[In: Beiträge zur Geschichte und Kulturgeschichte Kärntens : Festgabe für Martin Wutte zum 60. Geburtstag (= Archiv für vaterländische Geschichte und Topographie ; 24/25 Jg. 1936) 127-139. Elektronische Edition durch Heino Speer mit freundlicher Zustimmung des Vorstands des Geschichtsvereins für Kärnten. 19. Januar 2012.]
Die Kärntner Rechtsquellen wurden bis jetzt stiefmütterlich behandelt. Im wesentlichen kommen nur die Erwähnungen bei Luschin (Österr. Reichsgeschichte, 1. Aufl., 130, 140 f., 142, 143, 377 f., 378, 2. Aufl., 1. Bd., 140, 157 f., 159, 160 f.) und bei Menhardt (Handschriftenverzeichnis der Kärntner Bibliotheken, Bd. 1) in Betracht. Die vorliegende Arbeit versucht diese Lücke auszufüllen und gleichzeitig einen kleinen Beitrag zu Ehren des Jubilars, meines verehrten Geschichtslehrers, zu liefern1. Der zur Verfügung stehende Raum nötigt zu einer Beschränkung auf Kärntner Rechtsdarstellungen allgemeiner Art. Damit scheiden einerseits die wenig zahlreichen Gesetze (vgl. hierüber Luschin¹; 377, 378 f.), anderseits die örtlichen Rechtsquellen aus. Diese sind für die ältere Zeit zum Großteil in Bd. VI der Weistümersammlung der Akademie der Wissenschaften in Wien und in Wuttes Kärntner Gerichtsbeschreibungen*) herausgegeben, also allgemein zugänglich. Zudem hat Erna Patzelt (Entstehung und Charakter der Weistümer in Österreich) mit ihrer Betonung des grundherrlichen Ursprunges dieser Aufzeichnungen die Weistümerforschung auf neue Bahnen gelenkt. Eine Überprüfung ihrer Ergebnisse [Seite: 128] an der Hand des Kärntner Stoffes würde aber den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Die Begrenzung in zeitlicher Hinsicht ergibt sich von selbst. Das Kärntner Rechtsleben entwickelt sich bis zur Zeit Maria Theresias im wesentlichen selbständig, allerdings in Wechselbeziehungen mit den anderen innerösterreichischen Ländern. Seither tritt die gesamtstaatliche Rechtsbildung in den Vordergrund.
Als älteste Darstellung kommt eine Handschriftengruppe des steiermärkischen Landrechtes (Ausgabe von Bischoff) in Betracht. Ihr gehören die Handschriften E, F (vgl. Bischoff 16 f., 20 f., 23) und die von diesem erst nachträglich entdeckte Sankt Pauler Handschrift (Beitr. z. K. steierm. Gesch. Q. 15, 133 f., Abschrift im GV., Sammelarchiv "Kärnten", Fasz. III, von mir als L bezeichnet) an2. Alle drei werden in den sie enthaltenden Sammelbänden mit Kärntner Privilegien in Verbindung gebracht. E trägt einen farblosen Titel, während F und L sich ausdrücklich als Rechte und Gewohnheiten der Landschaft Kärnten bezeichnen und daher als die Kärntner Textgruppe des steirischen Landrechtes zu betrachten sind3. Beide stammen aus dem 16. Jahrhundert und haben durch Weglassung von Wiederholungen und Vereinigung zusammengehöriger Bestimmungen eine geringere Artikelzahl als die Ausgabe Bischoffs und die Handschrift D (F 181, L 199 unnumerierte Abschnitte). Eine bescheidene redaktionelle Tätigkeit ist unverkennbar, Tilgung der Hinweise auf Steiermark (mit einer Ausnahme, vgl. Bischoff 49 f.), Zusammenziehungen und Streichungen, Versuche, den Text der Gegenwart anzupassen4, sind die hervorstechendsten Eigentümlichkeiten. Kleine Unterschiede zwischen den beiden Handschriften treten demgegenüber zurück. Die Darstellung bietet das übliche Bild eines mittelalterlichen Rechtsbuches. Die Kärntner Textgruppe ist wichtig als Beweis für die im wesentlichen gleichlaufende Rechtsentwicklung der innerösterreichischen Länder am Ausgange des Mittelalters.
