Quelle: Christian Neschwara, Landständischer Einfluss auf die Gesetzgebung in der Frühneuzeit — Am Beispiel des Landesordnungsprojekts für Österreich unter der Enns von 1650, in: Horst Gehringer, Hans-Joachim Hecker und Reinhard Heydenreuter (Hrsg.), Landesordnung und Gute Policey in Bayern, Salzburg und Österreich (Frankfurt am Main 2008) S. 168 - 210.
Digitale Bearbeitung durch Heino Speer mit freundlicher Erlaubnis des Autors.
Die territoriale Gesetzgebung wird seit Beginn der frühen Neuzeit in ein Spannungsfeld von Recht und Macht1 gezogen: Das überkommene heimische Gewohnheitsrecht gerät in Konfrontation mit dem gelehrten gemeinen Recht. Während sich das Interesse der Landstände auf die Bewahrung des "guten alten Rechtes" konzentriert, zielt das Bestreben des Landesfürsten auf Rechtsreformen ab, wovon auch die Frage der Gesetzgebungskompetenz der Landstände im Rahmen der Landesherrschaft tangiert wird.
Die frühneuzeitliche Gesetzgebung hat in den Territorialstaaten zwei elementare Erscheinungsformen des Gesetzes2 hervorgebracht, Polizeiordnungen (bzw. Polizeimandate)3 und Landesordnungen:4 Polizeiliche Normen bilden als Gesetzgebungsakte mit der Intention zu umfassender Sozialregulierung und -disziplinierung die wichtigsten Instrumente der sich zu Beginn der Neuzeit ausprägenden territorialen Staatlichkeit und sind Ausdruck [Seite 170] rationaler landesfürstlicher Politik. Sie markieren den Beginn einer neuen Periode der Gesetzgebungsgeschichte in Europa. Landesordnungen versuchen in möglichst umfassender Weise mehrere, im besten Fall alle Rechtsgebiete für ein Land zu kompilieren, wobei aber eine vollständige Regelung im Sinn von Kodifikationen nicht angestrebt wird. Polizeiordnungen konzentrieren sich auf bestimmte Bereiche der Gesellschafts- und Rechtsordnung,5 deren Normierung in besonderem obrigkeitlichem Interesse lag,6 und das auch mit strafrechtlichen Sanktionen durchgesetzt werden sollte.7 Beide Typen frühneuzeitlicher Gesetze sind gelegentlich auch miteinander koordiniert. Etwa in Tirol, wo 1573 eine Landesordnung und eine Polizeiordnung erlassen worden sind (1603 erfolgte ein Neudruck der Landesordnung, welchem die Polizeiordnung beigebunden worden ist);8 oder noch weiter gehend in Nieder-Bayern 1616/17, wo es zum Erlass eines (neu-reformierten) Landrechts in Verbindung mit einer Polizei-, einer Gerichts- und einer Malefiz- sowie mit anderen Ordnungen (Exekutions- und Summarverfahrensordnung, Landhandfeste, Forst- und Jagdordnung) kommt.9
Die Idee einer planvollen Strukturierung der gesellschaftlichen wie auch der rechtlichen Gesamtordnung gewinnt mit dem 16. Jahrhundert im Heiligen Römischen Reich zunehmend an Aktualität, und zwar primär in den Territorien. Begünstigt wurde dieser Prozess durch einen grundlegenden Verfassungswandel, womit sich die Hoheitsgewalt des Reiches auf die zu Staaten aufstrebenden Territorien verschiebt und auf Initiative der Landesfürsten gezielt [Seite 171] zu einem umfassenden Hoheitsrecht konzentriert wird. Das Endziel dieser Intensivierung der Herrschaft war es, eine Kongruenz der Gesellschafts- und Rechtsordnung mit den allgemeinen Staatszwecken, primär Frieden, Sicherheit und Wohlfahrt, zu erzielen. Ihre Realisierung setzte ein Bündel vielfältigster Maßnahmen voraus:10 Rationale Finanzwirtschaft, gut organisierte Verwaltung und effektive Rechtspflege sowie Instrumente, die den perfekten Vollzug dieser Zielsetzungen sicherstellen und allenfalls darin eingerissene Unordnung durch Disziplinierung beheben konnten, nämlich umfassende gesetzliche Regelungen: Polizei- und Landesordnungen.
Das 16. Jahrhundert markiert in den österreichischen Ländern in quantitativer und qualitativer Hinsicht eine Zäsur und den Übergang zum Gesetzesstaat,11, eingeleitet durch eine lawinenhafte Fülle von Gesetzen, die in einer Vielfalt von Typen hervortreten.12 Ihre Bandbreite spannt sich von zahlreichen Einzelgesetzen (landesfürstliche Generalien und Mandate) über gesetzliche Regelungen von einzelnen bis hin zu mehrere Rechtsgebiete erfassenden Ordnungen.
Unter den Einzelordnungen sind folgende Typen zu konstatieren:
a) Polizeiordnungen als umfassende Regelungen hauptsächlich des Wirtschafts- und Verwaltungsrechts,13
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b) Landgerichtsordnungen (auch als Halsgerichts- oder Malifizordnungen bezeichnet) als Normierungen des Strafrechts;14
c) Landrechtsordnungen als Regelungen des zivilgerichtlichen Verfahrensrechts an den landständischen Gerichten.15
Unter den zumeist in diffuser materieller Zusammensetzung konzipierten Kompilationen mehrerer Rechtsgebiete sind zu konstatieren:
a) Landrechtsbücher als Regelungen des Zivilrechts in umfassendem Sinn16 unter Einschluss der Gerichtsorganisation und des Zivilprozessrechts; hierzu liegt für die historischen österreichischen Länder ein Entwurf für Österreich unter der Enns aus 1526 vor;
b) als Landtafeln bezeichnete Regelungen des Zivilrechts in umfassendem Sinn wie die Landrechtsbücher, aber verbunden auch mit dem Lehnrecht sowie damit verknüpften Fragen obrigkeitlicher Gewalt; hierzu liegt ein Entwurf für Österreich unter der Enns aus 1573 vor sowie ein weiterer für Österreich ob der Enns, der auch Fragen des Verfassungsrechts behandelt, aus 1609 mit überarbeiteten Fassungen aus 1616 und 1629; [Seite 173]
c) als Landesordnungen bezeichnete umfassende Regelungen des Landesrechts, welche die in den Landtafeln normierten Rechtsgebiete mit dem Polizeirecht17 bzw. mit dem Strafrecht koordinieren; hierzu liegt ein Entwurf für Österreich unter der Enns aus 1595 vor, an welchen die weiteren Bemühungen um die Schaffung einer Landesordnung anschließen und wofür seit 1650 ein neuer Entwurf ausgearbeitet wird.
