Gunter Wesener, Beschränkungen der Testierfreiheit in deutschen Stadtrechtsreformationen und Landrechten der Rezeptionszeit, in: Festgabe Lübtow (1970) 569-593
Der verehrte Jubilar hat sich in einer Reihe von Arbeiten mit grundlegenden Fragen des Erbrechtes beschäftigt1. Einen wertvollen Beitrag zur privatrechtlichen Dogmengeschichte stellt seine Untersuchung "Hand wahre Hand"2 dar. Mit Recht verweist der Jubilar an anderer Stelle3 auf die "begriffsbildende Funktion der Dogmengeschichte"4.
Als ein kleiner Beitrag zur juristischen Institutionen- und Dogmengeschichte möge diese Untersuchung aus dem Gebiete des Erbrechtes der Rezeptionszeit angesehen werden.
Mit der praktischen Rezeption des römisch-gemeinen Rechtes in den einzelnen deutschen Städten und Territorien kam es zu einem Zusammentreffen von deutschrechtlichen Vorstellungen und Instituten mit solchen des römisch-gemeinen Rechtes, was teilweise zur Verdrängung und Beseitigung alten deutschen Rechtsgutes, teilweise zu einer Umbildung desselben sowie zu Neubildungen führte. In zahlreichen Städten und Territorien kam es im Verlaufe der Rezeption zu Reformationen der alten Stadt- und Landrechte bzw. zu Neuaufzeichnungen5.[Seite: 570]
Auf Grund dieser Stadtrechtsreformationen und Landrechte läßt sich ein gutes Bild von der Intensität und dem Grade der praktischen Rezeption in den einzelnen Gebieten und der Widerstandsfähigkeit des heimischen Rechtes gewinnen. Aber nicht nur für die Rezeptionsgeschichte, sondern auch für die juristische Institutionen- und Dogmengeschichte sind diese partikulären Gesetzeswerke des 15., 16. und 17. Jh.s von größter Bedeutung. Eine stärkere Berücksichtigung dieser Rechtsquellen bei Untersuchung der Entwicklungsgeschichte einzelner Rechtsinstitute scheint geboten6. Naturgemäß ist eine gewisse Auswahl hierbei erforderlich7.
Ein Gebiet des römischen Privatrechtes, das im allgemeinen stark rezipiert wurde, war das Erbrecht, und zwar vor allem das Testamentsrecht, der Grundsatz der Testierfreiheit8 und in Zusammenhang damit das justinianische Noterbrecht9.
In diesem Rechtsbereich kam es, vielfach, vor allem in den Städten, schon im Spätmittelalter, zu einem Zusammenstoß mit dem deutschrechtlichen System des zwingenden Familienerbrechts10, das gelockert war durch das Freiteilsrecht11; daraus entwickelte sich in manchen Gebieten das System der Erbschaftsreserve12.[Seite: 571]
Nach älterem deutschen Recht war das Hausvermögen durch die Anwartschaftsrechte der Erben (Erbenwartrechte) gebunden13; Verfügungen darüber bedurften ihrer Zustimmung. Nur über einen Freiteil durfte der Erblasser selbständig verfügen. Die Verfügung über den Freiteil erfolgte in Form der Vergabung von Todes wegen; diese war kein erbrechtliches Institut, sondern ein sachenrechtliches Geschäft unter Lebenden. Erst im späten Mittelalter verblaßte der Gedanke des Hausvermögens, und die Verfügungsmacht des einzelnen über sein Eigentum wurde immer stärker. Das Erbenwartrecht wurde auf Liegenschaften und bei diesen auf das Erbgut14 eingeschränkt. Das römisch-kanonische Testamentsrecht drang nun allmählich ein. Gegen Ende des Mittelalters führte das Freiteilsrecht entweder zum System der Erbschaftsreserve, wonach der Erblasser nur über eine bestimmte Quote seines ererbten Vermögens frei verfügen konnte (disponible Quote)15 und der übrige Teil der Verwandtenerbfolge unterlag, oder es ging im Prinzip der Testierfreiheit auf16, was in der Folge zur Rezeption des römischen Noterbrechts führte.
Früh finden sich Testamente in deutschen Stadtrechten. In Köln haben sich Testamente und Testierfreiheit schon Mitte des 13. Jh.s durchgesetzt17; dasselbe gilt für Braunschweig, wo seit der 2. Hälfte des 13. Jh.s ein Erbenwartrecht unbekannt ist18. Auch in der südwestdeutschen [Seite: 572] Reichsstadt Eßlingen bestand um 1280 kein Wartrecht mehr19. In Wien und Lübeck haben bereits am Anfang des 14. Jh.s die Testamente die heimischen Vergabungen von Todes wegen fast völlig verdrängt. Hingegen behielten diese beiden Rechte das Erbenwartrecht20. Das Wartrecht bestand aber nur an Erbgütern. Die strenge Unterscheidung zwischen Erbgütern und selbst gewonnenen und eroberten Gütern ist für das Wiener Sachenrecht und überhaupt für das österreichische Recht charakteristisch21. Nach dem Goslarer Stadtrecht aus dem 14. Jh. (I 1 § 62)22 kann über das gewonnene Gut frei verfügt werden; ein Anwartschaftsrecht besteht hinsichtlich des Erbgutes (I 4 § 19; vgl. I 4 §§ 42, 43, 46-50); zu Verfügungen über das Erbgut ist Erbenlaub23 erforderlich. Im Gebiete des Magdeburger Stadtrechtes bildeten die alten Vergabungen von Todes wegen noch gegen Ende des 15. Jh.s die regelmäßige Form einer letztwilligen Verfügung, obwohl auch hier seit dem Ende des 13. Jh.s Testamente nachzuweisen sind24
Grundlage für die Rezeption des römisch-gemeinen Noterbrechtes war die justinianische Regelung der Nov. 18 vom J. 536 und der Nov. 115 (c. 3-5 pr.) vom J. 54225. Mit dieser Nov. 115 kam es zu einer Verschmelzung des formellen und des materiellen Noterbrechtes. Der Noterbe hat einen doppelten Anspruch, auf Einsetzung als Erbe und auf Zuwendung des Pflichtteiles. Der Pflichtteil braucht dem Noterben aber nicht zur Gänze titulo institutionis hinterlassen zu werden, sondern es genügt die Erbeinsetzung auf einen geringen Teil der Verlassenschaft, sogar auf eine bestimmte Sache oder Summe; der Rest des Pflichtteils kann dem [Seite: 573] Berechtigten quocunque titulo (in Form eines Legats, Fideikommisses oder einer Schenkung auf den Todesfall) zugewendet werden. Noterben sind nach justinianischem Recht Deszendenten und Aszendenten. Das Noterbrecht der Geschwister ist in Nov. 115 nicht erwähnt; es wurde somit durch die Neuerungen dieses Gesetzes nicht betroffen.
