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Heino Speer :: 27. August 2012
In der österreichischen Rechtsgeschichte ist NIKOLAUS BECKMANN vor allem bekannt als innerösterreichischer Regimentsrat und Verfasser der "Idea juris statutarii et consuetudinarii Stiriaci et Austriaci cum jure Romano collati" (Graz 1688), eines Werkes, das der Differentienliteratur zuzuzählen ist1. Berühmt und berüchtigt ist Beckmann als Professor des römischen Rechts an der Universität Lund durch seinen Konflikt mit dem Naturrechtslehrer SAMUEL PUFENDORF geworden, der 1673 zur Flucht Beckmanns aus Schweden und zur Relegation und Landesverweisung geführt hat2.
Im folgenden sollen Leben und Werk Beckmanns eine kurze Darstellung finden und insbesondere auf seinen wenig bekannten Plan zur Schaffung eines Corpus juris Leopoldinum eingegangen werden3. [Seite: 642]
Nikolaus Beckmann, ein Zeitgenosse von LEIBNIZ, vier Jahre nach dem Tode Johannes KEPLERS geboren, hat wie dieser als Fremder in der Steiermark gewirkt und hier bedeutende wissenschaftliche Leistungen erbracht. Beckmann hat nach einem bewegten Leben als innerösterreichischer Regierungsrat in Graz eine Wirkungsstätte gefunden und hier seinen Lebensweg beschlossen.
Nikolaus Beckmann wurde 16344 zu Heide (Heida) im Dithmarschen geboren5.
Er inskribierte zunächst (1655) an der Universität Königsberg, kam 1658 als Instruktor des Grafen Adolf von Oxenstierna nach Stockholm, ging mit diesem 1662 nach Helmstädt, wo er im Hause H. CONRINGS verkehrte und bei diesem Vorlesungen hörte, zog 1663 nach Marburg und 1665 nach Frankreich.
Im Jahre 1666 erwarb er an der Juristenfakultät zu Orléans das Doktorat beider Rechte6. In demselben Jahr erschien in Paris sein erstes umfangreicheres Werk, die "Medulla Iustinianea, sive dilucida totius iuris civilis, iuxta digestorum methodum explicatio". Dieses Werk dedizierte er König Karl IX. von Schweden. Schon in diesem Werk findet sich Beckmanns Symbolum: "Pie et prudenter, sincere et constanter"7. Nach Stockholm zurückgekehrt, wurde er 1667 über [Seite: 643]Vermittlung des Grafen von Oxenstierna8 zum Professor Juris an der neu gestifteten Universität zu Lund (Academia Carolina) ernannt9. 1668 wohnte er der Inauguration (Einweihung) derselben bei und führte im zweiten Semester des Bestehens der Universität das Rektorat (15. Juni bis Dezember 1668)10. Während seiner Tätigkeit in Lund schrieb er einen "Commentarius ad juris fundamenta" (Lund 1672)11. Seine Heirat mit einem Mädchen aus niederem Stande, eine Abgabendefraudation und die Verdächtigung eines Zolleinnehmers, die er zurückziehen mußte, minderten sein Ansehen12. Als im Jahr 1670 trotz Beckmanns Widerstand Samuel Pufendorf als Professor Juris Naturae et Gentium berufen wurde und bei den Studenten großen Anklang fand, verfaßte Beckmann, angeblich aus Verärgerung und gekränkter Eitelkeit13, zusammen mit dem Theologen JOSUA SCHWARZ eine Schrift14, in der sie Pufendorf eine Reihe von Verstößen gegen die orthodoxe lutherische Lehre vorwarfen. Pufendorf antwortete darauf mit gerichtlicher Klage wegen des ihm gemachten Vorwurfs des Atheismus. Beckmann flüchtete im November 1673 nach Kopenhagen, von wo er Pufendorf schriftlich zum Duell aufforderte. Der Akademische Senat zu Lund sprach gegen Beckmann im April 1675 Relegatio in perpetuum cum infamia aus und ließ den Index Novitatum durch den Henker verbrennen15.
