Wilhelm Brauneder, Kanonisches und Römisch-gemeines Recht am Beginn der modernen Privatrechtswissenschaft. Aus: A. Scheuermann - R. Weiler - G. Winkler (Hrsg.), Convivium utriusque iuris Festschrift Alexander Dordett zum 60. Geburtstag, Wiener Dom-Verlag, Wien 1976, 107 - 121 (vorhandene Zwischenüberschriften leicht ergänzt).
Aus dem Band "Wilhelm Brauneder, Studien II: Entwicklung des Privatrechts (Frankfurt am Main 1994) S. 15 - 30" mit Hilfe eines OCR-Programms digitalisiert und in Anlehnung an die Richtlinien der TEI mit XML-Markup versehen. Für die Erlaubnis zur Digitalisierung danke ich Herrn Professor Brauneder herzlich.
Heino Speer
Klagenfurt am Wörthersee
November 2014
I. Träger; II. Literatur; III. Unterricht, A. Universitäten, B. Landschaftsschulen; IV. Einfluß.
Die Verwissenschaftlichung des Rechts, vor allem des Privatrechts, wie sie besonders ab 1500 in den hier untersuchten Gebieten Österreichs unter und ob der Enns und Innerösterreichs allmählich Platz greift, hat eine zweifache Grundlage: das römisch-gemeine und das kanonische Recht, die "weltlichen und geistlichen Rechte".
Träger dieser Entwicklung (unten I) sind die Juristen, ein neuer rechtskundiger Stand, dessen Denkgrundlage nicht mehr im unreflektierten Herkommen, in überlieferten Formeln und einer von Fall zu Fall gebildeten Rechtsmeinung besteht, sondern die das Lehrgebäude der erwähnten Rechte, vermittelt durch die entsprechende Literatur (unten II) und einen eigens geformten Rechtsunterricht (unten III), bildet. Der Einfluß dieses neuen Rechtsdenkens (unten IV) ist äußerst unterschiedlich.
Die Rechtswissenschaft kann dort auf eine Tradition zurückblicken, wo bereits im Mittelalter am "ius civile" geschulte "doctores legum", häufiger aber noch die im kanonischen Recht gebildeten "doctores iuris (decretalium)" Verwendung fanden. Dies ist allerdings in Österreich selten der Fall. Abt Engelbert von Admont, der um 1280 in Padua Jus studiert hatte und mit seinen Werken über Staatslehre und Staatsrecht bekannt geworden ist, bildet eine Ausnahme1. Von dem Domherrn Johann aus Gräcz (gest. 1450) wissen wir nur, daß er nicht bloß "Mag. artium", sondern auch "Dr. decretalium" war2. Nichtgraduierter Jurist könnte der "steirische Reimchronist" Otacker ouz der Geul gewesen sein, der in auffallender Weise zwischen Legisten und Juristen, dem Decretum Gratiani und den Decretalensammlungen zu unterscheiden weiß. Übrigens berichtet er, Bischof Wernhard von Seckau "hete datz Padou (Padua) gelesen daz decret [Seite: 16] (Decretum Gratiani) und daz decretal3". Gutachten des 14. Jahrhunderts hatten sich in Wien u. a. mit Problemen der kanonischen Wucherlehre beschäftigt4. Im Prozeßrecht verwendete Begriffe wie unter anderem "litis contestatio" lassen generell auf Beteiligte schließen, die mit dem römisch-kanonischen Recht vertraut waren5. Möglicherweise ist auch in Österreich eine gemeinrechtliche Arbeit entstanden, die sog. "Summa legum", die Einfluß auf die Rechtskultur der östlichen Nachbarländer gewann6. Aus Kärnten stammen zwei kanonistische Arbeiten zum Liber Extra, nämlich das "Breviarium pauperum" (1251) und der "Cursus Titulorum" (1260) des Propstes Ulrich von Völkermarkt. Das Umsichgreifen kanonistischer Bildung schlägt sich auch darin nieder, daß seit etwa 1300 heimische Kleriker als päpstliche iudices delegati erscheinen6a. Allerdings durchdringt noch ersetzt das kanonische das heimische Recht, sondern steht als weiterer Rechtskreis neben ihm. Auch die sogenannte "Bereichstheorie" des römisch-gemeinen Rechts beschränkt das kanonische Recht im Wesentlichen auf Ehe- und FamiIienrecht6b.
Deshalb ist im Gebiete des heutigen Österreich der Beginn der modernen Rechtswissenschaft erst um 1500 anzusetzen; nun beginnt der Stand der Juristen auch im profanen Bereich Einfluß zu gewinnen7.
In den Ausschußlandtagen zu Innsbruck 1518 und Bruck 1519 begegnet als Vertreter der Stadt Graz ein "Lizenziat der kaiserlichen Rechte" (Wolfgang Schrott)8. Auch an der Landschranne zu Graz finden sich nun graduierte Juristen, vor allem Dr. Adam Venediger9, welchen in Innerösterreich auf Grund ihrer Zusammenstellung der Landhandfeste und ihren Darstellungen des heimischen Rechts besondere Bedeutung beigemessen werden mußt10.
