Zur Person des Verfassers: Wikipedia-Artikel.
Vorlage der Transkription: Sonderdruck aus dem Archiv für österreichische Geschichte (Bd. LXXXVII, I. Hälfte, S. 113) separat abgedruckt. In Commission bei Carl Gerold's Sohn Wien [Seite 115]
Der Plan zu dem vorliegenden Aufsatze reifte in mir gelegentlich meiner Vorstudien zu einer Geschichte der Gegenreformation in Niederösterreich unter Kaiser Rudolf II. Eine monographische Behandlung der religiösen Bewegung in diesem Lande unter seinem Vorgänger Kaiser Maximilian II. hätte ja von vorneherein nach den in letzter Zeit erschienenen gründlichen Arbeiten von Otto3.1 und Hopfen3.2 wenig erfolgreiche Aussichten eröffnet. Die Beiden haben in harmonischer Weise gerade jene Lücken ausgefüllt, welche Wiedemann's "Geschichte der Reformation und Gegenreformation im Lande Oesterreich unter der Enns" offenliess. Ich denke gewiss nicht daran, die Verdienstlichkeit dieses Werkes, welches mit ebenso vielem Fleiss wie Liebe zum Gegenstand gearbeitet ist und durch die Fülle des darin gebotenen Materiales zugleich mit dem alten, aber noch immer nicht veralteten Werke von Raupach3.3 ein überaus nützliches Handbuch für den Forscher bildet, in Abrede zu stellen. Das reichhaltige fürsterzbischöfliche Consistorialarchiv in Wien zum ersten Male in umfassender Weise wissenschaftlich verwerthet zu haben, ist und bleibt sein unbestrittenes Verdienst. Ausser diesem Archiv benützte Wiedemann noch, wie er selbst in seinem Vorworte bemerkt, "das nicht minder wichtige und reichhaltige Klosterrathsarchiv, das Archiv des niederösterreichischen Regimentes (!), das niederösterreichische Lehensarchiv und die Passauer Acten in der Registratur der k. k. Statthalterei von Niederösterreich", das ist also etwas [Seite 116] kürzer und verständlicher ausgedrückt: das k. k. Archiv für Niederösterreich (damals noch die Registratur der k. k. niederösterreichischen Statthalterei). Er verwerthete übrigens auch noch andere Archive, wie z. B. das des k. u. k. Reichs-Finanzministeriums in Wien, die er hier aus unbekannten Gründen verschweigt; dagegen hat er aber ein ungemein wichtiges und grosses Archiv vollständig ausser Acht gelassen: das niederösterreichische Landesarchiv in Wien, welches, um in der Wiedemann'schen Ausdrucksweise zu bleiben, das Prälaten-, Herren- und Ritterstandsarchiv enthält und bei der hervorragenden Einflussnahme der Stände auf die Entwicklung des Protestantismus in Oesterreich sicherlich der Benützung werth gewesen wäre. Ebenso hätte es sich wohl der Mühe verlohnt, den Acten der ehemaligen k. Hofkanzlei nachzugehen und zu diesem Zwecke die Archive des k. k. Ministeriums für Cultus und Unterricht, des k. k. Ministeriums des Innern und vor Allem das k. u. k. Haus-, Hof- und Staatsarchiv in Wien in den Bereich der Forschung zu ziehen.
Es war daher eine sehr willkommene That, als Otto zehn Jahre nach dem Erscheinen des ersten Bandes das niederösterreichische Landesarchiv und Hopfen 16 Jahre später namentlich die drei anderen genannten Archive zur Forschung heranzog, und somit die Geschichte der religiösen Entwicklung in Oesterreich unter Kaiser Maximilian II. abgeschlossen erschien.
Ich war nun bestrebt, Wiedemann's Geschichtswerk auch für die Zeit seines Nachfolgers entsprechend zu ergänzen. Weil aber gleich aus seinen ersten Regierungsjahren wichtige Verhandlungsacten der Stände, welche Raupach im zweiten Theil anführt und verwerthet hat, in dem niederösterreichischen Landesarchive vollständig abgehen, war ich gezwungen, diesen näher nachzuforschen. Er schöpfte die Kenntniss derselben aus blossen Ueberschriften, die er in einem Index verzeichnet fand, über den er sich auf S. 200 (Anm. f.) wie folgt äussert : "Durch geneigte Communication eines unsterblich verdienten Theologi unserer Kirchen habe einen Indicem oder Register über ein sogenanntes grosses Religionsbuch in Ms. erhalten, aus welchem zu ersehen, dass in diesem Volumine Ms. die Documenta von den vornehmsten Religions-Handlungen. so zwischen den k. Hof und denen evangelischen Ständen in Nieder-Oesterreich von anno 1571 [Seite 117] bis 1590 inclusive vorgefallen, enthalten sind und überall 786 Seiten, in Folio geschrieben, ausmachen. Anderweitig sind wir von gewisser Hand versichert worden, dass dieses Volumen von dem vormaligen Herrn Besitzer desselben vor vielen Jahren an dem Landhause zu Wien verschenket sei und daselbst annoch verwahrlich auf behalten werde." Dieses Religionsbuch zu erlangen, erschien mir als nächste Aufgabe. Nachdem es in der Manuscriptensammlung der niederösterreichischen Landesbibliothek nicht zu finden war, forschte ich in einigen österreichischen Stiftsbibliotheken nach, doch vergebens. Endlich fand ich dasselbe in der k. k. Hofbibliothek in Wien, wo ich es ursprünglich nicht vermuthet hatte, da ich annehmen konnte, dass sonst Wiedemann, der mehrere Handschriften derselben citirt, dieselben also in ihrer Gesammtheit gekannt haben müsste, gewiss darauf gestossen wäre und es wenigstens genannt hätte. Es ist dies der Codex Nr. 8314: Ducenta quinque acta, decreta, resolutiones, instructiones, supplicationes etc. inter Maximilianum II. et Rudolphum II. imperatores et ordines austriacarum ditionum aliosque tam in materia religionis praesertim quoad exercitium Augustanae confessionis in urbe Vienna ab ordinibus identidem postulatum, ab imperatoribus semper denegatum, quam aliorum incidentium negotiorum mutuo exhibitae, ab anno 1570 usque ad annum 1590; germanice (Jur. civ. 12) ch. XVI. 788 fol." Wann und wie dieser Codex, der zweifellos in der ständischen Kanzlei verfasst und dort auch aufbewahrt worden war, in die Hofbibliothek kam, konnte ich nicht ermitteln.
Auf diese Art sah ich mich wider Erwarten in dem Besitze eines überaus interessanten Materiales über die letzten Regierungsjahre Kaiser Maximilians II. (1570 — 1576), das durch die Acten des k. u. k. Haus-, Hof- und Staatsarchivs eine ungeahnte Bereicherung erfuhr, indem nämlich einige über Auftrag Kaiser Rudolfs II. von der Wiener Hofkanzlei verfasste und auf ein gründliches Studium der dort vorgefundenen Religionsacten zurückgreifende Berichte über die Verhandlungen mit den evangelischen Ständen, beziehungsweise über die Berechtigung der von ihnen erhobenen Ansprüche manche bisher unbekannte Quellen aus der Zeit seines Vorgängers theils im Original oder in Abschrift beigeschlossen, theils inserirt enthielten. Da überdies zu der Arbeit Otto's, der in die Acten[Seite 118] des niederösterreichischen Landesarchivs selbst nicht Einsicht nahm, sondern nur die von dem gewesenen niederösterreichischen Landesarchivar Karl Denhart (gest. 1876) mit erstaunlichem Fleiss und Gewissenhaftigkeit gearbeiteten "Excerpte aus den in der niederösterreichischen Landschafts-Registratur vorhandenen evangelischen Religionsschriften von 1421 — 1637" benützte, Manches nachzutragen oder zu berichtigen war, glaubte ich mich berechtigt, diesem für unsere Landesgeschichte so bedeutungsvollen Abschnitt eine selbstständige Darstellung zu widmen.
Zum Schlusse fühle ich mich gedrungen, dem Herrn Director der k. k. Hofbibliothek, Hofrath Dr. Heinrich Ritter von Zeissberg, dessen gütiges Entgegenkommen es mir ermöglichte, den Codex im Landesarchiv benützen zu können, meinen ehrfurchtsvollsten Dank auszusprechen, ferner der liebenswürdigen Bemühungen der Herren Dr. Anton Mayer, Landesarchivar, und Johann Paukert, Haus-, Hof- und Staatsarchivar, dankend zu gedenken.
Wien, im Jänner 1899.
Dr. Victor Bibl. [Seite 119]
Zu Beginn des Jahres 1526 hatten die Stände des Erzherzogthums Oesterreich unter der Enns im Vereine mit den anderen österreichischen Erbländern dem Erzherzog Ferdinand auf einem für den 11. November 1525 nach Augsburg einberufenen Ausschusslandtag7.1 zum ersten Male7.2 um die Zulassung der evangelischen Lehre gebeten. Die Erhebung der Bauern in Tirol und die auf dem Innsbrucker Landtag vom Erzherzog gemachten Concessionen bildeten die äussere Veranlassung. "Dieweil allenthalben," lautet es in ihrer Beschwerdeschrift vom 16. Februar, "bei dem gemeinen Mann geacht und dafür gehalten, als ob ihnen das heilige, wahre, lautere Gotteswort nit klar und wie der Text vermag, durch die Prediger und Priester mitgetheilt und gepredigt werde, die dann auch vergangner Empörung an etlichen Orten nit kleine Ursach geben hat, demnach ist der getreuen Erbland unterthänigste Bitt, dass E. F. D. in den österreichischen Erblanden durch die Prediger und geschickten Priester das heilige, wahre Gotteswort und Evangelium klar, lauter und rein, ohne allen Zusatz und ohne alle [Seite 120] Forcht oder Sorg uns auf weitere Ordnung auf nächstkunftigen Reichstag oder auf ein gemein Consilium dem Volk zu predigen und zu verkündigen gnädigst zulassen, damit die Speis derselben (die allein das Gottwort ist) niemands verhalten noch entzogen werde, wie denn E. F. D. solches derselben E. F. D. fürstlichen Grafschaft Tirol unterthänigsten Landleuten gnädiglich zugeben und bewilligt hat."8.1 In der Schlussantwort vom 1. März hatte sich der Erzherzog auf die Reichstagsabschiede von Worms, Nürnberg und Augsburg und die von ihm sowohl als dem Kaiser ausgegangenen Religionsedicte, von denen er auch jetzt nicht abzugehen gewillt wäre, berufen und das der Grafschaft Tirol gemachte Zugeständniss als im Einklange mit diesen geschehen hingestellt, indem er allerdings dem genannten Lande "das Evangelium wie der Text anzeigt zu predigen["], gestattet, doch die Bedingung daran geknüpft hätte, "dass kein Prediger das zu Aufruhr und Ungehorsam auslege". Er habe daher, fügte er hinzu, auch gegen das Predigen des Evangelii "obangezeigter Meinung" in den übrigen Ländern nichts einzuwenden.8.2 Wie sich Ferdinand diese Verkündigung des Evangeliums vorstellte, bekundeten seine bald darnach ausgegangenen scharfen Mandate. Im Jahre 1532,8.3 also nicht gar lange nachdem der Protestantismus durch die Uebergabe des evangelischen Glaubensbekenntnisses auf dem Reichstage zu Augsburg eine staatsrechtliche Bedeutung gewonnen hatte, waren die Stände auf dem Innsbrucker Ausschusstage neuerdings um die Bewilligung zur Verkündigung des "klaren Wort Gottes ohne allen menschlichen Zusatz" eingeschritten.8.4 Aehnliche Petitionen waren dann 1541 durch eine ständische Deputation der fünf niederösterreichischen Erbländer zu Prag8.5 und 1548 zu Augsburg, [Seite 121] endlich 1554-1558 und 1562-1567 auf den unter-der-ennsischen Landtagen zu Wien erfolgt, doch immer vergebens.121.1 Auch Maximilian II., dessen Regierungsantritt die Protestanten mit grossen Hoffnungen erfüllte, hatte ihr Begehren um Freigabe der Augsburgischen Confession stets abgeschlagen.
In Maximilians religiöser Haltung war nämlich nach aussen hin zu Beginn der Sechzigerjahre ein merklicher Umschwung erfolgt. Hatte man früher, namentlich seit dem Jahre 1556 sogar an die Möglichkeit seines offenen Uebertrittes zum Protestantismus gedacht, so war man jetzt in eingeweihten katholischen Kreisen darüber beruhigt. Maximilian war mittlerweile zur Einsicht gelangt, dass er gut daran thue, mit seinen von der katholischen Kirche abweichenden Anschauungen nicht mehr so offen wie früher hervorzutreten und mit den katholischen Mächten in gutem Einvernehmen zu leben. Es waren zunächst dynastische Interessen, die ihn zu diesem Verhalten drängten: die Aussicht auf die römische Königswahl, auf die Vermählung seiner Töchter mit dem spanischen Thronfolger Don Carlos und mit dem König von Portugal, später bei der immer klarer zu Tage tretenden Regierungsunfähigkeit des Ersteren auch auf die Nachfolge seines Sohnes Rudolf in Spanien. Ausserdem aber — und dieses Moment muss ganz besonders hervorgehoben werden — hatte er im December 1561 vom Papste Pius IV. die päpstliche Dispens für die geheime Communion unter [Seite 122] beiderlei Gestalten erlangt; es war somit für ihn der wichtigste Grund zum Austritte aus der alten Kirche weggefallen.122.1
In gleicher Weise dachte er auch nicht daran, in seinen Erbländern die Lostrennung der evangelisch gesinnten Unterthanen von der römisch-katholischen Religion, die Bildung einer separaten protestantischen Kirche zu fördern oder auch nur zu dulden, sondern bestrebte sich vielmehr, eine alle Unterthanen, Katholiken und Protestanten gleichmässig bindende Ordnung herzustellen, an die sie sich in der Lehre und im Gottesdienst zu halten hätten;122.2 in diesem Sinne hatte er sich auch bei dem Papste um die Gestattung des Laienkelches und der Priesterehe bemüht. Von einer Freigabe der Augsburger Confession aber war bisher nie die Rede gewesen. Um so unerwarteter musste es daher erscheinen, als Maximilian am 18. August 1568, dem Tage der Landtagseröffnung, dem Drängen der zwei Stände der Herren und Ritterschaft nachgab und ihnen unmittelbar nach der Verlesung der Landtagsproposition, nachdem die anderen zwei Stände der Prälaten und Städte abgetreten waren, die Religionsconcession ertheilte. Noch im Jahre 1566 hatte er die beiden Adelsstände auf die ihnen zugesicherte Vollendung seines Reformationswerkes vertröstet und am Ende des nächsten Jahres durch eine aus weltlichen und geistlichen Personen zusammengesetzte Commission einen Entwurf zu einer kirchlichen Vereinigung ausarbeiten lassen, dem dann die Berufung des bairischen Propstes Eisengrein und des Protestanten Camerarius folgte.122.3
Nun that er einen Schritt, welchen man vielfach als eine vollständige Schwenkung in seiner religiösen Politik bezeichnet hat, doch mit Unrecht. Was ihn veranlasste, seinem schon unter Kaiser Ferdinand angefangenen Religionswerke vorzugreifen, war keineswegs die resignirte Erkenntniss, dass seine langjährigen Bemühungen an den unüberbrückbaren Gegensätzen der Katholiken und Protestanten scheitern müssten — den Gedanken an eine Einigkeit im Glauben und in der [Seite 123] Lehre, an eine alle Länder und Unterthanen bindende Religionsordnung hatte er damals trotz aller traurigen im Reiche gemachten Erfahrungen noch nicht aufgegeben — : es war vielmehr wirklich die bitterste Noth. Man darf ihm glauben, was er seinem Bruder Erzherzog Ferdinand bald darnach schrieb, dass es "wider seinen Willen" und "aus äusserster unumgänglicher Nothdurft" geschehen sei.123.1 In der erwähnten Landtagsproposition ersucht der Kaiser die Stände um die Uebernahme der hauptsächlich durch die vielen Türkenkriege123.2 verursachten Hofschulden in der beträchtlichen Höhe von 2,000.000 fl. und Abzahlung derselben sammt den auflaufenden Interessen innerhalb eines Zeitraumes von 10 Jahren, damit der Hof wieder in den Stand gesetzt werde, seine verpfändeten Kammergüter auszulösen und seinen Haushalt ohne fernere Anlehen zu bestreiten.123.3 Die Stände bewilligten auch ohne langes Zögern und die üblichen Abstriche am 22. September eine Summe von 2,500.000 fl., die sie jedoch auf unbestimmte Zeit zu zahlen versprachen.123.4 Man erkennt hier unschwer einen causalen Zusammenhang. Es war auch gar kein Geheimniss: der Cardinal Commendone sagte es dem Kaiser in seiner ersten Audienz ganz unverhohlen, wie sehr es dem kaiserlichen Ansehen schaden müsse, wenn die Lutheraner dann behaupten würden, sie hätten die Religionsconcession um Geld erworben.123.5 Obwohl es gewiss nichts Befremdendes auf sich hat, wenn die Stände für die Uebernahme einer so bedeutenden, aussergewöhnlichen Leistung auch ihrerseits ein Zugeständniss verlangten, mochte [Seite 124] der Kaiser doch das Verletzende dieses Vorwurfes gefühlt haben, und wir verstehen, was seine Seele bewegt haben musste, wenn er seinem Bruder Erzherzog Karl den Rath ertheilt, er möge die Landtagsverhandlungen bei den steirischen Ständen so einrichten, dass die Stände "die Gränz- und Schuldenhilfen nit in den Religiontractat oder den Religiontractat in die Hilfen vermischen, auf dass es weder I. F. D. noch der Stände theils bei fremden das schimpflich Ansehen nit habe, als ob mit der Religion Kaufmannschatz getrieben und dieselbe um Geld verkauft werde".124.1 Die evangelischen Stände machten auch wirklich gar kein Hehl daraus, dass sie die Religionsfreiheit mit schwerem Gelde erlangt hätten. Durch ihre Bittschriften, die sie an Maximilians Nachfolger Kaiser Rudolf II. und dessen Statthalter Erzherzog Ernst zum Zwecke der Wiederherstellung des Religionswesens in der Stadt Wien richteten, schlingt sich dieses Argument, als alle anderen versagten, wie ein rother Faden hindurch.124.2 Als im Jahre 1604 zwischen den katholischen und protestantischen Ständen ein schwerer Conflict ausgebrochen war, beschwerte sich der katholische Herrenstand in einer Eingabe an den Erzherzog Mathias: "Dann erstlich ist die unheilsame und schädliche Concession denen unseligen Supplicanten deswegen bewilliget worden, dass sie entgegen 2,500.000 fl. für Kaiser Maximilian secundo zu zahlen über sich genommen; da wir nun der Sachen nachschlagen, befindet sich, dass unsere Vorfordern und wir Katholische drei Theil, also drei doppelt einer Confession, so unserm Gewissen zuwider und die noch heunt zu unserer Unterthanen Verderben gereichet, bezahlen und erkaufen müssen, da doch I. M. persuadirt worden, solches alles käme allein von unkatholischen Particulargliedern her, wie dann heunt zu Tag solche lutherische Ständ in allen ihren Religionsschriften, als hätten sie die Concession so theuer erkauft, I. M. fürwerfen und dieselb ihrem Unfug längers zuzusehen persuadiren wollen."124.3
Man wird es auch begreiflich finden, dass seine arge finanzielle Bedrängniss, die gerade in diesem Jahre ihren [Seite 125] Höhepunkt erreichte,125.1 ihn das Bedürfniss fühlen liess, in einem guten Einvernehmen mit den zwei mächtigen Adelsständen zu leben, die ja doch — nach dem bisherigen Verlauf der Ereignisse zu schliessen — nicht mehr von ihren Forderungen abzubringen waren und umsomehr ein Entgegenkommen von seiner Seite beanspruchen konnten, als von dem neuen Papste Pius V. nicht das geringste Zugeständniss zu erwarten stand, derselbe vielmehr die von seinem Vorgänger erfolgte Bewilligung des Laienkelches wieder zurücknahm.125.2 Wenn auch damals noch gar keine Anzeichen einer gewaltsamen Erhebung der Stände vorhanden, und diese nicht einmal noch bei dem Mittel der Steuer-Verweigerung angelangt waren, so mochte der Kaiser doch unter dem frischen Eindrucke des niederländischen Aufstandes mit der Möglichkeit einer solchen rechnen, jedenfalls aber daran denken, dass auch ihre Opferwilligkeit bei beständiger Abweisung ihrer Bitten einmal eine Grenze haben würde. So kam es also, dass er sich mit den Ständen, als diese vor der Eröffnung des Landtages ein namentlich unterzeichnetes Gesuch um die Bewilligung öffentlicher Religionsübung nach der Augsburger Confession überreichten, in Unterhandlungen einliess, welche nach einer persönlichen, am 17. August abgehaltenen Vorbesprechung zur Ertheilung der Concession führten.125.3
Man hat bisher von dem Inhalt der Religionsconcession sehr wenig gewusst,125.4 zumal da auch die Landtagsverhandlungen keinen Aufschluss darüber gaben; den authentischen Text kannte man jedenfalls nicht. Glücklicherweise ist uns der des Conceptes durch die Berichte der kaiserlichen Hofkanzlei über die zwischen dem Hof und den evangelischen Ständen vom [Seite 126] Mai 1578 bis März 1579 geführten Verhandlungen, welche auf ein gründliches Quellenstudium zurückgehen, erhalten worden.126.1 Derselbe lautet wie folgt:
"Nachdem I. k. M. etc. mit Vergünstigung der Augsburgischen Confession gern nach Möglichkeit gewähren wollten, dass darauf I. k. M. etc. gleichwohl nit ungewillt, beiden anrufenden zweien Ständen von Herrn und Ritterschaft mit gebürender Mass in ihren Schlössern, Häusern und Gebieten auf dem Land die vielbemelte A. C. Kaiser Carl hochlöblichister Gedachtnus zu Augsburg anno 30 übergeben und kein andere durch gnädigste Geduldung nachzusehen und zuzulassen, wofern man sich anderst zuvor der gottseeligen Ceremonien und Rituum halben ungefärlich nach dem Gebrauch der ältesten Kirchen solcher Confession zugethan und wie es bald nach Verfassung derselben zum meistenteil gehalten worden, vergleichen könnte. Dabei dann I. k. M. kraft der Wort (mit gebürender Mass)126.2 etliche sondere Articl und Conditiones verfassen und jetzt angeregter Antwort beilegen lassen, des Inhalts:126.3
"Dass erstlichen sich solche Nachsehung allein auf die Augsburgerisch Confession anno 30 übergeben und durch dieselben zween Ständ in ihren Schlössern, Häusern und Gebieten auf dem Land exerciert werden soll. Zum andern, dass ihre der zween Ständ Kirchendiener sich allein derselben Confession, Lehr und Ceremonien gleich halten, darauf Zusag, Gelübd und Versprüchnus thun sollen, ausser dessen I. k. M. sie in ihren Königreichen und Erblandendition nit leiden wollen. Zum dritten wollten ihnen I. k. M. die Stätt und Märkt als dero eigen Kammergut bevorbehalten haben und denselben sondere Mass und Ordnung nach dero christlichem Gutachten geben etc. Zum vierten könnten I. k. M. den zweien Ständen von Herrn und Ritterschaft ihrem öftern Begehrn nach in dero [Seite 127] landesfürstlichen Haupt- und Residenzstadt Wien ein sondere offne Kirchen, Kanzel und Predigstuhl nit vergönnen, einräumen oder bewilligen, sondern sollen sich an obstehenden benügen und I. k. M. des Predigstuhls halben verschonen mit Ausführung der Ursachen, warum es sonderlichen zu Wien, da I. k. M. dero k. Gemahel und Kinder Hofhaltungen, auch das Zureisen von allen Orten der Christenheit wären, nit sein, es auch I. k. M. gar nit thun könnten. Fürs fünfte, dass die zween Stände und ihre Kirchendiener die katholischen Personen, ihre Religion und Güter nit verachten, schmähen oder sonst beleidigen. Und fürs sechste, dass ihre der zween Ständ Kirchendiener sich alles Drucks und Bücherschreibens in und ausser Lands enthalten sollen."127.1
Dieses Schriftstück, auf welches sich die Hofkanzlei berief, war von dem zweiten Vicekanzler Dr. Johann Ulrich Zasius127.2 verfasst127.3 worden und bildete die Grundlage zur späteren, näher ausgeführten "Hauptresolution", über die in den beiden Berichten vollständig geschwiegen ist, von der uns aber einige Bruchstücke überliefert sind.127.4[Seite 128]
Es wird in derselben betont, dass durch diese Concession die katholische Kirche keinen Schaden erleiden sollte, und deshalb "ernstlich" befohlen, dass "nach diesem Zulassen und Nachsehen die beiden Stände von Herrn und Ritterschaft sammt ihren Ministern, Prädicanten, Kirchendienern und Seelsorgern die alte katholische Religion und derselben Verwandte, hoch und niedern Stands, wer sie auch sein, nicht verachten, noch mit lästerlichen Scheltworten antasten, noch auch jemand derselben geistlichen und weltlichen sammt ihren Unterthanen einige Beschwärung der Religion halben zufügen, an ihren Gütern, Renten, Zinsen, Zehenten und allen anderen Einkommen, ausserordentlichen Rechten nichts entziehen, noch in ihren Possessionen zu turbiern oder auch sonst in anderweg weder an Leib und Gut beschweren, noch von den ihrigen zu beschehen gestatten, wie dann denselben in geist- und weltlichen Stand auch desgleichen gegen den andern auferlegt ... sei. Und neben dem fürnehmlich auch das bishero geübet schädlich und ärgerliche Schänden und Schimpfen in den Predigten und andern ihren Versammlungen gänzlich aufhören und weiter nicht geduldet werden sollen, gegen schwerer I. M. Ungnad und Straf nach Gestalt des Verbrechens und I. M. Erkanntnus gegen den Ungehorsamen zu verfahren". Die Ausübung des evangelischen Gottesdienstes wird ausdrücklich als ein Provisorium bezeichnet: "Wofern nun alles und jedes wie jetzt erzählt, nit allein in würkliche Richtigkeit gestellt, sondern auch von den zweien Ständen, so viel deren der Confession verwandt, denselben allein also getreulich und festiglich nachzukommen geloben, auch Assecuration darüber gethan würdet, so wollen alsdann I. k. M. aus den anfangs gemelten besondern milden Gnaden die mehrbestimmte A. C. von anno 1530 in denselben Buchstaben und Inhalt angeregten zweien Ständen, die es belangt, in dem Namen des Allmächtigen zulassen und nachsehen, so lang bis etwo seine ewig göttliche Allmächtigkeit durch die ordentlichen und christlichen Mittel eine [Seite 129] ganz gemeine Vergleichung derselbig Glaubenssachen in dem heiligen Römischen Reich deutscher Nation vermittelst seines hochheiligen Segens gottselig erlangt und getroffen oder aber I. M. wol angefangen Werk einer vollkommenen und gänzlichen Universal-Religion, Ordnung für Ihr Königreich, Erbfürstenthum und Land zu gewünschter Vollendung zukünftig bringen mögen."129.1
Das ist also der Inhalt der berühmten Religionsconcession, die ohne Zweifel im Einvernehmen mit den Ständen ausgearbeitet worden war und jedenfalls im Concepte bereits vorlag, als der Kaiser am 18. August den beiden Ständen die Erklärung abgab: "S. M. erinnere sich gnädig und väterlich ihrer oftmaligen Bitten um Gewährung der Augsburgischen Confession, sowie der von seinem Vater und ihm oft ernstlich in Aussicht gestellten allgemeinen Ordnung, wonach in allen Königreichen das Wort Gottes gepredigt, die heiligen Sacramente gereicht und die Ceremonien verwaltet werden sollten. Zu diesem Werke, das die Einheit der Religion wiederherzustellen bezwecke, seien schon zu Lebzeiten Kaiser Ferdinands von gelehrten Männern des geistlichen und Laienstandes die Fundamente gelegt. Schwere Kriege, sowie die Abhaltung von Reichs- und Landtagen hätten den Kaiser bisheran gehindert, das glücklich angefangene Werk zu vollenden. Auch jetzt noch machten sehr wichtige Geschäfte die schnelle Erledigung dieser Sache unmöglich. Im Hinblick auf die anhaltenden Bitten der Stände sei der Kaiser jedoch geneigt, ihnen entgegenzukommen, soweit er es vor Gott verantworten könne und die anderweitigen Interessen, auf welche er nothwendig Rücksicht nehmen müsse, es gestatteten. S. M. wollte ihnen daher in ihren Schlössern, Herrschaften und Dörfern129.2 die A. C. von 1530 und keine andere allergnädigst gestatten, wenn sie sich vorher über eine Ordnung der kirchlichen Gebräuche verglichen. So lange die Welt stehe, hätte es keine Religion ohne eine derartige Ordnung gegeben, welche das unerfahrene Volk zur wahren Frömmigkeit und zu christlichem Gehorsam aneifere. Die Confessio sei blos ein Lehrbuch, welches bei den Ständen des Reiches eine Reihe von Agenden nothwendig gemacht habe. Eine solche herzustellen, erachte [Seite 130] der Kaiser für das Nothwendigste, und er erkläre sich daher bereit, zu diesem Zwecke erprobte, friedliebende, leidenschaftslose Männer zu deputiren, welche unter dem Vorsitze eines Mitgliedes des geheimen Rathes mit den in gleicher Anzahl zu wählenden Deputirten der Stände die Agende vereinbaren sollten. Er zweifle nicht, dass die Deputirten fleissig arbeiten würden, so dass die Angelegenheit noch während des Landtages zum erwünschten Ende geführt werden könne."130.1
Diese Religionsfreiheit bezog sich ausdrücklich nur auf die zwei Stände der Herren und Ritter. Der vierte Stand blieb ausgeschlossen. Auf dem Landtage des Jahres 1566 hatte Maximilian II. den Abgeordneten der Städte und Märkte strengstens verboten, in Religionssachen mit den zwei oberen weltlichen Ständen zu gehen,130.2 und eine darauf erfolgte Beschwerde der Letzteren rundwegs abgeschlagen. Die landesfürstlichen [Seite 131] Städte und Märkte wurden damals ausdrücklich als Kammergut erklärt, über welches dem Kaiser das alleinige Verfügungsrecht zustünde.131.1 Daran wurde auch in dem Landtage 1568 nichts geändert. Aber nicht nur diese selbst, sondern auch — und das ist höchst wichtig — die darin befindlichen Häuser der Adeligen waren von der Concession ausgeschlossen. Das Merkwürdigste daran war aber, dass die zwei Stände, auch ihr Wortführer, keine Ahnung davon hatten, bis ihnen ein Jahr später — wie wir sehen werden — bei der Durchsicht der bezüglichen Verhandlungsacten die Augen geöffnet wurden.131.2 Die Fassung der an die Concession geknüpften Bedingungen131.3 hätte gewiss noch etwas klarer sein können; vielleicht aber war sie absichtlich etwas zweideutig gehalten. In diesem Falle hatte der Kaiser seinen Zweck vollkommen erreicht. Das den Worten "in ihren Schlössern, Häusern und Gebieten" angefügte "auf dem Land" (Punkt 1) bezogen die Stände offenbar auf die Gebiete allein. Und den 3. Punkt, dass sich nämlich die M. die Städte und Märkte als ihr Kammergut vorbehalten habe, konnten sie — wie sie das auch wirklich thaten131.4 — dahin deuten, dass dieselben im Sinne der früheren Decrete nicht in die Concession einbezogen werden sollten, diese vielmehr ausschliesslich für den Adel ertheilt sei; und zwar war diese Annahme um so berechtigter, als das im nächsten Punkte enthaltene Verbot des Religionswesens in der Residenzstadt Wien sich nur auf eine "besondere offene Kirche, Kanzel oder Predigtstuhl" bezog, somit also der Privatgottesdienst in den Häusern der Stadt Wien, sowie der öffentliche Religionsdienst in den anderen Städten und Märkten erlaubt erschien.