Beckmann war unterdessen nach Deutschland gegangen und in Wien vom evangelischen zum katholischen Glauben übergetreten (1673). Auf Empfehlung des kaiserlichen Hofes erhielt er 1675 eine Anstellung als Kanzleidirektor des Benediktinerklosters Michelsberg bei Bamberg. Hier entstand seine "Doctrina juris"16, die erstmals 1676 in Nürnberg erschien, 1678 unter dem Titel "Jus Novissimum Romano-Germanicum" mit dem Nebentitel "Doctrina juris", 1681 in dritter Auflage als "Reformata doctrina juris".
Im selben Jahr (1681) erschien unter dem Pseudonym IUSTUS VERACIUS eine kleine Abhandlung über das Bamberger Gewohnheitsrecht: "Libellus Consuetudinum Principatus Bambergensis" (Neudruck 1733). Als Verfasser dieser [Seite: 644] Schrift wurde erstmals von J. H. JÄCK17 Nicolaus Beckmann angegeben (dazu unten III).
1677 oder 1678 wurde Beckmann zum kaiserlichen Rat ernannt18, 1680 zum innerösterreichischen Regierungsrat19 und 1685 (3. März) in den Ritterstand erhoben20. Beckmann wurde als innerösterreichischer Regimentsrat in wichtigen Geschäften verwendet21. So war er Verteidiger der Heiratsgutsansprüche der verwitweten Gräfin Tattenbach bei der Einziehung der Güter ihres enthaupteten Gemahls22. 1680 vertrat Beckmann mit vier anderen Räten die Regierung während der Pestzeit in Graz23; in den Jahren 1681 und 1682 war er Mitglied der obersten Pestkommission in Graz. Im Jahre 1681 führte er als Commissarius in causa magiae zu Leibnitz mehrere Hexen- und Zaubererprozesse24; auf diesem Gebiet war er ganz in den Vorstellungen seiner Zeit begriffen25.
Im Jahre 1682 erschien in Graz sein "Tractatus brevis, sed ponderosus ob materiae gravitatem, de praecipuis religionis controversiis contra Catholicam Ecclesiam et Catholicos a Lutheranis et Calvinianis ultra sesqui saeculum ab anno 1518" und im Jahre 1688 sein letztes Werk, die "Idea juris statutarii et consuetudinarii Stiriaci et Austriaci cum jure Romano collati", ein Werk der [Seite: 645] Differentienliteratur, wohl die wichtigste gedruckte Quelle für das innerösterreichische Recht des 17. Jahrhunderts26.
Nach dem Tode seiner ersten Frau27 heiratete Beckmann die Witwe des Landschaftssekretärs Anton Hercules, Catharina Victoria geb. Wottgo28. Bald darauf starb er kinderlos als wohlhabender, in Graz und St. Peter begüterter Mann am 7. April 168929. Von dem von ihm der Kirche in St. Peter gestifteten Altar fand sich keine Spur mehr, ebensowenig von seiner Grabstätte und der seiner beiden Frauen30.
Der Überlieferung nach war Beckmann ein recht eitler, von sich eingenommener Mensch31. Wohl zu Recht hat F. BISCHOFF in seinem Vortrag im Historischen Verein für Steiermark im Jänner 188332 den zweifelhaften Charakter Beckmanns hervorgehoben33.
Das erste größere Werk Beckmanns34, die "Medulla Iustinianea, sive dilucida totius iuris civilis, iuxta digestorum methodum explicatio" (Paris 1666)35, gilt als ein Plagiat36, als eine in Marburg nachgeschriebene Pandektenvorlesung37. In der Medulla werden alle fünfzig Bücher der justinianischen Digesten kurz kommentiert, wobei die Darstellung innerhalb eines jeden Titels in Thesen gegliedert ist; zu den einzelnen Begriffen und juristischen Ausdrücken finden sich Anmerkungen (mit Kleinbuchstaben bezeichnet). Literaturzitate sind selten (etwa GAIL, observationes und CARPZOV, processus juris38).
