt: Die Feststellung der Herrscherrechte nach spätrömischen Begriffen. Und nun erschien noch Machiavelli mit seiner bestechenden Lehre von der Allgewalt des "Fürsten". Gewiß blieb vieles einstweilen noch auf dem Papier und der Abstand zwischen Wunsch und Wirklichkeit vielleicht nie greifbarer als im 16. und 17. Jahrhundert. Aber die Sache selbst war doch von großer Bedeutung.
In diese Umwelt trat Martin Luther. Er hatte bekanntlich den üblichen Lehrgang der Scholastik durchlaufen und wird sich gewiß auch mit dem beschäftigt haben, was man damals als "Politik", das heißt als Staatswissenschaft lernen mußte, insbesondere mit Aristoteles, von dem er sich später rühmte, er kenne ihn ebenso gut und noch viel besser als alle seine Feinde insgesamt. Sonderlich nahe wird ihm aber die Staatswissenschaft als solche nicht gegangen sein, denn er ging zunächst ausschließlich von den Fragen des Glaubens aus. Eben deswegen mußte er allmählich auch auf Fragen des Staates und der Gesellschaft stoßen. Als Mann der Tat, von rascher und heftiger Gemütsart, und keineswegs ein geruhsamer Gelehrter wie etwa Thomas von Aquino, hat er auf diesem Gebiet ein eigentliches Lehrgebäude nicht hinterlassen können. Seine politischen Äußerungen formten sich nirgends zum "System". Das ungeheure geistige Wachstum des Mannes förderte immer neue Anschauungen zutage und zwang zu [Seite: 84] immer neuer Gestaltung. Der kühne Reformator der zwanziger Jahre und der durch die bekannten, seinem Werk überaus gefährlichen Ereignisse erschreckte und vorsichtiger gewordene Luther der reifen späteren Mannesjahre sind nicht ganz dieselbe geistige Erscheinung. Auf politischem Gebiet hat besonders das Mißverstehen seiner Lehre durch die Bauern und der daraus entspringende Bauernkrieg von 1525 eine Wandlung in seinen politischen Anschauungen hervorgerufen. Daher haben es seine Anhänger auch nicht leicht gehabt, ein bestimmtes politisches Programm zustande zu bringen. Es ist überhaupt nicht möglich, ein dem lutherischen Bekenntnis an sich entsprechendes politisches Programm zu formen. Politik ist nach Luthers ganz bestimmt und des öfteren ausgesprochener Meinung weltliche Angelegenheit und muß deshalb nach den Gesetzen weltlicher Zweckmäßigkeit betrieben werden. Das Bekenntnis sagt über die Mittel, deren sich der Träger des Amtes, des "Regiments" bedienen soll, nichts aus1.1.
Wo Luther mit politischen Gegebenheiten rechnen mußte, waren es die des Territoriums, da sich Kaiser und Reich ihm versagt hatten. Die von ihm entfachte Bewegung des Volkes behielt so meistens den Charakter örtlicher Auseinandersetzung. Die Opposition der lutherischen Stände Österreichs war auch nicht gegen Kaiser und Reich, sondern gegen die politischen und religiösen Maßnahmen des Erzherzogs von Österreich, der eben auch römischer König und Kaiser war, gerichtet.
Schließlich ist es auch wichtig, sich vor Augen zu halten, daß die Reformation keinesfalls eine Revolution von unten, eine "Renitenz" aller seelisch und rechtlich Beherrschten war, wie manche Darstellung gerne glauben machen möchte. Die Verwunderung darüber, daß die führenden katholischen Kreise diese neue Bewegung in ihren Anfängen völlig verkannten, ist grundlos. Man hatte in weiten Kreisen gar nicht das Gefühl, einer dem hergebrachten katholischen Christentum widersprechenden neuen Religion gegenüber zu stehen. Nur so erklärt es sich, was uns heute kaum verständlich erscheint, daß in den deutschen Landen und besonders in Österreich, jahrzehntelang Katholiken und Protestanten keineswegs klar voneinander geschieden, miteinander leben konnten; daß viele Tausende eigentlich in Verlegenheit gekommen wären, hätte man sie gefragt, ob sie Katholiken oder Protestanten seien! Dies alles, trotzdem Luther selbst sich sehr wohl bewußt war, daß er mit seinem Werk nicht nur eine äußerliche "Verbesserung" der römischen Kirche vorgenommen hatte, sondern die Wurzeln des katholischen Glaubens an sich zerstört hatte. Aber seine überlegene Gleichgültigkeit gegen manche äußere Formen und die grundsätzliche Duldung anderer Anschauungen, wenn sie sich nur nicht in öffentlicher Auflehnung gegen staatliche Ordnungen äußerten, führte im Verein mit einer gewissen Scheu, mit der alten und ehrwürdigen Einrichtung der Kirche vollkommen zu brechen, wohl dazu.
Den leitenden Persönlichkeiten im Lager der Protestanten lag jeder Gedanke eines Umsturzes der sozialen Ordnung durchaus ferne. Ein solcher hätte nicht nur sie selbst betroffen, sondern stand auch im Widerspruch zu den klar ausgesprochenen Ansichten Luthers. Er hatte [Seite: 85] keinen Augenblick einen Zweifel darüber aufkommen lassen, daß er den Gehorsam — ausgenommen in Fragen des Gewissens — für Christenpflicht halte1.2. So war von Anfang an der Boden bereitet für eine friedliche Lösung der Toleranzwünsche auf dem Wege der Verhandlungen. Ich zweifle nicht daran, daß irgendeine Kompromißformel, die zur gegenseitigen Duldung geführt hätte, am Ende doch gefunden worden wäre. Da erwies sich mit der Zeit gerade das geistige Hauptergebnis der Reformation, die wiedererlangte geistige Beweglichkeit und Glaubensbegeisterung, der protestantischen Sache in Österreich verderblich.
Grundlegend für die Anschauungen Luthers vom Staate ist seine Trennung der weltlichen von der religiösen Sphäre. Alle Religion liegt in der Gesinnung des Menschen1.3. Ist diese Gesinnung ganz erfüllt von den Geboten Gottes und des Evangeliums, dann ist der Mensch ein wahrer Christ. Als solcher bedarf er keiner staatlichen Zwangsgewalt, braucht also auch keinen Staat: Denn vermöge seiner christlichen Gesinnung fällt es ihm gar nicht ein, irgend etwas Böses zu tun. Im Gegenteil, vermöge dieser christlichen Gesinnung tut er mehr als seine Mitmenschen oder eine staatliche Gewalt jemals von ihm verlangen könnten. Weil nun aber die überwältigende Mehrzahl der Menschen nicht wahre Christen, sondern mehr oder weniger Bösewichter sind, ist die "Obrigkeit", der Staat, mit seiner Zwangsgewalt da, um die Guten vor den Bösen zu schützen und so das menschliche Leben überbaupt erst zu ermöglichen1.4. Auch der Staat ist unmittelbar von Gott gestiftet und ist somit ein Glied der göttlichen Schöpfungsordnung. Die christliche Liebe aber verpflichtet jeden, auch den vollkommenen, der des Schwertes nicht bedarf, die Obrigkeit in ihrem Wirken zu unterstützen. Um dieser Nächstenliebe willen ist er sogar auch verpflichtet, ein staatliches Amt anzunehmen und nach bestem Können auszufüllen. Er hat es also zu verwalten als Christ in christlichem Sinne.
Gott selbst ist also der Stifter des Staates und wirkt in ihm. Der Satz, "es ist keine Obrigkeit ohne von Gott", ist der Grundpfeiler des lutherischen Staatsgedankens. Daraus ist auch das Verhältnis der Untertanen zur Obrigkeit begründet. — Persönlich sind die Untertanen an die Obrigkeit gebunden durch "Gehorsam, Ehre und Furcht"1.5. Sie sind verpflichtet zu Ehrerbietung und Gehorsam gegen die Obrigkeit, "die Gewalt hat".
Dagegen hat die Obrigkeit infolge ihrer göttlichen Einsetzung und der dadurch geweihten Stellung auch größere Verantwortung und Pflichten. Ihre Aufgabe ist Dienst an den Untertanen, Schutz der Guten, Abwehr der Bösen, wodurch sie ihre Daseinsberechtigung erhält. Alle diese Pflichten hat sie auszufüllen in christlicher Liebe: "Denn verflucht und verdammt ist alles leben, das yhm selb zu nutz und zu gutt gelebt und gesucht wirt, verflucht alle werck, die nit inn der liebe gehn1.6." Ein gegenseitiges Helfen aus der Liebe bestimmt das Verhältnis zwischen Untertanen und Obrigkeit.
In Übereinstimmung mit der germanisch-mittelalterlichen Auffassung des Herrscheramtes, sieht Luther in der Herrschaft ausdrücklich ein öffentliches Amt, das um des Volkes willen [Seite: 86] eingesetzt ist1.7. Eine solche Herrschaft ist also durchaus nicht uneingeschränkt.
Mit der Verlegung des gesamten religiösen Lebens in das Innere des Einzelmenschen wird auch die Idee, daß man für das Evangelium mit dem Schwerte kämpfen könne, vollkommen ausgeschlossen. Nach lutherischer Auffassung darf ein Krieg überhaupt nur geführt werden zur Verteidigung von Volk und Land gegen fremde Gewalt; er verurteilt jeden Krieg zur Erweiterung von Macht und Herrschaft. Schärfstens aber lehnt er jeden Glaubenskrieg ab. So ist ihm auch der Türkenkrieg eine Verteidigung des Reiches gegen den Angriff der Türken, kein Religionskrieg1.8. Konfessionelle Kriege des Luthertums wurden daher stets nur zum Schutz des Kirchentums im eigenen Land geführt.
Luthers anfängliche Meinung, daß man der Obrigkeit auch bei Unterdrückung der "wahren Religion" keinen Widerstand leisten dürfe, hat er später aus politischen und juristischen Gründen abgeändert; er räumte den Fürsten das Recht ein, zum Schutz ihrer Untertanen, für die sie kraft ihres Amtes die Verantwortung tragen, auch dem Kaiser Widerstand zu leisten. Hiebei hält er sich sorgfältig an die Bestimmungen der Reichsverfassung, die den Fürsten das Wahlrecht und Mitbestimmungsrecht zubilligt. — Niemals aber hat nach Luthers Auffassung der Einzelne ein Recht zum Widerstand oder bewaffneten Schutz seines Bekenntnisses gegen die Obrigkeit. Wenn die Obrigkeit ihn mit Gewalt zum Abfall von seinem Glauben zwingen will, dann soll er zwar nicht gehorchen, "denn man soll Gott mehr gehorchen als den Menschen", aber dann die Folgen seines Ungehorsams auf sich nehmen. Der Gewalt darf man niemals Gewalt entgegensetzen, höchstens "dem Evangelium nachziehen", dorthin, wo es nicht verfolgt wird. — Noch schärfer als Luther selbst betonten diese Anschauungen spätere lutherische Theologen.
So haben auch die österreichischen Stände immer nur in Wahrnehmung bestehender politischer Rechte und in Ausübung ihrer Schutzpflicht gegen ihre Untertanen zu handeln geglaubt.
Ich will nun versuchen, unter den oben bezeichneten Gesichtspunkten den ersten Abschnitt des Kampfes der österreichischen Protestanten um die Anerkennung ihrer Gewissensfreiheit zu schildern. Vorerst muß die Rechtsgrundlage dargestellt werden, in der sich die österreichischen Stände in diesem Abschnitt, den Verhandlungen mit Rudolf II. über die Erbhuldigung, befanden.
Bald nachdem der Protestantismus in Österreich Eingang gefunden hatte, versuchten die Stände, von Kaiser Ferdinand I. eine rechtliche Sicherstellung des Augsburgischen Bekenntnisses zu erlangen. Nach vielen vergeblichen Versuchen erreichten sie schließlich in der Religionskonzession vom 18. August 1568 und der Assekuration vom 14. Jänner 1571 durch Maximilian II. eine gewisse Sicherung. Auf diesem — etwas schwankenden — Rechtsboden konnte das evangelische Kirchenwesen in Österreich ob und unter der Enns aufgebaut werden1.9. [Seite: 87]
Die beiden Adelsstände der Herren und Ritter im Lande Österreich Unter der Enns erhielten damit das Recht zum freien Bekenntnis ihrer Religion und zur ungehinderten Ausübung dieses Bekenntnisses nach einer verabredeten Agende. Unklar und verschwommen ist aber die Formulierung der Bestimmungen, was in Anbetracht der Lage, in der die Konzession entstanden ist, begreiflich wird. Maximilian II. wollte noch immer eine Trennung der beiden Bekenntnisse vermeiden. Als Gegner scharfer und gewaltsamer Maßnahmen und überzeugt, daß man Glaubenssachen nicht mit dem Schwerte richten dürfe, suchte er ein friedliches Nebeneinander zu ermöglichen. Er stand den evangelischen Ständen nicht nur geistig ziemlich nahe, sondern er bedurfte auch ihrer Unterstützung zur Deckung seiner großen Schuldenlast1.10. Diese Unterstützung war ohne beträchtliche religiöse Zugeständnisse nicht mehr zu haben. Anderseits glaubte er aber auch gezwungen zu sein, das gute Einvernehmen mit den katholischen Mächten, vor allem mit dem Papste, zu wahren. Diesen Mächten und auch den strengen Katholiken unter seinen eigenen Hofbeamten war jedes Zugeständnis an die Evangelischen ein Greuel. Auch die religiöse Haltung auf der evangelischen Seite brachte eine Verschärfung: Eine Reihe von Protestanten war flacianisch gesinnt und lehnte nun ihrerseits jedes Zugeständnis in religiöser Hinsicht scharf ab. Daher der unbestimmte und vorsichtige Text, aus dem jeder Teil später seine eigenen Ansichten herauslesen konnte.
Zunächst war die Konzession nur als Provisorium gedacht und sollte keine endgültigen Verhältnisse schaffen. Maximilian wollte, daß "die religion in ainen christlichen guetten verstand gebracht werde und ... meniglich nebeneinander ruehig und fridlich wohnen möcht"1.11. Die Zugeständnisse werden also erteilt "biß zu einer allgemeinen christlichen reformation und gottseeligen vergleichung der religion in teutscher nation". Er zog also auch damals noch keinen scharfen Trennungsstrich zwischen den Bekenntnissen, sondern betont ausdrücklich den Wunsch nach Vereinigung. Ebenso heben die Stände in dem Revers, den sie später ausstellten, dieses Bestreben hervor.
Ist die Konzession einmal etwas Vorläufiges, nicht Abgeschlossenes, so trägt sie anderseits ebenso deutlich die Züge eines Kompromisses. Es wird den zwei Ständen von Herren und Ritterschaft "gnädiglich bewilliget, vergönnet und endlich zugelassen", daß sie ihr Bekenntnis nach Ausweisung der Augsburgischen Konfession und der dem Kaiser überreichten Agende ausüben könnten: "Auf und in allen ihren schlössern, häusern und gütern, (doch ausser Unser städt und märckt) für sich selbst, ihr gesinde, und ihre zugehörigen; auf dem lande aber und bey ihren zugehörigen kirchen zugleich auch für ihre untertanen." Der wesentlichste Satz der Konzession ist in einer vollkommen unklaren Weise abgefaßt und läßt sich ganz verschieden auslegen. Es wird nicht genauer gesagt, was man unter "Gütern" des Adels zu verstehen hatte, da er solche ja unter ganz verschiedenen Rechtstiteln besaß. Sollte zum Beispiel Pfandbesitz eingeschlossen sein oder nicht? Wichtiger noch sind die beiden anderen Punkte: wer sind "ihre Zugehörige" und die "zugehörigen Kirchen"? Die mancherlei verschiedenen Rechtsbeziehungen zwischen den Adelsherren und den einzelnen [Seite: 88] Kirchen hätten vor allem hier eine genauere Fassung verlangt. Um diese beiden Punkte ging dann später auch hauptsächlich der Streit. Eindeutig ist nur die Bestimmung, daß die Städte von jeder Religionsübung ausgeschlossen sein sollten. Die Urkunde ist nur an die beiden adeligen Stände gerichtet, und auch diese dürfen in den landesfürstlichen Städten keinen Gottesdienst halten1.12.
Auch folgende Bestimmungen, die in den späteren Auseinandersetzungen eine Rolle spielten, sind unklar gefaßt. Die Stände sollen mit ihren katholischen Mitmenschen in Frieden leben, ihnen "im geistigen und leiblichen gar nit zuwider seyn ... sonderlich an iren kirchenübungen kein trotz, gewalt noch frevel beweisen, noch an irem zeitlichen einkommen ichtes ausser recht entziehen". Über das rechtliche Verhältnis der beiden Bekenntnisse zueinander ist damit gar nichts ausgesagt; aus dem "gar nit zuwider seyn" und "ausser recht entziehen" konnte man natürlich alles herauslesen, denn es wird keine Andeutung darüber gemacht, was das "Recht" sein sollte. Das war die Quelle endloser Streittgkeiten.