Die nächste Arbeit steht im Zusammenhange mit der zur Zeit Ferdinands I. einsetzenden Gesetzgebungstätigkeit, die unter seinem Nachfolger in den Landrechts- und Landgerichtsordnungen von 1577 (Druck 1578) ihren Abschluß fand. Sie wurde mit einer ausführlichen Einleitung von Luschin in der "Carinthia I" (1913, 162-190) als "Hanns Ampfingers Bericht über das gerichtliche Verfahren in Kärnten 1544" herausgegeben. Luschin macht es wahrscheinlich, daß es sich um eine Aufzeichnung der Angaben handelt, die Ampfinger5 auf Grund amtlicher Befragung machte (162 f., 169). Die ersten 25 Abschnitte erörtern die Zuständigkeit und das Verfahren im Landrechte (Landschranne, das für Landstände in Zivilsachen zuständige Gericht), die weiteren 11 Abschnitte beschäftigen sich mit der Zuständigkeit und dem Verfahren bei anderen Gerichten (besonders auch in Strafsachen), der Verjährung, der Klage bei Pfandherrschaften und seitens Untertanen. [Seite: 129] Die Darstellung ist von großer rechtsgeschichtlicher Bedeutung, da sie das Verfahren in einem Zeitpunkte zeigt, in dem sich schon gemeinrechtliche Einflüsse geltend machen. Die Angaben sind, soweit eine Nachprüfung möglich ist, zuverlässig.
Eine Umarbeitung des landrechtlichen Teiles der Arbeit Ampfingers ist in zwei Fassungen erhalten. Die eine (GV. Hs. 1/23, vgl. Menhardt 187) stammt aus dem Khünegger Archiv und nennt sich "Der Gerichts-Process wie derselb im Lanndtrechten zue Khärnndten gehallten wierdet ... 1548", die andere (in einem Sammelbande, Landesarchiv Hs. 517) mit ähnlichem Titel wurde bereits von Luschin (170 ff.) behandelt. Er bezeichnete sie als Handschrift B und erblickte darin den Text der ältesten Landrechtsordnung. Dies trifft nicht zu. Die Jahreszahl 1548 ist unverdächtig, die erste Landrechtsordnung wurde aber auf einem Landtage des Jahres 1555 angenommen6. Die Darstellung zeigt überdies keine amtliche Fassung, sondern weisen die Beibehaltung der Bemerkung über die Supplikation (Ampfinger art. 22) und der Zusatz in art. 6 über die angeschlossenen Formulare (Luschin 176, Anm. k) auf eine Privatarbeit hin. Der Khünegger Text stimmt in einzelnen Punkten mehr mit Ampfingers Arbeit überein und steht zwischen ihr und der Handschrift B. In beiden Fassungen schließt sich an die Umarbeitung der ersten 24 Abschnitte Ampfingers die durch einen verbindenden Text zusammengehaltenene Schilderung der Vorgänge bei den einzelnen Verhandlungsschritten des landrechtlichen Klags- und Vollstreckungsverfahrens an7. Die Formeln der Gerichtszeugbriefe fehlen trotz der vorerwähnten Ankündigung. Das Verfahren bei landschadenbündigen Schuldbriefen und Lidlohnstreitigkeiten (vgl. Stadtrecht 9) bildet den Schluß. In B folgt dann noch ein aus 10 Punkten bestehendes Register, das eine kurze Inhaltsangabe der gesamten Arbeit gibt. Sachliche Bedeutung besitzt die Umarbeitung nicht8.
