Ferdinand Kogler, Die Stellung Tirols in der deutschen Rechtsgeschichte bis ins 16. Jahrhundert (1930) :: Transkribierung Heino Speer 2018

Ferdinand Kogler, Die Stellung Tirols in der deutschen Rechtsgeschichte bis ins 16. Jahrhundert (1930) :: Transkribierung Heino Speer 2018

Die Stellung Tirols in der deutschen Rechtsgeschichte bis ins 16. Jahrhundert. Rede, gehalten anläßlich der feierlichen Inauguration als Rektor der Universität Innsbruck für das Studienjahr 1930/31 am 20. November 1930. Von Dr. Ferdinand Kogler, ord. Professor der Rechts- und Staatswissenschaften

Hochverehrter Herr Landeshauptmann! Hochansehnliche Versammlung!
Die Rektorsinauguration, die Einführung des neuen Rektors in sein Amt, ist ein doppelter Festtag, ein Festtag für die Universität als solche, ein Festtag für den neugewählten Rektor.

Der Professor, den die Dynamik der Jahre und das Vertrauen seiner Kollegen zur Leitung der Hochschule für ein Studienjahr beruft, steht auf dem Höhepunkt seines akademischen Wirkens. Wenn auch die Schatten des Lebens in diesem Zeitpunkte in der Regel schon länger werden, erfüllt diese Tatsache den neuen Rektor doch mit Genugtuung und mit doppelter Genugtuung dann, wenn er zur Leitung der Hochschule seiner Heimat berufen ist, seiner Heimat, die er mit ganzer Seele liebt und der zu dienen er zu seinen höchsten und heiligsten Aufgaben zählt, und mit dreifacher Genugtuung, wenn es sich um die Hochschule handelt, auf der er selbst studiert, den Doktorgrad erworben und die ersten Schritte als akademischer Lehrer getan hat.

Nachdem ich in herkömmlicher und formeller Weise in mein Amt eingeführt bin, danke ich in erster Linie Ihnen, mein vortrefflicher Amtsvorgänger, für die Einführung in mein Amt und für die mir auf den Weg gegebenen guten Wünsche. Es sind das Wünsche nicht nur für meine Person, sondern auch für die Universität. Mit meinem persönlichen Dank darf ich auch den Dank der Universität verbinden für die musterhafte, sachliche und ruhige Leitung unserer Hochschule im abgelaufenen Studienjahr. Ich werde glücklich sein, wenn ich in einem Jahre mit derselben Befriedigung auf mein abgelaufenes Amtsjahr werde zurückblicken können, wie Sie es heute tun können.

Dann danke ich meinen Kollegen, die mich in einstimmiger Wahl zum Rektorat berufen haben, für das mir geschenkte Vertrauen, das zu rechtfertigen mein aufrichtigstes Bestreben sein wird.

Sodann begrüße ich alle zu dieser Festfeier Erschienenen, die durch ihre Anwesenheit ihr reges Interesse an den Vorgängen unserer Hochschule bekunden, und von denen vielleicht manche auch ein Zug persönlicher Sympathie hieher geführt hat. Ich heiße alle, vom Landeshauptmann, dem Oberlandesgerichtspräsidenten, den hochwürdigsten Herren Prälaten, den Exzellenzen, dem Bürgermeister, dem deutschen Generalkonsul, den Generälen bis zum jüngsten Studentlein, zu gesamter Hand herzlich willkommen.

