Quelle: Otto Peterka, Zur deutschen Bürgschaft im Rezeptionszeitalter, in: Festschrift Adolf Zycha ... zum 70. Geburtstag am 17. Oktober 1941 ... [Weimar 1941] S. 337 — 370. :: Transkription Speer 2018
Das Todesjahr Otto Peterkas ist 1945, so dass seine Werke seit 2015 gemeinfrei sind [§ 64 UrhG.]
Bei der Transkription wurden Verweise auf externe Quellen nach Möglichkeit in Hyperlinks auf deren Digitalisate umgesetzt. Es war allerdings nur vereinzelt möglich, über die formale Stimmigkeit hinaus auch die sachliche Richtigkeit des Zitats zu überprüfen, so etwa bei der Nürnberger Reformation von 1479, wo Peterka irrtümlich den XXVIII. Titel als XX. zitiert.
Die Studie behandelt ein Sondergebiet der Privatrechtsordnung, um die Beantwortung der Frage zu fördern, wie die Rezeption des römischen Rechtes mit altem deutschem Rechtsgut verfuhr, ob und inwieweit von einer Verdrängung, einer Verschmelzung oder einem Fortleben deutscher Rechtsanschauungen gesprochen werden kann. Eine dahingehende Untersuchung bezüglich der Kleinwelt der Bürgschaft allein bildet sonach einen Teil dieses für die neuzeitliche Privatrechtsgeschichte grundlegenden Untersuchungsfeldes. Ein Herausgreifen des Bürgschaftsrechtes von diesem Forschungsstandpunkte aus ist verlockend und in besonderem Maße gerechtfertigt. Es standen sich zwei Grundanschauungen des germanischen und des klassischen römischen Rechtes, wie es rezipiert wurde, gegenüber: im germanischen Recht eine begriffliche Trennung von Schuld und Haftung mit pfandartigem Einsatze des Bürgen für die Erfüllung oder die mit ältesten Formen der Gläubigerbefriedigung zusammenhängende Gestellungsbürgschaft, welche eine besondere, innerlich von der Schuldnerschuld unterschiedene Bürgschaftsschuld schuf, — im römischen Recht das grundsätzliche Verschmelzen von Schuld und Haftung in der Person des Bürgen, seine Stellung als gleichartigen Schuldners hinter dem Hauptschuldner und die Auswirkung dieser Auffassung auf alle Gestaltungen und Schicksale der Bürgschaft.
Im Laufe des MittelaltersN.1, vorab in der stadtrechtlichen Entwicklung haben die Grundlagen des deutschen Bürgschaftsrechtes [Faksimile] unbeeinflußt von fremdem Rechte Abschwächungen erfahren, welche eine Angleichung der rechtlichen Stellung des Bürgen an jene des Schuldners anbahnten. Für die pfandartige Leibbürgschaft war dabei hauptsächlich ihre Wandlung zur Vermögensbürgschaft richtunggebend. Immer zunehmend gelobte auch der Schuldner zur Schuld, übernahm auch er die Selbsthaftung für seine Schuld, andererseits stellte sich der bisher pfandartig gesetzte Bürge auch als Schuldner in schuldnerischem Sollen an dessen Seite. Der Austrag der Tatsache, daß es nun zwei Schuldner und zwei Haftende gab, war verschieden; entweder blieb es im Anschluß an die ursprüngliche Gestaltung bei der Voraushaftung des Bürgen, oder es kam zur Gleichhaltung der Beiden, oder man sah es endlich als das Entsprechende an, den Schuldner, wenn auch nicht voraus zu klagen, so doch wenigstens voraus zu mahnen. Folgerichtig führte die Entwicklung einer Vermögensbürgschaft die allmähliche Erschütterung des alten Grundsatzes der Unvererblichkeit der Bürgschaft herbei. Im Wesen unverändert blieb die Behandlung des gesamthänderischen Nebeneinanderbestehens mehrerer Bürgen, ebenso das unmittelbar eintretende Rückgriffsrecht des Leistenden auf den Schuldner als eine auf deliktischer Anschauung beruhende Ersatzpflicht des Schuldners. — Die Gestellungsbürgschaft als eine gegenständlich von der Schuldnerschuld verschiedene Leistungspflicht des Bürgen blieb fortbestehen, wenngleich ihre Anwendung sich zunehmend auf Deliktsfälle einschränkte zur Sicherung der Stellung des nicht gefangengenommenen Schuldners im Gerichte. Fortbestehen blieb ferner gegenüber der Sicherung durch eine Sachhaftung die breite Übung des Bürgensetzens und immer war es die Haftung, welche im Rechtsempfinden das kennzeichnende Merkmal der Bürgschaft bildete.
Demgegenüber gibt die römische fideiussio des sog. klassischen römischen Rechtes, die in deutschen Landen übernommen wurde, ein Bild innerlicher Gleichheit der Bürgschaft mit der Hauptschuld und der untergeordneten Abhängigkeit der Bürgenschuld von der Hauptschuld. Geht das deutsche Recht von der Haftung des Bürgen aus, so ist die Grundlage der fideiussio seine Schuld. Daraus folgt, daß die Bürgschaftsschuld mit anderen vermögensrechtlichen Obligationen die Vererblichkeit teilt, daß die Mehrheit von Bürgen unter die Grundsätze des Verhältnisses mehrerer Schuldner gestellt wurde, und ein Rückgriff des Bürgen auf den Schuldner die Übertragung der Gläubigerrechte erheischte. — Es mag jedoch nicht [Faksimile] unvermerkt bleiben, daß die Gestaltung, welche die römische Bürgschaft in der fideiussio fand, dem ursprünglichen römischen Rechte nicht eigen war; gleich anderen antiken Rechten, dem babylonisch-assyrischen, dem altgriechischen Recht, beruhte das altrömische Recht auf denselben Haftungsgrundlagen der Bürgschaft, wie das germanische Recht. Es erfolgte eine der Geschichte der deutschen Bürgschaft vergleichbare Wandlung, hier aber zum vollen schuldrechtlichen Standpunkte und ohne ersichtliche Einwirkung der Aufnahme fremder Rechtsgedanken.N.2
1. Zwar noch im Hochmittelalter entstanden, gehört als frühes Zeugnis der Überschichtung deutscher und römischer Rechtsbildung das Brünner Schöffenbuch doch schon in das Untersuchungsgebiet der vorliegenden Studie. Mit ihm sei sonach bei der Betrachtung des Schicksals, welches dem Bürgschaftsrechte durch die Aufnahme des römischen Rechtes beschieden war, der Anfang gemacht. Das Buch reicht schon in zwei äußeren Umständen in das Rezeptionszeitalter hinüber. Es war ein römischrechtlich geschulter Stadtschreiber, welcher hier die Entscheidungen und angewandten Rechtsätze des Brünner Oberhofes wiedergab und in seinen Erwägungen alteingelebtes Recht mit solchem römischrechtlichen Ursprungs verband. Sodann ist das Brünner Schöffenbuch zur Grundlage der im 16. Jahrhundert im Werke Koldins vorgenommenen Vereinheitlichung des Stadtrechtes in Böhmen geworden. Gemäß der alphabetischen Anordnung des Brünner SchöffenbuchesN.3 finden die bürgschaftsrechtlichen Bestimmungen [Faksimile] (de fideiussoribus) in einem Kapitel zwischen dem capitulum de feriis und dem capitulum de fuga ihren Platz. So gibt schon der Titel die Kenntnis des römisch-rechtlichen Bürgschaftsinstitutes in der Form der fideiussio kund, andererseits fehlt aber eine den Digesten entsprechende Einreihung der Bürgschaft unter die schuldrechtlichen Vertragstypen. Ein erster Blick auf die in diesem Kapitel behandelten Fälle und Bestimmungen zeigt, daß jene Stellen, wo das Buch besondere Fälle unter Nennung der in Betracht kommenden Personen und Orte ausführlich behandelt, dem deutschen Rechte viel näher stehen als jene, wo weit kürzer, unter Verzicht auf eine Angabe eines zugrundeliegenden Falles und der Parteien, Rechtssätze wiedergegeben werden.
Jene erstere Gruppe mit ausführlichen Angaben bringt sehr bemerkenswerte Fälle, aus welchen das Fortleben der deutschen Gestellungsbürgschaft spricht. Dem ersten dieser Fälle (c. 289) lag der Tatbestand zugrunde, daß bei einer Gestellungsbürgschaft der Bürge den verbürgten Totschläger vor Gericht stellte, jedoch ohne eine Erklärung, hiermit seine Gestellungspflicht erfüllt zu haben. Der Totschläger, welcher bei der Eidesleistung unterlag, entfloh aber, während sich die Schöffen behufs Urteilsfällung entfernten. Es entstand nun die Frage, ob der Bürge zur Erfüllung seiner Bürgschaft und zur Befreiung von derselben nicht hätte ausdrücklich erklären müssen, daß er den Verbrecher stellt. Es wurde in dem Sinne entschieden, daß der Bürge auch bei einer nur stillschweigenden Gestellung von seiner Bürgschaft befreit sei. In gleicher Weise sollte Befreiung des Bürgen eintreten, wenn der Verbürgte sich selbst stellte oder die Schuld, für welche er einen Bürgen gesetzt .hatte, beglich. Hier steht sonach das Brünner Schöffenbuch noch vollends auf dem Boden des deutschen Rechtes und entscheidet die Streitfrage zugunsten des Gestellungsbürgen.N.4 Bemerkenswert ist es, daß die Entscheidung "in causis tam criminalibus quam civilibus" gelten solle, womit sonach ein Zeugnis der Anwendung der Gestellungsbürgschaft auch außerhalb des strafrechtlichen Bereiches gegeben ist. — Eine gleichartige Streitfrage deutscher Gestellungsbürgschaft war es, ob der Tod des zu Gestellenden den [Faksimile] Bürgen befreit. Mit ihr beschäftigt sich ein einschlägiger, im Brünner Schöffenbuch ausführlich mitgeteilter (Z. 294) Rechtsstreit. Die Entscheidung schließt sich hier dem schon in einer SchöffensatzungN.5 ausgesprochenen Grundsatze an, daß der Bürge durch Gestellung des Toten vor Gericht seiner Bürgschaft ledig wird. Der Schöffenspruch will dies allerdings unbedingt nur bei einem natürlichen Tode des zu Stellenden gelten lassen, während er bei gewaltsamen, in ungebührlichem Streite herbeigeführten Lebensende eine besondere Erwägung des Falles durch die Richter vorbehält.N.6 Allgemein wird die Befreiung von der Bürgschaft durch fristgemäße Stellung des Toten im Gerichte in einer anderen Entscheidung des Schöffenbuches (Z. 291) ausgesprochen. Hier wird jedoch gleichzeitig eine Milderung der Gestellungspflicht für die schuldrechtliche, nicht strafrechtliche Bürgschaft zuerkannt. Der Bürge für eine Schuld kann sich schon durch das Zeugnis von dem erfolgten Tode befreien, ohne die Gestellung selbst durchführen zu müssen. — Deutschrechtlichen Charakters sind weitere Einträge des Schöffenbuches mit Entscheidungen über die Pflicht zur Bürgschaftsleistung (Z. 290, 293, 296) und über die Ledigung des Bürgen durch die Befreiung des Schuldners (Z. 292). — Bezüglich der Vererblichkeit der Bürgschaft nähert sich das Brünner Schöffenbuch, im Einklang mit der Entwicklung mittelalterlichen Rechtes, dem römischen Recht; dies geschieht jedoch nicht im Wege einer Übernahme des römischen Rechtes, sondern im deutschrechtlichen Geiste durch Anerkennung der Erbenhaftung bei der Bürgschaft bloß soweit es sich um vom Bürgen ererbtes Gut handelt.