Die Stände gaben in dem guten Glauben, dass ihnen vollständige Religionsfreiheit gewährt worden sei, drei Tage später, am 21. August, "aus inbrünstigem Herzen" ihrer Freude und ihrem "höchsten, demüthigsten, unterthänigsten Danke" darüber Ausdruck, dass ihnen die Lehre und Religion nach [Seite 132] der Confessio Augustana "in ihren Schlössern, Häusern und Gebieten nun forthin frei und offenbar zu gebrauchen" gestattet sei. Von dem Zusatze "auf dem Lande" ist, wie man sieht, gar keine Rede mehr. Den vom Kaiser geäusserten Wunsch, den Religionstractat "noch in währendem Landtag zur gebürlichen Endschaft" zu bringen, beantworteten sie damit, dass sie auch ihrerseits von demselben Verlangen durchdrungen wären, sie hätten aber — und damit stellten sie sich und ihren Theologen gerade kein sehr schmeichelhaftes Zeugniss aus — "über fleissigs Nachgedenken und in gehabter Umfrag unter ihrem Mittl dergleichen Personen, die sich einer solchen hochwichtigen Handlung anmächtigen wollten, nicht befinden können, wissen auch die jenen, welche sie zu diesem Werk gelehrt und tauglich sein achten, in so kurzer Zeit nicht daher zu bringen". Sie baten schliesslich um eine Frist und um die Erlaubniss, sich mittlerweile bis zur Beendigung der Religionsconferenz einer der drei gedruckten Agenden, nämlich der Pfalzgraf Wolfgangschen, der Württembergischen oder der Strassburgischen bedienen zu dürfen.132.1
Der Kaiser antwortete den Ständen am 23. August, er könne nicht glauben, dass "unter der Gottlob so stattlichen Menge von beiden der löblichen Herren und Ritterschaft Stände so vieler geschickter, verständiger und wohlerfahrner Personen ein solcher Mangel und Abgang" sein könnte. Sie werden doch einen gelehrten Theologen im Lande haben, welchen sie zu den Verhandlungen deputiren könnten, so dass es füglich überflüssig sei, einen solchen erst aus dem Auslande kommen zu lassen. Es solle von ihm aus nichts übereilt, sondern Alles "wohlbedächtiglich" gehandelt werden. Den Gebrauch einer der drei vorgeschlagenen Agenden könne er mit gutem Gewissen nicht billigen, weil er sie noch nicht gesehen habe. Sie mögen sich daher bis zur Conferenz gedulden, in der dann nicht nur die erwähnten drei, "sondern auch mancherlei andere mehr christliche wohlberühmte Agenden, wie deren nit wenig in Druck [Seite 133] ausgangen, genugsam vorhanden", vorgenommen und miteinander verglichen werden könnten. Zum Schlusse ersucht sie der Kaiser väterlich, "sie wollten doch alle diese Gelegenheit und Umstände anderwärts und besser betrachten und zu Gemüth ziehen, nunmehr die Sachen, nach denen sie mit ihrem stäten flehentlichen Bitten und Rufen so lang und heftiglich gestrebet und geworben, selbst zu ihrem gewünschten Ziel und gebührenden wirklichen Fortgang fördern" und womöglich noch diese Woche zur Wahl ihrer Deputirten schreiten.133.1
Die Stände brachten hierauf am 26. August den Landmarschall Hans Wilhelm von Rogendorf und Rüdiger von Starhemberg aus dem Herrenstande, Leopold von Grabner und Wolf Christof von Enzersdorf aus dem Ritterstande, ferner den Universitätskanzler und Propst der Stiftskirche von Tübingen, Dr. Jakob Andreä, der ihnen "für einen trefflichen, gelehrten, christlichen, feinen Mann" gerühmt worden war, und den Grabner'schen Pfarrer in Rosenburg, Christof Reuter, in Vorschlag und baten ihrerseits um Bekanntgabe der kaiserlichen Deputirten.133.2
Die Wahl des Andreä, unstreitig eines der bedeutendsten Theologen seiner Zeit, als "Lutherus secundus" im ganzen Reiche bekannt, hatte wohl nicht viel Aussicht, vom Kaiser bestätigt zu werden. Denn trotz seiner unermüdlichen concordistischen Thätigkeit, die ihm auch von Seite des Kaisers zwei Jahre später dessen Lob eintrug, war er ein starr-orthodoxer Lutheraner und ein eingefleischter Gegner der Melanchthon'schen Partei, wodurch er sich von vorneherein in einen schroffen Gegensatz zu dem stark von Melanchthon und der Vermittlungspartei beeinflussten Kaiser stellen musste.133.3 Er hatte auch gegen das Leipziger Interim äusserst scharf gepredigt, und ausserdem wird seine heftige und leidenschaftliche Natur, die ihn z. B. auf dem Augsburger Reichstage des Jahres 1559 hinriss, den dortigen katholischen Domprediger während der [Seite 134] Predigt öffentlich zu schmähen, dem Hofe genügend bekannt gewesen sein.134.1
Der andere Theologe, Reuter, war insoferne gut gewählt, als er, obzwar auch ein entschiedener Lutheraner, doch damals bereits eine sehr gemässigte Richtung vertrat und eine Art von Mittelstellung zwischen den Parteien — namentlich später in dem Erbsündenstreit — einnahm.134.2
Mit dem kaiserlichen Decret vom 28. August bestätigte Maximilian II. die von den Ständen vorgeschlagenen Deputirten mit Ausnahme des Andreä, gegen dessen Annahme er ohne nähere Begründung "besondere Bedenken" zu haben erklärte, und empfahl ihnen dafür den Professor der Theologie zu Wittenberg, Dr. Paul Eber, oder den sächsischen Superintendenten und Prediger des gefangenen Herzogs Johann Friedrich von Sachsen, Mag. Ambrosius Roth. Gleichzeitig wurden die kaiserlichen Delegirten namhaft gemacht: der Bischof von Wr.-Neustadt,134.3 Christof von Carlowitz, Dr. Sigmund von Oedt, niederösterreichischer Regierungsrath, Lorenz Saurer, kaiserlicher Landschreiber, und Prof. Joachim Camerarius. Ein Theologe sollte noch ernannt werden. Zum Präsidenten wurde der erste Reichsvicekanzler Dr. Johann Baptista Weber bestimmt.134.4 Es waren also, wie der Kaiser besonders hervorhob, auch zwei Protestanten, allerdings der gemässigsten Richtung, die man sich nur denken kann, im Collegium: der namhafte Staatsmann Carlowitz134.5 und der Leipziger Humanist Camerarius,134.6 beide intime Freunde und Gesinnungsgenossen Melanchthons.
Die Wahl dieser zwei Vermittlungstheologen entsprach gewiss ganz der Gesinnung des Kaisers, nahm aber auf die [Seite 135] religiöse Richtung der Stände wenig Rücksicht, Bei diesen trat nämlich immer deutlicher und unverhohlener das strenge ultraradicale Lutherthum zu Tage, das durch die scharenweise aus allen Theilen des Reiches nach Oesterreich gewanderten orthodoxen Prediger rasch verbreitet worden war. Fanatische Hetzprediger waren es vor Allem, die wegen ihrer halsstarrigen Heftigkeit und ihrer dogmatischen Unduldsamkeit von dort vertrieben worden waren und nun unter der Maske des reinen und unverfälschten Lutherthums ihre giftigen Waffen gegen alle Andersgläubigen kehrten. Namentlich viele Parteigenossen des leidenschaftlichen Istrianers Matthias Vlacich ( Flacius Illyricus),135.1 welche die Streitsucht und Härte ihres Meisters, nicht aber seinen durchdringenden Verstand besassen, die allerextremsten unter den Gnesiolutheranern, waren nach dem unglücklichen Ausgange des "synergistischen" Streites und ihrer Vertreibung durch den Herzog Johann Friedrich von Sachsen, ihren einstigen Schutzherrn,135.2 in starker Anzahl hierher nach Oesterreich gezogen und daselbst mit Rücksicht auf den grossen Mangel an ordinirten Predigern mit offenen Armen aufgenommen worden.135.3 Chyträus konnte wohl ohne Uebertreibung sagen: "In Austria libertas religionis fere nimia est. Confluunt enim illuc impune omnes quacunque de causa ex aliis Germaniae locis dimissi."135.4 Die zwei Jahre vorher von mehreren Predigern in Oesterreich ausgegangene "Confessio oder christliche Bekanntnus des Glaubens etc." hatte bereits Farbe bekannt und der Abneigung gegen Melanchthon und seine Partei scharfen Ausdruck verliehen.135.5 Seither hatte diese Bewegung unter den österreichischen Predigern keineswegs abgenommen und obendrein bei einem grossen Theile der Stände festen Boden gefasst. Vor Allem waren es — wie wir in der Folge noch zu sehen Gelegenheit haben werden — die Religionsdeputirten selbst, wie der Landmarschall135.6 und [Seite 136] besonders Rüdiger von Starhemberg, dessen Gut Efferding in Oesterreich ob der Enns lange Zeit eine Hochburg des Flacianismus war,136.1 welche sich zur flacianischen Richtung bekannten und sie auf das Eifrigste begünstigten. Auf diese Weise pflanzten sich alle die erbitterten und langwierigen dogmatischen Streitigkeiten, die nach Luther's Tode die protestantische Partei in Deutschland im Innern durchtobten, und die masslosen Angriffe gegen Melanchthon und seine Vermittlungspolitik, die in dem unglückseligen Leipziger Interim einen markanten Ausdruck gefunden hatte, auch nach Oesterreich fort. Die orthodoxen Lutheraner waren es ja, die unter der geistigen Führerschaft des Flacius und Anderer Melanchthon beschuldigten, in den Interimsverhandlungen nicht nur in gleichgiltigen Dingen, sondern auch in fundamentalen Glaubensartikeln allzuviel zu Gunsten der katholischen Kirche nachgegeben zu haben und von dem reinen Lutherthum entweder nach der katholischen Seite, wie in der Lehre vom freien Willen und von den guten Werken, oder nach der calvinischen Seite in der Lehre vom Abendmahl abgewichen zu sein. Hauptsächlich der Abendmahlstreit, der im Jahre 1552 durch Westphal von Neuem ausgebrochen war, hatte eine tiefgehende Erbitterung gegen die Philippisten verursacht. Melanchthon hatte nämlich die lutherische Ubiquitätslehre verworfen und sich stillschweigend der calvinischen Abendmahlslehre angeschlossen. Das hatte zur Folge, dass Alles, was sich zur Fahne des radicalen Lutherthums bekannte, ihn und seine Anhänger, welche allmälig die beiden kursächsischen Universitäten Leipzig und Wittenberg beherrschten, als Kryptocalvinisten auf das Aergste befehdete. Da der Kurfürst August von Sachsen dem Corpus doctrinae Philippicum im Jahre 1564 gesetzliche Kraft in seinem Lande verliehen hatte, kann man sich die Abneigung der strengen Lutheraner gegen alle sächsischen Prediger erklären.136.2 [Seite 137]
Namentlich der Wittenberger Superintendent Paul Eber, der nach Melanchthon's Tode vielfach als das Haupt der Philippisten angesehen wurde, musste daher bei den ständischen Deputirten starke Opposition hervorrufen. Er hatte zwar bald darauf, wie sich dies auf dem Dresdener Convent (25. März 1563) geäussert hatte, seine ursprüngliche Zuneigung zur Genferischen Lehre theilweise aufgegeben und eine Mittelstellung zwischen Luther und Melanchthon eingenommen, die auch in seiner Schrift "vom h. Sacrament des Leibs und Bluts unseres Herrn Jesu Christi" zum Ausdruck kam; der Erfolg war aber nur der, dass er es sich mit den offenen und geheimen Calvinisten verdarb und ausserdem von den meisten Lutheranern als verkappter Calvinist misstrauisch angesehen wurde.137.1 Man wird es also begreiflich finden, wenn die ständischen Deputirten am 4. September dem Kaiser entgegneten: Eber sei "wie auch fast der meiste Theil der Wittenberger mit dem calvinischen Irrthum befleckt", und Roth habe in Sachsen "allerlei Unrath" angerichtet. Sie schlugen statt dessen neuerlich den Andreä oder den Magdeburger Superintendenten Dr. Johann Wigand, der "auch für einen gelehrten, christlichen, reinen, alten Theologum erkannt ist", vor.137.2 Den Kaiser musste der Vorschlag des Letzteren wie ein offener Hohn berühren, da Wigand bisher als einer der eifrigsten Mitstreiter des Flacius stets die lutherische Orthodoxie verfochten, gegen Eber eine Streitschrift verfasst hatte und wegen seiner leidenschaftlichen Angriffe gegen den Herzog Johann Friedrich zusammen mit Flacius am 9. November 1561 durch eine herzogliche Commission aus Weimar ausgewiesen worden war.137.3 Auf keinen Fall aber konnte er, der sich selbst gegen das Sectenwesen und besonders gegen die Ausbreitung des "calvinischen Giftes" ausgesprochen hatte,137.4 diesen Vorwurf ruhig hinnehmen. Er erwiderte daher am 9. September ziemlich scharf und spitzig: Es seien ihm die wider Eber seines Calvinismus wegen geäusserten Bedenken umso befremdlicher, als derselbe "durch ein sonder gedrucktes Tractätl wider die angeregte calvinische Sect stattlich und mit grossem Fleiss [Seite 138] geschrieben. I. k. M. glauben auch, dass weder der Kurfürst zu Sachsen noch seine Wittenbergische Schul und Kirchen gern geständig sein würden, dass daselbst zu Wittenberg der Calvinismus angeregtermassen überhand genommen". Auch von Roth habe er nie etwas Nachtheiliges gehört und wisse nicht, was das für ein Unrath sei, "es wäre denn, dass er sich wie viel andere und der grösste Theil aller Augsburgischen Confession verwandten Kurfürsten, Fürsten und Stände, Theologi etlichen wenig zänkischen Leuten, so sich in allen Landen einzuflicken und ihren unruhigen Samen sonderer Lehr und Austilgung guter und zulässiger Ceremonien einzuführen unterstehen, vielleicht auch widersetzt hatte". Die von den Ständen empfohlenen Theologen Andreä und Wigand könne er nicht approbiren, namentlich den Letzteren nicht, "dessen Abschied aus einer namhaften I. k. M. und des heiligen Reichs Stadt und daneben einem andern seinem Gesellen138.1 von dannen unruhiger und zum Theil aufrührerischer Lehren halben sehr schimpflich ausgeschafft worden, und anders mehr, so in dem ganzen Römischen Reich von solchem Wigando ruchbar, I. M. ganz unverborgen ist". Er könne nicht durch die Annahme solcher Theologen das ganze Religionswerk in einen Misscredit kommen lassen. Ueberhaupt komme es ihm "etwas fremd" vor, "dass solche beide Ständ sonst keine anderen Leut zu ihrem Theil benennen, als die bei dem meisten und grössten Theil der Augsburgischen Confession verwandten Kurfürsten, Fürsten und Ständen nit allein keinen Platz haben, sondern auch in einem nit guten Namen und Ruf seien. Damit aber die zwei I. M. getreue Stände spürlich abzunehmen, dass I. M. der Sachen zu gebürlicher, fürderlicher Fortsetzung je gern geholfen wissen wollten, so seien I. k. M. allergnädigst zufrieden, dass sie die zwei Stände aus den beiden Kurfürstenthümern Sachsen und Brandenburg, also auch aus Markgrafen Hannsen und Markgrafen Georg Friderichen, auch zu Brandenburg und dann aller Herzogen zu Braunschweig, Lüneburg, Mechlburg, item aller Herzogen zu Pommern, beider Herzogen zu Holstein, der beiden Fürsten von Anhalt, auch der vornehmsten See- und Hanse-Städt, als da sein Lübeck, Hamburg, Braunschweig, Rostok, Gosslau, Stettin, ja auch da sie wollten aus [Seite 139] den beiden Königreichen Denmerkt und Schweden einen oder mehr Theologen erkiesen und zu ihrem Theil namhaft machen". Nachdem der Kaiser so im Allgemeinen seinen Standpunkt gekennzeichnet hatte, empfahl er ihnen die beiden "vornehmsten Rostockischen Theologen", den Superintendenten Dr. Simon Pauli und den Professor der Universität, Dr. David Chyträus.139.1 Diese Auswahl war nicht schlecht, denn beide verfolgten, von Melanchthon ausgehend, eine gemässigte Richtung, ohne sich aber wie z. B. der vom Kaiser berufene Camerarius durch die Theilnahme an dem Leipziger Interim bei den Lutheranern verhasst gemacht zu haben. Besonders Chyträus (Kochhase), "der letzte der Väter der lutherischen Kirche", musste durch seine ansehnliche Gelehrsamkeit und reiche Erfahrung zu diesem Amte geeignet erscheinen.139.2
Die Stände erklärten am 11. September dem Kaiser, über diese beiden Theologen Erkundigungen einholen zu wollen. Ein kaiserliches Decret vom 16. d. M. ermahnte sie darauf zur Beschleunigung ihrer Wahl, damit sie bis zu Martini alle beisammen wären, indem er ihnen zu bedenken gab, wie schwer es ihm falle, die beiden aus dem Auslande bereits eingetroffenen Deputirten139.3 selbst nur bis dorthin, geschweige auf noch längere Zeit zu erhalten, "da doch der eine des Hin- und Wiederreisens über Land Alter und Blödigkeit halber nicht vermöglich".139.4 Die Stände entschlossen sich endlich für Chyträus, dessen Schriften ihnen besser als die des Pauli bekannt waren,139.5 und baten den Kaiser am 22. September um seine Vermittlung.139.6 Drei Tage später ergingen zwei kaiserliche Schreiben, das eine an die Herzoge Johann Albrecht und Ulrich von Mecklenburg, das andere an die Rostocker Universität mit dem Ersuchen, [Seite 140] Chyträus zur Verfassung einer Kirchenagende nach Wien kommen zu lassen.140.1 Wolf Christof von Mamming aus dem Ritterstande erhielt von den Ständen den Auftrag, nach Rostock zu reisen, dort persönlich anzuhalten und ihn nach Oesterreich zu geleiten.140.2
Es wird bei den Deputirtenwahlen die ungeduldige Hast aufgefallen sein, mit welcher der Kaiser das Zustandekommen des Religionstractates betrieb. Er sah offenbar bald nach jenem denkwürdigen 18. August das drohende Unwetter vom katholischen Lager her aufsteigen und wollte daher sein Vergleichungswerk noch vor dem Losbruche unter Dach und Fach gebracht wissen. Es liess auch nicht lange auf sich warten. Bereits zwei Tage später wusste der kaiserliche Hofprediger Eisengrein, der überhaupt von den folgenden Vorgängen am Hofe ziemlich gut unterrichtet war, diese überraschende Neuigkeit dem Herzog Albrecht von Baiern zu melden. Der Hofrath Dr. Georg Eder hatte es jenem "mit weinenden Augen" angezeigt.140.3 Eisengrein wollte sofort Audienz bei dem Kaiser begehren, obwohl er das Gefühl hatte, dass sie nichts helfen würde. Als einzigen Ausweg erkannte er: während "sie mit Vergleichung der Ceremonien umgehen, das noch eine Zeit erfordern würde", sollte der Herzog und Erzherzog Ferdinand, nöthigenfalls auch der König von Spanien und der Papst "ein impedimentum darin machen; allhie ist gewisslich sonst niemand, der wehren kann"140.4 Maximilian beeilte sich, "dem böswilligen Geschwätz schlecht Unterrichteter" zuvorzukommen und seine That bei den massgebenden Persönlichkeiten zu rechtfertigen. Er schrieb in diesem Sinne an den Erzherzog Ferdinand, seinen spanischen Gesandten Adam von Dietrichstein und an den Gesandten in Rom, Prospero Grafen Arco, der überdies eine ausführliche Instruction mitbekam: er habe keinen anderen Ausweg gewusst, um noch [Seite 141] grössere Religionsspaltungen, das Einreissen der Secten und einen Aufstand der Stände zu verhüten.141.1 Man liess sich indessen nicht so schnell beruhigen. Wie man katholischerseits die Concession und ihre schwerwiegenden Folgen beurtheilte, bringt das ohne Zweifel bald darnach verfasste Gutachten des bairischen Kanzlers Simon Thaddäus Eck zu klarem Ausdruck, in welchem auch die vom Kaiser zur Entschuldigung vorgebrachten Gründe, als sei er zur Concession im Interesse der Ruhe und der Verhütung des Sectenwesens gezwungen worden, eine scharfe Zurückweisung erfuhren.141.2 Papst Pius V., dem Arco am 13. September die Botschaft hinterbrachte, war tief bewegt und klagte mit Thränen in den Augen, dass nunmehr die Religion zu Grunde gehen werde, da der Kaiser den Forderungen der Abtrünnigen nachgebe, und wies auf das verderbliche Beispiel für Frankreich und die Niederlande hin. Zwei Tage später erhielt Graf Arco den Auftrag, dem Kaiser zu melden, dass der Papst mit dem grössten Bedauern von diesem Zugeständniss Kunde erhalten habe, und dass er ihn beschwöre, seinem begonnenen Werke Einhalt zu thun.141.3 Man sprach schon davon, dass der Papst den kaiserlichen Botschafter in Rom verabschieden und den Nuntius am kaiserlichen Hofe abberufen wolle.141.4 Von allen Seiten drang man auf den Kaiser ein. Inzwischen hatte sich der Papst zu einem energischen Schritt entschlossen: er sandte den Cardinal Johann Franz Commendone nach Wien, damit er, wenn die Concession noch nicht ertheilt sei, Alles in Bewegung setze, sie zu vereiteln, im anderen Falle aber ihre Zurücknahme zu erwirken. Dieser schlaue und gewandte Diplomat, mit dem Maximilian II. einmal schon näher zu thun gehabt hatte, traf ungeachtet, dass ihn der Kaiser in Innsbruck zur Umkehr auffordern liess, in Begleitung des späteren Wiener Nuntius Johann Delfino und des Secretärs [Seite 142] Anton Maria Gratiani am 28. October in Wien ein.142.1 Wenn man im Allgemeinen die grössten Erwartungen auf das persönliche Einwirken des Cardinals setzte, so konnte sich Eisengrein, dieser scharfe Beobachter am Wiener Hofe, doch der leisen Besorgnis nicht erwehren, man werde sich unterstehen, "dem Cardinal mit guten Worten eine Nase zu machen, bis sie ihn wieder hinwegbringen".142.2 Eisengrein täuschte sich nicht. Commendone war wohl "ein geschwinder, listiger Vogel", aber Maximilian war diesmal noch listiger, und hatte er einst in Augsburg jenem gegenüber den Kürzeren gezogen, so zahlte er es ihm jetzt zurück. Der Kaiser versicherte ihn, dass er genau denselben Zweck verfolge wie die römische Curie, nur mit anderen Mitteln, und erklärte ihm schliesslich, er wolle die Religionsconferenz, da er gesehen habe, dass sie dem Papste "so heftig zuwider" sei, alsbald einstellen. Und wirklich wurde Camerarius nach Hause geschickt,142.3 die Stände entlassen und Carlowitz, der wieder erwartet wurde, abbestellt.142.4 Commendone berichtete jubelnd seinen Erfolg nach Rom. Dass aber Chyträus bald darauf in Oesterreich eingetroffen und in dem nahen Spitz a. d. Donau bereits an die Verfassung einer evangelischen Kirchenordnung geschritten war, und die Stände die beruhigende Versicherung erhalten hatten, dass die Verhandlungen fortgesetzt werden sollten, das hatte ihm der Kaiser wohlweislich nicht gesagt. Indess einen Zweck hatte das Auftreten des Commendone,142.5 namentlich aber die Einmischung des Königs Philipp, der mit der zwischen ihm und des Kaisers ältester Tochter Anna projectirten Heirat ein treffliches Mittel gewonnen hatte, Maximilian zur Nachgiebigkeit zu bewegen, doch erreicht: der Religionstractat kam nicht mehr zu Stande.142.6 Dem Kaiser war nach allen diesen Vorgängen, dem ganz ungeahnt heftigen Anstürmen der vereinten katholischen Mächte die Lust an der Fortsetzung [Seite 143] des Vergleichungswerkes gründlich vergangen. Er erkannte mit Wehmuth "einen grossen Unterschied zwischen der damaligen und jetzigen Zeit"; damit meinte er den früheren Papst Pius IV., "mit dem gut zu handeln gewest, der sich auch ganz tractabilem finden lassen", und seinen Nachfolger Pius V., der hingegen "eines solchen scharfen und heftigen Gemüths, wie die von männiglich bekannt ist, der auch in viel geringeren Ursachen als eines solchen Tractats wegen sich aufs Aeusserste irritiren liesse".143.1 Ueberdies mussten ihn auch die in den bisherigen Verhandlungen mit den Ständen über die Deputirtenwahl zu Tage getretenen religiösen Gegensätze unter diesen und die Anfeindungen, welche Camerarius von Seite derselben erdulden musste,143.2 an einem nur halbwegs gedeihlichen Ausgang der Conferenz verzweifeln lassen.143.3
Dagegen wurden jetzt die Verhandlungen ganz im Geheimen und in einem etwas geänderten Cours zwischen den ständischen Deputirten, denen Reuter zugezogen blieb, einerseits und einigen geheimen Räthen, sowie dem Kaiser andererseits gepflogen. Als Mittelsperson fungirte dabei der ebenso als Staatsmann wie als Gelehrter hervorragende geheime Rath Reichard Freiherr von Strein, der am Hofe in der nächsten Umgebung des Kaisers weilte und die Gnade, die er bei diesem in hohem Masse genoss, dazu verwandte, um sich seiner Glaubens- und Standesgenossen wärmstens anzunehmen und ihm im vertraulichen Zwiegespräch manches Zugeständniss an die evangelischen Stände herauszulocken. In kirchlichen Dingen gehörte er der Vermittlungspartei an und wird sich für manche Forderungen der Stände, namentlich später, als die radicalen Strömungen immer mehr die Oberhand gewannen, zweifellos mehr aus Standesrücksichten als aus innerer Ueberzeugung eingesetzt haben.143.4 [Seite 144]Seine ausführlichen Berichte, die er im Jahre 1571 gelegentlich der Uebersendung der Religionsassecuration144.1 und dann im Jahre 1578, als die Stände gegen die von Kaiser Rudolf II. verfügte Aufhebung des Religionswesens in der Stadt Wien Sturm liefen, über seine mit Kaiser Maximilian II. geführten geheimen Verhandlungen verfasste,144.2 lüften den Schleier, der bisher über den grössten Theil derselben gebreitet war.142.3
Als Chyträus am Tage der heiligen drei Könige des Jahres 1569 in Oesterreich eingetroffen war, hatte Christof Reuter über Aufforderung der ständischen Deputirten bereits eine Agende "als Fürarbeit zu künftiger Handlung" entworfen. Dieses Concept, das der Kaiser auf sein Begehren vom Landmarschall überreicht erhalten hatte, scheint keineswegs seine [Seite 145] volle Billigung gefunden zu haben, wenn sich auch die Stände dadurch, wie sie später behaupteten, bei ihm von dem Verdachte reinwuschen, "als ob sie nicht allerdings der A. C., sondern etwa fremde Opinionen vor sich hätten und keine Ordnung leiden möchten". Der Kaiser, von der Ankunft des Chyträus in Kenntniss gesetzt, fand es "aus sondern Ursachen", unter denen die Anwesenheit des Cardinals Commendone gewiss den ersten Platz eingenommen hatte, für gerathen, "dass die Sache nicht allhier, sondern auf dem Land fürgenommen würde".145.1 So begab sich also Chyträus nach Spitz, wo er im Schlosse des Ritters Leonhard von Kirchberg bis nach Ostern verblieb und im Vereine mit Reuter nach den besonderen Weisungen des Kaisers eine evangelische Kirchenordnung ausarbeitete. Er benutzte dazu die Sächsische (1528), Nürnbergische (1530) und Brandenburgische Agende (1540), das Agendenbüchlein von Veit Dietrich (1543), die vom Erzbischof Hermann von Köln sanctionirte Reformation( 1543) und die Pfalz-Zweibrücken'sche Kirchenordnung (1557).145.2
Ende Februar war sie bereits fertiggestellt145.3 und wurde, bevor sie an die Stände gelangte, dem Kaiser vom Landmarschall ganz im Geheimen — nicht einmal die Stände durften etwas davon wissen — allein mit Vorwissen der geheimen Räthe Strein und Zasius zur Durchsicht übergeben.145.4 Es war eine sehr umfangreiche Arbeit; denn sie enthielt nicht blos "die Ceremonialia", sondern auch "das ganze Doctrinal, Instruction des Consistorii, Examen theologicum und anderes". Noch vor Ostern fuhren Chyträus und Reuter nach Wien und übergaben ihr Concept den ständischen Deputirten, die dasselbe wieder dem im vorigen Landtage gewählten und jetzt einberufenen grossen Ausschuss von 24 Personen vorlegten. Nach dem das Elaborat von diesem corrigirt und approbirt worden war, wurde es am 29. April von den Deputirten nebst einer ziemlichen Anzahl von Landleuten dem Kaiser in feierlicher Audienz überreicht, hierauf von Strein und Weber, sowie dem Landmarschall in aller Stille auf Weber's Schloss [Seite 146] Bisamberg durchberathen, theilweise geändert und den Deputirten "insgeheim und im Vertrauen" mit der Bemerkung wieder zurückgestellt, die k. M. begehre, "dieweil die Agenda allein ein Ceremonial- und nicht Doctrinalbuch sein soll", dass sie "die Doctrinalia und anders in diesem Buch auslassen und allein die Ceremonialia darinnen behalten sollen".146.1 Der Kaiser hatte sich schon bei der ersten Einsichtnahme in diesem Sinne geäussert, doch war damals, offenbar weil dieselbe ohne Vorwissen der Stände geschehen, und sie daher auch nachträglich nichts davon wissen sollten, noch keine Aenderung erfolgt. Den Deputirten fiel diese Verordnung sehr beschwerlich, und erst als ihnen nach einigen Debatten die Zusicherung gegeben wurde, "dass sie ein sonders Doctrinal aufrichten, darinnen die richtige, reine Lehre und Gegenlehre, thesim et antithesim setzen sollen und mögen und sie auch darüber insonders des Doctrinals halben assecuriert werden sollen", nahmen sie das Werk wieder zur Hand und brachten es in eine neue Form, nachdem sie vor Allem die Lehrpunkte, die Consistorial- und Examinationsordnung ausgeschieden hatten.146.2
Hierauf übermittelten die Deputirten dem Kaiser ihre 100 Bogenblätter starken "Schriftlichen Bedenken, Begriff und Fürarbeit, darnach eine Kirchenagenda in diesem Lande für sie die zwei Stände angerichtet werden möcht"146.3 in zwei gleichlautenden Exemplaren, wovon das eine bei Hofe blieb, das andere wieder den Ständen zurückgestellt wurde, und knüpften daran die Bitte, ihnen nunmehr die Assecuration zu ertheilen.146.4
Doch diese erfolgte nicht. In dem Decrete vom 26. Juli 1569 gab der Kaiser dem Wunsche Ausdruck, dass nach der "aus eingefallenen Verhinderungen" erfolgten Einstellung und Suspendirung des Religionstractates "die Sachen dermassen geschaffen wären, auf dass sich I. M. der Stände Begehren nach ausserhalb aller ferneren Tractation jetzo alsbald entschliessen [Seite 147] möchten". Doch befinde er ihre Bitte "in mehr Weg so hochwichtig, zum Theil auch weitern Bedenkens nöthig und ein solch Werk sein, daran vieler tausend christglaubiger Menschenseelen Heil und Seligkeit, also dass I. k. M. hierüber zeitlichs und geraumes stattlichs Bedachts wolbedürfen, und will I. k. M. als obristem weltlichem Haupt der Christenheit in Kraft ihres tragenden kaiserlichen, königlichen und landesfürstlichen Amtes in allweg gebüren, hierinnen aufs allerbedächtlichste fürzugehn und zu handlen und also dies grosse Werk der unvermeidlichen Nothdurft nach in fernern Bedacht zu nehmen und sich mit ehester Möglichkeit hierüber gnädigst zu resolviern". Da er in wichtigen Regierungsgeschäften demnächst verreisen müsse, mögen die Stände sich gedulden, unterdessen sich aller "verbotenen Secten und Neuerungen" enthalten, in seiner Hauptstadt Wien "keine Prädicanten an keinem Ort aufstellen" und sich aller Schmähungen und Lästerungen der Katholischen enthalten. Er wolle inzwischen die verfasste Kirchenordnung "durch etliche erfahrne, fromme, gelehrte, schiedliche und friedliebende Theologen und Personen" berathschlagen lassen.147.1
In Wahrheit hatte ihm die von Chyträus und Reuter verfasste Agende nicht sonderlich gut gefallen, und er dieselbe nur als eine Vorarbeit betrachtet,147.2 denn sie setzte — was er eben vermeiden wollte — eine vollständig getrennte, protestantische Kirche voraus. Viel zu dieser ablehnenden Haltung des Kaisers werden auch einige seiner geheimen Räthe beigetragen haben. Namentlich der alte Gienger, mit dem er alle Verhandlungen über das Trienter Concil, die Priesterehe und den Laienkelch gearbeitet hatte, und auf dessen Rath er grosses Gewicht legte, hatte dagegen gesprochen und die Abweisung des ständischen Begehrens beantragt.147.3 Auch Zasius konnte sich mit der jetzigen Lage der Dinge, da nicht mehr Vermittlung, sondern Toleranz das Schlagwort bildete, nicht sehr befreunden. Die von den Ständen begehrte Assecuration wird ihm als eine besonders gefährliche Sache erschienen sein, die man, wenn sie durchaus erfolgen sollte — das war auch der Standpunkt des Kaisers — so lange als nur möglich aufhalten musste. [Seite 148] Aus seiner Feder rührt auch das eben erwähnte Decret her, womit die Stände mit ihrem Ansuchen auf spätere Zeit vertröstet wurden.148.1 Am 13. August erhielten die Stände eine kaiserliche Resolution des Inhalts, dass er ihnen ein Consistorium sammt einem Superintendenten, sowie eine eigene Kirche zu Wien nicht bewilligen könne.148.2 Drei Tage darauf reiste Chyträus mit einem Dankschreiben des Kaisers von Wien ab.148.3
Maximilian II. begab sich noch im selben Monate nach Pressburg.148.4 Von dort aus sandte er Weber nach Wien zu Gienger und forderte dessen Bericht über die Kirchenagende des Chyträus ab, die nach dem abweislichen Bescheide vom 26. Juli auf Grund der von Gienger zusammengestellten Mängel von den Ständen neuerdings "in etlichen Artikeln verändert" und hierauf durch den Landmarschall dem Kaiser dorthin nachgeschickt worden war. Gienger kam alsbald dieser Aufforderung nach und verfasste ein Gutachten, das nicht viel besser ausgefallen sein wird als sein erstes. Seine leitende Idee, die auch in seinem späteren Referate vom 22. (12.) December zum Ausdrucke gelangte, blieb unverrückt dieselbe: es sollte "durch der k. M. gnädigste Befürderung die strittige Religion nochmals durch ein gemein Werk und Reichshandlung zu christlicher Vergleichung oder doch in bessern Stand gebracht und dadurch der Oesterreicher unzeitig, unvollkommen, mangelhaftig und sehr sorglich Werk länger eingestellt und damit besserer Gelegenheit erwartet werden".148.5 Das war gewiss auch Kaiser Maximilian's Herzenswunsch; doch ein Zurückgehen gab es jetzt nicht mehr. Die Stände hatten sich schlauer Weise bezüglich der Zahlung der Hofschulden an keinen bestimmten Termin gebunden, sondern nur so viel zu zahlen versprochen, als dies die Einkünfte des Landes zuliessen. Damit hatten sie auch das Heft in Händen: sie zahlten ganz einfach nicht früher, bis sie nicht die Assecuration in der Hand hatten.148.6 Bis zu diesem Zeitpunkte [Seite 149] hatten sie noch keinen Pfennig ausgelegt. Im nächsten Landtage des Jahres 1570 kam es deshalb zwischen den kaiserlichen Commissären und den die Zahlung verweigernden Ständen zu längeren Auseinandersetzungen.149.1 Und erst in den Landtagsverhandlungen des nächsten Jahres, zwei Monate nach der Ertheilung der Assecuration, stossen wir auf die Nachricht, dass die Stände etwas, wenn auch sehr wenig gezahlt hatten.149.2 Unter diesen Umständen erklärt es sich wohl, dass der Kaiser, sosehr er sich auch gegen die Assecurirung sträuben mochte,149.3 doch diese Consequenz aus der Concession zu ziehen sich genöthigt sah.