Allgemein nehmen in Deutschland im Zuge des Rezeptionsgeschehens die Stadtschreiber eine wichtige Position ein. Sie erklärt sich aus ihrer Tätigkeit in der Stadtverwaltung und den daraus resultierenden Einflußmöglichkeiten auf das städtische Rechtsleben. Da der Stadtschreiber auf Grund ihm vorgelegter [Seite: 17] oder vor ihm geäußerter Parteienerklärungen die Eintragungen in Grund-, Satz- und Testamentenbücher vornimmt, liegt es nahe, die mit diesem Akt in Verbindung stehenden Urkunden von ihm abfassen zu lassen. Seine Rechtsauffassung, sein Rechtsstil, seine Rechtsbildung insgesamt gewinnen damit auch für den Bereich der Privatautonomie an Bedeutung.
Graduierte Stadtschreiber begegnen in Innerösterreich in der Regel im 16. Jahrhundert noch nicht11. Um 1500 ist für die krainische Stadt Stein allerdings ein "Jurist" erwähnt12, der jedoch mit Mag. Picca in Graz eine Ausnahme bildet, ähnlich wie hier der "päpstliche Notar" M. Mayer 1587/88. In Graz fungierte erstmals 1632 ein "Doctor iuris" als Stadtschreiber13.
Dies trifft auch auf Österreich ob der Enns zu. (Freistadt) und Veit Stahel (Linz) haben zwar keinen akademischen Grad erworben, aber dennoch ihre gelehrte Bildung unter Beweis gestellt14. Wien hingegen besitzt bereits zu Beginn des 16. Jahrhunderts zwei profilierte Doktoren der Rechte in der Stadtverwaltung: den Stadtschreiber Dr. Stefan Vorchtenauer und den Stadtrichter Dr. Martin Siebenbürger15.
In zunehmendem Maße begegnen nun Juristen auch in der Landesverwaltung und in den in Wien amtierenden Reichsbehörden. Hier bietet die Universität mit ihrer juridischen Fakultät ein personelles Reservoir. Beispielsweise schied der Professor der Institutionen Bernhard Walther von Walthersweil 1566 aus dem Hochschuldienst aus und wurde Kanzler der niederösterreichischen Regierung, später der innerösterreichischen Regierung in Graz16. Einer der Inhaber des Pandekten-Lehrstuhls, Johann Linsmayr, war in Wien Beisitzer des Landrechts, [Seite: 18] schließlich in Graz erster innerösterreichischer Kammerprokurator17. Stets Jurist war der Reichsvizekanzler18. Auch in Graz, wo man keinen derartigen personellen Rückhalt an einer Universität wie in Wien hatte, sind schon zwei der vier Hofvizekanzler des 16. Jahrhunderts Doktoren der Rechte, ferner die beiden Regierungskanzler dieses Säculums sowie alle Kammerprokuratoren19. Nicht nur dessen typischer Rechtsberuf, sondern wichtige politische Funktionen werden damit von Juristen besorgt. Wegen der besonderen politischen und rechtlichen Verhältnisse wird auch das Rentmeister- und Fiskalamt in Friaul gleichfalls stets mit einem Juristen besetzt20.
Doch kann bei weitem nicht von einem Juristenmonopol gesprochen werden: 1565 befinden sich in Graz unter den elf Regierungsmitgliedern erst zwei, 1597 unter deren dreizehn nur drei Juristen. Dies fällt auch im Vergleich mit der entsprechenden Tiroler Behörde auf: Hier waren 1551 von den acht Regierungsstellen drei mit Juristen besetzt21.
Auch in der Verwaltung der Landstände werden nun Juristen tätig, vor allem im Zuge der von ihnen besonders vorangetriebenen Landrechts-Gesetzgebung. Im wesentlichen von dem Professor des kanonischen Rechts zu Wien, Wolfgang Püdler, stammt der Landrechts- Entwurf für Österreich u. d. Enns 1573, dessen wesentlich überarbeitete Fassung aus 1595 zum Teil von dem erwähnten Linsmayr22. In Österreich ob d. Enns berufen die Stände zu derartigen Arbeiten einen Ausländer, Dr. Abraham Schwarz, aus dessen Feder der Landrechtsentwurf 1609 ("Landtafel") stammt23.
Geeignete Männer zu finden, war offensichtlich nicht leicht. In schwierigen Rechtsfällen wurden in Innerösterreich auswärtige Juristenfakultäten bemüht, um 1590 forschte Erzherzog Ernst nach Geheimräten zur Erledigung der Rechtsmittel24. Auch die steirischen Stände hatten "ein hoche notturft, vmb ainen Doctor zu suchen, so der Rechten und der lateinischen Sprach erfahren25", die Österreichs ob der Enns mußten, wie erwähnt, einen Ausländer, Dr. Abraham Schwarz,[Seite: 19] berufen, auch der profilierteste Jurist des 16. Jahrhunderts, Dr. Bernhard Walther, kam, wie viele der Wiener Universitätsprofessoren, von außerhalb, nämlich aus Leipzig.