Eine weitere Darstellung, die auch nur das Verfahren im Landrechte behandelt, ist ebenfalls in zwei Stücken erhalten, als selbständige Arbeit (A, GV. Hs. 6/33, vgl. Menhardt 214) und in einem Sammelbande (B, GV. Hs. 3/12, vgl. Menhardt 196). Der langatmige Titel beider Handschriften bezeichnet sie als des Erzherzogtums Kärnten "Lanndts Recht Proces" und gerichtliche Verfahrung, wie es seit undenklichen Jahren in der Schranne gehalten und zum Teil im Jännerlandtag des Jahres 1585 von den Ständen "in vollkhomenlicher versamblung approbiert" worden sei. Als Verfasser wird der Landschaftsadvokat Johann Kraus genannt. Tatsächlich verwahrten sich die Stände auf dem am 21. Jänner 1585 eröffneten Landtage dagegen, daß sich allerlei Neuerungen mit dem neuen Prozeß "erzeigen", die gegen die Landesfreiheit seien, und wurde eine Beschwerde an den Landesfürsten verfaßt (Landesarchiv, A 22, Bl. 31', 34, 35)9). Es handelt sich also um [Seite: 130] eine Darstellung des Landrechtsverfahrens als bewußte Abwehrmaßnahme gegen Eingriffe von außen. Kraus war zum Verfasser einer derartigen Arbeit besonders geeignet10. Die Unterschiede zwischen beiden Handschriften sind gering. B nennt sich (irreführend) summarischer Landrechtsprozeß und Schrannenordnung in Kärnten, weist einige kleine textliche Änderungen auf und hat Randschriften bei den einzelnen Abschnitten. Ihre Niederschrift muß nach 1606 erfolgt sein, da sie (Bl. 121) eine landesfürstliche Entschließung anführt, die in diesem Jahre erging (Stadtrecht 11). Kraus bietet eine knappe, ausgezeichnete Schilderung des Verfahrens über gewöhnliche Klagen (ordinari Prozess) bis zum Landscherm (vgl. Stadtrecht 9) und bei Schuldbriefen oder Lidlohnstreitigkeiten (summary Prozess). Schon in der Einleitung verweist er darauf, daß der Landesfürst vor der Erbhuldigung schwören müsse, die Landschaft bei ihren "gnaden und freyheitten" zu lassen, und ein ähnlicher Schwur auch vom Landeshauptmann und Landesverweser zu leisten sei. Am Schlusse betont er bezeichnenderweise nochmals, daß bei dieser Ordnung seit unvordenklicher Zeit gerichtet und "niemandt khein besonders gemacht" worden sei. Es folgt dann eine Schilderung des Pfändungsverfahrens, der Grundsätze des Pfandeinredens (vgl. Stadtrecht 8) und endlich eine Wiedergabe der "Reden" des Prokurators und des Landesverwesers bei den einzelnen Verfahrensschritten des gewöhnlichen Prozesses, des Vollstreckungs- und summarischen Verfahrens. B enthält noch (Bl. 128 f.) eine Erklärung der Ausdrücke des Landschrannenverfahrens, die in die gemeinrechtliche Gerichtssprache übertragen werden.
Die schon erwähnte Sammelhandschrift (GV. 3/12) enthält(Bl. 97-116') die "Lanndtsgebreich in Steyer und Karndten" in 107 Artikeln, an die (Bl. 116' f.) eine Darstellung des sogenannten Urbarrechtes in Kärnten anschließt. Es handelt sich um eine planlose Zusammenstellung von Bestimmungen des Privat- und Strafrechtes, des Verfahrens- und auch des öffentlichen Rechtes. Besonders eingehend werden die Untertanenverhältnisse geschildert. Einzelne Fragen werden zu wiederholten Malen erörtert11. Der Umfang der Artikel ist sehr verschieden. Manche erinnern in ihrer Kürze an mittelalterliche Rechtsbücher, andere sind zu kleinen Gutachten angewachsen (z. B. die Erörterung, ob den Töchtern ein Erbrecht zusteht, art. 49). Die vorliegende Abschrift12 strotzt von Fehlern, besonders die Anführungen in lateinischer Sprache sind oft bis zur Unverständlichkeit entstellt. Der Verfasser betrachtet zwar entsprechend der herrschenden Zeitauffassung das gemeine Recht als im Lande geltend. Eine Reihe von Artikeln ist diesem und zum Teil auch dem kanonischen Rechte entnommen. Grundsätzlich hat aber der Landesbrauch den Vorzug (vgl. art. 23, 30, 70, 72, 73), was besonders beim Adel betont wird [Seite: 131] (art. 71). Allerdings werden die Schwierigkeiten, das einheimische Recht verläßlich festzustellen, nicht verkannt13. Das in Steiermark geltende Landesrecht wird trotz des Titels nur selten erwähnt und auch dann meist nur mit dem Hinweis, daß dies in den innerösterreichischen Ländern gelte (siehe art. 39, 40, 49, 66). Dagegen ist in nicht weniger als 22 Artikeln ausdrücklich auf das Kärntner Gewohnheitsrecht oder die Landhandfeste Bezug genommen14. Die Arbeit dürfte daher in Kärnten entstanden sein. Ihr Verfasser war zweifellos juristisch gebildet, entweder ein Landschrannenprokurator oder ein ständischer Beamter. Die Entstehungszeit ist um das Jahr 1600 anzusetzen15. Den unbestreitbaren Vorzügen stehen allerdings verschiedene Mängel gegenüber. Die Darstellung ist, werden nicht gewohnheitsrechtlich festgelegte Rechtsregeln wiedergegeben, unbehilflich, die Beweisführung vielfach (z.B. in art. 49) alles eher als überzeugend. Die "Lanndtsgebreich" haben aber großen Wert, da sie die einzige Darstellung des Kärntner Gewohnheitsrechtes nach dem Eindringen des gemeinen Rechtes sind.