Als der Kaiser nach einem kurzen Aufenthalt in Wien gegen Schluss des Jahres 1569 nach Prag übersiedelt war,149.4 stand man schon so weit, dass die Agenda "über die beschehene vertrauliche Communication wenig Bedenkens mehr auf sich gehabt", worauf sie zusammengefasst und von den Deputirten dem am Hofe weilenden Strein "neben noch zweier Artikeln von Bann und Besuchung der Kranken und der Präfation, so hievor nicht verfasst noch versehen gewesen", überschickt wurde, um sie dem Kaiser mit der Bitte zu überantworten, "die Stände sowohl der verwilligten Augsburgerischen Confession, als der Agenda und Doctrinal halber der Nothdurft nach für sich selbst und ihre Erben zu assecuriern und zu vergewissern". Die Agenda wurde nun abermals durch Weber und Strein durchgesehen, welche dann einige Bedenken, die sie noch dagegen hatten, auf kaiserlichen Befehl den Deputirten schriftlich mittheilten. Diese erklärten sich damit einverstanden, "doch dergestalt, dieweil die Lehre allerdings von den Ceremonien abgesondert wurde, dass ihnen bevorstehe, wie auch solches in [Seite 150] der ersten Tractation150.1 wäre verwilligt worden, derwegen ein sonders Doctrinal zu verfassen".
Darauf erhielt Strein vom Kaiser eine Abschrift der von Zasius verfertigten Assecuration zugestellt, in welcher die Generalclausel: "in ihren Schlössern, Häusern und Gebieten" enthalten war, mit der aber die Deputirten, die sich darüber im Landtage mit dem ganzen Ausschusse berathen hatten, "nicht zufrieden gewesen, sondern eine andere Note verfasst und obwohl sie es darin bei der Generalität vorgemeldeter Clausel verbleiben liessen, so haben sie doch daneben in dieser Assecuration die Agenda, Doctrinal, Instruction, Anordnung und Deputation einzuverleiben und etliche andere Correctur zu thun begehrt".
Mittlerweile wurde die Kirchenordnung "der Correctur gemäss" reingeschrieben, nach Prag geschickt und von Strein dem Kaiser am Ostersonntag des Jahres 1570 "in dem Oratorio" überreicht, der diese darauf durch einen eigenen Courier zu Gienger nach Enns zur neuerlichen Begutachtung senden liess. Als dessen Bericht darüber eingelangt war, wurde sie in der letzten Fassung "ausser des Lieds: Erhalt uns, Herr, so ausgelassen werden soll", approbirt. Die Assecuration wurde auf Befehl Kaiser Maximilians neu concipirt, und zwar "etwas kürzer als die vorige und ohne Inserirung der Agenda und des Doctrinals", und hierauf sammt der Agende dem zu diesem Zwecke von den Deputirten aus ihrer Mitte nach Prag abgefertigten Rüdiger von Starhemberg durch Strein zugestellt.150.2 Nachdem dann noch die Frage einige Schwierigkeiten bereitete, ob die Agenda solle gedruckt und publiciert oder allein in mehr Exemplaria abgeschrieben und privatim ausgetheilt werden", willigte endlich der Kaiser in die Drucklegung derselben, doch unter der Bedingung, dass die Vorrede, "darin I. k. M. und der Stände Namen ausgelassen werden soll", dahin geändert und der Druck "in der Still" angestellt werden sollte.
Es hätte nun die officielle Ausfertigung der Assecuration erfolgen können, wenn sich die Deputirten mit dem bisher [Seite 151] Erreichten zufrieden gegeben hätten.151.1 Sie hatten aber noch allerlei Bedenken, und zwar bezüglich der Agende: "dass der Stände in der Präfation nicht solle gedacht werden", welchen Einwand sie aber "über beschehene Erläuterung" fallen liessen, und bezüglich der Assecuration: "erstlich, dass gemeldet wurde, dass allerlei Secten im Lande eingerissen, deren sie sich ihresteils nicht teilhaftig wissen, zum andern dieweil ihnen allein in ihren eigenen Häusern und Gütern der Religionsgebrauch [Seite 152]zugelassen, dass dadurch die Pfandschafter und Bestandleut ausgeschlossen würden, zum dritten, dass sie sich der Religion in ihren Schlössern, Häusern und Gütern, doch ausser I. M. Städt und Märkt gebrauchen sollen, welches darum beschwerlich, dieweil ihnen in ihren Häusern zu Wien zu predigen hievor zugelassen und hiedurch wieder eingestellt würde,152.1 zum vierten, dass in der Assecuration weder der Agenda noch des Doctrinals Meldung beschehe". Zugleich machten sie sich erbötig, das Doctrinale vor der Publication den Universitäten Rostock, Wittenberg und 'Tübingen zur Censur vorzulegen.152.2
Während so die Verhandlungen zwischen dem Hofe und den Ständen ihren ruhigen Verlauf nahmen, trat ganz plötzlich ein Ereigniss dazwischen, das die zwei Stände in grosse Aufregung versetzte und auch den Kaiser, der mittlerweile nach Speier gereist war152.3 und den dortigen Reichstag am 13. Juli 1570 eröffnet hatte,152.4 sehr unangenehm berühren musste. Die Stände hatten auf Grund der kaiserlichen Bewilligung im Scheibenhof in der Nähe von Stein eine Druckerei errichtet, um die Kirchenordnung zu publiciren. Da erging am 7. September über Befehl des Statthalters Erzherzog Carl152.5 von der Regierung im Namen des Kaisers ein "offenes Patent" an alle Obrigkeiten, worin denselben bekanntgegeben wurde, "wie etliche Personen sich unterstehen sollen, eine ungewöhnliche, verbotene und heimliche Druckerei am Scheibenhof bei Stein aufzurichten und daselbst ihres Gefallens Bücher zu drucken, daraus mehrerlei Nachteil zu besorgen und zeitliche Einsehung vonnöthen". Der Untermarschall der niederösterreichischen Regierung, Hans Hohenberger, und der kaiserliche Thürhüter, Georg Sibenbürger, wurden gleichzeitig beauftragt, "dass sie solch neue Druckerei aufheben, die Personen, so sich dessen unterstanden, in Verwahrung bringen, was gedruckt ist, zu ihren Handen [Seite 153] nehmen, den Druckereizeug aber und was sonsten vorhanden ist, in Arrest legen sollen", und die Behörden angewiesen, den Beiden allen erforderlichen Beistand zu leisten.153.1 Zwei Tage später, am 9. September, wurde der Buchdrucker Blasius Eber nebst seinen fünf Gesellen unter Intervention des Richters von Stein und etlicher bewaffneter Bürger im Scheibenhof verhaftet und nach Stein in den Arrest geführt, die Druckerei aber beschlagnahmt und versiegelt. Zu diesem Schritte war natürlich die Regierung, die von der kaiserlichen Genehmigung der Druckerei keine Kenntniss hatte, vollkommen berechtigt, denn der Artikel 6 der Religionsconcession enthielt ja die ausdrückliche Bestimmung, dass die Stände sich des Bücherdruckes zu enthalten hätten. Die ständischen Deputirten erhoben sofort in einer Eingabe an den Statthalter Protest gegen diese Massregelung und beriefen sich nach einer kurzen Darlegung ihrer bisherigen Verhandlungen mit dem Kaiser auf dessen Zugeständniss.153.2 Das hatte zunächst nur den Erfolg, dass die Regierung dem Richter von Stein am 30. September 1570 befahl, strenge darauf zu sehen, dass die Arrestanten "von männiglich unbeschwert und aller Gebür nach gehalten werden".153.3 Die Deputirten richteten überdies mehrere schriftliche Eingaben an den kaiserlichen Hof in Speier, zuletzt ordneten sie sogar einen Landmann dahin ab und baten den Strein, dass er ihre [Seite 154] Beschwerde sammt den über die Assecuration vorgefallenen Bedenken dem Kaiser vortragen möchte.154.1
Trotz der bevorstehenden Abreise154.2 des Kaisers erhielt Strein auf sein "unaufhörlich und schier etwas ungestümes Anhalten" die Zustimmung zur Fortsetzung des Druckes und zur Abänderung der Assecuration nach den ständischerseits gestellten Anträgen mit Ausnahme des Punktes betreffs der Ausübung der Religionsfreiheit in den Städten und dann des Doctrinals. Strein bemühte sich, auch über diese zwei Punkte hinwegzukommen, "aber es war auf dem letzten Grad, wie man sagt, des Aufbruchs", so dass es zu keiner Erledigung mehr kam, und er auf Dinkelsbühl oder Nürnberg vertröstet wurde. Dazu kam noch, "dass, obwohl I. M. Resolution zu Speier begehrtermassen ergangen, doch die Sieglung allda von wegen des Kurfürsten von Mainz, in dessen Gewalt sie dazumal stund, nit hätte beschehen können". Denn sobald der Reichskanzler bei Hofe anwesend war, musste ihm das Siegel übergeben werden; und so wäre der Erzbischof Daniel in die sonderbare Lage versetzt worden, eine zu Gunsten der evangelischen Religion ausgestellte Urkunde siegeln und unterfertigen zu müssen, was er höchstwahrscheinlich verweigert hätte. Als man nach Dinkelsbühl gekommen war, "hat es sich von wegen Markgraf Jörg Friederichen Gegenwart und stätem Aufwarten bei I. M. nit schicken wollen". Erst in Nürnberg fand Strein Gelegenheit, dem Kaiser "mit genugsamer Ausführung" die beiden noch ausständigen Punkte neuerdings vorzutragen und um deren Genehmigung zu bitten, worauf sich dieser in gnädiger Weise dahin äusserte, Strein wisse sich zu erinnern, "dass I. M. derselben eigenthümliche Städte je und allweg bevorgenommen, wisse auch wol, was eine zeither bei etlichen ihren Predigten zu Wien für Unordnung fürgeloffen,154.3 was auch I. M. in mehr Weg für Ungelegenheiten darauf beruheten, das hätten I. M. ihm zum oftermal gnädigst vertraut". "Strein," fügte der Kaiser hinzu, "ich wüsste der Sachen wol recht zu thun, wann ich euer, meiner getreuen Unterthanen, die ihr ohne das erschöpft seid, nit verschonet, dann wir uns kaum von dem einen Feind aufhalten können; um mein Person, [Seite 155] glaubt mir, darum wär es mir nit zu thun".155.1 Strein replicirte, dass sich die Majestät allerdings die Städte und Märkte vorbehalten, es habe aber diese Beschränkung seinem Erachten nach diesen Sinn, "dass die Städte sich beider Stände Concession nit hätten zu gebrauchen. Dass ihnen aber dadurch das exercitium religionis in den Städten verwehrt oder durch I. M. hiemit nit zugelassen sein sollte, wäre dem zu entgegnen, dass I. M. in derselben ersten Resolution, vergangen 68ten Jahrs im Landtag beschehen, beiden Ständen die Uebung der Lehr der Augsb. Confession frei und ungehindert ohne alle Exception zugelassen". "I. k. M. hätten sich auch," fuhr er fort, "gnädigst zu besinnen, wie beschwerlich es denen fallen würde, so I. M. beiwohnen oder sonst ihrer Dienst halben von Wien nit abkommen mögen, da sie ein ganz Jahr über der Predigten, auch Reichung und Verrichtung der Sacramente verzügen sein sollen oder mit was Ungelegenheit sie sich jederzeit auf das Land derwegen begeben müssten, geschweigen was bei männiglich, sonderlich denen im Reich für ein Nachgedenken bringen würde, da uns anjetzo das expresse verweigert, so hievor tacite zugesehen und nit verwehrt worden, dann unsere Widersacher darüber triumphieren, den andern aber unsers Teils das Herz ganz und gar entfallen würde, so verhoffe ich auch, da einige Unordnung bisher fürgeloffen, die I. k. M., wie ich verstünd, zuwider gewest wäre, es sollte derselben eben durch diese unser Anordnung der Agenda gewehrt und fürkommen werden, dazu so wollte I. k. M. ich dessen vergewissern, wann die Deputierten zu jederzeit verstehen würden, worin I. M. diesfalls offendiert und beleidigt werden möcht, dass sie das nach aller Möglichkeit würden abstellen, sonderlich da I. k. M. diese Sach in dem gnädigsten Vertrauen und Verstand wie bisher, und wie mir nit zweifelt, würden erhalten wollen, dabei dann allen dergleichen Unrath, der sich etwa bisher, dass man nit gewusst, woran man war, fürzukommen".155.2 [Seite 156]
Strein schlug dann noch, als er merkte, dass der Kaiser entschieden gegen die Weglassung des Zusatzes "doch ausser unserer Städte und Märkte" war, einen Mittelweg vor. Da nach seiner Ansicht der Kaiser mit dieser Clausel ja doch nur "den Zulauf abzustellen vermeinte", so sollte dieselbe bleiben, doch die Worte "ohne was ihre Häuser darin sein, darin sie für sich selbst, ihr Gesind und Zugehörige sich dieser Confession gebrauchen mögen etc." hinzugefügt werden, womit aber nicht verstanden sein solle, "dass sie für sich selbst die Besuchung der Predigt den Bürgern wehren und abschaffen sollen".156.1 Er unterliess auch nicht, auf Erzherzog Carl hinzuweisen, der den steirischen evangelischen Ständen die öffentliche Predigt in der Stiftskirche von Graz eingeräumt habe, und bat unter Ueberreichung eines Memoriales in diesem sowie in dem anderen Punkte bezüglich des Doctrinales, den er näher erläuterte, um einen gnädigen Bescheid. Maximilian versprach sein Möglichstes zu thun und sich unterwegs zu resolviren. Doch weder in Sulzbach, wo sich der Kaiser mit Weber darüber besprach, noch in Weiten und Pilsen konnte Strein trotz seines Anhaltens eine Resolution erhalten.
In Prag156.2 endlich, am 13. Jänner 1571 erhielt er, nachdem der Kaiser auf seine neuerliche Werbung mit Weber conferirt hatte, durch Letzteren den erbetenen Bescheid: "Erstlich belangend die Druckerei, sei L M. nochmals wie zu Speier mit Gnaden zufrieden, dass dieselbe fortgesetzt und mittlerweil, als I. M. hie sei, publiciert werde, wie dann I. M. dem Herrn Statthalter, damit wann es zu der Publicierung kommt, nit wieder Irrung einfallen, solches ad partem und mit eigner Hand zuschreiben wolle.156.3 Die Forsetzung der Druckerei begehrten L M. gnädigst, damit die zur Verschonung I. M. irgend auf der Märherischen Gränz beschehe, und dass gleichsfalls die Publicierung mit der Bescheidenheit fürgenommen werde, damit nit viel Getummels daraus erfolge, sondern I. M. achteten, dass am Weg [Seite 157] sei, dass die Deputierten solche Austheilung unter die beiden Stände selbst thäten, also dass die Agenda nit dürfe zu feilem Platz kommen, die übrigen Exemplaria würden bei einer Landschaft Handen aufgehalten ..., für das andere so soll der Artikel mit den einreissenden Secten begehrtermassen corrigiert werden, zum dritten, das Wort "eigen" bei den Häusern und Schlössern ausgelassen und zum vierten die Agenda in specie vermeldet werden. Soviel aber belangt das Doctrinal, solches könnten I. M. derzeit in die Assecuration nit kommen lassen, aus Ursach, dass es I. M. noch bisher nit gesehen. I. M. wären aber des gnädigsten Erbietens, hätten auch allbereit die Verordnung gethan, dass dem Strein derwegen ein Decret sollte gefertigt und zugestellt werden, wann solches durch die fürgeschlagnen Universitäten würde ersehen und I. M. hernacher fürgebracht, dass sich L M. nit weniger, als mit der Agenda beschehen, mit allen Gnaden gegen beiden Stände verhalten wollten, die Stände auch nit Ursach haben, einigen Zweifel desshalb in I. M. zu setzen. Letzlich bei dem Artikel mit den Städten könnten sich I. M. derzeit noch nit entschliessen, sondern sie wollten es bis zu I. M. ... Hinauskunft mit Gnaden angestellt haben und in dem Wesen wie bisher verbleiben lassen, alsdann wollten I. M. sehen, wie sich alle Sachen werden anlassen, auch nach Gelegenheit derselben sich mit Gnaden hernacher weiters desswegen erklären."
Zu weiteren Zugeständnissen liess sich der Kaiser nicht herbei. Strein fand es für gerathen, nachdem er darüber noch mit Weber, "der sich in diesem Handel ganz geneigt und in Summa als ein guter Landmann erzeigt hat", vertraulich conferirt hatte, derzeit nicht weiter in den Kaiser zu dringen, und erklärte sich zur Annahme der Assecuration und des Decretes über das Doctrinale bereit.157.1 Was ihn hauptsächlich veranlasste, von seinem weiteren Begehren abzustehen, war eine sehr unliebsame Entdeckung, die er im Verlaufe seiner Unterredungen [Seite 158] mit dem Kaiser gemacht hatte. Nachdem er nämlich wiederholt dem Kaiser vorgehalten hatte, "die Bewilligung anno 68 beschehen, die liess den Ständen das Exercitium Religionis aller Orten zu", in welcher Meinung er auch durch ein Schreiben der Deputirten bestärkt worden war, liess er sich, um seinen Vorstellungen grösseren Nachdruck zu verleihen, vom Secretär Unverzagt die Landtagsverhandlungen kommen und fand jetzt zu seinem Erstaunen "gerade das Widerspiel", dass nämlich "I. M. sonderlich Wien, dieweil sie allda ihr Hoflager, mit ausdrücklichen Worten ausschleusst".158.1 Er trug also Sorge, dass im Falle seines heftigeren Drängens "solchen Schriften nachgesehen und man ihm um so viel mehr mit Grund begegnet wäre".
Er war übrigens, wie er selbst gestand, froh, so viel erreicht zu haben, denn das Verhängniss wollte es, dass gerade zu dieser Zeit in Linz ein Losenstein'scher Prädicant den Hofprediger der Königin von Polen gröblich insultirt hatte. Auch tröstete er sich mit dem Gedanken, dass die beiden fraglichen Punkte zu einer späteren Zeit in günstigem Sinne erledigt würden und dann "jederzeit ein andere Assecuration mit Verleibung dieser beiden Artikel gefertigt oder aber destwegen ein Nebenschein genommen werden mag". Hatten einerseits die jüngsten Ausschreitungen der evangelischen Stände und ihrer Prediger seiner Ansicht nach viel zu dem wenig befriedigenden Ausgang seiner Unterhandlungen beigetragen, so lag anderseits die Schuld, wie es Strein den Ständen offen heraussagte, an dem Kaiser selbst, der nämlich aus sehr begreiflichen Gründen die Stände, "indem dass nit abgeschlagen und nit zugelassen wird, in einer Sorg erhalten wollte";158.2 denn auf diese Weise erhielt er sich dieselben seinen ferneren Forderungen gefügig und konnte auch grösseren Uebergriffen bei Anrichtung ihres Religionswesens einigermassen steuern. Die Religionsassecuration wurde nun nach den mit den Ständen vereinbarten Correcturen in das Reine geschrieben, wobei der Secretär Unverzagt "durch Uebersehung" die drei Worte: "in denen sie" ausliess. Es hätte also der Wortlaut eigentlich lauten sollen: "Dass wir darauf [Seite 159] letzlich ermelten beiden Ständen aus vielen hochbeweglichen Ursachen, sonderlich aber, damit den beschwerlichen jetzt hin und wider schwebenden Secten desto mehr in unsern niederösterreichischen Landen gewehrt würde, gnädiglich bewilligt, vergönnt und endlich zugelassen, dass sie ... sich auf und in allen ihren Schlössern, Häusern und Gütern, doch ausser unserer Städt und Märkt, in denen sie für sich selbst, ihr Gesind und ihre Zugehörige, auf dem Lande aber und bei ihren zugehörigen Kirchen zugleich auch für ihre Unterthanen solcher Confession ... frei gebrauchen mögen etc." Obwohl Strein diesen Fehler gleich merkte, so wollte er doch aus dem Grunde keine Einsprache dagegen erheben, weil nach seiner Meinung diese drei ausgelassenen Worte an dem Sinne selbst nichts änderten. "Und dann", fügte er hinzu, "da mens Imperatoris in diesem Fall sollte disputiert werden, so könnte man leichtlich aus diesen Worten erzwingen, dass die Zulassung in Städten sei für unser Gesind und Zugehörige, dieweil es auf dem Land für die Unterthanen mit ausgedruckten Worten specificiert wierdet, wie dann allweg posterior relatio ad priorem sein muss.''159.1
Die Stände zogen auch thatsächlich unter Rudolf II. diese Folgerung und behaupteten in ihrer Petition vom 1. Juni 1578 allen Ernstes, es hätten ja die Worte "auf dem Lande aber auch für ihre Unterthanen" gar keinen Sinn, ganz abgesehen davon, dass die auf ihr Ansuchen erfolgte Correctur des ursprünglichen, in der früheren Assecuration vom 30. Mai 1570 enthaltenen Wortlautes (für sich und ihre Unterthanen und bei ihren zugehörigen Kirchen auf dem Lande) an und für sich beweise, dass nunmehr die Städte und Märkte als in die Concession einbezogen zu gelten hätten, weil ja sonst die erste Fassung beibehalten worden wäre. "Sollen sie aber", erklärten sie, "was bedeuten, so muss unwidersprechlich folgen, dass auf dem Land zugleich auch für die Unterthanen und in E. k. M. Städt und Märkten beide Stände in ihren Häusern für sich selbst, ihr Gesind und Zugehörige des exercitii religionis befugt seien".159.2 Aehnlich äusserten sie sich fünf Tage später: "Dass aber jetztgemelter von wegen der Städt und Märkt erklärter Anhang keinen andern als obbegriffnen Verstand haben könnte, das erscheint nit allein aus beiden Alternativen [Seite 160] (auf dem Land aber und zugleich), welche sonsten gemeiner Vernunft zuwider, weil alle andere beider Stände inhabende Güter, es seien Schlösser, Städte, Märkte oder Dörfer ohne das unter denen Worten (auf dem Land etc. und in allen ihren Schlössern, Häusern und Gütern etc.) begriffen, gar vergebenlich stünden ..."160.1
Wenn es auch dem Strein nicht glückte, wesentliche Aenderungen der Assecuration zu Gunsten der Stände zu erwirken, so setzte er wenigstens einige ganz unbedeutende Zusätze zur nachdrücklicheren Hervorhebung einiger Worte durch. So kam statt des früheren "die Lehre und Ceremonien ... anstellen": "sowohl die Lehre als die Ceremonien anstellen und in das Werk ziehen mögen".160.2
Am 14. Jänner empfing Strein die langersehnte Assecurationsurkunde160.3 zugleich mit einem an ihn adressirten Decret, in dem ihm mitgetheilt wurde, dass S. M. dem Ansuchen der zwei Stände wegen Abfassung einer Lehrnorm für die evangelischen Geistlichen Folge zu geben geneigt sei, doch solle dieselbe ihrem Erbieten gemäss früher den drei Universitäten zu Wittenberg, Rostock und Tübingen zur Begutachtung übermittelt und dann S. M. zur Entscheidung vorgelegt werden.160.4 Die Einhändigung der Assecuration geschah in aller Stille und dürfte auch längere Zeit geheim gehalten worden sein.160.5 Strein überschickte beide Schriftstücke zugleich mit seiner Relation an die Stände und vergass auch nicht, ihnen einige wohlgemeinte Rathschläge zu ertheilen. Als geeignetsten Ort für die Fortsetzung des Druckes der Kirchenordnung empfahl er, da dieselbe über kaiserliche Anordnung an der mährischen Grenze [Seite 161] stattfinden sollte, das dem Wolf von Liechtenstein gehörige Schloss Meidburg, damit ihnen nicht der Bischof oder der Landeshauptmann "ein neuen Lärmen" machte, und theilte ihnen zum Beweise, wie ihre Gegner "auf sie und ihr Thun lauern", im Vertrauen mit, dass gleich nach des Kaisers Ankunft in Prag der Burggraf Rosenberg diesem die Meldung erstattete, dass die Stände eine Zusammenkunft abgehalten und einen Ausschuss hieher zur Ueberreichung der Agende abgeordnet hätten, worauf aber der Kaiser die Bemerkung gemacht hätte: "Ich kenne meine Paschkaler wol, wann sie was dergleichen vorhätten, so wollt ich auch darum wissen." Er rieth ihnen auch, Alles aufzubieten, dass die Prädicanten in Wien mit Bescheidenheit und Mass auftreten möchten, nur dann wäre es noch möglich, "unangesehen aller Teufelslist, ob Gott will, die Sachen dahin zu richten", dass er auch den Artikel bezüglich der Städte durchbrächte.