Das Auftreten der gelehrten Doktoren stieß alsbald auf Widerstand, und zwar seitens der Stände. In der Steiermark lehnten sie ihre Tätigkeit am Schrannengericht ebenso wie in der landesfürstlichen Administration ab26. Hier war die Befürchtung maßgebend, ihre Räte könnten von den "gelehrten" überstimmt werden27. So hatten sie am Landtag 157528 moniert, daß "bey der regierung zu vil doctores, welche die Landleuth überstimmen". Der Angriff ist jedoch ungeschickt geführt: Nicht ohne Spott erwiderte Erzherzog Karl, daß diese Sorge unbegründet sei, da zur Zeit acht ständischen nur zwei "gelehrte" Räte gegenüberstünden; um die Klage gerechtfertigt erscheinen zu lassen, müsse er demnach die Anzahl der Doktoren sogar noch erhöhen. Nach abermaligem Schriftwechsel müssen die Stände schließlich eingestehen, daß sie "allain doctor Schranzen gemaint haben"; ihre Beschwerde betraf somit in Wahrheit eine mißliebige Einzelperson.
Es ist wichtig festzuhalten, daß der Angriff der Stände sich gegen einen bestimmten Kreis von Juristen richtet, nämlich gegen jene in landesfürstlichen Diensten, und dies ausgehend von bestimmten Handlungen einzelner Doktoren. Verständlich wird dies angesichts des Glaubensstreites zwischen den protestantischen Ständen und dem katholischen Landesfürsten und seinen Räten29.
Ihr Kampf gilt somit nicht dem Gemeinen Recht schlechthin, ebenso nicht dem Juristenstand als solchem, sondern nur, wie auch anderswo, den Entgleisungen einzelner seiner Vertreter. Es wäre sonst unverständlich, daß die Stände einen Unterricht im gemeinen Recht einrichten und diesen von den befehdeten Juristen besorgen lassen (unter C), ebenso die Erstellung der Landrechts-Entwürfe, die damit auf weite Strecken dem römisch-gemeinen Recht verpflichtet sind (unten B30.[Seite: 20]
Kanonistische und gemeinrechtliche Literatur war in Österreich bereits im Mittelalter vorhanden gewesen31 . So vor allem das Corpus Juris Canonici, Werke des Johannes Andreae, Johannes Teutonicus (Friburgensis), Johannes Hispanus de Peterella und des Raimundes de Pennaforti, ferner vom Corpus Juris Civilis nachweisbar die Institutionen, und zwar auch glossiert, sowie die "Summa institutionum" des Placentinus und die "Summa decreti" des Paucapalea; schließlich Werke des Aristoteles und Ciceros32, dazu die "Summa legum". Diese Titel vermehren sich, nun auch um die zeitgenössische Literatur, im 16. Jahrhundert vor allem durch die Handexemplare der Juristen. Der Steirer Christoph Stürgk auf Plankenwart, der um 1540 in Wittenberg Jus studiert und sodann das Amt eines Regimentsrats bekleidet hatte, hinterließ bei seinem Tod 1594 folgende juristische "Puecher im Haus zu Grätz": "Jus Civile In vier tail", "Institutiones Justini(ani) perneders", zwei Exemplare der "Bayerischen Landrechtsreformation" 1518, einen "Gerichtlich Prozeß" (entweder des Perneders oder Goblers), ein "Lexicon Juris" (vermutlich von J. Spiegel, Straßburg 1539, denn das des P. Pratejus erschien erst nach der Studienzeit seines Eigentümers Lugduni 1566) und "der Layen Spiegl" von Ulrich Tengler33. Den "Neuen Laienspiegel", also die Ausgabe von 1511, besaß der steirische Landschaftssekretär Ammansegg34, der erwähnte Stadtschreiber von Wien Vorchtenauer u. a. Werke des Bartolus, Nikolaus de Tudeschis, Paulus de Castris, Albericus de Rosciate, Innozenz IV. ("Super libris decretorum")35. Georg Erasmus von Tschernembl, der Führer der Stände Österreichs ob der Enns, besitzt in seiner Bibliothek unter anderem das Corpus Iuris Civilis, Gails "Observationes practicae", Schriften des Zasius und das für das Scheidungsrecht wichtige Werk Bezas "De repudiis et divorciis"36. Bei den literarisch tätig gewordenen Juristen kann aus ihren Zitaten auf verwendete Werke geschlossen werden. Veit Stahel beruft sich auf A. Perneders "Institutionen"37, Bernhard Walther auf so gut wie alle bekannten Autoritäten, ähnlich Püdler zu seinen Landrechts-Entwurf 1573, da er selbst mitteilt, er habe zirka 60 Werke der "geschribnen weltlichen und gaistlichen rechten, auch derselben glossen scribenten consulenten decidenten tractaten und repertorien" [Seite: 21] sowie "etliche teutsche peücher landsordnung gerichtsordnungen und statutten" benützt38. Auch dem Rechtsunterricht, etwa an der Grazer Landschaftsschule, wird die entsprechende Literatur zur Verfügung gestanden haben. Hier befand sich jedenfalls eine glossierte Institutionsausgabe aus 1577 (unten C).