Eine Enterbung ist nach dem Recht der Nov. 115 nur aus bestimmten, im Gesetz taxativ aufgezählten Gründen zulässig und trägt Strafcharakter26. Der Enterbungsgrund muß im Testament ausdrücklich angeführt werden und ist im Streitfall vom Testamentserben zu beweisen. War ein Noterbe grundlos enterbt oder übergangen worden, so sollte das Testament bezüglich der Erbeinsetzung "kraftlos sein" (Nov. 115 c. 3 § 15; c. 4 § 9). Über das Wesen dieser Ungültigkeit herrschte lange Zeit Streit; es wurden im wesentlichen drei Theorien vertreten: das Nullitätssystem, das gemischte System und das Inoffiziositätssystem.
Nach dem Nullitätssystem sind die Erbeinsetzungen in einem solchen Testament ipso iure nichtig, das Testament braucht nicht erst vom Noterben angefochten zu werden. Nach dem Inoffiziositätssystem hängt die Gültigkeit der Erbeinsetzung vom Willen des Noterben ab; dieser muß sein Recht mittels der querela inofficiosi testamenti geltend machen und dadurch das Testament bezüglich der Erbeinsetzung entkräften.
War ein Noterbe zwar als Erbe eingesetzt, hatte er aber nicht seinen vollen Pflichtteil erhalten, so konnte er nach justinianischem Recht nur mit der actio ad supplendam legitimam die Ergänzung seines Pflichtteiles verlangen, nicht aber das Testament zu Fall bringen (Cod. Iust. 3, 28, 30).
Die Glossatoren vertraten hinsichtlich der Gültigkeit eines Testaments, in dem Noterben grundlos enterbt oder übergangen worden waren, ein gemischtes System:
Gl. Non licet zu Auth. Non licet (ad Cod. 6, 28, 4). Casus. Haec authent. corrigit iura antiqua. in hoc iure antiquo liberi poterant exhaeredari sine causa. hodie istud est correctum: quia non licet parentibus exhaeredare vel praeterire liberos: nisi inseratur una ex quatuordecim causis legibus approbata: sed si una illarum inseritur, et invenitur vera: filius vel filia excluditur a querela. si non invenitur vera, vocatur ad querelam: unde si non inseritur causa exhaeredationis, non valet exhaeredatio, nec praeteritio, nec testamentum.
Die Glossa ordinaria unterscheidet drei Fälle: 1. Wenn der Testator einen Noterben enterbt, aber keinen der in Nov. 115 taxativ aufgezählten Enterbungsgründe anführt, oder einen Noterben übergeht, so ist das Testament hinsichtlich der Erbeinsetzung ipso iure ungültig. 2. Hat der [Seite: 574] Testator hingegen einen gesetzlichen Enterbungsgrund angeführt, so muß der enterbte Noterbe das Testament, um es zu entkräften, mit der querela inofficiosi testamenti bekämpfen. Kann der eingesetzte Erbe die Richtigkeit des Enterbungsgrundes nicht beweisen, so dringt der Noterbe mit der querela durch. 3. Kann der angeführte gesetzliche Enterbungsgrund bewiesen werden, so bleibt das Testament vollinhaltlich aufrecht.
Die Präterition eines Noterben durch die Mutter wird von der Glosse unter Berufung auf Inst. 2, 13, 7 als Enterbung behandelt.
Die Glosse betrachtete die vor der Nov. 115 geltenden Bestimmungen über das Noterbrecht durch diese nicht als aufgehoben, vertrat somit das Additionalsystem (Gl. Vel omittunt ad Inst. 2, 18 pr.).
Das gemischte System der Glosse fand mit der Rezeption auch in Deutschland Eingang27. Die deutsche gemeinrechtliche Doktrin betonte den formellen Anspruch des Noterben auf Einsetzung als Erbe, wenn auch nur auf ein Minimum der Verlassenschaft28; anders teilweise die spätere Gesetzgebung (s. u. B). Die Ungültigkeit des Testaments erstreckt sich nur auf die Erbeinsetzungen, die anderen letztwilligere Verfügungen bleiben aufrecht.
Die Stadtrechtsreformationen und Landrechte des 15. und 16. Jh.s lassen sich vom Standpunkte der Regelung des Noterbrechtes29 in drei Gruppen einteilen: A. Solche, die das deutschrechtliche System der Erbschaftsreserve beibehalten haben; B. solche, die im wesentlichen das justinianische Noterbrecht übernommen haben, wobei allerdings vielfach unter deutschrechtlichem Einfluß dem überlebenden Ehegatten ebenfalls ein Pflichtteilsrecht eingeräumt wurde; C. solche, die unter Heranziehung und Verbindung deutsch- und römischrechtlicher Prinzipien eine eigenständige Regelung des Noterbrechtes getroffen haben, wie etwa das Freiburger Stadtrecht von 1520 und die Zwickauer Stadtrechtsreformation von 1539/69.[Seite: 575]
Das germanisch-deutschrechtliche System der Erbschaftsreserve bzw. disponiblen Quote30 erhielt sich vor allem in Frankreich31 und Spanien32 in Schweizerischen Rechten (Zürich, Bern, Stadt Basel, Graubünden)33 in Hanseatischen Rechten (Hamburg, Lübeck)34, in Tirol und in Böhmen und Mähren.
In Tirol, einem Lande, wo sich deutsches Rechtsgut sehr stark erhalten hatte, konnte sich die Testierfreiheit nur beschränkt durchsetzen35. Der [Seite: 576] Erblasser durfte hier in Fortbildung des deutschen Freiteilsrechtes nur über einen Bruchteil seines Vermögens letztwillig verfügen; der andere Teil mußte seinen gesetzlichen Erben verbleiben. Verfügungen des Erblassers, die über das zulässige Maß hinausgingen, waren ungültig.
Nach der Tiroler Landesordnung von 1573 (III 3)36 konnte ein Erblasser entweder den Fruchtgenuß des ganzen Vermögens einer Person auf Lebzeiten oder ein Drittel der Erbgüter und die Hälfte der gewonnenen Güter, berechnet vom reinen Nachlaß, zu Eigentum verschaffen und verordnen.
Diese Beschränkung galt jedoch nur für den Fall, daß der Erblasser gesetzliche Erben besaß, die in Tirol ansässig waren; ansonsten konnte er über sein ganzes Vermögen frei verfügen.
Unehelich Geborene konnten nur über ein Drittel dessen letztwillig verfügen, worüber ehelich Geborene testieren konnten37.
In Tirol galt das System der Erbschaftsreserve bis zum Inkrafttreten des ABGB38.
Auch in Böhmen und Mähren findet sich, jedenfalls im Rechte des Adels, das System der Erbschaftsreserve, die Unterscheidung zwischen liegendem Gut und Fahrnis, die Bevorzugung der Söhne bei der Nachfolge nach dem Vater "zur Erhaltung des Stammes und Geschlechtes".