Erst im letzten Abschnitt (Z. 297) des der Bürgschaft geweihten Kapitels werden zwar unter Berufung auf getroffene Entscheidungen, jedoch ohne eine nähere Bezeichnung, Rechtssätze angeführt, die zum großen Teile schon dem römischen Rechte entnommen sind. So lehnt sich die Zuerkennung einer Möglichkeit den Bürgen vor dem Schuldner zu belangen, wenn dieser abwesend ist, an die Nov. 4 c. 1 an; ferner sind die Fälle, in welchen der Bürge vor Bezahlung der Schuld den Schuldner belangen kann, den Digesten (fr. 38 D. 17, 1) entnommen. Der Bürgenrückgriff wird unter fast wörtlicher Übernahme der Nov. 4 an die Zession der Ansprüche des Gläubigers gebunden; allerdings erkennt im gleichen [Faksimile] Absatze das Brünner Schöffenbuch dem Bürgen ein Rückgriffsrecht auch vorbehaltlos zu, was der deutschen Rechtsanschauung entspräche. Die dem Bürgen befreiende Wirkung einer gegen seinen Willen oder ohne sein Wissen dem Schuldner bewilligten Verlängerung der Zahlungsfrist könnte höchstens nur entfernt mit fr. 62 D. 46, 1 in Zusammenhang gebracht werden.
Zusammenfassend kann gesagt werden: das Brünner Schöffenbuch hielt im ganzen, insbesondere was die Gestellungsbürgschaft anlangt, am eingelebten Rechte fest, und nur ergänzend, um besonderen Fragen des Rechtslebens gerecht zu werden, nahm es zur viel reicheren Behandlung einzelner Fälle im römischen Rechte seine Zuflucht. Es ist hierbei auffällig, daß — wie die späteren Bemerkungen noch zeigen sollen — es gerade die im Brünner Schöffenbuch dem römischen Rechte entnommenen Regelungen waren, welche auch in den späteren deutschen Stadtrechtreformationen immer wiederkehren.
2. Das Brünner Recht und damit auch das Brünner Schöffenbuch war neben römischer Denkweise und römischer Regelung eine Grundlage der Vereinigung der Stadtrechte Böhmens in den sog. Koldinschen Stadtrechten. Diese stellen sich — von Rudolf II. genehmigt, in Druck gelegt (1579) und pflichtmäßig im königlichen Appelationsgericht angewendet — anderen amtlichen Stadtrechtreformationen an die Seite. Die starke Berücksichtigung des römischen Rechtes, welche Koldin in vielen Teilen seiner Arbeit durchführteN.7, ließe es erwarten, daß dies auch für das Bürgschaftsrecht gälte. Allein dem ist nicht so; vielmehr zeigen die Koldinschen Rechte — gemessen an der Verteilung des deutschen und römischen Rechtsgutes in den anderen deutschen Stadtrechtsreformationen — ein auffälliges, fast ungetrübtes Fortleben heimischen Rechtes. Ja selbst gegenüber dem Brünner Schöffenbuche ist nicht ein Fortschritt, vielmehr ein Rückgang römischen Einflusses in Ausdruck und Regelung zu beobachten. In allen grundlegenden Fragen zeigt Koldins Werk in voller Klarheit deutschrechtliche Grundsätze, mit welchen auch das böhmische LandrechtN.8 seit je in Einklang [Faksimile] war. Bezüglich der Haftung des Bürgen und jener des Schuldners halten die Koldinschen Stadtrechte in sehr bemerkenswerter eindeutiger FassungN.9 an der Ersthaftung des Bürgen fest (J.VI.). Die Haftung mehrerer Bürgen ist ohne eine Übernahme des beneficium divisionis im Sinne deutschrechtlicher anteilsmäßiger Gesamthaftung der Bürgen geregelt und es gibt sich altes Recht, insbesondere in der weiteren Bestimmung kund, daß bei Vorversterben der Mitbürgen der einzigüberlebende Bürge die Haftung für die ganze Summe zu tragen habe (J. VII.). Die Koldinschen Stadtrechte sprechen sich ferner grundsätzlich für die Unvererblichkeit der Bürgschaft aus, dies sogar unter Berufung auf das Rechtssprichwort "Die Bürgschaft stirbt mit dem Bürgen" (J. XIII.). Lediglich, falls und insoweit die Bürgschaft "durch eine Verschreibung auf ein Gut versichert ist", soll sie auf die Erben übergehen. In dieser Einschränkung folgen die Koldinschen Rechte dem oben S. 341 bemerkten deutschrechtlichen Standpunkte. — Der Rückgriff des Bürgen ist ebenfalls deutschrechtlich gestaltet: Er tritt von selbst ein, eine Zession der Gläubigeransprüche fordern die Koldinschen Stadtrechte nicht (J. VIII). An besonderer Stelle (J. XXIV.) wird dies unter Berufung auf die "lautere, natürliche Gerechtigkeit", daß jener, der aus "Lieb’ und Freundschaft" für einen anderen gehandelt, nicht Schaden leiden dürfe, ausführlich begründet.
Bei solcher Einstellung ist es fast selbstverständlich, daß die Koldinschen Rechte die Gestellungsbürgschaft in vollem Maße fortleben lassen. Sie kennen die Gestellungsbürgschaft nicht nur in Strafsachen, sondern auch bei der Bürgschaft um Geldschulden (J. XI.). Die Folgerungen einer Unmöglichkeit der "Fürstellung" des Ausgebürgten werden in aller Strenge unter Gleichsetzung des Bürgen mit dem Verbürgten gezogen (J. XII.). Bezüglich der Rechtsfolgen der nichterfolgten Gestellung im Falle eines Mordes oder "sonst anderer wichtigen großen Tat", einer peinlichen oder Hauptsache ziehen die Koldinschen Rechte unter Zitierung des Satzes "fideiussor enim non tenetur in Causis poenalibus" den [Faksimile] Schluß aus der Wandlung des Strafensystems, daß der Bürge hier nur eine bestimmte Geldstrafe zu leisten habe, nicht gleich dem Täter peinlich bestraft werden solle (J. XXI.). Nur wenn er "in Fürstellung des Ausgebürgten nicht aufrichtig gehandelt" hätte, soll er als ein "schlimmer Mann und Betrüger mit Gefängnis oder Benehmung aller seiner Haab und Güter, auch mit Relegirung" gestraft werden. — Wie das Brünner Schöffenbuch beschäftigen sich die Koldinschen Rechte mit den Rechtsfolgen des Schweigens bei der Gestellung, hier aber im Sinne des Altstadt Prager Rechtes, daß eine ausdrückliche Bitte um Befreiung von der Gestellungsbürgschaft für notwendig erklärt wird (J. XVIII.). Berührungen mit dem römischen Rechte sind nur in geringem Maße festzustellen. So stützt sich das Recht des Bürgen in gewissen Fällen der Unsicherheit des Ausgebürgten vor erfüllter Bürgschaft Befreiung zu verlangen auf die schon im Brünner Schöffenbuch übernommene Digestenbestimmung. — Bemerkenswert ist es, daß die Koldinschen Rechte (J. XXII. 2) die Geltung des S. C. Velleanum (Constitutio Vellejana) ausdrücklich ablehnen; sie lassen im besondern freiwillige Bürgschaft der Ehefrau für den Gatten, einschließlich der Schadlos-Bürgschaft, zu. — Aus der mittelalterlichen Rechtslage übernahmen die Koldinschen Rechte bei vorgeschriebenen Bürgschaftsleistungen die Regelung, wonach bestimmte Personengruppen hierzu für untauglich erklärt werden (Priester, Weiber, Kriegsleute, junge Leute "die ihre Jahre nicht haben", Nichtansässige) (J. XXII. 1). — Endlich sei bemerkt, daß die einleitende Begriffsbestimmung (J. IV.) dem Haftungscharakter der Bürgschaft (§ 2) Rechnung trägt und insbesondere die Handreichung als von "altersher gebräuchliche" Form der Eingehung der Bürgschaft hervorhebt. Der der Bürgschaft gewidmete Abschnitt trägt zwar auch hier, ähnlich wie im Brünner Schöffenbuch, den Titel "de fideiussoria obligatione" — die vorangestellten Worte "De Vadimonio, sive" zeigen aber, daß darin nicht eine begriffliche Übernahme des römisch-rechtlichen Institutes gelegen war.
3. Für die Rezeptionsgeschichte in Deutschland kommt als zusammenfassenden, unter Einfluß des gemeinen Rechtes stehenden Gesetzgebungen den stadtrechtlichen Reformationen eine längst erkannte hohe Bedeutung zu. Die älteste der reichsstädtischen Neuregelungen ist die erste Fassung der Nürnberger Reformation aus dem Jahre 1479. Dies ist gewiß ein Grund für die verhältnismäßige Ursprünglichkeit ihres Inhaltes und für ein noch geringes Maß [Faksimile] ihrer Beeinflussung durch das römische Recht. Ein Anschluß an die überlieferte deutsche Rechtssprache und Gesetzgebungstechnik sind ihre charakteristischen Merkmale.N.10 Dies tritt für den Bereich der Bürgschaft deutlich zutage. Nirgends findet sich, auch wo sie sich auf "das gemeine und kaiserliche Recht" (wie XX. [recte: XXVIII] Titel, 16. Gesetz) beruft, eine wörtliche Übernahme römischen Quellentextes. Nur an einer Stelle, wo die Reformation von der Haftung mehrerer Bürgen "insolidum" spricht, schleicht sich ein lateinisches Wort in die Sprache des Gesetzes ein. Die Fortführung überkommener deutscher Rechtsregelung gibt sich deutlich schon in der systematischen Einreihung bürgschaftsrechtlicher Bestimmungen kund. Sie finden sich nicht etwa in einem selbständigen Abschnitte über Verträge, sondern sie sind mit der Behandlung der Gewährschaftsleistung des Verkäufers, wohl wegen der Häufigkeit dieses Anwendungsfalles der Bürgschaft im deutschen Rechtsleben verknüpft. Dies ist gleichzeitig ein Zeugnis innerer deutschrechtlicher Betrachtung, da die Gewährschaft ein fortdauernd vom römischen Rechte im Wesen unbeeinflußt gebliebenes Gebiet darstellt.
