Hermann Braumüller, Die Rezeption des Rechts und die Kärntner Landstände

Hermann Braumüller, Die Rezeption des Rechts und die Kärntner Landstände

[Editorial]

Quelle: Hermann Braumüller, Die Rezeption des Rechts und die Kärntner Landstände. In: Carinthia I 153 (1963) S. 457-460. Die Digitalisierung des Aufsatzes, der noch urheberrechtlich geschützt ist, erfolgte mit freundlicher Genehmigung durch den Kärntner Geschichtsverein vom Dezember 2018. Bei der Aufbereitung für eine digitale Darstellung wurden lediglich Verweise auf andere Werke nach Möglichkeit in Hyperlinks umgewandelt. [Faksimile]

Günter Wesener hat auf Anregung seines Lehrers Univ.-Professors Dr. Steinwenter eine Arbeit über das innerösterreichische Landschrannenverfahren im 16. und 17. Jahrhundert verfaßt, die, durch Druckkostenbeiträge der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Graz, der Wissenschaftshilfe der Steirischen Landesregierung und steirischer Geldinstitute unterstützt, in den Rechts- und Staatswissenschaftlichen Studien im Leykamverlag Graz als 10. Band erschienen ist. Schon diese Unterstützungen sprechen für den Wert der Arbeit. Die Erforschung des Zivilprozeßverfahrens gewinnt dadurch an Bedeutung, daß in diese Zeit die Übernahme römisch-rechtlicher und kanonischer Auffassung in das deutsche Gewohnheitsrecht fallen. Es fällt dabei auf, daß das landesfürstliche Hofgericht dem neuen Verfahren gegenüber weit aufgeschlossener ist als die Landstände, wo sie Gerichtsherren sind. Der Grund dafür ist darin zu sehen, daß auf diesem Wege das Hofgericht an Boden gewinnen und damit die Machtstellung des Landesfürsten stärken wollte. Zwar findet man bei den drei innerösterreichischen Ländern im allgemeinen viel Übereinstimmendes, aber es bleiben doch im einzelnen manche Eigentümlichkeiten. In Steiermark, wo der Landesfürst seine Residenz in Graz hatte, macht sich der Einfluß des Hofgerichts früher und stärker geltend als in Kärnten.

Von den Rechtsquellen und der darüber bestehenden Literatur ausgehend, wird uns eine Darstellung der Gerichtsverfassung und Zuständigkeit der Gerichtspersonen, der Klagearten und der Verantwortung, des Beweisverfahrens und der Rechtsmittel geboten und schließlich auch der Weg vom mündlichen zum schriftlichen Verfahren aufgezeigt. Dabei geht die Arbeit immer auf die Eigenarten in den einzelnen Ländern ein und wird damit zu einer wertvollen Grundlage für die Rechtsverhältnisse in Kärnten.