Diese vielleicht bewußt irreführende, jedenfalls aber rechtlich unzureichende und kompromißhafte Ausdrucksweise ist der Grund aller späteren Streitigkeiten. Es kam eben bei solchen Bestimmungen ganz auf ihre Auslegung an und damit auf die Macht, einer Auslegung auch wirkliche Geltung zu verschaffen. Man kann deshalb auch keiner der beiden Parteien den Vorwurf machen, daß sie ihre Rechte überschritten habe. Die Behauptung aber, die in der Literatur da und dort ausgestellt wird: Die Stände allein haben die Konzession überschritten, mit Bewußtsein das Recht gebrochen, demgegenüber aber habe die spätere katholische Gegenreformation sich nur an die feste rechtliche Grundlage der Konzession gehalten, ist augenscheinlich nicht richtig. Die Konzession bot vielmehr in ihrem Wortlaut weder für die Stände, noch für den Landesfürsten einen klaren Anhaltspunkt.
Rudolf II. aber legte die Konzession dahin aus: Die Religionsübung sei nur gestattet auf denjenigen Schlössern der Adeligen, die sie selbst bewohnten, auf den von Pflegern verwalteten Gütern aber nicht; evangelischer Gottesdienst dürfe nur in den Pfarrkirchen ausgeübt werden, deren Besetzungsrecht ein evangelischer Landmann habe; am Gottesdienst dürfen nur die evangelischen Untertanen evangelischer Landleute teilnehmen, die gleichzeitig auch einer evangelisch verwalteten Kirche zugepfarrt sind. Das kann man nun auch aus den so unklaren Bestimmungen der Religionskonzession nicht herauslesen. Denn die Religionsübung wird den Ständen auf ihren Gütern zugestanden und kein Unterschied zwischen Wohnsitz und bloß verwalteten Gütern gemacht, ebenso nicht zwischen Pfarrkirchen und anderen. Daß die Pfarrzugehörigkeit der Untertanen von Einfluß auf die Ausübung des Bekenntnisses sein soll, darüber wird schon gar nicht gesprochen. Der Grundsatz "cuius regio, eius religio" wurde vielmehr auch auf den einzelnen Grundherren angewendet; die Trennung unter den Untertanen ein und desselben Grundherren nach ihrer Pfarrzugehörigkeit wäre eine Durchbrechung des bis dahin stillschweigend anerkannten Reformationsrechtes auch des Grundherrn gewesen. — Gerechterweise muß man also sagen, daß keine der beiden [Seite: 89] Parteien die Bestimmungen genau eingehalten hat, auch dort, wo eine genaue Einhaltung möglich gewesen wäre. Den Ständen allein darf man diesen Vorwurf nicht machen.
Sehr wesentliche Wünsche aber hatten die Stände nicht erreicht: Die Gestattung der Religionsübung für die evangelischen Städte und die Einrichtung eines eigenen evangelischen Kirchen- und Schulwesens in Wien. Das suchten sie nun mit Hilfe ihrer persönlichen Beziehungen zum Kaiser durchzusetzen. Tatsächlich gelang es auch einem ihrer bedeutendsten Führer, Reichart Streun von Schwarzenau1.13, dem Freund und vertrauten Maximilians, nach einigem Verhandeln die Erfüllung dieses Wunsches zu erreichen. Der Kaiser gab mündlich seine Zustimmung zur Ausübung eines evangelischen Landhausgottesdienstes und zur Errichtung einer landständischen Schule in Wien und bestätigte dies auch in zwei an Streun persönlich gerichteten Briefchen1.14.
Dieses Zugeständnis ist also die zweite rechtliche Sicherstellung, die der Protestantismus in Österreich erlangen konnte. Aber sie ist noch zweifelhafter und schwankender als die Konzession. Zweifellos war das Recht auf seiten der Stände, wenn sie nun in Wien im Landhaus Gottesdienst abhielten und eine landschaftliche Schule einrichteten. Ein Privileg, ähnlich der Konzession, konnten sie aber dafür nicht vorweisen. Denn dieses Recht konnte nur erhärtet werden durch die Zeugenaussage Streuns, der die Verhandlungen im Namen der Stände geführt hatte, und durch die beiden Briefe Maximilians. Das als eindeutigen Beweis gelten zu lassen, lag nur im guten Willen des Kaisers. Ihre Rechte in dem so erworbenen Ausmaß sicherzustellen, war der Grundgedanke beim Thronwechsel nach dem Tode Maximilians II.
Anläßlich der Erbhuldigung für Rudolf II., als es galt, die gewonnene Gewissensfreiheit zu sichern, erlebten die Stände den ersten Zusammenstoß mit der neuerstarkten katholischen Macht.
Verschieden waren die Meinungen über den Vorgang der Erbhuldigung selbst und ihre rechtliche Bedeutung. Sie besteht aus zwei verschiedenen Handlungen.
1. Der Bestätigung der Rechte und Freiheiten des Landes — das heißt der Stände — durch den angehenden Landesherrn und seinem Versprechen, sie bei "ihren Privilegien und Freiheiten zu handhaben".
2. Dem Gehorsams- und Treueid der Stände.
Entscheidend für die Stellung der beiden Gewalten war es aber, welcher Akt der erste sein sollte. Nach Ansicht der Stände ist die Erbhuldigung gewissermaßen ein Vertrag, bei dem jeder der beiden Partner gewisse Rechte und Pflichten auf sich zu nehmen hatte1.15.
Gab der Landesfürst zuerst sein Versprechen ab, dann anerkannte er damit den Anspruch der Stände, daß er die Herrschgewalt aus ihren Händen zu empfangen habe. Er mußte zunächst seine Pflichten als Landesherr erfüllen, das heißt die Bestätigung der ständischen Rechte und Freiheiten. Dann erkannten ihn die Stände erst [Seite: 90] an; das ist die Voraussetzung für den Gehorsam. Sie konnten den Landesfürsten aber auch ablehnen, wenn er ihnen ihr Recht nicht gewährte. Der Gehorsam des Landes und der Stände ist damit keine selbstverständliche Pflicht, sondern nur bedingt. Der Landesfürst hat also seine Herrschgewalt aus den Händen der Stände zu empfangen.
Leisteten aber die Stände bedingungslos den Gehorsamseid, dann war der Landesherr Herrscher kraft eigenen Rechts, des Erbrechtes. Auf Grund dieses Rechtes forderte er auch ihren Gehorsam, den sie ihm leisten mußten, ohne Bedingungen dafür zu stellen. Was er den Ständen dann an Rechten und Privilegien zugestehen wollte, lag in seinem Belieben und war gleichsam nur eine "Belohnung" für den Eid. Die Erbhuldigung war demnach eine Pflicht, die die Stände hatten, eine Formalität, keine rechtschaffende Handlung.
In den Verhandlungen kommen diese beiden Rechtsanschauungen noch nicht in dieser Schärfe und Klarheit zum Ausdruck. Es war bis dahin in Österreich nicht endgültig entschieden worden, welche Handlung der anderen vorauszugehen habe. Rudolf II. betrachtete sich als rechtmäßigen Herrn des Landes, auch vor dem Gehorsamseid der Stände, fühlte sich also zur Bestätigung der Privilegien nicht verpflichtet vor der Leistung der Erbhuldigung. Dies widersprach aber dem Herkommen. Denn es war doch ein altes Herkommen, wenn auch niemals ausdrücklich anerkannt, daß die ständischen Rechte und Privilegien vor der Huldigung vom Landesfürsten bestätigt wurden. Die Stände beriefen sich auch darauf, als sie den Kaiser baten, er möge Mittel und Wege suchen, "wellicher gestalt sy... aller in religion- und profansachen biß dahero erlangter freyheiten und privilegien, altem herkhumen nach, vor der huldigung versichert werden möchten". Er möge ferner auch beherzigen, daß sie "an diesem fall anjetzo nichts neues suechen, sonndern daß es von alters löblich herkhumen ... den natürlichen und aller völcker rechten gemäß ist"1.16, wenn der Landesfürst den Untertanen ihre Rechte bestätigt, worauf dann diese "enntgegen" den Huldigungseid leisten1.17. Trotzdem waren sie nicht ganz sicher, ob sie die Erbhuldigung auf jeden Fall zu leisten hätten, oder dafür gewisse Bedingungen stellen könnten. "Ob man vor confirmation der privilegien huldigen solle? Ja. Die Erbhuldigung nit zu conditionieren"1.18. So meinen einige der Herren, andere aber waren dafür, daß man erst nach Bestätigung der Privilegien, besonders der Religionsfreiheit, huldigen solle.
Die Forderung, daß die Religionskonzession unter den übrigen "alten Freiheiten und Privilegien" bestätigt werden sollte, bildete ja überhaupt erst den Anlaß zur Aufrollung der ganzen Streitfrage. Denn die alten Rechte zu bestätigen, war Rudolf ohneweiters bereit; die Stände aber hatten ihrer Bitte vorsichtshalber gleich hinzugefügt, dazu gehöre auch die Religionsfreiheit. "Nachdem aber die zwey stende seithero durch gotes gnad religionsfreyheit, die sy billich für das höchste privilegium erachten, erlangt, so wil gleich am meisten an dem gelegen seyn1.19." Dagegen aber wehrte sich Rudolf.
In der Meinung der Stände war also die Religionsfreiheit ein Privilegium des "Landes" und mußte genau so wie alle übrigen ständischen Vorrechte bestätigt werden. Ausdrücklich erwähnt wurde [Seite: 91] sie nur deshalb, weil sie ein neuerworbenes Recht war und zum erstenmal bestätigt werden sollte. — In diesem Punkt treffen sich Religion und Politik und von hier aus ist ihre Verquickung zu betrachten, die den österreichischen Ständen so oft zum Vorwurf gemacht wird. Die Behauptung, daß sie die Religion nur als Vorwand für politische Zwecke benützten, als Aushängeschild mißbrauchten, um den Landesfürsten möglichst in seiner Macht einzuschränken, läßt sich nicht rechtfertigen. Wir müßten einmal annehmen, daß diese österreichischen Stände die einzige Ausnahme unter allen ihren Zeitgenossen gebildet hätten und allein von den religiösen Ideen der Zeit nicht ergriffen gewesen wären. Dem aber widersprechen die Quellen geradewegs, die Annahme ist also nicht zu halten. Dann liegt aber die Verknüpfung von Religion und Politik auf einer anderen Ebene. Denn mit der Erteilung der Religionsassekuration war die Religionsfreiheit ein Glied der ständischen Freiheiten und Privilegien geworden. Damit aber war der Kampf um sie keine rein weltanschaulich-religiöse Sache mehr, sondern zugleich auch eine politische. Jede Verletzung der Konzession, jede Einschränkung der Religionsfreiheit war zugleich auch eine Verletzung der Landesfreiheiten, zu deren Verteidigung die Stände berechtigt und verpflichtet waren. Auf diesem Weg wird die Religion hineingezogen in den Kampf um die Macht zwischen Landesfürsten und Ständen, nicht aber als Deckmantel für die Heuchelei der Stände.
Rudolf II. aber behauptete, daß die Assekuration nicht zu den allgemeinen Privilegien des Landes gehöre, sondern eine "Privatsache" der beiden weltlichen Adelsstände sei. Dieser Standpunkt war rechtlich nicht haltbar. Denn die Assekuration ist in den üblichen Formen eines Privilegiums ausgestellt, im Namen des Kaisers, seiner Erben und Nachkommen und gilt für die Stände, ihre Erben und Nachkommen. Rudolf war also schon von vornherein zur Einhaltung einer in so feierlicher Form ausgestellten Freiheit verpflichtet1.20. Ebenso ist es auch nicht richtig, daß bei der Erbhuldigung ausschließlich diejenigen Rechte bestätigt wurden, die für alle vier Stände gleichzeitig galten. Die besonderen Freiheiten eines einzelnen Standes waren entweder stillschweigend als Selbstverständlichkeit mit einbezogen, oder sie wurden ausdrücklich erwähnt. Niemals konnte man die Religionsfreiheit als Privatsache von einzelnen bezeichnen, denn die Stände waren keine "Privatleute"; ihnen zugestandene Rechte somit eine öffentlich-rechtliche Sache.
Höchstwahrscheinlich bestand auf seiten des Kaisers schon damals die Absicht, die Religionskonzession überhaupt nicht zu bestätigen und damit die einzige Rechtsgrundlage für die evangelische Religionsübung in Österreich zu beseitigen. Ausgesprochen wurde das natürlich nicht, die Art aber, wie der Kaiser die diesbezüglichen Forderungen der Stände zu umgehen versuchte, läßt es wohl annehmen. Die Stände erkannten die Gefahr und suchten ihr zu begegnen. Nur die Erbhuldigung bot hiezu die Gelegenheit, eine Sicherung auf einwandfreiem, "gesetzlichem" Weg zu erlangen. Es war aber für sie nicht ganz leicht, einen richtigen Weg zur Durchsetzung ihrer Wünsche zu finden. [Seite: 92]
Als überzeugte Lutheraner konnten sie dem Landesfürsten, also ihrer Obrigkeit, nur dann wirksam entgegentreten, wenn sie ihre ständischen Rechte und Freiheiten gegen die "schädlichen Neuerungen" des Fürsten zu verteidigen hatten. Luthers Anschauungen besagten nämlich nicht, daß man der Obrigkeit auch in allen weltlichen Dingen unbedingt Gehorsam schuldig sei. In Übereinstimmung mit einem allgemein germanischen Rechtsgedanken und dem Verfassungsrecht des Feudalstaates hält auch er den Widerstand der Untertanen gegen einen rechtbrechenden Herrscher für erlaubt.
Inwieweit in Österreich die Religionsfreiheit ein Teil der ständischen Freiheiten war, wurde gezeigt. Unmöglich aber konnten Evangelische eine solche Sache rein als politische Angelegenheit auffassen, das Privilegium der Religions- und Gewissensfreiheit auf dieselbe Stufe zu stellen wie etwa das Privilegium der Steuerfreiheit, war für sie undenkbar. Sie wußten das auch sehr wohl und bedauerten, daß sie dem Landesfürsten nicht frei als Verteidiger rein ständischer Rechte gegenüberstehen konnten. "Wollte gott, die concession wäre also geschaffen ... so wäre es nit mehr ein religionsfach, dabey Christen unrecht leyden müssen, sondern ein prophan und solliche sach, darbey sie mit guettem fueg recht suechen und begehren kundten"1.21.
Das Bekenntnis des reinen unverfälschten Gotteswortes, die Ausübung dieses Bekenntnisses konnte in den Augen von Lutheranern eben nicht ein Privilegium einer bevorzugten Gruppe sein. So kamen in dieser Angelegenheit dieselben Grundsätze zur Geltung, die Luther für das Verhalten der Untertanen gegen eine Obrigkeit, welche das evangelische Bekenntnis zu unterdrücken versucht, ausgestellt hatte. Die Wahrung der Rechte ihrer Untertanen mit politischen Mitteln durchzusetzen, war auch nach Luthers Auffassung ihr Recht und ihre Pflicht. Sie trat zurück gegenüber ihrem eigenen Untertanenverhältnis zum Landesherrn.
So wurde die ständische Politik nicht von rein staatspolitischen, sondern von religiös-theologischen Gesichtspunkte aus bestimmt. Diese theologische Einstellung war: Keine Auflehnung gegen die von Gott eingesetzte Obrigkeit, tatloser Widerstand, leidender Gehorsam, auch bei Unterdrückung des wahren Glaubens. "Diese Lehre vom passiven Widerstand hat auf den deutschen Protestantisntus furchtbar lähmend gewirkt. Als im Zeitalter der Gegenreformation viele katholische Fürsten, über Eid, Verträge und hergebrachtes Recht hinwegschreitend, die Ketzer gewaltsam zurückzubekehren strebten, da hat diese Lehre den protestantischen Untertanen ihrer Obrigkeit gegenüber ein schlechtes Gewissen gemacht, wenn sie einmal die Lust ankam, sich zu wehren gegen Rechtsbruch und Gewalt. Mehr als alle äußeren Machtmittel des Katholizismus und Absolutismus hat dieser Gedanke, daß nur passiver Widerstand dem Christen erlaubt sei, für die Gegenreformation gewirkt und gestritten"1.22.
Die Wirkung dieser Grundsätze machte sich schon in diesen ersten Verhandlungen mit Rudolf II. bemerkbar. Die Stände versuchten nicht, ihre religiösen Wünsche mit Gewalt durchzusetzen, sondern durch Bitten. Durch den Hinweis auf das alte Herkommen und vor allem [Seite: 93] durch den Appell an seine eigene gütige landesväterliche Gesinnung wollten sie ihn zur Erfüllung ihrer Bitte, nicht ihrer Forderung bewegen. "Rueffen demnach zu Ew. Khays. May. mit gehorsambist recht herzlichen seuffzen und flehen ... aus sonderen khayserlichen und landtsfürstlichen milden gnaden ... die Religionsfreiheit ... zu versichern."1.23
Immer wieder betonten sie diese dem Haus Österreich besonders "angeborne mild und lieb, dero angeborne landesfürstliche sanfftmut und mildigkeit"1.24, die den Kaiser zur Gewährung ihrer Bitte beinahe verpflichtet. Die Vorstellung von einer kennzeichnenden, anderen Häusern nicht innewohnenden "Clemenz", verbindet sich in diesen Worten mit dem lutherischen Gedanken von den Aufgaben der Obrigkeit.