Auf dieser Basis entsteht die heimische Literatur des 16. Jahrhunderts. Vor allem sind die in Wien verfaßten Traktate Bernhard Walthers zu nennen, die sich mit dem Prozeßrecht sowie dem Sachen-, Erb- und Ehegüterrecht befassen. Gleichfalls mit diesen Materien setzt sich in Österreich ob der Enns Veit Stahel auseinander, anonym erscheint hier ein sehr klarer Traktat über das heimische Ehegüterrecht39.
Aus der in Innerösterreich entstandenen Rechtsliteratur40 erlangte ein Werk große Bedeutung, das unter mehreren Titeln wie "Institutiones juris Styriaci ...41" oder "Landtsgebräuch im Herzogthum Steyr" begegnet. Es wird sowohl einem "Herrn W. ... Landtschreiber" wie einem "Dr. Grünpach" zugeschrieben. Bemerkenswert ist seine Form: Ähnlich einem Weistum wird das Recht in vierzig Fragen und Antworten dargestellt. Ein mit "Landtsgebräuch in Steyer und Karndten" überschriebenes Opus, gegliedert in 107 Artikeln und einen Abschnitt über das Urbarrecht, hat teilweise schon traktatenhaften Charakter und erinnert des öfteren an die Werke der Differentien- und Konkordanzliteratur42. Von Caspar v. Breynner, zeitweise Hofkammerpräsident, liegt ein Rechtslexikon vor, das sich ausdrücklich auf die Steiermark bezieht43.
Alle diese Arbeiten sind dem weltlichen Recht gewidmet und basieren im wesentlichen auf dem heimischen, selten auf römisch-gemeinem Recht. Mit Fragen des kanonischen Rechts beschäftigen sich nur einige wenige Autoren44. Einmal ist der Wiener Bischof Dr. theol. et jur. Friedrich Nausea aus Franken († 1552) mit zwei Traktaten zu nennen: "Quaestionum et solutionum super bonis demortuorum clericorum derelictis liber unus" sowie "Jurisdictiones ecclesiasticae magistratuumque profanum", letzterer aus 1530. Der Niederländer Petrus A. Rotis, "legum civilium primarius professor" an der Universität Wien, schrieb hier seine Inauguraldissertation "De juris et injurie sacerdotibus". [Seite: 22]
Eine besondere Gattung an juristischer Literatur verdient noch erwähnt zu werden: die Landrechts-Entwürfe45. Ihre Einstufung als "Literatur" rechtfertigt formell der Umstand, daß sie mangels landesfürstlicher Sanktion nicht Gesetz werden. Unabhängig davon stehen sie aber zur Traktatenliteratur in einem fast identitätsähnlichem Verhältnis, was auf den Charakter der Traktate zurückzuführen ist: Diese bedienen sich ebenderselben normativen Sprache wie die Landrechts-Entwürfe, konnten daher in diese auch wortwörtlich eingearbeitet und selbst als derartige Entwürfe angesehen werden, während umgekehrt ein in Kraft gesetzter Teil des Landrechts-Entwurfs 1654, obwohl nunmehr Gesetz, als Traktat bezeichnet ist, nämlich der "Tractatus de juribus incorporalibus 1679"46.
Im 16. Jahrhundert bietet allein Österreich unter der Enns mit Wien die Möglichkeit eines Universitätsunterrichts im kanonischen und römisch-gemeinen Recht. In Österreich ob der Enns und Innerösterreich war man zum Auslandsstudium genötigt. Die 1585/86 gegründete Universität Graz brachte hierin keine Abhilfe, da sie bis zum Jahre 1778 keine Juristenfakultät besaß47. Von den ausländischen Rechtsfakultäten wurde der zu Padua vor Bologna, Siena und den deutschen Universitäten, etwa Ingolstadt und Tübingen, der Vorzug gegeben48.
An der Universität Wien49 lag der Schwerpunkt des Rechtsunterrichts bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts beim kanonischen Recht. Mit der Berufung des Italieners Hieronymus Balbus unter Maximilian I. hielt das römisch-gemeine Recht seinen Einzug, das im Laufe des 16. Jahrhunderts das kanonische im Unterricht zurückdrängt. 1533 gab es eine kanonische und zwei romanistische Lehrkanzeln, 1537 wurden diese um eine weitere vermehrt. Aus Mangel an Hörern wird überdies in diesem Jahr erwogen, den kanonistischen Lehrstuhl nicht zu besetzen.[Seite: 23]
In Österreich ob der Enns und der Steiermark wurde das Fehlen eines Rechtsunterrichts im Lande allerdings als Mangel empfunden, und zwar nicht erst im Anschluß an die bloß in eine philosophische und eine theologische Fakultät gegliederte Jesuitenuniversität50. Schon im Jahre 1560 befaßte sich das ständische Verordnetenkollegium in Graz mit dem Angebot eines Melchior Einpacher, der an der 1541/44 gegründeten ständischen Landschaftsschule "in weltlichen Rechten lesen" wollte. Das Ansuchen wurde allerdings nach Prüfung der Person abgewiesen, vermutlich stieß man sich am Fehlen einer Graduierung51. Der sachliche Bedarf war keinen Zweifeln begegnet. Im Gegenteil: in der letzten, der vierten Schulklasse der landständischen "Stiftsschule" war eine "Lectio Juris Institutionum et Regularum", näherhin die "publica lectio institutionum imperialium D(ivi) Justiniani" vorgesehen.