Das böhmisch-mährische Landrecht, das eine Verbindung deutschen und slawischen39 Rechtsgutes darstellte, hat der Rezeption des [Seite: 577] römisch-gemeinen Rechtes starken Widerstand geleistet und grundsätzlich bis zum Inkrafttreten des ABGB gegolten40.
Eine eingehende Regelung des Noterbrechts findet sich in der Vernewerten Landesordnung für Böhmen von 162741 (O XXI—XXVIII) und in der fast gleichlautenden Verneuerten Landesordnung für Mähren von 1628 (II, Tit. 18). Diese Landesordnungen galten für die oberen Stände; für den Bürgerstand galten die Koldinschen Stadtrechte von 157942, die sich stärker dem römischen Recht anschlossen43.
Vernewerte Landesordnung für Böhmen (von 1627) O XXI. Demnach auch vor disem der Vatter seinen Söhnen die ligende Gründe und Land-Gütter nach seinem Tod zu lassen schuldig gewesen, und dieselben durch seinen letzten Willen ihnen nicht entziehen können, Als sol es auch noch darbey verbleiben; Jedoch nachfolgender gestalt: daß obberürte Landgütter von dem Vatter, wan er von seinen Güttern testirt, in zwey Theil getheilt, und zwar das eine Theil denen Söhnen sambtlichen gleich als eine Legitima oder Natürliches Pflicht-Theil gelassen werden, die andere Helffte aber zwar auch denen Söhnen verbleibe, Jedoch, daß es bey deß Vatters Willen stehe, ob er solchen halben Theil zwischen denen Söhnen gleich theilen, oder einem für dem andern etwas lassen, oder solches auch wol einem allein zuaignen wolle.
In der Vernewerten Landesordnung findet sich das System der Erbschaftsreserve44. Der Vater, welchem Liegenschaften gehören, muß sein Vermögen in zwei Teile teilen und den ersten Teil seinen Söhnen mit vollkommener Gleichheit untereinander hinterlassen. Hinsichtlich des zweiten Teiles der Liegenschaften aber steht es dem Erblasser frei, ihn unter die Söhne gleich zu verteilen, einen Sohn zu bevorzugen, oder einem allein die zweite Hälfte zu hinterlassen.
Ferner besteht die Möglichkeit, eine Primogenitur anzuordnen (O XXII), d. h. der Vater hinterläßt das gesamte Vermögen einem von mehreren Söhnen; hierzu bedarf es aber einer landesherrlichen Konfirmation. Besitzt der Vater neben Grundstücken bares Geld und Fahrnisse, so kann er darüber frei verfügen (O XXIII). Eine Ausnahme von diesem Grundsatz gilt nur dann, wenn der Vater keine Liegenschaften [Seite: 578] besitzt; in diesem Falle sind die Fahrnisse so wie nach O XXI in zwei Teile zu teilen, von denen ein Teil an die Söhne fällt, während die zweite Hälfte vom Erblasser nach Belieben verteilt werden darf (O XXIII). Diese Regelung gilt auch dann, wenn dem Vater zwar Liegenschaften gehören, diese aber dem Werte nach der Fahrnis bei weitem nicht gleich kommen (O XXIV).
Sind nur Töchter vorhanden, so sind sie so wie die Söhne zu behandeln; konkurrieren sie aber mit Söhnen, so erhalten sie bloß ein angemessenes Heiratsgut (congrua dos) (O XXV).
Bei der Erbfolge nach der Mutter findet ebenfalls eine Teilung des Nachlasses in zwei Hälften statt. Die erste Hälfte muß die Mutter ihren Kindern, und zwar Söhnen wie Töchtern, zu gleichen Teilen hinterlassen; eine Bevorzugung der Söhne bei der Nachfolge in Liegenschaften findet hier nicht statt. Hinsichtlich der zweiten Hälfte kann die Mutter nach Belieben verfügen (O XXVI).
O XXVII behandelt die Enterbung. Der Enterbungsgrund muß im Testament ausdrücklich angeführt werden. "Wan aber die Ursachen der Enterbung entweder im Testament nicht gesetzt, oder da sie gesetzt, von denen Erben nicht erwisen, oder aber nicht für erheblich befunden worden: So sol das enterbte Kind seinen Antheil, wan es die Action also außgeführt, bekommen, Im übrigen aber das Testament in seinen Kräfften verbleiben."
Hinsichtlich der Enterbungsgründe wird in der Vernewerten Landesordnung (O XXVII) auf die Koldinschen Stadtrechte verwiesen. In diesen Stadtrechten werden als Noterbberechtigte nur die Kinder ohne Unterschied des Geschlechtes erwähnt; es genügt aber, wenn der Erblasser dem Kinde irgendetwas hinterläßt. Die Enterbungsgründe (E XLIX) entsprechen denen des justinianischen Rechtes.
Eine weitgehend romanistische Gestaltung des Noterbrechtes findet sich in der Nürnberger Reformation von 147945 (ebenso in der von 1564), in der Wormser Reformation von 149846, in der Frankfurter Reformation von 150947 (ebenso von 1578), in der Bayerischen Landrechtsreformation von 151848, in der Constitutio Joachimica für Brandenburg [Seite: 579] von 152749, in der Reformation des Erzstifts Köln von 153850 sowie in der Rechtsordnung für Kurköln von 166351, im Württembergischen Landrecht von 155552, im Solmser Landrecht von 157153 und in den Kursächsischen Konstitutionen von 157254.
In den meisten der angeführten Stadt- und Landrechte des späten 15. und des 16. Jh.s ist das formelle und materielle Noterbrecht der justinianischen Nov. 115 aufgenommen. Der Noterbe hat Anspruch auf Erbeinsetzung und auf Zuwendung des Pflichtteiles. Bei Präterition oder Enterbung ohne Vorliegen eines gesetzlichen Enterbungsgrundes ist das Testament hinsichtlich der Erbeinsetzungen ungültig55.
Wormser Reformation IV 3,3. Ein testament, darin der kinder eins nit bedacht, sonder ubersehen, fürgangen oder on ursach enterbt, ist unmeßig, von nichten und unkreftig, ob auch eins oder mee der andern kinde oder der gemeinen nutz, kirchen, spital oder derglychen erben gesetzt werden. Darümb ist von nöten, das der vatter syn kinder zu erben setze oder uß ursachen, hienachbemelt, enterben und fürgeen möge.
(Vorletzter Absatz) Wan einem oder mee kinden erbe gelassen oder gesetzt würde minder, dan syn gepürlich teil, genant legittima, das oder dieselben kinde mögen clagen wider das testament zu erstattung ires gepürlichen teils, genant legittima.
Wenn die Noterbberechtigten auf weniger als ihre portio legitima eingesetzt werden, steht ihnen die Pflichtteilsergänzungsklage, die actio ad supplendam legitimam zu. Die Regelung der Wormser Reformation, die als populäres Lehrbuch des gemeinen Rechtes bezeichnet wird, entspricht völlig dem justinianischen Recht.