Zum Schlusse forderte er sie auf, ihm die Agende, falls sie bereits reingeschrieben, gefertigt zu übersenden, damit dieselbe dem Kaiser überreicht und in der Hofkanzlei hinterlegt werden könnte.161.1
Am Tage der Ausfertigung der Assecuration erging auch an die Städte und Märkte ein kaiserliches Decret, worin denselben ihr Ansuchen um Zulassung der Augsburger Confession mit dem Hinweise auf die wiederholten früheren Entscheidungen abgeschlagen und die Erwartung ausgesprochen wurde, sie würden sich diesen gemäss verhalten und sich gehorsam erzeigen.161.2 Für die Beweggründe zu dieser Ausschliessung liefern die Rathschläge und Ermahnungen des Kaisers an Erzherzog Carl, der sich in einer ganz ähnlichen Situation den steirischen Ständen gegenüber befand, einen ausführlichen Commentar. "Denn solle," schreibt er ihm, "den Städten und Märkten gleiches Nachsehen in der Religion geschehen, so hätten E. L. besorglich nit allein in kurz den Abfall der katholischen [Seite 162] Religion, sondern auch das zu gewarten, dass neben Abnehmung des schuldigen Gehorsams gegen E. L. die Städte und Märkte nichts anders, denn eine Aufhaltung, Versammlung und Erzielung aller bösen, verbotnen und verführerischen Secten sein und ein jeder Burger und Inwohner in Städten das thun würde und vielleicht müsse, das von einer Zeit zur andern ein Burgermeister oder Vorgeher der Stadt entweder schaffen oder mit Fleiss oder aber durch Nachlässigkeit nachsehen, verstatten und zugeben würde." Die Folge davon würde sein, dass sie "schier alle Jahr einen neuen Glauben und Seelsorger haben und annehmen müssen".162.1 Die Stände nahmen sich auch, wie es der Kaiser erwartet hatte, des vierten Standes weiter nicht mehr an,162.2 und so war der Kaiser einer grossen Sorge enthoben: die Assecuration blieb wenigstens auf einen verhältnissmässig kleinen Theil des Landes beschränkt, wenn er schon sonst nichts mehr dagegen machen konnte. Befreundet hat er sich wohl nie mit ihr, aber der Gedanke mochte ihn trösten, dass sie eben nur ein Provisorium und im Grunde genommen noch ein ganz glimpflicher Ausweg war; denn er hatte den zwei Ständen, wie er das mit gutem Gewissen behaupten konnte,162.3 bei Weitem nicht so viel eingeräumt, als manche — vor Allen sie selbst — glaubten, und sich kluger Weise noch einige Zugeständnisse zurückbehalten.
Vorderhand — und diesen Zweck hatte er erreicht — waren die Stände, wenigstens die Mehrheit, zufriedengestellt. Denn einige, wie z. B. Carl von Zelking, scheinen heftige Opposition gemacht zu haben. Das ist auch der eigentliche Grund, weshalb der vom Kaiser in der Assecuration verlangte Revers noch am 16. September 1572 nicht gefertigt und dem Kaiser übergeben worden war. Die Fertigung desselben wäre gewiss auch damals nicht in der Sitzung beschlossen worden, hätten sie nicht zur Erlangung einer offenen Kirche in Wien, um die sie anhalten wollten, die Fürsprache Strein's benöthigt, der ihnen dieselbe aber aus dem Grunde abschlug, weil er durch die bisherige Vorenthaltung des versprochenen Reverses vor dem [Seite 163] Kaiser, der darob "Missfallen trage", als ein "unwahrhafter Mann" dastünde.163.1 Der letze Versuch, den der Landmarschall machte, um der Assecuration den gewünschten Sinn zu geben, indem er im Texte des von Strein verfassten Reverses nach den Worten: "doch ausser unserer Städt und Märkte" den Zusatz machte: "darin wir nicht Häuser haben", missglückte, denn er wurde vom Kaiser gestrichen.163.2 Indessen ob die Stände zufrieden waren oder nicht: sie kümmerten sich sehr wenig um den Inhalt der Assecuration und legten die Worte derselben, dass sie sich der Confession "frei gebrauchen" könnten, so frei als nur möglich aus, während der Kaiser, wie ihnen dies Strein später erklärte, damit nur "ohne Scheuch, Sorg, Gefahr und Hinderung" gemeint, nicht aber, wie die Stände dachten und auch darnach vorgingen, mit diesen Worten die schrankenlose Ausübung, wie z. B. den Zugang fremden, nicht zu ihnen gehörenden Volkes zu ihren gottesdienstlichen Handlungen gestattet hatte.163.3 Welche Rechte ihnen eigentlich die Religions-Concession und Assecuration gewährten, lernten die Meisten erst unter Kaiser Rudolf II., der sich streng an den Wortlaut derselben hielt, kennen. In den Städten und Märkten liessen sie ganz ungescheut den evangelischen Gottesdienst ausüben, an welchem sich auch Bürger und [Seite 164] Handwerker betheiligten.164.1 Da Maximilian II. ein milder und gnädiger Herr war, kümmerten sie sich auch nicht viel um seine Verordnungen und liessen sich allerlei Ueberschreitungen der Assecuration zu Schulden kommen, gewiss nicht zu ihrem Vortheile. Denn darüber kann kein Zweifel herrschen — und das gab ihnen auch Strein zu verstehen —, dass ihnen der Kaiser sicherlich noch grössere Zugeständnisse, mindestens dieselben, die Erzherzog Carl den steirischen Ständen ertheilt hatte, gemacht hätte, wenn sie sich nur halbwegs in den rechtlichen Grenzen bewegt und seine Erlässe etwas besser berücksichtigt hätten.
Der Kaiser hatte den Ständen wiederholt aufgetragen, keine Prädicanten in den Städten, vor Allem nicht in Wien zu halten und sich keine Feindseligkeiten gegen die Katholiken zu erlauben. In dem bereits erwähnten, vor seiner Abreise von Wien ausgefertigten Decrete vom 26. Juli 1569 hatte er sie besonders eindringlich ersucht, sie möchten sich "aller verbotnen Secten und ärgerlichen Neuerungen enthalten, auch keine unbekannte streichende Sectarios und Schwärmer aufhalten noch befürdern und insonderheit in dieser k. M. Hauptstadt Wien keine Prädicanten an keinem Orte aufstellen, sich auch sonst gegen allen und jeden geistlichen und weltlichen Landständen, Nachbarn und männiglich sowohl in Religion als andern zeitlichen Sachen ganz friedlich, freundlich und nachbarlich beweisen, niemand freventlich verdammen, lästern noch schmähen, sondern einander in christlicher Geduld und Lieb vertragen und sich allenthalben bescheidenlich, christlich und gebürlich halten und erzeigen",164.2 oder kürzer gesagt, sie möchten die Concession nicht überschreiten. Wie unangenehm und peinlich musste es ihn aber berühren, als unmittelbar nach seiner Abreise aus Wien von allen Seiten Beschwerden über das Verhalten der evangelischen Prädicanten einliefen. In äusserst ungnädigen Worten hielt er ihnen daher in dem Decret ddo. Prag, den 28. Jänner 1570 vor: "wie alsbald von unserm nächsten [Seite 165] Verrücken von Wien ein Prädicant oder Pfarrherr in der Kirchen ad Salvatorem daselbst aufgestanden, welcher sich sonder Zweifels mit eurem Vorwissen und Zugeben nit allein öffentlich zu predigen unterstanden und in solchen seinen Predigten des hochverbotnen, unpriesterlichen und ärgerlichen Calumniern, Schmähen und Lästern neben Gebrauchung mannigfaltiger, ungewöhnlicher Neuerungen ungeschickt und sectisch beflissen, sonderlich auch zu Anstiftung, Unruhe und Untreue mehr sectische Priester nach seiner Confession, Art und Eigenschaft an sich zu ziehen, und ihm dadurch bereits von denen gemeinen Stadt- und Handwerksleuten einen solchen Concurs und Zulauf gemacht, dass derselb nach Gelegenheit dies Orts bald einen grossen Schaden und Nachteil bringen und verursachen kann, inmassen man bei der Domkanzel St. Stefan wol verspüret, wasmassen das christliche Volk von dannen abgesperrt und gezogen werde, sintemalen die sonn- und feiertäglichen Predigten bei weitem nicht mehr in solcher Anzahl und Menge als hievor besucht werden". Er wisse zwar nicht, ob dieser Prädicant vor seiner Abreise schon daselbst gepredigt habe, oder ob es ein anderer sei; wenigstens habe er früher von ihm nichts gehört, es müsste nur sein, "dass er vielleicht jetzo auf unser Abwesen sich eines mehreren unterstehet und vermesse, als er in unser persönlichen Gegenwart thun dürfen". Es sei aber wie es wolle, "so muss es ein fast böser und unartiger, freventlicher Mensch sein, dass er sich dergleichen auf den Trost unsers jetzigen Abwesen ohne allen Scheuch unserer hinterlassenen nächstnachgesetzten Obrigkeit . . . unterstehet". Er habe von den Ständen nicht erwartet, dass sie in seiner Gegenwart, viel weniger in seiner Abwesenheit "dergleichen Prädicanten auf Pfarren in unser Stadt Wien fürdern, noch ihm diesem Calumniatoren sein Schmähen, unverschämt Lästern, gebrauchende neue und ander Ritus, Ceremonien, dass er auch annoch ander mehr dergleichen Gesellen zuziehe, und ihme dadurch von den gemeinen Leuten und armen, unverständigen Volk, das sich dann allweg zu solchen Verführern leichtlicher als zu denen, davon sie Nutz und Frucht bekommen, zu Verachtung und Schmälerung der Domkanzel einen nachteiligen Zulauf machen thut, gutheissen, nachsehen und gestatten" würden, da sie sich doch der wiederholten, kürzlich an sie gerichteten Ermahnungen zu erinnern wüssten. Er zweifle [Seite 166] nicht, dass den Ständen das Treiben dieses Prädicanten unverborgen gewesen sei, weshalb es sich schon längst, ohne es erst auf diesen Befehl ankommen zu lassen, gebührt hätte, diesen "sectischen" Prediger "sammt seinen Consorten" der Seelsorge zu entheben und ihn derart zu strafen, "damit er dergleichen forthin zu thun und seinen unartigen, höchstschädlichen Samen auszustreuen gar nicht Ursache gehabt hätte", und zwar umsomehr, da sie wüssten und darauf zu sehen verpflichtet seien, "was etwa dergleichen unter dem gemeinen Volk und Handwerksgesind für Nachteil zu entspringen pflegt und wie bald der Gehorsam gegen die Obrigkeit von solchen Schreiern und Lästerern geschwächt wird und sonderlich weil wir dergleichen bisher bevorab in der Nahent um Wien nicht gelitten, dass wir viel weniger dasselbe gutheissen oder gestatten werden". Sein Befehl gehe also dahin, unverzüglich nach Empfang dieses Decretes den Pfarrer seiner Stelle zu entsetzen und ihm nicht vielleicht eine andere Seelsorge zu verschaffen, widrigenfalls er genöthigt wäre, selbst einzuschreiten; desgleichen hätten sie ausführlich zu berichten, "woher solcher Prädicant bürtig und kommen, in was Officio davor gewesen, was er auch für Testimonia seiner Studien, Lehr, Leben und Wandl habe, wer ihn also zu dieser Pfarre befürdert und aus wes Schutz und Vertheidigung er bisher sich so ungeschickt und unleidenlich gehalten ...". Ausserdem lege er ihnen ernstlich auf, "wo bei den andern Pfarrern ihrer Lehenschaft, es wäre nun im Bürgerspital zu St. Marx oder anderer Orten in- und ausserhalb der Stadt, ebenmässige Calumniatores und zum predigen untaugliche und unbescheidene sectische Personen wären", dieselben alsbald abzuschaffen und ihre Stellen "mit ehrbaren, gelehrten, bescheidenen, gottesförchtigen und katholischen Priestern" zu versehen, die von jeder "Neuerung in Lehr und Kirchen, Ceremonien frei sein, sich eines priesterlichen Thuns befleissen, ruhige und friedliebende Gemüther haben, den Gehorsam gegen Gott und der Obrigkeit pflanzen und wol zuvor ihre Formata und Testimonia zur Nothdurft und völligen Genügen fürlegen".166.1
Zwei Jahre später sah sich Kaiser Maximilian neuerlich zu einem Einschreiten genöthigt, und zwar richtete es sich [Seite 167] diesmal gegen Geyer, den Besitzer der Herrschaft Hernals, dessen Prediger einen grossen Zulauf fremden Volkes aus allen benachbarten Orten, namentlich aus der Stadt Wien verursachte."167.1 Es verdient diese Massregel umsomehr hervorgehoben zu werden, als sich die Stände Kaiser Rudolf II. gegenüber, der den Auslauf von Bürgern und Handwerkern nach Inzersdorf, Vösendorf und anderen Orten, wo der evangelische Gottesdienst versehen wurde, untersagte und die zuwiderhandelnden Prädicanten vor die Hofkanzlei vorladen liess, stürmisch und heftig darüber beschwerten, gegen die Vorladung ihrer Prediger protestirten und sich auf die Concession beriefen, die ihnen auf ihren Landgütern den freien und uneingeschränkten Gebrauch ihrer Religion gestatte. Wir sehen nun, dass Rudolf II., dessen Massnahmen die evangelischen Stände in so grossen Aufruhr versetzten, im Anfange seiner Regierung nichts Anderes that, als dass er sich streng auf den Boden der Religionsconcession stellte und sich dabei stets, wie er das auch that, und die Berichte der Hofkanzlei beweisen, auf die von Kaiser Maximilian ausgegangenen Decrete beziehen konnte.
Am 13. Jänner 1572 wurde Geyer sammt seinem Pfarrprovisor vor den Obersthofmeister und den Vicekanzler citirt und ihnen sodann vorgehalten: "1. wie I. k. M. gewissen Bericht habe, dass sein Provisor sich im Predigen aller Unbescheidenheit gebrauche; 2. die Obrigkeit, den Papst und alle Gläubigen lästere und schmähliche Lieder singe; 3. die Bürger von Wien und anderer Pfarren Unterthanen zu sich hinausziehe; 4. gar herein in die Stadt greife und die Sacramente administrire. Das könnten I. k. M. nit leiden, bevor dies Orts am Hofzaun, und hätten I. k. M. sich zu dem Geyer eines solchen nit versehen, weil sie wissen, was ihnen I. M. hievor befohlen. Solle es demnach abstellen, denn wo es nit geschehe, wollen I. k. M. sie beide ernstlich und nach Ungnaden strafen." Geyer rechtfertigte sich dahin, dass er davon keine Kenntniss gehabt habe, und erbot sich, diese Uebergriffe abzustellen. Auch der Prädicant entschuldigte sich, dass die Ertheilung der Communion in [Seite 168] der Stadt nur auf etlicher Leute ausdrückliches Begehren erfolgt sei, und versprach, sich derselben künftig zu enthalten.168.1
Das scheint aber nicht sehr gut eingehalten worden zu sein, denn am 25. November d. J. erging abermals ein Decret an den Geyer, er solle seinem Prediger gebieten, "sich des Schmähen, item Eingreifung andern Pfarren in ihr Jurisdiction, Hinausziehung der Stadtleute und dergleichen zu enthalten; denn da es nit beschehen, wollten I. M. gegen den Herrn und Pfarrer mit Straf verfahren. Denn den Landleuten die Bewilligung allein auf ihren Häusern und ihren Leuten und gar nit auf fremde Personen beschehen sei, auch das Schmähen expresse verboten".168.2 Noch im letzten Jahre seiner Regierung am 30. Mai 1576 sah sich der Kaiser veranlasst, die Geyer in Hernals anzuweisen, ihrem Prädicanten alle gottesdienstlichen Handlungen in der Stadt strenge zu verbieten.168.3
Der Kaiser hätte übrigens ohne jeden Zweifel die Ausübung des evangelischen Gottesdienstes in den Stadthäusern der Adeligen für sie selbst und ihr Gesinde stillschweigend geduldet, wenn es dabei geblieben wäre. Als er aber bald nach der Ertheilung der Assecuration wieder in Wien residirte,168.4 bemerkte er zu seinem höchsten Unwillen, dass "die Predigten in etlicher Landleute Häuser nit allein von ihnen, den Landleuten und den ihrigen, sondern auch von der Burgerschaft und gemeinem Mann besucht werden". Er gab daher dem Strein den Auftrag, sofort durch den Landmarschall die Einstellung der Hauspredigten verfügen zu lassen, da diese "zuwider der Assecuration" geschähen. Der Landmarschall entschuldigte sich alsbald bei dem Kaiser und erklärte, "es stünde bei I. M., die Einstellung der Predigten zu verordnen, werde aber über die erfolgte Assecuration mit grosser Betrübniss beider Stände erfolgen. Da aber I. M. je des Zulaufens und der Predigten in so viel Häusern Bedenken tragen, so könnte der Saal im Landhaus dazu fürgenommen und entgegen die Hauspredigten allerdings eingestellt werden. Es würde auch der Zulauf so weit eingestellt, dieweil im Saal nit so viel Leut Platz hätten als in [Seite 169] vier Häusern,169.1 allda jetzt gepredigt wird, und alles an diesem Ort mit besser Ordnung zugehen".
Darauf entschloss sich der Kaiser, "dass die andern Predigten in Häusern abgestellt und allein in des Herrn Landmarschallen Haus gepredigt werden soll, dahin die Landleut sammt ihrem Weib und Gesind erscheinen möchten, und dass dabei der Zulauf und alle Unordnung verhütet werde", und schrieb dem Strein mit eigener Hand auf einen Zettel, der neben zwei anderen im Folgenden erwähnten169.2 unter Rudolf II. eine nicht unbedeutende Rolle spielt:
"Lieber Strein. Ihr wollet darob sein, bei dem Landmarschall, damit er die Sachen des Predigen dermassen anricht, damit sich nit was ungleichs zutrag, des dann leichtlich beschehen möcht, und ich weiss, dass mir der ehrlich Mann nit gönnen würde, dann sich daraus allerlei zutragen möcht, des auch ihm viel weniger gönnen wollt, denn Ihr wisst, wie treulich und einfältig ichs mit einer ehrsamen Landschaft und insonderheit mit dem Landmarschall vermein."169.3
Als aber trotzdem der kaiserliche Rath Oswald von Eitzing in seinem Hause predigen liess, verbot ihm dieses der Kaiser. Es dauerte auch nicht lange, so hatte der Zulauf in das Haus des Landmarschalls derart zugenommen, ausserdem sich dessen Prädicant "etwas unbescheiden" verhalten, so dass sich der Kaiser im Juli 1573 veranlasst sah, Strein deshalb nach Wien zu erfordern "und sich über den Zulauf, sowohl des Prädicanten Unbescheidenheit und eines wällischen Doctors halber, so die Stände aufgenommen haben sollen, beschwert und deren jedes abzustellen begehrt". Darauf erbot sich der Landmarschall für sich und die übrigen Deputirten, den wälschen Doctor zu entlassen, den Prädicanten, über den ihm übrigens nichts [Seite 170] Ungebührliches zu Ohren gekommen sei, auf seine Herrschaft Frauendorf zu transferiren und statt dessen einen andern zu bestellen, und zwar auf Grund gewisser Artikel, die Strein vorschlug und der Kaiser dann genehmigte.
"Den Zulauf aber," erklärte der Landmarschall, "könne er für seine Person nit abstellen, allein, dass er etlichen fürnehmen Bürgern, so die Predigt besuchen, I. M. Meinung wollte anzeigen. Wollten aber I. M. solches dem Stadtrath zu thun befehlen, das stünde bei I. M. gnädigstem Gefallen. Er hielt auch das Haus gesperrt, bis man gleich wollte zu predigen anfahen; bald das Haus eröffnet würde, so sei der Sachen und dem Gedräng ungewehrt. I. M. möchten derwegen selbst Erkundigung einziehen lassen. Damit aber diese Ungelegenheit in Häusern verhütet werde, hielt er dafür, dass diesem entweder mit einer offenen Kirchen oder dem Saal im Landhaus geholfen werden möcht". Der Kaiser nahm ihr Anerbieten bezüglich der Entfernung der beiden Prädicanten an und erklärte, die Einräumung einer "offenen" Kirche oder des Landhaussaales in Bedacht zu ziehen. Mittlerweile aber sollte der Zulauf abgestellt werden. Zugleich erbot er sich, Alles, was in Religionssachen vorfiele, künftig immer durch Strein mit dem Landmarschall und den anderen Deputirten verhandeln lassen zu wollen, welchen Vorgang sie auch ihrerseits einzuhalten hätten. Sehr bald darauf schritten die Stände bei dem Kaiser abermals um die Bewilligung des Landhaussaales ein, wurden aber abgewiesen.170.1
Die evangelischen Stände hatten seit dem Jahre 1566170.2 wiederholt eine eigene öffentliche Kirche verlangt. Im Landtage des Jahres 1574 fassten sie nun den Beschluss, durch ihre Religionsdeputirten bei dem Kaiser neuerdings "mit Fleiss und Ernst" um die Genehmigung zur Einrichtung einer solchen, sowie zur Bildung eines Consistoriums anzuhalten. In einer ausführlichen Bittschrift fassten sie alle Beweggründe zusammen. Nur wenn ihnen dieses zugestanden wäre, würden alle Unordnungen in ihrem Religionswesen, über welche sich ihre Gegner so häufig beschwerten, aufhören. Es sei nicht nothwendig, "dass ein jedweder Landmann einen sondern Prädicanten, einer dorten, [Seite 171] der andere da habe. Wo auch an einem oder dem andern Ort etwas ungleichs sich begäbe, kann dasselb durch Rath und Zulassung desselben ordenlichen Consistorii emendiert und gebessert, endlich auch eine solche Disciplin allenthalben gehalten werden, darob männiglich ohne Beschwerde sein und dessen E. M. noch jemand bei andern einige Nachrede haben kann". Der Kaiser möge beherzigen, was es für ein ungewöhnliches Ansehen habe, wenn man ihnen wohl die Ausübung der evangelischen Religion, nicht aber einen Ort dazu bewilligte, "denn: quo mihi fortuna, si non conceditur uti?" Wenn sie auch, wie man vielleicht einwenden werde, auf dem Lande in ihren Schlössern und Häusern den Gottesdienst versehen könnten, seien das doch nur "Privatörter", aber keine Kirchen, und sie sowohl als ihre Prediger müssten sich die Spottnamen "Winkelchristen", " Winkelprädicanten", "Gartenbruder" u. dgl. gefallen lassen. Dazu käme, dass viele Landleute, welche in kaiserlichen Diensten stünden und mit ihren Familien ständig in Wien zu wohnen bemüssigt seien, des Gottesdienstes gänzlich verlustig gehen müssten, wenn sie nicht die nöthigen Mittel zur Erhaltung eines eigenen Hausprädicanten in Wien besässen. Was aber für Unordnung daraus entstünde, wenn ein jeder in Wien lebende Landmann einen eigenen Prädicanten halte, da doch schon die wenigen jetzt so viel zu schaffen machten, sei leicht abzusehen.171.1 All der Hader und Zwist, welcher in ihrer Kirche herrsche, alle Ausschreitungen und Uebergriffe, welche sich Einzelne zu Schulden kommen liessen, würden in dem Augenblick aufhören, da ihnen ein Consistorium, das dieselben strafe, und eine öffentliche Kirche, nach der sich alle anderen Prediger auf dem Lande richten könnten, eingeräumt sei, und sich nicht mehr wie früher ein jeder nach seinem Gefallen für einen "Bischof und Herrn in seiner Kirche" halte. Wenn die Juden, "die doch öffentliche Feinde Christi und der heiligen Jungfrauen Maria seiner Mutter sein", hier in Wien ihre Synagogen hätten, warum wollte man gerade ihnen, die sie "Christum für einen einigen Heiland erkennen, glauben und rühmen, die heilige Jungfrau Maria in Gebür ehren" und auch "aus Grund göttlicher Schriften [Seite 172] noch zur Zeit nit widerlegt" seien, eine eigene Kirche verweigern. In der ganzen Welt dulde man die Kirchen der Andersgläubigen, sogar bei den Türken könnten die Christen öffentlich ihren Religionsdienst verrichten.172.1 Diese Supplication schickten die Deputirten am 27. Juli 1574 mit der Bitte an Strein nach Prag, er möge dieselbe durchsehen und ihnen sein Gutachten und seinen Rath, wie sie dieselbe am besten überreichen könnten, zukommen lassen.172.2 Strein bezeichnete sie als sehr gut, sandte sie aber am 24. August, weil er "de modo praesentandi" noch einige Bedenken hätte, zurück, indem er sie auf seine Rückkehr vertröstete. Maximilian werde, versicherte er sie, ihren Wünschen so entgegenkommen, dass sie zufrieden sein sollen.172.3
Im folgenden Jahre nun, während der Kaiser in Prag Hof hielt, übersandten die Deputirten die Supplication dem Strein mit dem Auftrage, er möchte, wenn die Kirche nicht durchzusetzen sei, nochmals um die Bewilligung des Landhaussaales einschreiten. Als sich die kaiserliche Resolution darauf hinauszog, fertigten die Stände eine Gesandtschaft, bestehend aus dem Landmarschall, Niclas Grafen Salm, Hans Stockhorner und Maximilian von Mamming nach Prag ab, die neben einigen politischen Angelegenheiten auch die Bitte um die Kirche, "damit alle Unordnung, so bei den Häusern fürgeloffen, abbestellt werden", vorbrachte. Der Kaiser gab aber ihrem Ansuchen keine Folge und liess dem Strein folgende eigenhändige Zuschrift zustellen:
,Lieber Strein. Ihr werdet Euch wohl wissen zu erinnern, was wir gestern mit einander geredet haben. Nun befind ich in der Wahrheit, dass es jetzt nit allein nit de tempore, sonder würde sich gar nit thun lassen. Derweil es dann an dem, so wäre das beste, dass man es dieser Zeit also verbleiben liesse, denn Gott weiss, dass ichs nit anderst als gut und vons besten wegen vermein. Maximilian etc."172.4
Auf diese Abweisung hin begehrten die Gesandten im Sinne ihrer Instruction durch Strein den Landhaussaal, den der [Seite 173] Kaiser endlich am 'Tage vor seiner Abreise nach Regensburg173.1 "ista conditione et istis verbis" bewilligte: "Strein, Ihr mögt den Gesandten anzeigen, der Predigt halber im Landhaus soll es nit Noth haben, doch dass entgegen ihrem Erbieten nach alle andern Predigten in Häusern abgestellt werden, und dass mit Transferierung der Predigt aus des Herrn Landmarschallen Haus in das Landhaus verzogen werde, bis ich wieder in das Land komm." Die Gesandten, durch Strein von dieser kaiserlichen Entschliessung verständigt, waren damit zufrieden und drückten durch diesen ihren Dank aus. Die Stände warteten aber die Rückkehr des Kaisers nach Wien173.2 nicht ab, sondern nahmen schon einige Tage früher die Uebersiedlung in den Landhaussaal vor. Der Kaiser, unwillig darüber, beschied am 2. December Strein durch zwei eigenhändig geschriebene Briefe nach Wien und beklagte sich darüber, dass der Landmarschall ohne sein Vorwissen bereits die Predigt im Landhause angestellt hätte, dessen er sich keineswegs versehen. Er möge daher diesem anzeigen, dass er den Landhausgottesdienst alsbald wiederum abstelle. Strein entschuldigte die Stände damit, dass sie ohne Zweifel die Worte des Kaisers in dem Sinne aufgefasst haben werden, als genügte die Ankunft des Kaisers in das Land überhaupt. Doch Maximilian bestand auf seinem Befehl, fügte indess hinzu, "man könne hernach wol weitere Wege finden". Der Landmarschall liess nun zu seiner Rechtfertigung dem Kaiser vermelden, dass er und seine Amtsgenossen keineswegs ihn vorsätzlich übergehen wollten, sondern dass sie, wie dies auch Strein angegeben hatte, die Prager Resolution falsch ausgelegt hätten, und bat, sie bei dem einmal gemachten Zugeständniss zu belassen, indem er zu bedenken gab, "mit was Scandalo und Befremdung die Abstellung beschehen würde". Schliesslich liess sich auch der Kaiser erweichen und erklärte sich zu Strein: "Sie hätten gleich Ursach, dieweil man I. M. also übergangen hätt, bei Ihrer Meinung zu verharren. Sie wollen es aber den Ständen zu Gnaden dabei verbleiben lassen und zusehen, wie man sich dabei verhalten und ob man die andern Predigten abstellen werde, doch soll man auch den Zulauf abstellen und [Seite 174] sehen, damit keine Unordnung fürfiele und erfolge". Diese Entschliessung theilte Strein dem Landmarschall mit, der sich darauf erbot, der kaiserlichen Forderung nachzukommen, mit Ausnahme "des Zulaufes". "Das stünde," erklärte dieser, "in seiner Macht nit, jemand den Zugang zu verwehren. Da aber I. M. das thun wollten, dabei hätt er I. M. nit Mass zu geben. Sonst wollte er wol darob sein, dass sich einiger Unordnung nit zu besorgen sein soll. Der Hauspredigt, hätte er kein Zweifel, würde jeder gehorsamlich nachkommen, derwegen er auch Verordnung thun wollt, allein hätte Herr Wilhelm von Hofkirchen derzeit eine. Achtet es unterthänigst dafür, dieweil er I. M. fürnehmer Diener, dass ihm solches I. M. selbst gnädig auflegen liessen." Der Kaiser nahm des Landmarschalls Erklärung an und verlangte nochmals des Zulaufs wegen, "dass derselb und alle Unordnung soviel möglich verhütet werde".