Ein aus der Herrschaft Bleiburg stammender, nicht vor 1674 entstandener Sammelband (GV. A. Hs. 1230) bietet (Bl. 176 bis 179') die "Ordnung und gebrauch, so bey der ... Landtshaubtmannschaft in Khärndten ... observiert wirdt". Sie steht vielleicht im Zusammenhang mit einem Berichte, den der Landesverweser 1675 im Zuge der Beratungen über eine neue Landrechtsordnung erstattete (Landesarchiv, Fasz. 185/1). Die knappe, aber sehr klare Darstellung behandelt das Klags- und Vollstreckungsverfahren, wobei sie auch die außerordentlichen Rechtsmittel (Restitution und Revision) berücksichtigt.
In einer Sammelhandschrift aus dem Hollenburger Archive (GV. Hs. 11/36, Bl. 106-131) will die Arbeit eines Unbekannten "observationes" über Prozeß und Exekution bei den verschiedenen Gerichten des Landes und "formularia, ... auch theils nuzbarliche practicierte observationes" geben. Der erste Artikel dieser "Hollenburger Observationen" erörtert die Zuständigkeit der einzelnen Gerichte16, der zweite das gütliche Ersuchen (vgl. Stadtrecht 5) und dessen Anwendung. Der dritte handelt von "Clagen in gemain", der vierte von den gebräuchlichsten Klagen und was bei ihnen zu beobachten sei. Dann bricht die Darstellung entgegen ihrem Titel unvermittelt ab, sei es durch einen Fehler der erhaltenen Abschrift, sei es, weil die Arbeit unvollendet blieb. Hervorzuheben ist die Erwähnung mehrerer gemeinrechtlicher Schriftsteller zu Beginn des 4. Artikels, was auf einen juristisch gebildeten Verfasser hinweist17.
Eine weitere Arbeit, die nur das Verfahren bei der Landeshauptmannschaft behandelt, ist in zwei Abschriften erhalten: im Hollenburger Sammelband (Bl. 1-105, ich bezeichne sie im folgenden [Seite: 132] als A) als "Observationes der kärntnerischen Landt Practic" und B unter dem Titel "Observationes der Kärnerischen (!) Practica" (GV. Hs. 10/35, vgl. Menhardt 245). Als Verfasser nennt eine spätere wohlunterrichtete Quelle den landeshauptmannschaftlichen Sekretär v. Fröauff18. Die Einleitung bespricht die sieben in Kärnten bestehenden hohen Tribunalien und ihre Zuständigkeit. Dann folgt als erster Teil der Rechtsgang bei der Landeshauptmannschaft, untergeteilt in sieben Paragraphen, die sehr eingehend das Verfahren bis zum Verhör (Verhandlung) oder Kontumazabschied, die Zwangsvollstreckung und die ihr vorausgehenden Schritte, das Beweisverfahren, die Appellationen, die Nullität, die Restitutionen und schließlich die Revisionen behandeln. In den Text sind Formulare eingefügt, die in beiden Abschriften zum Teil fehlen. Den zweiten Teil bildet eine Sammlung von Entscheidungen der Landeshauptmannschaft mit dem Namen der Parteien, dem gefällten Erkenntnis und einer kurzen Begründung in ungefähr zeitlicher Reihenfolge19. Sie sind stark vom gemeinen Recht beeinflußt und auch deshalb von Wert, weil das Archiv der Landeshauptmannschaft verlorenging.
Die Hollenburger Sammelhandschrift (B1. 131'-134') enthält noch "Observationis (!) super Jus stat. Carinthie", die regellos durcheinandergewürfelt verfahrensrechtliche Einzelfragen behandeln. Besondere Bedeutung kommt ihnen nicht zu, doch liefern sie manche wertvolle Nachrichten.