In Lund erschien 1672 Beckmanns "Commentarius ad prima juris fundamenta"39, ein Institutionenkommentar40. Beckmanns "Doctrina juris" erschien erstmals 1676 in Nürnberg (1677 in Würzburg), in zweiter Auflage 1678 mit dem Titel "Jus Novissimum Romano-Germanicum" und 1681 als "Reformata doctrina juris41, eine Darstellung des gemeinen Rechtes in Form eines Rechtslexikons, ein typisches Produkt des Usus modernus pandectarum, wie der Titel "Jus Novissimum Romano-Germanicum" zum Ausdruck bringt42. Bereits in der Vorrede der Reformata doctrina juris an Kaiser Leopold I. findet sich der Plan der Schaffung eines Corpus juris Leopoldinum, der dann in der Idea juris weiter ausgeführt wird43. Beckmann will in der Reformata doctrina juris nur das bei den Gerichten anwendbare Recht darstellen, die obsoleten Titel bzw. Bücher des Corpus juris civilis, welche für die Gerichtspraxis keine Bedeutung mehr haben, weglassen44; er führt diese Titel bzw. Bücher im einzelnen an (in 27 [Seite: 647] Punkten). Beckmann berücksichtigt in der Reformata doctrina juris schon gelegentlich den österreichischen Landesbrauch und die österreichische Gerichtspraxis und zitiert österreichische Autoren wie BERNHARD WALTHER45 und JOHANN B. SUTTINGER (Observationes practicae)46. Beckmann war 1681 ja bereits innerösterreichischer Regimentsrat.
Sein letztes Werk, die "Idea juris statutarii et consuetudinarii Stiriaci et Austriaci cum jure Romano collati" (Graecii 1688), verfaßte Beckmann als innerösterreichischer Regimentsrat, senior inter literatos consiliarios excelsi Regiminis47. Dieses Werk ist ebenso wie die Doctrina juris als ein Rechtslexikon in alphabetischer Ordnung abgefaßt48. Es ist der Differentienliteratur zuzurechnen49; die Abweichungen des steirischen und österreichischen Statutar- und Gewohnheitsrechtes vom römisch-gemeinen Recht werden aufgezeigt; auf Übereinstimmungen wird hingewiesen. Als Motiv für die Abfassung dieses Werkes führt Beckmann in der Vorrede an die "Celsissimi, ... Status Provinciales Ducatus Carinthiae" die bestehende Rechtsunsicherheit an: " ... ut saepe sit ignoratum, utrum casus controversus juxta Jus Civile R. vel Jus Statutarium, vel juxta Jus Consuetudinarium, vel secundum res ante judicatas, in diversis foris non concordantes, vel juxta Judicis arbitrium sit judicandus ..."
Die subsidiäre Geltung des römisch-gemeinen Rechtes bringt Beckmann im Art. Possessio zum Ausdruck50 (Idea juris S. 345): "... darum ich dann billich, generaliter meinen Schluß also mache: daß so offt nichtes (1.) in der hochlöblichen Steyrischen Land-hand-fest, (2.) nichts in der Steyrischen Gerichts-Ordnung, (3.) nichts in der Land-Gerichts-Ordnung, und (4.) nichts in der Policey-Ordnung, und in den andern kleinen Steyrischen Rechten, als Berg-Rechts-Büchlein, Bergwercks-Ordnung, Zehend-Ordnung, pupillar-Ordnung, etc. oder jure consuetudinario, specialiter contra jus R. verordnet, und contra jus R. [Seite: 648] geändert ist, so werden alle die übrigen Rechts-Sachen, juxta jus commune, und die allgemeine Kayserl. Rechten, regulariter decidiret, worbey es dann billich verbleibet, cum jura R. ex tribus rivis, vel fontibus, (puta: honeste vivere, neminem laedere, et suum cuique tribuere) fundatis, in jure naturae, et gentium naturali, quasi fluxu rationabiliter fluant, seque ad omnes humanas actiones, tam civiles, quam criminales, prudentissime extendant, et per consequens, in ipsa ratione naturali, et aequitate, regulariter se fundent, et ob id jura R. in tota Europa merito vigeant etc51." Beckmann sieht die Geltung des römischen Rechtes dadurch gerechtfertigt, daß sich dieses regelmäßig auf die ratio naturalis und aequitas gründe.
In der Vorrede an Kaiser Leopold I. entwickelte Beckmann neuerlich den Plan der Schaffung eines Corpus juris Leopoldinum auf der Grundlage des römischen Rechts, wodurch das justinianische Gesetzeswerk abgelöst werden solle; er führt dieses Projekt näher aus (siehe unten IV).