Die Landrechtsbücher, Landtafeln oder Landesordnungen, bzw. die Entwürfe dazu, verstehen sich — anders als die Polizeiordnungen — primär nicht als Neuschöpfungen des Landesrechts, sondern haben, vor allem im Interesse der Landstände, eher das Gegenteil im Auge, nämlich die Fixierung des im Land geltenden Rechts als jus certum,18 was auch der Festigung der überkommenen landständischen Herrschaftspositionen dienen sollte, dessen bisherige Geltungsgrundlage, das alte Herkommen, bloß auf eine neue Basis gestellt werden sollte.19 Das Gewohnheitsrecht sowie das im Rechtsleben ergänzend hinzu getretene gemeine römische Recht [Seite 174] sollte als summari begriff des ganzen kaiserlichen rechtens und der ... landsbreuch in einem Gesetzbuch konserviert werden.20
Von dem stark humanistisch geprägten niederösterreichischen Landrechts-Entwurf aus 1526 abgesehen, zeigt sich zunächst ein starkes Bemühen der Landstände, den Landsbrauch zu bewahren, und zwar als Barriere gegen einen zu starken Einfluss des gemeinen römischen Rechts: Als Rechtsanwendungsregel war aber im 16. Jahrhundert bereits anerkannt, dass nur wissentlichem Landsbrauch der Vorzug vor dem subsidiär geltenden gemeinen römischen Recht zukommt. Bei Zweifeln oder Ungewissheit über den Bestand von heimischem Recht kam aus Rechtssicherheitserwägungen stets dem gemeinen römischen Recht der Vorrang zu. Es galt als kaiserliches Gesetz ratione imperi, zugleich aber auch imperio rationis.21 In der Vorrede zum Landrechtsentwurf für Österreich unter der Enns aus 1526 wird dieses Wesen des Gesetzes explizit angesprochen: Das gesezt ist ain ordnung des lebens und wesens in der vernunft gewurzelt und gegrund.22
Die Feststellung von geltendem Landsbrauch erfolgte in der Gerichtspraxis von Amtswegen; Mitte des 16. Jahrhunderts kam es auf Veranlassung der Landstände zur Anlage von so genannten "Consuetudinarienbüchern" als Evidenz des Landsbrauchs bzw. zur Sammlung von Erkenntnissen des landständischen Gerichts in Form von so genannten "Motivenbüchern".23 Beide Medien sollten den Landsbrauch für die Rechtsanwender, insbesondere die [Seite 175] Gerichte, notorisch, also "wissentlich", machen. Als Erkenntnisquellen gleichgestellt war diesen beiden Arten von Auskunftsmitteln über geltenden Landsbrauch auch die Literatur von anerkannten juristischen Autoren wie in Niederösterreich im 16. Jahrhundert vor allem Bernhard Walther, der mit seinen Abhandlungen über österreichisches Gewohnheitsrecht noch im 17. Jahrhundert als Austriacorum J[ure-]Consultorum Primarius respektiert worden ist. Neben ihm war in dieser Zeit aber vor allem Johann Baptist Suttinger, der federführend an der Redaktion des letzten niederösterreichischen Landrechtsentwurfs um 1650/60 mitgewirkt hatte, als Kenner des Gewohnheitsrechts, der "Consuetudines Austriae", allgemein anerkannt; er zählte zu den magna J[ure-]Consultorum Austriacorum lumina.24 Walthers und Suttingers Abhandlungen zum Gewohnheitsrecht ihrer Zeit sind zunächst nur handschriftlich verbreitet gewesen. Erst Anfang des 18. Jahrhunderts wurden sie in einer gemeinsamen Ausgabe in Druck gesetzt.25
Die Absicht der Landstände als treibende Kräfte der Bemühungen um die schriftliche Fixierung des Landsbrauchs in Gesetzbüchern war es, die heimische Rechtskultur gegen die zunehmende Romanisierung26 abzuschirmen; dieser Plan ist letztlich aber nicht aufgegangen. Die Redaktoren der jeweiligen Entwürfe waren allesamt juristisch geschult, und haben zur Rezeption römischen Rechts in die heimische Rechtsordnung wesentlich beigetragen: Wolfgang Püdler, der Redaktor des niederösterreichischen Landrechtsentwurfs [Seite 176] von 1573, studierte in Padua und war danach Professor der Pandekten und des Kanonischen Rechts an der Universität Wien. Auch Reichard Strein, der Direktor der Arbeiten am niederösterreichischen Landtafelentwurf von 1595, sowie dessen Redaktor, Johann Baptist Linsmayr, wurden in Padua zu Juristen ausgebildet. Abraham Schwarz, der Redaktor des oberösterreichischen Landtafel-Entwurfs von 1608/1616 studierte an den Universitäten Tübingen sowie Basel und war später Professor der Institutionen an der oberösterreichischen Landschafts-Schule in Linz. Von den vier Redaktoren des nach 1650 verfassten niederösterreichischen Landesordnungsentwurfs sind alle vier an der Universität Wien zu Juristen ausgebildet worden, davon war Johann Georg Hartmann hier später auch Professor des Kirchenrechts, Johann Baptist Suttinger war zwar landesfürstlicher Superintendent der Universität, er hatte aber kein Lehramt inne.27
Das Bemühen der Landstände um die gesetzliche Fixierung des Landesrechts war aber nicht nur Ausdruck eines grundlegenden Landesbewusstseins, sondern vor allem von ihrem Interesse geleitet, mit der Fixierung des Landesrechts zugleich auch die eigenen überkommenen Privilegien und die neueren landesfürstlichen Zugeständnisse zu sichern. Mit der Festschreibung ihrer politischen Rechte und der damit verbundenen Teilhabe an der Landesherrschaft wollten sie auch den daraus abgeleiteten Einfluss auf Rechtsetzung und Rechtsprechung manifestieren. Die Ausübung des Gesetzgebungsrechts war zwar eine Prärogative des Landesfürsten, sie stand aber nicht in seinem Belieben, sondern war — außer an Herrschafts- oder Staatszwecke — auch an die ständische Mitwirkung gebunden. Eine Beteiligung der Landstände an der Gesetzgebung [Seite 177] durch Initiative und Beratung im Einvernehmen mit dem Landesfürsten war daher bei allen Änderungen des Landesrechts bzw. der Erzeugung von neuem Recht für ihr rechtmäßiges Zustandekommen eine notwendige Voraussetzung.28
Dieser politische Dualismus tritt im Herzogtum Österreich in den konkreten Gesetzgebungsbemühungen besonders deutlich hervor. Vor allem im 16. Jahrhundert prägen landständische Initiativen zu Gesetzgebungsprojekten mit der Bildung von Ausschüssen zur Ausarbeitung von entsprechenden Vorlagen sowie mit der Koordinierung von Verhandlungen mit den landesfürstlichen Räten in gemeinsamen Kommissionen oder durch einen regen Schriftverkehr mit dem Hof und den landesfürstlichen Behörden die Entwicklung.29 Mit dem Wandel der politischen Kräfteverhältnisse im Gefolge der Konfessionskonflikte schlägt nach 1600 dieses latente politische Gleichgewicht mit seinem kompromissartigen Zusammenwirken oder Nebeneinanderhandeln in der Politik um in eine wachsende Dominanz des Landesfürsten, insbesondere nach der Schlacht am Weißen Berg im November 1620, die eine Eindämmung des landständischen Wirkungskreises im Rahmen der Landesherrschaft zur Folge hatte.30
Besonders krass spiegeln diesen verfassungsrechtlichen Umschwung die verschiedenen Textierungen des oberösterreichischen Landtafel-Entwurfs31, über die ständischen Freiheiten wider, welche in der von den Ständen 1616 "verfaßten" Variante geradezu als eigentumsartiger Anteil an der Landesherrschaft definiert waren, während in der 1629 durch die landesfürstlichen Räte "korrigierten" [Seite 178] Fassung solche Anklänge nicht mehr zu finden sind. Die nach dieser Umarbeitung bereits bevorstehende Sanktion des Entwurfs durch den Landesfürsten ist dann aber ausgeblieben, und zwar auf Ersuchen der Landstände; sie wünschten noch eine abschließende Durchsicht der Neufassung der Landtafel. Wegen anhaltender interner Uneinigkeit über das weitere Vorgehen der Stände, ist das Projekt aber bis 1638 auf Eis gelegt worden. Danach kam es zwar doch noch zu vereinzelten Beratungen der Stände, es konnten aber keine konkreten Fortschritte mehr erzielt werden. Im Februar 1651 wurden die Beratungen auf unbestimmte Zeit vertagt:32 Auf den "St. Nimmerleinstag"!
Ähnliche Tendenzen wie im Land ob der Enns haben sich in etwa demselben Zeitraum auch in Niederösterreich abgezeichnet:33 Hier lag seit 1594/95 für ein solches Projekt ein vollständig ausgearbeiteter Entwurf vor, der in fünf Büchern das Gerichtsverfahren und das Privatrecht im weiten Sinn einschließlich des Lehenrechts umfasste und mit einer Landgerichtsordnung, also dem Strafrecht, als sechstem Buch verbunden worden ist.34 Ein von den Landständen eingesetzter Ausschuss sollte diesen Entwurf einer Überarbeitung unterziehen, er ist aber — trotz mehrfacher Aufforderungen des Landesfürsten — nie aktiv geworden. Ende 1611 wollten die Stände [179] zwar eine neue Initiative setzen, es war aber inzwischen das Manuskript des Landesordnungs-Entwurfs nicht mehr greifbar; es musste von den Erben des 1608 verstorbenen letzten Redaktors, Johann Baptist Linsmayr, erst abgefordert werden.35 Als der Stände-Ausschuss im März 1612, nach weiteren Mahnungen an Linsmayrs Erben wegen Rückstellung des Landesordnungs-Manuskripts,36 dann endlich seine Beratungen aufnehmen wollte, kam es zur Verhängung eines Verhandlungsverbots durch den Landesfürsten, weil die ständische Initiative zu diesen Ausschuss-Verhandlungen einseitig, also ohne Wissen und Willen des Landesfürsten, erfolgt war. Trotz einer sofort unter Leitung des landständischen Syndikus Christoph Hafner nach Prag zum Kaiser abgefertigten Delegation, war der Landesfürst nicht zum Einlenken zu bewegen.37
Ein neuerlicher Anlauf der Landstände zur Wiederaufnahme des Landrechts-Projekts folgte im November 1615 — die Verhandlungen mussten aber wegen mangelhafter Besetzung der Ausschüsse schon Ende Februar 1616 wieder suspendirt werden.38 Zur gleichen Zeit verfasste der bereits erwähnte landständische Syndikus Christoph Hafner additiones et notae zum zweiten und vierten Buch der Landesordnung.39 Zu Jahresbeginn 1618 wurde sodann [Seite 180] der kaiserliche Rat Christoph Leysser von den Ständen mit der Revision des Entwurfs beauftragt; er konnte bis 1628 aber keine konkreten Ergebnisse liefern und musste im Mai 1629 das Landtafel-Projekt unverrichteter Dinge wieder zurücklegen.40 Zu Anfang des folgenden Jahres wurden von den Landständen zwar noch weitere Gesetzgebungs-Materialien für das Landtafel-Projekt von der Regierung angefordert, nämlich ein Exemplar der soeben 1629 durch die kaiserlichen Räte korrigierten Fassung des Landtafel-Entwurfs für das Land ob der Enns sowie die aktuelle Fassung des niederösterreichischen Consuetudinarienbuchs.41
Seitdem sind für etwa ein Jahrzehnt keinerlei landständische Gesetzgebungs-Inititiativen mehr zu konstatieren. Erst zu Beginn der 1640er Jahre setzen solche Bemühungen wieder ein — sie konzentrieren sich zunächst auf das Zivilprozessrecht mit der Ausarbeitung von Entwürfen für eine Exekutionsordnung sowie auf das Verfahren in zweiter Instanz mit dem Projekt einer Revisionsordnung; auch die Ausarbeitung einer neuen Gerichtsordnung für das erstinstanzliche Verfahren wurde forciert.42 Das Landrechtsprojekt blieb im Übrigen aber — bedingt wohl auch durch die nach 1620 veränderte politische Situation — unbeachtet in den Registraturen und Archiven von Ständen und Landesfürst liegen.