Ein besonderes Wort der Begrüßung und Ermahnung muß ich an Sie richten, meine lieben Kommilitonen, Hörer und Hörerinnen.
Sie als die Lernenden bilden mit den Lehrenden die Universität, die Universitas docentium et discentium. Lehrer und Hörer gehören zusammen wie die beiden Hälften eines Ringes. Lehrer ohne Hörer, Hörer ohne Lehrer sind bei einem geordneten Universitätsbetrieb nicht denkbar.
Trotzdem Sie aber nur die eine Hälfte der universitas litterarum ausmachen, hängt es doch ausschließlich von Ihnen ab, ob der Universitätsbetrieb ein Faksimile geordneter, ersprießlicher und erfolgreicher sein wird, und er wird es sein, wenn Sie sich bewußt sind und bewußt bleiben, zu welchem Zwecke Sie auf die Universität gekommen sind: Um zu studieren, um sich Wissen und Kenntnisse anzueignen und das nötige Rüstzeug zu erwerben für Ihren weiteren Lebensberuf und so nicht nur an Ihrer eigenen Ertüchtigung zu arbeiten, sondern auch am Wiederaufstieg der Gemeinschaft, der Sie angehören, Ihrer Heimat, Ihres Vaterlandes und unseres großen deutschen Volkes.
In dem Streben nach Erreichung dieses großen, schönen, gemeinsamen Zieles mögen sich alle Studierenden auf dem Boden der Alma mater zusammenfinden und bei voller Wahrung der eigenen Weltanschauung und Lebensauffassung auch einer anderen Überzeugung Achtung zollen und in Zusammenarbeit mit dem Lehrkörper die Aufgaben der Universität erreichen helfen.
Vor allem aber bitte ich Sie, verbannen Sie vom akademischen Boden jede Politik und heben Sie als echte akademische Bürger den Universitätsbetrieb über das politische Alltagsgezänke empor.

Ich hoffe, daß unser Zusammenwirken ein vertrauensvolles und harmonisches sein wird, daß es für mich nur eine Quelle der Freude, nicht des Verdrusses sein wird. Ich will der Rektor für Sie alle sein und Ihren Belangen weitgehendes Verständnis entgegenbringen. Sie werden in Ihren großen und kleinen Anliegen bei Ihrem Rektor stets eine offene Tür, ein offenes Ohr und ein offenes Herz finden.

Und nun bitte ich Sie, verehrte Anwesende, mich auf einen kurzen Gang durch mein Arbeitsgebiet zu begleiten. Ich habe als Thema meines Vortrages die "Stellung Tirols in der deutschen Rechtsgeschichte bis ins 16. Jahrhundert" gewählt1, und ich hoffe dafür Ihr Interesse für kurze Zeit gewinnen zu können.

Die deutsche Rechtsgeschichte ist die Geschichte des Rechtes des deutschen Volkes. Dieses deutsche Volk ist aus der großen germanischen Völkerfamilie herausgewachsen. Die Völkersplitter, die man später zu den deutschen rechnete, bilden, wie die Germanen überhaupt, beim Eintritt in die Geschichte jeder für sich ein staatliches Gemeinwesen. Wir nennen diese primitiven ursprünglichen staatlichen Einheiten, die noch nicht zur Seßhaftigkeit gelangt waren, Völkerschaften, die römischen Schriftsteller nannten sie civitates.

Im Verlaufe der Völkerwanderung schlossen sich mehrere verwandte und benachbarte Völkerschaften zu größeren politischen Verbänden, zu Stämmen, zusammen und gelangten zu dauernder Seßhaftigkeit.

Unter den germanischen Stämmen haben die westgermanischen Stämme im fränkischen Reiche der Merowinger und Karolinger eine Zusammenfassung zu einer höheren politischen Einheit erfahren. Aus dem fränkischen Reich hat sich dann das ostfränkische Reich abgezweigt, das allmählich ein deutsches Reich geworden ist.

Das Wort "deutsch" (thiudisc, teudiscus, teutonicus) begegnet uns zum ersten Male unter Karl dem Großen und wurde verwendet zur Bezeichnung der Sprache derjenigen Menschen, die an ihrer Volkssprache (lingua theodisca) festhielten, im Gegensatz zu den romanisierten Stammesgenossen. Diese lingua theodisca, diese deutsche Volkssprache, ist das gemeinsame Band geworden, welches ganz verschiedenartige Völkerglieder zu dem großen deutschen Volke zusammenschmiedete, also gemeinsame Sprache, aber nicht gemeinsames Recht.Faksimile

Da die deutsche Rechtsgeschichte die Existenz eines besonderen deutschen Volkes voraussetzt, ist die germanische Rechtsgeschichte und die fränkische Rechtsgeschichte Vorgeschichte der deutschen Rechtsgeschichte. Aber deren Kenntnis ist für die Erkenntnis der deutschen Rechtsgeschichte ebenso Voraussetzung wie die Kenntnis der Kindheit- und Jugendgeschichte eines Menschen für die Erkenntnis des ganzen Menschen.