Erst später, als er Wien eben verlassen hatte, erinnerte sich Strein, dass ihn der Landmarschall ersucht hatte, bei dem Freiherrn von Hofkirchen auf die Einstellung seiner Hauspredigten zu dringen, erstattete daher von Tulbing aus dem Kaiser darüber Bericht und schrieb überdies selbst dem Freiherrn in dieser Angelegenheit. Darauf erhielt Strein vom Kaiser ein eigenhändiges Schreiben, worin er neuerlich an die Bewilligung des Landhaussaales die Bedingung knüpfte, dass alle anderen Predigten abgeschafft werden sollten.174.1 Dem Hofkirchen wurde diese ausdrücklich vom Kaiser untersagt, und als er dagegen Vorstellungen erhob, liess ihm jener am 29. Mai 1576 anzeigen: "Dass I. R. k. M. ihm sein Hausprädicanten allhie in der Stadt Wien öffentlich zu predigen und die Seelsorg zu treiben abgeschafft, das sei von I. k. M. aus keinen Ungnaden gegen seiner Person gemeint, sondern dieweil dasselb ausdrücklich wider I. k. M. denen zweien Ständen gethane Bewilligung ist, so könnten I. R. k. M. solche Neuerung weder ihm noch einigen I. M. Rath oder Landmann zu einem gemeinen Eingang nit gestatten, inmassen dann I. k. M. dasselb anderer Orten allhie auch abgeschafft haben. Daran er also zufrieden und mit dem, was die zwen Ständ ungemein haben, benügt [Seite 175] sein wird. Seind ihm aber sonsten mit Gnaden gewogen."175.1 Nach einiger Zeit beschwerte sich Maximilian von Regensburg175.2 aus an Strein, der damals in Wien weilte, "dass aus dem Landhaus ein Kirchen gemacht sein soll, nit allein mit Stühlen, sondern auch Altar und andern Sachen".175.3 Strein nahm alsbald einen Localaugenschein vor und berichtete sodann an den Kaiser dass kein Altar wär als ein Tisch zu der Communion, der wäre umschränkt von wegen des Gedrängs, item die Stühl und Gang wären darum angericht, dieweil der Platz eng", worauf ihm dieser zurückschrieb, "man hätte I. M. viel anderst bericht, wann's nit anderst wär, so hätte es seinen Weg".
Im Landtage des Jahres 1576 versuchten die Stände noch einmal, die Bewilligung einer Landschaftskirche zu erreichen; doch vergebens. In einem Handschreiben erinnerte der Kaiser den Strein an ihre frühere Unterredung und seine ihm im Vertrauen mitgetheilten Gründe gegen dieses Zugeständniss, aus welchem ihnen nur allerlei Schwierigkeiten erwachsen würden, und liess die Stände auffordern, "auf diesmal zufrieden zu sein". "Ich will aber," fuhr er fort, "den Sachen treulich nachgedenken, wie etwa zu einer bessern und glegnern Zeit dieser Sachen möge abgeholfen werden und die Stände nach Möglichkeit mögen zufrieden gehalten werden, denn Ihr wisst, wie treulich und gutherzig ichs gegen bemelten Ständen jederzeit und noch mein und in nichts anders suche, allein damit Fried und Einigkeit erhalten werde, zudem dass die zween Ständ ohne das nunmehr in Religionssachen unbetrübt seint und ihnen kein Irrung beschieht, so muss auch solche Sachen also wohl in der Still als die Bewilligung der Agenda gehalten und tractiert werden."175.4
Wenn nach dem vollkommen glaubwürdigen Bericht des biederen Strein kein Zweifel besteht, dass den Ständen das Religionsexercitium im Landhause vom Kaiser bewilligt worden [Seite 176] war, so hatten sie doch zu ihrem Unglück nach dessen Tode nichts Authentisches in Händen, das sie zur Begründung ihrer rechtlichen Ansprüche darauf hätten vorweisen können. Die von Strein mit seinem Berichte vorgelegten Schreiben des verstorbenen Kaisers, sowie die drei von demselben herstammenden Zettel,176.1 mit welchen die Stände den Beweis erbracht zu haben glaubten, erwiesen sich als unzulänglich: man befand aus ihnen "vielmehr das Contrarium".176.2
Die vom Kaiser Rudolf II. über die ständischen Forderungen angestellte Untersuchung hatte nur ein Decret Kaiser Maximilians II. an seinen Bruder Carl, ddo. Prag, den 28. Juni 1575, zu Tage gefördert, aus dem wenigstens die Einräumung des Landmarschall'schen Hauses für den evangelischen Gottesdienst — aber nicht mehr — hervorging, wenn es auch sonst nicht sonderlich zu Gunsten ihrer Prätensionen sprach und Rudolf's Vorgehen gegen die Protestanten völlig gerechtfertigt erscheinen liess. Man findet in diesem interessanten, von der Hofkanzlei wiederholt angezogenen Actenstück alle Elemente der Religionspolitik enthalten, welche Kaiser Rudolf II. und der von den Ständen weit mehr als dieser gefürchtete Erzherzog Ernst während seiner ganzen Statthalterschaft (1576-1590) befolgte. "Auf E. L.," heisst es darin, "brüderliche Erinnerung und unsers Bischofs zu Wien, auch seiner untergebenen Priesterschaft Beschwerung wegen der Prädicanten, so sich in unserer Stadt daselbst mit offentlichen Predigen und Administration der hochheiligen Sacramenta aufhalten, ist unser brüderliche Erklärung, auch gefälliger Willen, dass keinem, er sei was Stands oder Thuens er wolle, ausser unsers Landmarschalls kein offne Predig oder Seelsorg in Häusern der Stadt nit gestattet werden solle. Gesinnen auch darauf an E. L. freundlich, Sie wollen den von Hofkirchen, Enzersdorf und alle andere, soviel ihrer bisher in ihren Häusern Predigen oder durch ihre Prädicanten hin und wieder in der Stadt Kranken [Seite 177] oder Gesunden die Sacramente austeilen lassen, für sich persönlich erfordern, solchen ihren Unfug verweisen und bei Vermeidung unserer Ungnad auflegen, bei denselben ihren Prädicanten alle Predigen und Seelsorg in der Stadt alsbald abzuschaffen, damit wir nit Ursach gewinnen, selbst Wendung zu thun, denn wir gar nit bedacht, solches zuwider aller fürgeloffnen Handlung zu gestatten, wie sie auch wol wissen, dass sie das mit nichte befugt. Da sie nun demselben gehorsame Folg leisten (darauf dann E. L. Erkundigung halten lassen wollen), wol gut; wo nit, so wollen E. L. uns dessen alsbald berichten, die weitere Nothdurft zu bedenken haben. Hielten sich dann sonsten in der Stadt von Hernals oder anderer Orten herrnlose Prädicanten auf, so sich der Seelsorg gebrauchten, so wollen E. L. dieselben für unser Klosterräthe erfordern und ihnen innerhalb 8 Tagen aus der Stadt ihren Pfenning weiter zu zehren bieten, und da sie nit gehorsameten, sie durch den Profosen einziehen, alsdann gegen Urfecht, dass sie in die Stadt weiter nit kommen sollen, laufen lassen; damit wirdet versehentlich vielem Unrath geholfen sein."177.1
Die im Vorausgehenden erwähnten Hofdecrete zeigen deutlich, wie Maximilian II. die Religions-Concession und -Assecuration verstand, und dass er keine Ueberschreitungen derselben durch die Heranziehung der Bürgerschaft und der Nichtunterthanen dulden wollte. Dass es trotzdem zu diesen kam, daran war nicht so sehr seine protestantenfreundliche Gesinnung, die übrigens gegen Ende seiner Regierung immer mehr in den Hintergrund trat, als vielmehr die ganzen innerpolitischen Verhältnisse dieses Landes Schuld. Die evangelischen Stände, der ganze Hochadel, repräsentirten eine gar gewaltige Macht, sie hatten die weitaus überwiegende Majorität im Landtage und besassen durch ihre Steuerbewilligungen eine sehr gefährliche Waffe in Händen. Auch dem Erzherzog Ernst, der mit unerbittlicher Strenge und weitaus grösserer Energie zu Werke ging, gelang es nicht, wie wir sehen werden, den Uebergriffen der beiden Stände völlig Einhalt zu thun, und er hätte es nicht einmal so weit gebracht, wenn ihm nicht der Wiener Dompropst [Seite 178] und nachmalige Cardinal Melchior Klesl mit den Waffen seines glaubenseifrigen Feuergeistes und seiner eisernen, vor nichts zurückschreckenden Willenskraft zu Hilfe geeilt wäre.178.1 An einem aber hielt Maximilian II. bis an sein Lebensende strenge fest: an der in der Religionsconcession ausgesprochenen Forderung des friedlichen Zusammenlebens beider Parteien. Wer die Gegenpartei schmähte oder gegen sie hetzte, erregte seinen höchsten Unwillen. Wenn er deshalb wiederholt gegen die evangelischen Stände und ihre Prediger, namentlich den ersten Landschaftsprediger Josua Opitz, Stellung genommen hatte, so duldete er hinwiederum auch keinerlei Feindseligkeiten gegen diese von Seite der Katholiken. Der angesehene Hofrath Georg Eder, der in seinem Buche "Evangelische Inquisition" eine ganze Reihe der auserlesensten Schmähungen gegen diese "neue, widerwärtige, hochschädliche Rotte" vorgebracht und ihn überdies persönlich durch den Ausdruck "Hofchristenthum" schwer beleidigt hatte, musste bekanntlich ziemlich hart dafür büssen.178.2 Das unduldsame Vorgehen eines katholischen Priesters gegen die Protestanten führte ebenfalls zu einer Intervention zu Gunsten derselben. In Mitter-Stockstall war im Jahre 1575 eine arme Witwe, eine geborene Adelige, gestorben, und der dortige Pfleger des Landuntermarschalls, Christof von Oberhaim, begleitete die Leiche zum Pfarrfriedhof in Kirchberg am Wagram. Der Pfarrer aber — es war der Passauische Domherr Victor August Fugger — weigerte sich, das kirchliche Begräbniss vorzunehmen, indem er vorgab, dass die Verstorbene bei ihm nicht communicirt habe. Darüber kam es zu einem heftigen Streit, der sogar in Thätlichkeiten ausartete und damit endete, dass der Pfarrer dem Passauischen Richter und seinen Schergen befahl, die Leiche zum "Diebstein" zu führen, wo die Malefizpersonen beerdigt wurden. Dort lag die Leiche vier Tage lang, bis endlich das Landgericht den Verwandten bewilligte, sie an einem ehrlichen Orte begraben zu dürfen. Diesen, sowie einen anderen, ganz ähnlichen Vorfall brachten der Landuntermarschall und der Freiherr Bernhard Turzó den Ständen zur Kenntniss.178.3 Darauf beschwerten [Seite 179] sich diese am 5. Juli bei dem Kaiser wider diese "ungebürliche und fast abscheuliche Handlung" und beriefen sich auch auf den ihnen in der Assecuration gewährleisteten Schutz, sowie auf einige unmittelbar vorausgegangene kaiserliche Entscheidungen, nach welchen zwei kaiserliche Beamte trotz der Weigerung des Wiener Bischofs auf dem Stefansfriedhofe beerdigt worden waren.179.1 In der Resolution vom 12. September wurde den Ständen mitgetheilt, dass dem Pfarrer seine Gewaltthat mit Ernst verwiesen und ihm befohlen wurde, "dass er sich forthin dergleichen gänzlich enthalten, alle Verstorbene unter seiner Pfarr sesshaft, sie seien katholisch oder der Augsburgischen Confession, sie haben auch unter ihm oder anderer Orten communiciert, ohne die wenigste Widerred gebürlicher Weis wie von Alters Herkommen begraben, desgleichen jeder Person auf Ersuchen das hochwürdig Sacrament sub una et utraque dem Beschluss des Trientischen Concilii gemäss mit guter Ordnung reichen lassen und also alle Sachen in altherkommenem Stand und Wesen dermassen erhalten solle, damit man dergleichen Beschwerung und unsers landsfürstlichen Einsehens übrig sein möge, und sein des gnädigisten Versehens, er werde sich hierin unverweislich halten".179.2 Als der Pfarrer aber diesem Befehle zuwiderhandelte, und die Stände wiederum Beschwerde erhoben, wurde Fugger mit dem kaiserlichen Decret vom 13. Mai 1576 neuerdings ernstlich zum Gehorsam vermahnt.179.3
Der Kaiser hatte den Ständen trotz aller ihm gegenüberstehenden Schwierigkeiten und gegnerischen Anfeindungen die schriftliche Assecuration über die ihnen gewährte Religionsfreiheit gegeben und war auch jederzeit zu ihrem Schutze eingetreten.
Es lag nun an den Ständen, von derselben die Nutzanwendung zu ziehen. Das erste Erforderniss war natürlich, die bereits ausgearbeitete Kirchenordnung publiciren zu lassen und für deren sinngemässe Handhabung zu sorgen, ferner um allen dogmatischen Streitigkeiten wirksam entgegenzutreten, eine Erklärung der Confessio Augustana oder Lehrnorm (Doctrinale) zur Anerkennung zu bringen, nach welcher auch die [Seite 180] neuen Prediger examinirt werden sollten. Die zweite Hauptaufgabe lag dann in der Bildung eines tüchtigen Kirchenregimentes, das die Beaufsichtigung der Prediger und die oberste Entscheidung in allen kirchlichen Fragen und inneren Zwistigkeiten haben sollte.
Die Kirchenagende, auf die sich die Assecuration berief, gelangte im Juni des Jahres 1571 unter dem Titel: "Christliche Kirchenagenda, wie die von den zweien Ständen der Herrn und Ritterschaft im Erzherzogthum unter der Enns gebraucht wird etc. 1571"180.1 zur Ausgabe. Sie hatte aber nicht die Fassung, die ihr Chyträus gegeben, in allen Punkten unverändert beibehalten, sondern sich einige Zusätze und Abstriche gefallen lassen müssen. Dieser führte auch in einem Schreiben an die ständischen Deputirten180.2 einige solcher Veränderungen auf, angeblich um ihnen zu zeigen, wie verschiedenartig die Meinungen der Theologen sein können, doch mit einem unverkennbaren Anflug von Gereiztheit. So wäre in seiner Agende ausdrücklich gesagt gewesen, "dass der kleine Catechismus Lutheri ohne einige Aenderung, Zuthuung oder Verrückung einiges Worts oder Syllaben behalten werden sollte, item dass die Form der Tauf, wie sie aus Pfalzgrafen Wolfgangs Ordnung ihrem Bericht nach in vielen Kirchen in Oesterreich bisher gebraucht, unverändert bleiben soll; so hätte er den Form, die alten zu taufen, item den langen Form der Confirmation, wie er in der gedruckten Agenda stünde, nie gesehen; so sei das Stück vom [Seite 181] Bann und von der Absolution der Verbannten vielfältig geändert. Desgleichen hätte er die Collecten und Litaneien, die Einsetzung der Eheleute vorhin nie gesehen, geschweige dass in der Vorrede etliche Sentenz und Wort ausgelassen, dass die übrigen Wort nicht gar congrue an einander hangen".181.1
Wie bereits erwähnt wurde, hatte der Kaiser nach dem unliebsamen Zwischenfall, der sich wegen der ständischen Druckerei in Stein ereignet und den Druck um ein halbes Jahr hinausgeschoben hatte,181.2 den Wunsch ausgesprochen, dass derselbe zur Vermeidung jedes Aufsehens an der mährischen Grenze fortgesetzt werde, und zwar war von Strein das Schloss Meidburg vorgeschlagen worden.181.3 Es unterliegt wohl keinem Zweifel, dass das dem Deputirten Leopold von Grabner gehörige Schloss Rosenburg dazu ausersehen worden war.181.4 Der Umstand, dass Reuter, der nach des Chyträus' Abreise die Redaction in Händen hatte, dort Schlossprediger war, und auf diese Weise der Druck besser beaufsichtigt und beschleunigt werden konnte, mag bei dieser Wahl bestimmend eingewirkt haben. Auf keinen Fall aber erschien diese Ausgabe in Stein, wie das von Raupach zuerst behauptet und von Wiedemann und Otto nacherzählt wurde.181.5 Ganz abgesehen davon, dass es ein etwas provocirendes Aussehen gehabt hätte, wenn die [Seite 182] Stände an demselben Ort, an welchem ihre Druckerei beschlagnahmt worden, eine andere errichtet haben würden, heisst es im Deputirtenbericht vom 8. März 1575 ausdrücklich, dass ihnen nach der Aufhebung der Steiner Druckerei und der Enthaftung der Buchdrucker "wieder ein ander Ort zur Buchdruckerei" zugelassen wurde.182.1 Desgleichen sind die anderen von Raupach, Wiedemann und Otto angeführten, im selben Jahre erschienenen liturgischen Bücher,182.2 wie der Katechismus, das Enchiridion u. a. aus der Grabner'schen Presse in der Rosenburg und nicht in Stein gedruckt worden.182.3 In Befolgung der kaiserlichen Anordnung, dass die gedruckten Exemplare der Agende nicht öffentlich verkauft, sondern im Landhause deponirt und dort auch ausgegeben werden sollten,182.4 erging von den Deputirten mittels Rathschlags vom 26. Juni 1571 an den ständischen Kanzleibeamten Wolf Wucherer der Befehl, die im Landhause zu seinen Handen aufbewahrten Stücke allen denen, welche dem Herren- und Ritterstande angehörten und im Gültbuche eingetragen seien, auf deren Ersuchen in gewünschter Anzahl um die festgesetzte Taxe von 1 Gulden Rh. auszufolgen und ihnen dabei im Namen der Deputirten und Verordneten anzuzeigen, "dass sie solche Agenda und Exemplar am meisten gebrauchen zu Anordnung ihrer Kirchen und Schulen, und dass sie angezogene Exemplare in keine beschwerliche Erweiterung kommen lassen wollen". Sonst aber sollten sie Niemandem ausser mit ausdrücklichem Befehle eines der Verordneten solche ausfolgen.182.5 Noch am selben Tage begann dann der Verkauf an die einzelnen Landleute.182.6 [Seite 183]
Dass die evangelische Kirchenordnung bei ihrem Erscheinen von den Katholiken nicht sehr beifällig aufgenommen wurde, stand nicht anders zu erwarten. Der Bischof Urban von Passau erhob über Auftrag seines Metropoliten, des Erzbischofs Johann Jakob von Salzburg, bei Maximilian II. gegen sie Einsprache,183.1 und Herzog Albrecht von Baiern veranstaltete durch die Ingolstädter Theologen de Torres und Clenck eine Widerlegung.183.2 Weit unangenehmer aber mussten die Stände dadurch betroffen werden, dass sich aus ihrem eigenen Lager ein Sturm der Unzufriedenheit erhob. Freilich hätte derselbe nicht so unerwartet kommen sollen. Es war ja gewiss schwer, es Allen recht zu machen, besonders, da ja Oesterreich durch den Zusammenfluss von Predigern aus allen Ländern und Landeskirchen der Sammelpunkt aller möglichen kirchlichen Anschauungen183.3 war, und obendrein durch das Vorwiegen der radicalen Elemente das geringste Entgegenkommen im Punkte der althergebrachten Ceremonien auf Widerstand zu stossen Gefahr laufen musste. Aber um so vorsichtiger hätten die Deputirten sein sollen, und es muss ihnen als ein schwerer Fehler angerechnet werden, dass sie, wie dies auch Chyträus rügte,183.4 mit Ausnahme des Reuter keinen einzigen der österreichischen Prediger zu den Berathungen über die Agende zugezogen hatten. Durch die Ausschliessung musste von vornherein eine gereizte Stimmung gegen sie aufkommen, die sich auch bei ihrem Erscheinen sofort in den heftigsten Angriffen Luft machte.
Am lautesten schrieen die Prädicanten Peter Eggerdes in Frauendorf, Wilhelm Eck in Göllersdorf und Philipp Barbatus in Sierndorf, die auch eine ausführliche Streitschrift gegen sie verfassten.183.5 Die Verordneten und Deputirten sahen sich veranlasst, am 19. November 1571 an etliche Landleute ein bewegliches Schreiben zu richten, um dem Gezänke ein Ende zu bereiten: [Seite 184] Seit dem Jahre 1526, also 45 Jahre hätten die Stände bei Kaiser Ferdinand und dem jetzt regierenden Kaiser, eine Zeitlang auch im Vereine mit den Städten um die Zulassung "der wahren christlichen Religion" nach dem Augsburger Religionsbekenntniss unablässig angehalten und endlich im Landtage des Jahres 1568 das Zugeständniss freier Religionsübung unter der Bedingung erhalten, dass man sich früher über eine Kirchenagende vergleiche. Nachdem diese nach vieler Mühe und grossen Schwierigkeiten endlich fertiggestellt und gedruckt sei, hätten sie gehofft, "es sollen beide Ständ sammt ihren christlichen Prädicanten und Kirchendienern sich desselben ihres ausgerichten Werks nit weniger als sie selbst mit höchstem erfreuen, dem allmächtigen Gott darum herzlichen Dank sagen und nunmehr am nächsten dahin trachten, dass es auch in wirkliche Uebung gebracht würde", zumal da diese Agende einigen "evangelischen Universitäten und anderen ausländischen Kirchen und gutherzigen Christen" vorgelegt wurde, "welche dieselbe für christlich, dem h. Wort Gottes und der A. C. gleichmässig halten, approbieren und zum höchsten rühmen".184.1 Indess bemerkten sie zu ihrer "höchsten Betrübnus", wie "etliche unter den beiden Ständen oder derselben Prädicanten und Kirchendienern vorhanden sein sollen, welche in derselben Agenda Einred und Mängel zu haben vermeinen, ungezweifelt allein aus Mangel Berichts, warum es so gleich auf diesen Weg gestellt ist", worüber sie sich natürlich "zum höchsten entsetzen", weil eben jetzt die Gefahr bestünde, "dass etwa durch einfallende Disputationen das ganze christliche Werk, darnach ihre Voreltern und sie so lange Jahr mit grossem herzlichen Eifer geseufzet, gearbeitet und getrachtet, welches auch Gott Lob nunmehr nahend zu gutem gewünschtem End erlangt ist, gar leichtlich wiederum zerrüttet oder unwiederbringlich verloren werden mag". Es sei daher nothwendig, dass sie "deren Mängel, die einer oder der ander anzuzeigen hätte, ein förderliches, gründliches und lauters Wissen haben", worauf sie "solchen christlichen guten Bericht zu thun verhoffen, dadurch allen Teilen zu Ruh geholfen werden kann". Ersuchten daher, falls [Seite 185] sie selbst oder ihre Prädicanten in der Agende "einige Irrung oder Mängel" fänden, ihnen diese "inner vier Wochen" rückhaltslos und vertraulich zukommen zu lassen und auf ihre Prediger dahin zu wirken, dass sie sich inzwischen aller Disputationen und Angriffe auf dieselbe enthalten möchten.185.1
Dass die Zahl der Unzufriedenen keine geringe war, beweist das Verzeichniss derjenigen Landleute, an welche dieses Schreiben erging: Carl Ludwig von Zelking, Michael Ludwig von Puchheim, Sigmund und Heinrich Graf zu Hardegg, Niclas Graf zu Salm, Erasmus von Schärffenberg, Hartmann von Liechtenstein, Wilhelm von Hofkirchen, Veit Albrecht und Dietrich von Puchheim, Christof und Helmhard Jörger u. A.185.2 Die zwei Stände, die auch eine Vertheidigungsschrift über die Agende ausarbeiten liessen, einigten sich am 3. Februar 1572 auf einem zahlreich besuchten Tage und erklärten feierlich, dass sie diese "ungeacht der Mängel, die jetzo dawider von etlichen angezogen und kunftig auf solche Weg einkommen möchten, nach zeitiger, wolbedächtiger Berathschlagung hiemit auch angenommen haben, die auch bei ihren Kirchen mit nächster Gelegenheit ins Werk richten und dabei bleiben" wollten. Bezüglich der gegenwärtigen und künftigen Einwände sollten die Deputirten "denen, welche also Mängel zu haben vermeinen, auf ihr Ersuchen allen nothwendigen Bericht thun, ob es mit ihnen zu Richtigkeit gebracht werden möchte". Die Deputirten sollten ferner dahin trachten, dass "das Doctrinale mit ehister Gelegenheit verglichen und ins Werk gericht, aber vor seinem Beschluss den Ständen zum Ersehen fürgebracht werde".185.3
Doch fuhren auch dann noch etliche Prädicanten fort, aus "ihrem verbitterten, hartsinnigen, hässigen, ehrgeizigen Gemüt, dann von Not wegen" wider die Agende "ganz beschwerlich zu schreiben, predigen und schreien" und liessen sich auch [Seite 186] nicht "durch gütige christliche Vermahnung" davon abhalten, so dass die Deputirten keinen andern Ausweg mehr sahen als "Rath zu suchen, wie doch der fernern Erweiterung dieses beschwerlichen Handels, dem Unrath, der hierinnen leider steht, soviel möglich bei guter Zeit fürkommen und geholfen werden möchte". Weil sie sich aber diesen im Lande selbst "aus Mangel gelehrter Theologen" nicht holen konnten, sie ausserdem noch kein ordentliches Consistorium hatten, vor das diese Handlungen hätten gebracht werden können, wandten sie sich am 1. Juni 1572 an Chyträus und an die Rostocker Universität und überschickten ihnen gleichzeitig die über die Agende "in Eile" verfasste Apologie zur Prüfung und Begutachtung. Namentlich der zur Puchheim'schen Herrschaft Göllersdorf gehörige Prädicant in Sitzendorf und der dem Landmarschall unterstehende Pfarrer zu Frauendorf Peter Eggerdes machten ihnen tüchtig zu schaffen. Der Erstere beantwortete die Bitte seiner Pfarrgemeinde, mit Rücksicht auf die gerade herrschende Teuerung in einen Aufschub ihrer versprochenen Abgabe zu willigen, "allein um des zeitlichen willen" damit, dass er sie insgesammt in den Bann that, kein Sacrament mehr spendete, die Verstorbenen nicht auf dem Friedhofe, sondern auf dem Felde begraben liess und trotz aller Ermahnungen dabei blieb. Der Zweite unterfing sich seit der Veröffentlichung der Kirchenordnung "aus sonderer Hitz und gefasstem Widerwillen" nicht allein öffentlich und mit grosser Verachtung, doch ohne dafür einen stichhältigen Grund anführen zu können, wider dieselbe zu predigen und zu schreiben, sondern weigerte sich auch dem Landmarschall sammt seiner Familie und seinen Dienstleuten ein Sacrament zu reichen, bevor sie nicht das ausdrückliche Bekenntniss abgelegt hätten, dass die Agende "ein ketzerisch Buch" sei. Als ihm der Landmarschall nach vergeblichen Bemühungen, ihn umzustimmen, seinen Dienst kündigte, erklärte jener, er ginge nicht fort, ausser man führte ihn "auf einem Karren" hinweg.186.1
Chyträus bedauerte in seinem Antwortschreiben vom 4. August 1572 den "betrübten, jämmerlichen Zustand der angefangenen Kirchenreformation", tröstete die Deputirten aber durch den Hinweis, dass, falls der Kaiser seine Meinung [Seite 187] hinsichtlich des Consistoriums nicht geändert habe, und die Herren selbst über die Lehre und die Agende nicht uneins würden, durch die Bestellung eines tüchtigen Superintendenten bald Frieden geschaffen werde. Zur Ausübung der wahren, evangelischen Religion sei erforderlich: 1. das Evangelium; 2. Personen, welche diese heilsame Lehre ausbreiten, "wie Superintendenten, Pastores, Prediger und Ordination, Institution, Kirchengericht oder Consistorium, Kirchenvisitation und Synodi der Priester, recht bestellte Studia und Schulen und gute Gelddotation" und 3. "die äusserlichen Ceremonien in Kirchen als Lectiones, Gesänge und andere Kirchenübungen, welche man in den Agenden vorzuschreiben pflegt". Bei der Anordnung der Agende gebe es mehrere Wege: Man mache es entweder wie es vor zwanzig Jahren in seinem Lande gehalten worden sei, da der regierende Herzog Albrecht durch einen Superintendenten etliche Theologen und weltliche, aus dem Adels- und Gelehrtenstand gewählte Räthe die vornehmsten Landeskirchen visitiren und etwa vorkommende Missbräuche in den Ceremonien abzuschaffen und die publicirte Agende zu halten befehlen liess. Oder aber man gehe dabei ganz langsam vor und heisse die Pastoren nicht, wider ihren Willen ihre gewohnten Ceremonien aufzugeben; nach ihrem Tode oder Abzug aber verhalte man die neuen Prediger zur Annahme der in derselben vorgeschriebenen, welcher Weg besonders bei der gegenwärtigen Erbitterung zu empfehlen sei. Denn bei der Verschiedenartigkeit der Ansichten, die sich gleich in der ursprünglichen, von ihm verfassten, und der jetzt gedruckt vorliegenden Agende äussere, könne man beispielsweise die Prediger, "welche die gewöhnliche Form von Luthers kleinem Catechismus ohne alle Zusätz, item die gewöhnliche Form der Taufe aus des Pfalzgrafen Wolfgang Ordnung oder Luthers Taufbüchlein, item das gewöhnliche Traubüchlein behalten wollen, ob sie sich gleich Metten und Vesper und andere Stücke der Agenda zu halten weigern", wenn sie nur nicht ein öffentliches Geschrei dagegen erheben, ruhig dabei lassen, bis ein Superintendent oder ein anderer Theologe den dritten Weg versucht hätte, nämlich in einer öffentlichen Versammlung den Predigern Erklärungen und Erläuterungen zur Agende zu geben und sie zur Uebergabe ihrer Bedenken aufzufordern, ihnen überdies das Recht einzuräumen, bei wichtigen Berathungen aus ihrer [Seite 188] Mitte drei oder vier der tüchtigsten abordnen zu dürfen. Auf solche Art würden die Prediger, wenn sie nicht schon "mit kainischem Hass" erbittert seien, besänftigt werden. Jedenfalls aber möge man Alles aufbieten, dass die unzufriedenen Prädicanten wenigstens aufhörten, gegen die Agende zu predigen. Sie zu entlassen, habe wenig Sinn, weil sie dann in anderen Ländern ihr Unwesen treiben, von vielen Herren übrigens gar nicht beurlaubt würden und man ausserdem bei dem grossen Mangel an Predigern nicht so bald einen Ersatz fände. Nur die allergrössten Schreier, die sich zu gar keinem Entgegenkommen verstünden, seien aus dem Lande zu weisen. Unterdessen sollten sie sich mit den Ständen von Oesterreich ob der Enns und der Steiermark vereinigen und alle wichtigen Religionsfragen mit ihrem Einvernehmen vollziehen, zu welchem Zwecke man auch auf halbem Wege einen Versammlungsort für die Delegirten vereinbaren möge. Endlich sei der Kaiser zu bewegen, ihnen die Kirche bei dem Landhaus in Wien188.1 "zu vollkommener Anrichtung der Kirchenagenda, evangelischer Metten und Vesper zum Exempel anderen Kirchen auf dem Land und damit alle Winkelpredigten in der Stadt Wien abgeschafft werden" zu gestatten. Was die wider die Agende ausgegangenen Schmähschriften betreffe, so habe er zwar auch anfangs an die Verfassung einer Apologie gedacht, doch sei er sowohl als seine Collegen der Rostocker Universität später zu dem Schlusse gekommen, man könne die ärgste Anklage wider jene, dass man nämlich "dem Papst heuchle und keinen Unterschied zwischen der wahren, evangelischen und der papistischen und anderer Secten Lehre mache", nicht früher gründlich widerlegen, bevor nicht "das Doctrinal oder Lehrbuch" publicirt sei, da sie ja bekanntlich aus der Agende die Darstellung und Widerlegung der päpstlichen Missbräuche, besonders jener bei dem heiligen Abendmahl ausscheiden mussten und damit auf das Lehrbuch vertröstet wurden. Ihm graue vor der Anfechtung des Doctrinales, das sie nachdem Wortlaute des kaiserlichen Decretes vom 14. Jänner 1571 an drei Universitäten zu schicken hätten,188.2 weit mehr als vor den "Lumpenschartecken wider die Agenda". Es würden die unruhigen Pastoren, wenn man es nicht früher mit ihnen durchberiethe, ebenso wüthend darüber [Seite 189] herfallen wie über die Agenda und "die Namen: Majoristen, Osiandristen, Synergisten, Adiaphoristen oder vielleicht jetzt auch Reuterischen oder Davidisten darin haben wollen".