Erst aus Anlass der Versammlung der Landstände zum Landtag Ende Juni 165043 trat der Landmarschall, Georg Achatz von Losenstein, ein Herrenstandsmitglied, mit einem vom niederösterreichischen [Seite 181] Hofkanzler Johann Mathias Prickelmayer unterstützten Plan44 hervor, das von den Landständen seit mehr als einem Jahrhundert vielmahlen [...] per discursum mit höchsten lamentiren und klagen motivirt[e] Projekt der Landesordnung zu reaktivieren, wodurch, so wie in allen [...] anderen Österreichischen landen [...] ein gewisses geschriben recht und landsstatuta promulgirt und eingesezt werden sollten, kraft welcher dieselben [Länder] nicht allain glickhsellig guberniret sondern auch hierdurch deren subditi und inwohner in hoechster ruehe und sicherhait conservirt und erhalten würden. In Niederösterreich sei hingegen ein solches jus certum nicht statuirt, sodass hier bald nach den gemainen geschribenen rechten, bald aber nach dem landsbrauch, der jedoch nicht immer gewiss sei und daher auch nicht beständig zur Anwendung komme, judiziert werde. Deswegen sei es soweit gekommen, dass bald khein ehrlicher mann mehr mit dem andern sicher contrahiren könne, sondern wegen vacillirenden trauen und glauben er selbst und sein Vermögen in [...] gefahr gesezt werde; auß sonderer naigung und eifer, mit welchem er dem gliebten vatterland zuegethan sei, habe er, Losenstein, wegen dißem so wichtigen negotio ein wenig besser nachsünet und sei zu dem Schluss gekommen, dass ein beständige landsordnung möchte aufgerichtet werden.
Zur Vorbereitung des Landesordnungs-Projekts hatte sich der Landmarschall aus der ständischen Registratur alle auf das bisherige Landrechts-Projekt bezüglichen Schriften und Akten ausheben lassen. Daraus habe man ersehen können, dass die Stände noch anno 1612. in dißem [...] werkh begriffen gewesen seien, doch wäre trotz der daran anschließenden Bearbeitungen dißes so nuzbare und dem [...] land [...] nothwendige werkh zu seiner perfection nicht gedigen. Weil aber an [...] dem [Seite 182] [...] land vill daran gelegen sei, so müsse besagte [...] landtafel [...] reassumirt werden.45
Für die Beratung dieses weitschwaifigen werkh[s] schlug Losenstein vor, dass neben dem bereits für andere Gesetzgebungsprojekte bestellten landständischen Ausschuss ein eigenes Komitee gewählt werden sollte, zu dem aus jedem Stand — gemeint waren nur die so genannten drei oberen Stände, also die Herren, Ritter und Prälaten, — je vier [...] wolerfahrne hochverständige landsmitglieder zu delegieren hatten. Außerdem sollten noch besondere rechtslehrte beigezogen werden, die von Losenstein auch gleich nominiert wurden, nämlich: Johann Baptist Suttinger, Johann Michael von Seiz, Johann Georg Hartmann und Johann Leopold; allesamt der rechten doctores.
Suttinger46 war als Jurist und Beamter ein Multifunktionär; er war seit 1638 Beisitzer des Landrechts, also des landmarschallischen Gerichts, wurde 1648 unter Vorbehalt dieser Stelle als Rat in die niederösterreichische Regierung, in das landesfürstliche Regiment, berufen und fungierte seit Ende 1649 als Leiter dieser Behörde, als ihr Kanzler. Knapp davor war er durch den Landesfürsten zum Superintendenten der Universität Wien berufen worden. Suttinger galt in seiner Zeit außerdem als ein weithin anerkannter juristischer Schriftsteller. Seine bekanntesten Werke sind aus seinen richterlichen Tätigkeiten am landständischen Landrecht47 und am Regiment,48 der höchsten landesfürstlichen Behörde im Land, sowie in der Gesetzgebung49 hervorgegangen. [183]
Die übrigen drei Doktoren hatten weniger spektakuläre Laufbahnen aufzuweisen: Seiz war seit 1649 Landschreiber am Landrecht und seit 1654 Rat am Regiment. Hartmann und Leopold standen als Syndices und Anwälte zunächst im landständischen Dienst; Hartmann war außerdem Professor des kanonischen Rechts an der Universität Wien, Leopold wurde später zum kaiserlichen Rat ernannt und zum geheimen Hofsekretär bestellt.50
Diese vier Doktoren sollten gegen gebührenden recompens, also gegen besondere Aufwandsentschädigung, zu den Arbeiten am Landesordnungs-Projekt beigezogen werden: Und damit [...] dißes so wichtige werkh umb sovil mehr beschleüniget und befürdert werde, bot sich der Landmarschall selbst an, gemeinsam mit diesen vier Doktoren den Text der beraith in sechs büecher außgetheilte[n] landtafel in der Fassung von 1595 einer Überarbeitung zu unterziehen, dabei iedweden titulum besonders zu examnirn, die Texte womöglich zu kürzen, oder erforderlichenfalls auch zu ergänzen. Sobald die Überarbeitung eines Abschnitts, eines so genannten Traktats, erledigt war, sollte sich der Stände-Ausschuss damit befassen. Dessen Beschlüsse waren sodann — unter Umgehung der landesfürstlichen Regierung — dem Kaiser unmittelbar vorzulegen. Die einzelnen Traktate wären sodann jeder für sich zu ratifizieren und anschließend in Druck zu setzen. Die Regierung wollte Losenstein deswegen übergehen, weil sie ohnedies mit vielfältig anderen wichtigen geschäften occupirt war und vielleicht zu revidirung des ganzen werkhs nicht sobald schreiten würde, sodass sich die weitere Realisierung des Landesordnungs-Projekts nur weiter in die lenge verschieben möchte.51 [184]
Es dauerte dann — nachdem Losenstein als Landmarschall durch Ernst von Traun abgelöst worden war — aber noch mehr als ein Jahr bis Anfang August 1651 von Seiten der Stände die für die Durchführung dieser Initiative erforderlichen Aufträge an den Stände-Ausschuss ausgegangen waren.52 Der Ausschuss wurde zwar ermächtigt, an der Beratung der Landtafel mit Gutachten mitzuwirken, womit in justitiaesachen ein beständige ordnung im land stabiliter ... eingeführt werden möchte. Sie wurden dabei aber angewiesen, besonders die consuetudines provinciae von allen dingen wol in obacht zu nehmen. Über den Bestand des Landes-Gewohnheitsrechts hatten sich die vier Doktoren aus den in den Registraturen befindlichen actis und notturften vorhero umständig zu informiren. Es waren bei den Verhandlungen vor allem in allen weg aber der [...] ständ privilegia und freiheiten, alte gewohnheiten und gerechtigkeiten im Auge zu behalten, damit diesen hiedurch nichts praejudicirliches zugezogen werde. Seitens der Stände habe man — wie der Landmarschall beteuerte — in die Ausschussmitglieder wegen ihrer bekanten ansehentlichen qualiteten, ... verstand, dexteritet und des lands constitutionen und gewohnheiten habenden grossen experienz und erfahrenheit ein solches vertrauen gesezt, dass die Ausarbeitung dieses Projekts nicht allein zu des lands conservation ruhe und wolstand beitragen, sondern auch den Ausschuss-Mitgliedern selbst zum unsterblichen lob und ruhm gereichen werde.