Die aus den Völkerschaften hervorgegangenen Stämme sind dann die Grundlage geworden der späteren territorialen Gliederung nach Landschaften, Territorien, Städten und die einzelnen in Betracht kommenden Völkerschaften, Stämme, Gebiete, Territorien sind nur Glieder der großen umfassenden Kette des deutschen Volkes.

Die Entwicklung des deutschen Rechtes ist niemals eine einheitliche gewesen. Niemals hat irgend eine Zentralgewalt auf die Erzeugung des Rechtes einen nachhaltigen oder ähnlichen Einfluß ausgeübt, wie etwa die Stadt Rom und die römischen Imperatoren auf die Entwicklung des römischen Rechtes und das Papsttum auf die Entwicklung des kanonischen Rechtes. Die Entwicklung des deutschen Rechtes erfolgte höchst partikularistisch innerhalb dieser Glieder des Gesamtvolkes.

Wohl nimmt die Entwicklung des deutschen Rechtes, wie die Entwicklung aller germanischen Rechte, seinen Anfang von einem germanischen Urrecht. In historischer Zeit ist aber die Entwicklung schon auseinandergegangen und erfolgte innerhalb der einzelnen Völkerschaften, Stämme, Landschaften, Territorien, Städte.

Aus dem ergibt sich, daß die Geschichte des deutschen Rechtes mit einer Mannigfaltigkeit behaftet ist, wie die Geschichte keines anderen Rechtes. Die deutsche Rechtsgeschichte ist die Geschichte des Rechtes all dieser deutschen Völkerschaften, Stämme und territorialen Verbände. Jede Völkerschaft, jeder Stamm, jeder territoriale Bezirk hat seine Bausteine beigesteuert zum gewaltigen Bau der deutschen Rechtsgeschichte und das große Ganze setzt sich aus unendlich vielen Einzelheiten zusammen.

Der Begründer der deutschen Rechtsgeschichte ist merkwürdigerweise ein Mediziner geworden, der Professor an der medizinischen Fakultät in Helmstädt Hermann Conring, der in seinem im Jahre 1643 erschienenen bahnbrechenden Werke "de origine juris Germanici" zuerst die Grundlinien der deutschen Rechtsentwicklung zeichnete.

Zum Range einer Wissenschaft hat die deutsche Rechtsgeschichte Karl Friedrich Eichhorn († 1854) erhoben, der zuerst in meisterhafter Weise die vorhandenen Bausteine zusammengetragen und den Rahmen gezeichnet hat, in dem die Rechtsgeschichten der einzelnen Stämme und Landschaften sich einfügen. In geradezu klassische Formen hat dann, um nur noch diesen einen Namen zu nennen, Heinrich Brunner († 1915), ein Österreicher, Ehrendoktor unserer Universität, die deutsche Rechtsgeschichte gegossen und nicht nur ordnend und zusammenfassend gearbeitet, sondern selbst gewaltige Ecksteine dem in stetem Fortschreiten begriffenen Bau der deutschen Rechtsgeschichte eingefügt.

Wir wollen nun, freilich nur in großen Zügen, wie es in einem akademischen Vortrag möglich ist, untersuchen, welche Bausteine Tirol, worunter ich Deutschtirol verstehe, zum Gebäude der deutschen Rechtsgeschichte beigesteuert hat, wie sich die Rechtsgeschichte Tirols in den Rahmen der deutschen Rechtsgeschichte einfügt, inwieweit die Rechtsgeschichte Tirols mit der Rechtsgeschichte anderer Faksimile deutscher Territorien sich deckt, inwiefern sie davon abweicht. Dabei wollen wir nur das öffentliche Recht ins Auge fassen und das Privatrecht beiseite lassen und die Entwicklung nur bis ins 16. Jahrhundert verfolgen, denn darüber hinaus hat eine gegenseitige Beeinflussung nicht mehr stattgefunden, denn Tirol war gleich den anderen österreichischen Territorien tatsächlich, wenn auch nicht rechtlich, aus den Bahnen des deutschen Reiches herausgetreten.