Beckmann entwickelt in der Idea juris eine Reihe von Reformideen rechtspolitischer Art52. Er tritt ein für die Umgestaltung der patrimonialen Landgerichte in kaiserliche Gerichte durch Einlösung von den Landgerichtsinhabern. Idea juris S. 264 (Art. Land-Gericht a. E.): "Zuwünschen wäre es, daß Ihre Kayserl. Majest. alle Landgerichter, hier im Lande, von denen Landgerichtes-Herren wieder einlöseten, und selbige alle sämbtlich, von einem gewissen Landgerichts-Richter, oder Bannrichter, administrieren liessen, damit die delicta, und delinquentes, pro Reipublicae tranquillitate, omniumque subditorum salute, jederzeit gebührend abgestraffet würden. Sic saepe mecum censuit excelsum Regimen53."
Beckmann tritt ferner ein für die Errichtung von Zwangsarbeitshäusern ("Zucht-Häusern")54, insbesondere in Wien und Graz, nach dem Vorbild der Zuchthäuser in Amsterdam (1595), Nürnberg, Straßburg, Hamburg und Bremen, wo arbeitsscheue Elemente wie Bettler, Landstreicher und Prostituierte [Seite: 649] unter strenger Disziplin zur Arbeit angehalten werden sollen55. In Wien war es schon 1671 zur Errichtung eines Zuchthauses gekommen (Codex Austriacus II S. 545 ff.), was Beckmann entgangen zu sein scheint. Für die Schaffung von Werk- und Zuchthäusern ist auch LEIBNIZ eingetreten56.
Beckmann spricht sich für die Abschaffung des Zunftzwanges57 nach dem Vorbild von Frankreich und Holland58 aus, für Enteignung im allgemeinen Interesse, um Mittel für die Türkenkriege zu erlangen59, gegen Güteranhäufung in einer Hand und gegen die Todesstrafe bei Übertretung von Jagdgesetzen60.
Bei Beckmann61 findet sich die Fünfzahl der dinglichen Rechte (jura in re, sive jura realia: dominium, possessio, jus hereditarium, servitus, pignus sive hypotheca). Diese Lehre des Usus modernus geht zurück auf HEINRICH HAHNS "Dissertatio de jure rerum et juris in re speciebus" (Helmstädt 1639)62; sie findet sich im ABGB § 308. Beckmann kannte wohl Hahns Schrift; er zitiert im Autorenverzeichnis zur Idea juris "Hahnius ad Wesenbecium in ff."63. Beckmann hat wahrscheinlich 1662 in Helmstädt Vorlesungen bei Hahn gehört64; Hahn bekleidete von 1641 bis 1668 eine ordentliche Professur in Helmstädt65; er war Professor Codicis.
Beckmanns Reformata doctrina juris sowie die Idea juris zeigen eine gute Kenntnis der gemeinrechtlichen Literatur der Zeit66. Von den österreichischen [Seite: 650] Juristen67 zitiert Beckmann JOHANN BAPTIST SCHWARZENTHALER, BERNHARD WALTHER68, JOHANN BAPTIST SUTTINGER, JOHANN HEINRICH REUTTER und JOHANN WEINGÄRTLER69. Beckmann zitiert häufig, mitunter wörtlich, Walthers privat- und prozeßrechtliche Traktate (Ordinari- und Extraordinariprozeß), oft ohne Walther im Text zu nennen70.
Ob Beckmann auch als Verfasser des 1681 unter dem Pseudonym Iustus Veracius erschienenen "Libellus Consuetudinum Principatus Bambergensis" anzusehen ist, wie J. H. JÄCK71 und G. BUCHDA72 annehmen (siehe oben II), erscheint mir recht fraglich, ja unwahrscheinlich. Diese Schrift ist dogmengeschichtlich von großer Bedeutung, weil darin mit der Theorie eines dominium plurium in solidum in der ehelichen Gütergemeinschaft des Bamberger Rechts die Entwicklung des Gesamthandeigentums eingeleitet wurde73.