In allen Eingaben an den Kaiser versicherten sie ihn ihrer beständigen Treue und ihres Gehorsams: Es komme ihnen nicht in den Sinn, die Erbhuldigung "aufzuziehen" und sich damit ihrer dem Landesherrn schuldigen Pflicht zu entziehen. Sie wollten nur das tun, was sich mit der Ehrerbietung des Untertanen gegen seinen Herrn vereinigen läßt: Die Anerkennung ihres guten, wohlerworbenen Rechtes und die aus landesfürstlicher Gnade gewährte Erfüllung ihrer Bitte. Da sie sich stets als treue und gehorsame Untertanen erwiesen haben und auch in Zukunft sich nicht anders verhalten wollen, glauben sie, Grund genug zu einer solchen Bitte zu haben.
Da ihre Wünsche aber auf diese Art nicht durchzusetzen waren, verzichteten sie darauf, denn so war das einzig für einen Christen zulässige Verhalten1.25.
Sie setzten dem Kaiser wohl einen zähen, aber stets nur passiven Widerstand entgegen und blieben auch nicht ganz erfolglos. Rudolf gab ihnen schließlich die mündliche Erklärung, er habe nie die Absicht gehabt, die Konzession aufzuheben, fügt aber gleich hinzu, er müsse wegen zahlreicher Überschreitungen mit ihnen des näheren unterhandeln1.26. Mit dieser nichts Gutes versprechenden und rechtlich den Landesfürsten zu nichts Bestimmtem verpflichtenden Erklärung begnügten sich die Stände endlich und leisteten am 1. Oktober 1577 die Huldigung. — Damit waren sie aus dem beinahe ausschließlichen Besitz des Landes in die Verteidigung gedrängt. Solange sie von dem lutherischen Grundsatz des leidenden Gehorsams beherrscht wurden, waren sie dem andringenden Katholizismus gegenüber wehrlos.
Die Erbhuldigungsverhandlungen mit den Ständen Oberösterreichs, die im Juli 1578 geführt wurden, verliefen etwas anders.
Hier wie dort ging es um dasselbe — die Sicherung der Religions- und Gewissensfreiheit. Aber die oberösterreichischen Stände traten dem angehenden Landesherrn von vornherein viel entschlossener gegenüber als die Niederösterreicher, obwohl das Recht, auf das sie sich stützen konnten, noch viel unsicherer war. Sie hatten nämlich keine eigentliche Religionskonzession erhalten, sondern bloß eine Erklärung Maximilians II., daß er sie in Religionsangelegenheiten nicht anders behandeln werde als die Niederösterreicher1.27. Auch hatten sie die Bedingungen nicht erfüllt, die an die Erteilung der Konzession geknüpft [Seite: 94] waren, nämlich weder einen Revers darüber ausgestellt, noch gebrauchten sie die allein vom Kaiser anerkannte niederösterreichische Agende1.28.
Machtpolitisch hingegen war es sehr belangreich, daß sich die landesfürstlichen Städte nicht von den anderen beiden Ständen in Religionssachen trennen ließen. Auf ihre seinerzeitige Bitte, der Kaiser möge sie nicht von den Adelsständen "absondern", erhielten sie von Maximilian die etwas zweideutige Antwort: Er wolle sie nicht von den adeligen Ständen absondern und nicht anders behandeln als die niederösterreichischen Städte1.29. Sie faßten jedenfalls diese Erklärung in dem für sie günstigen Sinne auf und betrachteten sich in die Religionskonzession miteinbezogen. Man begründete sogar auch die Abfassung einer eigenen Agende damit, daß sie auch für die Städte brauchbar sein müsse, im Gegensatz zu der niederösterreichischen, die nur für den Adel geschaffen sei. Gerade die Städte vereitelten auch später die Absicht der adeligen Stände, eine eigene Konzessionsurkunde für Oberösterreich zu erlangen; sie fürchteten nämlich, darin nun ausdrücklich ausgeschlossen zu werden und hielten den bisherigen schwebenden Zustand für günstiger.
Wie in Österreich unter der Enns betrachteten die Stände die Erbhuldigung als zweiseitige Handlung — Bestätigung der Privilegien durch den Landesherrn und Leistung der "Erbpflicht", das heißt des Gehorsamseides. Von allem Anfang an verlangten sie die ausdrückliche Bestätigung der Religionsfreiheit neben den übrigen Privilegien1.30. Es begann nun dasselbe Spiel wie in Niederösterreich — Rudolf II. versuchte die Stände mit einer allgemeinen, zu nichts verpflichtenden Erklärung abzufertigen, unter demselben Vorwand: Die Religionsfreiheit sei eine "Privatsache" der adeligen Stände; sie betreffe nur etliche "sonndere stend", nicht das ganze Land und gehöre also auch nicht in die allgemeine Konfirmation der Landesfreiheiten hinein. Daß aber diese "sonnderen stend" drei von vieren waren, übergeht er dabei. Die Unhaltbarkeit dieses Standpunktes wurde schon oben (S. 87) zu zeigen versucht. Mit solchen Ausflüchten suchte er die Stände zufrieden zu stellen, was ihm aber nicht gelang. Denn die Ereignisse in Niederösterreich hatten sie mißtrauisch gemacht. "Haben wir doch aus dem mit den underösterreichischen landstenden bißhero fürgeloffen exempel — laider mer als uns lieb ist — erfarn, in was mißverstandt und erweitterung Ew. Kays. May. gegen inen in religionssachen erwachsen; welches fürnemblich aus diser haubtursach, das die religionspuncten vor der erbhuldigung nit ordentlich zu end gebracht"1.31. Sie standen ja kurz vorher in lebhaftem Schriftwechsel mit den niederösterreichischen Ständen und waren über die Erbhuldigungsverhandlungen und über die nachfolgenden Auseinandersetzungen über das Landhausministerium in Wien genau unterrichtet. Durch dieses Beispiel gewarnt, verlangten sie nun eine völlig eindeutige und bindende Erklärung des Kaisers. "So khunden wir doch aus Ew. Khays. May. erclerung, als darinnen des exercitii der religion nit gedacht wirdet, was sy irestheils der sachen für ainen verstand geben wöllen, nit vermerken. Will derwegen zu erhaltung gleiches guetten verstands in albeg unser höchst, eusserste und unvermeidentliche [Seite: 95] notturfft erfordern wir nochmalen ... umb derselben aigentliche erclerung anhalten1.32." Auch sie wollten die Erbhuldigung nicht "aufziehen" oder den schuldigen Gehorsam verweigern, sondern sie forderten nur ihr gutes Recht. Aber sie wußten bereits, mit welchen Schicksalen sie zu rechnen hatten und wer ihr Gegner war.
An entschlossener Auflehnung hinderte sie aber ebenso wie die Niederösterreicher ihre Auffassung von ihren Verpflichtungen als Lutheraner gegen die Obrigkeit. Deshalb vertraten sie keine politische Sache, sondern sie baten den Kaiser um ihres Seelenheils willen, er möge ihnen die Religionsfreiheit auch weiterhin gewähren. Sie riefen in ihm die sittliche und religiöse Persönlichkeit an, nicht so sehr die politische Macht, mit der sie verhandelten. Sie betrachteten ihn als ihre Obrigkeit, deren Pflicht es ist, das Evangelium zu schützen und auszubreiten. Als Rudolf zum erstenmal den Boden Oberösterreichs betrat, hatten sie ihn mit den Worten begrüßt: "Bitten sein göttliche allmechtigkeit mit treuem ernst, die wolle Ew. May. herz, syn und crefften dahin lenken, damit sy in allen sachen zuvorist gottes ehr und was zur ausbraitung seinens hochheiligsten namens geraichen kann, suechen und befürdern"1.33. Danach richteten sie sich auch bei den Verhandlungen.
Als ihre Bitten nichts fruchteten, besonders da das Beispiel der Niederösterreicher stark auf sie wirkte, blieb ihnen doch kein anderer Ausweg, als zu gehorchen. An offenen widerstand dachten sie nicht. — Doch im Gegensatz zu den niederösterreichischen Ständen gingen sie keine Verpflichtung ein, die ihrer religiösen Überzeugung widersprach. Auch ihnen gab Rudolf II. nur eine allgemein gehaltene Erklärung, aber sie wahrten sich freie Hand durch die Feststellung: Sie verstünden seine Erklärung so, als ob er ihnen die Religionsfreiheit mit ausdrücklichen Morten bestätigt hätte. "... wöllen und müessen wir auf Ew. Khays. May. gnedigsten bevelh und zuvor beschenes erbietten ... die erbhuldigung laisten und erstatten. Aber wie wir in geistlichen sachen unserem eyfrigen gott im himmel, was sein ist, auch zu geben und zu gehorsamen schuldig sein: also bezeugen wir hiemit offentlich vor Gott (des sachen es ist) und Ew. May., daß wir uns unseres wolhergebrachten christlichen und löblichen gebrauchs und exercitii der Augsburgischen Confession one verlezung unsere gewissen und verlirung unserer seelen hayl, nicht begeben ... noch uns durch die erbpflicht wider unser religion, derselben exercitium, und gewissen nit binden lassen künden. ... Des ... versehens, Ew. Khays. May. werden uns samment und sonderlicheen, wie sy dessen vor gott schuldig sein, dawider nit tringen oder beschweren, sondern gänzlich dabey bleiben lassen"1.34."
In unmittelbarem Zusammenhang mit den Erbhuldigungsverhandlungen in Wien vom September 1577 stehen die Auseinandersetzungen um den Bestand des ständischen Religionsexerzitiums in Wien. Das Recht dazu leiteten sie aus den mündlichen Zusagen Kaiser Maximilians II. an Streun von Schwarzenau ab, und zweitens aus der langjährigen ungehinderten Übung des Gottesdienstes. Um sie [Seite: 96] ganz zu verstehen, muß man erwägen, was die Menschen dieser Zeit unter "Recht" verstanden.
Recht ist eine über den Menschen stehende, unverrückbare göttliche Ordnung. In diesem Sinne ist jedes wirkliche Einzelrecht oder was dafür gehalten wird, nur ein "altes Recht". Es muß im Grundsatz schon seit jeher bestanden haben, ein Glied, ein Ausfluß jenes "ewigen Rechtes" sein. Gegen diese göttliche Rechtsordnung kann kein wirkliches Einzelrecht verstoßen. Ist ein solches Einzelrecht aber etwas Neues, nicht vom "ewigen Recht" abzuleiten, dann ist es eben kein wirkliches Recht, sondern eine Anmaßung, eine Tyrannei. Das bedeutet eine Verletzung der ewigen, göttlichen Rechtsordnung, gegen die sich zu wehren Ehre und Pflicht gebietet. — Diese germanisch-mittelalterliche Vorstellung ist sowohl bei den österreichischen Ständen, als auch bei den habsburgischen Landesfürsten dieses Zeitalters noch durchaus lebendiges Bewußtsein.
Die Stände betrachteten aber als "altes Recht" zweierlei: Ihre alten, vom Landesfürsten erteilten und bestätigten Privilegien; zweitens die Rechte, die durch die Gewohnheit geschaffen worden waren. Ihr "ersessnes jus und gerechtigkeit", ihr "löbliches altes herkommen", die ungehinderte längere Ausübung eines bestimmten Rechtes, ist ebenso "altes Recht" und hat dieselbe Gültigkeit wie das geschriebene Recht. Sie verlangen auch die Achtung vor solchen Rechten, die Anerkennung der "privilegia und über verjärte zeit (welches auch für sich selbst loco privilegio ist) wohlhergebrachte löbliche gebräuch ... nit unbillich"1.35.
Auch Rudolf II. achtete den Begriff des "alten unverletzlichen Rechtes". Er hatte den Ständen schließlich die Religionsfreiheit doch bestätigt unter dem Zwange dieser Vorstellung. Und er hielt sich auch später an sein Versprechen — allerdings in der Auslegung, die er ihm gab. Jeden Vorwurf aber, daß er die Stände "wider ihr altes herkommen und freiheiten beschwere", wies er von sich; er betonte stets, daß er mit seinen verschiedenen Verordnungen, die den Ständen als solche Rechtsverletzungen erschienen, keine Neuerungen beabsichtige, sondern nur so handle, wie er kraft alten Herkommens berechtigt sei. Tatsächlich erkannte er aber — anders als die Stände — nur das als gültig an, was die Stände urkundlich beweisen konnten.
Diese voneinander abweichenden Rechtsanschauungen machten sich in allen Auseinandersetzungen geltend. Unter diesem Gesichtspunkt vollzieht sich auch der Kampf um die Religionsübung der Städte. Der Landesfürst behandelte die Ausübung des evangelischen Bekenntnisses in den Städten als Verletzung seiner landesfürstlichen Rechte; denn sie hatten niemals eine ausdrückliche und schriftliche Erlaubnis dazu erhalten. Es ist aber nicht einfach so, daß die Städte ganz ohne rechtliche Grundlage in Auflehnung gegen die Gebote des Landesherrn ihre Religionsübung usurpiert haben. In ihren Augen war die lange praktische Ausübung des in Anspruch genommenen Rechtes des freien Bekenntnisses eben rechtschaffend und einem landesfürstlichen Privileg gleichzusetzen: Verjährte Zeit ist loco privilegio. Sie begründen ihre Ansprüche mit dem Hinweis darauf, daß sie so lange Zeit ungestört ihrem Bekenntnis nachgelebt hätten, "in der Augsburgischen [Seite: 97] Konfession geboren und erzogen" seien. Aus voller Überzeugung beschwerten sie sich daher über die Gegenreformation Rudolfs II., denn sie betrachteten das Verbot des städtischen Exerzitiums als Rechtsverletzung1.36.
Im Frühling 1578 stießen zum erstenmal diese beiden Meinungen heftig aufeinander im Streit um den Landhausgottesdienst in Wien. Über sein bei der Erbhuldigung gegebenes Versprechen — die Wahrung der ständischen Freiheiten und Privilegien — konnte Rudolf nicht so leicht hinweg. Aber er war gewillt, die Konzession wenigstens nach Möglichkeit einzuschränken. Die oben erwähnte Unklarheit in der Formulierung gestattete ihm dabei sehr große Freiheit. In der Konzession Maximilians stand von einem Landhausgottesdienst in Wien nichts, vielmehr das ausdrückliche Verbot der Religionsübung in den Städten. Die Stände hatten für sich nur die erwähnten schriftlichen und mündlichen Zusagen Maximilians und die eventuelle Aussage Streuns von Schwarzenau. Allein das als genügenden Beweis gelten zu lassen, lag allein im guten Willen des Kaisers, und den hatte er nicht. Es bedeutete ja schon eine gewisse Rücksichtnahme auf das "alte Recht", wenn er sich überhaupt in Verhandlungen einließ und nicht ohneweiters das Landhausministerium unter dem Titel "Überschreitung der Konzession" verbot. Mit rein politisch-juristischen Gründen konnten die Stände also bei Rudolf abermals nicht durchdringen. Sie schlugen deshalb eine ähnliche Taktik ein wie bei der Erbhuldigung. Über die Bedeutung und Wichtigkeit der Verhandlungen waren sie sich im klaren, auch über die außerordentliche Gefahr einer Niederlage. Der niederösterreichische Landmarschall, Freiherr Wilhelm von Rogendorff, der die Verhandlungen zusammen mit Reichart Streun von Schwarzenau führte, schrieb in einem Brief an den Herrn von Starhemberg: "Wier müessen uns dieser sachen verhalten wie die christenmänner; geben wier auf diesmal nach, jactum de nostra religione oder potius exercitio religionis (est alea). Besteen wier aber, underhalten auf diesmal unser intention, wird dem teuffl und seinem werckzeug ein starkes aberhalten seyn"1.37. Die grundsätzliche Bedeutung der Frage war für ihn ausschlaggebend und er sah auch die Möglichkeit, Erfolg zu erringen: Einigkeit und wirksames Beharren gegenüber den Forderungen Rudolfs. Einige Zeit später schlug Reichart Streun den Ständen denselben Weg vor: "... und müesten sich auch die landleuth sterker zusammenhalten und so bald nit weichen wie bißher." Diesen Ausspruch des ständischen Führers kennen wir aus einem Brief Melchior Khlesls an den Herzog Albrecht von Bayern. Bemerkenswert ist, wie Khlesl in den Besitz dieser Äußerung kam: "dieweil dan etliche unseres Thails der landleuth so geheime und arglistige wider Ir. May. gerichteten practiken gemerkt und doch nit auf den rechten grund kommen künnen, haben sie lezlich durch sundere schickhung des höchsten mitt der landleuth thüerhüeter gehandlet, das er die zerrissen stückhl von den zetteln, so sie under den tisch geworffen, zusammenklaubt und gegeben. Die man sovillmüglich gewest, ineinandergefuegt, daraus man dann erfarn, was sy die rädlführer im schildt führen"1.38.