Um die Aufhellung der rechtsgeschichtlichen Verhältnisse Tirols haben sich Historiker und Rechtshistoriker in gleicher Weise bemüht und verdient gemacht.

Ich will hier keine Namen nennen, denn wollte ich Namen nennen, käme das der Aufstellung eines Verzeichnisses der tirolischen Geschichtsforscher gleich. Es sei mir nur die eine Bemerkung gestattet, daß die tirolische rechtsgeschichtliche Forschung in unauslöschlicher Weise mit unserer Universität verbunden ist, deren Lehrer der Geschichte und der Rechtsgeschichte, sowohl verstorbene wie lebende, am meisten und erfolgreichsten unser Arbeitsgebiet gepflegt haben.

Bei der Tatsache, daß noch sehr viel Quellenmaterial in den Archiven schlummert und erst der Verwertung harrt, haben wir für die Zukunft noch viel Aufklärung zu erwarten.

In vorrömischer Zeit war die Gegend des späteren Tirol von Menschen illyrischen Stammes bewohnt, und zwar wohnten nördlich und südlich des Brenners, nördlich und südlich der Zentralalpen, Menschen gleichen Stammes.

Unter der Römerherrschaft (seit 15 v. Chr.) bildete unser Gebiet einen Teil der Provinz Rätien, die östlich durch das Pustertal bis zur Wasserscheide am Toblacher Feld reichte und im Norden über die Alpen bis zur Donau sich erstreckte.

Die Südgrenze Rätiens gegen Italien verlief am Fuße des Zuges der Zentralalpen etwa in einer Linie von der Gegend von Meran bis Klausen.

Das Gebiet südlich dieser Linie gehörte zu Italien und später zum Ostgotenreiche Theoderichs des Großen (493 bis 526), dessen volkstümliche Heldengestalt als Dietrich von Bern noch Jahrhunderte später in der Sage Südtirols gepriesen wird. Diese Grenzlinie Meran—Klausen ist auch als Scheide der noch im vierten Jahrhundert gegründeten Bistümer Trient und Säben (später Brixen) angenommen worden und hat sich als Bistumsgrenze die ganze nachfolgende Zeit erhalten.

Im sechsten Jahrhundert brachen von Norden her kommend die Bajuwaren ins heutige Tirol ein, eroberten und besiedelten zuerst Nordtirol, überstiegen dann den Brenner und die Zentralalpen und brachten das ganze Land am Inn, an der Sill, am Eisack, im Pustertal bis hinunter zur Etsch durch das Schwert und den Pflug unter ihre Botmäßigkeit. Sie haben an der alten Grenze, an den Toren zum südlich gelegenen Garten Gottes, nicht Halt gemacht, sondern die alte Grenze zwischen Rätien und Italien in der Linie Meran—Klausen wurde nach einigen vorübergehenden Schwankungen von den Bayern nach Süden bis an die Etsch unter Bozen vorgeschoben.

Die Besiedlung des Landes erfolgte ganz nach den altdeutschen Grundsätzen. Vorherrschend war in den Talebenen und den größeren Mittelgebirgsebenen das Dorfsystem in Form des Gewanndorfes, welches als die gemeingermanische Niederlassungsform bezeichnet werden kann. Das zu einem Hof gehörige Ackerland war nicht ein zusammenhängender Komplex, sondern befand sich in der Gemengelage, Streulage.

Neben dem Gewanndorf begegnet uns dann besonders in den Gebirgshängen die Niederlassung nach dem Hofsystem.Faksimile

Diese Besiedlungsart ist im Wesen bis auf den heutigen Tag erhalten geblieben.

An der Etsch stießen die Bayern mit den um dieselbe Zeit von Süden kommenden Langobarden zusammen, deren König Alboin i. J. 568 nach Vernichtung der oströmischen Herrschaft in Italien ein Reich gegründet und hiemit das Erbe des von Ostrom zerschlagenen germanischen Ostgotenreiches angetreten hatte.

Die Etsch bildete zunächst die Grenze zwischen langobardischem und bajuwarischem Herrschaftsgebiet. Die Grenze ging von Meran die Etsch abwärts bis vor Branzoll und von hier ostwärts ins Gebirge.