Frankfurter Reformation von 1509, 23 (Abs. 3) ... ordenen, setzen und wöllen wir, das vatter oder muter und andere von uffstygender linien, so kinder in absteigender linien haben und testament machen wöllen, das sie dieselben kindere in irem testament nach vermöge der recht zu erben machen oder [Seite: 580] uß redlichen ursachen, im rechten gegründt, im testament ußgedruckt enterben sollen. Und wo solichs, wie obgemelt, nit geschicht, so sol solch testament dem laster der nichtigkeit underworfen sein und kein craft oder macht haben.
Die Frankfurter Reformation verweist hinsichtlich Erbeinsetzung und Enterbung auf das gemeine Recht ("nach vermöge der recht", "ursachen, im rechten gegründt")56.
Württembergisches Landrecht III 1, 10. Wölcher Massen testierende Eltern ire Kinder zu Erben einzusetzen schuldig, und also von der Kinder Pflichtteil oder legitima.
(Abs. 1 a. E.) Wann aber die Eltern iren Kindern auch solchen Pflichtteil nit verschafften, sonder sie übergiengen und preterierten oder on rechtmeßig Ursach gar ausschließen würden, ir Testament und letster Will kein Kraft noch Bestand haben, sonder hiemit von Onwürden sein solte57.
Noterbberechtigt sind nach Württemberg. Landrecht III 1, 11 auch die Aszendenten; der überlebende Ehegatte hat einen (materiellen) Pflichtteilsanspruch (III 1, 2 Abs. 15; III 1, 12).
Solmser Landrecht II 23,14. Zum dritten ordnen, setzen und wollen wir, daß die Eltern, als Vatter, Mutter, Anherr und Anfraue etc., ihre eheleibliche Kindere, Tichtern und Urtichtern in ihren Testamenten in alle Wege zu Erben benennen und einsetzen sollen, sie hetten dann genugsame Ursachen, so in den Rechten bestimbt und erklert, warumb sie solches underlassen oder auch sie gar enterben wolten, und hinwider, daß auch die Kindere, Tichtern und Urtichtern (im Fall sie selbst eheliche Kindere nicht haben) gleicher Gestalt in ihren Testamenten dieselben ihre Vatter, Mutter, Anhern, Anfrauen etc. auch zu ihren Erben austrücklich instituiren und benennen sollen, dieweil ohn das ihre testamenta vermöge der Recht nichtig und kraftlos (so viel die Erbsatzung belangt) sein würden.
Kursächsische Konstitutionen III 9. Ob ein Testament, dorinnen Kinder oder Eltern praeterirt und ubergangen oder zum wenigsten in der legitima nicht gebürlich instituiret und zu Erben eingesatzt, nichtig sey.
Es haben sich unsere Vorordente disfals nach dem gemeinen Schlus der Rechtslehrer dohin vorglichen: wann den Kindern oder Eltern in Testamenten die gebürliche legitima oder sonsten ein Teil Güter titulo honorabili nicht vorlassen noch sie dorinnen als Erben eingesatzt worden, das ein solch Testament nichtig sey und doch nichts desto weniger die legata denen, welchen sie vormacht seind, volgen und gegeben werden sollen; ...58.
Umstritten ist hinsichtlich der Natur des Noterbrechtes die Interpretation der Nürnberger Reformation von 1564. Mit Stobbe59 ist wohl auch [Seite: 581] hier ein Anspruch auf formelle Erbeinsetzung (auf Grund von XXIX 9 § 2) anzunehmen60.
Während sich die Stadt- und Landrechte des 16. Jh.s zum größten Teil ebenso wie die deutsche gemeinrechtliche Doktrin (s. o. bei Anm. 28) enge an die justinianische Regelung des Noterbrechtes anlehnten, findet sich in vielen Landrechten des 17. Jh.s nur mehr ein materieller Pflichtteilsanspruch, kein Anspruch auf Erbeinsetzung, so im Kurkölnischen Landrecht von 166361 und im Trierer Landrecht in der Fassung von 1713 (I § 18): Die Eltern sind schuldig, den Kindern die Legitima "jedoch quocunque Titulo zu verlassen"62.
Auch in den niederösterreichischen Ländern war nur das materielle Noterbrecht rezipiert worden63
Bernhard Walther64 XIV (Von den Testamenten) 11,6. Wiewol die Recht vermügen, das die Legitima den Kindern nit per modum legati vel fideicommissi, sonder per modum institutionis durch die Eltern verordnet werden soll, so wirdet doch sollicher Unterschidt dem Landsbrauch nach nit gehalten, sonder wie und was Gestalt ein Geschäftinger seinen Kindern die Legitima verordnet, daran sein sy sich ersettigen zu lassen schuldig.
Hinsichtlich der Wirkungen einer Präterition oder Enterbung war nach österreichischem Landsbrauch zu unterscheiden: Nur bei Präterition durch den Vater war das Testament ipso jure ungültig; bei Enterbung mußte, auch wenn überhaupt kein Enterbungsgrund angeführt war, das Testament mittels querela inofficiosi testamenti angefochten werden65. Wenn der Pflichtteilsberechtigte zwar nicht als Erbe eingesetzt, ihm aber quocunque titulo etwas hinterlassen worden war, so blieb das Testament aufrecht und der Pflichtteilsberechtigte konnte bloß mit der actio ad supplendam legitimam die Ergänzung seines [Seite: 582] Pflichtteiles verlangen66. Der Pflichtteilsanspruch war aber nach dem österreichischen Recht des 16. und 17. Jh.s noch keine bloße Geldforderung wie nach heutigem Recht (ABGB § 774; Hofdekret v. 31. 1. 1844, JGS Nr. 781), sondern der Pflichtteilsberechtigte hatte Anspruch auf Anteile am beweglichen und unbeweglichen Vermögen67. Das "System des schlichten Pflichtteilsrechts oder der Geldforderung"68 wurde auch in das deutsche BGB (§ 2303 Abs. 1 Satz 2) aufgenommen.
Pflichtteilsberechtigt sind nach allen romanistisch gestalteten Stadt- und Landrechten jedenfalls die Deszendenten und die Aszendenten (Nürnberger Ref. XX 5; vgl. XV 3; Wormser Ref. IV 3, 3; IV 4, 5 Abs. 6; Frankfurter Ref. von 1509, 22; Württemberg. LR III 1, 10 und III 1, 11; Solmser LR II 23, 14; Kursächsische Konst. III 9). Kein Pflichtteilsrecht haben die Aszendenten nach österreichischem Landsbrauch, da sie nach diesem auch von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen sind.
Während die Nürnberger Reformation (XX 10) ein Pflichtteilsrecht der Geschwister und übrigen Seitenverwandten ausdrücklich ablehnt, wird von der völlig romanistischen Wormser Reformation (IV 2, 9) den Geschwistern ein Pflichtteilsanspruch gewährt, wenn ihnen eine persona turpis vorgezogen wurde (Cod. Iust. 3, 28, 27)70.