Das "Tribunal seu iudicium humanum communibus legibus et stylo Curiae ... Carinthiae accomodatum ..." wurde als einzige der hier erwähnten Darstellungen in einem zeitgenössischen Drucke (bei Matthias Kleinmayr, Klagenfurt) veröffentlicht. Aus dem weiteren Titel geht hervor, daß der Rechtshörer Franz Andrä v. Freyhoffen und Marconegg diese Arbeit in der Klagenfurter Jesuitenakademie unter dem "Praeses" Dr. Josef Anton Rampichler, Landschrannensekretär, Prokurator und Professor der Institutionen, im Jahre 1715 in öffentlicher Disputation vorlegte20. Sie ist also nach dem damaligen Universitätssprachgebrauch als Dissertation zu bezeichnen und rührt nach dem Titel von Marconegg21 her. Verschiedene Stellen deuten aber auf einen berufstätigen Verfasser hin (30, 101, 127 f.), nach dem Schlußworte wurde der Inhalt zur Einführung in die Rechtswissenschaft gesprochen und diktiert, die Hs. 443, Bl. 41 (vgl. Anm. 18, erwähnt einen Traktat Dr. Rampichls über die Kärntner Tribunalien. Der scheinbare Widerspruch erklärt sich aus dem Wesen der damaligen Dissertation. Sie ist eine Arbeit des Lehrers, die er dem Schüler für die öffentliche Verteidigung zur Verfügung stellt (Stintzing, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, II 27 f.). Der Verfasser ist demnach zweifellos Rampichl selbst. Er ist auch sonst für das Kärntner Rechtsleben von Bedeutung, da er den Versuch machte, [Seite: 133] der Klagenfurter Jesuitenakademie eine Art Rechtsfakultät anzugliedern22.
Die Arbeit selbst gliedert sich in zwei Teile. Der erste (1-126) besteht aus sieben Kapiteln, die wieder in Paragraphe untergeteilt sind. An deren Spitze stehen kurze Inhaltsangaben, dann folgt punktweise eine zusammenhängende Darstellung des behandelten Stoffes, an die sich "quaestiones" über strittige Fragen und deren Beantwortung anschließen. Die ersten vier Kapitel behandeln das Wesen, die Einteilung und den Ursprung der Gerichte, die weiteren enthalten eine eingehende Darstellung der bei Gericht tätigen Personen, der Zuständigkeit, des zivilgerichtlichen Verfahrens erster Instanz und der Zwangsvollstreckung im Sinne der damaligen gemeinrechtlichen Lehre und Übung. Die angeführten Belegstellen entstammen dem römischen, in geringerem Ausmaße dem kanonischen Rechte. Das benützte Schrifttum (es beginnt mit den Glossatoren) ist sehr reichhaltig. Vereinzelt werden auch kanonische und strafrechtliche Arbeiten erwähnt. In besonderem Maße sind die gemeinrechtlichen Schriftsteller seit dem 16. Jahrhundert herangezogen. Ich erwähne beispielsweise an bekannten Namen die Deutschen Schneidewin, Gail, Mynsinger, Ayrer, Vultejus, Besold, Carpzow, Stryk, Brunnemann, Struve, Lauterbach, den Spanier Covarrubius, die Italiener Fachinaeus, Menochius, den Franzosen Gothofredus. Rampichl benützt natürlich auch die Arbeiten seiner Salzburger Lehrer (König, Schmier, v. Wollern, Franz) und der Wiener Juristen (Senutti, Weiglern). Dieser erste Teil ist für Kärnten von geringer Bedeutung, doch führt der Verfasser an mehreren Stellen Abweichungen des heimischen Gerichtsbrauches vom gemeinen Rechte und Entscheidungen, die heimische Gerichte über gemeinrechtlich strittige Fragen fällten, an (30 f., 101 f., 105, 125).