Wer aber gemeinsam mit anderen ein politisches Ziel erreichen [Seite: 98] will, muß zunächst mindestens gemeinsames Streben nach diesem Ziel feststellen oder herbeiführen. Mehr war bisher nicht geschehen. Es ist also noch lange keine Absicht zum Widerstand oder gar zur Auflehnung gegen die "Obrigkeit" aus diesen Aussprüchen herauszulesen. Daß von den gegnerischen Kräften, bei welchen allerdings auch der Landesherr selber stand, als vom "Teufel und seinem Werkzeug" gesprochen wird, beweist bei der üblichen biblischen Ausdrucksweise dagegen nichts.
Wesentlich ist aber, was Rogendorff seinem Briefe noch hinzufügte: "Dem lieben gott, dessen die sach ist, sey es bevolhen. Der geb den segen und das gedeyen." Das ist mehr als eine fromme Phrase. Das Bewußtsein, daß sie Gottes Sache vertraten, erfüllte die Stände ganz allgemein. Ebenso aber auch das Bewußtsein der Verantwortung, die sie damit trugen, und die Verpflichtung gegenüber Gott. Wenn der Landesherr also von ihnen verlangte, sich von ihren Glaubensgenossen zu trennen — den Bürgern der landesfürstlichen Städte — oder Sterbenden die Sakramente nicht zu reichen, weil sie der Religionskonzession nicht teilhaftig waren, dann mußten sie ihm den Gehorsam verweigern, dem Gebote ihres Gewissens folgend. Es ist Gewissenspflicht, das Evangelium allen denen zu bringen, die danach begehren.
Dagegen betrachtete der katholische Landesfürst die gewährte Religionsfreiheit rein juristisch als Privilegium, das ebenso wie jedes andere Standesvorrecht nur den beiden adeligen Ständen galt. Mag diese Stellungnahme auch zunächst nur ein Vorwand gewesen sein, um unter einem juristischen Titel eine ganz andere Absicht zu verbergen — nämlich die weitere Ausbreitung der Augsburger Konfession zu verhindern —, so liegt doch auch ein grundsätzliches Nichtverstehen vor. Zweierlei Gewissen stehen einander gegenüber.
Auch Rudolf II. beruft sich auf sein ihm von Gott anvertrautes Amt und die Verantwortung, die er für seine Untertanen vor Gott trägt, auch für das Seelenheil seiner Untertanen1.39. Ihr Seelenheil hängt von dem Vorhandensein einer sichtbaren Einrichtung und Gliederung, an dem Für-Wahr-Halten einer feststehenden, wohlformulierten Lehre und dem durch bestimmte Werke betätigten Gehorsam gegen diese Einrichtung ab. Seiner Verantwortlichkeit genügte er nur, wenn er seine Untertanen zur Erfüllung der Aufträge dieser Einrichtung verhielt. Er selbst empfängt von menschlicher Autorität, die kraft ihres Mittleramtes hiezu befugt ist, verbindliche Weisungen über Glauben und Glaubenspflichten. Kraft seines Herrscheramtes hält er sich nun ebenfalls für befugt, diesen Weisungen auch bei seinen Untertanen Geltung zu verschaffen. "Ihr habt euer gewissen, Ir. May. und ich haben auch unser gewissen, vermainen demselben zuwider nichts unbilliches zu thun und Ir müest euer gewissen nach dem unsern regulieren, weill unser gewissen mehr dann das eurige ist"1.40.
Die Stände sahen aber als Lutheraner keinen Mittler, der ihnen die Verantwortung für Glaubenspflichten und Glauben selbst abnehmen oder ihnen solche Pflichten auferlegen könnte. Jeder einzelne ist für sich und jeden, der seine Hilfe anruft ("das Evangelium begehrt") voll verantwortlich. Dagegen ist auch die landesfürstliche Autorität wirkungslos. "Dieweillen das gewissen Gott dem höchsten [Seite: 99] richter und erforscher der menschenherzen vorbehalten ... und diejenigen, so sich des widrigen understeen, dem schweren urtl Gottes gewißlich nit entfliehn werden"1.41.
Diesem grundsätzlichen Widerspruch entsprangen alle Streitfälle: Der Kampf um die Religionsübung der Städte, den Auslauf der Bürger, die Seelsorge evangelischer Prädikanten für fremde Pfarrkinder.
So konnten Landesfürst und Stände einander nicht verstehen. Es wurde den Ständen als Verbrechen angekreidet, daß sie erklärt hätten: Sie wollten sich in Religionssachen nach ihrem eigenen Gewissen richten, nicht nach den landesherrlichen Resolutionen1.42. Für diese Gewissensfreiheit fehlte eben aus den angedeuteten Gründen jedes Verständnis., Hingegen waren die Stände durch die Not der Zeit und durch die Gefahr, in der sie schwebten, gezwungen, mit der Gewissensfreiheit Ernst zu machen. Die Behauptung, das Luthertum dieser Zeit sei von Duldung anderer Bekenntnisse ebenso weit entfernt gewesen, wie der Katholizismus, läßt sich auf diese österreichischen Stände nicht erstrecken. Denn sie selbst konnten ja nur bestehen, wenn sie der Idee Geltung verschafften, und machten deshalb den Katholischen gegenüber wirklich davon Gebrauch1.43.
Gewissensfreiheit bedeutet für sie das Recht zum Bekenntnis der eigenen Überzeugung, ohne von jemandem zum äußerlichen Bekennen einer widersprechenden Lehre gezwungen zu werden. "Denn die gewissen lassen sich ja nit zwingen, ja durch disen zwang möcht man die leutt vill verherten"1.44.
Ein friedliches Nebeneinanderleben der beiden Bekenntnisse lag also bei solchen Vorstellungen durchaus im Bereich der Möglichkeit, vielfach machten die Stände ganz bestimmte Vorschläge, zum Beispiel in bezug auf die Städte: Der Landesfürst sollte die Pfarrkirchen, wie es ein Recht von ihm war, mit katholischen Pfarrern besetzen, daneben aber den Bürgern ein eigenes evangelisches Exerzitium gestatten. Sie waren bereit, diesen Pfarrern das ihnen gebührende Einkommen zu lassen und wollten nur die Erlaubnis, auf ihre eigenen Kosten einen evangelischen Prediger zu unterhalten. Mit einer solchen Lösung hätten sie — ohne ihr Gewissen zu verletzen — den Geboten des Landesfürsten gehorchen können. Diesen Gehorsam nicht zu verletzen, war stets ihr hauptsächliches Bestreben und den Vorwurf des Ungehorsams wiesen sie scharf zurück1.45.
Die ständische Politik war eben keine reine Staatspolitik, sondern von theologischen Gesichtspunkten beeinflußt. Wie zu anderen wichtigen Entscheidungen holten sich die Stände auch diesmal ein Gutachten ihrer Theologen und richteten sich darnach. Die Theologen aber rieten im Sinne Luthers: Nichts gegen das Gewissen zu unternehmen, sondern "auch umb ein sylben gotteswort zu leiden und zu sterben"1.46. Der Ton liegt auf dem "Leiden und Sterben". Nicht aber darf das Gotteswort mit bewaffneter Hand geschützt werden. Es ist allein erlaubt, gegen die Gewalt zu protestieren, nicht sie wie "stumme Hunde" zu dulden, aber auch das hauptsächlich, um sich nicht der Sünde teilhaftig zu machen, das Wort Gottes verfolgt zu haben. Im [Seite: 100] übrigen müsse man, wie Luther geraten hat, "den Gewalt leiden" und "dem Evangelium nachziehen"1.47.
In diesem Sinne lösten die Stände den Gewissenskonflikt zwischen Gehorsamspflicht gegen die Obrigkeit und Bekenntnispflicht, in den sie durch das Vorgehen des Landesherrn gekommen waren; unter Protest gegen die Gewalt wichen sie zurück.
Nachdem sie zunächst versucht hatten, unter allerlei fadenscheinigen Vorwänden eine Entscheidung hinauszuschieben, wollten sie mit der Berufung auf seine christliche Pflicht den Kaiser zum Nachgeben bringen. Sie riefen sein Rechtsgefühl und sein religiöses Gewissen an und zuletzt wieder seine gütige, landesväterliche Gesinnung. Durch den Hinweis auf die Not des Gewissens und die Gefährdung ihres Seelenheils trachteten sie die Aufhebung der kaiserlichen Befehle, die Belassung ihres Gottesdienstes in Wien durchzusetzen. Mit christlichen Mitteln, das heißt "Seufzen, Flehen und Bitten", verteidigten sie die Religionsübung, zu der sie berechtigt zu sein glaubten.
"Sofern aber der getreuen stende verhoffentlich nit geringe verdienst, und alles seuffzen und flehen nit angesehen, sondern ... zu wider der stende habenden freyheiten und begnadungen fürgangen werden sollte: so müesen sy gleichwol Ew. Khays. May. gewalt gedulden ... Wissen ihme auch anderst nit zu thuen, als das sy es gott dem allmechtigen clagen und seinem gerechten urtl haimstellen und bevelhen"1.48.
Mehr zu tun, verbot ihnen ihre religiöse Überzeugung, wie sie ihnen von ihren Ratgebern ausgelegt wurde. So waren ihnen dem Landesfürsten gegenüber die Hände gebunden.
Der geringe Erfolg dieses Abschnittes in dem Kampf zwischen Landesfürsten und Ständen ist daraus zu erklären. Ihr Ziel hätte erkämpft werden müssen, ein wirklicher Kampfwille fehlte ihnen aber vollkommen. Die innere Sinnwidrigkeit, die darin liegt, einen auf politischer Grundlage zu führenden Kampf nicht mit dem Einsatz aller tauglichen politischen Mittel zu führen, mußte an sich schon lähmend wirken. Wir spüren diese lähmende Wirkung in der sonst ganz rätselhaften Teilnahmslosigkeit der eigenen Anhänger bei entscheidenden Handlungen. Zum Beispiel waren auf dem für das Schicksal des Augsburgischen Bekenntnisses entscheidenden Landtag von 1579 im ganzen 30 Adelige anwesend! "Unser Herrgott wiert one zweifel remedieren, ist sein sachen; wier seindt kalt und lau undt ist niemandts, der ein recht lieb zum wortt Gottes tregt oder es ihme laßt obgelegen sein. Wer kumbt ein ganz jar zur predig? Niemandts. Gott mueß uns ein wenig lustiger machen, dann sie uns getrungen"1.49. Solche Worte spricht einer der führenden Männer der niederösterreichischen evangelischen Adeligen, Herr von Hoffkirchen.
Noch leichter feststellbar ist die lähmende Wirkung, die in der inneren Uneinigkeit liegt. Es mangelte nicht nur an einer einheitlichen Lehre und einheitlichem Zeremoniell — trotz der Agende —, es wollten auch die Lehrstreitigkeiten kein Ende nehmen. Nichts lähmt die Opferfreudigkeit und den Kampfwillen mehr, als solche für die Masse unverständliche Lehrstreitigkeiten unter den zur Führung Berufenen. [Seite: 101]
Ausschlaggebend waren nicht die äußeren Machtverhältnisse, sondern Gedankengänge und Überzeugungen der handelnden Männer. Die Stände hätten schon damals sehr wirksame, durchaus gesetzliche, gewaltlose Mittel gehabt, den Landesfürsten gefügiger zu machen. Gegen die sehr wirksame Waffe der Steuerverweigerung z. B. war er ziemlich machtlos. — Dieses Verhalten ist nicht einfach mit "politisch unfähig" abzutun, sondern muß einen tieferen Grund gehabt haben — das ist die religiöse Überzeugung: Eine religiöse Überzeugung, die dem Kaiser unter allen Umständen geben will, was des Kaisers ist.
Wenn man auch dem Luthertum als solchem nicht nachsagen kann, daß es zu politischer Unfähigkeit und Bewegungslosigkeit führen — mußte bei den österreichischen Ständen hatte die Auffassung von lutherischer Lehre eine solche Wirkung. Kennzeichnend sind die Worte Streuns von Schwarzenau in seinem schon erwähnten Gutachten von 1585: "Weil so woll die, so es zuelassen, als die, denen es verbotten ist, underthanen und der merern Obrigkeit unterworffen seyn: und obgleich denen unterthanen zu beden theillen unrecht beschicht, so hat doch solches unrecht bey Gott seyn Lohn; daher sie sich billig gedulden müessen."
Luthers Bewegung war eine rein innere Angelegenheit des deutschen Gewissens. Calvins Auftreten rief ein Aufflammen ganz anderer Leidenschaften hervor. Das Dogmatische, wie sehr es sich auch stets im Vordergrund der Diskussion zu halten scheint, ist vielleicht dabei nicht einmal das wesentliche; in Wahrheit handelt es sich um den offenbar gewordenen Zwiespalt zweier grundverschiedener geistiger Wesensarten. Das Luthertum mit seiner prinzipiellen Anerkennung bestehender Ordnungen, mit seiner Gehorsamsfreudigkeit, war in Gefahr, überall dort, wo es nicht im ersten Ansturm siegte, eine leidende Nebenkirche zu werden. In ihr hätte zwar das spezifisch Christliche die beste Heimstätte gefunden — aber einer dauernden Zermürbung von außen her ausgesetzt, wäre sie vielleicht trotz allem Heldenmut ihrer Bekenner allmählich aufgesogen worden.
Es wurde im ersten Teil dieser Arbeit versucht, den Einfluß dieser lutherischen Gesinnung auf die Politik der österreichischen evangelischen Stände zu zeigen. Das offenkundige Gehemmtsein in einer Sache, die als gutes Recht empfunden wurde, mußte Gegenwirkungen gegen die hemmenden Einflüsse selbst auslösen. Wenn es auch im einzelnen nicht nachweisbar ist, so ist es doch selbstverständlich, daß unter den genannten Eindrücken Anschauungen an Boden gewinnen konnten, die auch sonst gerade im gegebenen Augenblick in mächtigem Vordringen waren — die Lehren Calvins.
Das Luthertum war jedem fanatischen Vorgehen abhold. Es hat jederzeit den Ausgleich und die Wiedervereinigung mit der katholischen Kirche wenigstens im Bereich der Möglichkeit erscheinen lassen. Selbst die Gegenseite hat es an ernstgemeinten Versuchen dieser Art nicht fehlen lassen — ist doch sogar die Kurie zeitweilig zu Konzessionen bereit gewesen, die, von ihrem Standpunkt aus gesehen, sehr weit gingen.
Calvin und den Seinen wäre Luthers Gehorsamsideal unannehmbar und unverständlich gewesen, ebenso die Vereinigungs- und Friedensbereitschaft der Lutheraner. Das Eindringen calvinischer [Seite: 16] Lebensanschauungen hat die Auseinandersetzung der österreichischen Protestanten mit dem katholischen Herrscherhaus ohne Zweifel anders gestaltet. Das Gottesgnadentum der Gesalbten prallte zusammen mit dem Selbstbewußtsein der Prädestinierten. — Das bloße Einsickern solchen Gedankengutes genügte ohne Frage, um im protestantischen Lager einerseits eine bisher nicht vorhandene kampfbereite Gesinnung zu erzeugen, anderseits die bisherige Geschlossenheit der Anschauungen in wesentlichen Punkten zu erschüttern. Es kann sein, daß auch soziale Unterschiede fühlbarer wurden, die unter dem Vorherrschen der lutherischen Gesinnung noch nicht so zu spüren gewesen waren. Bauern und Herren fanden nicht mehr zueinander.
Gleichzeitig wurde das Fürstenhaus immer eifriger katholisch, der Adel, calvinisch beeinflußt, immer kämpferischer. Die Masse der Untertanen blieb wohl lutherisch, gleichzeitig aber weniger dem Landesherrn, als ihrem unmittelbaren adeligen Herrn abgeneigt.
Vorbei war die Zeit der ausschließlich friedlichen Sicherung des Bekenntnisses, die der Adel sich unblutig, mit Ausnützung seiner steuerpolitischen und ständischen Privilegien erkämpft hatte. Jetzt war er gesonnen, freie Glaubensübung, wo sie noch nicht bewilligt war, zu erzwingen und das begonnene Werk zu vollenden. Ein übriges taten die Jesuiten; päpstlicher als die Päpste, autoritätssicherer als die Fürsten selbst, waren sie — geistig und praktisch — die einzig wirklich ebenbürtigen Gegner des Calvinismus. Dieser hatte, auch hierin die Lutheraner weit überbietend, eine überallhin vordringende Welle des unversöhnlichen Hasses wider den Katholizismus ausgelöst. Das wußte man in Rom nur zu gut; für Rom war es aber gleichgültig, ob man gegen Lutheraner oder Calviner kämpfte — Ketzer war Ketzer.
So schlossen sich die Reihen der Katholiken in Österreich, in ganz Süddeutschland unter einheitlicher, zielbewußter Führung, während die Protestanten diese Einheit immer mehr verloren. Nicht nur das Eindringen calvinischer, auch das der verschiedenen Ansichten mancher Sektierer, die sich in Deutschland nicht hatten durchsetzen können, brachte Verwirrung in ihre Reihen. Daß eine Beseitigung dieses Zustandes nicht gelungen war, mußte sich auf die Dauer verderblich auswirken. Einstweilen aber verhinderte die Türkengefahr energisches Einschreiten von seiten der Krone.