So kann es nicht wundernehmen, daß die besondere Ausgestaltung der Bürgschaft in dieser frühen Reformation dem alten Rechte noch verwandt blieb. Zunächst gilt dies von der Gesamtauffassung der Bürgschaft, als eines vom Schuldner gesetzten pfandartigen Sicherungsmittels — nicht als eines vom Bürgen mit dem Gläubiger abgeschlossenen Vertrages. Deutlich tritt solches zutage, wenn (17. Ges.) vom Schuldner als von demjenigen gesprochen wird, der den Bürgen "versetzt" hat. Die einzelnen Fragen des Bürgschaftsrechtes finden hier eine Lösung, die selbst, gemessen an der Entwicklung des deutschen Stadtrechtes gegen Schluß des Mittelalters, ein stärkeres Festhalten an altüberkommenem Rechtsgut darlegt. So zunächst für das Verhältnis der Bürgenhaftung zum "Selbstschuldner". Keine Subsidiarität der Bürgenhaftung soll gelten, sondern Gleichheit: Der Gläubiger "mag die Selbstschuldner ungeledigt der Bürgen oder die Bürgen ungeledigt der Selbstschuldner mit Recht fürnehmen" (21. Ges.). Der Ausdruck "Selbstschuldner" gegenüber dem Bürgen tut sprachlich die Grundauffassung dar, daß nur für den Schuldner das schuldnerische Sollen galt, der Bürge im Wesen Hafter war. Allerdings geht die [Faksimile] Reformation von der im Mittelalter entwickelten Gestaltung aus, daß sich mit der Schuld des Schuldners gleichzeitig seine eigene Haftung verband. Diese Regelung der ersten Nürnberger Reformation erklärt sich ungezwungen aus der deutschrechtlichen Bürgschaftsauffassung und es wäre daher unangebracht, sich hierfür auf ein besonderes Vorbild venetianischer gleichgearteter Normierung zu berufen.N.11 — Eine sehr bemerkenswerte Selbständigkeit gegenüber dem römischen Recht zeigt ferner die Behandlung der Haftungsverhältnisse mehrerer Bürgen in dieser Reformation. Hier erscheint das beneficium divisiones nicht übernommen, vielmehr zeigen die Bestimmungen (20., 22. und 23. Ges.) einen Anschluß an die Behandlung der Gesamthaftung im mittelalterlichen Stadtrechte. Es wird für die Verpflichtung mehrerer Bürgen der Grundsatz an die Spitze gestellt, daß sie "insolidum oder unverscheidenlich" haften. Hieraus wird die Folgerung abgeleitet, daß der Gläubiger einen der Bürgen allein um die ganze Summe haftbar machen ("fürnehmen") kann. Wenn aber der Gläubiger den Bürgen nur um den auf ihn — mit Rücksicht auf die Mitbürgschaft anderer — entfallenden Teile klagt, soll der Bürge mit dieser anteilsmäßigen Zahlung befreit und "der ubermaß geledigt" sein. Dem allein um die ganze Schuld in Anspruch genommenen Mitbürgen wahrt die erste Nürnberger Reformation den Ersatz seiner Mehrleistung in der Weise, daß er sich zunächst an den Schuldner, "der ihn versetzt hat", um den Ersatz ("die bekerung") seiner Leistung ("hauptsach und schaden") wenden kann. Sollte dieser schuldnerische Ersatz nicht zu erlangen sein, dann könne er "zu gleicher Markzahl" den Ersatz seiner Mehrleistung (die "ubermaß") von seinen Mitbürgen "ervordern". Diese im Geiste deutscher Gesamthaftung gehaltene Regelung kommt sonach wirtschaftlich den Zielen des römischen beneficium divisiones nahe. — Wie schon der eben erwähnte Rückgriff des Mitbürgen auf den Schuldner zeigt, so legt auch die Bestimmung des 19. Ges. fest, daß der Gewährschaftsbürge beim Kaufe sich an den "Selbstschuldner" um den Ersatz alles Schadens, welchen er "solcher Bürgschaft halber erlitten" ohne weiteres halten könne. Es wird hierzu sonach keine Rechtsübertragung durch den befriedigten Gläubiger gefordert, noch werden Erwägungen eines Mandates oder [Faksimile] einer Geschäftsführung ohne Auftrag angestellt. Es setzt sich hier die Auffassung des Bürgen als eines vor die Schuld gestellten Hafters in der Rückgriffsfrage fort.N.12 — Im Zusammenhange mit dem Rückgriffe auf die Mitbürgen spricht die Reformation aus, daß die Mitbürgen oder ihre Erben in Anspruch genommen werden. Hieraus kann auf die Vererblichkeit der Bürgschaft geschlossen werden. Im 15. Ges. wird zwar gesagt, daß der Bürge "sein Lebtag" verpflichtet sein solle; in dieser Bestimmung liegt jedoch nicht eine Beschränkung auf die Lebensdauer des Bürgen schlechthin, sondern es will nur gesagt sein, es hätten keine zeitlichen Grenzen zu gelten, falls die Bürgschaft nicht ausdrücklich auf eine kürzere Zeit beschränkt wurde. Bei der allgemeinen schon im Hochmittelalter erfolgten Entwicklung auch des deutschen Rechtes zur Erblichkeit der Bürgschaft, kann dies für die Nürnberger Reformation um so eher angenommen werden, als sie eine auf die persönliche Betätigung des Bürgen aufgebaute Gestellungsbürgschaft nicht regelt. — Bezüglich der Fähigkeit, Bürge zu werden, kennt die erste Nürnberger Reformation zwar die Einschränkung des S. C. Vellaeanum betreffs des Ausschlusses der Frauen-Interzession, da sie sich für die Bürgschaft "der Jungfrauen und Frauen" einleitend auf die "gemeinen geistlichen und kaiserlichen Rechte" beruft (16. Ges.); doch wird die Befreiung der Frau durch so viele Ausnahmen durchbrochen, daß es fast einer Ablehnung der römischrechtlichen Regelung gleichkommt. Diese Ausnahmen nicht fremdrechtlichen Ursprungs, sondern bodenständiger Art, sollen "zur hanthabung der hantierung und des gemeinen glauben" eintreten. Die nicht elterlicher oder vormundschaftlicher Gewalt unterstehende Jungfrau oder Frau, die zusammen mit dem Manne handeltreibende Frau, die Witwe, endlich die Jungfrau oder Frau, welche die "Bürde der Vormundschaft oder versorgnus" übernommen und deshalb Bürge wird, sie alle sollen "mit kraft der purgschaft verpunden" sein.
Ziemlich einläßlich beschäftigt sich die Reformation mit Fragen der Befristung und der vorzeitigen Lösung "Ledigung" der Bürgschaft. Diese Bestimmungen zeigen eine Anlehnung an das römische Recht. Das 16. Gesetz befreit den Bürgen von weiterer Bürgschaft, wenn der Gläubiger dem Schuldner ("Selbstschuldner") ohne Wissen oder gegen den Willen des Bürgen eine längere Zahlungsfrist [Faksimile] gewährt. Eine andere Gruppe von Fällen vorzeitiger Lösung der Bürgschaft bringt das 17. Gesetz. Es gibt dem Bürgen das Recht auf "Enthebung und Bekehrung der Bürgschaft", wenn der Schuldner "der den Bürgen versetzt hat", seine Zahlung zwei Jahre nach der ihm gesetzten Zahlungsfrist hinhält ("in die leng verzeucht, unvolzogen der selben") oder der Bürge "solcher purgschafthalb mit rechtlicher erkantnus zehalten uberwunden wirt" oder wenn der Schuldner in seiner Zahlungskraft herabgemindert ist oder endlich wenn er sein Vermögen verschwendet ("das sein zerstreut und onwirt"). Hierin folgt die Reformation der gemeinrechtlichen Glossierung einschlägiger DigestenbestimmungenN.13 und steht sonach auf römischrechtlichem Boden, aber die wörtliche Fassung hält sich ohne Berufung auf das römische Recht sprachlich ganz volkstümlich. Endlich mag der besondere Fall der Endigung der Gewährleistungspflicht des Verkäufers und damit zugleich seines Bürgen bei dolosem Handeln des Käufers ("verwillkürter Hintergang") mit dem Kläger (11. Ges.) sein Vorbild in fremdrechtlicher Normierung haben.N.14 — Ein deutliches Zeugnis für die volkstümliche Einstellung der ersten Nürnberger Reformation ist die Aufrechterhaltung der "Gewohnheit und des Rechtes dieser Stadt" bezüglich der üblichen gegenseitigen zeitlich begrenzten Verbürgung ehegüterrechtlicher Leistungen ("zuschetze oder heyratgut") (XII. Titel, 1. Ges.). Bei dieser Regelung der "Heiratsbürgschaft" tritt überdies in der sprachlichen und sachlichen Auseinanderhaltung des "Selbstschuldners" und der Bürgen die Grundauffassung des Bürgen als bloßen Hafters augenfällig zutage.
Die Nürnberger Reformation des Jahres 1479 hat als erste (1484) im Druck veröffentlichte unter Berücksichtigung des römischen Rechtes vorgenommene stadtrechtliche Gesetzgebung große Verbreitung gefunden und auch auf gleichartige Ziele anderer Städte vorbildlich Einfluß ausgeübt. Es folgt ihr eine Reihe weiterer DruckeN.15, die, wenngleich mancherlei Ergänzungen, Verbesserungen oder Erklärungen in sie aufgenommen wurden, doch im Wesen an der ersten Reformation festhielten, daher mehr als Neudrucke denn als neue Reformationen gewertet werden können. Dies [Faksimile] gilt auch noch für die Reformation des Jahres 1522N.16 im Bereiche des Bürgschaftsrechtes. Die Fassung der einschlägigen Bestimmungen lehnt sich fast überall wörtlich an die erste Reformation an. Die Reihung ist auch hier mit der kaufrechtlichen Gewährschaft in einem Titel verknüpft, aber es tritt daneben eine selbständige Behandlung der nicht kaufrechtlichen Bürgschaft zutage. Die Überschrift ihres XXIII. [recte: XXVIII] Titels lautet daher schon unterscheidend: "Gesetze von kawffen Ligender unnd Farender habe und irer Vertigung unnd werschafft Unnd auch von Bürgschaft und irer ledigung unnd verpflicht und irer rechtvertigung."