Als nachweisbar erster Rechtslehrer52 unterrichtete seit 1566 Dr. iur. utr. Georg Lang, dem 1570 Dr. Adam Venediger folgte, und zwar mit dem Auftrag, "die institutiones juris oder was ime hierinnen für guet und dienstleich" erscheine, vorzutragen. Das durch seinen Rücktritt 1577 vakant gewordene Lehramt wurde Dr. jur. utr. Wolfgang Finkelthauß übertragen, der es bis 1582 innehatte. Nach ihm betreute Mag. art. Georg Stadius die Rechtswissenschaft, wofür er allerdings nicht durch eine Graduierung, jedoch durch einschlägige Studien ausgewiesen war. Bis 1590 las er "institutiones imperialium (institutiones juris)", 1586 auch "institutiones juris et historiarum". Zum letzten "professor iuris et eloquentiae" wurde 1591 Mag. Valentin Carg bestellt, der ausdrücklich auch als "professor legum", also als Lehrer der weltlichen Rechte, bezeichnet wird.
Lehrplan wie Tätigkeitsumschreibung der spezifischen Rechtslehrer führen als Grundlage des Rechtsunterrichts die Institutionen Justinians an. Auch ist uns der Titel eines Lehrbuches überliefert53: "in 8° institutiones iuris cum glossa", erschienen "Lugduni 1577".
Der Umstand, daß nicht die Digesten, sondern das Institutionenlehrbuch dem Rechtsunterricht zugrundelag, verdient besondere Aufmerksamkeit. Es entspricht dem humanistischen Bemühen um ein Abgehen von der justinianischen Legalordnung zugunsten eines methodisch-vernünftigen Systems54. In den Niederlanden etwa ermöglichte dies eine freiere, der Legalordnung nur locker verbundene Darstellung, in der auch das geltende Recht zwanglos seinen Platz haben konnte: Grotius' "Inleidinge", von ihm selbst als "Institutiones Juris Batavici" bezeichnet, ist das erste bedeutende Beispiel eines derartigen [Seite: 24] "Institutionenlehrbuchs55", Es wurde 1619 begonnen, also rund fünfundzwanzig Jahre nach Erstellung des Lehrplans für die Stiftsschule, der ausdrücklich die Institutionen als Lehrbuch vorschreibt, und war 1631 vollendet, also etwa zur selben Zeit, in der die "Institutiones Juris Styriaci" entstanden sein dürften56. Wie es in den Niederlanden nachweisbar ist, kann für die Steiermark vermutet werden, daß auf diese Weise der Zugang zum heimischen Recht nicht mit einer pandektistischen Mauer "more Bartoli" verschlossen wurde.
Die Verbindung zum heimischen Recht bleibt auch insofern gewahrt, als zahlreiche Lehrer in praktischen Rechtsberufen tätig waren57.
Einen Rechtsunterricht sah auch die Schulordnung für die protestantische Stiftsschule in Schwanberg (Südsteiermark) vor, allerdings nicht als eigenes Fach: Wöchentlich sollte eine Stunde "institutiones juris loca latini authores" gelesen werden58.
Unbekannt war hingegen ein Rechtsfach in den übrigen ständischen Schulen Innerösterreichs, obwohl die innerösterreichischen Stände am Brucker Generallandtag 1578 vereinbart hatten, das Schulwesen einheitlich zu gestalten. Von der Landschaftsschule in Klagenfurt wird 1588 berichtet, daß "die theologia ..., auch die kriechische und lateinische sprach zusambt den freyen künsten ... offentlich gelesen" werden, nicht aber Jura. Gleiches gilt auf Grund der Schulordnungen für die Landschaftsschulen in Loosdorf (Österreich unter der Enns) und Enns/ Linz. Allerdings war an letzterer zeitweise ein Professor der Institutionen, nämlich der schon erwähnte Dr. Schwarz, bestellt59.
Der Rechtsunterricht an den Landschaftsschulen darf trotz ihres guten Besuches60 nicht überschätzt werden. Da es sich um kein Universitätsstudium handelt, waren den Absolventen Berufe, zu denen eine Graduierung erforderlich oder wenigstens förderlich war, verschlossen.