Die Ortschaften am rechten Etschufer gehörten zum langobardischen Reich bezw. zum langobardischen Teilherzogtum Trient. Hier galt in der Hauptsache langobardisches Recht. Aus diesem Gebiete haben wir vereinzelte professiones juris, wonach der oder jener lege Langobardorum lebte.

Außer den direkten Quellenzeugnissen und den professiones juris haben wir noch ein anderes ziemlich sicheres Mittel, die Ausdehnung des langobardischen Herrschaftsbereiches zu bestimmen.

Die Langobarden siedelten nämlich überall im Reiche ihre Krieger, Arimannen genannt, mit ihren Familien an. Wo wir solche Arimannen oder Rimannen angesiedelt finden, ist langobardisches Gebiet.

Was am linken Ufer der Etsch lag bis hinunter vor Branzoll, gehörte zum bayerischen Stammesherzogtum. Um das Jahr 680 ist uns ein bayerischer Grenzgraf, der in Bozen saß, bezeugt. Bis hinunter über Bozen galt nun in der Hauptsache bayerisches Stammesrecht. In den Urkunden dieses Gebietes, also des linken Etschufers, des Eisacktales und Pustertales werden bis zum Ende des 12. Jahrhunderts die dem bayerischen Volksrecht charakteristischen testes per aures tracti erwähnt, die bei den Ohren gezupften Zeugen. Die zum Geschäftsabschluß zugezogenen Zeugen wurden nämlich von beiden oder allen vertragschließenden Parteien am Ohre gezupft, wohl als Ermahnung, daß sie auf die Vorgänge des Geschäftsabschlusses genau achten sollten.

Wie die Arimannen auf langobardisches Siedlungsgebiet, so weisen die testes per aures tracti auf bajuwarisches Stammesgebiet hin.

Vom 8.—10. Jahrh. haben die Bajuwaren die Sprachgrenze noch weiter südlich ins Langobardenreich hinein vorgeschoben und sie dort aufgerichtet, wo sie im wesentlichen heute noch verläuft, an der Talenge bei Salurn, an der "Salurner Klause", und von da östlich und westlich verlaufend über hohe Gebirgskämme. So ist auf diese Weise das ganze sogenannte Überetsch von bajuwarischer Bevölkerung besiedelt worden und seit dieser Zeit finden wir die testes per aures tracti auch in dem Überetscher Gebiet.

Dieses ganze Eindringen bajuwarischen Volkstums in römisches Gebiet, die Niederlassung der Bajuwaren in der römischen Provinz Rätien und darüber hinaus südlich, unterscheidet sich von der Niederlassung anderer germanischer Stämme auf römischem Boden sehr wesentlich. Die übrigen germanischen Stämme wurden nach der Niederlassung auf römischem Boden infolge der zerstreuten Ansiedlung zwischen der bodenständigen römischen Bevölkerung romanisiert. Sie streiften ihr nationales Volkstum ab, sie hörten auf Germanen zu sein, sie wurden zu Romanen, so die Ostgoten und Langobarden in Italien, die Westgoten in Spanien, die Vandalen in Afrika, die Franken in Gallien. Aber die bajuwarischen Ankömmlinge verfielen nicht der Romanisierung durch die bodenständige römische Bevölkerung, dazu war diese viel zu wenig zahlreich und geschlossen und kulturell viel zu wenig hochstehend, daß sie das vermocht hätte. Umgekehrt Faksimile haben hier vielmehr die Bajuwaren die Rätoromanen größtenteils germanisiert, d. h. eigentlich bajuwarisiert und damit für immer dem deutschen Volke angegliedert. Nur wenige Reste der alten rätoromanischen Bevölkerung haben sich als Ladiner in einzelnen Hochtälern Südtirols, hauptsächlich in Gröden, Enneberg, Buchenstein und Fassa, eingekeilt zwischen Deutschen und Italienern, bis auf den heutigen Tag erhalten.

Das Stammesrecht war noch ein rein persönliches Recht, das an der Person haftete und von jedem Stammesangehörigen mit sich herumgetragen wurde. Erst seit den ersten Jahrhunderten des 2. Jahrtausends ist dann dieses persönliche Recht allmählich territorialisiert worden, mit dem Lande, nicht mehr mit der Person verbunden worden, das Stammesrecht ist damit Landesrecht geworden.