Zugleich mit dem Ansinnen des Landmarschalls ergingen im August 1651 auch bereits die erforderlichen Anfragen an die vier Doktoren über ihre Bereitschaft, an dem Projekt mitzuwirken.53 Von den beiden landständischen Syndices wurde dies als selbstverständlich vorausgesetzt, standen sie doch im Dienst der Landschaft; die beiden anderen Experten, Suttinger und Seiz, waren aber zugleich auch landesfürstliche Beamte, sodass sie über ihre Dienstleistung nicht ohne Zustimmung des Kaisers disponieren [Seite 185] konnten.54 Suttinger veranschlagte für die Dauer seiner Mitwirkung am Landtafel-Projekt eine Freistellung vom Dienst als Regimentskanzler im Ausmaß von zwei Tagen pro Woche. Es wurde ihm seitens der Stände dafür eine Remuneration von 100 Gulden monatlich, also ein Jahresgehalt von 1200 Gulden, zugesagt;55 Seiz sollte für seine Mühewaltung eine um ein Drittel verkürzte Entschädigung in der Höhe von 800 Gulden jährlich erhalten.56 Den beiden landständischen Syndices Hartmann und Leopold wurden als recompens lediglich die so genannten lifergelter, also pauschale Aufwandsentschädigungen, zugestanden, und zwar im Ausmaß von 6 Gulden je Sitzung.57
Suttinger hatte Anfang September 1651 von den Ständen auch den Auftrag58 erhalten, einen Vorschlag für den ... modus wegen der justitiae- landtafel, landgerichts- und policeiordnung auszuarbeiten. Das vom Landmarschall im Vorjahr initiierte Gesetzgebungsprojekt war also inzwischen umfassender geworden, als vom Landmarschall ursprünglich ins Auge gefasst: Das Landtafel-Projekt hatte sich — wohl auf Initiative der Landstände — zu einem Landesordnungs-Konzept unter Einschluss des Strafrechts und der Polizei ausgeweitet: Die Stände wollten nach den Wirren des Dreißigjährigen Krieges, der Ende Oktober 1648 mit den Westfälischen Friedensschlüssen endlich beigelegt war, offenbar die Chance nützen, bei den iezt florierenden friedenszeiten ein[e] beständige landsordnung aufzurichten.59 [Seite 186]
Das von Suttinger offenbar schon vorbereitete Konzept für den Modus, sein beiläufiger ... entwurf wie die vorhabente landsordnung oder landtafel ... möchte angefangen dirigirt und zu standen gebracht werden, lag postwendend vor.60 Er tractiert darin von einen richtigen methodo, der als bestendige richtschnur dafür zu dienen hatte, waß für disposition der persohnen materi formb orths und hieczue bedürftigen spesen zu machen sein werden, damit eine baldige Realisierung des Landesordnungs-Projekts auch erwartet werden konnte. Suttinger gliedert seine Ausführungen nach den Rubriken Persohnen — Materia — Forma — Locus — Tempus — Sumptus.
Als institutionellen bzw. personellen Rahmen61 wurde von Suttinger vorgesehen, die direction des Projekts billigerweise unmittelbar dem Landmarschall zu überlassen, mit dem sich die vier von den Ständen deputierten Rechtsgelehrten, also Suttinger, Seiz, Hartmann und Leopold, in allen führfalenheiten abzusprechen hatten. Je nach beschaffen- und wichtigkeit der Beratungsgegenstände sollte diesen Besprechungen auch der Landuntermarschall, der Vertreter des Landmarschalls aus dem Kreis des Ritterstandes, beigezogen werden. Um die vier Rechtsgelehrten, die — wie erwähnt — auch mit andern publicis officiis starkh beladen waren, zu entlasten, sollten zwei jüngere Doktoren der Rechte als wissenschaftliche Assistenten bestellt werden. Sie würden noch keinem Hauptberuf nachgehen, also auf kheine practic advocatur oder einigem officio belegt sein, und könnten sich daher voll und ganz dem Landesordnungs-Projekt widmen. Sie sollten vor allem den Kompilatoren die von ihnen benötigten Gesetzgebungs-Materialien zuarbeiten — sowohl ex jure communi alß [...] auß denen gerichtsbüecher und generalien etc. — und in locos communos bereitstellen. Außerdem war von Suttinger für Kanzlei- und Schreibarbeiten der Einsatz [Seite 187] von geschultem Personal vorgesehen worden, es sollten ein Registrator sowie zwei Kanzlisten bestellt werden. Sie alle, die Assistenten und das Kanzleipersonal, hatten taglich daz ganze jahr [...] vor- und nachmittag continuirlich ihren Dienst zu versehen. Als Entschädigung wurden für die Doktoren-Assistenten und den Registrator jeweils 600 Gulden veranschlagt, für die beiden Kanzlisten jeweils 300.
Die von den Kompilatoren benötigten Gesetzgebungs-Materialien62 mussten von den beiden Assistenten und vom Registrator erst auß allen registraturen und canzleien am Ort gezogen und colligirt werden. Für die Benutzung der gehaimbe[n] hofregistratur, des Archivs der landesfürstlichen Hofkanzlei, sowie der regierungsregistratur, des Archivs am Regiment, waren die erforderlichen Genehmigungen noch einzuholen, während über die Bestände der landcanzlei registratur, des Archivs der Landstände, der Landschreiber, also Seiz, disponieren konnte, und über jene der verordneten registratur, dem Archiv der landständischen Verordneten, die beiden Landschaftssekretäre Hartmann und Leopold verfügten. Darüber hinaus sollten auch die so genannten Schönkirchner-Bücher63 konsultiert werden, außerdem noch allerhand [...] ordnung, also andere Gesetzgebungs-Projekte, über welche bereits Gutachten vorlagen; nit weniger waren bereits in Geltung stehende Gesetze, wie die Böheimische Bayerische und andere landsordnungen64 heranzuziehen. Hinzu kamen als [Seite 188] Auskunftsmittel weitere Quellen des geltenden Rechts, wie die Jura communia sowie landesfürstliche Gesetze (generalien, abschiedt und declarationen) samt [...} guetachten und resolutionen dazu. Schließlich waren auch allerhand passim befindliche observationes et consilia manuscripta zu berücksichtigen, etwa Abhandlungen von anerkannten juristischen Schriftstellern über heimisches Recht, vor allem jene von Bernhard Walther aus der Gerichtspraxis des 16. Jahrhunderts sowie Suttingers eigene Observationes,65 die er aufgrund seiner Erfahrungen als Beisitzer des landmarschallischen Gerichts soeben 1650 in Wien zur Veröffentlichung gebracht hatte. Aus der eigenen neben anderen bibliothecen wollte er außerdem noch weitere bewehrte authores consilianten und decidenten erheben lassen.
Was an Materialien auf diese Weise nicht beschafft werden konnte, etwan büecher oder absonderliche tractaten landsordnungen und dergleichen, sollte allenfalls durch die buechführer gegen bezahlung beigebracht werden;66 auch an die Stände war der Aufruf zu richten, dass sie alles, was aus ihren eigenen Bibliotheken etwaß [...] zu dißem werkh tauglich währe, dem Kompilationskomitee communicirn sollten.67 Suttinger selbst war im Besitz einer Bibliothek, die er zunächst in seiner Stadtwohnung in Wien am Kohlmarkt68 aufgestellt hatte. Sie ist später nach Brunn am Gebirge, einer Ortschaft südlich von Wien verbracht worden, wo Suttinger 1649 eine kleine Grundherrschaft, Thurnhof genannt, erworben hatte.69 Dort hat sich die Bibliothek im Verwaltungsgebäude der [Seite 189] Grundherrschaft befunden. Suttinger hatte sie knapp vor seinem Tod, er starb am 1. Mai 1662, seinem Enkel Ott Christoph Gottlieb Volkchra70 letztwillig vermacht.71 Über das Schicksal dieser Bibliothek berichtet dessen Vater, Ott Ferdinand Gottlieb Volkchra, in seinem 1694 errichteten Testament,72 dass sie Von Türckhen in dem Thurmhoff verbrent ward, nämlich 1683 im Zuge der zweiten Belagerung Wiens durch die Osmanen. Dass diese Bibliothek sehr wertvoll gewesen sein muss, zeigt sich darin, dass Ott Christoph Volkchra mit der erwähnten Verfügung von 1694 seinem Eltesten Sohn, Ott Christoph Gottlieb, dem Erben Suttingers, Pro Compensatione der Suttingerischen Bibliothec die eigene — im Umfang von 4.000 Bänden — vermacht hat.73
Suttinger sollte aber nicht nur ad personam als Kompilator und materiell mit seiner Bibliothek zum Gelingen des Landesordnungs-Projekts beitragen, er wollte auch einen Teil seiner Stadtwohnung dafür zur Verfügung stellen.74 Die Vorbereitung und Verwahrung der Gesetzgebungs-Materialien durch die Assistenten und den Registrator sollte disloziert von dem in der Herrengasse liegenden Ständehaus75 erfolgen. Die nahe davon am benachbarten [Seite 190] Kohlmarkt liegende Wohnung von Suttinger schien für die langwürige verrichtung des Gesetzgebungs-Projekts als ein Ort prädestiniert zu sein, wo man niemahlen interrumpirt sonder jederzeit biß an vollendung mit ruehe gelaßen werde, anders als in locis communis specialiter im landhauß, wo die Stände auch die praelaten- herren- und ritter-stuben nit entraten wollten. Es sollten daher einige Räume in Suttingers Wohnung gegen gebührenden zimmerzinß in Bestand genommen werden. Dies schien auch insofern praktisch, als Suttinger dort ohne daz vil regiments büecher [...] neben seines aignen bibliotheca zur Verfügung standen. Als außerordentlich praktisch erwies es sich aber vor allem, daz der herr landschreiber, also Seiz, auch gleich gegenuber in einem anderen Haus am Kohlmarkt, außerdem der doctor Leopoldt in der nachbarschaft, nämlich am Graben, der an den Kohlmarkt angrenzte, und der d[octo] wohnten.76
Für die Überarbeitung des vorliegenden Landtafel-Entwurfs wurde von Suttinger ein arbeitsteiliges Programm konzipiert:77 Nachdem die praeparation der materialien zuesamben gebracht war, sollten diese in den dafür bestimmten Zimmern durch den Registrator in Verwahrung gehalten werden, er hatte auch die beiden Doktoren-Assistenten bei ihren Ausarbeitungen zu dirigiren wie aber auch die von den 4 gelehrten ihren fürgebente casus et quaestiones die jura aufzuschlagen und ihre decuctionen ihnen zu ubergeben. Über die erfolgten Vorbereitungen sollten die vier Gelehrten sodann communicato consilio über reife deliberation beratschlagen und eine Materie nach der anderen, den gesamten Entwurf also Schritt für Schritt, in ein gewiße formam dergestalt bringen, dass sie für jede specificirte materiam die Textierung ex jure et consuetudine zu decidirn, und in ambiguus et non theses pro et contra für[zu]tragen hatten. Im Entwurfs-Manuskript waren diese Deduktionen als [Seite 191] Marginalrubriken anzubringen. Dem Gesamt-Entwurf war außerdem ein Gutachten cum ratione decidendi zu annectirn.