Jäck74 hielt Beckmann „fast bestimmt" für den Verfasser. Er führt folgende Gründe an: Der Libellus sei mit denselben Lettern wie Beckmanns Doctrina juris, nämlich mit denen J. Ph. Miltenbergers (Nürnberg), gedruckt. Man kenne keinen einheimischen Gelehrten jener Zeit, "welcher mit mehr Sachkenntnis aus guten Quellen könnte geschöpft haben". Wäre der Verfasser des Libellus in einem Eingeborenen zu suchen, so würde man ihn leichter entdeckt haben. Beckmann habe sich schon früher des Pseudonyms eines Veridicus Constans75 bedient. [Seite: 651]
Buchda76 räumt ein, daß man zu keiner Gewißheit gelangt. Für die Urheberschaft Beckmanns sprechen seiner Ansicht nach folgende Umstände77: Als Kanzleidirektor oder Konsulent des Michelklosters bei Bamberg stand Beckmann unmittelbar an der Quelle des Bamberger Rechts. Beckmann hatte wegen seines Konflikts mit Pufendorf einen Grund, sich eines Pseudonyms zu bedienen. Hinzu kommt die Ähnlichkeit der Pseudonyme Iustus Veracius und Veridicus Constans, dessen sich Beckmann nachweislich bedient hat. In der Vorrede (Ad Lectorem) des Libellus sieht Buchda78 eine Anspielung auf die beiden Pseudonyme; der zweite Absatz beginnt: "Nos, qui Iustitiae et veritatis studium constanter coluimus, ..."; in "Iustitiae et veritatis" verstecke sich der Iustus Veracius, in "veritatis studium constanter" der Veridicus Constans.
Dagegen läßt sich einwenden, daß das Pseudonym Veridicus sehr beliebt und häufig war79. Es ist ferner verständlich, daß Beckmann seine Streitschriften gegen Pufendorf unter einem Pseudonym veröffentlichte, aber es bestand kein Grund dafür, die kleine Abhandlung über das Bamberger Gewohnheitsrecht pseudonym zu publizieren. Beckmanns Reformata doctrina juris erschien im selben Jahre wie der Libellus (1681) unter seinem Namen. Beckmann war 1681 bereits wohlbestallter innerösterreichischer Regimentsrat in Graz.
Gegen die Urheberschaft Beckmanns spricht vor allem ein inhaltlicher Vergleich der Reformata doctrina juris mit dem Libellus einerseits und mit der Idea juris andererseits. Bei den Artikeln der Reformata doctrina juris und der Idea juris lassen sich vielfache, oft wörtliche Übereinstimmungen feststellen, so bei Consuetudo80, Emphyteusis81, Testamentum82; die entsprechenden Materien im Libellus (De Consuetudine S. 1 ff., Emphyteusis S. 35 f.; Testamentum S. 121 f.) zeigen hingegen keinerlei Anklänge; auch die Allegationen im Libellus zeigen keine Entsprechungen.
In der Vorrede zur Idea juris (1688) führt Beckmann voll Stolz seine juristischen Werke an; der Libellus Consuetudinum Principatus Bambergensis ist nicht darunter. Beckmann hätte keinen Grund gehabt, dieses Werk zu verleugnen. [Seite: 652]
"Das Thema von der Notwendigkeit der Gesetzgebung ist im 17. Jahrhundert nicht von der Tagesordnung geschwunden83."
Nach den bekannten Kodifikationsplänen von LORIOZ84 und HOTOMANUS85 sowie der Anregung OLDENDORPS86 sind für das 17. Jahrhundert vor allem die Programme von HERMANN CONRING, LEIBNIZ und PHILIPP BURGHARD hervorzuheben.
Während H. Conring87 für eine Gesetzgebung eintrat, die teils von Kaiser und Reich, teils von den einzelnen Territorien ausgehen sollte88, entwickelte Leibniz89 in jungen Jahren den Plan eines Corpus Iuris Reconcinnatum90. Das Corpus Juris Civilis und das Corpus Juris Canonici sollten in einem knappen, übersichtlich und klar gefaßten Gesetzbuch zusammengefaßt werden91. Das geltende Recht sollte nicht in seiner Substanz verändert werden; den Sätzen des römischen Rechts sollte eine solche Gestalt gegeben werden, daß seine Übereinstimmung mit dem Naturrecht klar in Erscheinung trete92. [Seite: 653]
In späteren Jahren ging Leibniz weiter. In den Jahren 1678 und 1688 regte er die Ausarbeitung eines Codex Leopoldinus an93. Dieser Codex sollte das Corpus Iuris Civilis weitgehend ablösen. Leibniz wollte nun neben dem römischen Recht das deutsche Recht, andere europäische Landesrechte und die Grundsätze der höchstgerichtlichen Rechtsprechung berücksichtigen94. Wie F. STURM95 sehr eindrucksvoll aufgezeigt hat, stehen Leibniz' Kodifikationspläne durchaus in Einklang mit seiner Bewunderung und Verehrung für das römische Recht und die römische Rechtswissenschaft.