Erst dann solle man eine gründliche und ausführliche Schutzschrift verfassen. Jetzt aber, ehe die Agende in die Wirklichkeit umgesetzt sei, werde die beste Verantwortung sein, wenn man so schnell wie möglich "erstlich die Lehre, man behalte gleich allein die Augsburgische Confession, Apologia, Catechismus Lutheri und Schmalkaldische Artikel", wie Chemnitz meine, "oder aber das Lehrbuch, das auf der Deputirten Befehl vor drei Jahren daselbst gestellet ist, oder alle beide, welche der Grund ist aller Kirchenreformation, richtig mache, darnach das Kirchenamt mit dem Superintendenten, Consistorium ordentlich bestelle, auch die Agenda durch eine christliche Visitation oder anderweg in den meisten Kirchen, da sich die Pastores gutwillig zu begeben, ins Werk setze": dann werde "das Lästergeschrei und die Schmähschriften von selbst wie der Schnee an der Sonnen zerlaufen und verschwinden". Wenn sie sich aber jetzt mit den "eigensinnigen, zänkischen Schreiern" in einen schriftlichen Disput einliessen, sei zu besorgen, dass noch "ein viel grössers Feuer zu ewigem Nachteil dieser neugepflanzten zarten Kirchen entbrennen" und es selbst, wenn diese zum Schweigen gebracht würden, nach dem alten, von Luther citirten Verse gehen werde:
"Hoc scio pro certo, quod si cum stercore certo,
Vinco vel vincor, semper ego maculor."
Die Lästermäuler werden schon von selbst verstummen, man brauche gar keine öffentlichen Massregeln gegen sie zu ergreifen. Bezüglich der zwei Prädicanten von Göllersdorf und Frauendorf sei er nebst seinen Universitätscollegen der Ansicht, dass ihnen, obzwar man sie mit gutem Rechte aus dem Lande schaffen könnte, noch einmal bedeutet werden sollte, es stünde ihnen frei, bis zu einer künftigen Visitation die kirchlichen Gebräuche gewohnterweise auszuüben, doch mögen sie sich des unordentlichen Bannens gänzlich enthalten. Wollten sie das nicht, dann sollte man sie mit Gewalt ausschaffen.189.1
Die Deputirten liessen hierauf durch den eigens zu diesem Zwecke von den Ständen mit Zustimmung der kaiserlichen [Seite 190] Räthe bestellten Johann Friedrich Cälestinus190.1 aus der ersten Fassung und den beiden von Chyträus und Chemnitz verfertigten Schutzschriften eine neue Apologie zusammenstellen, welche von den beiden Ständen im Landtage angenommen190.2 und hierauf an Chyträus zur Begutachtung gesandt wurde.190.3 Dieser erklärte sich im Vereine mit Chemnitz, G. Cälestinus und Pouchenius, die bei ihm weilten, mit derselben einverstanden, doch rieth er ihnen die Veröffentlichung derselben durch den Druck entschieden ab, weil sie 1. unter den jetzigen Verhältnissen die Aufregung unter den Predigern gewiss nur steigern und 2. den Papisten und anderen Feinden des Evangeliums einen Einblick in ihre inneren Streitigkeiten gewähren würde, was entschieden verhütet werden müsse. Das beste Vertheidigungsmittel, erklärte er neuerdings, wäre, wenn zuerst eine Lehrnorm ausgebildet, dann das Kirchenregiment ordentlich bestellt und drittens die Agende durch Visitationen oder andere Mittel in denjenigen Kirchen, in welchen sich die Pastoren gutwillig in dieselbe fügten, durchgeführt wäre. Das Erscheinen des Lehrbuches würde freilich noch lange währen, falls es wirklich bei der kaiserlichen Entscheidung bliebe,190.4 denn gleich das erste über die Agende eingelangte Universitätsgutachten — es war aus Wittenberg — hätte zu verstehen gegeben, dass man dort kein neues Lehrbuch haben wollte, und zur Annahme ihres "Corpus doctrinale" gerathen.190.5 Man möge daher bei Hofe, wenn der Kaiser wirklich nicht von dieser Bedingung abzubringen sei, einfach die Confessio Augustana und Luther's Katechismus vorschlagen. Der Superintendent aber müsse eine eigens verfasste "Formula doctrinae, darin alle zu dieser Zeit strittige Artikel christlich und deutlich und doch auf das kürzeste erkläret", bei sich haben, die er den Ordinanden nach dem Examen zur Unterfertigung vorzulegen und bei der Visitation zu gebrauchen hätte. Sie könnte mit der Zeit auch gedruckt und hernach "ein vollkommenes Doctrinal" publicirt [Seite 191] werden. G. Cälestinus werde voraussichtlich diese "Formula concordiae" und das Doctrinale nach Wien mitbringen.191.1
Die Stände sahen auch wirklich von der Publication der Apologie ab.191.2 Der Lärm aber verstummte nicht, sondern wurde immer ärger; alle guten Rathschläge des Chyträus und Bemühungen der Deputirten, die Prediger zu beruhigen, waren vergeblich. Die zwei Prediger des Carl Ludwig von Zelking und Christof Freiherrn von Jörger, ferner die zwei der Brüder Gilleis thaten sich besonders hervor und scheuten sich nicht, auch ihren Landesfürsten — wie das die Flacianer überhaupt mit Vorliebe thaten — in eine im Druck erschienene Schmähschrift wider die Agende hineinzuziehen. Da sie überdies noch gegen die Katholiken loszogen, sah sich der Kaiser veranlasst, gegen diese vier Prediger am 1. März 1574 ein scharfes Decret zu erlassen, in welchem er den Deputirten den Befehl ertheilte, die nöthigen Schritte zu thun, dass diese vier, sowie alle anderen Prädicanten "so zu dem verfassten Schandbuch Rath, That, Consens, Hilf und Förderung gegeben, innerhalb sechs Wochen von dato anzuraitten, gewisslich aus dem Lande geschafft und sich darüber darinnen nit betreten noch erfahren lassen, auch sonsten dergleichen widerwärtigen friedhässigen Leuten im Land kein Platz gegeben werde; denn wo das nit geschehe, würden I. k. M. kraft des bewussten Beschluss und zu Erhaltung Ruhe und Einigkeit zwischen beiderseits Religionsverwandten selbst auf gebürende Mittl zu trachten verursacht, dessen sie lieber überhoben wären".191.3 Die Stände übermittelten diesen Befehl unverzüglich den Dienstgebern der vier Prediger. Jörger hatte den seinen bereits entlassen. Der des Herrn von Zelking übergab eine schriftliche Entschuldigung und versprach, dass er die Kirchenagenda unterschreiben, "künftig dergleichen vermeiden, sondern sich unverweislich und friedlich verhalten wolle". Die anderen zwei erklärten mündlich, dass sie der k. M. zuwider auf der Kanzel oder sonst in argem nie gedacht, sich auch künftig davor hüten wollen.191.4 Der Kaiser drückte in seiner [Seite 192] darauf erfolgten Resolution vom 20. April seine Befriedigung darüber aus, dass der Prediger des Jörger bereits abgeschafft sei, doch wüsste er nicht, ob dieser ausser Landes sei und nicht vielleicht bei einem andern Landmann "sein Unterschleif suche und finde" und nun dort geradeso sein Unwesen treibe wie vordem; daher der Landmarschall Nachforschungen pflegen und, falls er noch im Lande sei, seine Ausweisung verfügen sollte. Wegen des Zelking'schen Predigers wolle er sich für diesmal mit seinem Widerruf begnügen, wenn er sich seinem Versprechen gemäss "nach der Apologia und Kirchenagenda" verhalte, obwohl er lieber hätte, wenn er, "weit von dannen wäre". Die Prediger der Herren von Gilleis seien nochmals zu ihrer Entschuldigung zu verhalten, und falls sie auf "ihrer Opinion" verharrten, bliebe es bei dem ersten Decret. Das Schandbuch aber und die darauf bezüglichen Schriften sollten, wo man sie anträfe, gesammelt und vertilgt werden.192.1
Wenige Monate später geschah ein grosser Schritt nach vorwärts. Chyträus war über neuerliche Aufforderung der Deputirten192.2 im Juni von Graz, wo er für die steirische Landschaft das evangelische Kirchen- und Schulwesen eingerichtet hatte,192.3 nach Oesterreich gekommen. Alsbald berief man nach Stein einen Convent ein, an welchem sich unter seinem Vorsitz Reuter, Fr. Cälestinus und andere Prediger betheiligten. Zur endgiltigen Herstellung eines Consenses unter den streitenden Predigern wurde die von Chyträus ausgearbeitete "Norma doctrinae"192.4 neuerdings durchberathen und angenommen, die Vornahme von Visitationen beschlossen, vor Allem aber die Nothwendigkeit der Errichtung eines Consistoriums und der Wahl eines Superintendenten zur Erhaltung und Wahrung der Eintracht betont.192.5 [Seite 193]
Der Mangel eines tüchtigen und erfahrenen Kirchenregimentes mit einem erprobten Superintendenten an der Spitze hatte sich bisher in allen den nach der Veröffentlichung der evangelischen Kirchenordnung ausgebrochenen Streitigkeiten äusserst fühlbar gemacht. Die Religionsdeputirten, die dasselbe einstweilen ausübten, bewiesen dabei ihre vollständige Unfähigkeit. Selbst der radicalen Partei angehörig, thaten sie nicht viel, um die ausgebrochenen Differenzen zu beseitigen. Und Reuter, der einzige Theologe und der gemässigteste unter ihnen, war viel zu schwach, um ihnen Widerstand zu leisten, und liess sich vielmehr von ihnen in das Schlepptau nehmen.
Schon im Jahre 1569 hatten die zwei evangelischen Stände ihr Augenmerk auf den Braunschweiger Superintendenten Martin Chemnitz193.1 gerichtet. Dieser, unstreitig einer der bedeutendsten lutherischen Theologen, durch seine tiefe Gelehrsamkeit, besonders aber durch seine Schrift "Examen concilii Tridentini" berühmt, war eine der Säulen der reinen lutherischen Lehre und trotz seiner Verehrung für Melanchthon ein Gegner der Kryptocalvinisten, dabei aber von einer auch gegnerischerseits anerkannten Mässigung, so dass diese Wahl gewiss eine treffliche war. Zu diesem Zwecke hatten sich die Deputirten zuerst durch Chyträus193.2 und dann durch einen ihrer Landleute, Wolf Christof von Mamming, der diesen von Rostock nach Oesterreich begleitete193.3, persönlich bei Chemnitz angefragt, ob er eine Berufung nach Oesterreich annehmen wollte; doch war darauf keine Antwort erfolgt.193.4 Am 5. Juli 1571 wandten sich nun die Deputirten neuerdings an Chyträus mit der Bitte, er möge ihnen behilflich sein, den von ihm und anderen "hochgerühmten" Chemnitz dahin zu bringen, dass er "zu Reformierung der österreichischen Kirchen und Anrichtung und beständiger Erhaltung [Seite 194] der Agenda" das Amt eines Superintendenten übernehmen wolle. Sie schlossen auch ein Schreiben an Chemnitz bei, worin sie ihm mittheilten, dass die Berufung mit Vorwissen Kaiser Maximilians erfolge, und versprachen, "er solle von den Ständen so gehalten werden, daran er versehentlich wol vergnügt sein werde".194.1 Chemnitz antwortete den Ständen am 13. August, er habe diesen Ruf, der ihn sehr schmeichle, durch acht Tage allein und mit Anderen wohl erwogen und ihn darauf dem Stadtrath zur Entscheidung unterbreitet, dessen Erklärung er nun beisende.
Darnach könne er nicht mit gutem Gewissen "in diesen gefährlichen Zeiten, sonderlich des Calvinismi halben" die dortige Kirche verlassen. Nach seinem Dafürhalten sollte Chyträus, der ja die Agende verfasst habe, dieselbe auch zur Durchführung bringen und deshalb auf ein Jahr nach Oesterreich berufen werden, währenddem man eine andere taugliche Persönlichkeit finden könnte.194.2
Chyträus schlug den Deputirten in seinem Antwortschreiben ddo. Berlin, 20. August 1571 für den Fall, dass Chemnitz die Berufung nicht annehmen sollte, den kurbrandenburgischen Theologen Dr. Georg Cälestinus,194.3 einen Bruder des später in Oesterreich bediensteten Predigers Johann Friedrich, vor, den er mit dem österreichischen Adeligen Sigmund Leisser auf seiner Rückreise von Oesterreich in Berlin persönlich kennen gelernt hatte, "einen gottseligen, bescheidenen, friedliebenden, wolerfahrnen, gelehrten und beredten Mann, der nun viel Jahre durch das heilige Kreuz wol probiert und dennoch dabei fröhlich und leutselig ist". Derselbe sei "nun über zwanzig Jahr an kur- und fürstlichen Höfen mit Leuten umgangen, wie er dann jetzunt in das achte Jahr des Kurfürsten zu Brandenburg Hofprediger und des reformierten Stifts allhie zu Berlin Dompropst ist und zuvor bei einem Fürsten zu Plauen zu Drüsingen, eine Wegreis von Prag fünf Jahr gedient". Er zweifle nicht, [Seite 195] dass ihn der Kurfürst von Brandenburg für ein oder zwei Jahre beurlauben werde, damit er "einen jungen, wolbegabten Mann in dem Superintendentenamte unterweisen könne". 195.1
Die Stände ersuchten nun am 5. Juni 1572 nochmals Chemnitz, die Superintendentur bei ihnen zu übernehmen,195.2 und hielten unterdessen mit der Berufung des Cälestinus aus dem Grunde inne, weil jener bereits dem Kaiser vorgeschlagen, diese Auswahl von ihm auch gebilligt worden war, und sie daher nicht gleich einen anderen berufen konnten. Gleichzeitig richteten sie an Chyträus die Bitte, er möchte, wenn Chemnitz ablehnte, selbst auf ein Jahr zu ihnen kommen und die Ordnung des evangelischen Kirchenwesens in seine Hand nehmen, und erklärten sich bereit, seine Hausfrau und Kinder auf Landeskosten sicher herbringen zu lassen, ihm für ein Jahr tausend Gulden Rh. sammt einer ihm passenden Wohnung und einem ausreichenden Holz-, Wein- und Getreidedeputat zu geben und ihn nach Ablauf des Jahres, falls er nicht länger bleiben wollte, sammt den Seinen wiederum unentgeltlich zurückzubringen. Sie ersuchten ihn auch, ihnen einen tauglichen Prädicanten zur Unterstützung des Superintendenten zu verschaffen oder gleich mitzubringen. Dieser würde ebenfalls im Namen der zwei Stände und der Deputirten in Wien angestellt und erhielte nebst Wohnung, Holz, Wein und Getreide ein Anfangsgehalt von circa 300 Gulden. Ausserdem wollten sie zur Entlastung dieses Prädicanten, der mit den Wochenpredigten und der Administration der Sacramente und dergleichen Kirchendiensten, noch dazu bei der keineswegs kleinen Gemeinde mehr als genug zu thun haben würde, einen Diakon bestellen, der "die Verhör der Beicht aufnehme, die Kindlein taufte, die Communion hielt, den Catechismum und die Collecten der Agendaordnung nach verlesen thät".
Diesem Geistlichen, zu welchem ihnen Chyträus ebenfalls behilflich sein möchte, wollten sie neben Quartier und einem Naturaldeputat gegen 100 Gulden geben.195.3 [Seite 196]
Chyträus schlug darauf zum Prediger den schon genannten Georg Cälestinus196.1 und zum Diakon den wohlgelehrten und frommen Mag. Mento Gogrevius196.2 vor. Was ihn selbst aber betreffe, tauge er nicht "zum Predigtamt, noch zu Weltsachen oder mit andern Leuten stattlich und fruchtbarlich zu handeln", ausserdem werde er täglich schwächer. Er wisse auch nicht, ob seine Vorschläge bezüglich der Anordnung der Agende, wozu er "neben einem andern hochbegabten, verständigen Superintendenten" gerne helfen wollte, den Deputirten genehm seien. Wenn dies aber der Fall sei, so wolle er ihrer Berufung ohne weiteres Folge leisten, auch einen Prädicanten und Diakon mitbringen und nach Michaeli zu ihnen reisen. Doch sei es unnöthig, dass sie sich bei seiner Herreise neuerlich in so grosse Unkosten stürzten; es genüge, wenn ein österreichischer Edelmann an den Kurfürsten zu Brandenburg des Cälestinus, an den Rath zu Braunschweig des Chemnitz und an die Herzoge Johann Albrecht und Ulrich von Mecklenburg seinetwegen mit einigen hundert Thalern für die Reise abgefertigt werde.
Chemnitz hatte an diese nunmehr zum dritten Male erfolgte Berufung nach Oesterreich gewisse Bedingungen geknüpft, die nicht so einfach gewesen zu sein scheinen. Wir kennen eine von diesen, vermuthlich ist es auch die, welche Chyträus als die "bedenklichste" bezeichnete, nämlich "eine offene Kirche". An diesem Punkte scheinen auch die Verhandlungen, welche Strein im Namen der Stände mit dem Kaiser führte, gescheitert zu sein; denn im Principe hatte er damals die Bestellung eines Superintendenten genehmigt — aber nur, wie dies als sicher angenommen werden kann, in der Bedeutung eines ersten Landschaftspredigers,196.3 ohne die mit jener Stellung verbundene kirchengerichtliche [Seite 197] Ingerenz.197.1 Die Stände liessen daher auch, als die Berufung des Chemnitz nicht zu erlangen war, durch Strein den Rostocker Superintendenten Simon Pauli vorschlagen, gegen den der Kaiser nach ihrer Meinung umso weniger irgendwelche Bedenken haben konnte, als er ihn seiner Zeit selbst zur Verfassung der Agende vorgeschlagen hatte.197.2
So verging über diese Verhandlungen mit dem Kaiser ein ganzes Jahr, bis sich die Stände entschlossen, damit in der Bildung des Kirchenwesens kein weiterer Stillstand einträte, inzwischen G. Cälestinus und Gogrevius zu bestellen, nachdem sie von dem Kaiser mit Rücksicht auf den Mangel an einheimischen gelehrten und geübten Predigern "zum Theil" die Bewilligung dazu erhalten hatten.197.3 Am 15. August 1573 wurden die darauf bezüglichen Decrete an G. Cälestinus197.4 und an seinen Herrn, den Kurfürsten Georg von Brandenburg,197.5 sowie an Gogrevius197.6 ausgefertigt.
Dieser antwortete am 18. September, dass er ein ganzes Jahr vergebens auf seine Berufung gewartet, sich darüber in grosse Unkosten gestürzt und, nachdem er mehrere Posten ausgeschlagen, unlängst einen angenommen habe, doch wolle er bis Ostern eine Entscheidung treffen.197.7 Die Stände nahmen dieses Anerbieten dankend an und wiesen ihm 50 Thaler bei Chyträus an.197.8 [Seite 198]
Cälestinus erklärte sich am 4. October bereit, das Amt eines Predigers auf ein Jahr zu übernehmen, vorausgesetzt, dass der Kurfürst seine Erlaubniss dazu gebe; bat aber, man möge auch seinen Freund Chyträus, der ohnedies in die Steiermark reisen müsse, bestellen, da er ohne ihn "wenig Nutzen" schaffen könne. Gegen die seinem Berufungsdecret beigeschlossenen Ordinationsartikel habe er keine Bedenken.198.1 Die Deputirten gaben darauf am 26. October ihrer freudigen Erwartung seiner baldigen Ankunft Ausdruck und wiederholten durch einen eigenen Boten bei dem Kurfürsten ihre Bitte.198.2 Dieser stimmte auch zu und setzte Maximilian II. brieflich davon in Kenntniss. Cälestinus trat also seine Reise nach Oesterreich an, und zwar in Begleitung des Chyträus und eines Gesandten der steirischen Landschaft,198.3 dem er — und dies ist gewiss etwas merkwürdig — ebenfalls bereits zugesagt hatte, sich zur "Aufrichtung der Kirchen- und Schulordnung" in" ihren Dienst zu begeben,198.4 ohne dass er den österreichischen Ständen ein Wort davon erwähnt hätte. Nun wäre das allein noch nicht so schlimm gewesen, weil er ja nach Verrichtung seiner steirischen Mission seine Stelle in Oesterreich hätte antreten können; er hatte aber, wie es sich später herausstellte, überhaupt nur ein Vierteljahr Urlaub und war insoferne schon wortbrüchig geworden, als er sich ihnen auf ein ganzes Jahr verpflichtet hatte.
Unterwegs aber, in Meissen, hatte sich G. Cälestinus mit dem steirischen Gesandten zerschlagen, und dieser schrieb deswegen an die österreichischen Stände, worauf die ganze Sache aufkam. Als jener daher ganz unerwartet in Wien erschien und den Deputirten in einer besonderen Eingabe seine Dienste anbot, worin er, schon von der Besorgniss erfüllt, seine Bestellung könnte von den Ständen "um der zwischen ihm und dem steirischen Gesandten fürgefallenen Irrungen willen" rückgängig gemacht werden, bat, den von diesem wider ihn "ausgegossenen Auflegungen und Beschwerungen" nicht gleich zu glauben und seine durch die Herreise entstandenen Unkosten zu berücksichtigen, wurde ihm von den Deputirten einige Tage darauf, [Seite 199] am 28. December, kein sehr gnädiger Bescheid zu Teil. Sie hätten, heisst es darin, auf des Chyträus Rath sowohl durch diesen als durch eigene Schreiben mit ihm wegen der Annahme der Predigerstelle verhandelt, in die er auch brieflich eingewilligt habe. Darauf sei ein eigener Bote an ihn geschickt worden, in der Voraussetzung, er nehme zunächst "diese österreichische und gar keine andere oder gleich doppelte Vocation" an, weil er von der anderen Berufung, wovon er doch damals bereits Kenntniss gehabt haben musste, keinerlei Meldung gethan habe, und die ganzen Unterhandlungen in dem Sinne geführt worden seien, dass er die Stelle, wenn nicht länger, so doch auf ein Jahr annehmen solle.
Nun stelle sieh aber heraus, dass er sich sowohl in die Steiermark als hieher habe berufen lassen und also "eine doppelte Vocation" angenommen habe, wie er dies selbst bekenne und auch aus dem Schreiben seines Kurfürsten an den Kaiser, besonders aber aus dem Briefe eines steirischen Verordneten ddo. 17. December hervorgehe, "darinnen die Herren Verordneten in Steyr den Herrn Cälestinum seines bei ihnen angenommenen Berufs allererst begeben und herüber nach Oesterreich weisen". Dazu komme noch, dass er vom Kurfürsten nur ein Vierteljahr für Steiermark oder Oesterreich Urlaub habe, während die Berufung auf ein ganzes Jahr laute; daher es wohl in der Ordnung gewesen wäre, dies den Ständen früher mitzutheilen und ihren Bescheid zu erwarten. Ohne auf seinen Streit mit dem steirischen Gesandten, der allerdings zwischen den beiden Landschaften, wenn man ihn darauf hin bestelle, einen Zwiespalt herbeizuführen geeignet sei, näher einzugehen, sei die Sache selbst, um die es sich dabei gehandelt habe, eine solche, "die nun bei vielen ausgebrochen und etwa noch immerdar mehrers für die Leut kommen mag, daher auch bei den Feinden oder Widerwärtigen der christlichen Religion desto mehr Aergerniss, Unruhe, Gezänk und Verachtung des Wort Gottes oder andere Anstöss erfolgen würden".
Man kann unschwer errathen, was die Deputirten mit dieser Andeutung meinten: es war der Streit über die Natur der Erbsünde, ob diese nämlich die Substanz selbst oder nur ein Accidenz sei, in welchem G. Cälestinus offenbar eine decidirte Haltung angenommen hatte, und zwar, wie man zu vermuthen berechtigt ist, gegen die flacianische Auslegung derselben [Seite 200] als Substanz, weil im andern Falle die Deputirten — ihr weiteres Verhalten wird es zeigen — gewiss keine Bedenken gehabt hätten, ihn trotz seines unehrlichen Verhaltens und seines Streites mit dem Gesandten als Prediger anzunehmen. Sie bewilligten ihm, da er die Reise in steirischen Diensten gemacht habe, nur für seine Bemühungen bei der Durchsicht der Apologie und für die Widmung seiner Tractate, "Wie sich ein Diener des Wort Gottes halten solle" betitelt, 535 Thaler, doch unter der Bedingung, dass er dem A. Pouchenius davon 50 gebe, die bezeichneten Schriften zu ihren Handen erlege und sie nicht weiter verbreite, oder wenigstens ihren Namen nicht nenne, weil sie ihnen "etlichermassen zuwider" seien, dass er endlich so bald als möglich abreise und über das Vorgefallene vollkommenes Schweigen bewahre.200.1
Cälestinus nahm das Geld und reiste ab. Als er aber wieder in Berlin war, schlug er Lärm, verlangte beglaubigte Abschriften der von Chyträus und dem steirischen Gesandten "hinterrücks" geschriebenen Briefe und nahm die Autorität seines Kurfürsten in Anspruch, der deshalb dreimal200.2 an die Deputirten schrieb und sogar mit einer kaiserlichen Intervention drohte, bis endlich Cälestinus auf die energischen Vorstellungen derselben Ruhe gab.200.3
Da wurde den Deputirten von einer "vertrauten Person" ein Schreiben zugestellt, das Dr. Jeremias Homberger von Lauingen aus, wo er als Theologieprofessor wirkte, einem Augsburger Freunde gesandt hatte. In diesem rühmte er die österreichische Agende, stellte ihr das Zeugniss aus, dass sie den prophetischen, apostolischen Schriften und der Confessio Augustana vollkommen gemäss sei, und bot der evangelischen Kirche in Oesterreich seine Dienste an. Homberger erhielt nun durch diese Mittelsperson die Aufforderung, herzukommen und einige Probepredigten zu halten, der er auch Folge leistete, worauf dann die beiden Theologen Friedrich Cälestinus und Reuter [Seite 201] angewiesen wurden, mit ihm wegen Uebernahme des ständischen Predigeramtes Unterhandlungen zu pflegen. Man forderte hauptsächlich, "dass er sich des ärgerlichen Streits de accidente peccati originis, welchen er bald im Anfang in seiner geschriebenen Confession gesetzt hätte, müssig gehen und diese noch zarte, junge Kirche mit Erregung dieses Streits nicht turbiren, ja weder das Wörtl substantia noch accidens gebrauchen, sondern bei der Form, so die Propheten und Apostel, Lutherus, ja der Herr Christus selbst in dieser Materia gebraucht hätte, bleiben solle", wogegen er wohl einwandte, "dass er diese seine Meinung de accidente nicht könnte fallen lassen in Bedenkung, dass er seine Meinung vielen Pastoren communiciert, die ihm auch Beifall gethan, auch in privatis et publicis lectionibus seinen Discipeln dictiert, welche er alle schwerlich, da er von seiner Meinung fallen solle, ärgern würde". Doch nach vielem Zureden der beiden Theologen und der Deputirten, namentlich durch den Hinweis, dass er nur unter dieser Bedingung angestellt werden könnte, gab er dann am 6. April 1574 die schriftliche Erklärung ab, "dass er dieses Streits, so lang er in ihrem Dienst sein würde, ganz müssig gehen, ja da er je von jemand so hoch dazu gedrungen würde, seine Meinung zu vertheidigen, so wollte er solches doch mit ihrem Vorwissen thun, ja lieber Urlaub haben, denn Unruhe erregen".
Damit gaben sich die Deputirten zufrieden, verschoben aber die Bestellung bis zu ihrer nächsten Zusammenkunft nach Ostern, weil einige von ihnen, wie sie vorgaben, in dringenden Geschäften abreisen mussten. In Wahrheit aber war ihnen an ihm nicht viel gelegen. Homberger war allerdings einst ein Anhänger der flacianischen Lehre von der Erbsünde gewesen und hatte auch über Wunsch des Flacius eine Elogie darauf verfasst, welche dieser dann in seiner Replik auf die "Streitschrift des Andreä" abdrucken liess. Er hatte sich aber später in einem Briefe an Flacius von seiner Meinung losgesagt und war also zu dieser Zeit — was die Deputirten offenbar früher nicht gewusst hatten — ein "Accidenzler".201.1 Diese hatten übrigens die Predigerstelle, vorausgesetzt, dass das Datum des [Seite 202] Bestallungsbriefes richtig ist, bereits am 13. April, jedenfalls aber bald nach der Eröffnung der Unterhandlungen mit ihm, an einen erklärten Flacianer, den unmittelbar vorher seiner Lehre wegen aus Regensburg ausgewiesenen Mag. Josua Opitz vergeben.