Einen materiellen Pflichtteilsanspruch hat der überlebende Ehegatte nach dem Württembergischen Landrecht III 1, 2 Abs. 15 (vgl. III 1, 12)71. Nach den Kursächsischen Konstitutionen III 772 besteht ein Pflichtteilsrecht des Ehegatten an der portio statutaria.
Die Geschichte der justinianischen Enterbungsgründe hat eine eingehende und vorzügliche Darstellung durch Joh. Merkel73 gefunden, so [Seite: 583] daß hinsichtlich Einzelheiten auf diese Untersuchung verwiesen werden kann. Aus der Formulierung der Enterbungsgründe lassen sich vielfach die Beziehungen zwischen den einzelnen Stadt- und Landrechten erkennen.
Die erste deutsche Version der Enterbungsgründe, welche das römische Recht rezipiert und die justinianischen Fälle fast alle verarbeitet hat, ist die Nürnberger Reformation (XV 2; XV 3)74. Der Nürnberger Reformation folgt die Wormser Reformation (IV 3, 4)75.
Die Frankfurter Reformation von 1509 (22) führt die Enterbungsgründe nicht im einzelnen an, sondern verweist einfach auf das gemeine Recht: "... oder uß redlichen ursachen, im rechten gegründt, im testament ußgedruckt enterben sollen." Eine bloße Verweisung auf das Kaiserrecht, die geschriebenen Rechte, die "gemeinen kaiserlichen Rechte" findet sich auch in den "Statuten und Ordnungen in Testamenten, Erbfällen und Vormundschaften" der Markgrafschaft Baden vom Jahre 151176, in der Constitutio Joachimica von 1527 (Kap. 6, letzter Abs.)77, in der Reformation des Erzstifts Köln von 1538 (Fol. 65)78 und im Solmser Landrecht (II 23, 14 "... genugsame Ursachen, so in den Rechten bestimbt und erklert ...")79.
Das Freiburger Stadtrecht von 152080 (III 5, 50-61, 62; III 5, 63-70, 71) lehnt sich hinsichtlich der Enterbungsgründe an die Nürnberger Reformation an81. Die Bayerische Landrechtsreformation von 1518 (IL 5 u. 6) hat die Enterbungsgründe fast wörtlich aus der Wormser bzw. Nürnberger Reformation übernommen82.
Im Württembergischen Landrecht (III 1, 13 u. 14) hält sich die Aufzählung der Enterbungsgründe strenge an die Nov. 115 c. 3 und 4; es bestehen gewisse Beziehungen zu Perneders Institutionen83. Württemberg. LR III 1, 15 (vgl. III 1, 2 Abs. 14) nennt als Enterbungsgründe gegenüber dem Ehegatten die Scheidungsgründe (gemäß der Württembergischen [Seite: 584] Eheordnung von 1553) und ferner in entsprechender Anwendung alle Enterbungsgründe zwischen Eltern und Kindern84.
Die Nürnberger Reformation (XX 5) übernimmt die justinianische Regelung: bis zu vier Kindern beträgt der Pflichtteil ein Drittel, bei fünf oder mehr Kindern die Hälfte des gesetzlichen Erbteils. Maßgebend ist die Anzahl der Kinder; hinsichtlich der Enkel gilt das Repräsentationsprinzip: "... anstat ires vaters oder muter für ein person zerechen".
Interessant ist die Regelung der Wormser Reformation (III 2, 27 Abs. 4): Kinder, die die Erbschaft cum beneficio inventarii antreten, haben Anspruch auf den Pflichtteil in der Höhe von einem Drittel der gesetzlichen Erbportion ungeachtet der Schulden. Die legitima wird hier von den Aktiven berechnet. Dies bedeutet eine Beschränkung der Haftung durch das Pflichtteilsrecht, die dem gemeinen Recht fremd ist. Sie mag mit älteren deutschrechtlichen Einschränkungen der Haftung des Erben zusammenhängen86; nach der Formulierung "so ordnen und wöllen wir" könnte es sich auch um eine originelle Regelung des Wormser Gesetzgebers handeln87.
Die Frankfurter Reformation von 1509 (22 "... nach vermöge der recht zu erben machen ...") verweist einfach auf das gemeine Recht.
Das reformierte Braunschweiger Stadtrecht von 1532 (§ 212) übernimmt ebenfalls die justinianische Regelung: Pflichtteil der Kinder ein Drittel bzw. die Hälfte88.
Die Constitutio Joachimica enthält keine Vorschriften über die Höhe des Pflichtteiles; wegen der allgemeinen Verweisung auf Kaiserrecht [Seite: 585] hinsichtlich der Enterbung (Kap. 6, letzter Abs.) gilt auch in dieser Frage grundsätzlich die justinianische Regelung89.
Diese findet sich auch in der Reformation des Erzstifts Köln von 1538 (Fol. 65)90; ferner im Württembergischen Landrecht (III 1, 10 u. 11): der Pflichtteil der Kinder beträgt ein Drittel bzw. die Hälfte, der Pflichtteil der Eltern ein Drittel. Der Pflichtteil des Ehegatten (s. o. B. II) beträgt einen Kindespflichtteil (III 1, 12); maßgebend ist für die Höhe die Anzahl der Kinder; der Ehegatte wird nicht mitgerechnet. Die Bemessung des Ehegattenpflichtteiles könnte sowohl aus der justinianischen Nov. 117 c.591 herrühren, wie aus dem Württembergischen Güterrecht, wonach der überlebende Ehegatte bei der gelegentlich seiner Wiederverheiratung stattfindenden Auseinandersetzung mit den erstehelichen Kindern vielfach auf einen Kindesteil beschränkt war92.
Die Kursächsischen Konstitutionen (III 9) sprechen von der "gebührlichen legitima"; nach III 11 soll die Gerade in die legitima der Tochter eingerechnet werden93.
Um die Höhe des Pflichtteiles festzustellen, ist zunächst der reine Wert des Nachlasses zu ermitteln94 (Ausnahme nach Wormser Ref. III 2, 27, s. o.). Dabei wurden aber nach vielen Partikularrechten die nicht frei vererblichen Bestandteile des Nachlasses, insbesondere Familienfideikommisse, Lehen u. a. nicht eingerechnet95.
Eine originelle Regelung des Noterbrechtes unter Heranziehung und Verbindung deutschrechtlicher und römischrechtlicher Prinzipien findet sich im Freiburger Stadtrecht von 152096, dessen Verfasser der berühmte Jurist Ulrich Zasius ist97, und in der Zwickauer Stadtrechtsreformation [Seite: 586] von 1539/69 des Stadtsyndicus Antonius Beuther98. Verschiedenartige Prinzipien finden sich auch im Landrecht von Jülich-Berg von 155599.
H. Knoche100 bezeichnet das Freiburger materielle Noterbrecht als "eine der eigenwilligsten gesetzgeberischen Leistungen, die wir in dieser Zeit finden"101. Das römische Noterbrecht wird nicht schlechthin übernommen, sondern mit deutschrechtlichen Instituten (Ehegüterrecht, Erbschaftsreserve) kombiniert.