Im Jahre 1682 erschien von Philipp BURCHARD eine Schrift "De hodiernae iurisprudentiae naevis et remediis discursus"96. Burchard, der mehrfach HOTMANS Antitribonian zitiert, kritisiert zunächst die Rechtszustände seiner Zeit, insbesondere übt er Kritik an der communis opinio. Burchard verlangt nicht ein neues Gesetzbuch, sondern eine Entscheidung der Kontroversen durch die Staatsgewalt, einen novus decisionum codex; dieser sollte nicht durch das Reich, sondern auf Landesebene geschaffen werden.
Nikolaus Beckmann entwickelte bereits in der Vorrede der Reformata doctrina juris (1681), gerichtet an Kaiser Leopold I., den Plan der Schaffung eines Corpus juris Leopoldinum, den er dann in der Idea juris (1688) weiter ausführte97. 1681 war Beckmann bereits innerösterreichischer Regimentsrat.
Beckmann schlägt in der Vorrede zur Reformata doctrina juris vor, daß Kaiser Leopold I. als redivivus et alter Justinianus das gesamte Rechtsstudium in allen Teilen (Institutionen, Digesten, Codex, Novellen und Feudalrecht) in der Weise reformieren solle, daß er unter Weglassung aller obsoleten und antiquierten Bestimmungen, welche bei den Gerichten keine Anwendung mehr finden, ein novum excultum corpus juris Leopoldinum ex jure Justinianeo, feudali, Recessibus imperii et jure canonico schaffen solle, in quo nihil esset positum, nisi in foris et Tribunalibus Germaniae pro hodierno reipublicae statu magnam haberet utilitatem, sicque illud amplissimum et difficillimum juris studium in concinnam Juris Doctrinam immortali ac Gloriosissimo Vestro Caesareo conanime prudenter redigeretur.
Beckmann führt dann in 27 Punkten an, welche Titel bzw. ganzen Bücher der Digesten als obsolet und bei den Gerichten nicht mehr anwendbar weggelassen werden sollten98. Diese weggefallenen Titel der Digesten sollten ersetzt werden [Seite: 654] ex jure feudali, Recessibus imperii, jure publico, et canonico. Beckmann spricht von nova Digesta Leopoldina.
Die justinianischen Institutionen müßten als totius juris compendium, vel prima juris-incunabula, ex novis compilatis Digestis Leopoldinis bearbeitet werden.
Codex und Novellen würden überflüssig, wenn daraus die bei den Gerichten in Anwendung stehenden Bestimmungen in die neuen Digesten übernommen würden. Auch das jus feudale wäre in diese Digesten in zwei oder drei Büchern aufzunehmen.
Das neue Gesetzeswerk bestünde somit nur aus zwei Teilen, aus Institutionen und Digesten99.
Über die Methode der Darstellung führt Beckmann (Vorrede der Reformata doctrina juris) aus: Ut autem hisce praecedentibus recte observatis hoc novum opus Leopoldinum nomen Juris Doctrinae, et solidae jurisprudentiae contra juris osores tanto magis justissime obtineat; omnes tituli sic generaliter in novis Digestis Leopoldinis sunt tractandi, ut (1) perfectae et adaequatae formentur definitiones, (2) plenae et necessariae subjiciantur divisiones, (3) ut postea omnis, quae ad necessariam et essentialem cujuslibet materiae informationem quovis modo faciunt, plenarie apponantur. (4) ut bis breviter annectatur actio inde nascens, cui competat actio, contra quem, et ad quid, et (5) ut causa efficiens, materialis, formalis, et finalis, causarumque effectus succincte et clare exprimantur; quoniam rem accurate scire est per causas cognoscere, docente sic Aristotele. Diese Causa-Lehre geht auf Aristoteles zurück und wurde von der mittelalterlichen Rechtswissenschaft übernommen100.
Beckmann meint, daß dieses Werk binnen drei Jahren vollendet werden könne, wenn sieben Rechtsgelehrte unter der Leitung eines neuen Tribonian damit betraut würden101. Dieses neue Gesetzeswerk würde wie das justinianische Corpus von allen Königen und Völkern der christlichen Welt angenommen werden.