Eine besondere Beachtung verdient die Reformation aus dem Jahre 1564, da sie von langer Hand vorbereitet (seit 1544), unterstützt durch die gutachtliche romanistische Beratung des Kanzlers im vorderösterreichischen Ensisheim, Doctor Claudius CantiunculaN.17 in Druck gelegt wurde. In ihrer Einleitung wird diese Fassung damit neu begründet, daß die vorausgehenden Reformationen "zu weitläufig und irrsam, in etlichem nicht genugsam ausgeführt und geläutert" gewesen wären. Gewiß war es auch ein Ziel der Neuredaktion, dem gemeinen Rechte nun stärkeren Einfluß zu gewähren, wie dies aus einem Brief des Rates an Cantiuncula ausdrücklich hervorgeht.N.18 Um so bemerkenswerter ist es, daß im Bereiche des Bürgschaftsrechtes hier keine grundstürzenden Änderungen gegenüber den früheren Reformationen vorgenommen wurden. In der Anordnung verläßt diese Reformation allerdings die den früheren eigene Verbindung der bürgschaftlichen Bestimmungen mit der Gewährschaft beim Kauf und bespricht die Bürgschaft in einem besonderen Titel (I. Teil XIX. Titel), welcher in fünf Gesetze gegliedert ist. Sprachlich und inhaltlich fußen die Regelungen im Wesen unverkennbar weiter auf jenen der ersten Reformation. Dies gilt besonders hinsichtlich der beibehaltenen Bestimmung, daß der Gläubiger freien Willen haben solle, den Schuldner "ungeledigt" des Bürgen oder den Bürgen ungeledigt des "Selbstschuldners" um Bezahlung "fürzunehmen". Ein privilegium excussionis galt in Nürnberg sonach auch weiterhin nicht. — Für [Faksimile] den Rückgriff des Bürgen stellt diese Reformation nun die Pflicht des Gläubigers auf, dem Bürgen seine Ansprüche gegen den Schuldner zu zedieren. — Auch in der Behandlung der Mehrheit von Bürgen nimmt diese Reformation keine grundsätzliche Änderung vor und lehnt sich selbst im Wortlaute an die erste Reformation an. Der "Guttat des gemeinen Rechtes" einer bloß anteilsmäßigen Haftung des Mitbürgen gedenkt die Reformation nur verneinend im Sinne des angenommenen Verzichtes hierauf, falls sich ein Bürge als Selbstschuldner verpflichtete. — Die Vererblichkeit der Bürgschaft wird nun ausdrücklich allgemein festgelegt, hierbei aber gleichzeitig ein Ersatzanspruch gegen den, für welchen die Bürgschaft geschehen, ohne Erwähnung einer Anspruchszession des Gläubigers anerkannt. — Fälle einer vorzeitigen Befreiung des Bürgen kennt diese Reformation nach Art der früheren Regelung, lediglich näher ausgeführt im Sinne der Auslegung durch das gemeinrechtliche Schrifttum des 16. Jahrhunderts. — Wie wenig auch weiterhin eine Übernahme des Ausschlusses der Frau von der Bürgschaft gemäß dem S. C. Vellaeanum dem deutschen Rechtsleben entsprochen hätte, geht aus der Fassung dieser letzten Reformation des Nürnberger Rechtes hervor; sie fühlt sich geradezu genötigt, in diesem Punkte dem "kaiserlichen Rechte" die "Handttierung dieser Stadt" und die "Handhabung gemeinen Nutzens, Trauens und Glaubens" entgegen zu halten (arg. "wiewohl" — "jedoch").
4. Ein Gegenbild der Nürnberger Reformation, zumal ihrer ersten Fassung, bietet die Wormser Reformation vom Jahre 1499. Sie ist als stärkst romanisierende Stadtrechtsreformation längst erkannt.N.19 Dieser ihr Wesenszug kommt folgerichtig auch im Bereiche des Bürgschaftsrechtes zum Ausdruck. Gleich die Bezeichnung des der Bürgschaft geweihten Abschnittes — 3. Teil des 5. Buches — tut dies augenfällig dar, wenn "von burgschaften, genant de fideiiussoribus" gesprochen wird. Ebenso äußert sich dies in der systematischen Einordnung unter die Vertragsformen (nach dem Kauf und der locatio et conductio). Die Bürgschaft ist hier als Vertrag des Bürgen mit dem Gläubiger gesehen, er "verpflichtet sich für einen anderen, umb etwas zu tun oder zu bezalen" — das Versetzen durch den Schuldner bildet nicht mehr die [Faksimile] Grundlage der Bürgschaft. Daher vermeidet es die Wormser Reformation den Schuldner, für welchen Bürgschaft geleistet wird, als "Selbstschuldner" zu bezeichnen und sie wählt den Ausdruck der "rechte Schuldner". Es ist hienach fast selbstverständlich, daß der "Schuldherr" oder Gläubiger den Bürgen erst dann in Anspruch nehmen ("anziehen oder beclagen") darf, wenn er zuvor den "rechten Schuldner ersucht" hat. Die subsidiäre Stellung des Bürgen ist damit klar festgelegt. An anderer Stelle (3. Buch 2. Teil), wo von den "uszugen" oder Einreden gehandelt wird, folgt die Wormser Reformation dem römischen Recht auch in der formalen Geltendmachung dieser subsidiären Stellung durch "auszug oder fürwänden", daß der Hauptschuldner zuvor "ersucht" werden solle "eher als der Bürge" (32. Titel).N.20 Die rechtliche Tragweite des Wortes "ersucht" ist allerdings nicht zweifelsfrei. Dem heutigen Sprachgebrauch folgend, könnte man annehmen, daß darunter eine vorhergehende bloße Mahnung des Schuldners gemeint und daher im Sinne spätmittelalterlicher Rechtsentwicklung auch für genügend erachtet ist; allein es scheint mir richtiger, hierin dem römischen Rechte gemäß das Erfordernis gerichtlicher Inanspruchnahme, der Vorausklage zu sehen und das Wort "ersuchen" als gerichtliches Suchen des Widersachers auf der etymologischen Grundlage des Wortes "sacha, Sache" im Sinne von Krieg, Rechtsstreit zu deuten.
Unmittelbar bezieht sich die Wormser Reformation mit den Worten "das ist ein gnad des rechten, heißt beneficium divi Adriani" auf das römische Recht bei der Übernahme des beneficium divisionis, für den Mitbürgen. Auch im inneren Ausbau dieses Rechtes folgt die Wormser Reformation dem römischen Vorbild; die Teilung soll im Wege einer exceptio, auf "besunder bitten und begeren" vor der litis contestatio "vor befestigung des kriegs" geschehen. Römischrechtlich baut die Wormser Reformation ferner das Rückgriffsrecht des Bürgen gegenüber dem "Hauptschuldner" aus. Sie fordert, daß der Gläubiger dem Bürgen die "Forderung und Gerechtigkeit, so der Gläubiger wider den Bürgen hat", zustelle und übergebe. Sie gründet sonach — entgegen der deutschrechtlichen Auffassung unmittelbarer Geltendmachung — das Rückgriffsrecht auf eine Zession der gläubigerischen Forderung. — Die Fälle vorzeitiger Befreiung des Bürgen regelt die Wormser Reformation in [Faksimile] ähnlicher Art, wie dies schon in der ersten Fassung der Nürnberger Reformation geschehen war, hier aber in fast wörtlicher Anlehnung an die fremdrechtliche Quelle.N.21
Obgleich, wie hervorgehoben, die Wormser Reformation grundsätzlich eine bloß subsidiäre Stellung des Bürgen festlegt, so kennt doch auch sie zwei Ausnahmen von diesem Grundsatze. Der eine Fall ist die primäre Haftung des Bürgen bei Abwesenheit des Hauptschuldners. Diese Ausnahme stützt sich, wenn dies auch nicht ausgesprochen wird, auf die Nov. 4; allein hier trifft die Wormser Reformation eine zusätzliche einschränkende Regelung, welche entweder den Erwägungen des Verfassers der Reformation auf Grund glossatorischer Auslegung entsprang oder aus stadtrechtlichen Austragungen erwuchs. Diese nähere Unterscheidung ergab, daß, wenn beide, Schuldner und Bürge "abwesig" sind, nur falls der Bürge näher ist, der Bürge "von neherung wegen" als gegenwärtig erachtet und vor dem Schuldner in Anspruch genommen "furgenommen" werden könne. Der andere Fall nicht bloß subsidiärer Stellung des Bürgen ist jener, da der Bürge zum Selbstschuldner wird. Die Wormser Reformation hält diese, dem alten deutschen Rechte entsprechende Besonderheit aufrecht und gebraucht hier auch den Ausdruck "Selbstschuldner". Sie ist sich des Widerspruches anscheinend bewußt, da ja der Bürge nach der hier übernommenen römischrechtlichen Auffassung begrifflich immer auch Schuldner ist. Die Wormser Reformation löst aber diesen Widerspruch nicht durch einen anderen begrifflichen Aufbau, sondern beschränkt sich darauf, kurz zu sagen "wan aber einer bürg und selbstschuldner wird, hat ein ander Meinung" und stellt diesem Bürgen in altüberkommener Art den "schlechten" d. i. schlichten Bürgen gegenüber.
Die letzte Bestimmung des der Bürgschaft gewidmeten Abschnittes beschäftigt sich mit der Tauglichkeit Bürge zu werden. Hier rührt die Wormser Reformation an die im mittelalterlichen deutschen Stadtrecht oft bezeugte Regelung an, daß Geistliche und nicht im Gerichtsbezirke Begüterte nicht pflichtmäßige Bürgen werden können. In der Fassung "so einem gepürt bürgen zu setzen und sich erböte, einen geistlichen oder ussmerkischen zu bürgen stellen" und daß der "andere" das ist der Gläubiger "nicht schuldig sei denselben zu bürgen uffzunemmen" geht die Wormser Reformation [Faksimile] unbewußt von der alten Anschauung eines Versetzens des Bürgen durch den Schuldner aus. In der Begründung der Vorschrift beruft sich die Wormser Reformation allerdings auf die "kaiserlichen Rechte, die wollen, daß nicht nur Reiche allein, sondern auch gerichtlich Versetzbare zu Bürgen gegeben werden sollen"; einleitend wird jedoch der Bürgenstellung "craft unserer statuta" gedacht, worin sich ein Anschluß an früheres Recht dartut. — Von einem Ausschluß der Frau von der Bürgschaft schweigt die Reformation; man kann hieraus folgern, der Vellaeanische Senatsbeschluß sei nicht übernommen worden.
5. Für die Reichsstadt Frankfurt a. Main kam es zu zwei Reformationen: der ersten aus dem Jahre 1509, der zweiten aus dem Jahre 1578. Die erste ReformationN.22 setzte es sich zum Ziele, wie ihre Einleitung mit beredten Worten verkündet, Irrungen zu beseitigen, welche sich mangels einer Festlegung in den Gerichten ergeben haben. Sie bezieht sich vor allem auf die Prozeßordnung; materiellrechtliche Bestimmungen treten demgegenüber weit zurück. So bringt sie über die Bürgschaft nur die Regelung einer Einzelfrage. Von der subsidiären Haftung des Bürgen nach dem Hauptschuldner ("heuptmann") ausgehend, wird zur Festigung dieses Grundsatzes angeordnet, daß auch dort, wo sich der Bürge für den Schuldner "gut zu stehen" oder als "selbstschuldig" haften zu wollen erklärt, bloße subsidiäre Haftung eintreten solle. Es scheint in dieser Bestimmung die Absicht gelegen zu haben, alteingewurzeltem Brauche einer Ersthaftung des Bürgen den Boden zu entziehen (Rubrik 33).