In Kärnten sind einschlägige Rechtsquellen nicht nur vorhanden, sondern auch zu entsprechenden Darstellungen verwendet worden. Dabei muß man von der Kärntner Landesordnung von 1338 ausgehen, weil sie schon prozeßuale Bestimmungen enthält. Arnold Luschin hat zwar ein gewisses Zurückbleiben Kärntens in der Entwicklung deshalb festzustellen vermocht, weil Krain schon 1531 eine neue Landrechtsordnung erhielt, für Steiermark König Ferdinand I. eine Reformation des Landrechts erließ, in Kärnten man aber damals noch am ungeschriebenen Gewohnheitsrechtverfahren festhielt. Man darf dabei nicht übersehen, daß als die Grundlage des Kärntner Rechts die Vorgänge bei der Einsetzung des Herzogs am Fürstenstein und am Herzogstuhl im Zollfelde angesehen wurden. So mag es sich erklären, daß ein Bedürfnis für eine schriftliche „Darstellung des Verfahrens in Landrechten zu Kärnten“ erst spät empfunden wurde und es ein Nichtkärntner, [Faksimile] Hans Ampfinger, war, der, wie Luschin aus dem Namen schließt, ein Bayer war und als Jurist seit 1524 in Dietrichsteinschen Diensten vorerst als Pfleger in den Ämtern Paternion, Feistritz und Stockenboi wirkte, seit 1528 als Schrannenprokurator, also Rechtsanwalt, in Klagenfurt tätig war und 1540 Pfleger in Hollenburg wurde. Er legte 1544 als private Arbeit eine solche Zusammenstellung vor, wobei er vielleicht auf höheren Auftrag handelteN.1. Um diese Zeit bemühten sich die Kärntner Stände schon um die Gründung einer höheren Schule in Klagenfurt, um der adeligen und begabten bürgerlichen Jugend die Möglichkeit zu geben, sich wissenschaftliche Grundlagen in der Heimat zu erwerben, die sie zu amtlichen Stellungen befähigten. Man war sich in den landständischen Kreisen durchaus bewußt, daß man die im 15. Jahrhundert erreichte politische Machtstellung, die vor allem auf dem Steuerbewilligungsrecht der Landtage beruhte, dem Landesfürsten gegenüber nur halten könne, wenn man einerseits auf dem überkommenen Recht und den Vorrechten unnachgiebig beharrte, anderseits für die Besetzung landrechtlicher Richterstellen, der Pfleger auf den Gütern und der neuaufgekommenen Prokuratoren Männer zur Verfügung hatte, die imstande waren, sich den neuen Verfahrensarten anzupassen, doch bei den überkommenen Rechtsauffassungen als Grundlage zu verbleiben. Um dieses Ziel zu erreichen, schickten vermögende Adelige ihre Söhne auf italienische Universitäten. Doch auch aus den damals ja noch kleinen Städten Kärntens kamen schon im 15. Jahrhundert verhältnismäßig gar nicht so wenige Studenten auf die Universität nach WienN.2. Das Recht, das auf den Hochschulen gelehrt wurde, war das römische oder das kanonische und nicht das deutsche, an dem die Landstände festhalten wollten. Seit die Landesfürsten im 16. Jahrhundert die Zügel der Regierungsgewalt schärfer anzuziehen begannen, lag den Kärntner Ständen umso mehr daran, geeignete Männer für Rechtsprechung und Verwaltung im Lande selbst zu finden, die ihre Stellung im Sinne der Stände auszuüben imstande waren und in ihrer Bildung den von Universitäten kommenden nicht zurückstanden. Man brauchte also Schulen im Lande, auf denen solche Bildung zu erwerben war. Eine solche Schule sollte das von den Ständen errichtete collegium pietatis et sapientiae sein. Die Bezeichnung sagt schon, daß die Schule zwei Aufgaben hatte. Die erste von ihnen, die pietas, ist bisher allein in den Darstellungen zur Geltung gekommen als Schule des evangelischen Glaubens. Auf die zweite Aufgabe, die mit dem Wort sapientia ausgedrückt wurde, wurde bisher kein Gewicht gelegt. Und doch ist im Kärntner Landesarchiv unter dem Zeichen 192/3 eine Vorschrift für den Rektor der Schule erhalten, in der folgende Stelle zu lesen ist: So solle rector fürs dritt dahin bedacht sein, daß er allein der herrn und landtleit derselbig zugethonen und Beamten aber auch der fürnemsten Raths und [Faksimile] Bürgerkinder alhie und so von anderen orten alher geschickt werden in dise adlige Schul ad scholam puerilem anneme ... früs sechst wan wir Alumnen halten und annemen soll rector in solche Aufnehmung gut achtgeben, das aus den landtkinden taugliche Tugena so ein ersam Land oder die herrn und landtleit künftig gebrauchen kennen befürdert und die welhe eines beneficii nicht würdig abgewisen werden sollen3. Damit ist deutlich die zweite Aufgabe klargemacht. Sie sollte dem Land ausgebildeten, für Beamtenstellen geeigneten Nachwuchs bringen. Aus einem anderen im Landesarchiv aufbewahrten Schreiben erfährt man, daß einmal zum Kauf angebotene Bücher mit der Begründung abgelehnt wurden, daß man keine Jura lese4. Aber es ist hier zu beachten, daß es sich bei diesen Büchern eben um römisches Recht handelte, gegen das sich die Stände wehrten. Auch nach der Schließung des Collegiums im Zuge der Gegenreformation Ferdinands II. wurde die vom Jesuitenorden übernommene Anstalt vom Landesfürsten nach dem Vorbilde der Grazer Universität mit besonderen Rechten ausgestattet. So unterstanden z. B. die Studenten nicht der städtischen Gerichtsbarkeit, sondern der des Rektors.