Nachdem der gesamte Entwurf auf diese Weise ausgearbeitet war, sollten die vier Doktoren von dieser verfaßung noch ein khürzer form, so wie daz statutum [...] getruckht werden mueß nervosse succincte und breviter verfaßen, weil es nicht üblich sei, in den legibus publicis rationes zu exprimieren; es genüge, wenn die dem Entwurf zugrunde liegenden Materialien, die juridica deductio, rationes et allegationes [...] separatim in einem anderen digesto zusamben getragen und zu finden seien78. In der Tat sind zum einen Handschriften-Fassungen des Entwurfs ohne Marginalrubriken, so wie für den Druck bestimmt, und andererseits solche mit derartigen Glossierungen vorhanden. Bemerkenswert ist aber, dass es keine Handschrift gibt, in der alle Bücher der Landtafel zusammengefasst sind; auffällig ist insbesondere, dass über den ersten Teil, das Gerichtsverfahren betreffend, keine glossierte Fassung zu finden ist.79
Für die Besprechungen der vier Rechtsgelehrten wurden bestimmte Wochentage fixiert, nämlich Mittwoch vor- und nachmittags sowie an den übrigen Tagen jeweils der Nachmittag — also insgesamt doch etwas mehr, als von Suttinger noch knapp davor mit zwei Wochentagen kalkuliert hatte. Außerdem waren wöchentliche Referate vorgesehen an den Landmarschall als Leiter des Projekts sowie weitere Besprechungen mit dem landesfürstlichen [Seite 192] Hofkanzler, an den aber nur absonderlich [...] in allen arduis et dubiis [...] umb seinen [...] rath und guetachten recurrirt werden sollte. Sobald das durch dieses engere Experten-Komitee verfaßte projectum zue standen geschrieben war, sollten sich der Stände-Ausschuss und der Ausschuss der landesfürstlichen Räte damit befassen; allen Ausschuss-Mitgliedern war acht Tage vor der anberaumten Besprechung zur Vorbereitung ein Exemplar davon auszuhändigen, damit sie danach in der — gemeinsamen — zusambenkhunft mature et permediate deliberirn und den schluß fassen konnten. Es war offenbar von Suttinger in dieser Phase der Gesetzgebungs-Vorbereitung eine eingehende sachliche Diskussion über Inhalte des Textes nicht mehr vorgesehen. Die Ausschussmitglieder sollten das Projekt so rasch als möglich behandeln und nach Beendigung dieser Schlussbesprechung dem Kaiser zur resolution ueberraichen. An eine Einbindung der landesfürstlichen Regierung war — wie bereits erwähnt — nicht gedacht; dem Statthalter — wie auch dem Hofkanzler — sollten aber auch Exemplare des Entwurfs zukommen, um sie um ihr mainung bedenkhen oder erinderung aber bloß privatim zu ersuechen.80 Tatsächlich hat diese Phase der Gesetzgebungs-Vorbereitung dann einen anderen, für das Gesetzgebungs-Projekt ungünstigen Verlauf genommen, wovon aber erst später die Rede sein wird.81
Außer den Aufwandsentschädigungen für die vier Doktoren (siehe oben 1.c) und den Gehältern für das Kanzleipersonal (siehe oben 2.a.aa) waren 300 Gulden an Zimmerzins pro Jahr sowie für Heizung und Beleuchtung (holz und liecht) in Suttingers Wohnung 150 Gulden sowie weitere 150 Gulden für Einrichtung und Arbeitsmaterialien (canzlei notturften sambt tischen taffeln benkch stelen etc.) veranschlagt worden, einschließlich von Geldmitteln für verehrungen und bibalien — also für Bestechungen und Trinkgelder, wenn etwa bei anderen instantien und tribunalien registraturn und canzleien, als bei den oben erwähnten ständischen, um [Seite 193] guetwillige ervolglaßung oder aufsuechung der begehrenden notturften anzufordern waren —, sowie zur Bezahlung der Buchhändler für die allfällige Beischaffung von Literatur (siehe oben bb). Für die Finanzierung war ein entsprechender Beschluss im Landtag herbeizuführen;82 pro Jahr war mit mindestens 3.800 Gulden an fixen Aufwendungen für das Landesordnungsprojekt zu rechnen sowie außerdem mit Entschädigungen für die beiden ständischen Syndici in unbestimmter Höhe.
Das von Suttinger konzipierte Programm, der modus procedendi bei der fürhabenden landtaffel, wurde vom ständischen Verordnetenkollegium sofort placidirt, also genehmigt.83 Anfang Oktober 1651 lagen dann die erforderlichen Benutzungsgenehmigungen für die nicht-ständischen Archive, Registraturen und Kanzleien vor.84 Der Beginn der konkreten Gesetzgebungs-Vorbereitungen hatte sich in der Folge aber deswegen verzögert, weil von Seiten der conferenz der mit der Ausarbeitung der Exekutions-, Revisions- und Gerichtsordnung befassten landesfürstlichen Räte im Dezember 1651 bekannt gegeben worden war, dass sie vom Kaiser ein mandatum erhalten hatten, nicht nur diese Prozessmaterien, sondern eine ganze landsordnung aufzurichten, denn es wäre besser, das[s] baide materien zugleich elaborirt wurden, weil sonst — aus leidlicher Erfahrung — zu besorgen wäre, das[s] [...] das werkh stecken möchte, also im Sande verlaufen würde.85
Der Anteil der ständischen Mitwirkung an den laufenden Gesetzgebungs-Projekten wurde — wie ein im März vom Stände-Ausschuss an die Verordneten erstatteter Bericht86 beklagte — bereits im Juli 1651 nach einer von den landesfürstlichen Räten vorgenommenen [Seite 194] Änderung des Zeitplans der dafür vorgesehenen Sitzungen bedeutend beeinträchtigt worden, weil dadurch zwei ständische Deputierte gar nicht mehr, und ein weiterer wegen anderweitiger Verpflichtungen nur mehr fallweise an den gemeinsamen Sitzungen teilnehmen konnten. Seitens des Stände-Ausschusses wurde daher eine Modifikation des "Modus" für die Ausarbeitung der laufenden Gesetzgebungs-Projekte sowie insbesondere auch eine Modifikation der mit dem Landesordnungs-Projekt noch geplanten Arbeitsschritte vorgeschlagen. Als dubia und obstacula, welche den progress dises [...] werkhs schwerer machen und in die lenge verziehen, wurden movirt: Die Doppelgleisigkeit der Gesetzgebungs-Arbeiten in zwaien underschiedlichen collegiis, von denen eines von den Ständen allein, das andere aber aus landesfürstlichen Räten und ständischen Mitgliedern zusammengesetzt war; bei Fortbestand von zwei Kommissionen, welche zugleich et eodem tempore arbeiten, wäre die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass sie in [...] underschidlichen puncten ungleicher mainung sein würden, so dass der Landesfürst auch seine Regierung mit ihrem guetachen vernehmen müsste, was die Realisierung diß werkh nur noch schwärer und difficultirlicher machen würde. Es sollten daher die Stände ihrem Ausschuss beliben laßen, unter adjungirung etlicher Ausschuss-Mitglieder, gemeinsam mit dem Landmarschall und dem Statthalter als Leiter der Regierung (des Regiments) sowie mit dem Regimentskanzler eine conferenz zu pflegen [...] de modo wie etwa am schleinigsten dises [...] werkh der [...] neuen landsordnung zu [...] ende zu bringen wäre.
Als unnötig wurde es vor allem angesehen, dass die vier Rechtsgelehrten, denen die Vorarbeit der neuen Landesordnung aufgetragen war, alle [...] materias juris auf ein neues aufschlagen [...] und ein neues corpus juris verfaßen, dies wäre ein so müehesambes und weitläufiges werkh, dass dessen Beendigung vermutlich nicht allein die jetzt lebenden Mitarbeiter, sondern wahrscheinlich auch deren posteritet nicht erleben würden. Außerdem sei es [Seite 195] [1.] wißentlich, dass im Herzogtum der Landsbrauch in nicht so gar villen puncten von den geschribnen gemainen rechten abstimmet; [...] und wo er auch different wäre, so sei doch
[2.] allerseits bekhanntlich [...] welcherlei in der Rechtspflege in gemainen rechten oder ... ublichen landsbrauch fundirte rechtssätze angewendet würden; darüber hinaus sei
[3.] für das Landesordnungs-Projekt bereits ein [...] wohl außgearbeitetes werkh vorhanden warinnen [...] Strein und andere, nämlich hauptsächlich Linsmayr, herrunder dem titul einer landtafel alle die rechten und den landsbrauch [...] verfaßt hätten; also erachtete der Stände-Ausschuss, dass dises [...] compendium [...] zu beschleinigung dises [...] vorhabens vil dienlich sein könne.