Den eingeschränkten, prozeßrechtlichen Zielen der ersten Frankfurter Reformation gegenüber will die zweiteN.23, gleich den früher besprochenen Reformationen von Nürnberg und Worms, das ganze Gebiet des stadtrechtlichen Privatrechtes ordnen und im Druck festlegen. Sie ist das Werk des von Ulrich Zasius geschulten, durch Studien in Italien mit dem römischen Rechte hauptsächlich mit der Lehre der Postglossatoren tief vertrauten Syndikus Fichard.N.24 So ist diese zweite Reformation römischrechtlichen Geistes, sie gibt in dieser Hinsicht der Wormser [Faksimile] Reformation nichts nach. Dies gilt folgerichtig im besonderen für den Bereich des Bürgschaftsrechtes.N.25 Die Grundsätze und Einrichtungen des römischen Rechtes wurden vollinhaltlich übernommen. Die Akzessorietät der Bürgschaft als Nebenschuld und mit ihr das beneficium excussionis, die "Guttat gemeinen Rechtes in Sachen der epistola Hadriani", d. i. das beneficium divisionis, die vorbehaltlose Vererblichkeit der Bürgschaft, die Gestaltung des Rückgriffrechtes auf Grundlage der Zession des Gläubigeranspruches — dies alles wird zum Gesetze für Frankfurt erhoben. Das gleiche geschieht mit allen näheren, auf das römische Recht gegründeten in den früheren Reformationen geregelten Fragen, unter Berücksichtigung des Ausbaues im Schrifttum der Postglossatoren. Nur in zweierlei Hinsicht bleibt das alte Recht erhalten. Für die rechtlich vorgeschriebene Bürgschaftsleistung bekräftigt die Reformation ([II 16] § 8) die althergebrachte Ordnung, daß nur Angesessene ("allhie gesessen und nicht auslendisch sondern unserer Jurisdiction unterworfen") und Taugliche ("so beschaffene, daß um der Bezahlung halber bei denselben kein fehl oder mangel zu besorgen") zur Bürgschaft zugelassen werden dürfen. Tatsächlich entscheidet sich ferner die Reformation fast vollkommen für die Ablehnung des S. C. Vellaeanum und erkennt in starkem Maße die dem deutschen Rechte gemäße Giltigkeit freiwilliger Frauenbürgschaft weiter an. Es ist hierbei sehr kennzeichnend, aus den gewundenen Worten des Textes zu ersehen, wie schwer es dem von der Notwendigkeit der Anwendung des "kaiserlichen" Rechtes durchdrungenen Verfasser der Reformation wird, doch der Überzeugung Ausdruck verleihen zu müssen, daß die einstige Wohltat im deutschen Rechtsleben zur Plage würde. Er muß sich auf die Erfahrung berufen, um viele Ausnahmen von der Wirksamkeit des S. C. Vellaeanum festzulegen, die fast einer Abstellung desselben gleichkommen (§ 11—13).
6. Einen lehrreichen Einblick in die Rezeptionsgeschichte des Bürgschaftsrechtes bieten die Artikel, welche der Syndikus Beuther im 5. Titel des zweiten Buches der Zwickauer Stadtrechts-Reformation (1539/69) der Bürgschaft weihte. Mit Recht haben die Herausgeber der Stadtrechts-Reformation diese Stellen besonders hervorgehobenN.26, um zu zeigen, in welcher Art Beuther bei der Verwirklichung seines Zieles, die Statuten und Gewohnheiten dieser [Faksimile] Stadt "gegen den gemeinen rechten dieses Landes und des römischen Rechtes zu halten und mit denen zu vergleichen soviel sichs leiden wolte", zu Werke ging. Die Bestimmungen sind allerdings nicht reich und keineswegs alle Fragen des Bürgschaftsrechtes erschöpfend; dies erklärt sich jedoch aus der Umschreibung der Ursachen der Satzung, worauf im Art. I hingewiesen wird. Nur "allerlei weitleuftigkeit und unrichtigkeit", die sich im Bereiche des Bürgschaftsrechtes ergeben haben, sollte vorgebeugt werden.
Eine allgemeine Bemerkung (Art. 2) hebt den Zweck der Bürgschaft, die erhöhte Sicherung des Gläubigers, hervor. Beuther streift die Anwendung der Bürgschaft, wenn er bemerkt, daß sie eine freiwillige, im Willen der Parteien gelegene ("gesuchte") Sicherung des Gläubigers oder eine vorschriftsmäßige, "inen auch etwo aufgelegte" sein kann. Mit dieser Bemerkung hat Beuther insbesondere die sehr zahlreichen in der Stadtrechts-Reformation normierten prozessualen SicherheitsleistungenN.27 vor Augen; bei Abgang eigenen unbeweglichen Besitzes wird "Caution mit unbeweglichen Gütern oder mit Bürgen im Gericht liegend und besessen" gefordert. Die Bürgschaft behielt sonach die ihr vom Mittelalter her überkommene bedeutende Stellung im Prozesse. — Für die rechtsgeschichtliche Beurteilung der inneren Regelungen der Bürgschaft in der Zwickauer Reformation scheint es mir grundlegend zu sein, daß auch Beuther von der Unterscheidung schlichter Bürgschaft und "selbstschuldigen Bürgen" ausgeht. Unter dem schlichten Bürgen ist jener Bürge zu verstehen, der nur haftet, nicht selbstschuldig geworden ist. Ihm steht der selbstschuldnerische Bürge gegenüber, sonach jener, welcher das gleiche Sollen wie der Schuldner auf sich nimmt.
Für die schlichte Bürgschaft geht die Zwickauer Reformation von der deutschrechtlichen Gestaltung aus, wonach es sich bei der Bürgschaft um eine vom Schuldner vorgenommene Sicherung des Gläubigers, um ein von ihm, dem Schuldner, seinem Partner, dem Gläubiger, pfandartiges Stellen des Bürgen, nicht um einen selbständigen Vertrag des Bürgen mit dem Gläubiger handelt (arg. art. I. burgeschaft, so itzuzeiten ein part den andern tut und bestellet).
Von den besonderen Fragen der schlichten Bürgschaft behandelt Beuther nur drei, wohl mit Rücksicht auf die hierbei im praktischen [Faksimile] Rechtsleben aufgetauchten Bedenken. Am ausführlichsten geschieht dies bezüglich des Verhältnisses des schlichten Bürgen zum Schuldner. Hier bestimmt die Reformation, daß der Gläubiger den Bürgen, "der nicht selbstschuldig geworden", nicht mahnen solle, er habe denn zuvor seine Schulden bei dem im Gerichte seßhaften "Selbstschuldigen" auf den Gütern desselben gesucht und keine volle Zahlung bekommen können. Erst dann kann er den "Ausstand" "bei und auf" dem Bürgen suchen. Mit dieser Bestimmung gibt Beuther die Rechtslage wieder, wie sie sich im Hochmittelalter bezüglich der gegenüber dem Schuldner zurückstehenden Haftung des Bürgen auf Grund deutschrechtlicher Entwicklung ergeben hat. Nicht Subsidiarität der Schuld — denn der schlichte Bürge ist ja nicht selbstschuldig, sondern Subsidiarität der Haftung sollte eintreten. Auch in der näheren Ausgestaltung dieser gegenüber der Haftung des Schuldners zurücktretenden Haftung des Bürgen kann man eine Anlehnung an das deutsche Recht erkennen. Art. IV spricht von dem Erfordernisse der Vorausmahnung des Schuldners — nicht der Klage — und von der tatsächlich nicht erfolgten Befriedigung des Gläubigers. Folgerichtig muß der Schuldner "in dem Gerichte seßhaft" sein, dort seine "Wohnung haben", wenn seine Haftung jener des Bürgen vorgehen soll. Art. V gibt dem Bürgen ein auf deutschrechtlicher Grundlage und zwar auf der Fortwirkung der Gestellungsbürgschaft beruhendes Mittel an die Hand, den Gefahren einer Verwirklichung seiner Haftung vor jener des Schuldners vorzubeugen. Der Gläubiger hat in diesem Falle zu dreimal vierzehn Tagen dem Bürgen Frist (burgezog) zu gewähren. Innerhalb dieser Frist soll der Bürge verpflichtet sein, den "Selbstschuldigen" "fürzustellen" und ihn zur Zahlung, zur Befreiung von der Bürgschaft anzuhalten. Diese Fristgewährung beruht auf dem sächsischen Recht der Gestellungsbürgschaft und man kann hierzu Leipziger Schöffensprüche heranziehen, welche diese dreimal vierzehntägige Frist zugunsten des Bürgen kennen. Inhaltlich stimmt die Setzung einer ausnahmsweisen Ersthaftung des Bürgen bei Nichtansässigkeit des Schuldners im Gerichtssprengel zwar auch zu der Nov. 4, aber von einer Übernahme der Novelle selbst kann nicht gesprochen werden.
In der zweiten Frage nach der Vererblichkeit der Bürgschaft entscheidet sich die Zwickauer Reformation bejahend (Art. III). Diese Regelung weicht zwar von der ursprünglichen deutschen Unvererblichkeit ab und gleicht im Ergebnis römischer Normierung. [Faksimile] Wie jedoch schon eingangs bemerkt wurde, hat auch das deutsche Recht des Hochmittelalters bereits die Unvererblichkeit der Bürgschaft in ihrer Strenge aufgegeben. Die ausführliche Fassung, welche Beuther dem Art. III gab, zeigt keine textliche Verwandtschaft mit dem knappen Satze der Institutionen. Selbständig gegenüber dem römischen Recht ist ferner die ausdrückliche Hervorhebung einer Möglichkeit auf die Vererbung der Bürgschaft zu verzichten.