Daß tatsächlich auch juridische Kenntnisse an dieser Schule erworben werden konnten, hat uns Karl Torggler gezeigt5. 1715 wurde nämlich hier unter Leitung des Landschrannensekretärs Prokurators und Professor Dr. Josef Rambichler eine Disputation zweier Rechtshörer über das Thema tribunal seu iudicium humanum communibus legibus et stylo Curiae abgehalten, wie das den Prüfungsverfahren an den damaligen Universitäten entspricht. Rambichler selbst hatte seine Ausbildung an der Salzburger Universität genossen. Man sieht also, eine Ausbildung, die zur Ausübung in der Stellung eines juridischen Beamten in Verwaltung oder Gericht gehörte, konnte man auch seit dem Bestehen des collegium pietatis et sapientiae und der Jesuitenschule in Klagenfurt bekommen.

Dadurch wird auch verständlich, warum die Kärntner Stände 1720 der Anregung Kaiser Karls VI. zur Angliederung einer juridischen Fakultät an der Universität in Graz kühl gegenüberstanden und in ihrem Bericht an die Regierung zum Ausdruck brachten, daß die adelige Jugend Kärntens aus einer solchen Neugründung keinen besonderen Nutzen ziehen würde. Es waren also nicht nur materielle Gründe, wie Hermann Wießner andeutet, ausschlaggebend, sondern der Wunsch, den Nachwuchs im Lande selbst und im Sinne der führenden Stände auszubilden6.

Es ist naheliegend, daß der Landesfürst diesem Streben der Stände nicht gewogen war und nach geeigneten Mitteln suchte, ihnen im [Faksimile] Wege der Gesetzgebung entgegenzutreten, also Landesrechtsordnungen zu schaffen. Mit dieser Entwicklung mag Ampfingers Arbeit in Beziehung stehen, die dann auf die Landrechtsordnung Ferdinands I. eingewirkt und endlich auf die „New aufgericht Landtßrecht Ordnung" Erzherzog Karls Einfluß gewonnen hatte (1577).

Daß es nicht an schriftlichen Darstellungen des Landrechts und der „Landsbreich” fehlte, haben Torgglers Darstellung des Kärntner Rechts und Rechtsgangs und die Erläuterungen des Klagenfurter Stadtrechts sowie seine Arbeit Stadtrecht und Stadtgericht in Klagenfurt, Beiträge zur Geschichte des Verfahrensrechts in den österreichischen Alpenländern, gezeigt7.

So lange die politische Stellung der Landstände für die Verwaltung erhalten blieb, so lange erhielt sich auch das Bestreben nach Ausbildung des Beamtenstabes im Lande selbst. Noch in den Tagen der Kaiserin Maria Theresia hielt zwischen 1766 und 1772 Professor Leopold Schulz, ein Schüler des berühmten Sonnenthal, in Klagenfurt Vorlesungen über politische Wissenschaften. Obwohl die Verwaltungsreformen der Kaiserin die Stellung der Stände einengten, legte man doch auch Gewicht darauf, daß durch das Klagenfurter Lyzeum der Wissensbereich der Beamtenschaft gehoben werde, und so kam es zur Errichtung dahin wirkender Lehrkanzeln, wobei man allerdings, den Auffassungen Kaiser Josephs II. entsprechend, auf praktisch Verwertbares besonders bedacht war8.

Fußnoten
N.1. ↑ (Zurück)
N.2.
Quellen zur Geschichte der Wiener Universität, Inst. f. österr. Geschichtsforschung 6. Reihe 1. Abt.
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3.
Hermann Braumüller, Zur Geschichte des Klagenfurter Schulwesens in der Reformationszeit, Car. I 1924.
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4.
Car. 1 1924 S. 20.
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5. ↑ (Zurück)
6.
Hermann Wießner, Festschrift für Fritz Popelka. [Zugriff beschränkt: DigiZeitschriften H.S.]
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7. ↑ (Zurück)
8.
Vgl. H. Braumüller, Kärntens Bemühungen um eine Landesuniversität, Car. I 1957, S. 565 ff.
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