Das Noterbrecht der Kinder ist im Zusammenhang mit dem Ehegüterrecht (III 3 Von erbfällen und andrer fürsehung zwüschen eelüten und irn kinden) geregelt102.
Freiburger Stadtrecht III 3, 1. Ein anzog uff die legittima. Wiewohl die geschribnen recht, als wir bericht sind, eeliche kind, die kein enterbung verschuldt, dergestalt versehen haben, daß vatter und mutter inen nit alles ir gut entziehen mögen, sonder verbunden sind inen zum minsten ein pflichteil, in latin legittima genant, zelassen, wie dann nach vili oder wenige der kunden solich legittima gemeret oder gemindert ist, so haben wir uns doch nach gelegenheit unser burgerschaft und inwoner solicher rechten nit sonderlich beladen, inmaßen hienach in disem dritten tittel von wort zu wort klarlicher anzögt würd, wie daß by uns gehalten werden soll.
Die alten ehegüterrechtlichen Satzungen der Verfangenschaft103 werden aufgehoben (III 3, 2). Nach der alten Satzung wurde der überlebende Ehegatte zwar Alleinerbe; zur freien Verfügung erhielt er aber nur die Fahrnis, die liegenden Güter waren den Kindern verfangen. An Stelle der Verfangenschaft tritt im Stadtrecht von 1520 die sofortige Teilung der Gütermassen mit Beisitzrecht, wobei für die Teilung schon Ansätze im alten System gegeben sind104.
Bei Tod eines Ehegatten wird bei beerbter Ehe das eheliche Gesamtvermögen in Quoten aufgeteilt105. Wenn der Vater starb, bekam die [Seite: 587] Mutter ein Drittel106, die Kinder zwei Drittel "von allem beyder eegemecht gut" (III 3, 3); Kleider und Kleinodien sowie die Morgengabe verblieben der Mutter als Voraus. Kinder aus vorhergehenden Ehen erben gemeinsam mit den Kindern aus der letzten Ehe. Bei Tod der Mutter erhielt der Vater zwei Drittel, die Kinder ein Drittel (III 3, 3). Die Kinder erlangen Eigentum; der überlebende Ehegatte behält die Nutznießung (Beisitz) an dem Vermögen, das den Kindern zufällt (III 3, 4; 6; 10).
Die den Kindern am gesamten Vermögen der Eltern zustehende Quote kann durch letztwillige Verfügung oder Verpflichtung unter Lebenden nicht gemindert werden.
Freiburger Stadtrecht III 3, 4. Testament und ordnungen mögen den kinden ir erbsgerechtigkeit nit mindern.
Und dise erbteil, so wann sy den kinden zu gefallen, sind sy demnach ir eigentumb, doch die nießung den eltern vorbehalten, wie hernach statt. Darumb, so lang solche nießung wert, mögent die erbfäll der kinden verfangenschaft genent werden. Es haben ouch vatter und mutter, alle die wil, sy byeinandern leben und sich die kind gepürlich halten, nicht macht, einich testament, vergabung oder ordnung zesetzen oder zetun, dadurch den kinden die vorgeschribnen ire erbsgerechtigkeiten abgeprochen wurden, als ouch dhein eeberedung, die disen erbfällen zu schaden diente, kreftig ist, wie obstat.
Wenn sich die Kinder den Eltern gegenüber nicht anständig verhalten ("undankbare Kinder"), ohne aber einen Enterbungsgrund zu setzen, so gelten die angeführten Bestimmungen nicht; sie haben nur Anspruch auf ein Viertel der Quote, die ihnen ansonsten zustehen würde (III 3, 5).
Dieses Viertel der undankbaren Kinder wird vom Stadtrecht (III 3, 8) als legitima oder Pflichtteil bezeichnet, ebenso wird aber auch die Quote vom Gesamtgut, auf welches die Kinder bei Wohlverhalten Anspruch haben, legitima genannt; hierbei handelt es sich in Wahrheit um eine Erbschaftsreserve, die den Kindern vorbehalten ist. Das Stadtrecht unterscheidet somit zwei Arten des "Pflichtteils" (III 3, 8 "zweyerley legittima oder pflichtteil").
Die Testierfreiheit von Eheleuten mit Kindern ist somit schon durch das eheliche Güterrecht (vgl. III 5, 2)107, verbunden mit dem System des zwingenden Familienerbrechts (System der Erbschaftsreserve) weitgehend ausgeschlossen. Das Viertel der "undankbaren Kinder" entspricht dem Pflichtteil des römischen Rechts108, wobei aber auch bei Berechnung dieses Viertels vom Gesamtvermögen der Ehegatten ausgegangen wird.[Seite: 588]
Unter Eltern und Kindern sind alle Aszendenten und Deszendenten zu verstehen (III 3, 9).
Auch die Testierfreiheit von Eheleuten ohne Kinder war nach älterem Stadtbrauch bedeutend eingeschränkt, weil ein Ehegatte nur mit Zustimmung des anderen testieren konnte, mit Ausnahme von Anordnungen betreffend Seelgerät und Jahrzeit109. Diese Gewohnheit wird vom Stadtrecht beibehalten.
Freiburger Stadtrecht III 5, 3. Von eelüten, die nit kind haben, wie die testieren mögen.
Im fall, do eelüt byeinandern wonen und einandern das best tund, die nit kind haben, setzen und ordnen wir, das eins on des andern willen nicht testieren noch verordnen mög, es wer dann, das ir eins umb siner sele heil willen, an milt sachen, ouch umb iarzyt, an unser gemein gut oder in ander solich weg etwas verordnen und verschaffen wölt; so es das mit erzelung gepürlicher ursachen vor uns tut und wir solichs zulassen, so sollen und mögen alsdann dieselben gescheft statt haben, sunst nit.
Bei kinderloser Ehe beerbte nach altem Statut ein Ehegatte den andern zur Gänze (III 3, 28). Nach der neuen Regelung des Stadtrechts bekommt bei Tod der Ehemann als Voraus sein gesamtes zugebrachtes, ererbtes und angefallenes Vermögen sowie das Heergewäte und drei Viertel des übrigen ehelichen Gutes; ein Viertel fällt an die Verwandten der Frau bis zum vierten Grade; der Ehemann hat an diesem Viertel die Nutznießung (III 3, 28). Stirbt der Ehemann, so bekommt die Witwe den entsprechenden Voraus (einschließlich der Morgengabe) und zwei Drittel des übrigen Gutes; ein Drittel fällt an die Verwandten des Verstorbenen bis zum vierten Grade, wobei der Witwe daran die Nutznießung zusteht (III 3, 29). Nur wenn das eheliche Vermögen ausschließlich aus Errungenschaft besteht, bekommt die Witwe drei Viertel (III 3, 31). Wenn keine Blutsverwandten bis zum vierten Grade vorhanden sind, so erbt der überlebende Ehegatte zur Gänze wie nach altem Stadtrecht (III 3, 34)110.