In der Idea juris (1688) wiederholt Beckmann in der Vorrede an Kaiser Leopold I. seine Aufforderung, ein Corpus juris Leopoldinum zu schaffen: Quid quaeso foret melius, quid utilius, quidve Reipublicae Rom. Germanicae salutarius, quam si Sacra Vestra Caesarea Majestas ex toto jure Rom. ea saltem, quae juris [Seite: 655] naturae, et gentium sunt, per optimos JCtos theoria, et praxi simul illustres excerpere juberet, ex quibus omnibus (adjectis insuper ex jure Divino, jure Canonico, in materiis casus conscientiae concernentibus, jure feudali, criminali, et jure publico, utilibus omnibus) unum bene formatum juris corpus undiquaque perfectum formare vellet. Beckmann schlägt nun eine Gliederung des Werkes in zehn bzw. zwölf Bücher vor, die sich in Titel, Leges und Paragraphen gliedern sollen.
Er sieht folgende Einteilung vor:
Beckmann will das römische Recht grundsätzlich beibehalten, soweit es bei den Gerichten noch in Anwendung steht; die obsoleten Bestimmungen sollen im neuen Gesetzbuch durch jene aus dem Feudalrecht, den Reichsabschieden und dem kanonischen Recht ersetzt werden.
Die gesamte Rechtsmaterie soll in eine wohlgeordnete Form gebracht werden: omniaque in universalem concinnam Juris Doctrinae formam commode redigi possent (in Vorrede an Kaiser in der Reformata doctrina juris).
Während Beckmann nach seinem Vorschlag in der Reformata doctrina juris die Gliederung der Digesten in 50 Bücher beibehalten will102, schlägt er in der Idea juris eine Gliederung in zehn bzw. zwölf Bücher vor103. Seine Einteilung zeigt eine gewisse Anlehnung an die Institutionenordnung (III de personis in [Seite: 656] genere, IV de rebus in genere, VIII de actionibus in genere), freilich in starker Weiterentwicklung.
Inwieweit Beckmanns Kodifikationsplan104 durch Conring105 oder Leibniz beeinflußt ist, läßt sich nicht mit Sicherheit feststellen. Die Leibnizsche Programmschrift "Ratio corporis iuris reconcinnandi" (1668) dürfte Beckmann wohl bekannt gewesen sein. Ob Beckmann auch von Leibniz' Plan eines Codex Leopoldinus (s. o.) Kenntnis hatte, scheint fraglich. Zwischen den Programmen von Leibniz und Beckmann läßt sich eine Reihe von Parallelen feststellen. Wie Leibniz will Beckmann grundsätzlich am römischen Recht festhalten und es nur in eine neue Form bringen, wobei Feudalrecht, kanonisches Recht und Reichsabschiede eingebaut werden sollen. Beckmann verwendet den charakteristischen Ausdruck "concinna Juris Doctrinae forma" bzw. "concinna Juris Doctrina". Den Geltungsgrund des römischen Rechts sieht Beckmann darin, daß es sich auf die naturalis ratio und aequitas gründe (s. o. bei Anm. 51).
Beckmanns Kodifikationsplan macht einen recht überlegten und abgewogenen Eindruck; auch die Durchführung ist durchdacht. Ein unmittelbares Vorbild muß nicht gegeben sein. Beckmann wußte sicherlich von den Reformprogrammen des Conring und Leibniz, entwickelte aber ein selbständiges Konzept. Beckmanns Kodifikationspläne stehen denen eines Conring, Leibniz oder gar Philipp Burchard nicht nach. Freilich bleiben auch seine Vorschläge noch ungehört; die Zeit war für eine Kodifikation noch nicht reif106.
Von bleibendem Wert war hingegen seine Darstellung des steirischen und österreichischen Statutar- und Gewohnheitsrechtes im Vergleich mit dem römisch-gemeinen Recht, die Idea juris, die bis zum Inkrafttreten des ABGB von praktischer Bedeutung war. Noch in einer oberstgerichtlichen Entscheidung aus dem Jahre 1857107 wird dieses Werk zitiert. Es stellt heute unsere wichtigste Erkenntnisquelle des innerösterreichischen Gewohnheitsrechtes des 16. und 17. Jahrhunderts dar108.