Schließlich ist der Rechtsunterricht nicht isoliert, sondern als Teil der Gesamtausbildung anzusehen. Die in anderen Klassen und Fächern vorgeschriebene Lektüre, vor allem Ciceros61, verstärkt den vom Institutionen-Lehrbuch [Seite: 24] vermittelten Eindruck, es habe sich nicht sosehr um eine juristisch-technische als vielmehr humanistisch orientierte Ausbildung eben auch in Rechtsfächern gehandelt.
Im Zuge der Gegegenreformation werden die protestantischen Landschafts(Stifts-)schulen geschlossen, jedoch Jesuitenkollegien begründet wie 1573 in Graz und 1604 in Klagenfurt. Die "Rationes Studiorum Societatis Jesu" von 1586 und 1599 sehen keinen Rechtsunterricht vor, erst die "Ratio Studiorum" 1832 enthält "Regulae Professoris Juris canonici". Um so beachtenswerter sind die Kanonistik-Vorlesungen, mit denen 1643 in Graz und 1653 in Klagenfurt begonnen wurde61a.
Die Kenntnis des Corpus luris Civilis und des Corpus Iuris Canonici fördert allgemein den Gedanken der bewußten Rechtssetzung im Wege der Gesetzgebung. Das Anknüpfen an durch das gemeine Recht überlieferte Vorbilder zeigt sich äußerlich in Beziehungen wie "Reskript", "Mandat" und "Dekret". Bewußt an antikes Vorbild knüpft der Vergleich an, Ferdinand I. habe "aus göttlichem eingeben nach ausweisung des loblichen römischen Khaiser Justiniani" als Landesgesetzgeber zu fungieren, der an der Spitze des unterennsichen Landrechtsentwurfs von 1526 steht, damit aber nicht spezifisch österreichisches, sondern allgemein-humanistisches Gedankengut wiedergibt62.
In ähnlicher Weise wird auch die juristische Schriftstellerei vom gemeinsamen Recht geförderte. Sein Vorbild wird schon äußerlich etwa im Titel "Institutionen iuris Styriaci ..." oder in diversen Fachausdrücken deutlich63. Da ist die Rede vom "obligiren", vom "consensus", von "conttracten, pacten, transactionen", von "conditiones", vom "Interesse", von "Pupillen64" und "tutores65". Des öfteren sind "aigenthumb", "posses" und "innehabung" erwähnt, auch "depositum" und "donatio"; es wird "cediert66", eine "dos67" bestellt. Erbrechtliche Geschäftsformen des "testators" sind "Testament", "Legat", "codicil" oder "fidei commis"; die Erben können ein "inventarium" errichten68. Das Prozeßrecht kennt "actio" und "exceptio", den Zustand "pendente lite", als besondere [Seite: 26] Verfahrensart die "crida", bei den Beweismitteln werden eigen- und fremdhändige Quittung unterschieden69.
Die Verwendung des bloßen Terminus technicus erweitert sich des öfteren zur Sacherklärung. In ähnlicher Weise werden auch heimische Institutionen in gemeinrechtliches Gewand gekleidet wie das Erbrecht der Töchter und der "Widerfall" speziell des Heiratsgutes70. Dieses gilt als "dos", das übrige Frauenvermögen als "parafernum", die Gegenleistung des Mannes als "donatio propter nuptias"71.
Schließlich läßt sich ein Einfluß im Materiellen feststellen. Bekannt ist die Ersitzung mit den ausdrücklich genannten Erfordernissen "titulus", "possessio", "bona fides72" und Ersitzungszeiten von dreißig Jahren und einem Tag bei Allod bzw. zwölf Jahre und einem Tag bei Lehen73. Im Pfandrecht wird zwischen ausdrücklicher, richterlicher und stillschweigender Begründung unterschieden74. Neben dem allgemeinen Begriff des privilegierten Gläubigers werden besonders die Pupillen erwähnt75. Die Übereignung gilt als kausales Rechtsgeschäft76; Ausbleiben der Gegenleistung zieht die "condictio ob causam datam" nach sich77; Eigentumserwerb an nichtseparierten Früchten ist ausgeschlossen78. Erwogen wird auch die Anwendung des SC Vellaeanum und des SC Macedonianum79.
Derartige Beziehungen stehen in der Regel unter dem ausdrücklichen Verweis auf das "gemeine (geschriebene) Recht80, das "geschriebene Recht81" oder auch die "geistlichen und weltlichen Rechte", die "geistlichen Recht" bzw. die "canones82".
Besonders aufschlußreich über den Einfluß des kanonischen und des römisch-gemeinen Rechts ist ein bald nach 1500 in Wien geführter Prozeß um erb- und ehegüterrechtliche Ansprüche83. Nachdem er sich eine Zeitlang in heimischen Bahnen hinschleppt, erstickt er in einer Fülle neuer Argumente, zu denen die eine Prozeßpartei feststellt, man habe vor, sie "mit viel scribenten der recht ... irr [Seite: 27] ce machen". Es sind dies Zitate aus Digesten und Codex in großer Zahl, von Autoren wie Baldus, de Saliceto, des Zeitgenossen Jason de Mayno († 1519), Paulus de Castris, Albericus de Rosciate, Cinus da Pistoia, Nicolaus de Tudeschi usw., zum geringeren Teil Verweise auf das Corpus Juris Canonici, z. B. den Liber Extra (Cap. 47 X De app. 2, 28).