Die vier Rechtsgelehrten sollten daher auf der Grundlage des Entwurfs von Strein und Linsmayr zunächst eine gewiße abthailung [...] deren materen titteln und puncten machen, nämlich nach solchen, die
(a) entweder mit den gemainen rechten ubereinstimmen, oder wo
(b) der landsbrauch allerseits bekhant und tota die practicirt ist, oder wo
(c) auch hievor schon gewiße special-landsordnungen, wie die Landgerichtsordnung, Zehent- und Bergrechtsordnungen oder Jagdordnungen (wildbahn und reißgejaidordnungen) und dergleichen, bereits durch Generalmandate publiziert und von den Ständen ohne einwendung ainiger beschwär angenomben worden sind, von denjenigen zu unterscheiden, wo
(d) zwar der landsbrauch von gemainen rechten abstimmet, aber nicht allerseits approbirt und bekhäntlich sondern zweifelhaft und in controversiam sei.
Hinsichtlich der ersten drei Kategorien (a—c) sollte das damit zu befassende, aus landesfürstlichen Räten und den Mitgliedern des Stände-Ausschusses zusammengesetzte, gemischte collegio ohne Beiziehung der vier Rechtsgelehrten täglich oder doch wochentlich zwei mit dreimahl dergestalt fortfahren [...], daß die [...] landtafel per capita abgelesen, und jede deren titulus entweder mit gemainem schluß approbiert, oder, so waß pro moderno rerum statu zu verändern wäre, solchs communicato consilio geändert und gebeßert werden sollte, was dem Landmarschall sowie allenfalls [Seite 196] auch dem Landuntermarschall, dem Statthalter, dem Hofkanzler und dem Regierungskanzler mitzuteilen wäre. Die vier Rechtsgelehrten hätten daher allein hinsichtlich der in die vierte Kategorie fallenden Bestimmungen sich dahin zu bemüehen, das si auß denen alten archivis und praejuditiis den alt gewöhnlichen landsbrauch [...] erkhundigten, oder auch wo der beständig nicht zu finden wäre, ihren Standpunkt cum rationibus dem gemischten collegio pro [...] consultatione [...] schriftlich zukhommen ließen.
Aus der Sicht des Stände-Ausschusses waren diese Modifikationen des "Modus" notwendig, um auf dem kürzesten weege [...] zu dem [...] werkh einer [...] beständigen neuen landsordnung förderlich zu gelangen.87 Nach dessen Genehmigung durch die Stände im Einvernehmen mit dem Landmarschall und dem Statthalter schienen die Weichen für ein zügiges Zustandekommen des Landesordnungs-Projekts gestellt zu sein.88 Anfang September 1652 musste die Regierung beim Landmarschall aber urgieren, er möge die Stände wegen der für die Beratungen des Landesordnungs-Projekts erforderliche Neubesetzung des ständischen Ausschusses mahnen.89 Ende September kam dann von Seiten der Stände an den Landesfürsten das Ersuchen, es mögen zunächst die Arbeiten an der Landgerichtsordnung sowie an den prozessrechtlichen Projekten beschleunigt werden, was auch genehmigt wurde. Auf weiteres Ersuchen der Stände wurde, um die Arbeiten an der Landgerichtsordnung, dem fürnembsten Thail der [...] landsordnung, namentlichen der peinlichen halsgerichtsordnung, zu beschleunigen, außerdem davon abgesehen, die Regierung in die laufenden Gesetzgebungs-Arbeiten einzuschalten.90 [Seite 197]
Über den genauen Hergang der Ausarbeitung des Landtafel-Projekts, dessen Vorbereitung durch die vier Rechtsgelehrten offenbar zu Jahresende 1654 abgeschlossen werden konnte, bleiben die vorhandenen Quellen ein wenig dunkel.91 Es ist aus noch vorhandenen Protokoll-Fragmenten, welche der landständische Syndicus Hartmann geführt hat, jedenfalls ersichtlich, dass die gemischte landesfürstlich-landständische Kommission erst nach der Publikation der Exekutions- und der Revisionsordnung sowie der Vorlage der Landgerichtsordnung zur Sanktion an den Landesfürsten Ende August 1655 die einzelnen Teilordnungen des Landtafel-Projekts in Beratung gezogen, und sich damit bis Ende August 1659 befasst hat.92
Nach Genehmigung der Beratungen der Landgerichtsordnung im November 1652 durch den Kaiser93 wurde in dem gemischten Ausschuss aber nicht sofort an der Strafrechtsordnung, sondern zunächst an den bereits seit den 1640er-Jahren laufenden Projekten einer Revisionsordnung und einer Exekutionsordnung gearbeitet; erst nach Abschluss dieser seit Anfang Juli 1651 aufgenommenen Arbeiten wurde Mitte Juni 1654 auch die Landgerichtsordnung in Angriff genommen. Mitte Mai 1655 waren alle diese Gesetzgebungs-Projekte der Regierung bereits pro resolutione zur Vorlage an den Landesfürsten übergeben worden.94 [Seite 198]
Bereits gegen Ende Juni 1654 war die Grundsatzentscheidung95 gefallen, die Landesordnung — so wie den Entwurf aus 1595 — in sechs volumina abzuteilen, nämlich in einzelne Traktate, und zwar in: (1.) über die gerichtlichen Handlungen insgemein, (2.) de contractibus, (3.) de testamentis, (4.) de successionibus ab intestato, (5.) de feudis und (6.) Von der Landgerichtsordnung. Davon wurde für den ersten Band eine Gliederung in drei Teile vorgesehen, über (a) die Gerichtsordnung, (b) die Revision, Restitution und Nullität sowie (c) über die Exekutionsordnung; der fünfte Band wurde in zwei Teile zerlegt, der eine umfasste das Lehenrecht, der andere behandelte geistliche Lehen, also Rechtsverhältnisse in Verbindung mit dem Patronat oder der Vogtei, sowie andere iura incorporalia96 im grundherrschaftlichen Bereich sowie damit verbundene Rechtsverhältnisse wie Robot und Zehent, Berg- und Weingartenbaurecht, Leibgedingerecht, Jagd- und Fischerei- sowie Wasserrecht, Fragen des rechtlichen Status von Gebäuden, Saat und Pflanzen auf fremdem Grund, der Tierhalterhaftung, sowie in Zusammenhang mit streitigen Grenzen und schließlich die Handhabung von strafrechtlich bzw. zivilrechtlich sanktionierten Handlungen wie Gewalttätigkeiten oder Injurien.
Von den einzelnen Teilordnungen dieser geplanten Landesordnung waren von den drei Teilen des ersten Bandes die Exekutions- und die Revisionsordnung bereits seit Ende August 1655 publiziert, die allgemeine Gerichtsordnung befand sich noch in Ausarbeitung;97 der letzte Band mit der Landgerichtsordnung war knapp nach den beiden eben erwähnten Prozessgesetzen Ende Dezember 1656 publiziert worden.98 Die übrigen Traktate sind, wie aus den Protokollen des landständischen Syndikus Hartmann hervorgeht, von Mitte Dezember 1655 bis Ende Oktober 1658 in der [Seite 199] Reihenfolge Gerhab[sc]haftsordnung99 — Testamente — Erbfolgeordnung — Vertragsrecht — Lehenrecht in Verhandlung genommen worden; über das Lehenrecht wurde in einzelnen Sitzungen neben anderen Materien, wie vor allem der Polizeiordnung, noch bis Mitte August 1659 weiterverhandelt.100 Die meisten Sitzungen der gemischten Kommission wurden bei dem nunmehrigen Direktor des Landesordnungs-Projekts, dem Regimentsrat Johann Franz Lamberg, auch Mitglied des Verordnetenkollegiums, abgehalten; für einige benutzte man im Gebäude der Regierung die Commissionsstube und, soweit der Stände-Ausschuss allein tagte, das benachbarte Landhaus.101 Suttinger, der federführend in der Vorbereitungsphase des Landesordnungs-Projekts mitgewirkt hatte, taucht in diesen Verhandlungen nur mehr fallweise auf, und zwar stets als Vertreter der Regierung.102 Aus einer Notiz am Deckeleinband der Protokolle von Hartmann geht aber hervor, dass im Verlauf des Jahres 1655 von [etwa] den etwa 70 Sitzungen mehr als die Hälfte bey herrn Regiments Canzlern, also bei Suttinger, stattgefunden haben103 — wohl bei ihm in der Wohnung und nicht im Gebäude der Regierung.