Bestimmungen über das materielle Noterbrecht der Aszendenten und Seitenverwandten sowie über das formelle Noterbrecht finden sich im Freiburger Stadtrecht III 5 "Von testamenten"111. Die Gebundenheit des Familiengutes, des Erbgutes, das System der Erbschaftsreserve, bestand auch gegenüber Aszendenten und Seitenverwandten112.[Seite: 589]
Bei der Erbfolge nach Kindern fallen zwei Drittel an ihre Aszendenten, nur über ein Drittel können sie frei testieren (III 5, 6).
Hat jemand weder Nachkommen noch Vorfahren, sondern nur Seitenverwandte ("eelich geborne sippfründ") bis zum vierten Grade, so steht diesen ein Drittel des Vermögens, das von gemeinsamen Vorfahren herrührt, zu (III 5, 7). Diese Beschränkung der Testierfreiheit gilt somit nur für das Erbgut, nicht für das "eigen gewunen gut" (III 5, 10). Der deutschrechtliche Gedanke des Fallrechts (paterna paternis, materna maternis)113 wirkt hier fort.
Auch unmäßige Verfügungen unter Lebenden, welche das Erbgut betreffen und die Anwartschaftsrechte der Verwandten gefährden, sollen unwirksam sein (III 5, 8), wenn sie nicht vom Rat genehmigt werden.
Liegende Güter sollen nicht an Stadtfremde vermacht oder veräußert werden; solche Verfügungen wären unwirksam, und das Gut würde an die "rechten erben” fallen (III 5, 11). Ausnahmen gelten zugunsten milder Stiftungen.
Dieses deutschrechtliche System der Erbschaftsreserve, das im Zusammenhang mit dem ehelichen Güterrecht des Freiburger Stadtrechts zu betrachten ist, wurde noch modifiziert und ergänzt durch Aufnahme des justinianischen formellen Noterbrechts (Nov. 115)114. Das Freiburger Stadtrecht (III 5, 50-61; III 5, 63-70) übernahm die justinianischen Enterbungsgründe der Nov. 115, wobei es sich an die Nürnberger Reformation anlehnt (s. o. B. III)115. Die Enterbung soll vor dem Rat oder Stadtgericht erfolgen und die Ursachen bewiesen werden. Wenn dies krankheitshalber nicht geschehen kann, soll der Enterbungsgrund im Testament angeführt und vom eingesetzten Erben bewiesen werden (III 5, 62 u. 71). Bei Vorliegen eines gesetzlichen Enterbungsgrundes kann den Kindern bzw. Eltern ihr Erbteil zur Gänze (einschließlich des Viertels der "undankbaren Kinder") entzogen werden.
Freiburger Stadtrecht III 5, 41. So der testierer sine kind unbillich enterbt hett.
Wann das testament der erbsatzung halb mangel, also das der vatter sine eeliche kind on kuntpare gnugsam ursach enterbt oder sy sunst fürgegangen und nit zu erben gesetzt het, so ist dieselb erbsatzung gefallen und zenichten und sol solich erb und gut allein den eelichen kinden gevolgen und nit den gesetzten erben; aber die legata und gescheft, so darin geordnet, die sind sy zu bezalen schuldig, es wer dann, das die vili oder große der summa solcher [Seite: 590] gescheft das erb zu vil beschwärte, so mögen die kind irn pflichtigen erbteil oder legittima, so inen nach inhalt der obbenenten unser statuten ye nach irm verdienen gesetzt ist und nit mag benomen werden, zevorderst abziehen uß dem andern gut, so übrig ist; so wyt sich das streckt, sind sy die legata, die nit wider unser stattrecht weren, on wyter abzug zebezalen schuldig, dergestalt, das gotsgaben an kilchen, gemeyn gut und an almusen zu vorderst ußgericht werden.
Mit dieser Bestimmung ist der Anspruch der Kinder auf formelle Erbeinsetzung (Nov. 115) übernommen. Das Freiburger Stadtrecht hat sich in der Frage der Unwirksamkeit des Testaments für das Nullitätsprinzip entschieden116.
Im Freiburger Stadtrecht ist das deutschrechtliche System der Erbschaftsreserve kombiniert mit dem formellen Noterbrecht des justinianischen Rechts, dem Anspruch auf Erbeinsetzung.
Freiburger Stadtrecht III 5, 42. Wa die erbsatzung sunst mangel hett.
Desglichen gefügte sich, das in der erbsatzung sunst mangel fürfiele deshalb, das etlich personen wider unsere stattrecht zeerben gesetzt weren oder der testator sunst in der erbsatzung geiirt hett oder das die erben das erb nit annemen wölten, so ist dieselb erbsatzung ouch zu nichten und falt das gut an die nechsten sippfründ; so verr das testament in anderweg nit mangelhaftig ist, so sind die sippfründ nach unserm statrecht schuldig, legata und gescheft, sy gehören wem sy wöllen, so verr dhein unser stattrecht dawider ist, ußzerichten. Doch wo das erb mit legata beschwert wer, mögen sy den vierdenteil davon abziehen, allermaß wie obstat.
Wenn ansonsten die vom Stadtrecht gezogenen Grenzen der Testierfreiheit überschritten wurden, etwa durch Verletzung der Rechte des Ehegatten, der Aszendenten oder Seitenverwandten, so hatte dies ebenfalls Ungültigkeit der Erbeinsetzungen zur Folge und das Vermögen fiel an die "nechsten sippfründ". Legate und Geschäfte blieben aber aufrecht117.
Unwirksam wurde ein Testament zur Gänze, wenn dem kinderlosen Testator nach der Testamentserrichtung eheliche Kinder geboren wurden oder er Kinder adoptierte (III 5, 39). Völlige Unwirksamkeit trat auch bei Verehelichung des Testators ein (III 5, 40)118. Beide Regeln finden sich auch in der Frankfurter Reformation von 1578119. Letztere Vorschrift, die dem gemeinen Rechte fremd ist, zeigt die starke Verwurzelung des Ehegattenerbrechts im deutschen Rechtsbewußtsein120.
Nach dem Freiburger Stadtrecht (III 5, 21) gilt der Satz "nemo pro parte testatus, pro parte intestatus decedere potest": "... dann es ist nit [Seite: 591] zuläßlich, daß die erbschaft zum teil testamentlich, zum teil naturlicher sypp sige"121. Es gilt das Recht der Akkreszenz (III 5, 20).
Der Verfasser der Zwickauer Stadtrechtsreformation von 1539 (revidiert 1569)122 der Stadtsyndikus Autonius Beuther, mußte bei der Redaktion den Weg zwischen Kaiserrecht, gemeinem Sachsenrecht123 und altem Zwickauer Gewohnheitsrecht suchen, fand aber den Mut zu schöpferischer Neuerung124. Die Zwickauer Stadtrechtsreformation zeigt mit keiner der vorhergehenden Stadtrechtsreformationen eine nähere Verwandtschaft125 Sie ist allerdings die erste im Stile der west- und süddeutschen gehaltene Stadtrechtsreformation im Gebiete des gemeinen Sachsenrechts, der terra iuris Saxonici126.