Der dritte in der Zwickauer Reformation geregelte BürgschaftsfallN.28 betrifft die dem Schuldner vom Gläubiger "ohne Wissen und Willen" des Bürgen gewährte weitere Zahlungsfrist in ihrer Rückwirkung auf die Fortdauer der Bürgschaft. Es wird die Entscheidung getroffen, daß die Bürgschaft erlösche, der Gläubiger daher "des Zutrittes zum Bürgen verlustig" werde, der Bürge der "getanen" Bürgschaft ledig sein solle. Wie auch die Bearbeiter des Zwickauer Stadtrechtes hervorheben, hat diese Stelle im Richtsteige Landrechts cap. 9 Frage 4 ihr prozessuales Vorbild. Dort wird schlechthin festgelegt, daß die Neuerung durch andere Tagsatzung für die Schuldner den Bürgen seiner Haftung entledige. Beuther engte dies in feinem Gefühle für die materiellrechtliche Natur seiner Norm ein und läßt die Befreiung von der Bürgschaft nur eintreten, wenn die weitere Fristsetzung ohne Wissen oder gegen den Willen des Bürgen geschah. Die Regelung liegt sonach in deutschrechtlichem Gedankenkreise. Sie berührt sich zwar mit der Digestenstelle D. 46,1, 62, ist ihr gegenüber jedoch selbständig: dort handelt es sich um die Nichtbeachtung des Begehrens des Bürgen, den Schuldner zu verfolgen, hier um das Setzen einer weiteren Frist; dort lautet die Entscheidung für das Freiwerden des Bürgen verneinend, hier bejahend. Nach Beuther soll dieses Ende der Bürgschaft nicht nur für den schlichten, bloß haftenden Bürgen, sondern auch für jenen Bürgen gelten, welcher sich als "Selbstschuldiger" neben den ursprünglichen Schuldner stellte. Hieraus erklärt es sich, wenn einleitend von dem Schuldner als "Hauptschuldiger" gesprochen wird.
Der selbstschuldnerischen Bürgschaft, wo jemand "nicht allein schlicht sondern selbstschuldig Bürge worden ist", sich sonach neben den Schuldner stellte, weiht Beuther nur einen knappen Artikel (VI.). Es wird lediglich betont, daß der Gläubiger dem [Faksimile] selbstschuldigen Bürgen unmittelbar ("ahne mittel") um die Zahlung "dafür er haftet" zu belangen ("anzuziehen") hat. In dieser Verpflichtung, die dem Gläubiger auferlegt wird, kehrt sich sonach die Rangordnung bei dem Geltendmachen der Gläubigerrechte in das Gegenteil um; es lebt hier auf allerdings veränderter Grundlage der deutschrechtliche Gedanke der Ersthaftung des Bürgen wieder auf.
7. Zu einer hochstehenden Neuregelung des Rechtes kam es in Freiburg i. Breisgau. Diese "Neuen Stadtrechte und Statuten der Stadt Freiburg im Breisgau gelegen" sind das Werk "des bedeutendsten unter den deutschen Juristen der Rezeptionszeit", des Professors an der Freiburger Universität Ulrich Zasius.N.29 Keine der vorauf besprochenen Stadtrechtsreformationen steht auf gleicher wissenschaftlicher Höhe des Gedankenausdruckes und des Austrages deutscher und römischer Rechtsideen. Daher ist es für den Bereich dieser Studie doppelt bedauerlich, daß Zasius Bestimmungen über die Bürgschaft in seine Reformation nicht aufgenommen hat. Dieser Umstand ist gewiß sehr auffällig. Vielleicht gibt sich darin eine, bei der Würdigung der Freiburger Reformation im Schrifttum hervorgehobene stärkere Gebundenheit des Verfassers an Ratsbeschlüsse vor Einführung entscheidender Reformen kund.N.30 Wenn diese Annahme zutrifft, könnte daraus geschlossen werden, daß die Gestaltung der Bürgschaft in Freiburg auf altüberkommener Grundlage ohne gelehrten römischrechtlichen Einfluß fortlebte.
8. Dem Rezeptionszeitalter gehört auch die Drucklegung des lübischen Stadtrechtes in den "Statuta, Stadt-Recht und Ordnungen" Lübecks an. Sie stehen den Reformationen nahe, da sie für ihre systematische Zusammenfassung einleitend als Vorzug hervorheben "den beschriebenen Kaiser- sowohl auch den Sächsischen Rechten und Gewohnheiten nicht allerding ungemäß" zu sein. Mit beredten Worten wird hier der Vorteile einer Drucklegung für die Rechtssicherheit gedacht. Sie bilden, wie ihre Entstehungsgeschichte dartut, eine Revision des alten lübischen Rechtes; man kann ihre Fertigstellung in das Ende des 16. Jahrhunderts (1586) verlegen.31 — Die Bürgschaft wird hauptsächlich im 5. Titel des [Faksimile] III. Buches unter der Überschrift "De fideiussoribus — Von Bürgen" behandelt. Die erste Bestimmung spricht nur im allgemeinen von der Pflicht Jenes, der zum Bürgen "gesetzt" wurde auf den Fall "der Nichthaltung" die Schuld, und zwar die Schuld allein ohne weiteren Schaden zu zahlen. Das lübische Recht schweigt über die Frage, ob der Bürge erst nach einer Klage gegen den Schuldner belangt werden dürfe. Der zweite Punkt betrifft die Stellung mehrerer Bürgen. Hier fällt eine fast wörtliche Gleichheit der Normen der Nürnberger Reformation auf. Dies gilt insbesondere auch rücksichtlich der ebenfalls in diese Regelung eingeschlossenen Geltung der Vererblichkeit der Bürgschaft. Eine Verwandtschaft mit dem Nürnberger Recht tritt ferner in der an anderer Stelle (I. Buch, 5. Titel, 3. Bestimmung) getroffenen Regelung bezüglich der offenbar auch in Lübeck üblichen Bürgensetzung für den versprochenen Brautschatz mit zweijähriger Haftungsdauer augenfällig zutage. — Zwei weitere Bestimmungen (III, IV) betreffen die Gestellungsbürgschaft, sie stehen vollends auf deutschrechtlicher Grundlage. Bemerkenswert ist es, daß das lübische Stadtrecht gerade jene Fälle des Todes des zu stellenden Schuldners und des Erscheinens des Bürgen allein ohne den Schuldner im Gerichte herausgreift, welche in gleicher Art schon im Brünner Schöffenbuche behandelt worden waren. — Eine andere Regelung (V) gibt dem altüberkommenen Grundsatz Ausdruck, daß der Schuldner "welcher liegende Gründe und stehende Erbe, auch gewisse Zinß und Rente in dieser Stadt hat, und also unbeweglich Gut, frey und unbeschweret" nicht schuldig ist, Bürgschaft zu leisten. Ganz im Sinne deutschrechtlicher Anschauung wird dies fast rechtssprichwörtlich mit den Worten begründet: "dann sein Gut verbürget ihn an sich selbst". — Die letzte Bestimmung (VI) ist dem lübischen Rechte eigenartig. Der Käufer, welchem der Verkäufer das "Kaufgut" vor Bezahlung des Preises gleich in die Gewere überlassen hat, muß nicht mehr einen Bürgen für die Bezahlung stellen. Ebenfalls für Lübeck eigenartig ist die an anderer Stelle (beim Mandate III, Buch 10, Titel I) ausgesprochene Annahme einer Bürgschaft, wonach derjenige einem Bürgen gleichgestellt wird, welcher bei einem Kaufe anwesend, den Verkäufer mit den Worten beruhigt: "Ihr mögt es ihm wohl vertrauen, die Bezahlung wird Euch wohl." — [Faksimile] Die bürgschaftsrechtlichen Bestimmungen der lübischen Stadtrechtsrevision bekräftigen die Erkenntnis, welcher StobbeN.32 mit der Behauptung Ausdruck verleiht, daß das lübische Stadtrecht "in keiner Materie ... seinen deutschen Ursprung verleugnet und meistenteils Bestimmungen enthält, welche den Quellen des früheren Mittelalters entsprechen".
In allerdings weit späterer Zeit, um die Mitte des 18. Jahrhunderts, hat Joachim Lucas Stein dem lübischen Rechte auf Grundlage dieser Revision eine ausführliche AbhandlungN.33 geweiht, in welcher er, wie die Einleitung sagt, gegenüber den allzu romanisierenden Lehrmeinungen seiner Zeit das altüberkommene deutsche Recht entsprechend berücksichtigen will. In seinen, der Bürgschaft gewidmeten Ausführungen erwägt er überall die Abweichungen der lübischen Normen vom römischen Rechte oder ihre Annäherung an dasselbe. So nehmen seine Erläuterungen im Wesen die Art einer Gegenüberstellung heimischen und römischen Rechtes an, wie dies in dem "Differentien"-Schrifttum des 17. Jahrhunderts geübt worden war. In der Einleitung gedenkt er dieses Schrifttums ausdrücklich. So reiht sich Steins Darstellung jener eigenartigen Begleiterscheinung der Rezeption des römischen Rechtes an, welche in einer Herausarbeitung der Unterschiede des alten heimischen Rechtes vom römischen Rechte ihr Ziel sah.
9. Es sei zunächst der hartnäckige Streit zwischen dem Professor der Prager Universität Kyblin von Waffenburg und seinem Gegner, dem Assessor am kgl. Appellationsgericht Proskowsky über das Verhältnis heimischen Rechtes zum römischen herausgegriffen. Trat Kyblin als Verteidiger und Retter des heimischen Rechtes auf, so suchte ihn Proskowsky durch das größte Maß einer Einordnung der Bestimmungen, insbesondere der Koldinschen Stadtrechte unter das römische Recht zu widerlegen. Dieser Streit äußerte sich allerdings auf dem Gebiete der Bürgschaft weit schwächer als hinsichtlich anderer Zweige des Privatrechtes. Kyblin hob in seinem TraktateN.34 (1663) fünf Regelungen der Bürgschaft im böhmischen Stadtrechte als unterschiedlich vom gemeinen Rechte hervor: die Ersthaftung des Bürgen vor dem [Faksimile] Schuldner (diff. 17), die Unvererblichkeit der Bürgschaft (diff. 18), die Haftungsart mehrerer Bürgen (diff. 21), die Möglichkeit einer Gestellungsbürgschaft bei Mord oder Totschlag (diff. 22), die Zulässigkeit der Frauenbürgschaft (diff. 23) und stellte hierbei die Koldinschen Stadtrechte dem römischen Rechte gegenüber. In seinem Moderamen differentiarum (1664)N.35 suchte Proskowsky auch die bürgschaftsrechtlichen Thesen Kyblins zu bekämpfen. Dies geschah aber nur mit schwachem Nachdruck und Erfolg. Diff. 17 wurde zugestanden ("haec est vera differentia iurium"); zur diff. 18 wurde nur die Unselbständigkeit dieses Unterschiedes hervorgehohen, der sich schon aus der Unvererblichkeit eines Versprechens (diff. 19) ableite. Für die diff. 22 wurde eine Abweichung abgelehnt, da ein Ausschluß der Gestellungsbürgschaft bei Kapitalverbrechen nur in der Glosse, nicht im römischen Rechte selbst, feststehe und andererseits auch im heimischen Recht die Zulassung von Bürgschaften in solchen Fällen nicht immer stattfinde. Gegenüber der Behauptung Kyblins, daß das S. C. Vellaeanum nicht gelte, sucht Proskowsky den behaupteten Unterschied durch den Hinweis auf die Ausnahmen des römischen Rechtes und auf den späteren Ausspruch der Unfähigkeit der Frauen zur Bürgschaft in den Deklaratorien zur Verneuerten Landesordnung (1644) zu beseitigen. In der Entgegnung auf diff. 21, bezüglich der Mehrheit von Bürgen verkennt Proskowsky den von Kyblin hervorgehobenen Unterschied einer grundsätzlich solidarischen Haftung der Bürgen im römischen Rechte, gegenüber einer grundsätzlichen Anteilsmäßigkeit und geht daher an dem Streitpunkte vorbei. — Durch die vor persönlichen Schmähungen nicht zurückschreckenden Angriffe seines Gegners gereizt, sah sich Kyblin veranlaßt, vor einer großen an der Prager Universität abgehaltenen Versammlung seine Thesen im darauffolgenden Jahre (1665) zu verteidigen.N.36
Mit dem Verhältnis der Nürnberger Reformation des Jahres 1564 zum römischen Recht beschäftigt sich der gründliche Traktat J. H. Wurffbains (de differentiis iuris civilis et reformationis Noricae. Nürnberg 1665). Seine Ausführungen decken sich im Ergebnis mit den in dieser Abhandlung hierzu gemachten Bemerkungen. Bezüglich der Frauenbürgschaft hebt er (p. 109) hervor, daß [Faksimile] es einer Zulassung des Verzichtes auf die Wohltat des S. C. Vellaeanum mit Rücksicht auf die so zahlreichen, im 5. Gesetz der Nürnberger Reformation festgelegten Ausnahmen fast nicht bedurft hätte. Das Fehlen eines beneficium excussionis in der Reformation fällt Wurffbain stark auf; er sieht hierin eine Rückkehr städtischer Statuten zum "ius antiquum" (p. 111) und hält (p. 264), gestützt auf Vermutungen glossatorischer Schriftsteller, eine Entlehnung aus italienischen städtischen Statuten (Venedig, Florenz, Lucca) für wahrscheinlich. Auch für die Behandlung der Mitbürgschaft in der Nürnberger Reformation gibt der Traktat eine Abweichung von römischrechtlicher Regelung zu (p. 265 ... "qua ratione ... recederet Reformatio Norica a iure communi"). Die Zedierungspflicht der Ansprüche des befriedigten Gläubigers an den Bürgen (p. 113 u. 266) und die Sonderfälle der Bürgenbefreiung ("qui omnes cum iure communi conveniunt") erklärt der Traktat als dem römischen Recht entnommen.