Aus dem persönlichen bajuwarischen Stammesrecht ist ebenso das territoriale bayerische Recht wie das Tiroler Landrecht erwachsen.

Im 13. Jahrhundert begannen in Deutschland die Versuche, das Recht in den Rechtsbüchern wissenschaftlich und systematisch zu bearbeiten.

Der erste und wohl auch der gelungenste dieser Versuche ist bekanntlich der Sachsenspiegel Eikes von Repgau, der das Recht der Sachsen darstellen wollte.

Nach dem Vorbild und zum Teil als Bearbeitung des Sachsenspiegels entstand in Süddeutschland der "Spiegel aller deutschen Leute", kurz Deutschenspiegel geheißen, der sich zum Ziel setzt, gesamtdeutsches Recht darzustellen. Der Verfasser konnte aber dieses Ziel schon aus dem einen Grunde nicht erreichen, weil es ein gesamtdeutsches Recht nicht gab, und so stellte er wesentlich süddeutsches Recht dar.

Es ist nun hochinteressant, daß die einzige bis jetzt bekannte Handschrift dieses Rechtsdenkmales, die im 14. Jahrhundert im bayerisch-österreichischen Sprachgebiet entstanden ist, in Tirol gefunden wurde. Sie kam aus dem Besitze des von Josef II. aufgehobenen Klosters Neustift bei Brixen an die Universitäsbibliothek in Innsbruck, wurde hier im Jahre 1856 vom Skriptor A. J. Hammerle entdeckt und von Julius Ficker 1859 veröffentlicht und eine Neuausgabe von K. A. Eckhardt und A. Hübner steht unmittelbar bevor.

Viel verbreiteter war der bald nach dem Deutschenspiegel und als Fortsetzung desselben gleichfalls in Süddeutschland entstandene Schwabenspiegel. Eine Reihe von Handschriften des Schwabenspiegels ist in Tirol gefunden worden. Nicht weniger als vier derselben, die aus den Beständen der von Josef II. aufgehobenen Klöster Stams im Oberinntal, Schnals und Neustift in Südtirol stammen, bewahrt noch heute die hiesige Universitätsbibliothek.

Eine aus dem Schlosse Ambras stammende, um die Mitte des 14. Jahrhunderts entstandene Handschrift wird heute in der Hofbibliothek in Wien aufbewahrt.

Diese Fundstellen legen den Schluß nahe, daß auch im Rechtsleben Tirols seit der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts der Schwabenspiegel eine große Rolle spielte und ungefähr die Bedeutung hatte, wie in früheren Jahrhunderten das in der lex Bajuwariorum niedergelegte bayerische Stammesrecht.

Diese Rechtsbücher waren aber nur Privatarbeiten, keine Gesetzbücher. Die darin enthaltenen Rechtssätze galten nur deswegen, weil sie Gewohnheitsrecht darstellten.

Das territoriale bayerische Landrecht ist erst i. J. 1346 durch Kaiser Ludwig den Bayer zum Gesetzesrecht erhoben worden, indem es im Landrechtsbuch eine zusammenfassende Kodifikation erfahren hat. Dieses bayerische Landrechtsbuch Kaiser Ludwigs war natürlich auch in Geltung in den erst i. J. 1505 durch König Faksimile Maximilian erworbenen drei Landgerichten Kufstein, Kitzbühel und Rattenberg und während es im Stammlande Bayern durch die Reformation der bayerischen Landrechte von 1518 und die sie ergänzende Gerichtsordnung von 1520 außer Kraft gesetzt wurde, hat es in den drei genannten Landgerichten Tirols als "Buchsage" unter ausdrücklicher Billigung der Tiroler Landesordnungen durch mehr als vier und ein halbes Jahrhundert Geltung behalten bis zur Einführung der großen österreichischen Kodifikationen gegen Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts, zuletzt des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches i. J. 1815.