In den Gedanken Calvins und seiner Anhänger nimmt der Staat eine andere Stellung ein als im Luthertum2.1. Obwohl auch bei Luther die Obrigkeit, der Staat, auf göttlicher Einsetzung beruht, so steht er doch außerhalb der göttlichen Heilsordnung. Er ist als Teil der Schöpfungsordnung rein weltliche Notwendigkeit. Der Calvinismus aber faßt den Staat im wesentlichen als unmittelbare göttliche Einrichtung auf. Seine Aufgabe ist vor allem der Vollzug göttlichen Willens, also des Gesetzes, und Dienst an der Ehre Gottes. Er geht zurück auf die Offenbarung Gottes, wie sie im Alten Testament erscheint. Der israelitische Staat beruht auf einem Bunde Gottes mit dem Volk; in ihm ist das göttliche Gesetz unmittelbar verkörpert, während Luther nun aber die Gültigkeit des mosaischen Gesetzes historisch auf die Juden beschränkt — es gilt für [Seite: 17] sie wie für die Sachsen der Sachsenspiegel — faßt es Calvin als ewig gültiges Gesetz für alle Zeiten und Völker aus. In jedem Staat ist der Bund Gottes mit dem Volk erneuert. Daher sind staatliche Gesetze und staatliches Wirken religiöse Angelegenheiten. Einer der wesentlichsten Grundgedanken des Calvinismus, aus dem sich das ganze Gebäude seiner Weltanschauung aufbaut, ist die Lehre von der Prädestination: Der Mensch ist von Gott durch seinen ewigen unabänderlichen Ratschluß vorausbestimmt zur Seligkeit oder zur Verdammnis2.2. Darüber hat sich der Mensch Gewißheit zu verschaffen. Wirken und kämpfen in der Welt, damit in Staat und Gesellschaft ist Pflicht jedes einzelnen Menschen: Denn die Gewißheit der Erwählung zeigt sich am Erfolg seiner Werke. Jeder einzelne ist Kämpfer für Gottes Ehre und sein Reich; in diesem Kampfe hat er sich zu bewähren.
Das gilt auch für die Obrigkeit in diesem Staat. Ihre vornehmste Aufgabe ist Schutz der Frömmigkeit und Förderung des allgemeinen Volkswohls. Sie hat ihr Amt und ihre Pflichten unmittelbar von Gott, in dessen Stellvertretung sie wirkt. Diese Pflichten und die Verantwortung gegen die Untertanen sind um so größer, als die Herrschaft insgemein im Namen Gottes und in seinem Dienste ausgeübt wird. Es besteht also eine wechselseitige Bindung: Die Untertanen haben der von Gott anerkannten Obrigkeit — denn ihr Vorhandensein allein bezeugt schon die göttliche Anerkennung — unbedingten Gehorsam zu leisten. Auch gegen eine schlechte Obrigkeit darf man sich nicht wehren, denn sie wurde als Strafe für die menschlichen Sünden von Gott verhängt, der man sich zu unterwerfen hat. — Soweit stimmt Calvin mit Luther überein, aber an sehr wichtiger Stelle ist seine Haltung grundsätzlich anders. Luther verbietet jeden Widerstand gegen die Obrigkeit in religiösen Fragen und verlangt leidenden Gehorsam. Calvin aber lehrt: Wagt es die Obrigkeit, die Reinheit des Evangeliums zu verletzen, die Menschen damit zum Ungehorsam gegen Gott zu verleiten, so verletzt sie das göttliche Recht, sie lehnt sich gegen die Majestät Gottes auf, der die höchste Autorität und auch ihr Herr ist. Dadurch verliert sie nun ihre Hoheit, den Anspruch auf den Gehorsam der eigenen Untertanen. Gegen diese gotteslästerliche Obrigkeit haben die Untertanen nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht zum Widerstand.
Widerstand zu leisten gebührt aber nicht dem einzelnen oder der Masse des Volkes, sondern den hiezu berufenen Behörden. Bestehen in einem Lande Volksbehörden, "populares magistratus", so haben sie bei Pflichtverletzung des Herrschers die rechtliche und moralische Pflicht zum Widerstand. Auch sie sind von Gott gestiftet, haben ihr Recht unmittelbar von Gott. Verletzt nun der Herrscher das Recht, lehnt er sich auf gegen göttliches Gesetz, dann geht seine Herrschergewalt von selbst auf die Nachgeordneten Obrigkeiten über, die nun die Aufgabe der Rechtswahrung bis zur Wiederherstellung der Ordnung haben. Werden auch die zur Rechtswahrung berufenen Volksbehörden Tyrannen, gotteslästerlich, dann geht die Herrschergewalt um eine Stufe tiefer. Bei Versagen sämtlicher Behörden gelangt sie schließlich an das Volk selbst, und dieses hat sich [Seite: 18] um sein Recht zu wehren. — Diese Lehre wurde im späteren Calvinismus schärfer ausgebildet und führt in ihrer folgerichtigen Durchdenkung zum Grundsatz der Volkssouveränität.
Calvinalso fordert Widerstand ausdrücklich und ausschließlich in religiöser Sache.
Von ausschlaggebender Bedeutung war es nun, daß Calvin mit diesen "populares magistratus" keine theoretische Forderung aufstellte, sondern auf einen tatsächlichen Zustand hinwies. Die Stände im Staate des 16. Jahrhunderts waren die von Calvin gemeintenVolksbehörden. Calvinisch gesinnte Stände mußten also in sich das Bewußtsein tragen: Ihre Stellung beruhe ebenso auf göttlicher Stiftung wie die des Herrschers, kraft göttlichen Rechtes übten sie ihr Amt aus, genau so wie der Herrscher. Notwendig muß eine solche Überzeugung das Selbstgefühl wesentlich stärken und ihre Stellung dem Landesherrn gegenüber stark verändern.
Verschärft wurde dieses Bewußtsein durch den weiteren Grundsatz : Sie hätten geradezu den göttlichen Auftrag, die sittliche Verpflichtung zum Widerstand gegen Übergriffe des Herrschers. In den konfessionellen Kämpfen Englands, Schottlands und der Hugenotten in Frankreich wurde diese Lehre immer weiterausgebild2.3.
Sicherlich haben wenigstens einzelne Adelige in Österreich diese Kämpfe verfolgt und auch die monarchomachische Literatur gekannt2.4.
Mit dem Bewußtsein, im göttlichen Auftrag, als Wahrer des Rechts und Hüter des reinen Evangeliums pflichtgemäß dem rechtsverletzenden Landesherrn in den Arm zu fallen, konnten die Stände natürlich auch eine ganz andere Politik treiben. Sie standen dem Landesherrn nicht mehr mit schlechtem, sondern mit reinem Gewissen gegenüber, wenn sie ihm bewaffneten Widerstand leisten wollten. Was das bei Menschen bedeuten mußte, die ihr ganzes Handeln auf die Erfüllung persönlich erkannter Gewissenspflicht aufbauten, bedarf keiner weiteren Erörterung. War die Erfüllung göttlichen Gesetzes, der Schutz und die Ausbreitung des Evangeliums Aufgabe des Staates, so muß jeder, der auf den Staat Einfluß hat, aktive Politik treiben und sich nicht allein auf die Verteidigung beschränken. Alle Staaten können nur den gleichen Zweck haben, sollen deshalb — wie die Kirchen — zu gegenseitiger Hilfe verbunden sein. Gegen die tyrannische gotteslästerliche Staatsgewalt ist es Sache aller Rechtgläubigen, Pflicht aller Gerechten, einander zu helfen. Zum Schutze des Glaubens sind daher auch Bündnisse abzuschließen, sogar Krieg zu führen.
Luther lehnt jedes Eintreten für das Evangelium mit dem Schwert ab, Calvin aber verlangt es. Überall im Deutschen Reich sehen wir die Auswirkungen dieses Gedankens. Überall sind die Calviner die politisch Regsamen, sind gewillt, ihren Glauben mit der Waffe in der Hand zu verteidigen und treffen dazu alle Vorbereitungen.
Früher, also zum Beispiel 1578, waren die österreichischen Stände kaum untereinander in Verkehr. Sie beschränkten sich auf gegenseitige Berichte über die Religionsverhandlungen und Mitteilung [Seite: 19] der dabei gewechselten Schriften. Oftmals bat ein Land das andere um Rat, auch gelegentlich um eine Intervention beim Landesherrn. Niemals aber erfolgte ein aktives Eintreten des einen Landes für den Nachbarn. Eine gemeinsame Unternehmung beim Landesherrn oder eine Intervention lehnten sie stets ab mit dem ausdrücklichen Hinweis, solches könnte den Anschein einer Verschwörung oder des Ungehorsams haben.
Nun aber traten die calvinischen Landstände der getrennten Länder miteinander in näheren Verkehr. Sie schlossen Bündnisse zum Schutz ihrer Religionsfreiheit; die drei politischen Stände Oberösterreichs schlossen ein solches untereinander, Oberösterreich verbündete sich mit Niederösterreich, Ungarn mit Mähren. Von nun an standen die Länder Ob der Enns und Unter der Enns in Religionsangelegenheiten dem Landesherrn geschlossen gegenüber, was ihren wünschen größeren Nachdruck verleihen mußte. Die Zeit des leidenden Gehorsams war vorüber. Sie wurden nun selbst politisch lebendig und errangen unter glänzender Benützung der günstigen Umstände die größte Machtstellung, die sie je besessen haben.
Das erste, wenn auch noch erfolglose Auftreten der Stände in dieser veränderten Gesinnung scheint mir der Kampf um das Landhausministerium in Linz zu sein2.5. Seitdem die Stände bei der Erbhuldigung im Juli 1578 erklärt hatten, sie verstünden die Privilegienbestätigung Rudolfs so, als ob er ihnen die Religionsfreiheit ausdrücklich bestätigt hätte, verschwand die Religionsfrage nicht mehr von der Bildfläche. Von vornherein zeigten sie eine festere und entschlossenere Haltung gegenüber den gegenreformatorischen Bestrebungen des Landesfürsten. Verschiedene Umstände kamen zusammen, die eine solche Haltung möglich machten, vor allem hielten die drei weltlichen, "die politischen" Stände einmütig zusammen, ließen sich die Städte nicht auf die Dauer vom Adel abtrennen.
Die alte Streitfrage um die Rechtsstellung der Städte hatte sich seit 1568 verschärft. Die landesfürstlichen Städte gehörten zum Kammergut des Landesfürsten ("Kammergut im weiteren Sinn") und sind den vollberechtigten Adelsständen nicht ohne weiters an die Seite zu stellen2.6. Die Landesfürsten betonten natürlich mit wachsender Schärfe die Stellung als Kammergut mit der These, daß die landesfürstlichen Städte in demselben Rechtsverhältnis zu ihnen stünden, wie eine ihrer Grundherrschaften oder wie irgend eine beliebigeStadt zu ihrem Stadtherrn (etwa St. Pölten zum Bischof von Passau). Deshalb beansprucht der Landesfürst in religiösen Dingen eine ebensolche Verfügungsgewalt über seine Städte, wie jeder Grundherr über seine Untertanen. Denn der Grundsatz "cuius regio illius et religio" — obwohl ursprünglich nur für die Reichsstände in bezug auf ihre Untertanen geltend — war ganz allgemein auf jeden Grundherrn und dessen Untertanen ausgedehnt worden. In seinem Kammergut verfügt also der Landesherr [Seite: 20] über die Religion seiner Untertanen, denn er will als Landesherr in diesen Dingen keine geringeren Rechte haben als jeder Grundherr auf seiner Herrschaft. Maximilian gewährte aus diesem Grunde die Religionskonzession allein den beiden Adelsständen, nahm die Städte ausdrücklich davon aus und verbot ihnen außerdem noch, Religionsangelegenheiten gemeinsam mit den Adelsständen zu verhandeln. Rudolf II. betonte diesen Rechtsstandpunkt noch schärfer. So fand er es bei der Erbhuldigung von 1578 nicht für nötig, daß die Abgeordneten der Städte an den Verhandlungen teilnahmen, denn sie dürften ohnehin keine von der landesfürstlichen abweichende Meinung vertreten.
Gegen diese Herabsetzung wehrten sich aber die Städte, wobei sie von den Adelsständen wenigstens in dieser Zeit nach Kräften unterstützt wurden. Die Städte erkannten wohl den Standpunkt des Landesherrn an und gaben zu, daß sie in gewisser Hinsicht zu dessen Kammergut gehörten. Das bedeute aber noch keineswegs, daß sie seine Sklaven seien. Sie haben neben den anderen Ständen die allgemeinen Landessteuern zu bewilligen und vor allem mitzubezahlen. Dies ist nicht "schuldige Herrenforderung", wie sie etwa ein Bauer seinem Grundherrn und die Untertanen auf den Domänen dem Landesherrn zahlen. Auch dürfen sie nicht nach Belieben verpfändet oder verkauft werden, während solches mit Kammergut jederzeit geschehen kann. Deshalb sind sie grundsätzlich vom Kammergut unterschieden: Nicht "eigentliches Kammergut", sondern gleichzeitig eben auch Stände. Andernfalls müßten die drei übrigen Stände es ablehnen, mit Leuten im Landtage zusammenzusitzen, die bloß "einen Stand repräsentieren" — wie die Formulierung auf landesfürstlicher Seite lautet. So äußern sich die Stände Oberösterreichs in einer Eingabe an Matthias vom November 1609: "Wier khunnens zuwider unser freyhaiten in ewigkait nit zugeben, daß soliche leuth in gemainen landtagsversamblungen mit und neben uns sitzen sollen, die bloß ainen stand repräsentieren für sich selbst aber khaines standts sein sollen ... sondern die städt und märkt bleiben für sich selbsten der vierte stand und khünnen neben denselben nit Cammergüeter genannt werden, denn dergestalt müeste zulest gar khain vierter stand sein"2.7. Ihre Berechtigung zur Landstandschaft kann also nicht bezweifelt werden.
Die Städte Oberösterreichs, die ihre Rechte mit größtem Nachdruck verfochten, betonten besonders, daß zum Unterschied von Niederösterreich keine Märkte auf ihrem Landtag vertreten seien. Ihre Rechtsstellung als Landstand beruhe also hauptsächlich auf ihrer verfassungsrechtlichen Stellung als Stadtgemeinde nicht als Kammergut. Da sie also dieselben Lasten zu tragen hatten wie die Adelsstände, nahmen sie auch dieselben Rechte bei Behandlung der Landtagsangelegenheiten für sich in Anspruch. Die Zumutung Rudolfs, die Städte sollten nur gemeinsam mit den Adelsständen beraten über Steuerangelegenheilen und dergleichen, auch ihre Steuern zahlen, dagegen den Hauptgegenstand aller Beratungen — die Religionsfragen — nicht mit ihnen verhandeln, wäre freilich eine glänzende Lösung. Man kann es aber den Städten wohl nicht übel [Seite: 21] nehmen, daß sie auf einen solchen Vorschlag nicht eingingen. Der gemeinsame Glaube und der gemeinsame Kampf zu seiner Verteidigung schloß die sonst nicht immer in bestem Einvernehmen stehenden Stände von Adel und Städten enger zusammen, so daß sie dem Landesherrn gegenüber eine undurchdringliche Front bildeten.
Ein zweiter Grund zur Verschärfung der Gegensätze war, daß eine Reihe von oberösterreichischen Adeligen, darunter gerade sehr mächtige Herren, wie die Starhemberg in Eferding und die Polhaim in Wels, Flazianer waren. Diese Richtung des strengen Luthertums war ganz allgemein in Fragen der Religion unnachgiebiger und rücksichtsloser. Jedem Kompromiß besonders abgeneigt, nahmen sie auch dem andringenden Katholizismus gegenüber ihre unversöhnliche und streitbare Haltung ein. Mag sein, daß diese Eigentümlichkeit auch die ständische Politik in den konfessionellen Auseinandersetzungen beeinflußte2.8. Auch brachte sie gerade diese Haltung dem Calvinismus näher.
Die politische Beweglichkeit der oberösterreichischen Stände wurde auch dadurch erhöht, daß sie keine Gegner in ihren eigenen Reihen hatten. Sie waren nicht wie die Niederösterreicher gehemmt durch eine katholische Ständegruppe, denn in Oberösterreich gab es unter dem Adel fast keine Katholiken. Auch ihre Untertanen waren evangelisch, einschließlich der Untertanen geistlicher Grundherrschaften2.9. Wenn diese bäuerliche Schichte auch nicht unmittelbar politisch in Wirksamkeit trat, so war das Bewußtsein von der Geschlossenheit des Landes doch zweifellos eine moralische Unterstützung für die Vertreter. Es war also tatsächlich das ganze Land, mit dem es der Landesfürst zu tun hatte. — So waren die Voraussetzungen für die Politik der oberösterreichischen Stände von vornherein recht günstig und dem war es wohl auch zu verdanken, daß die Gegenreformation erst so spät ihren Einzug halten konnte.