Dieses Verhältnis zwischen römisch-gemeinen und kanonischem Recht vermittelt auch die Literatur des 16. Jahrhunderts. Walthers privatrechtliche Traktate verwenden neben einer Fülle gemeinrechtlicher Zitate solche aus der Kanonistik nur spärlich. Sie finden sich überdies nur in einigen Traktaten wie "Von den Zehenden" und "Von den geistlichen Lehenschaften", in weit geringerem Maße noch in jenem "Von den dienstbaren Gütern", "Von den Bürgschaften" und "Von erblichen Sukzessionen", schließlich enthalten je ein Zitat die Traktate "Von den Testamenten" und "Von Teilung der Erbschaft83a". Die Mehrzahl der Traktate enthält keine Bezüge zum kanonischen Recht.
In den Landrechts-Entwürfen dominiert je nach der Materie das heimische Recht, so im Sachen- und Ehegüterrecht, oder das römisch-gemeine wie im Vertragsrecht. Trotz der Behauptung Püdlers (s. o. Absch. B) sind keine Spuren des kanonischen Rechts zu entdecken, der letzte, mit Anmerkungen versehene Landrechts-Entwurf 1654 zitiert es auch nicht. Eine Auseinandersetzung ist aber schon einmal durch die Wahl der aufgenommenen Materien vermieden: Es fehlt das Personen- und Familienrecht. Allerdings mit einer Ausnahme: Die Landrechts-Entwürfe 1595 für Österreich unter der Enns und 1609 für Österreich ob der Enns regeln die Scheidung der Ehe dem Bande nach, wobei sie protestantischem Vorbild folgen. Als Scheidungsgrund sind in beiden Entwürfen der Ehebruch, im erstgenannten noch Impotenz und Desertio anerkannt83b.
Zum Teil ist die Kenntnis des gemeinen Rechts jedoch unscharf wie zum Beispiel die Verwechslung von Vorzugsrecht und stillschweigender Hypothek zeigt oder die Inkonsequenz der Darstellung, die etwa auf ausdrückliche und richterliche Pfandbegründung die Antichresis folgen läßt84.
Den Vorrang in der Literatur genießt jedoch bei weitem das heimische Recht. Leibgedinge und Heiratsgut sind noch nicht bzw. nicht durchwegs dem "ususfructus" und der "dos" gleichstellt, die Darstellung des "Widerfalls" erfolgt auch ohne gemeinrechtliche Zusätze85. Sodann ist das gemeine mit dem heimischen Recht verbunden wie in der Erstreckung der Ersitzungszeit um einen Tag86. Gänzliche Ablehnung erfährt es in der ausdrücklichen Zulassung der nach C 5 20 verbotenen Bürgensicherung einer Dos-Bestellung87. [Seite: 28]
Das heimische Recht hält sich besonders in der gut ausgebildeten Vertragspraxis auf Grund der überkommenen Form der Rechtsgeschäfte (Formelbücher88) und der Einrichtung der Rechtsgeschäftsbücher, die weiterhin eine dominierende Rolle spielen. Obwohl bekannt ist, daß "den gemeinen geschribnen rechten ... sölher heirat in renndlens weiß hässig oder widerwertig sein möcht", dauern gerade in der Steiermark derartige Abreden allgemeiner Gütergemeinschaft bis in das 20. Jahrhundert an89. Auch die Institution des Landschadensbundes bleibt bewahrt, ebenso die der älteren Satzung90.
Das stillschweigende Pfandrecht für das Heiratsgut der Frau ("dos") wird nur zögernd anerkannt, ein Vorzugsrecht von älteren Vertragspfändern ausgeschlossen91. Ähnliches gilt für das Pflichtteilsrecht: in Wien setzt es sich durch, Mautern ist es noch unbekannt92. An Boden gewinnt mit der Reformation die Vorstellung, die vollzogene Ehe sei auch dem Bande nach scheidbar. Desertio wird in der Praxis als Scheidungsgrund angesehen93.
Letztwillige Verfügungen bezeichneten sich allerdings schon häufig als "testamenth", "legat", als "testament oder codicil" oder als "fidei commiss94", Rechtsgeschäfte unter Lebenden etwa als "übergabs-verzicht (und) donation", auch als "Übergab oder cession95". Der Inhalt stimmt mit den Bezeichnungen zum Teil überein. In Testamenten werden "erben instituiert96"; der zum "Universal-Erben" Eingesetzte hat "nachfolgende onera (zu) tragen und die specificirten Legate davon (zu) entrichten", auch ist er an die "Fidei-Comiss-Condition" gebunden97.