Das Tiroler Landrecht ist erst mehr als anderthalb Jahrhunderte nach dem bayerischen Landrecht in den Landesordnungen seit dem Ende des 15. Jahrhunderts gesetzlich fixiert worden. Das darin niedergelegte Recht zeichnet sich aber vor fast allen anderen Produkten der Landesgesetzgebung jener Zeit, insbesondere auch vor dem bayerischen Landrechte vom Jahre 1518, durch seinen wesentlichen national-deutschen Charakter aus und man kann ruhig sagen, daß die Tiroler Landesgesetzgebung und das darin niedergelegte Recht viel deutscher waren als die Landesgesetze anderer deutschen Gebiete des 16. Jahrhunderts, insbesondere ist in den Tiroler Landesordnungen die Geltung des römischen Rechtes ausgeschlossen.

Gegen Ende des 15. und im 16. Jahrhundert vollzog sich nämlich im deutschen Rechtsleben ein Prozeß von weltgeschichtlicher Bedeutung. Es wurden auf deutschem Boden fremde Rechte, die in einer fremden, der lateinischen Sprache abgefaßt waren, die man gar nicht kannte, in ihrer Gänze als geltendes Recht aufgenommen.

Da neben kanonischem Recht und langobardischem Lehenrecht hauptsächlich römisches Recht, und zwar das justinianische Recht, aufgenommen wurde, pflegt man diesen Prozeß kurzweg als die Rezeption des römischen Rechtes zu bezeichnen. Genauer sollte man sagen Rezeption der fremden Rechte.

Träger dieser Rezeption waren überall der Kaiser, die Landesfürsten und die gelehrten Juristen und die höchsten Gerichte im Reich und in den Territorien.

Die Schweiz hat sich um deswillen, daß sie das 1495 errichtete Reichskammergericht und seine Ordnung ablehnte, des Eindringens der fremden Rechte, insbesondere des römischen Rechtes, erwehrt. Das schweizerische Recht ist daher unverfälscht deutsch geblieben und hat auch dort, wo es römisch-rechtliche Sätze aufnehmen mußte, seine Selbständigkeit behauptet.

Aber in den meisten deutschen Ländern ist die Subsidiarität der fremden Rechte im 16. Jahrhundert anerkannt und selbst landesgesetzlich sanktioniert worden.

In Tirol haben die Landstände in ihrem Konservativismus einen hartnäckigen und lange auch erfolgreichen Kampf gegen das Eindringen des fremden Rechtes geführt.

Die Stände waren ja immer und überall konservativ, aber in Tirol ist zu Geistlichkeit, Adel und Bürgertum als das konservativste Element der Bauernstand hinzugetreten, ja dieser hatte in den entscheidenden Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts geradezu die Führung unter den Ständen.

Dieser Konservativismus der tirolischen Stände zeigt sich in der Abneigung gegen alles Neue und Fremdartige und in ängstlicher Wahrung des Althergebrachten und insbesondere in einer entschiedenen Ablehnung des fremden Rechtes.

Wenn auch schon unter den landesfürstlichen Beamten des unter humanistischem Einflusse erzogenen Erzherzogs Siegmund und K. Maximilians, also seit der Faksimile Mitte des 15. und um die Wende des 16. Jahrhunderts neben Adeligen und gelehrten Geistlichen Doctores juris vorkommen, so kann doch in der Zeit dieser Regenten von einer zielbewußten Einführung des fremden Rechtes keine Rede sein. Die Stände hatten daher noch keinen Anlaß, eine Abwehrstellung zu beziehen*.

Unter Maximilians Nachfolger Ferdinand I., der schon wegen seiner spanischen Herkunft römischem Wesen mehr geneigt war und sich durchaus mit spanischen Ratgebern umgab, ist es anders geworden. Nun wiederholen sich durch ein ganzes Jahrhundert die Proteste der Stände gegen die doctores juris und das geschriebene (römische und kanonische) Recht und die Forderung nach ausschließlicher Anwendung des Landesrechtes, wohingegen die gelehrten landesfürstlichen Beamten auf allen möglichen Um- und Schleichwegen dem geschriebenen Recht Geltung zu verschaffen suchten.