Die ersten ernstlichen Versuche wurden um 1593 gemacht und in allen Landtagsverhandlungen erscheint nun die Religionsfrage als Beratungsgegenstand. Dabei spielte sich auf den Landtagen regelmäßig folgendes ab: Die Stände verlangten vor Beratung der landesfürstlichen Proposition die Abstellung ihrer Religionsgravamina. Die Kommissare Rudolfs dagegen erklärten, sie hätten keine Vollmacht, irgend etwas anderes, speziell Religionssachen, zu beraten. Zuerst müsse die Proposition erledigt, die Bewilligung getan werden, dann mögen sich die Stände mit ihren Beschwerden an den Kaiser wenden. Endlos gingen die Verhandlungen hin und her, bis meistens dann die Bewilligung unter der Bedingung geschah, daß keine Veränderung in der Religion vorgenommen, bzw. die Religionsreformation nicht fortgeführt werde. "So erclären wier, die drei politische ständt uns hiemit lautter: im faal solche beschwährungen ... nicht eingestellt und aufgehebt und also das wesen in seinen alten vorigen stantt nicht gesezt würde, wier auch bey unseren freyhaitten ... und religions-concession, soweit die einen jeden stand betrifft, gelassen werden ... Uns ainiche bewilligung welches wier hiemit zu unserer khunfftigen entschuldigung protestando lautter vermeldt haben wollen — im werkh zulaisten ganz und gar unmüglich seyn würde2.10. Daraus erklärten [Seite: 22] nun die Kommissare, sie könnten "kein conditionierte Bewilligung" annehmen, die Stände gingen davon aber nicht ab. Die starke Betonung der wirtschaftlichen Bedeutung des Glaubensfriedens fällt dabei auf. Sie beriefen sich darauf, daß das Land durch die Gegenreformation dem wirtschaftlichen Untergang zugetrieben würde. Aus den Städten würden die wohlhabendsten und gewerbefleißigsten Bürger und die unentbehrlichen Arbeiter — zum Beispiel die Salinenarbeiter — vertrieben, weil sie alle evangelisch waren2.11. Die Folgen müßten sein: Abwanderung des Kapitals, versiegen der Steuerquellen und des Kredits. Schon die allgemeine Unsicherheit über den ferneren Verbleib der bedeutendsten wirtschaftlichen Persönlichkeiten müßte schwerwieaende Folgen für Steuerkraft und Kredit nach sich ziehen. Es könnten also in diesem Fall weder die alten Verpflichtungen, noch die neu zu übernehmenden erfüllt werden. Die "conditionierte Bewilligung" wurde damit gerechtfertigt, daß die Steuern einzig und allein von Evangelischen aufgebracht würden, wenn diese "ausgeschafft" würden, bliebe nur eine ganz geringe steuerkräftige Minderheit zurück, in deren Namen Verpflichtungen zu übernehmen sie kein Recht hätten.
Die Stände leisteten also recht wirksamen Widerstand. Trotzdem trat in dem Verhalten Rudolfs II. keine Änderung ein. Er gab auch nicht nach. Dies führte zu einer völligen Lahmlegung der Verwaltung und der Gerichtsbarkeit und bot den Ständen die Handhabe, sich über den Verfall von Recht und Rechtspflege und den allgemeinen Niedergang des Landes zu beschweren.
Es zeigte sich ein schärferer und tatkräftigerer Geist in der ständischen Politik während der Jahre vor 1600, der Oberösterreich auch zum Mittelpunkt des gesamten erbländischen Protestantismus machte2.12. Die oberösterreichischen Stände unterhielten damals einen lebhaften Verkehr mit den steirischen und niederösterreichischen, wenn es auch noch zu keinem eigentlichen Zusammenarbeiten kam. An ihrer Spitze standen kluge und geschickte Politiker, die ihre Politik — auch in Glaubenssachen — viel weniger von religiösen als von juristischen und politischen Überlegungen leiten ließen. Über ihre wirklichen Rechte waren sie sich stets im klaren, während die Niederösterreicher den großen und eigentlich unverständlichen Fehler machten, daß sie sich um Inhalt und Umfang ihrer geltenden Rechte fast gar nicht bekümmerten. Den eigentlichen Inhalt der Religionskonzession zum Beispiel kannten die meisten von ihnen überhaupt nicht. Dadurch kam eine gewisse Unsicherheit in ihre Verhandlungen2.13.
Die Stände Oberösterreichs aber nahmen nicht Gesetz undGerechtigkeit für sich in Anspruch, wenn sie eines tatsächlichen Rechtsanspruches nicht ganz sicher waren. Forderungen, die nicht aus geschriebenem Recht beruhten und als solches zu beweisen waren, wurden ohne weiters als Gnade vom Landesfürsten verlangt, was der Nachdrücklichkeit keinen Abbruch tat. "Die stände bekhennenden ja, das sy mit recht der Khays. May. nit fürschreiben khünden ... jedoch begerten sy allain aus gnaden ..." die Erfüllung einer der wesentlichsten Forderungen, die Religionsübung für die Städte2.14. Sie nahmen dem Landesfürsten damit einen Vorwand, unter dem er gegen die Religionsfreiheit vorgehen konnte, daß [Seite: 23] nämlich sein landesfürstliches Ansehen und seine Würde gegen die Übergriffe seiner Untertanen gewahrt werden müsse. Damit brachten die Stände sogar die Erzherzoge Matthias und Maximilian dazu, für sie bei Rudolf zu intervenieren2.15.
In den letzten Jahren des 16. Jahrhunderts wurde der Kampf zwischen Rudolf, bzw. dem Öberösterreichischen Landeshauptmann Hans Jakob von Löbl und den Ständen immer erbitterter. Die schärfere Durchführung der Gegenreformation hatte vielenorts die Bauern in den Aufstand getrieben.
Nicht aber umgekehrt, wie Eder in seinem erwähnten Werk behauptet. Der eigentliche Grund für den Aufstand war überall die mehr oder weniger gewaltsame Einführung von katholischen Pfarrern, wenn sich auch sehr schnell soziale Beweggründe den religiösen beimischten, der Ausstand sich nicht allein gegen den Pfarrer, sondern gegen den Grundherrn richtete. Es ist eine Verdrehung der Tatsachen, wenn man es so darstellt, als sei die Gegenreformation erst eine im Interesse des landesfürstlichen Ansehens und der Herrschaft notwendige Folge der Unbotmäßigkeit der evangelischen Untertanen. Wohl aber hat die verfehlte Politik der Adelsstände der Gegenreformation denWeg bereitet. Anstatt sich mit den Bauern zur Verteidigung ihrer Religion zusammen zu schließen und in sozialer Hinsicht Erleichterungen zu gewähren, machten sie mit Landesfürst und Landeshauptmann gemeinsame Sache und warfen den Aufstand nieder. Das Solidaritätsgefühl der Herren siegte über die Gemeinschaft, die die Religion bilden sollte. Daß den siegreichen ständischen Truppen überall die Reformationskommissionen folgten, konnten sie dann nicht mehr verhindern. So brachte dieser Bauernkrieg einen schweren Riß in die Geschlossenheit des Landes und eine moralische Niederlage der evangelischen Sache. Nach seiner Beendigung setzte die Gegenreformation erst recht ihr Werk fort.
Damals waren die Stände noch nicht auf dem Standpunkt des Glaubenskrieges angelangt. Noch 1597 hatten sie Bauern, die sich gegen den Dechanten von Spital am Pyhrn erhoben, mit den alten Argumenten zum Gehorsam ermahnt; denn Gewaltanwendung könnte niemand "für recht, zimblich oder gebüerlich achten, wie es auch der schrifft und heiligem evangelio gennzlichen zuwider, daß man der obrigkhait den schuldigen gehorsam nit laisten solle"2.16, verschiedentlich wurden auch noch Versuche gemacht, auf friedlichem Wege zu einem Ausgleich besonders in der Frage der landesfürstlichen Städte zu kommen. Die Städte sollen "neben den catholischen Priestern auch andere der Augsburger Confession zugethan, doch nit von der catholischen khirchen einkhommen, sondern anderwerts aus der obrigkhaiten und gemain ainen seckel underhalten. Beynebens auch die gewissen, wo oder was ain jeder sein seelsorg suechen wölle, freylassen. Den catholischen Priestern nicht gestatten ... ainen pfarrman per prachium seculure (inmassen sich dann der geistliche standt vernemen lase, das mans mit dem schwert zwingen müesse) wider aines christliches gewissen und glaubensbekanntnus zu seinem Gottesdienst mit gewalt oder straffen zwingen2.16a.. Noch immer aber glaubten sie ihr Gewissen damit beruhigen zu müssen, daß sie die ganze Frage vom [Seite: 24] religiösen auf das politische Gebiet hinüberschoben. Als privilegierte Stände waren sie nicht verpflichtet, dem Landesfürsten die geforderte Steuer zu bezahlen, sondern diese außerordentliche Steuer bedurfte einer Bewilligung, ist also — wenigstens nach ihrer Meinung — eine freiwillige Leistung, sogar eine "Gutherzigkeit", wie sie sich gelegentlich ausdrückten2.17. Sie konnten auch gewisse Bedingungen an eine Bewilligung knüpfen. Wurden diese Bedingungen vom Landesfürsten nicht erfüllt, so waren sie ihrerseits auch nicht mehr an ihre Bewilligung gebunden und bezahlten eben keine Steuern. Damit handelte es sich aber nur mehr um eine politische Angelegenheit, es ging nicht mehr um die Religion, sondern um die Steuern. An der Ausfechtung ihrer rechtlich-politischen Streitigkeiten mit der Obrigkeit hinderte sie aber ihre religiöse Überzeugung nicht. Wohl aber waren sie in denselben Zwiespalt geraten wie die niederösterreichischen Stände: Es blieb trotz aller juristischen Spitzfindigkeiten doch immer eine religiöse Sache. Aus diesem Wege konnten sie doch niemals zum offenen, bewaffneten Widerstand kommen.
Das Vordringen der Gegenreformationskommissionen stieß auf harte Gegenwehr, Bauern und Handwerker verweigerten aus Gewissensgründen den neuen katholischen Pfarrern den Gehorsam und nun änderte sich auch das Verhalten der Stände grundsätzlich. Alle Versuche zu einem friedlichen Vertragen schlugen fehl, von der väterlichen Gnade des Landesfürsten war nichts mehr zu hoffen, sie griffen nun zu schärferen Waffen. Ihr ganzes Verhalten auf dem Landtag von 1599 zeigt, daß es diesmal ernst war. Schließlich erklärten sie rundweg: "Demnach die drei Stände ... geschlossen, so die durch den Herrn Landshauptmann sowoll in religion- als auch profansachen ... geübten gewalttaten ... nicht removiert werden ... unmüglich wäre, die auff dise beysorg conditionierte Landtagsbewilligung aus denen in würcklichen effekt zu setzen; so haben die drei stände communi voto geschlossen ... zu erlegung der Landtagsbewilligung aus denen landtagsgefällen vor und ehunder nichts ervolgen zulassen ... bis die bemelte beschwerungen allerdings aufgehebt werden. Actum den 18. Juny anno 1599"2.18!
Noch einmal aber wurden sie durch die Drohung, man werde die Abdankplätze für die aus dem Türkenkrieg zurückkehrenden Soldaten nach einigen Städten Oberösterreichs verlegen, Ende 1599 zum Nachgeben gezwungen und Rudolf konnte nun weiter vorstoßen. Im März 1600 kam eine neue Reformationskommission nach Linz mit dem Auftrag, den Landhausgottesdienst und die ständische Schule abzustellen und die ständischen Prädikanten auszuschaffen. Die Erfüllung dieses Auftrages gelang ihnen auch überraschend schnell. Die Stände wurden nämlich überrumpelt, da sich zu dieser Zeit nur die ständischen Verordneten in Linz befanden, die allein keinen energischen Widerstand leisten konnten. Die Prädikanten verließen tatsächlich Linz am 22. März 1600, aber am folgenden Landtag stießen die Parteien um so heftiger aufeinander. Auf das schärfste betonten nun die Stände, daß das ganze Land durch die Gegenreformation ruiniert würde, beklagten sich heftig über die ungerechte Justizverwaltung, die Nichtachtung ihrer Rechte und die Übergriffe des Landeshauptmannes. [Seite: 25] Diese Rechtsverletzungen zusammen mit der allgemeinen Bedrückung der Evangelischen seien so beschwerlich, daß ohne deren Abstellung keine neuen Steuern bewilligt werden könnten. Zum erstenmal nahmen sie eine sehr drohende Haltung ein: Sie beschlossen die Bewaffnung von Bürgern und Bauern, zwar angeblich zum Schutze des Landes gegen herrenloses Gesindel, aber es war doch ziemlich klar, wem diese Bewaffnung eigentlich galt. Entgegen dem ausdrücklichen Befehl des Kaisers und des Landeshauptmanns eröffneten sie die Landhausschule wieder und ließen den Unterricht fortsetzen. Den Lehrern sicherten sie Schutz zu und es half dem Landeshauptmann gar nichts, daß er die Schule verbot, den Ständen eine schwere Geldstrafe von 10.000 Dukaten androhte. Überdies brachen sie den Verkehr mit dem Landeshauptmann sowie den Landtag überhaupt ab und schickten eine eigene Gesandtschaft an den Kaiser nach Prag, um Abhilfe zu erlangen.
Plötzlich wurde aber im Februar 1601 der Landtagsgottesdienst wieder aufgenommen. Wie früher hielten die Stände dort evangelischen Gottesdienst. Dabei kümmerten sie sich weder um die Verbote des Kaisers und seines Statthalters Matthias, noch um die sehr empörten Befehle des peinlich überraschten Landeshauptmanns, sondern behaupteten, der Kaiser hätte ihnen eine mündliche Zusage gegeben. Sie leisteten zähen und erbitterten Widerstand gegen alles, was sie an ihrem Vorhaben hindern konnte. Zunächst drohten sie, mit ihrem Hauptfeinde, dem Landeshauptmann Löbl überhaupt nicht mehr zu verkehren. Tatsächlich brachen sie die Beziehungen später völlig ab. Im April kamen die ausgewiesenen Prädikanten in offener Mißachtung des kaiserlichen Befehles wieder nach Linz zurück und die Stände nahmen sie in das Landhaus, um sie gegen eine Verhaftung zu schützen. Als die Stände zur Verantwortung vorgeladen wurden, nahmen sie die Vorladung gar nicht zur Kenntnis, noch weniger erschien einer der Vorgeladenen. Zwei Monate lang verweigerten sie die Annahme des kaiserlichen Mandates, in dem Rudolf die Einstellung des Gottesdienstes und die Auslieferung der Prädikanten forderte. Dagegen ließen sie das Landhaus von bewaffneten Bürgern bewachen.
In dem ganzen Verhalten machte sich ein anderer Geist bemerkbar. Kein bloßer passiver Widerstand mehr, nicht mehr bloßes Verhandeln, kein Versuch mehr, von der väterlichen Gesinnung des Fürsten etwas zu erreichen, zum erstenmal gingen sie hier zum Angriff über. Möglicherweise bestimmte bereits die Gesinnung des Freiherrn Georg Erasmus von Tschernembl die Politik der Stände. Sein Name taucht während des Bauernkrieges von 1595 auf und in diesem Zusammenhang wird er als Gesandter der Stände am kaiserlichen Hof in Prag und bei Matthias genannt. Er befand sich im August 1601 unter den vornehmen Landleuten, die von Matthias für den unbefugten Landhausgottesdienst in Linz verantwortlich gemacht wurden.
Dieser erste Vorstoß brachte den Ständen noch keinen endgültigen Sieg, denn sie waren nicht entschlossen, im Notfall ihren Forderungen auch mit der Waffe in der Hand Nachdruck zu verleihen. Als Rudolf drohte, sie an Leib und Gut zu strafen und Matthias sich anschickte, die [Seite: 26] verantwortlichen "Rädelsführer" in Wien als Aufrührer verhaften zu lassen, fügten sie sich schließlich. Zum Sterben waren sie nicht bereit. Mit dem Ausspruch des Freiherrn von Jörger, es geschehe, was Gott wolle, glitten sie zurück in die alte Passivität. Damit war der Kampf um das Landhausministerium in Linz beendet. Er war gewissermaßen ein Vorspiel für die Ereignisse von 1608 /1609, in dem sich schon leise die künftig wirksamen Tendenzen andeuteten, wenn sie auch noch nicht zum Erfolg führten.
Zunächst müssen eine Reihe von Begleitumständen erörtert werden, die für die Ereignisse anläßlich dieser Erbhuldigung von Belang sind2.19.
1604 hatten sich die Ungarn gegen die auch dort versuchte Gegenreformation unter Führung Bocskays gegen das Haus Österreich erhoben. Matthias, der mit unbegrenzter Vollmacht zur Unterdrückung des Aufstandes ausgestattet war, brachte zwar am 23. Juni 1606 einen Frieden zustande, aber der Kaiser wollte ihn längere Zeit nicht anerkennen, ebensowenig den am 11. November 1606 abgeschlossenen Frieden mit den Türken.