In ähnlicher Weise setzt sich auch, wie Wesener an Hand des Landschrannenverfahrens feststellen konnte, im Prozeßrecht gemeinrechtliches Denken "nur sehr allmählich und nur in beschränktem Maße" durch98. Beeinflußt ist allerdings der Argumentationsstil: Einer der Landschaftsschüler, der Landschaftssekretär [Seite: 29] Ammansegg, behauptet, die Religionspazifikation 1572 "sei schon ein statutum, eine immunitas, securitas99".
Zum Verhältnis zwischen dem heimischen Recht einer- und dem kanonischen sowie römisch-gemeinem Recht andererseits stellt die Literatur durchgehend fest, daß letztere nur subsidiär heranzuziehen seien, eine Ansicht, der sich auch die Behördeninstruktionen anschließen100.
Insgesamt ist der Einfluß des kanonischen wie des römisch-gemeinen Rechts im 16. Jahrhundert für die Praxis als gering, für das Rechtsdenken jedoch als bedeutsam anzuschlagen. Wahrhaft materiell neues Recht bringt er kaum, formt jedoch das Rechtsdenken, verfestigt überkommene Begriffe und läßt das heimische Recht plastischer werden. Es ist dies ein Einfluß, der nicht sosehr isoliert von den gemeinrechtlich-kanonischen Quellen her gesehen werden sollte, sondern als Teil des humanistischen Erscheinungsbildes der Renaissance. Das heimische wie das "fremde" Recht dienen vielmehr nach neuen Methoden der Verwirklichung eines Satzes der "Landsgebreich": "Das Recht gibt einem jeden was sein ist" (Art. 16).
Wägt man das Verhältnis zwischen kanonischem und römisch-gemeinem Einfluß ab, so ist ein Bedeutungsrückgang des ersteren für den weltlichen Rechtsbereich festzustellen. Der am weltlichen Recht ausgebildete Jurist bzw. der Doctor utriusque iuris verdrängt den reinen Kanonisten, den "doctor juris" im mittelalterlichen Sinn. Im Rechtsunterricht an der Wiener Universität tritt das kanonische hinter das römisch-gemeine Recht zurück, an den Landschaftsschulen wird es nicht gelehrt. Werke der Kanonisten, vor allem des Corpus Iuris Canonici, sind zwar ein fast eherner Bestandteil wissenschaftlicher Bibliotheken, doch werden sie, ganz im Gegensatz zum weltlichen Recht, kaum durch neue Arbeiten vermehrt. Bemerkenswert ist allein das evangelische Scheidungsrecht in zwei Landrechts-Entwürfen, hatte aber selbst in der Blütezeit des Protestantismus offenbar geringe Wirkung auf die Praxis. Sofern hier neues Rechtsdenken überhaupt Platz greift, ist es auf das römisch-gemeine Recht zurückzuführen.
Das Überwiegen des römisch-gemeinrechtlichen Einflusses neben dem des kanonischen Rechts hat mehrere Ursachen. Das römisch-gemeine Recht gilt als Recht des Kaisers, somit in den hier behandelten Territorien bei personeller Identität auch als das des Landesfürsten wie besonders unter Ferdinand I. — Hingegen wird das kanonische Recht mit der Papstkirche identifiziert: Wie diese wird es mit der vorerst um sich greifenden Reformation verdrängt. Seine geringe Rolle und sein Mangel an Hörern an der Universität Wien, besonders das Fehlen in den von den protestantischen Ständen eingerichteten Landschaftsschulen erinnern an die Verbrennung des Corpus luris Canonici durch Martin Luther. Im Zeichen des traditionellen Staatskirchentums in den habsburgischen Ländern [Seite: 30] steht es aber auch aus der Sicht des katholischen Landesfürsten, soweit nicht göttlichen Rechts, zu dessen Disposition. Vor allem mit den Polizeiordnungen ab 1527 greifen die Landesfürsten in traditionelle Materien des kanonischen Rechts ein, besonders durch Wuchervorschriften und weitere Ehehindernisse101.
Doch bleibt dem kanonischen Recht ein Teil der Privatrechtsordnung gewissermaßen reserviert, nämlich das Personen- und Familienrecht, das auch von der Literatur kaum angetastet wird. Der Sakramentalcharakter von Taufe und Ehe schützt offenbar vor säkulärem Eindringen und letztlich staatlicher Normierung.
So ist eine Art Arbeitsteilung festzustellen: Personen- und Familienrecht verbleiben der Kanonistik, wenngleich beeinflußt von staatlichen Erlässen, die übrigen Materien hingegen sind säkularisiert und dem Einfluß des römisch-gemeinen Rechts geöffnet. Es darf jedoch nicht vergessen werden, daß dieses selbst vom kanonischen Recht beeinflußt ist, etwa im Erfordernis der durchgehenden "bona fides" während der gesamten Ersitzungszeit. Erst unter Josef II. fällt mit dem Ehepatent 1783 und dem "Josephinischen Gesetzbuch" 1786 diese Trennung. Aber noch 1750 zählte Christian August Beck zu den "leges Austriacae" bloß die heimischen Gesetze, den Landesbrauch und das "Jus civile Romanum", nicht aber das "ius canonicum102".