Der zweite Teil (127-187) behandelt in (ebenfalls) sieben Kapiteln das Kärntner Gerichtswesen. Den Verfasser bewogen hiezu, wie er (127 f.) selbst angibt, die von ihm miterlebten Schwierigkeiten, die der Gerichtsbrauch den Anfängern nach Vollendung ihrer theoretischen Studien bereite. Besonders eingehend ist die Darstellung des Verfahrens bei der Landschranne (131-172) und der Landeshauptmannschaft (172-181). Rampichl erörtert allerdings nur den Rechtsgang in erster Instanz und die Zwangsvollstreckung, für die Appellation verweist er auf eine eigene Arbeit (161)23. In die Darstellung sind die bei den einzelnen gerichtlichen Schritten üblichen Formeln und mehrere Klagsformulare eingeschoben. "Additamenta" weisen auf Eigentümlichkeiten des betreffenden Verfahrens hin. Viel kürzer behandelt er die anderen Gerichte, das landesfürstliche Vizedomamt (182 f.), das oberste Berggericht (183 f.), die Verordneten (185), das Salzburger und Bamberger Vizedomamt (186) und die übrigen Gerichte des Landes [Seite: 134] (186 f.). Der Verfasser gibt aber auch hier wertvolle Nachrichten, z.B., daß die Untergerichte sich früher nach dem Verfahren bei der Landschranne, nunmehr nach dem bei der Landeshauptmannschaft richten (186 f.). Bei den Klagsformularen und einzelnen Streitfragen wird auf das gemeine Recht und dessen Literatur Bezug genommen, sonst tritt das Schrifttum zurück. Für die Zuständigkeit der einzelnen Gerichte wird mehrmals auf Rechbach (Anm. 16) verwiesen (172, 184, 185). An gedruckten Rechtsquellen werden die Landrechtsordnung von 1577, die Landhandfeste von 1610, die Kärntner Bergrechtsordnung und der Rezeß mit Bamberg von 1674 verwertet. Von handschriftlich erhaltenen Darstellungen benützt er nur die Hollenburger Observationen24. Mitteilungen älterer Advokaten (175) und alte Akten (186) werden erwähnt, in der Hauptsache ist aber dieser Buchteil auf der Sachkenntnis des Verfassers aufgebaut.
Rampichl versucht mehrfach Rechtseinrichtungen teils mit sachlichen Erwägungen, teils sogar rechtsgeschichtlich zu erklären, so die Landschadenbundklausel (139 f., vgl. Stadtrecht 24, Anm. 10), die Nichtladung des Beklagten zum zweiten und den folgenden Rechtstagen im Landrechte, die er mit der Öffentlichkeit dieses Gerichtes begründet (154 f., vgl. Stadtrecht 5 f.), das Berufen (öffentliche Bekanntmachung) in der Landschranne, dessen Verwendung er ausdehnen möchte (161 f.), die Verschiedenheiten in der Befragung der Beisitzer an den Rechtstagen des Pfandfürtragens (167). Er weist auf den Unterschied des Rechtsganges bei der Landeshauptmannschaft, wo gemeines Recht gilt (174), von dem bei der Landschranne hin und betont richtig den älteren Charakter dieses Verfahrens, ohne daß ihm allerdings dessen deutschrechtlicher Ursprung klar wird (vgl. 186). Die neue Übung, daß beim Landesvizedomgerichte entgegen dem gemeinen Recht und der Landrechtsordnung an Stelle der schriftlichen Appellationen mündliche Verhöre treten, begründet er mit Zweckmäßigkeitserwägungen (182).
Die Arbeit ist entsprechend ihrer Verwendung als Dissertation in lateinischer Sprache abgefaßt, nur die Klagsformeln, die Gerichtsausdrücke und vereinzelte Bemerkungen sind deutsch. Trotzdem wäre es verfehlt, Rampichl als blinden Anhänger des gemeinen Rechtes aufzufassen. Er gehört jener Richtung der österreichischen Rechtslehre an, die dem heimischen Gewohnheitsrecht seinen Platz sichern wollte und im Nachbarlande Steiermark besonders durch Beckmann vertreten wurde [vgl. Luschin¹ 366 ff.].