Sehr verbreitet waren in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts die dem Leipziger Professor Ludwig Fachs (1. Buch) und dem Doctor Benedict Reinhard (2. Buch) zugeschriebenen "Differentiae iuris civilis et Saxonici".N.37 Sie beschäftigen sich allerdings mit der Bürgschaft verhältnismäßig wenig. Als von den Grundsätzen des römischen Rechtes unterschiedlich, werden die Folgen der Gestellungsbürgschaft für den eines mit Leibesstrafe bedrohten Verbrechens Angeklagten behandelt, da der Bürge hier nach deutschem Rechte nur geldlich, durch Zahlung des Wergeldes zu leisten habe (1. Buch diff. XLI, 2. Buch diff. LI). Mit der Gestellungsbürgschaft hängt ferner der im 1. Buch diff. XXII u. XVI hervorgehobene Unterschied zusammen, daß im römischen Rechte die Bürgschaft mit dem Tode des "reus principalis" nicht erlösche, während dies nach sächsischem Rechte der Fall sei. Die hierzu gegebene Erläuterung zeigt, daß hier auf den schon im Brünner Schöffenbuch behandelten Fall abgestellt wird, wonach bei der Gestellungsbürgschaft der Tod des zu Stellenden den Bürgen befreit. Die folgende Differenz hebt unter besonderer Berufung auf das sächsische Weichbild die Unvererblichkeit der Bürgschaft gegenüber ihrer römischen Vererblichkeit hervor. [Faksimile]
Mit diesen "Differentiae" in der Anlage nahe verwandt und vermutlich auch von der Darstellung durch Fachs und Reinhard angeregt, sind die für das österreichische Landrecht hochbedeutenden, in deutscher Sprache verfaßten privatrechtlichen Traktate Bernhard Walthers. Sie zeigen eine sorgfältige vergleichende Darstellung und sind von dem Gedanken getragen, alteingelebtes Recht nicht verloren gehen zu lassen.N.38 Ein besonderer Traktat (XI) "Von den Pürgschaften, wie es damit hieigen Landsbrauch nach gehalten wirdet" ist der Bürgschaft allein geweiht. Die von Walther vorgesehenen Regelungen vereinigen deutschrechtliche Grundgedanken mit den in gemeinrechtlichen Traktaten des 16. Jahrhunderts gegebenen Auslegungen. Rein deutschrechtlich ist es, wenn Walther den Rückgriff des Bürgen von "Rechts wegen" eintreten läßt, ohne daß ein Schadlosbrief "gefertigt und gegeben" worden ist. In deutschrechtlichem Sinne, unter Berufung auf den "Landesbrauch", sieht er ferner bei sonstiger Anerkennung der Notwendigkeit einer Vorausklage gegen den Schuldner eine Erstklage gegen den Bürgen vor, wenn sich dieser "auch als Selbstschuldner" verbunden hatte. Bei der Bürgschaft "auf Wiederstellen" bringt er die dem deutschen Rechtsleben eigene Gestaltung, daß bei einem mit Leibstrafe bedrohten Malefiz der Bürge "der Gefängnus nit hemüssigt werden" solle. Für die Behandlung der Mitbürgschaft kennt Walther zwar das beneficium divisionis, verwertet aber gleichzeitig die deutschrechtliche Auffassung, wenn er eine Erweiterung der Haftung des Mitbürgen eintreten läßt, falls die Mitbürgen "der Bezahlung nicht statthaft wären" oder falls sich die Bürgen "samentlich und unverscheidentlich gegen den Gläubiger verbunden". Im Einklang mit den früher erörterten Stadtrechtsreformationen folgt Walther der näheren gemeinrechtlichen Lehre von der dem Bürgen zustehenden Möglichkeit, sich in gewissen Fällen vorzeitig der Bürgschaft zu entledigen. Auffällig mag es erscheinen, daß Walther grundsätzlich und ohne Ausnahme die Kraftlosigkeit der Bürgschaft eines "Weibsbildes" festlegt, lediglich einen Verzicht auf die "weiblichen Freiheiten" zuläßt.
10. Walthers Traktat leitet zum Landrechte über. Aus diesem Gebiete seien hier die bürgschaftsrechtlichen Bestimmungen der [Faksimile] DorfweistümerN.39 herausgegriffen, weil diese gelehrten Einflüssen fernstehenden Rechtsquellen einen eigenartigen Einblick in das Fortleben der deutschen Bürgschaft gewähren. Die die Bürgschaft berührenden Vorschriften der Weistümer lassen im Wesen drei sachliche Gruppen erkennen. Es sind dies Anordnungen, welche eine Bürgensetzung gebieten oder verbieten, sodann Festlegungen des Grundsatzes, daß eine Gefangennahme eines Übeltäters nicht vorgenommen werden dürfe, wenn er geeignete Bürgen setzt und endlich Regelungen innerer Fragen des Bürgschaftsverhältnisses.
Behördliche Gebote der Bürgschaft kommen sehr reichlich in den Weistümern vor. Dies ist ein deutliches Zeugnis der fortlebenden starken Verbreitung der Bürgschaft und der Aufrechterhaltung des persönlichen Einsatzes für ein fremdes Sollen, wie dies der alten deutschen genossenschaftlichen Verbundenheit entsprochen hatte. In den Weistümern dienten solche Gebote dem wirtschaftlichen Ziele der Gebietsherren, ihrer Ansprüche auf Geldzahlungen, vorab auf Bußen nicht verlustig zu gehen. Beispiele können in Fülle aus allen deutschen Gauen, besonders aus dem Rechte Tiroler Gemeinden beigebracht werden. Hier sei nur eine Auswahl getroffen, um die Gründe solcher Bürgensetzung zu beleuchten. Beim Ansässigwerden und beim Wegziehen wird Bürgenstellung erfordert.N.40 Im einzelnen soll die Bürgschaft die Arbeitsleistung, die Besserung und das bauliche Halten des Anwesens, die Zahlung des Grundzinses und anderer Abgaben, die Nichtverheiratung der Kinder nach auswärts sichern.N.41 Daneben sind an Amtsträger gerichtete Gebote der Bürgschaftsleistung für die Erfüllung ihrer Pflichten, so beim MeierN.42 und beim MesnerN.43 bezeugt. Eigenartig ist die Bestimmung eines Schöffenweistums, wo der Herr selbst für seine Verpflichtung, den Schöffen ein Essen zu geben, für schuldig erklärt [Faksimile] wird, einen "Bürgen zu machen".N.44 Bürgschaftsleistungen bei privatrechtlichen Geschäften finden sich, dem Wesen der Weistümer entsprechend, nur selten auferlegt. Hierher gehören etwa die Verpflichtung des Käufers, Bürgen zu "geben"N.45 oder die Bestimmung, wonach der FrachtführerN.46 vom Vertrage abzustehen berechtigt sei, wenn ihm der Kaufmann keinen Bürgen stellt. Ungemein häufig stellen die Weistümer Vorschriften der Bürgschaftsleistung im Gerichtsverfahren auf. Diese Gebote sind von dem wirtschaftlichen Ziele der Herrschaft geleitet, die Deckung der Kosten des Verfahrens zu sichern. Dies wird oft ausdrücklich gesagt: es wird von einem "Bürgensetzen zu den Kosten"N.47, von einer Bürgschaft "für alle aufgegangenen Gerichtskosten"N.48, von einem "Kostung Verbürgen"N.49 gesprochen. Folgerichtig findet sich solche prozessuale Bürgschaft häufigst und nachdrücklich bei Klagen Fremder (Gäste, Auswendiger, Nichtangesessener) eingeschärft.N.50 Daneben kommen Bürgschaftsvorschriften allgemein für den Kläger oder für beide Parteien in den Weistümern nicht selten zum Ausdruck.N.51
Ein Gegenbild der Gebote bilden Verbote einer Bürgschaftsleistung. Vor allem die Niederösterreichischen und Tiroler Weistümer stellen oft strenge Verbote einer Bürgschaft von Eingesessenen für Auswärtige auf; keiner dürfe ohne Bewilligung der Herrschaft "aus der Herrschaft" Bürge werden.N.52 Die Strafe für die Nichtbefolgung war eine empfindliche: eine hohe ziffernmäßige Geldbuße oder die Bezahlung der einfachen, ja selbst der doppelten Summe, um welche die Bürgschaft geleistet wurde.N.53 Die Strenge des Verbotes tritt auch in der zuweilen festgelegten Anzeigepflicht [Faksimile] der Dorfgenossen, im Falle des Verletzens dieser Vorschrift zutage.N.54 Einige Weistümer bringen allgemeingehaltene VerboteN.55 einer Bürgschaftsleistung ohne Bewilligung der Herrschaft. In der Öffnung für Nieder-Wallsee (1483) findet sich die vom Standpunkt des Buchwesens bemerkenswerte Führung eines herrschaftlichen BürgschaftsbuchesN.56 über erlaubte Bürgschaften erwähnt. Diese allgemeinen Bürgschaftsverbote sind mit Rücksicht auf die so zahlreichen Fälle vorgeschriebener Bürgschaft auffällig. Sie mögen aber ebenfalls hauptsächlich gegen Bürgschaften für Fremde gerichtet gewesen sein und darüber hinaus dem Zwecke gedient haben, ein Umsichgreifen des Schuldenmachens unter Zuhilfenahme freiwilliger Bürgschaft zu steuern; gewiß war dies beim Spielverbot und beim Ausschlusse der Bürgschaft für eine SpielschuldN.57 der Fall. Von ähnlichem Gedanken war auch die Stellung der Weistümer zur Bürgschaft der Ehefrau getragen, wenn sie, offensichtlich ohne römischrechtliche Beeinflussung, die Bürgschaft der Frau bei fehlender Einwilligung des Mannes nur bis zu einem geringen Betrage für zulässig erklärten.N.58