Bis Jahresende 1657 waren die Vorarbeiten der Rechtsgelehrten nahezu beendet; Suttinger schloss in diesem Jahr auch seine [Seite 200] Vorarbeiten zu einer Art Landhandfeste ab,104 einer Sammlung der ständischen Freiheiten und Privilegien, und Leopold war noch mit der Ausarbeitung eines Entwurfs für das forum mercantile, eine Verfahrensordnung in Handelssachen beschäftigt.105 Da man nun aber bereits alle in [...] landsordnung gehörige materiae [...] außgearbeithet und allein daz forum mercantile noch übrig seie, beantragte der Stände-Ausschuss Mitte Dezember 1657 die Beendigung seiner Tätigkeit.106 Jedenfalls sollten vom Verordnetenkollegium das Mietverhältnis mit Suttinger gekündigt und die Besoldungen für ihn und Seiz sowie das Hilfspersonal eingestellt werden. Suttingers Bemühungen um das Landesordnungs-Projekt wurden in der Folge im Dezember 1658 aber noch immateriell honoriert, durch seine Aufnahme in den Ritterstand.107 Bereits im September dieses Jahres war er auch wieder ganz in den Dienst der Regierung zurückgekehrt; er schied als Koordinator des Landesordnungs-Projekts aus, an dessen Spitze nun de facto Seiz gestellt wurde. Erst Ende August 1662, nachdem Suttinger am vorhergehenden 1. Mai verstorben war, wurde im Stände-Ausschuss beantragt, herrn landschreiber anstat [...] Suttinger zu substituieren.108 Auch die beiden ständischen Syndices, Hartmann und Leopolds109 blieben in die weiteren Arbeiten der gemischten Kommission eingebunden.110
Ende des Jahres 1658, als die Überarbeitung der Entwürfe seitens der gemischten Kommission fertig gestellt war, traten die Stände an den Landesfürsten mit dem Ersuchen heran, so wie 1651 bereits angeordnet,111 von einer weiteren Revision oder Begutachtung des [Seite 201] Landesordnungs-Projekts durch die Regierung abzusehen; dies war wohl auch überflüssig, weil in der gemischten Kommission ohnedies mit Suttinger der Kanzler sowie im Verlauf der bisherigen Beratungen zehn weitere Regiments-Räte an Verhandlungen mitgewirkt hatten; außerdem waren den Ständen für die schon seit sieben Jahren laufenden Arbeiten bereits große Unkosten erwachsen, allein für 1658 waren 3.800 Gulden dafür aufzuwenden.112 Geklagt wurde auch darüber, dass zwar alle tractatus so zu einer bestendigen guten landesordnung gehörig, ausgearbeitet waren, von der Regierung aber nicht dem Kaiser zur Resolution übergeben worden seien, weil sie die Regierung in noch weitern examini und revidirung ubernommen habe, allwo sie annoch ligend verblieben.113
Nachdem die Regierung die ihr vorgelegten Traktate aber weiterhin eigenmächtig zum Zweck der Revision zurückbehalten hatte, wiederholten die Stände im April 1661 ihr Anliegens,114 weil die bereits ausgearbeiteten Traktate der Landesordnung von der Regierung zurückbehalten worden seien, so wie seinerzeit schon der Entwurf der Landgerichtsordnung, dessen Publikation sich deswegen um Jahre verzögert habe. Auch das Landesordnungs-Projekt war nun faktisch zum Stillstand gekommen. Nach mehrfachem Drängen der Stände115 erfolgte zwar im Juli 1665 die landesfürstliche Entschließung, diesem Anliegen nachzukommen, bis Anfang August 1666 hatte die Regierung aber nur einen Traktat zur Landesordnung, jenen zum Testamentsrecht bei Hof vorgelegt.116 [Seite 202]
Ende Mai 1666 kündigte sich nach dem Ableben von Franz Lamberg mit der Bestellung von Vizestatthalter Paul Sixt Trautson pro directore für das Landesordnungs-Projekt117 ein Aufschwung für diese Gesetzgebungsbemühungen an. Trautson ordnete auch sogleich eine straffere Handhabung der Arbeiten an der gerichts- und landsordnung an: Die Kommission hatte wochentlich 3mahl zusamben zu komben [...] ausser den feiertagen und ferien; außerdem waren die tractatus so sich verlohren hatten, aufsuechen zu lassen. Danach sollte das Projekt noch einmal revidiert werden, und zwar in folgender Reihung: die strittige puncten vorhero, hernach die gerhabschaftsordnung, folgendß das forum mercantile [...] sodann der lehenßtractat.118
Bei der im Juni 1666 angelaufenen Continuatio der landsordnung119 zeigte sich aber bald, dass die verfaßung der neüen landsordnung nicht in allen Punkten zu einer Einigung zwischen den landesfürstlichen Räten und den Mitgliedern des Stände-Ausschusses führen würde; Mitte Juli 1666 musste doch die Regierung wegen ihres Gutachtens eingeschaltet werden.120 Ende August 1667 wurde seitens der Kommission Bilanz gezogen und ein Verzaichnis waß für tractatus elaborirt und bei hoff, item bei regierung und bei unß erstellt.121 Es ergab sich folgender Stand des Projekts: von den ßeithero ausgearbeite[n] tractatus lagen de testamento et contractibus [...] bei hoff. Bei regierung befanden sich die Traktate de successionibus ab intestato, die gerhabschaftsordnung, judicium mercantile, der advocaten juramentum [...] in appellations- und revisionssachen [...] In der compilatorn handen verblieben die neue [...] revisionsordnung [...] befand sich noch bei denen [...] ständen.122 [Seite 203]
Bis Jahresende 1667 wurde weiter in compilatione außgearbeitet.123 Dann erging an die landesfürstlichen Räte und an den Stände-Ausschuss der Befehl des Landesfürsten, die seit 1651 ausgearbeitet tractatus der newen landsordnung zu dero resolution zu übergeben, nachdem biß anhero nunmehr sibenzehen Jahr hierinnen continuirt, und allein die verneüerte executions- revisons- und landgerichtsordnung zur publication gebracht, ebenso wie auch seithero mehr nicht dan der tractat von testamenten zu [...] ratificir- und publicirung nacher hoff eingeraicht worden seien, womit sich lediglich für das rechtsgeschäftliche Erbrecht die Aussicht auf eine baldige Sanktionierung durch den Landesfürsten abzeichnete.124 Anfang Februar 1668 folgte ein weiteres Dekret an die Stände, in welchem der Kaiser seinen früheren Befehl wiederholte, in der landtafeln end zu machen und einen Bericht anforderte, ob nicht die [...] angeordnete commission aufzuhören hätte.125
Ende August wurde dennoch eine Continuatio der landsordnung in Gang gebracht;126 es wurde aber innerhalb der Kommission Ursachenforschung über die Hemmnisse für den Fortgang des Landesordnungs-Projekts betrieben und dabei bis Mitte September 1668 folgendes erhoben:127 Die verlängerung käme daher, 1mo daß man in der wochen bette 3 täg haben sollen, welcheß nicht beschehen. 2° das[s] man in 2. und 3. jahr nicht gearbeitet noch berathschlagt. 3io daß bei der [...] regierung sich die sach bißhero gesteckt, und wie verlaute, ßoll eß wider von der regierung vorhero alles berathschlagt werden; das saumbsahl komme allein a parte der regierung, welche es nicht nur unterlassen hatte, alle Traktate dem Kaiser vorzulegen, sondern auch etlich jahr nichtß gearbeitet habe. Seit Beginn des Landesordnungs-Projekts hatten sich auch längere Unterbrechungen der Arbeiten ergeben, nämlich von 1651 bis 1654, von 1660 bis Anfang 1662 und von Mitte 1662 bis [Seite 204] 1668; auch waren in der übrigen Zeit wegen Verhinderungen von Kommissionsmitgliedern infolge Ablebens, Krankheit oder beruflicher Verhinderungen, keine regelmäßigen Beratungen zustande gekommen.