Beuther ergänzt die Erbfolgeordnung der Zwickauer Reformation durch Verweisung auf die "gemeinen landleuftigen sachsischen rechte" in einer "gemein regel" (III 1, 3). Das gemeine Sachsenrecht hat subsidiäre Geltung.
Beuther sollte und wollte das Recht seiner Stadt romanisieren. In III 2, B, 1 (Ausgabe S. 91) spricht er von der Legitima, dem Pflichtteil der Kinder, "so die naturliche und beschriebene rechte inen vorordent". Für ihn war das römische Recht zugleich das natürliche Recht, die ratio scripta127. In III 3, 7 erklärt er Testamente, die der Erbeinsetzung ermangeln, für unkräftig, ohne sie auf anderem Wege aufrecht zu erhalten; dies als Neuerung bloß aus dem Grunde, weil "vormöge gemeiner recht einsetzung und benennung der erben der testament substantial und furnehmister grund" sei128.
Das Zwickauer Stadtrecht sollte zunächst an das gemeine Sachsenrecht und sekundär an das römisch-gemeine Recht angeglichen werden, soweit es praktisch tragbar war129.
Die Stadtrechtsreformation (III 3, 2) stellte den Grundsatz der Testierfreiheit für wohlgewonnenes Gut auf unter Einführung des römischen Pflichtteilsrechtes; keine Testierfreiheit galt hingegen für unbewegliche Stammgüter; diese konnten nur mit Erbenlaub vergeben werden130. [Seite: 592]
Durch Erbverträge, Schenkungen, Testamente zwischen Ehegatten soll die legitima der Kinder nicht vermindert werden (III 2, 4). Während nach altem Stadtbrauch eine Ehefrau ihrem Manne das gesamte Vermögen zukommen lassen konnte, besteht nach der Reformation das römische materielle Noterbrecht (Pflichtteilsrecht)131.
Wenn die Frau vor ihrem Ehemann stirbt, gelten folgende Bestimmungen:
Zwickauer Stadtrechtsref. III 2, B. Der I. fal.
Stirbet ein weip und lest nach sich iren eheman und kindere, die sie ehelich mit ime ader aus voriger ehe gezeuget, hat sie nun allein bewegliche und keine unbewegliche oder aber allein unbewegliche oder beide bewegliche und unbewegliche gutere zu ihme pracht ader bei ihme bekommen und were auch kein creftig pact, ubergaeb nach testament vorhanden, so sal der man demselben kindern ire legitimam, so die naturliche und beschriebene rechte inen vorordent, von denselben seines vorstorbenen weibes zuprachten ader ererbten hinterlassenen beweglichen gutern geben und raichen und er, der man, die ubermaße, nemlich die beweglichen eigentumblich, aber die unbeweglichen zu seinem gebrauch auf sein leben nehmen und fur sich behalten.
III 2, B. Der II. fal.
Hette aber das vorstorbene weip beides, bewegliche und unbewegliche gutere, zu irem manne pracht ader bei ime bekommen, dan sal der man alle bewegliche gutere als sein aigentumb behalten. Und wo das weip irem manne die unbewegliche gutere alle ader zum teil durch ein pact in der eheberedung ader durch ein ubergab ader in iren testament kreftigerweise geeignet hette, so sal er den kindern darvon allein die gepurende legitimam zu geben schuldig sein und, was daruber bleibet, fur sich behalten.
Es findet hier ein merkwürdiges Eindringen des römischen Pflichtteils zugunsten der Kinder in das sächsische gesetzliche System der Güterfolge statt, wonach die von der Frau eingebrachte Fahrnis (außer der Gerade) zur Gänze dem Manne folgt132.
Wenn die Verstorbene bewegliches und unbewegliches Gut zu ihrem Manne gebracht oder bei ihm bekommen hat, soll die Legitima nur von den unbeweglichen Gütern berechnet werden (2. Fall). Die an sich außerhalb des Erbgangs liegende Fahrnis wurde dem Ehemann ungekürzt belassen; hier verbleibt Beuther beim Sachsenrecht133.
Wenn die Frau aber überhaupt kein liegendes Gut hinterläßt, so daß die Kinder ganz leer ausgehen würden, sollen diese von der dem Manne zufallenden Fahrnis den Pflichtteil erhalten (1. Fall). Das Problem war in den Städten durch den mit dem wirtschaftlichen Aufschwung verbundenen Zuwachs an Fahrniswerten entstanden; es erschien nun unbillig, [Seite: 593] daß die gesamte wertvolle Fahrnis dem Ehemann zufallen und die Kinder zufolge Fehlens von Liegenschaften leer ausgehen sollten134
Beuther schuf hier Abhilfe, indem er das Rechtsinstitut der Legitima heranzog und dieses damit auf ein diesem Institut ursprünglich fremdes Anwendungsgebiet verpflanzte: „durch die Verwendung der Legitima nicht mehr bloß zum Schutze der Kinder gegen Verfügungen der Eltern, sondern auch gegen die Auswirkung eines gesetzlichen Erbfolgesystems"135.
Die weitere Entwicklung führte zu einer noch stärkeren Romanisierung (kurfürstlicher Erlaß vom 22. April 1545 und Spruch der Leipziger Schöffen vom Jahre 1553 in einer Zwickauer Sache)136. Danach soll die Legitima von allem Muttergut, Liegenschaften und Fahrnis, berechnet werden und zu ihrer Erfüllung, wenn das liegende Gut nicht ausreicht, die Fahrhabe beitragen. Auf das Gleiche laufen wohl die Änderungen der Revision des Stadtrechts von 1569 (III 2, B, 1. Fall, Änderungen in Kursivdruck) hinaus137.
Nach dem Landrechte von Jülich und Berg von 1555138 Cap. 69 „Von Testamenten" besteht Testierfreiheit nur für „bewegliche fahrende Haab und Güter", nicht für „erbliche liegende und unbewegliche" (Stock- und Stammgüter), wohl auch für „gewonnene und geworbene Güter"; eine Verfügung über Stammgüter ist nur mit Zustimmung der nächsten Erben zulässig139; hier hat sich das alte Erbenwartrecht erhalten.
Hinsichtlich der beweglichen und fahrenden Güter gilt Pflichtteilsrecht:
Cap. 69 (Letzter Abs.) Und gleich wie die Elteren einem ihrer Kindt oder Enkelen, für den anderen etwas auss ihren beweglichen und fahrenden Gütern fürauß und doch ohn Abzug und Schmählerung des gebührenden Kindt- und natürlichen Antheils oder legitimae zuordnen mögen...
Die gemeinrechtlichen Enterbungsgründe sind übernommen (Cap. 72).
Im Jülich-Bergischen Landrecht findet sich eine Verbindung von deutsch- und römischrechtlichen Prinzipien.