Das im Verein mit der sonstigen Unfähigkeit Rudolfs und den dadurch bedingten unhaltbaren Zuständen im Deutschen Reich und in den Erblanden, veranlaßte nun die österreichischen Erzherzoge, einen Vertrag miteinander abzuschließen, worin sie Matthias als Haupt des Hauses anerkannten. Als nun 1607 ein neuer Ausstand in Ungarn ausbrach und der Kaiser durch die Nichtanerkennung des Türkenfriedens die Gefahr eines neuen Türkenkrieges heraufbeschwor — was nach allgemeiner Ansicht den Ruin der Länder bedeutet hätte —,griff Matthias ein. Ohne Zustimmung des Kaisers berief er einen Landtag der Niederösterreicher ein, ebenso den ungarischen Reichstag für den Jänner 1608, um selbständig Abhilfe zu schaffen. Nachdem sich Matthias mit den österreichischen Ständen verbunden hatte, gingen ihre Abordnungen mit ihm nach Preßburg, wo sie auch mit den Ungarn ein Bündnis schlossen. Im April 1608, nachdem sich auch die mährischen Stände gegen Rudolf erhoben hatten und dem Bündnis der anderen beigetreten waren, zog Matthias gegen seinen Bruder nach Prag. Im Juni 1608 schlossen die beiden unter Mitwirkung der Stände Frieden. Rudolf II. entließ die Länder Ungarn, Mähren, Österreich Ob und Unter der Enns aus seinem Gehorsam und trat sie an Matthias ab. Gleichzeitig sicherte er ihm die Anwartschaft auf den böhmischen Thron.
Nun forderte also Matthias als angehender Landesherr von den Ständen die Erbhuldigung. Die katholischen Stände Niederösterreichs huldigten im November 1608, die evangelischen aber verweigerten die Huldigung vor Erfüllung ihrer Forderungen und Abstellung ihrer Beschwerden. Die langwierigen und schwierigen Verhandlungen mit ihnen hatten keinen Erfolg, bis endlich Matthias durch die immer drohendere außenpolitische Lage gezwungen wurde, nachzugeben. In [Seite: 27] der Kapitulations-Resolution vom 19. März 1609 erfüllte er ihre Wünsche, worauf ihm die Niederösterreicher im April, die Oberösterreicher im Mai 1609 huldigten.
Mehrere Gründe wirkten zusammen, die Stände zum Abfall von Rudolf II. zu bewegen.
Die fortgesetzte Verfolgung und Bedrängnis der Protestanten hatte sich in den letzten Jahren immer mehr gesteigert. Die Klagen über widerrechtliche Wegnahme von Kirchen, Unterdrückung des Protestantismus in den Städten, insbesondere parteiische Justiz häuften sich immer mehr. Sie klagten, daß man ihre Religionsfreiheit einschränke. Man faßte sogar den Plan, die Konzession, damit die Gewissensfreiheit und freie Religionsübung ganz aufzuheben2.20. Vermutlich blieb den Ständen auch dieser greifbare Plan nicht völlig verborgen, aber jedenfalls gab das Verhalten, das die Regierung an den Tag legte, auch ohnedies schon genügend Anhaltspunkte zu schweren Klagen.
Die Religion, das reine Evangelium, wurde verfolgt und bedrängt. Nun aber verharrten die Stände nicht mehr beim leidenden Gehorsam, nun betrachteten sie es nicht mehr als ihre Christenpflicht, der Gewalt der Obrigkeit zu weichen. Eine Obrigkeit, die das reine Wort verfolgt, ist eine unchristliche, gotteslästerliche Obrigkeit. Gegen eine solche ist nicht mehr Seufzen, Flehen und Bitten die einzige einem christlichen Untertan erlaubte Gegenwehr, sondern Widerstand mit bewaffneter Hand. Gerade sie, die Stände, sind nach Calvins Lehre durch göttlichen Auftrag zur Wahrung und zum Schutz der Gerechtigkeit gegen die unchristliche Obrigkeit berufen. Rudolf II. war in ihren Augen eine solche Obrigkeit.
Gegen ihn ergriffen sie nun die Mittel zur Abwehr, die ihnen nach ihrer Überzeugung zustanden. Diese geänderte Überzeugung wirkte sich aus in einer geänderten, weitaus regsameren und für den Landesfürsten unbequemeren Politik. Schon in den Jahren vor 1608 hatten sie sich nicht mehr mit Eingaben an Rudolf begnügt, sie verweigerten seinen Verordnungen den Gehorsam. Auch suchten sie Verbindung mit anderen Protestanten, so mit der protestantischen Union und einigen evangelischen Reichsfürsten. Der Erfolg war, daß solche mehrmals für sie eintraten, zum Beispiel schrieb der Kurfürst von Brandenburg an den Kaiser und beschwerte sich über die Verfolgung der Protestanten in Österreich, und ebenso der Kurfürst von Sachsen an Matthias2.21. Die evangelischen Reichsstände verweigerten im Hinblick auf die Verfolgung des Protestantismus in Österreich 1606 die Türkenhilfe. Als nun eine Reihe von günstigen äußeren Umständen eintrat, steigerte sich diese Politik bis zum offenen Widerstand und Abfall von ihrem Herren, "der tyrannischen Obrigkeit".
Aber sie nahmen den Kampf auf unter dem allgemeineren Schlagwort "Wiederherstellung der verletzten Freiheiten" und Bewahrung des Landes vor dem Untergang. Grundsätzlich standen in diesem Bestreben die Stände und Matthias auf einer Linie. Auch Matthias rechtfertigte sein Vorgehen gegen den Kaiser damit. "Um die Länder vor der Verwüstung durch das kaiserliche Kriegsvolk zu schützen und zur Restitution ihrer vielgeschwächten Freiheiten" habe er die Waffen [Seite: 28] gegen ihn ergriffen, sagte er in seinem Manifest an die Reichsfürsten vom April 1608; eine Erklärung, die ihm später sehr unangenehm werden sollte, weil sich die Stände darauf beriefen. Zu demselben Zweck schlossen die drei Länder Ungarn, Mähren und Österreich ihr Bündnis. Sie verpflichteten sich aber nicht nur zur Erhaltung von Frieden und Recht, sondern auch zur gegenseitigen Unterstützung in jeder Gefahr, in jeder gerechten und gesetzmäßigen Sache gegen jeden Feind und Friedensstörer2.22.
Das Verhältnis eines Untertanen zu seinem Herrn ist gekennzeichnet durch die Begriffe der "Huld, Gnade, Treue". Daraus entspringen für beide Teile Rechte und Pflichten, von denen die ausschlaggebenden und für diesen Zusammenhang wesentlichsten hier ganz kurz behandelt seien2.23. Der Untertan ist seinem Herrn Treue und Gehorsam, "Rat und Hilfe" schuldig, dagegen steht er in dessen Schutz und Schirm. Kommt der Herr dieser seiner Schutzpflicht nicht nach, verweigert er seinen Schirm, so ist auch der Untertan seiner Pflichten ledig. Dann kann er seinem Herrn die Treue aufsagen und gewinnt das Recht, sich einen anderen Herrn zu suchen, der ihn zu schützen gewillt ist. Die Formel, "die Stände bei ihren Privilegien zu schützen", bedeutet wohl dasselbe. Sie nicht in ihren Freiheiten zu verletzen, ist ein ebensolcher "Schutz" wie der Schutz vor dem äußeren Feind. Auch dieser Schutz kann vernachlässigt, nicht mehr gewährt werden, wenn der Landesherr das bei der Erbhuldigung gegebene Versprechen bricht, die Freiheiten der Stände verletzt. Dann tritt dasselbe Recht in Kraft: Sie dürfen sich an Stelle des sie im Stiche lassenden Herrn einen anderen suchen, der sie nun bei ihren Rechten und Freiheiten besser schützt.
Rudolf aber hat als Landesherr seine Schutzpflicht gegenüber seinen Untertanen in doppelter Hinsicht nicht erfüllt. In dem angedeuteten übertragenen Sinn nicht, denn er hatte ihre Freiheiten, vor allem aber die Religionsfreiheit verletzt. Gegenüber dem äußeren Feind nicht, denn Türken und Heiducken fielen in das Land ein und verwüsteten es. Aus den späteren Restitutionsverhandlungen ersehen wir, daß diese Überlegungen bei den Ständen eine entscheidende Rolle spielten. Sie erklärten, eine Restitution sei nicht möglich "weil Ir. Khays. May. sich vor diesem vernemen lassen, die länder möchten sich gleichwol selbst schützen und defendieren ... Damit sy aber nicht etwa mit äußeristem untergang unter fremde barbarische obrigkait gebracht wurden, hetten sy ires jezigen herrn sich irer anzunemben bewegt, dannenhero noch deß endlichen und gewissen sins ... sein"2.24.
Rudolf hatte seine Länder also nicht nur aus erzwungener äußerer Machtlosigkeit nicht schützen können, sondern er hatte sie auch garnicht schützen wollen, er gibt sie ihren Feinden preis. Darauf machten sie nun von ihrem Recht Gebrauch und begaben sich in den Schutz eines anderen Herrn. Daß Rudolf diese oberste aller landesherrlichen Verpflichtungen nicht erfüllte, wird mit ein Grund für die ungeheure Abneigung gegen ihn sein. (Diese brachte die Stände Mährens sogar zu der Äußerung, sie wollten lieber unter des Türken als unter des Kaisers Herrschaft stehen.)
Überdies waren die Stände an dem Abschluß des Türkenfriedens [Seite: 29] beteiligt. Als nun Rudolf II. die Ratifizierung des Friedens immer wieder hinauszog, gefährdete er nicht nur die äußere Sicherheit der Länder. Er brachte die Stände persönlich dadurch in Gefahr, als wortbrüchig und unehrlich vor ihren Gegnern zu erscheinen. Im Namen Gottes wurde der Friede abgeschlossen, daher waren sie zu seiner Einhaltung unbedingt verpflichtet, hielten sie sich nicht daran, so könnten sie niemals mehr mit gutem Gewissen einen Krieg gegen die Türken führen, denn sie wären ihnen gegenüber im Unrecht. Gott selbst würde sie für den Mißbrauch seines Namens strafen und ihnen den Sieg nehmen. "Derenthalben wir uns dann auch verrer wider ainen solichen feint, der uns wegen nit gehaltener christlicher treu und glauben angreifen würde, kaines glückhs noch sigs zu getrösten, weil wir nit auf ires falschen, sondern unsers wahren ainichen gottes teuren namen verpflicht ... Allerdings will uns als rechten und wahren christen nit gebüren, daß wir inen in iren unrecht nachfolgen und darumben, daß sy an gott treu- und glaubbrüchig worden uns versündigen und mit gleicher gegenhandlung irer sünden und straffen tailhafftig machen; daneben auch den bishero bei allen völkern erhaltenen löblichen teutschen namen der ehrbarn und redlichen beständigkeit abschwächen"2.25.
Krieg kann man nur in einer gerechten Sache führen. Sie haben also nicht nur die Ehre und die Reinheit ihres deutschen Namens zu wahren, der durch Wortbruch unrettbar befleckt würde, sondern auch die Ehre der ganzen Christenheit zu vertreten. Dies sind Argumente, die jedenfalls ein hohes sittliches Bewußtsein zeigen, wobei allein die Tatsache, daß solche Worte gesprochen werden konnten, beweist, daß ein solches Bewußtsein vorhanden war. Wie weit diese Gesinnung allerdings das tatsächliche Handeln beeinflußte, wird man wohl kaum mit Sicherheit feststellen können.
Das Vorgehen gegen Rudolf ist also nicht dem Bestreben entsprungen, durch Unterstützung des Schwächeren gegen einen Stärkeren von diesem größere Zugeständnisse zu erpressen. Die Stände konnten es verfassungsrechtlich — soweit dieser Ausdruck für diese Zeit schon gebraucht werden darf — begründen. Nachdem das erste Ziel erreicht worden war und sie dem tyrannischen Herrn nicht mehr unterstanden, galt es nun, die Früchte dieses Erfolges zu sichern.
Freilich verstanden Matthias und die Stände unter "verletzte Freiheiten" und "iusta et legitima res" jeder verschiedene Dinge. Mittelpunkt aller Freiheiten war in den Augen der evangelischen Stände die Religionsfreiheit und ihre Wiederherstellung, vor allem die ungestörte Ausübung der Augsburger Konfession war das erste und wichtigste Ziel, das sie in ihren Kämpfen erreichen wollten. Die "iusta et legitima res" bedeutete gar nichts anderes. Erst daraus entsprang eine Reihe von anderen Forderungen, zum Beispiel die Beseitigung des widerrechtlichen Instanzenzuges, die Wiederherstellung der gesetzlichen ersten Instanz (des Grundherrn), freie Wahl zu den städtischen Ämtern. "Der Kaiser hat um der Reformation willen sein Land verloren", sagte Erasmus von Tschernembl später, und in einer Rede vor dem ungarischen Reichstag erklärte er, die Österreicher hätten sich mit den Ungarn zum Schutze ihrer [Seite: 30] Religionsfreiheit verbunden2.26. Auch in den Verhandlungen mit Matthias kehrt dies immer wieder.
Es setzte nun ein zähes und erbittertes Ringen zwischen dem unnachgiebigen Matthias und den ebenso unnachgiebigen Ständen ein.
Anders aber war nun der Weg, den sie zur Erreichung dieses Zieles einschlugen. Der Grundsatz Calvins, die Kirchen sollten sich gegenseitig helfen gegen einen Angriff auf ihre Glaubensreinheit, hat sich in die Wirklichkeit umgesetzt. Zunächst schlossen die Adelsstände von Oberösterreich und Niederösterreich mit den oberösterreichischen Städten einen Bund, in dem sie sich zur gegenseitigen Unterstützung verpflichteten und beschlossen, nur nach Erledigung ihrer Gravamina und der Wiederherstellung ihrer Gewissensfreiheit zu huldigen. Sie gingen sogar soweit, die Wiederherstellung des evangelisch-kirchlichen Besitzstandes unter Maximilian zu verlangen. Im Feldlager vor Sterbohol pflogen die Abgesandten des Landes Ob der Enns und Unter der Enns, Ungarns und der Landeshauptmann von Mähren eine "vertrauliche Unterredung", in der sie festlegten: Ein jedes Land soll an die Huldigung die Bedingung knüpfen, daß sie der "verbindtnus der lande, in welcher unter den Worten qualemcumque ob causam iustam et legitimam fürnemblich auf die freyheit der gewißen und religionsexercitium gesechen worden, allerdings unnachteilig" sei. Im Falle einer "beschwärlichen irrung" soll jedes Land die unierten Länder "umb treuen rath und hülf ersuechen". Sie verpflichten sich auch, daß in solchem Fall kein Land das andere im Stiche lassen soll, sondern eher die Huldigung verweigern2.27.
In Sachen der Religion gab es also keine Unklarheit. Von vornherein fest entschlossen, nicht zu weichen, scheuten sie auch vor einem Krieg mit dem Landesherrn nicht zurück. Dies ermöglichte ihnen ein zielbewußtes Auftreten.
Es hatte sich aber — gegenüber ihren lutherischen Vorfahren 1578 — nicht nur ihre religiöse Einstellung, sondern auch die Rechtsanschauung geändert. Scharf formuliert prallten die entgegengesetzten Meinungen aufeinander. Die alte Streitfrage um die rechtliche Bedeutung der Erbhuldigung lebte von neuem wieder auf und wurde von jeder Seite eindeutig beantwortet.
In den Eingaben und Maßnahmen der Stände sind Gedankengänge deutlich spürbar, die wir heute mit dem Worte "Idee der Volkssouveränität" bezeichnen würden. Sie selbst gebrauchten dieses Wort natürlich nicht und wir haben auch keinen Beweis dafür, daß sie es gekannt haben. Aber die geistige Haltung entspricht verblüffend den zum Beispiel von Althusius entwickelten Gedankengängen. Dabei ist zu sagen, daß im Gegensatz zu dem, was wir heute unter "Volk" verstehen, in ihren Augen sie selbst, die Stände, das Volk darstellen2.28. Verhandlunqs- und vertragsberechtigt sind im wesentlichen nur sie selbst. Sie schließen also mit dem Herrscher den Vertrag ab, der ihm die Berechtigung zur Ausübung der Herrschaft überträgt. "Volkssouveränität" bedeutet also auch nicht, daß die ganze Volksgemeinschaft souverän ist, daß bei ihr die Herrschermacht liegt, sondern bei den Ständen. Aber: Jede Obrigkeit hat ihre Gewalt von Gott. Solange also dieser Gedanke noch lebendig war, [Seite: 31] solange sie den Herrscher als von Gott eingesetzt betrachteten, konnten sie auch nicht auf dem scharf ausgeprägten Standpunkt stehen, daß alle Gewalt vom Volke herrühre; das heißt von ihnen, den Ständen. Nur in dem Maße, als sie den Herrscher nicht als wahre, von Gott eingesetzte und anerkannte Obrigkeit betrachteten, sondern in ihm den Verfolger des reinen Wortes und den Tyrannen sahen; je mehr er also von dem Nimbus des Gottesgnadentums einbüßte, konnten sie die eigentliche Gewalt für sich selbst in Anspruch nehmen. Den letzten Schritt vollzogen sie noch nicht. Nur in diesem eng umgrenzten Sinn darf man das Wort "Volkssouveränität in diesem Zusammenhang und für diese Zeit gebrauchen.