Sie hüteten sich jedoch, mit Homberger offen zu brechen, weil sie den Verdacht, als begünstigten sie den Flacianismus, bei der anderen Partei der zwei Stände vermeiden wollten, und unterhandelten mit ihm weiter. Er aber, der ihre Absichten durchschaute, dürfte sich in ihrer Abwesenheit über ihr Vorgehen beschwert haben; wenigstens warfen sie ihm in ihrer Landtagsrelation vom 8. März 1575 vor, er habe sich währenddem unterstanden, seine Lehrmeinung über das Accidenz der Erbsünde "heimlich bei hohen und niederen Ständen zu spargiern und insinuieren" und auch die beiden Theologen, die im Auftrage der Deputirten mit ihm conferirt hätten, zu verdächtigen, als würden sie ihn nur deshalb nicht anstellen, weil er die These, die Erbsünde sei die Substanz selbst, nicht vertheidigen wollte, und ihm daher allerlei Schwierigkeiten machten.
Als die Deputirten wieder versammelt waren, wurde ihm am 17. Mai die Bestallungsurkunde im Concepte übermittelt und von ihm ein gleichlautender Revers verlangt, worauf er sie dann mit etwas veränderter Formulirung den in Baden weilenden Deputirten Leopold Grabner und Wolf Christof von Enzersdorf übergab. Als diese mit Rücksicht auf die eigenmächtigen Aenderungen keine Entscheidung zu treffen erklärten und diese ganze Angelegenheit ihren Amtscollegen nach Wien berichteten, kam Homberger einige Tage später zur Reise gerüstet nach Baden und zeigte den Beiden an, er wolle sich nach Graz zu Chyträus begeben, weil ihm dieser geschrieben habe, dass die dortige Landschaft ohne Prediger sei. Chyträus hatte aber bereits die Steiermark verlassen und kam im Juni 1574, wie schon erwähnt wurde, nach Stein.202.1 Als ihn nun Homberger in Graz nicht mehr antraf, reiste er ebenfalls dorthin und besprach sich mit ihm, der ihm zur Annahme der von den österreichischen Deputirten angebotenen Stelle rieth. [Seite 203]
Inzwischen war der bereits im Keime bestehende Zwiespalt unter den Ständen und ihren Predigern zum offenen Ausbruche gekommen, wozu Homberger's Anwesenheit in Wien nicht wenig beitrug. Die Mehrheit der Stände, darunter auch die evangelischen Rathgeber Kaiser Maximilians,203.1 ergriff für Homberger Partei und wandte sich mit heftigen Angriffen gegen die Anhänger des Flacianismus, hauptsächlich gegen die Deputirten, indem sie diesen vorwarf, dass sie ihn nur deshalb nicht zum Landschaftsprediger ernennen wollten, weil er das Accidenz nicht fallen lassen wolle, hingegen sich nicht gescheut hätten, Opitz, der öffentlich die Substanz vertheidigt habe, zu berufen. Die Verhandlungen mit Homberger wurden nun fortgesetzt und führten am 4. Juli zu seiner Anstellung als zweiter Landschaftsprediger, nachdem er im Beisein der Stände erklärt hatte, die in dem ersten Anstellungsdecret enthaltenen Bedingungen anzunehmen. Man fasste aber den Beschluss, dass er "seine phrases, die er im Predigen gebrauchen wollte, schriftlich alsbald übergeben" sollte, desgleichen auch Opitz, sowie der vor Kurzem ernannte Diakon Laurenz Becher, der ebenfalls ein Flacianer war. Die von diesen drei Predigern verfassten Schriften wurden nun geprüft und "was in einem oder anderm zu einiger Disputation Ursach geben möge", ausgeschieden. So entstand die "Formula Concordiae, aus beider Theil Schriften in dieser Sachen, der heiligen biblischen, prophetischen, apostolischen Schrift, Dr. Luthers Lehre, der Augsburgischen Confession, Schmalkaldischen Artikeln und der österreichischen Agenda allerdings gemäss gestellt", die hierauf beiden Parteien vorgelegt wurde.
Jetzt brach aber der Sturm erst recht los. Beide Theile fielen über diese Concordienformel her. Homberger, der besonders heftig gegen sie zu Felde zog, konnte jetzt nicht mehr gehalten werden und schied noch im selben Jahre aus Oesterreich.203.2 Es ist kein Zweifel, dass er durch seinen Uebereifer [Seite 204] und seine Leidenschaftlichkeit der evangelischen Kirche in Oesterreich in der Folge geschadet hätte; jedenfalls aber hätte er unvergleichlich Besseres und Verdienstlicheres geleistet als der Flacianer, den die Deputirten ihm vorgezogen hatten, nämlich Opitz.204.1
Dieser war, wie schon bemerkt, am 13. April 1574 auf ein Jahr zum Prediger der zwei evangelischen Stände angestellt worden, um ihnen und den Ihrigen "derzeit in des Landmarschalls Behausung oder was ihnen Gott sonsten und kunftiglich für eine zum gemeinen Gottesdienst geben und bescheren möchte, das heilige Wort Gottes, Gesetz und Evangelium inhalt der prophetischen und apostolischen Schriften rein und lauter, in rechtem, wahrem Verstand, wie der in den alten Symbolis Apostolico, Nicaeno, Athanasiano et Ambrosiano, auch obbemelter Augsburgischer Confession, desgleichen in den Schmalkaldischen Artikeln und Catechismis und Bekenntnissen Lutheri kürzlich verfasst, ohne allen menschlichen Zusatz, Irrthum und Corruptelen, zur Busse und Vergebung der Sünden im Namen ihres Herrn Jesu Christi fürtragen und predigen solle, für seine Person die heilige Bibel und die berührten Schriften selbst fleissig lesen und studieren und nach S. Pauli Befehl mit allem Ernst ob dem Wort halten, das gewiss ist und lehren kann, treulich und fleissig seine Sonntage, Feste und geordnete Feiertag- und Wochenpredigten thue, gleichfalls auch im Falle der Noth mit dem Diacon, so die zween Stände insonderheit angenommen, in Reichung der heiligen hochwürdigen Sacramenta guten Beistand thun oder im Fall seiner Abwesenheit solches selbst verrichten solle ..." Verlangten, dass er "zur Hinderung oder Zerrüttung gemeines Friedens und christlicher Einigkeit dieser Lande Kirchen nichts thue noch fürnehme, alles unnöthigen Gezänks, Wortkrieges, ungeistlichen Geschwätzes, thörichten Fragen und unnutzen, unpässlichen Disputationen und Predigten von der Ubiquität, von der Höll und Himmelfahrt des Herrn Jesu Christi, von der ewigen, göttlichen Vorsehung, von der Substanz oder Accidenz der Erbsünde, soll davon reden, wie in der Formula concordiae begriffen und dergleichen, auch [Seite 205] freventlichen Richtens und Bannens müssig gehe und sich in Verrichtung seiner Kirchenämter, so viel möglich und Ort, Zeit und andere Umstände geben, der in ihrem und der zweier Stände Namen publicirten Agenda und derselben Apologia gebrauch und gleichförmig erzeige und nichts dawider handle und mit gottseligen eingezogenen Leben und Wandel, wie einem Diener Gottes gebürt, die Lehre Christi in allen Stücken ziere und sich sonderlich in seinem Dienstamt keiner Herrschaft über den Diaconum und seine Mitbrüder, auch über die Zuhörer anmasse, keine unehrliche oder Kirchendienern übel anständige Hantierung treibe, sich des Vollsaufens, Zutrinkens, öffentlicher Weinhäuser, leichtfertiger Gesellschaft, Spielens, Haderns, Raufens, Schlagens, Wucherns enthalte und um aller Gefährlichkeit und sorglicher Zufälle willen die päpstischen Kirchen und Schulen und andere gefährliche Oerter inner und ausser der Stadt Wien so viel möglich meide und sein Weib und Kind mit Ernst zu Gottesfurcht, guten Tugenden und ehrlichen Arbeiten oder Künsten halten und gewöhne, damit weder durch ihn noch die Seinen jemand geärgert, und den Widerwärtigen wahrer christlichen Religion sein Amt und Person und ganze Lehre des heiligen Evangelii zu verachten und zu verlästern Ursach gegeben werde". Dafür sollte er sich ihres wirksamen Schutzes erfreuen und ein Jahresgehalt von 350 Gulden Rh. sammt freier Wohnung, 18 Klafter Holz und 50 Gulden für den Transport seiner Familie und des Gepäckes nach Wien erhalten. Am nächsten Tage stellte er den Revers aus.205.1
Seine Gegner, namentlich Jakob Andreä,205.2 von dem auch ein gedrucktes Sendschreiben gegen Flacius ausging, 205.3 beeilten sich alsbald, diesen Prediger bei den Ständen unmöglich zu [Seite 206] machen.206.1 Sie hinterbrachten ihnen, dass er wegen seiner flacianischen Gesinnung vom Stadtrath in Regensburg, wo er als Superintendent gewirkt hatte,206.2 kurz vorher seines Amtes enthoben worden sei,206.3 und liessen ihn durch die Deputirten auffordern, sein Abschiedsdecret vorzuzeigen. Opitz rechtfertigte sich darauf in zwei ausführlichen Berichten. Er würde sich, sagt er darin, nie in den Streit von der Erbsünde eingemengt haben, wäre er nicht von dem Regensburger Stadtrath selbst hineingezogen worden, weil dieser nämlich von ihm verschiedene Censuren über anderwärts ausgegangene Schriften verlangt habe.206.4 Nicht viel besser erging es den zwei anderen bei den Ständen bediensteten Predigern Friedrich Cälestinus206.5 und Becher, denen man ebenfalls nichts Geringeres zur Last legte, als dass sie ihrer flacianischen Lehre wegen von anderswo ausgewiesen worden seien.206.6
Die Deputirten setzten sich in der zum Landtage des nächsten Jahres zusammengestellten Relation äusserst energisch für ihre drei angegriffenen Prediger, deren Wiederanstellung für das folgende Jahr sie beantragten, ein und griffen zu einem ungemein wirksamen Mittel: sie baten, man möchte sie des Deputirtenamtes entheben, das sie nun seit dem Jahre 1568, also schon in das siebente Jahr ausgeübt hätten, ohne irgend etwas Anderes als bei dem grösseren Theil der Stände Undank geerntet zu haben.206.7 Das machte auch wirklich Eindruck. Die Stände baten sie in ihrer Erwiderung, im Amte zu verbleiben, nahmen ihre Entschuldigung wegen des Homberger an, obwohl Etliche unter ihnen "fast gern gesehen", dass derselbe bei ihrer [Seite 207] Kirche bestellt worden wäre. Bezüglich der Wiederverwendung der drei des Flacianismus beschuldigten Theologen fanden sie, "dass fast gut wäre, zu Verhütung allerlei Unraths, so hieraus erfolgen möchte, sich hinfüro dergleichen Leut, so viel möglich sein kann, zu enthalten, wie sie denn für gut achten, dass die Herrn Deputirten darauf gedacht sein wollen, Theologos oder Prädicanten, so anderer Orten vertrieben und abgefertigt, nicht zu promovieren, zumal weil hierdurch der k. Mt Ursach geben werden möchte, denen Ständen dergleichen Leut abzuschaffen, sondern vielmehr solche Leut befürdern, die eines guten Lobes reiner Religion und guten Namens sein. Soviel aber Dr. Cälestinum belangt, haben die Stände seiner Person halben auch kein ander Bedenken, allein dass denen Ständen fürkommen, wie er fast in grossem Verdacht bei männiglichen, dass er in der Religion nit allerdings lauter und deswegen anderer Orten vertrieben sei worden; und weilen sonderlich die Stände befinden, dass er nunmehr dasjenig, dazu er bisher gebraucht, vollendet und man seiner nit mehr bedürftig sein werde oder zu einem Superintendenten zu gebrauchen sei, so erachten die Stände, er Cälestinus möchte mit ehister Gelegenheit und gutem Fug seines Dienstes erlassen und ferner in der Landschaft Dienst nit aufgehalten werden.
"Des Herrn Opitii und Herrn Lorenzen Becher sein gleichwol etliche unter denen Ständen der Meinung gewest, dass sie beide auch alsbald fürnehmlich der Ursachen, weil sie anderer Orten auch übel abgeschieden und allerlei wider sie geschrieben werde, zu Verhütung mehrerlei Verdachts geurlaubt und weggeschafft werden sollen, die meisten aber dahin geschlossen, dass sie beide noch zur Zeit bei ihren Diensten doch unverbunden bleiben, und sollen ihnen alle Tractätl und anders, was bisher wider sie einkommen, um ihre Verantwortung zugestellt, alsdann dieselbige Handlung alle etlichen Universitäten um ihr Iuditium, ob sie Gewissens halben zu erhalten sein, überschicken. Da nun befunden, dass ihre Verantwortung für genugsam erkannt, möchten sie länger bei ihren Diensten bleiben; wo sie aber nit für genugsam gehalten, dass sie entweder ihren Irrthum öffentlich revocieren oder da sie das nit thun wollten, alsbald, so wol auch andere Prädicanten, so in diesem Verdacht und Irrthum sein, abgeschafft würden. Zum Fall sich auch einer oder der ander entzwischen in seinem Predigtamt [Seite 208]verdächtlich hielte, sollen sie ohne Mittel geurlaubt, sonsten aber bis zur Aufrichtung des Consistorii und der Superintendenten sollte neben den Herrn Deputierten und Herrn Christoffen Reuter noch ein gelehrter Theologus, so reiner, unverfälschter Lehre, gehalten und hierinnen keine Unkosten erspart werden."208.1
Die Religionsdeputirten liessen sich auf diese so entgegenkommende Replik hin zur Weiterführung ihrer Amtsgeschäfte herbei, erklärten aber, des Cälestinus, der übrigens mit kaiserlicher Bewilligung aufgenommen worden sei, "zu Aufrichtung des Consistorii und anderer fürfallenden Sachen" gar nicht entrathen zu können. Sollten die künftigen Deputirten die Religionsgeschäfte mit einem anderen Theologen richten können, so hätten sie nichts dagegen.
Wenn vorgegeben werde, er sei aus anderen Städten vertrieben worden, beruhe dies auf einem Irrthum.208.2 Bezüglich der von Regensburg wider Opitz verbreiteten Anklagen erklärten sie sich bereit, seine Verantwortungsschrift mehreren unparteiischen Kirchen zuzuschicken und deren Censuren zu erwarten, denn von den Universitäten werde kaum eine in ganz Deutschland zu finden sein, die nicht bereits für die eine oder die andere Lehrmeinung Partei ergriffen hätte. Becher aber habe sich nie an dem Erbsündenstreite betheiligt und sei nur deshalb von den kurfürstlich-sächsischen Theologen seines Dienstes enthoben worden, weil er Melanchthon's Doctrinale, wogegen er einige begründete Bedenken hatte, nicht unterfertigen wollte.208.3
Der festen, entschlossenen Haltung der Deputirten gegenüber gaben endlich die Stände — nicht zum Heile der evangelischen Kirche in Oesterreich — nach und entschuldigten sich noch obendrein in ihrer Schlusserledigung vom 30. März: Sie hätten nur gedacht, man würde des Fr. Cälestinus, den sie übrigens nie im Verdachte "unrechter Religion" gehabt hätten, nach Vollendung des Lehrbuches, der Apologie und anderer dogmatischer Schriften nicht mehr so hoch bedürftig sein; soferne die Deputirten aber weiter seine Hilfe benöthigten, hätten [Seite 209] sie nichts dagegen einzuwenden. Becher sei nunmehr durch verschiedene eingelaufene Berichte vollkommen gerechtfertigt worden. Auch gegen die Belassung des Opitz trügen sie keine weiteren Bedenken, falls er sich seinem Reverse gemäss verhielte, und seine Rehabilitation seitens einer oder mehrerer Universitäten erfolgt sei. Nicht gegen die vertriebenen Prädicanten überhaupt wendeten sie sich, sondern lediglich gegen die, welche "einer irrigen Lehre halben" vertrieben worden seien.209.1
Im Landtage desselben Jahres unternahmen die Stände einen ernsthaften Schritt zur Ausgestaltung ihres Kirchenwesens. Es wurde beschlossen, das Doctrinale, auf welches sich die gedruckte Agende berief, und das nun endlich fertiggestellt war, einem Ausschuss von je sechs Landleuten aus dem Herren- und Ritterstand neben den Deputirten und einigen gelehrten Theologen zur Begutachtung vorzulegen, hierauf im Sinne der kaiserlichen Resolution vom 14. Jänner 1571 den drei Universitäten Tübingen, Wittenberg und Rostock zur Censur zu schicken und im Falle ihrer Zustimmung in den Druck zu legen; falls aber in einem oder dem andern Punkte Bedenken geäussert würden oder, wie zu erwarten stand, einander widersprechende Gutachten einkämen, sollte es vorher entsprechend umgearbeitet und der Stände Beschluss darüber eingeholt werden. Auch sollten die Deputirten an die evangelischen Stände des Landes Oesterreich ob der Enns die Anfrage ergehen lassen, ob sie zur Ueberprüfung dieses Doctrinals ihre Verordneten hersenden und sich ebenfalls "um christlicher nachbarlicher Einigkeit willen" dazu bekennen wollten. Nach Erledigung dieses Punktes sollte die Apologie im Ausschusse vorgenommen werden, doch ohne sie einstweilen durch den Druck zu veröffentlichen.
Auch die Errichtung eines Consistoriums mit einem Superintendenten trat wieder in den Vordergrund. Seitdem der im Jahre 1573 vorgeschlagene Pauli bei dem Kaiser nicht [Seite 210] durchzubringen gewesen war,210.1 war von der Besetzung dieser Stelle nicht mehr gesprochen worden. Die Deputirten wurden jetzt mit der Bildung desselben betraut und erhielten den Auftrag, "sich alsbald um eine wol qualificierte Person, welche zu einem Superintendenten und Anrichtung eines solchen Werks zu gebrauchen, auch andere dazu gehörige Personen vermög der verfassten Consistorialordnung umzusehen, denselben Superintendenten, wo vonnöthen, der k. M. namhaft zu machen". Wenn das geschehen, hätten die Stände nichts dagegen, "inmassen sie sich auch auf die Assecuration reversiert,210.2 sich mit ihren Kirchen und Predigern dem Consistorio, soviel die Ordnung geben und sich thuen lassen wird, doch ihres jeden Vogt- und Lehensgerechtigkeit unbenommen, zu unterwerfen".
Für diese Stelle eines Superintendenten wurde nun von den Deputirten Mag. Michael Besler zugleich mit einem anderen, nicht näher Genannten, vorgeschlagen. Falls jener aber zu diesem Amte nicht tauge oder angenommen werden könne, sollen "die Herrn Deputierten andere Personen mehr, deren der Stände Erachten nach sonder Zweifel im Reich noch wol zu finden sein sollen und sonderlich auch bei dem Herrn Davide Chyträo nachforschen und alsdann, wo ihnen einer zum tauglichsten berühmt wird, demselben zuvor seine Instruction und anderst, darauf er zu bestellen und sich reversiren solle, zuschicken, damit, wenn er sich darauf nit bestellen lassen wollt, er nicht vergeblich und umsonst ins Land gesprengt und grosse Unkosten verwendet werden. Insonderheit aber sollen die Herrn Deputirten vor allen Dingen darauf bedacht sein, dass eine solche Person berufen werde, die sich des neuen, leidigen Streits von der Erbsünde nicht theilhaftig gemacht, noch denselben dieser Lande Kirchen zuzuziehen gesinnet und sonsten reiner, unverfälschter Lehre und der Augsburgischen Confession wahrhaftig zugethan und eines guten Namens, Lebens und Wandels sei. Wenn dann das Consistorium dermassen bestellt, [Seite 211] sollen alsdann ferner durch dasselbe auf dem Lande vier Viertelinspectores oder Specialsuperintendenten auch geordnet werden, mit dem Befehl, dass dieselben auf die benachbarten Kirchen und Pfarrer Gutachtung haben und allerlei Irrthümer und künftige Strittigkeit und Aergerniss soviel möglich verhüten, oder wo das durch sie nit beschehen könnte, an das Consistorium um gebürliches und nothwendiges Einsehen gelangen lassen, doch dass auch solche Personen hiezu gebraucht werden, welche eines friedliebenden, schiedlichen Geistes, reiner Religion und in göttlichen Sachen ziemlicher Erfahrung und Verstandes sein, welchen sie dann, ob sie wol ihre eigene Pfarrdienste haben, eine gebürliche Ergötzlichkeit für ihre Mühe erfolgen und solche Ordnung, da es vonnöthen, auch mit Vorwissen der k. M. ins Werk richten sollen".
Auch einigten sich die Stände dahin, bis zur vollständigen Aufrichtung des Consistoriums bei der Aufnahme von Prädicanten und Lehrern eine Ordnung "zu Verhütung allerlei künftigen Unraths und Aergernissen" zu bestimmen, auf welche sich dieselben künftig reversiren sollten. Ferner sollte "allen der Stände Prädicanten hiemit lauter verboten sein, einige Bücher oder Streitschriften wider jemand andern inner oder ausser Landes ohne der Herrn Deputierten Vorwissen auszusprengen oder in den Druck zu geben oder auch, wiewol bishero von etlichen geschehen, auf öffentlicher Kanzel namhaftig wider den andern zu predigen".
Endlich wurden auch bezüglich der Errichtung einer evangelischen Landschaftsschule und Bewilligung einer "offenen Kirche" Beschlüsse gefasst.211.1
Durch solche Mittel hofften die Stände das hereinbrechende Verderben ihrer jungen Kirche aufhalten zu können. Noch wäre vielleicht Alles gut geworden, wenn sie an Stelle der Flacianisch gesinnten Religionsdeputirten andere, gemässigtere Männer gesetzt hätten. Diese glaubten allen Ernstes, mit der beantragten Landesverweisung des Dr. Johannes Matthäus Alles zur Ordnung des evangelischen Religionswesens gethan zu haben, und stellten sich auch in ihrem Rechenschaftsbericht vom 8. März 1575 das ehrende Zeugniss aus, das aus ihrem Munde allerdings etwas sonderbar und wie die reinste [Seite 212] Selbstironie klingt, soviel durch Gottes Gnade ausgerichtet zu haben, "dass die gräulichen Abgöttereien, so vor dieser Zeit fast in allen Winkeln dieses Landes gewesen, mehrers teils abgeschafft, die reine, prophetische, apostolische Lehre, wie durch den treuen Werkzeug Gottes Dr. Luthern an Tag gebracht, gepflanzet, auch allen Corruptelen und Irrthümern, Secten und Schwärmereien, wie die immer Namen haben mögen, gewehrt, dass dieselben bei dieser ihrer Administration nicht eingerissen, und da sie etwas dergleichen vermerkt, soviel sich thun hat lassen, dasselbig abgestellt, also dass sie hoffen, dass ausser des Johannes Matthäi obbemelt jetziger Zeit kein falscher Lehrer oder Pfarrer bei der zweier Stände Kirchen öffentlich ins Predigtamt kommen, darüber auch nicht geringen Kampf mit ihren Widersachern ausstehen müssen, dazu auch soviel möglich alle ärgerliche Gezänk und Streit verhütet, also diese Kirchen bishero in ziemlichen Frieden erhalten worden".212.1
Johann Matthäus, damals unstreitig einer der tüchtigsten Prediger in Oesterreich, der nachher in Krems a. d. Donau in wahrhaft mustergiltiger Weise sein Seelsorge- und Schulmeisteramt verwaltete, war den Ständen von Andreä empfohlen worden und predigte einstweilen im Hause des Freiherrn von Hofkirchen. Weil er aber kein Flacianer war, hatten sie alsbald herausbekommen, "dass dieser nicht der reinen Lehre und Augsburgischen Confession zugethan, sondern ein Calvinist sei, welcher sich hievor lange zu Heidelberg gehalten und am selben Ort von den calvinischen Theologen zum Doctorat promoviert und hernach zu Amberg in der obern Pfalz Superintendens worden, von dannen er etliche rechtschaffene evangelische Prediger vertreiben und verfolgen lassen helfen und doch letzlich auch vom Kurfürsten zu Heidelberg des verdachten Arrianismi halben seines Amtes und Dienstes dies Orts entsetzt worden".
Dieser Vorwurf entsprach allerdings den Thatsachen und bildete auch, obwohl er im nächsten Jahre zu Regensburg seine calvinischen Irrthümer widerrief, die Grundlage für seine spätere Ausweisung durch Kaiser Rudolf II.212.2 Der Landmarschall fand es daher für angezeigt, den Herrn von Hofkirchen [Seite 213] insgeheim vor seinem Prediger zu warnen, der darauf seine Rechtfertigung bezüglich des Arrianismus und sein Bekenntniss über das heilige Abendmahl einschickte. Weil aber in letzterem die "antithesis oder die Gegenlehre" fehlte, vermochte er nicht den Verdacht zu beseitigen. Er musste daher ein neues ausarbeiten und darin "thesis und antithesis" setzen, über welches dann die Deputirten und ihre Theologen zu Gericht sassen. Ihre darüber verfasste Censur wurde dem Freiherrn mit dem Ersuchen mitgetheilt, "dass er ihn als einen Calvinischen nicht befürdern, sondern fahren lassen soll". Nun erschien Matthäus selbst bei dem Landmarschall und erbat sich ein Colloquium mit den ständischen Predigern, in welchem Anliegen er auch von Hofkirchen unterstützt wurde. Die Deputirten gaben darauf die Gründe, "warum sie den Dr. Matthäum für einen Calvinisten halten", bekannt und verweigerten seine Zulassung zum Colloquium und seine Anstellung als Prediger. "Könnten ihm auch," fügten sie hinzu, "nicht rathen, dass er ihn ferner fürdern solle, in Ansehen, dass wir in allen unsern Suppliciern der Religion halben der vorigen und der jetzigen k. M. klar und lauter zugesagt und verheissen, uns auch gegen dieser k. M. reversiert hätten, dass wir keiner fremden, falschen Lehre, wie die immer geheissen werden möchte, uns teilhaftig machen, sondern allein bei der Augsburgischen Confession verharren wollten und keinen fremden oder falschen Lehrer bei uns halten oder fürdern". Hofkirchen bestand aber auf dieser Conferenz und legte eine neuerliche Erklärung seines Predigers bei. Die darauf seitens der Deputirten erfolgte Erwiderung wurde dem Hofkirchen in Gegenwart etlicher Landleute übergeben, "darin des Dr. Johannis Matthäi Irrthum lauter dargethan und erwiesen, dass er nicht der Augsburgischen Confession verwandt, sondern calvinisch und ein Sacramentierer ist".213.1 Auch die Stände schlossen sich endlich dieser Anschauung an und beauftragten in ihrer Schlusserklärung vom 30. Mai 1575 die Deputirten, darauf zu sehen, "damit er aufs förderlichste aus dem Land gebracht werde".213.2
Wie genau übrigens dieser Auftrag befolgt wurde, beweist die Thatsache, dass Matthäus noch im selben Jahre als [Seite 214] Stadtprediger nach Krems berufen wurde und dort bis zu seiner Ausweisung (24. Juni 1578) sein Amt versah.
Die Rücksichtnahme auf den Kaiser und auf ihren Revers hinderte aber die Deputirten nicht, Prediger in ihre Dienste aufzunehmen, "die als Fanatiker mit eisernem Reif um Hirn und Herz Kaiser Maximilian an der Herstellung des Friedens verzweifeln liessen"214.1 und zuwider den Bestimmungen der Concession und dem Wortlaute ihres Reverses die Katholiken auf das Gröbste befehdeten. Namentlich Opitz trieb es so arg, dass sich der Kaiser, der doch sicherlich dem Flacianismus gegenüber duldsam war,214.2 veranlasst fand, am 30. März 1575 an den Landmarschall und die Verordneten ein sehr ungnädiges Decret ergehen zu lassen, worin er sich über die Landleute und namentlich über Opitz beschwert. "Wir zweifeln gnädigst nit," heisst es darin, "euch sei unverborgen, was den 23. Martii an S. Michaelskirchen oder Freithofsthür für ein Schmachzettel inliegender Abschrift gemäss öffentlich angeschlagen befunden worden. Wiewol uns nun der Autor über bestellte Inquisition unbewisst, so erscheint doch aus derselben klärlich, dass solche Schmachzettel von einer oder mehr Personen den Landleuten der Augsburgerischen Confession zugehörig herfliesse, dieselb auch also unbedächtlich gestaltet, dass es mehr zu des gemeinen Manns Aergerniss, auch etwa zu allerhand Unruhe zwischen den Ständen, denn zu guter Einträchtigkeit gemeint, welches uns ganz missfällig und von keinem Teil, er sei was Religion er wolle, zu gestatten sein will. Ist derhalben hiemit unser gnädigster Befehl, da ihr den Autorem wisset, dass ihr uns denselben alsbald wollet namhaft machen, die Gebür zu handlen haben, daneben aber bei euch und bei allen Landleuten die Fürsehung und Bestellung thun, damit solches forthin nit allein durch dergleichen Anschlagen, sondern auch im Predigen und Schreiben sowol heimlich als offentlich unterbleib. Denn da es nit geschehen und solche jetzige ärgerliche Schmähungen zu des gemeinen Manns Bewegung und Ausspinnung Gefährlichkeit mehr also publiciert würde, zumal in unser Stadt Wien, [Seite 215] darinnen diesen Leuten kein solcher Platz und Freiheit zugelassen ist, würden wir gegen denselben selbst Abstellung zu thun nit unterlassen können. Sonsten ist weniger nit denn dass der Opitius eines bösen Lobs für friedhässig und haderig, auch in seiner Lehre sträflich berühmt und aller Orten, da er sich vor gehalten, mit schlechtem Willen abgeschieden, inmassen denn unser und des Reichs Stadt Regensburg ihn nit allein mit Unwillen von sich gebracht, sondern ein ganz Tractat oder Bücher wider ihn öffentlich in Druck ausgehen lassen, welches demnach Ursach genug, dass eure Landschaft seiner und seinesgleichen müssig stehen und sich besserer und tauglicherer Leut gebrauchen möchten."215.1
Die Deputirten beeilten sich durchaus nicht, dieser kaiserlichen Aufforderung nachzukommen, und Opitz trieb nach wie vor sein Wesen. Als der Kaiser gegen Ende dieses Jahres Strein wegen der vorzeitigen Anrichtung des evangelischen Gottesdienstes im Landhause zu sich beschied, wiederholte er unter Anderem auch sein Missfallen darüber, "dass die Deputirten einen Prädicanten aufgestellt hätten, welcher von Regensburg seines Irrthums und dass er allerlei Unruhe in der Stadt erweckt hätte, weggeschafft worden, welches nit recht wär. Die Stände machten ihnen im ganzen Reich ein bös Geschrei, dass sie alle, die so nirgends gelitten würden, nur gar gern aufnehmen. Hätt's jetzt vergangen vom Kurfürsten zu Sachsen zu Regensburg selbst anhören müssen. Könnten sie doch wol sonst Leut genug haben aus Sachsen, Braunschweig, Württemberg, die nit verdächtig wären". Er liess daher dem Landmarschall anzeigen, er möge verordnen, "dass der Predigstuhl mit einer andern, tauglichen, unverdächtigen Person versehen werde, wie denn I. M. verstünde, dass sie einen feinen, gelehrten Mann, davon er (Strein) I. M. hievor gesagt hätte (er meinte Homberger), wegziehen lassen, welchen sie billig behalten sollen".215.2
Der Landmarschall führte zu seiner Entschuldigung an, es wäre allerdings wahr, dass Opitz aus Regensburg abgeschafft worden sei, doch wäre ihm dabei Unrecht widerfahren. Dieser stünde auch im Begriffe, sich deswegen zu rechtfertigen. Sie hätten ihn nur deshalb dem Homberger vorgezogen, weil [Seite 216] dieser keinen Revers darüber ausstellen wollte, dass er sich des Streites über die Erbsünde enthalten würde, während Opitz sich deswegen und noch auf andere vom Kaiser genehmigte Artikel verpflichtet hätte. Der Landmarschall erbot sich hierauf im Namen der Deputirten, Opitzens Verantwortungsschrift innerhalb zweier Monate an zwei unparteiische Universitäten, und zwar nach Rostock216.1 und Frankfurt zu schicken und deren Censuren darüber einzuholen, welches Anerbieten er um so leichter stellen konnte, als die Deputirten von den Ständen bereits dazu beauftragt worden waren.216.2 Woferne nun diese Censuren gegen Opitz ausfielen, wollten sie ihn ohneweiters entlassen, im anderen Falle aber erhofften sie des Kaisers Zustimmung. Mit dieser Erklärung gab sich der Kaiser zufrieden. Nur sollte die Einholung derselben möglichst betrieben werden, und Opitz sich unterdessen "gebürlich und bescheiden" verhalten.216.3
So war also der Angriff auf Opitz glücklich abgewehrt. Gegen Andreä aber, der am meisten zu dessen Verfolgung beigetragen und in dem Sendbrief an M. Flacius die Uneinigkeit der österreichischen Stände hervorgehoben hatte, kehrte sich jetzt ihr ganzer Unmuth. Es komme ihnen, schrieben sie ihm, etwas fremdartig vor, dass er, der früher ihren Eifer bei der Unterdrückung der Secten gelobt hätte, kurze Zeit darauf ihre Uneinigkeit tadle und sie beschuldige, als nähmen sie "solche irrige, falsche und verdammte Lehrer an und auf, die sonsten im ganzen Reich deutscher Nation bei keinem Kurfürsten, Fürsten, Stand oder Stadt des Reichs Augsburgerischer Confession Platz haben sollen, dergleichen denn seines Erachtens insonderheit sein solle ihr bestellter Prediger allhie zu Wien, den neben anderen Predigern, wie er sie verhasslich nennet, alle Christen bei Verlust ihrer Seelen Seligkeit fliehen und meiden sollen".