Zeigen schon die hier betrachteten Gebote und Verbote eine bodenständige Entwicklung, so tritt uns in der zweiten Gruppe bürgschaftsrechtlicher Bestimmungen eine dem ältesten Bestande der Weistümer zugehörende, sich unverändert in das 16. und 17. Jahrhundert fortsetzende Gestaltung der Bürgschaft entgegen. Es handelt sich um den Grundsatz, bei genügender Bürgschaft eine Gefangennahme auszuschließen, wo nicht peinliche Straffälle, vor allem Tötungen vorlagen. Da diese Bürgschaft den Zweck hatte, die Stellung des Bürgen im Gerichte zu sichern, zu "vergewissern", lebt in ihr die Gestellungsbürgschaft fort. Die Weistümer aller deutschen Gaue bringen Beispiele solcher Bürgschaft. Oft geschieht dies geradezu im Wege der Aufstellung einer allgemein zu beobachtenden NormN.59; es ist ersichtlich, daß die Bewohner auf solche Sicherung leiblicher Freiheit hohen Wert legten. Der [Faksimile] Gestellungszweck geht zuweilen aus dem Texte der Vorschrift unmittelbar hervor; so wenn gesagt wird, daß Bürgschaft zu leisten ist, damit sich der Beschuldigte "herwider stell und abtragung tue", daß er "recht nemen und geben will"N.60, daß er "auf widerstellen ledig gelassen"N.61 werde. Von der Grundanschauung, daß bei Bürgenstellung die Freiheit gewahrt zu bleiben habe, sind die Weistümer so sehr durchdrungen, daß es nicht an Vorschriften fehlt, wo es den Amtsträgern zur Pflicht gemacht wird, für solche Befreiung von der Gefangennahme selbst zu sorgenN.62 und wo dem Beschuldigten ein Beschwerderecht bei Nichteinhaltung dieses Grundsatzes zuerkannt wird.N.63 Im besondern wird die Freihaltung von einer Gefangennahme, vom "Türmen" und "Pflocken" den Fremden und Ledigen, nicht angesessenen Knechten zuerkannt und gleichzeitig solche Verbürgung von ihnen gefordert.N.64 Bei den Angesessenen kann die Bürgenstellung mit Rücksicht auf ihren pfändbaren Besitz entfallen.N.65 Die Einschränkung solcher Gestellungsbürgschaft, unter Ausschluß peinlicher oder "Malefizsachen", auf "ehrbare Sachen" oder durch Geldbuße abtragbares Unrecht ("Unzucht") hatte ihren Grund nicht so sehr in dem Grade des Vergehens, als in der schon dem Mittelalter eigenen GestaltungN.66, daß nach Aufkommen peinlicher Strafen der Bürge die leibliche Strafe nicht für den Verbürgten zu tragen hatte. So legen die Weistümer zuweilen die Haftung des Bürgen bei Totschlag mit einem, vielleicht aus dem Wergelde erwachsenen Höchstbetrage von 32 Pfund fest.N.67
Der innern privatrechtlichen Bürgschaftsverhältnisse gedenken die Weistümer weit seltener. Dies entspricht ihrer grundsätzlichen [Faksimile] Bestimmung, Rechte und Pflichten der Angesessenen als Gemeindegenossen festzuhalten und die öffentliche Ordnung der Gemeinschaft zu regeln. Was jedoch in den Weistümern hierüber gesagt wird, erweist das Fortleben altüberkommener Rechtsanschauungen. Die Bürgschaft ist in den Weistümern rein haftungsrechtlich gesehen; so stellt z. B. ein Forstding von Goslar die Bürgschaft dem Pfande gleich und läßt den Schuldner, wenn er Bürgschaft oder Pfand nicht zu setzen vermag, "selbst zum Pfände"N.68 werden. Auch rechtssprachlich kommt die Fortdauer mittelalterlicher Auffassung deutlich zum Ausdruck; die alle Weistümer durchziehende Fassung "einen Bürgen setzen", gibt die Verwandtschaft mit dem Setzen des Pfandes kund. Die in den Schweizer Weistümern wiederkehrende Bezeichnung "Trost"N.69 für Bürgschaft, "trösten" für bürgen möge in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben. Daß auch der Handritus als Verbürgungsform dem bäuerlichen Rechtsleben nicht fremd blieb, dafür kann als allerdings vereinzeltes Zeugnis der Wortlaut des Stiftsrechtes der Nachbarschaft zu Wisding (Steiermark) dienen, wo für die Verbürgung die Worte "hantgelobte treu geben" gewählt werden.N.70 Das eben erwähnte Weistum bringt für die Frage des Haftungsverhältnisses zwischen Schuldner und Bürgen den alten, der Trennung von Schuld und Haftung entsprechenden Grundsatz der Ersthaftung des Bürgen zum Ausdruck. Besonders deutlich spricht in diesem Sinne das Salzburger Landrecht von AltenhanN.71 wenn es sagt: "nit weniger da ainer ein porgschaft im gericht thät umb erbare sach, so soll man selbschuldner nicht fordern, fordert man selbigen aber, so soll der porg ledig sein und nit weiter steen". Demgegenüber treffen andere Weistümer die Regelung, daß der Bürge erst nach erfolglosem Belangen des "Selbstschuldners" in Anspruch genommen werde, außer wenn sich der Bürge als "Selbstschuldner und Bürge" neben den Schuldner gestellt hätte.N.72 In diesen letzteren Vorschriften kann trotz ihrer Annäherung an das römische Recht gleichwohl schon ihrer ganzen Fassung nach keine Übernahme des römischen Rechtes gesehen werden, sondern es liegt eine Abschwächung der haftungsrechtlichen Stellung des Bürgen vor, [Faksimile] wozu, wie schon einleitend bemerkt worden ist, das mittelalterliche Recht aus sich selbst heraus gelangt war. Außer solchen, an die Grundauffassung der Bürgschaft rührenden Weistümerstellen finden sich, allerdings recht selten, auch andere bürgschaftsrechtliche Begleitumstände erwähnt. So wird gelegentlich ausgesprochen, daß die Bürgschaft ein Jahr nach dem Tode des Schuldners endigen solleN.73, daß bei Vorversterben oder "Unnützwerden" eines MitbürgenN.74 die andern Bürgen für ihn zu zahlen hätten. Das Rückgriffsrecht des Bürgen gegen den Schuldner ist rein auf den Gedanken eines Ersatzes des vom Schuldner verursachten Schadens gestellt, wozu sogar nötigenfalls die Herrschaft dem Bürgen zu verhelfen hatN.75; eine Zession der Gläubigeransprüche an den Bürgen wird sonach nicht erfordert. Alle diese Regelungen liegen in deutschrechtlichem Gedankenkreise.
Die vorliegende Abhandlung wurde mit Absicht nicht in systematischer Überordnung der einzelnen Fragen geführt, sondern sie verfolgte die Entwicklung der Bürgschaft im betrachteten Zeitraume an der Hand der als Ganzes gesehenen verschiedenen Regelungen. Es gehörte geradezu zu den Zielen der Studie, auf dem begrenzten Gebiete der Bürgschaft zu zeigen, daß der Rezeptionsprozeß kein einheitlicher war. Je nach den Verfassern der unterschiedlichen Rechtsquellen wechselt Art und Maß der Aufnahme des römischen Rechtes. So konnte fast völliges Erhalten deutscher Rechtsanschauung weitreichender Übernahme römischer Rechtsgedanken gegenüberstehen, während eine dritte — die stärkste — Gruppe ein Nebeneinander deutschen und römischen Rechtes zeigt. Das Ziel der Gesetzgebungen des 16. Jahrhunderts lag nicht grundsätzlich in der Aufnahme des römischen Rechtes, sondern im Bestreben, das Recht zweifelsfrei festzulegen, wozu die Verwertung des Druckes ein neues Mittel bot. Die Bedeutung der Drucklegung möchte ich, auf dahinzielende einleitende Angaben mancher der hier behandelten Rechtsquellen selbst gestützt, nachdrücklich hervorheben.
Die Rechtslage der Bürgschaft, wie sie uns im 16. Jahrhundert vor Augen tritt, ist für die Erkenntnis des heutigen Rechtes nicht [Faksimile] ohne Wert. Die im persönlichen Einsatz geschichtlich begründete weite Verbreitung pflichtmäßig gebotener Bürgschaft ist allerdings zugunsten geldlicher Sicherheitsleistung gewichen und ebenso ist aus verwandten Gründen die Gestellungsbürgschaft verschwunden. Demgegenüber leben etwa im Ausmaße des Rezeptionszeitalters die Erscheinungsformen einer, dem Hauptschuldner gleich[-] nicht nachgestellten Haftung des Bürgen auf, wie dies die handelsrechtliche Bürgschaft und vollends die wechselrechtliche Avalbürgschaft zeigt; im bürgerlichen Rechte kann eine Gleichstellung der Bürgenhaftung vertraglich eintreten und der Ausdruck, daß solches geschehe, wenn sich der Bürge als "Bürge und Zahler" verpflichtet, hält in diesen Worten unbewußt deutschrechtliche Grundauffassung fest. Die Regelung des selbständigen Rückgriffes des Bürgen, die Behandlung der Mitbürgschaft sind weitere Zeugnisse eines Wiederauflebens heimischer Rechtsbildung.N.76 — Nach einer immer stärkeren Anwendung des römischen Rechtes im 17. und frühen 18. Jahrhundert ist auf dem Wege über das Naturrecht das heutige Recht zu einer Verteilung römischer und deutscher Rechtsgedanken gelangt, welche jener des 16. Jahrhunderts nahe steht. Fast scheint sich so ein Kreislauf in der Entwicklung des Bürgschaftsrechtes geschlossen zu haben.