Diese neuen Gedankengänge verbanden sich nun bei den Ständen mit der überlieferten Anschauung von Herrschaft und Recht. Nun erschien ihnen die Herrschaft begründet durch den Herrschaftsvertrag, einen Vertrag, den der antretende Landesherr und die Untertanen miteinander abschließen. Den Inhalt dieses Herrschaftsvertrages fassen sie aber ganz im Sinne des mittelalterlichen Staates auf, in dem beide Teile Rechte und Pflichten haben. Schutz und Schirm des Herrn, dagegen Treue und Gehorsam der Untertanen. "Sintemal die göttliche und natürliche billigkeit erfordert, daß gleich wie die ständ und unterthanen sich gegen ihren angehenden landsfürsten und herrn zum gehorsamb — also auch hingegen der herr zum schutz; und sy beederseits gegeneinander zu vätterlicher und kindlicher treu und lieb sich verbinden sollen, allermaßen es anfangs zur zeit der aufgerichteten landregierungen und erster unterwerfung jeds orts zwischen herrn und unterthanen geschlossen und nach umbstand der zeit ... erleutert und von alter beweislich hergebracht und erhalten worden ... Dieweillen Ew. Königl. May. dasjenige, so ein jeder angehender Landsfürst ehe und zuvor dan er ainen gehorsamb und dienst von den ständen und unterthanen mit recht und billigkeit zu erfordern und zu laisten befuegt, more maiorum ... beweislich zu laisten albeg schuldig, — noch nicht vollzogen; noch die land und gehorsambste stende, wie es die Natur und eigenschafft neuer antretung der herrschaften land und regiment erfordert und in allen landen gebräuchig"2.29.
Die Erbhuldigung erscheint ihnen als solcher Herrschaftsvertrag. Da erst dieser Vertrag zur Ausübung der Herrschaft berechtigt, so kann kein Landesherr vor Empfang der Erbhuldigung eine rechtmäßige Gewalt ausüben. Zwischen dem Tod des einen Herrschers und der Leistung der Erbhuldigung für den folgenden besteht also ein vertragsloser Zustand, währenddessen die Herrschgewalt an die am nächsten hiezu Berufenen von selbst übergeht: an die Stände. In diesem Interregnum haben sie das Recht zur Ausübung aller landesherrlichen Befugnisse2.30.
Die Stände betrachteten nun die Zeit seit der Abtretung der Länder an Matthias als Interregnum. Bis zur Erbhuldigung für ihn verwalteten sie das Land; sie bestellten den Landeshauptmann, besetzten das landesfürstliche Schloß in Linz und taten überhaupt so, "als ob sie keinen Herrn hätten". Dies vollzieht sich wenigstens in Oberösterreich im Einklang mit dem Prälatenstand, ein Beweis, daß diese [Seite: 32] Auffassung nicht allein den evangelischen "Aufrührern" eigen war. Sie beriefen sich sowohl auf ihr altes Recht, als auch auf natürliches und göttliches Recht.
Das Interregnum wird erst durch die Erbhuldigung beendigt. Deshalb ist sie also auch nicht, wie die Gegner behaupten, eine bloße Zeremonie, eine formale Anerkennung der schon bestehenden Herrschaft. "Weil aber die rechten und derer lehrern davon vil anderst als de nuda confessione seu meris ceremoniis reden, et contractum inter magistratus et subditos nennen, — dardurch herr und unterthanen mit gleichen trauen und glauben gegen einander verbunden werden. Et quod non solum per naturam verum etiam divinis rationibus aequabilitas illa requiratur, ut eodem modo quo subditos domini fidelitatem praestant: eodem vicissim dominus subdito adstringatur, adeo ut si vel dominus vel subditus contra praestitam fidelitatem fecerit. merito male fidus ... censatur. (Wie der text geistlichen rechtem redet). Demnach die erbhuldigung ain heilige verbündtnus des herrn mit den underthanen und der underthanen mit dem herrn ist ... Wier niergunt erfragen kunnen, das irgent sich ein angeborner herr der regierung ohne vorgehunder laistung der erbhuldigung und pflicht gegen seinen anererbten underthanen unterfangen hätte"2.31.
Sofort erschien auch die alte Streitfrage wieder: Welcher Akt muß der erste sein, die Leistung des Treu- und Gehorsamseides von seiten der Stände oder die Bestätigung ihrer Rechte und Freiheiten durch den Landesherrn2.32? Nun vertraten die Stände geschlossen die Ansicht: Ihre Huldigung ist nur bedingt durch das vorhergehende Versprechen des Landesherrn, sie bei ihren Privilegien zu handhaben. Sie bewiesen mit Hinweis auf alte Landtagsprotokolle und Chroniken, daß es in Österreich seit jeher Sitte war, daß der Landesfürst zuerst sein Versprechen gab. Es waren also durchaus keine neuen Forderungen, die sie vertraten, außerdem nichts Ungebührliches2.33. Denn sie wiesen auf eine Reihe anderer Staaten hin — Frankreich, Burgund, Aragonien —, in denen dasselbe üblich sei.
So vertraten sie Auffassungen, die — aufgebaut aus Elementen der mittelalterlich-germanischen Staatsanschauungen, dem Verfassungsrecht des Feudalstaates und der naturrechtlichen Lehre von der Volkssouveränität, verbunden mit der calvinischen Widerstandslehre gegen die gotteslästerliche Obrigkeit und der Schutzpflicht für das reine Gotteswort — im schärfsten Widerspruch mit jenen des Landesfürsten standen.
Stellen wir schließlich alle Streitfragen dieses ganzen Zeitabschnittes zusammen, so ergeben sich folgende Ansichten, die die Stände immer wieder vertreten.
1. Durch die Religionskonzession Maximilians II. haben die Stände in Österreich freie Religionsübung erlangt und sie befinden sich damit in einer Ausnahmestellung gegenüber den Landständen in anderen Ländern des Deutschen Reiches. Die Grundsätze des Augsburger Religionsfriedens sind nicht mehr auf sie anwendbar. Die [Seite: 33] Konzession ist ein feierlich gegebenes und bestätigtes Privileg und keine vom Belieben des Landesherrn abhängige Gnade.
2. Die Auslegung der Religionskonzession durch den Kaiser widerspricht ihrem klaren Verstand. Sie ist also Unrecht, und die Stände sind verpflichtet, sich gegen ein solches Unrecht zu wehren.
3. Die adeligen Stände haben als evangelische Christen die Gewissenspflicht, sich ihrer bedrängten Glaubensgenossen anzunehmen. Zu diesen gehören vor allem die Städte, die sich außerdem durch langjährige ungehinderte Ausübung des Bekenntnisses das Recht dazu erworben haben. In verfassungsrechtlicher Hinsicht gelten die Städte als vierter Stand, nicht als Kammergut.
4. Die Freiheit der Religionsübung ist eine das ganze Land betreffende Angelegenheit des öffentlichen Rechtes, keine "Privatsache" der beiden Stände. Beschwerden über Verletzungen dieser Freiheit gehören so wie alle anderen Gravamina vor den Landtag, ja sie ist der höchste Seelenschatz und gehört deshalb an erste Stelle, vor Erledigung der Landesbeschwerden können aber keine Steuern bewilligt werden, am wenigsten also vor Erledigung der Religionsbeschwerden. Außerdem führt die Gegenreformation zum wirtschaftlichen Untergang des Landes und die Stände sind als "Volksvertreter" verpflichtet, solche Schädigung des Landes zu verhindern. Daraus ergibt sich die Behandlung auch der Religionssache als "politische Sache".
5. In bezug auf die Erbhuldigung: Jede rechtmäßige Gewalt und Herrschaft geht vom "Volke", das heißt von den Ständen aus und wird durch einen Vertrag zwischen Volk (Ständen) und dem Herrscher auf diesen übertragen.
6. Praktisch wird dieser Vertrag immer wieder zwischen dem neuen Landesherrn und den Ständen bei der Erbhuldigung geschlossen.
7. Vor der Leistung der Erbhuldigung an den neuen Herrscher, nach dem Tode oder Verzicht des alten, besteht im Lande ein "Interregnum". Die landesherrlichen Befugnisse üben in dieser Zeit die Landstände aus.
8. Erst die Erbhuldigung macht den "angeborenen Landesherrn" zum rechtmäßigen Herren des Landes, vorher hat er keine rechtlich begründete Herrschaft darin auszuüben.
9. Durch die Erbhuldigung übernehmen beide Vertragspartner, Herrscher und Stände (Untertanen) Verpflichtungen. Der Landesherr verspricht seinen Untertanen Schutz, diese ihm Treue und Gehorsam. Der verstoß eines jeden der beiden Vertragschließenden gegen eine solche übernommene Verpflichtung ist Vertragsbruch und enthebt auch den anderen Teil seiner Verpflichtungen.
10. Der Gehorsam der Untertanen ist bedingt und hängt davon ab, ob der Landesfürst den Vertrag eingehen will. Zuerst hat der Landesherr die Wahrung der Landesfreiheiten und der Privilegien der Stände zu beschwören. Dann erst sind die Stände zur Beschwörung von Treue und Gehorsam verpflichtet.
In allen diesen Punkten war man am landesfürstlichen Hof [Seite: 34] ungefähr der gegenteiligen Meinung. Der Kaiser überging die Religionskonzession und nahm auf Grund des Religionsfriedens für sich das Reformationsrecht in seinen Landen in Anspruch. Zugeständnisse bezüglich der Ausübung des Augsburger Bekenntnisses betrachtete er als besondere, jederzeit widerrufbare Gnade. Die Religionskonzession auszulegen ist infolgedessen Sache des Landesherren. Was nicht mit dieser seiner Auslegung übereinstimmt, ist Auflehnung wider seine landesherrliche Gewalt. Diese Ausübung ist außerdem ein adeliges Privilegium, die Städte haben als landesfürstliches Kammergut daran keinen Teil. Die Religionsübung ist folglich wiederum eine "Privatsache" der beiden Adelsstände, die sie mit dem Landesherrn auszumachen haben, und gehört nicht vor den Landtag. Am Landtag darf allein über die Steuerbewilligungen verhandelt werden.
Man billigte den Ständen durchaus kein Recht zu, die Herrschaft des Landesherren anzuerkennen oder zu bestätigen. Die Erbhuldigung ist kein Vertrag des Herrschers mit seinen Untertanen, sondern eine bloße Formalität. Unmöglich kann sie erst das Herrscherrecht des Landesherrn begründen, denn er übt es kraft Erbrecht aus. 1608 sind die Länder nicht durch den Tod des rechtmäßigen Herrn, wohl aber durch rechtsgültige Abtretung an den Nachfolger übergegangen. Es haben also auch die Stände kein Recht, von einem Interregnum zu sprechen. Geschichtliche Beispiele wurden auch von höfischer Seite herangezogen, aus denen die Ansichten der Stände widerlegt wurden, vor allem drehte es sich wieder um die Frage der Erbhuldigung. Die Stände seien Erbuntertanen, es ist daher ihre selbstverständliche Pflicht, die Huldigung zu leisten. Dabei haben sie gar keine Bedingungen zu stellen. Durch die Bestätigung der Privilegien gewinnt der Landesherr gar kein neues Recht am Lande, das er nicht schon vorher besessen hätte. Denn diese Bestätigung ist eine bloße Gnade des Landesherrn, da "diese confirmatio allain ain argument christlicher und milder regierung und gar nit ain condition ist, welche ainen landfürsten das geringste am land gäb"2.34. Wenn die Stände das nicht anerkennen, dann sind sie eben Rebellen; der Herrscher hat gar keine Verpflichtung, einen friedlichen Ausgleich herbeizuführen.
In einem Gutachten, das am landesfürstlichen Hof darüber erstattet wurde, entwickelte man diese Gedankengänge. Sein Verfasser weicht aber etlichen Grundfragen aus, zum Beispiel umgeht er die heikle Frage, ob die ständische Beschwerde vor der Erbhuldigung abgestellt werden müsse — wie die Stände behaupten. Er sagt dagegen, daß die vorgebrachten Beschwerden mutwillig und unbegründet seien. Ihr Recht zu Beschwerden bestreitet er also grundsätzlich nicht. Das ist ein Zeichen dafür, daß man auf seiten des Landesfürsten den Ständen ihre "alten Rechte" zu entziehen nicht gewillt war.
Die Forderungen der Stände nach Religionsfreiheit stießen auf ebenso große Schwierigkeiten. Matthias war wohl bereit, ben Ständen eine ähnliche allgemeine Bestätigung ihrer Privilegien zu geben wie seinerzeit Rudolf. Es ist anzunehmen, daß er dabei auch dieselben Hintergedanken hegte wie sein Bruder. [Seite: 35]
Aber die Stände waren durch ihre früheren Erfahrungen gewitzigt. Die Evangelischen verließen am 14. September 1608 den schon begonnenen Landtag zu Wien und übersiedelten nach Horn, das der Familie Puechheim gehörte2.35. Den ganzen Herbst dieses Jahres gingen die Verhandlungen hin und her, scharfe Schriften wurden gewechselt. Die Horner — wie man sie gewöhnlich nennt — verweigerten ganz entschlossen die Huldigung, bevor sie nicht eine befriedigende Erklärung erhalten hätten, die ihre Wünsche erfüllen könnte. Sie rechtfertigten dieses Verhalten mit der ganz offenen Erklärung, daß man sie oft genug betrogen habe und daß sie den Huldigungseid nicht leisten könnten, bevor sie genau wüßten, was für Verpflichtungen sie damit eingingen. "... haben die stände als ain ehr- und gewissenssachen billich hoch, gedenken dem, so wir pflichten, mit teutschem gemuet nachzukommen"2.36. Sie hielten an ihrer Weigerung fest, auch als ihre Lage ziemlich schwierig geworden war und als die katholischen Stände dem König schon gehuldigt hatten. Die katholische Ständegruppe Niederösterreichs stellte sich nämlich ganz auf die Seite des Landesfürsten, bei ihnen besiegte die Gemeinschaft der Religion das gemeinsame rein ständische Interesse.
Nun waren die Evangelischen auch entschlossen, im äußersten Fall mit bewaffneter Hand für ihre Sache einzutreten, den Kampf mit der gotteslästerlichen Obrigkeit in jeder Form aufzunehmen. Aber auch die Gegenseite blieb zunächst unversöhnlich. "Beide teille muesen eher sterben und verderben ..." als nachgeben2.37. Es kam aber trotz dieser bedrohlichen Lage noch einmal zu einem Ausgleich. Für die Horner Stände wurde die Lage gefährlicher, da ihre Verbündeten sie mehr oder weniger im Stiche ließen und nicht bis zum äußersten mit ihnen gehen wollten. Für Matthias hingegen war vor allem die feindselige Haltung Rudolfs bedrohlich, mit dem die Stände heimlich wieder in Unterhandlung getreten waren und der ihnen für die Wiederanerkennung nun seinerseits freie Religionsübung versprach. Nach wochenlangen erbitterten Verhandlungen, die unter Vermittlung des Landeshauptmanns von Mähren, Karl von Zierotin,geführt wurden, gab Matthias schließlich nach. Seine Lage wird treffend durch die Worte gekennzeichnet: "So konnte hochgemeldtem Könige hiebey wohl nicht anders als übel zu Muthe seyn"2.38. In der Kapitulations-Resolution vom 19. März 1609 gewährte er ihnen ihre Forderungen im weitesten Ausmaß. Es wurden zwar im wesentlichen die Bestimmungen der Religionskonzession bestätigt, aber eben so, wie die Stände sie auslegten. Das Wichtigste war, daß in einer eigenen Erklärung den Bürgern der Städte die Religionsfreiheit gewährt wurde; auch sollte in Hinkunft ein unparteiischer Gerichtshof alle konfessionellen und Besitzstreitigkeiten entscheiden.
Die Stände hatten damit so ziemlich alles erreicht, was sie wollten, und es handelte sich nun nur mehr darum, daß alle diese Zugeständnisse auch in die Wirklichkeit umgesetzt wurden. Dazu aber war die katholische Gegenseite von vornherein nicht bereit, schon einige Monate nach der Erbhuldigung — auf dem Landtag vom September 1609 — begannen die Streitigkeiten von neuem. Die Kapitulations-Resolution war gleichsam nur ein Waffenstillstand. Der Kampf hörte [Seite: 36] in den folgenden Jahren nicht mehr auf, bis nach dem Tode des Kaisers Matthias der Bruch mit dem katholischen Fürstenhaus von den evangelischen Ständen der beiden Länder endgültig und unversöhnlich vollzogen wurde.
NB. = Nationalbibliothek.
NÖLA. = Niederösterreichisches Landesarchiv.
OÖLA. = Oberösterreichisches Landesarchiv.
StA. = Haus-, Hof- und Staatsarchiv.