Die nächste Arbeit ist anscheinend in Urschrift erhalten (GV. Hs. 11/39). Sie behandelt unter Schlagwörtern, die nach Buchstaben geordnet sind, den Rechtszustand Kärntens vor den Reformen Maria Theresias und kann am ehesten als Kärntner [Seite: 135] Rechtswörterbuch bezeichnet werden25. Das Verwaltungsrecht und das Gerichtswesen sind besonders berücksichtigt, doch finden sich auch Angaben über Privat- und Strafrecht. Sehr wertvoll ist, daß die Entwicklung verschiedener Einrichtungen geschildert wird. Der Verfasser war nach gelegentlichen Bemerkungen Mitglied des Kriminalrates (vgl. Wutte, Carinthia I 1912, 162 f.; 1927, 30 f.) und hatte der ständische Bauzahlmeister Inventursaufnahmen in seiner Gegenwart vorzunehmen (Schlagwort "Bauzahlmeister"). Die Arbeit enthält an mehreren Stellen abfällige Bemerkungen über gut bezahlte, aber arbeitslose ständische Posten (Schlagwort "Beysizer", "weisboten"). Diese Umstände und die genaue Kenntnis der Landeseinrichtungen lassen den Schluß zu, daß der Verfasser ein in Diensten der Stände stehender Jurist war, jedoch keine höhere Stellung bekleidete. Das Rechtswörterbuch ist nach und nach um 1740 vor dem 1747 einsetzenden Verwaltungsumbau entstanden. Einzelne Abschnitte (z. B. "Verhöre") wurden bestimmt erst nach dem Ableben Kaiser Karls VI. verfaßt26. Die Angaben über die Vergangenheit (z.B. die Entstehung der Landessteuern, Schlagwort "Landesanlagen", "Pfund gült") sind nicht immer verläßlich. Dagegen ist die Arbeit eine wahre Fundgrube für die Landesverfassung und -verwaltung ihrer Zeit.
Sieht man von der Bearbeitung des steirischen Landrechtes ab, so umspannen die besprochenen Darstellungen einen Zeitraum von zwei Jahrhunderten. Einstellung, Bildungsgrad und Arbeitsweise der Verfasser sind sehr verschieden. Ein zusammenfassendes Urteil zu fällen ist schwer, doch lassen sich einzelne bezeichnende Züge aufzeigen.
Arbeiten, die den Rechtsgang behandeln, überwiegen. Das ist eine den fünf niederösterreichischen Ländern gemeinsame Erscheinung. Die Notwendigkeit, den ins Berufsleben tretenden Juristen in die verwickelten Gerichtsgebräuche einzuführen, ist hiefür bestimmend. Die verhältnismäßig weit gediehene Ausbildung der einzelnen Verfahrensarten erleichtert die Aufgabe. Die verschiedenen Arbeiten spiegeln die Wandlungen im Kärntner Gerichtswesen wider. Ursprünglich steht das Landrecht im Vordergrund, dessen altüberkommenes Verfahren von den Landständen eifersüchtig gewahrt wird. Dann gewinnt die Landeshauptmannschaft immer mehr an Bedeutung. Hier dringt das gemeinrechtliche Verfahren im Wege des Gerichtsbrauches durch. Daß es niemals gesetzlich festgelegt wird27, begünstigt die Entstehung privater Arbeiten. Schließlich führt Rampichl den (schon vom Verfasser der Hollenburger Observationen und wohl auch von Fröauff gehegten) Plan aus und behandelt zusammenfassend den Rechtsgang bei allen bedeutenderen Gerichten des Landes. Die übrigen Rechtsgebiete stellen einer Darstellung infolge der örtlichen Rechtszersplitterung größere Schwierigkeiten in den Weg. Immerhin entstehen auch für [Seite: 136] das Privatrecht und das öffentliche Recht wertvolle Arbeiten (Lanndtsgebreich und Kärntner Rechtswörterbuch).
Der starke deutschrechtliche Einschlag ist bei den Berichten über das Landrecht schon durch die Stoffwahl bedingt. Er ist auch sonst mit Ausnahme der Arbeiten über die Landeshauptmannschaft feststellbar. Daß keine Spur auf slawisches Recht hinweist, ist bei der rein deutschen Entwicklung des Kärntner Rechtes selbstverständlich. Die hier behandelten Darstellungen sind gute Durchschnittsleistungen. Darüber hinaus ragen nur die knappe Schilderung des Johann Kraus und das Werk Rampichls. Dieses braucht einen Vergleich mit den führenden verfahrensrechtlichen Arbeiten Österreichs, den Observationen Suttingers und dem "Progymnasmata" Thassers nicht zu scheuen.
Unbekannte Kärntner Rechtsdarstellungen sind bestimmt noch vorhanden. Vielleicht regen diese Zeilen zu weiteren Nachforschungen und Arbeiten an. In dieser Richtung käme besonders eine, entsprechend rechtsgeschichtlich unterbaute, Ausgabe der "Lanndtsgebreich" in Betracht.