Als Hauptursache für die gerügten Verzögerungen wurde aber der Umstand hervorgehoben, dass gegen kaiserliche Anordnung durch die Regierung eine Revision der bereits ausgearbeiteten Traktate zur Landesordnung vorgenommen worden war. Nachdem daran schon siebzehn Jahre lang gearbeitet worden war, wollten die Stände auch der dafür so lang continuirten [...] jährlich erforderten großen spesa endlich entledigt und überhoben sein; die dafür aufgewendeten unkhösten hatten sich inzwischen bereits auf 100000 fl beloffen nicht vergebentlich ausgelegt, sondern [...] der lieben justiz als dem gemeinen weesen ... ersprieslich [...] seien, ersuchten die Stände den Landesfürsten von den bereits ausgearbeiteten Traktaten vorderist [...] die gerichts- und gerhabschafts- wie auch grundbuechsordnung woran das maiste gelegen publiciern zu lassen.128
Die inzwischen in der gemischten Kommission fortlaufende Überarbeitung aller Traktate zur Landesordnung war Ende März 1669 endlich abgeschlossen.129 Schon im Februar 1669 lag mit der Publizierung der Gerhabschaftsordnung auch das erste greifbare [Seite 205] Ergebnis130 vor. Im selben Jahr stand auch der Abschluss des Tractatus de juribus incorporalibus bereits bevor. Nach Ausräumung von noch strittigen Fragen mit dem Prälatenstand konnten aber bis April 1671 nur die ersten beiden Titel des Traktats Von geistlichen Lehenschaften und Von Vogteien an den Landesfürsten zur Sanktion übergeben werden. Weitere Beschwerden einzelner Stände über die Robot-Regelung führten dann noch zur Anordnung von neuerlichen Beratungen durch den ständischen Ausschuss, dessen Bestellung sich aber bis 1673 verzögerte. Mitte Juni 1673 wurden deswegen auch die bereits sanktionierten Titel kundgemacht, um wenigstens diese unbestrittenen Abschnitte des Traktats im Rechtsleben zur Anwendung bringen zu können. Der von den Ständen eingesetzte Ausschuss kam mit seinen Beratungen über die Titel drei bis achtzehn zwar voran, bis 1675 wurde aber die Berichterstattung an den Landesfürsten seitens des Geheimen Rates behindert.131 Erst die Bestechung eines Referendars beim Geheimen Rat, dem eine verehrung von 2000 fl zugewendet worden war, führte schließlich im März 1675 zur Vorlage an den Landesfürsten132 und schließlich zum Erfolg: Nach Anordnung einer abschließenden Begutachtung des Traktats durch die Regierung Ende September 1678 und der Konsultierung der Hofkammer wurde der Tractatus de juribus incorporalibus am 13. März 1679 durch den Landesfürsten sanktioniert. Die feierliche Publikation erfolgte Ende April unter Teilnahme einer Stände-Deputation.133 [Seite 206]
Bis zum Frühjahr 1679134 waren in der landsordnungssachen [...] schon publicirt. 1. die executionsordnung. 2. die revisionsordnung. 3. die landgerichtsordnung. 4. die gerhabschaftsordnung. 5. daz jus patronatus oder geistliche lehenschaft. 6. ein appellations-edict auß der gerichtsordnung. 7. der tractat de juribus incorporalibus [...]. Bei hoff befinden sich noch zu berathschlagen: [...] die gerichtsordnung. [...] tractatus de feudis. [...] der tractatus de contractibus darunter insbesondere begriffen daz freundeinstandrecht.135 Die Aussicht auf die Realisierung der gesamten Landesordnung schien zunächst noch gegeben, insbesondere nachdem in der im März 1681 publizierten Advokatenordnung der Verweis auf deren Einverleibung in die künftige neue Gerichtsordnung enthalten war. Die Stände forcierten zunächst aber vor allem ihre Ersuchen um die Sanktion und Publikation der beiden Erbrechts-Traktate, welche — nach einer neuerlichen Bestechung eines Referendars beim Geheimen Rat im Umfang von 2000 fl [...] wegen fürderlicher referirung der landsordnungstractaten,136 1684 der Hofkanzlei vorlagen. Von ihr wurde der Regierung auf Ersuchen der Stände außerdem noch der Lehenstraktat abgefordert.137 Danach verliefen die Gesetzgebungs-Bemühungen aber ganz im Sande; die Stände hatten bis um 1700 politisch immer mehr an Bedeutung verloren,138 die Landesfürsten, Leopold I. und Josef I., waren nun auch mehr an der Lösung des Türkenproblems und am Erwerb der Spanischen Monarchie interessiert, als an Fragen der Gesetzgebung. [Seite 207]
Erst unter Karl VI. kam die Gesetzgebungs-Maschinerie wieder in Schwung;139 auch das Landesordnungs-Projekt wurde davon erfasst: 1717 kam es zum Erlass einer Wechselordnung, dem verfahrensrechtlichen Teil des Traktats über das forum mercantile nach dem Entwurf von Leopold aus 1658. Dann erhielt das vierte Buch des Landesordnungs-Entwurfs die Sanktion und wurde als Neue Satzung und Ordnung vom Erbrecht außer Testament im September 1720 in Gegenwart der Stände feierlich publiziert.140
Darüber hinaus ist das Landesordnungs-Projekt aber nicht mehr ergänzt worden, es ist Stückwerk geblieben. 1751 wurde unter Maria Theresia zwar noch eine Reform der grundherrlichen jura incorporalia sowie der damit verbundenen Befugnisse der Dorfobrigkeit, insbesondere auf dem Gebiet der freiwilligen Gerichtsbarkeit, in Angriff genommen; sie geriet aber bereits in den Sog der anlaufenden Vorbereitungen für eine gesamtstaatliche Privatrechtskodifikation und wurde 1756 schließlich auf Anordnung der Landesfürstin eingestellt.
Die als Gesetze in Geltung getretenen, aber auch die im Entwurfstadium steckengebliebenen privatrechtlichen Traktate des Landesordnungs-Projekts wurden von der 1753 zum Zweck der Einführung einer allgemeinen Gerichtsordnung und eines gleichförmigen und allgemeinen Landrechts als jus certum et universale,141 nämlich für alle deutschen Erbländer der österreichischen Monarchie [Seite 208] eingesetzten so genannten Kompilations-Kommission142 als Basis für die Sammlung, Sichtung und Ordnung der Landesrechte143 in Berücksichtigung gezogen und haben damit die Bestandsaufnahme über das im Herzogtum Österreich unter und ob der Enns geltenden Landesrechts geprägt.144 Darin liegt vor allem die wirkungsgeschichtliche Bedeutung des niederösterreichischen Landesordnungs-Projekts. Rechtshistorisch von Interesse sind aber [Seite 209] insbesondere auch die glossierten Fassungen des Landesordnungs-Entwurfs, weil sie Aufschluss darüber geben, aus welchen Materialien die Kompilatoren im Umkreis von Suttinger geschöpft hatten; die vorhandenen Marginalrubriken spiegeln ein buntes Konglomerat all jener Quellen des Ius Romano-germanicum wider, die in Niederösterreich um 1650 in Anwendung gestanden sind; die beiden ihm zugrunde liegenden Rechtstraditionen, die heimisch-deutsche und die römisch-gemeinrechtliche, haben in einem durchaus ausgewogenen Verhältnis145 Berücksichtigung gefunden: Aus den Quellen146 des ius commune finden sich Belege aus allen Teilen des Corpus Juris Civilis unter Einschluss von Authentiken und — trotz graeca non leguntur — auch von Novellen; hinzu kommen Belege aus der Literatur der Legisten Azo († um 1200), Bartolus (1313-1357), Alexander Tartagnus Imolensis (ca 1424-1477), Jason de Mayno (1435-1519) und Felini Sandeus (1444-1503); für das kanonische Recht sind Belege von Nicolaus de Tudeschis (auch Abbas Panormitanus; † 1445) zu konstatieren. Für das heimisch-deutsche Recht finden sich von den Gesetzen Belege aus der Polizeiordnung für die niederösterreichischen Länder aus 1552 (und ihrer überarbeiteten Fassung für Niederösterreich aus 1568), aus einer kaiserlichen bzw. Wiener Grundbuchsordnung (1566), und aus der Gerichts- und Exekutionsordnung (1655); ferner sind Verweise auf zahlreiche kaiserliche Generalmandate und Resolutionen, eine (zeitlich unbestimmte) Zehent- und Jagdordnung sowie auf den oberösterreichischen Landtafelentwurf von 1616/29 festzustellen. Vor allem im Vertrags- und Testamentsrecht fallen mit einem Anteil von 25 bzw. gar 40% insbesondere Belege aus Quellen [Seite 210] bayerischer Herkunft stark ins Gewicht.147 Für das Gewohnheitsrecht findet sich häufig der schlichte Verweis auf "Landsbrauch" (bzw. "Wienerischer Stadtgebrauch"); ferner sind auch Entscheidungen des Landmarschallischen Gerichts (Landrecht) und der Regierung (Regiment) in Österreich unter der Enns aus den Consuetudinarien- und Motivenbüchern zu konstatieren. Unter den Belegen der rechtswissenschaftlichen Literatur finden sich solche von Vertretern des mos italicus, nämlich von Julius Clarus (1525-1575) und Tiberius Decianus (1508-1581); von Vertretern des mos gallicus, nämlich von Jacobus Cuiacius (1522-1590) und François Hotoman (1524-1586); von Vertretern der niederländischen eleganten Jurisprudenz, nämlich von Matthaeus Wesenbeck (1531-1586), Jacobus Balduinus (auch Hunnius; 1583—1636), Hubert Giffianus (1534-1604) und Antonius Faber (1557-1624); von den sächsischen Juristen, nämlich von Nicolaus Reusner (1545-1602), Mathias Berlich (1586-1638), Benedikt Carpzow (1595-1666), Johann Schneidwein (1519-1568), Hieronymus Schürpf (1480-1554) und Eberhard Speckhan († 1627); ferner Literatur von anderen Vertretern des Usus modernus, nämlich Heinrich von Rosenthal (um 1600) aus Hessen und des Kameralisten Andreas Gail (1526-1587); von den Juristen aus Österreich sind drei konsultiert worden, nämlich neben Bernhard Walther (1516-1584) und Johann Baptist Suttinger († 1661)148 auch der Zivilprozessualist Johann Baptist Schwarzenthaler († 1615).149
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