Mit einer merkwürdigen Unverfrorenheit erklärten sie dann, dass ihnen von einer "solchen Zerstörung verhoffter Einigkeit" in ihrer Kirche nichts bekannt sei, mit Ausnahme des einen Falles Homberger, den sie aber auch schon aus dem Lande gebracht und durch Opitz ersetzt hätten. Diesen und andere aber blos desshalb für irrige Lehrer zu halten, weil [Seite 217] sie aus anderen Städten vertrieben worden, dazu hätten sie keinen genügenden Grund, zumal da sie wüssten, "dass es zu allen Zeiten den beständigsten Lehrern göttlichen Worts in der Welt also gangen, wie S. Paulus selbst bekennet". Dagegen wären sie gerne von diesem "alten, landkundigen und verschlagenen Sacramentierer und dazu beschuldigten Arrianer, der eben dieser Lehrer einer ist, so nicht allein bei den Reichsständen der A. C., sondern auch den Zwinglianern und Calvinisten selbst keinen Platz finden können" — sie meinten Matthäus — verschont geblieben.217.1
In einem solchen Tone sprachen die Deputirten zu einem der grössten Theologen ihrer Zeit, der es sich in der uneigennützigsten Weise zur Aufgabe gestellt hatte, die Uneinigkeit unter den Protestanten zu beseitigen — demselben, den sie vor acht Jahren als Theologen zu dem von Kaiser Maximilian angeordneten Religionstractat in erster Linie vorgeschlagen hatten — bloss desshalb, weil er ihnen in der besten Absicht die unverhüllte Wahrheit gesagt hatte. Sie wollten aber nicht mehr hören und rannten auf der abschüssigen Bahn weiter — geradeaus in das Verderben der ihrer Obhut anvertrauten Kirche.
Die Deputirten holten nun in Vollziehung des Ständebeschlusses über den von ihnen zum Superintendenten vorgeschlagenen M. Besler "bei ehrlichen und christlichen gelehrten Leuten zu Nürnberg und anderstwo" Erkundigungen ein, die natürlich, weil er ein erklärter Flacianer war, nicht anders als gut ausfallen konnten, worauf er dann, obwohl er von Nürnberg vertrieben worden war, nach Wien berufen ward. Die Gegner der Flacianer aber setzten am 1. December 1575 den Beschluss durch, dass man sich bei dem Stadtrath von Nürnberg selbst erkundigen solle, aus welchen Ursachen er seines dortigen Kirchenamtes enthoben worden sei. Man wandte sich also drei Tage später an diesen und bat um die Bekanntgabe, "bevorab welcher Gestalt und wie lang Besler ihren Kirchen vorgestanden, ob er sich einiger Lehre, so Gottes Wort und Augsburger Confession zuwider, heimlich oder offentlich teil haftig gemacht, sonderlich aber in dem jetzigen ärgerlichen Streit de substantia et accidente peccati originis einigerlei Weis verwandt sei, wann und aus was Ursachen er sich wiederum [Seite 218] aus dem Kirchenamt wirklich begeben, ob er ihnen mit Diensten oder sonst noch verbunden und wie es summariter um sein Thun und Wesen allerseits geschaffen".218.1
Am 23. December erfolgte die Antwort: Besler habe 22 Jahre lang bis zum Jahre 1569 in ihrem Dienste gewirkt, zuerst in der Vorstadt Wörth, dann in der Stadt selbst an der Frauen- und an der Predigerklosterkirche, während welcher Zeit man an seinem Lebenswandel und an seiner Lehre nichts auszusetzen gehabt. Als aber vor einigen Jahren der Flacianische Streit ausbrach, und sich auch einige von ihren Prädicanten und Lehrern hineinmischten, seien sie bemüssigt gewesen, diese Streitigkeiten zuerst auf gütlichem Wege, dann mit strengen Massregeln abzustellen. Weil nun "Besler sich dieser Flacianischen Spaltungen auf dem Predigstuhl und sonsten auch angenommen und über ihre väterliche, wolmeinende Warnung und Abhaltung derselben zu viel nachgedenkt und ihm solche Unruhe vielmehr denn die christliche Einigkeit und Wolstand der Kirchen erwählt und belieben lassen", er auch seines Alters wegen um seine Enthebung von der Predigerstelle an der Klosterkirche gebeten habe, so sei ihm dieses nicht nur nicht bewilligt, sondern er auch des anderen Amtes an der Frauenkirche, sowie der Superintendentur enthoben und ihm eine jährliche Gnadengabe unter der Bedingung, dass er sich ruhig verhalte, zugesprochen worden. Ob er sich aber "an dem jetzigen ärgerlichen Streit de substantia et accidente peccati originis" betheiligt habe oder nicht, könnten sie, da derselbe erst nach seiner Suspendirung vom Amte ausgebrochen sei, nicht angeben. Gegen seine Berufung hätten sie vom dienstlichen Standpunkte nichts einzuwenden, weil er bei ihnen keine Stelle mehr bekleide.218.2
Dieses Schreiben war gewiss deutlich. Die Flacianische Partei aber fand es "unformlich und dunkel" und sprach sich trotzdem für die Berufung des Besler aus. Indess drang in der Sitzung vorn 21. Jänner 1576 der Antrag der Gegenpartei durch, der dahin ging, die Zuschrift des Nürnberger Stadtrathes dem Besler zur Gegenäusserung zuzustellen, was auch am selben Tage geschah.218.3 [Seite 219]
Dieser rechtfertigte sich alsbald: er habe nichts Anderes gethan, als gegen die durch die Annahme des Interim und durch die Adiaphoristen eingerissenen Irrthümer "vom freien. Willen, von gnädiger Rechtfertigung und guten Werken, dass sie auch zur Seligkeit nötig", Stellung zu nehmen und seine Zuhörer davor zu warnen. Diesen Irrthümern habe " Matthias Flacius Illyricus neben etlichen andern beständigen Kirchendienern nothalben widersprechen müssen, daher sie denn von dem Gegentheil und Vertheidigern gedachter interimistischer Handlungen und Corruptelen Flacianer genennt und den Oberkeiten hin und wieder mit Schreiben und Schreien, mit Sparung aller Wahrheit, Gottesforcht und Redlichkeit bis auf diese Stund verunglimpft und die Sache dahin gebracht worden, dass nun alle, so dem Interim und den daraus hergeflossenen Corruptelen widersprochen und sich noch zur alten unverruckten Augsburgischen Confession und zum reinen, beständigen, evangelichen Bekenntnis der Schriften Lutheri halten, Flacianische Secten und Flacianer sein und als die ärgsten Ketzer verfolgt werden müssen". Bezüglich der Lehre von der Erbsünde stehe er noch auf dem Standpunkte der vom Nürnberger Stadtrath verfassten "Formula concordiae", die er auch unterschrieben habe.219.1
Die Deputirten waren mit dieser Rechtfertigung vollständig zufrieden und stellten daher im Landtage den Antrag: "Die Stände sollen im Namen Gottes mit ihm schliessen und ihn entweder zum völligen Superintendenten oder nur Vice-Superintendenten und Pastoren, ob mittlerweil Gott bessere Gelegenheit bescheren wollte, annehmen", und zwar aus folgenden Gründen: 1. Haben die Stände selbst in seine Berufung eingewilligt. 2. Bezeuge das Schreiben des Nürnberger Stadtrathes, "dass er sich bei ihnen eine Zeit lang im Wandel, Lehr und Leben wol und christlich verhalten". 3. Habe ihm derselbe keine näher angeführten Irrlehren nachgewiesen, sondern nur im Allgemeinen "Flacianisches Gezänk" vorgeworfen, wogegen er sich bereits genügend vertheidigt habe. 4. Wüssten sie derzeit den Ständen "keine anderen und besseren" vorzuschlagen, weil selbst "zu Wittenberg, Leipzig, Jena und dergleichen berühmten Orten, da doch viel Schulen sind und studierende [Seite 220] Personen erzogen werden, an dergleichen Leuten und andern reinen, beständigen und geschickten Lehrern und Predigern selbst merklicher Mangel" herrsche, 5. Würden ihre kirchlichen Verhältnisse immer "schwerer und fährlicher" werden, je länger man die Besetzung des Superintendentenamtes und des Consistoriums anstehen liesse. 6. Käme es ihnen "Gewissen und Ehren halben" nicht zu, mit so hohen Sachen Gott und seine Diener betreffend so liederlich umzugehen und unter den Dienern und Predigern göttlichen Worts ihres Gefallens zu wählen und sich selbst den Leuten dadurch ins Maul zu geben, als sein sie nicht eins und können nirgends keinen Superintendenten oder Kirchendiener finden, die ihnen eben und annehmlich wären, wie denn bereits dergleichen Reden von ihnen bei ausländischen Leuten fallen sollen". 7. Wenn sie die gegenwärtigen verwerfen möchten, würde ihnen Gott statt dieser "aus Zorn zur Strafe" Leute zuschicken, an denen sie nur "wenig Ehre und Gewinn für Gott und rechten Christen" haben würden, "wie denn Gott zu Samuel sagt, da ihn die Juden aus Fürwitz nicht mehr zum Regenten und Superintendenten haben wollten: Sie haben nit Dich, sondern mich verworfen, und drohet auch der Welt durch Ezechielem und S. Paulum, dass er solche Lehrer und Lehren geben wolle, die nicht gut sein und sie ums ewige Leben bringen". 8. Habe sich Besler gegen sie "dermassen zu verhalten und zu reversieren erboten", dass sie billig zufrieden sein können.
Was aber den Vorwurf selbst betreffe, dass Besler nämlich wegen des Flacianischen Streites seines Predigeramtes entsetzt worden sei, so habe derselbe wohl "jetziger Zeit bei der Welt einen grossen Schein, aber bei verständigen Christen und ehrbaren Leuten nicht also", und würde auch vor dem weltlichen Gericht eine "so dunkle, ungewisse Anklage" schwerlich angenommen werden. Denn "mit sonderer List" seien in dem erwähnten Schreiben all' die Punkte, über die er gestritten, verschwiegen, "damit man sich nicht bei verständigen Christen zu bloss gebe, wenn man ausdrücklich melden sollte, dass er wider das Interim und interimistische Irrthümer gepredigt habe". Es sei nun "reichs- und landkundig", dass der Rath von Nürnberg sich dem verderblichen Interim angeschlossen habe, und sich dadurch verschiedene "Corruptelen und Irrthümer" dort eingenistet haben, gegen welche nebst vielen Anderen, wie [Seite 221] Flacius, Amsdorf, Gallus, die sächsischen Städte etc. auch Besler, der ein Schüler Luther's und von diesem auch ordinirt sei, aufgetreten und "in seiner Kirchen das seine auch gethan, wiewol fast eher zu wenig als zu viel".
Deshalb habe er nun "den verhassten Namen der Flacianer" bekommen, obwohl er doch nichts Anderes lehre, als was "noch heutzutage zu Rostock, Hamburg, Lübeck, Braunschweig und vielen anderen berühmten Kirchen Augsburgischer Confession gelehret wird und auch D. Jacobus Andreas, der gleichwol zuvor viel Jahr geschwankt, noch neulich in seinen sechs Predigten (den einigen neuen Streit von der Erbsünde ausgenommen) geschrieben, gelehret und vertheidiget". Die Stände selbst hätten ja diese ihre Meinung bisher getheilt und aus diesem Grunde auch vor acht Jahren keinen Theologen, der sich der erwähnten Irrthümer schuldig gemacht hatte, berufen wollen. "Des verworrenen Schulstreits von der Substanz und Accidenz der Erbsünde" wollten sie sich ihrestheils vollständig enthalten, im Uebrigen aber bei der "einfältigen, wahren Lehre" bleiben, wie sie dieselbe in der vor drei Jahren verfassten und von Chyträus, Chemnitz und anderen Theologen gebilligten Apologie bekannt haben.
"Soll aber je," schlossen sie ihren Bericht, "dies unser treuherzig Rathen, Bitten und Ermahnen bei Euch nichts gelten und alles, was wir seit des 68. Jahrs her Euch und uns und dem ganzen Vaterland zum besten mit viel Mühe und grossen Unkosten gerathen und gethan und in Schriften bringen lassen, vernichtiget oder umgekehrt, desgleichen auch Beslerus um der liederlichen Beschuldigung willen des Nürnbergerischen Schreibens verstossen und die andern zwei221.1 etwa auch geurlaubt werden: so protestieren und bezeugen wir hiemit, dass wir uns solcher Sünden nit teilhaftig machen, noch in unnötige Veränderungen und unbillige Verachtung und Verfolgung unschuldiger Diener Gottes willigen können oder gewilligt haben wollen mit der deutlichen Erklärung zu unserer notwendigen Verwahrung in futurum eventum, dass, da dergleichen, was wir doch nit hoffen, geschehen und kunftig ein verdächtiger Superintendens oder Consistorium Gottes und unsern bisher geführten Glaubensbekenntnissen, auch gestelleten Doctrinal, Consistorii- [Seite 222] und Schulordnung zuwider bestellet werden sollten, dass wir uns und die unsern derselben Jurisdiction zu unterwerfen nicht gesinnet, sondern unsere Kirchen und Schulen in jetzigem ihrem Stande ruhig bleiben zu lassen gänzlich entschlossen, der Zuversicht, ihr werdet uns die unsere christliche und notwendige Protestation zu keinem Argen ausdeuten und alle Sachen mit reifen Betrachtungen in Gottesforcht erwägen und zu guten christlichen Wegen richten helfen."222.1
Durch diese etwas ungewöhnliche Art von Antragstellung eingeschüchtert, betraten die Stände einen Mittelweg und fassten, da sie ohnedies wussten, dass Besler nie die kaiserliche Bestätigung erlangen werde, den Beschluss, "die Herrn Deputierten sollen ihm Beslero in beider Stände Namen anzeigen, dieweil die k. M. seiner Person halben um des Nürnbergerischen Schreibens willen Bedenkens, die Stände aber ohne I. k. M. gnädigstes Vorwissen das Superintendentenamt nit zu besetzen hätten, dass demnach ihnen den Ständen noch derzeit mit ihm Beslero zu schliessen nit gebüren wollte, sondern sie würden bewegt, um eine andere Person zu trachten. Ob man aber dieselb nit erlangen möchte, wären die Stände nit gedacht, dies Superintendentenamt in die Läng unersetzt zu lassen, sondern vielmehr zu versuchen, ob I. k. M. ungeacht jetzt habender Bedenken in sein Besleri Person gnädigst wollten verwilligen, auf welchen Fall sie, die Stände ihn hernach mit einer ehrlichen Abfertigung zu seinem billigen Benügen bedenken, ihm auch mittlerweil die notwendige Unterhaltung zu reichen verordnen, die ihn benebens insonderheit vermahnen liessen, dass er solche Zeit lang nochmalen aus gehörten Ursachen Geduld zu tragen und bei dem Kirchenwesen sein bestes zu thun unbeschwert sein wolle".
Die Deputirten erhielten Vollmacht, schleunigst einen oder zwei Herren aus dem Ritterstande mit einem Schreiben an Chyträus abzufertigen, um ihn neuerlich zu bewegen, bei ihnen das Superintendentenamt, wo nicht länger, so doch auf ein Jahr oder mindestens bis zur Aufrichtung des Consistoriums und der Landschaftsschule zu übernehmen. Im Falle seiner Weigerung sollten die Deputirten wenigstens seinen Rath einholen, "wie und wo sie etwa eine andere qualificierte, in Lehre [Seite 223] und Leben unbefleckte, sonderlich dem jetzigen neuen ärgerlichen Streit de substantia et accidente peccati originis ganz unverwandte Person zu solchem Amt erlangen, darunter denn sie die Gesandten ihm Chyträo Dr. Simonem Pauli und Johannem Kaufmann zu Nürnberg, als welche denen Ständen auch für tauglich gerühmt, ob er wider sie kein Bedenken hätte, benennen und fürschlagen". Doch sollte jedenfalls früher die kaiserliche Zustimmung eingeholt werden.223.1
Die Deputirten entgegneten darauf am 26. März, die Stände möchten sich bezüglich Besler's etwas näher erklären, "wie und welcher Gestalt demselben auf eine Zeit das Kirchenwesen zu befehlen, was mittlerweil bis auf Ankommen eines ganz völligen Superintendenten sein Amt und Werk sein, wohin er endlich verordnet und wie er unterhalten werden solle, sintemal ihm auf eine solche Ungewissheit zu dienen und zu verharren beschwerlich sein würde und er ihrethalben zu Nürnberg sein versprochen Gnadengeld verlieren möchte und wie zu besorgen bereits verloren hat".
Gegen die Delegirung eines oder zweier Landleute zu Chyträus hatten sie einzuwenden, dass abgesehen von den bedeutenden Kosten einer derartigen Mission, dieser schwach und krank sei und erst vor wenigen Monaten in einem Briefe an einige Ständemitglieder geschrieben habe, man möge ihn mit der Revision des Doctrinals seiner Leibesschwachheit und vieler Geschäfte wegen verschonen, ausserdem wolle er ihnen sowohl als anderen künftighin keinen Kirchendiener empfehlen, man wollte denn diesen selbst "zuvor gegenwärtig eine Zeit lang probieren, hören und sehen und seiner Lehre halber Kundschaft einziehen". Pauli könne man vielleicht zur Annahme bewegen, doch sei dies sehr fraglich. Ueberhaupt werde man unter gelehrten, ansehnlichen Theologen schwerlich einen finden, "der gedachtem Streit von der Erbsünde ganz unverwandt sei". Ihr Vorschlag gehe dahin, dass man sich einfach schriftlich bei Chyträus erkundige und ihm zugleich die Instruction, die Consistorial- und Schulordnung zusende. Der vorgeschlagene Joh. Kaufmann sei, wie sie, hörten, "noch jung und unerfahren und zu solchem hohen Amt wol weniger als M. Beslerus qualificirt". Uebrigens sei jenem vor etlichen Jahren auf [Seite 224] einige Zeit die Predigt entzogen worden, er dürfte daher vom Nürnberger Stadtrath keinen besseren Abschied als Besler erhalten haben, "daraus man denn abermalen leicht Ursach haben und nehmen würde und könnte, dieselbe Person auch zu verwerfen und sie und beide löblichen Stände in neuen Spott und Schaden, auch Unkosten zu führen". Zum Schlusse ihrer Replik, aus der man recht deutlich hört, dass sie keinen anderen als Besler zum Superintendenten haben wollten, drohten sie neuerdings, im Falle als die Stände ihren Beschluss aufrecht hielten, ihr Mandat niederzulegen.224.1
Inzwischen war der Landtag geschlossen worden und der grösste Theil der Stände nach Hause gereist. Die Deputirten wurden auf den für den 1. Juni festgesetzten Zusammentritt des grossen Religionsausschusses vertröstet und gebeten, bis dahin in ihren Aemtern zu verbleiben.224.2 Die grossen Erwartungen, welche sich an diesen Landtag geknüpft hatten, waren vollständig gescheitert.
Die Ordnung für das Consistorium, das aus je drei Mitgliedern der beiden Stände, zwei Theologen und einem Rechtsgelehrten hätte bestehen sollen, sowie die Instruction für den Superintendenten lagen ausgearbeitet vor. Auch der Kaiser scheint stillschweigend der Aufrichtung eines Kirchenministeriums zugestimmt zu haben, nachdem Strein seine letzten Bedenken zerstreut und ihm versichert hatte, dass die Stände durch dasselbe sich keine Jurisdiction in der Stadt anzumassen willens seien, dass sie vielmehr nur "eine Deputation auf dem Land von beiden Ständen, auch etlichen Geistlichen anzustellen vermeinen, welche gleich als Inspectores sein sollen, damit die Lehre und Ceremonien bei richtiger Mass und Ordnung gebürlich erhalten werden mögen, wie sich denn die Agenda fürnehmlich im Artikel vom Bann auf eine solche Deputation lehne".224.3
So fehlte also nur mehr eines, freilich das Wichtigste: ein erfahrener Superintendent und ein tüchtiges Consistorium. Unter solchen Umständen darf es nicht Wunder nehmen, wenn der Ausbau des evangelischen Kirchenwesens, zu dem man [Seite 225] sich im Landtage des Jahres 1575 einen Anlauf genommen, wieder bedenklich ins Stocken gerieth.
In dem eben genannten Landtage hatte man auch die Nothwendigkeit erkannt, "dass eine christliche gemeine Landschaftsschule ohne längern Verzug aufs fürderlichste angerichtet werde, damit dieser Lande Jugend in Gottesfurcht und guten Künsten wol und christlich unterwiesen und junge Leute zu Schul- und Kirchendiensten, zu weltlichen Regimenten und Schreibereien und dergleichen nöthigen und ehrlichen Aemtern aufgezogen und präparirt werden und man nicht allezeit fremde, unbekannte und ausländische Personen nicht ohne Gefahr annehmen und bestellen dürfe". Die Deputirten wurden daher aufgefordert, in dem alten Schulhause der Landschaft so bald als möglich eine "christliche, gemeine Schule" aufzurichten, doch "im Anfang bis zur Aufrichtung des ganzen Ministerii und Consistorii", weil hiefür noch keine finanzielle Bedeckung vorhanden sei, möglichst geringe Kosten dazu zu verwenden. Zur Bestreitung der erforderlichen Geldmittel sollte der Kaiser von den Deputirten im Namen der Stände gebeten werden, die für die kaiserliche Landschaftsschule bei den Dominikanern bestimmte Dotation mit Rücksicht auf die geringe Anzahl der dort untergebrachten Schüler auf die neu zu errichtende evangelische Schule zu übertragen. Ferner sollte ein "tüchtiger Oeconomus" angestellt und eine Schulbibliothek eingerichtet werden, für welche die Deputirten "die nötigsten und nützlichsten Bücher und Autores" anzukaufen, aber anfänglich den Betrag von 500 Gulden nicht zu überschreiten hätten.225.1
Im Landtage des Jahres 1576 legten die Deputirten den Ständen eine ausgearbeitete Schulordnung vor und beantragten, sie "der Säulen eine, darauf das Land, Regiment und Kirchen stehen soll und muss, und auch viele Landleute eine lange Zeit sehnlich gehofft und durch sie vertröstet worden" schleunigst in das Leben zu rufen. Nach dieser sollten unter Anderem für die fünf zu schaffenden Classen fünf "Präceptores" und ein Rector mit einem jährlichen Gehalt angestellt und zwölf "Stipendiaten Theologiae, die künftig im Predigamt zu brauchen", aufgezogen werden.225.2 [Seite 226]
Die Stände gaben hierauf den Deputirten Vollmacht, mittlerweile bis zur völligen Bildung des Consistoriums zwei oder drei Classen zu errichten, doch zuvor beim Kaiser um die Erlaubniss dazu anzuhalten. Diese bestellten auch noch im Juli desselben Jahres Paul Sesser für die zweite, Simon Schultes für die dritte, Philipp Schlorsbach für die vierte und Georg Geisler, an dessen Stelle am 1. November Johannes Riedlinger trat, für die fünfte Classe. Doch dürften sich diese mit Ausnahme des Sesser226.1 nur ganz kurze Zeit gehalten haben.226.2 Zum Schulökonomen wurde der schon einmal genannte Wolf Wucherer ernannt.226.3
Das scheint aber auch Alles gewesen zu sein, was die Stände in dieser so wichtigen Angelegenheit thaten. Die weitere Ausgestaltung des Schulwesens wurde einem Ausschusse zur eingehenden Berathung anvertraut, der sich aber nicht viel darum kümmerte und, wie die Deputirten im Landtage des Jahres 1577 klagten, bis zu diesem Zeitpunkte viermal vergebens zu einer Sitzung einberufen wurde.226.4 Nachdem bereits die Schule theilweise errichtet war und der Kaiser schon darum wusste, suchten die Deputirten auch um seine Bewilligung an, doch die Erledigung kam nicht mehr.226.5 Am 12. October 1576 hatte Maximilian II. zu Regensburg für immer die Augen geschlossen.226.6 Zu spät erkannten die Deputirten die nach [Seite 227] seinem Tode eingetretene "grosse Aenderung."227.1 Durch eigene Saumseligkeit und Verblendung hatten sie die günstige Gelegenheit, welche ihnen die Regierung des milden und keineswegs protestantenfeindlichen Kaisers darbot, um ihrem Kirchenwesen eine feste Organisation zu geben, vorübergehen lassen. Acht Jahre waren seit der Ertheilung der Religionsconcession verstrichen, und sie standen um keinen Schritt weiter als damals. Dagegen herrschte jetzt Uneinigkeit und Zwietracht unter den Ständen und ihren Predigern, wodurch ein einmüthiges und erfolgreiches Vorgehen bei der Ausgestaltung ihrer Kirche unmöglich gemacht wurde.
Der erste Landschaftsprediger in Wien, Josua Opitz, fand vor dem grösseren, nicht flacianisch gesinnten Theil der Stände keine Gnade. Selbst als die von den Universitäten Rostock und Frankfurt über seine Rechtfertigung und die Formula concordiae verlangten Censuren nur wenige Bedenken äusserten und ihn für einen "rechten Lehrer" erklärten, gab sich die Gegenpartei nicht zufrieden und erklärte im Landtage des Jahres 1578, wenige Monate vor seiner Ausschaffung, ihn nur unter der Bedingung in seinem Dienste zu belassen, wenn auch seine zu Mannsfeld gedruckte, noch in Regensburg geschriebene Erklärung von der Rostocker Universität gebilligt werde.227.2 Dass er auch von dem Kaiser nicht gerne gesehen war, beweist das bereits besprochene Decret, worin mit seiner Ausweisung gedroht wurde.227.3 Wenn sich auch dieser durch die Vorstellungen des Landmarschalls von einem weiteren gewaltsamen Vorgehen gegen Opitz abhalten liess,227.4 schadete doch sein Widerwille der evangelischen Sache ungemein und bot dem Kaiser Rudolf II. eine willkommene Handhabe zu seiner Landesverweisung.
Gegen die Deputirten selbst wurden die heftigsten Anklagen laut, und im Landtage des Jahres 1576 mussten sie sogar hören, "man wüsste nicht eigentlich, was der Deputirten Glaube wäre und wollte demnach vonnöten sein, sich diesfalls [Seite 228] gegen den Ständen zu erklären", welchem Verlangen die Deputirten auch nachkamen.228.1
Vergebens hatten die Stände im Jahre 1575 den Beschluss gefasst, dass sich ihre Prediger der Worte "Substanz" und "Accidenz" gänzlich enthalten und sich darauf reversiren sollten, und hatte auch Opitz diese Erklärung unterschrieben:228.2 der Streit wurde immer wüthender und erbitterter.
Wenige Jahre später auf dem Landtage des Jahres 1583 mussten die Verordneten das traurige Bekenntniss ablegen: "Was das Kirchenwesen auf dem Lande betrifft — in der Stadt Wien hatten sie keines mehr —, da hat bisher der leidige, unglückselige Streit von der Erbsünde und was dem anhängig, wie es die Herrn Verordneten zu ihrem Theil befinden, anderst nit verstehen könnten, alle guten Ordnungen verhindert und dagegen eine solche Zerrüttung hin und wieder geursacht, dass es billig hoch zu beklagen und wofern es nit verbessert werden sollte, ist in der Wahrheit zu besorgen, es werde das ganze Wesen aus Gottes gerechter Strafe ohne unserer Widersacher Zuthun für sich selbst einen Bruch gewinnen".228.3
Hätte die neue Regierung ein innerlich gefestigtes und einheitlich geordnetes Kirchenwesen und eine geeinigte Protestantenpartei angetroffen, die Gegenreformation hätte wahrhaftig einen schwereren Stand gehabt.
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