Schon als es sich beim Regierungsantritt Ferdinand I. um die übliche Bestätigung der Landesrechte und Freiheiten handelte, wies der Hofrat darauf hin, daß eine solche Bestätigung "vermug des gemainen rechten" keine Beeinträchtigung der landesfürstlichen Machtvollkommenheit im Gefolge haben könne.

Der Landtagsabschied vom Juni 1525, welcher die Grundlage der sogenannten Bauernlandesordnung vom Jahre 1526 bildete, forderte, daß in Tirol bei allen Gerichten nicht nach dem geschriebenen Recht, sondern "nach satzung, gebrauch und herkommen des landes prozessieret und geurteilet" werde.

Der Landesfürst hat aber bezeichnender Weise diesen Artikel in die Landesordnung vom Jahre 1526 nicht aufnehmen lassen.

Dagegen haben die unter entscheidendem Einfluß der Stände zustande gekommenen Landesordnungen von 1532 und 1574, die in einzelnen Rechtsätzen romanistisch beeinflußt sind, die subsidäre Geltung des fremden Rechtes als Ganzes ausdrücklich ausgeschlossen und bestimmt, daß in subsidio, d. h. wenn die Landesordnung für einen bestimmten Fall keine Norm enthielte, an das alte Herkommen und die alten Gebräuche und Gewohnheiten des Landes zu rekurrieren sei.

Ebenso schloß eine Instruktion Ferdinand I. für das adelige Hofrecht an der Etsch vom Jahre 1551 die Anwendung des römischen Rechtes aus und ordnete für den Fall des Versagens der Landesordnung die Anwendung "der löblichen wohlhergebrachten offenbaren und bewährten Gebräuche" des Landes an.

Auf dem Huldigungslandtag im Jahre 1567 erklärten die Stände gegenüber Erzherzog Ferdinand II., daß in tirolischen Sachen unter Ausschluß des gemeinen Rechtes nur nach der Landesordnung und den Landesfreiheiten und in subsidio nach der Gewohnheit des Landes geurteilt werden dürfe.

Erst als die Landstände im Kampf um die Macht gegenüber dem Landesfürsten endgültig den kürzeren gezogen hatten, konnte dieser den entscheidenden Schritt zur Einführung des fremden Rechtes wagen.

Als die Stände auf dem großen Landtag im Jahre 1619 ihre alte Beschwerde gegen die Anwendung des gemeinen Rechtes wiederholten, antwortete der damalige Gubernator Erzherzog Leopold mit einer Resolution, in der er gegen die ausdrückliche Vorschrift und den Geist der Landesordnungen und gegen den ständigen Protest der Stände die Subsidiarität des römisch-kanonischen Rechtes für Tirol ausdrücklich anerkannte.Faksimile

Der streng konservative Sinn der tirolischen Stände führte auch dazu, daß sich Tirol im Rahmen der alten Habsburger Monarchie zwar ganz wohl fühlte und in den Machtmitteln des Gesamthauses eine Bürgschaft für seine eigene Sicherheit und Integrität erblickte, aber doch jede allzuenge Bindung mit den übrigen Ländern, welche die Großmachtstellung des Hauses seit dem 16. Jahrhundert immer gebieterischer forderte, perhorreszierte, am liebsten eine womöglich privilegierte Sonderstellung mit einem eigenen Landesfürsten erstrebte. Noch im Jahre 1720 bei der Kenntnisnahme der pragmatischen Sanktion, welche die verschiedenen Länder durch das Band des gemeinsamen Herrscherhauses und des gemeinsamen Monarchen zu einer festen Einheit zusammenschmiedete, konnten es sich die tirolischen Stände nicht versagen, ihrem Bedauern darüber Ausdruck zu verleihen, daß sie nun für immerwährende Zeiten der Aussicht auf einen eigenen Landesfürsten beraubt seien.

So engherzig sich die tirolischen Stände gegen alles Fremde, von außen Kommende abschlossen, so waren sie doch einem gesunden Fortschritt innerhalb des Landes nicht abgeneigt.

Das von den Bürgern und Bauern im Jahre 1525 auf dem Meraner Landeskonvent aufgestellte Reformprogramm, die sogenannten Meraner Artikel, klingt für die damalige Zeit geradezu revolutionär und wurde erst nach Jahrhunderten verwirklicht. So Einheitlichkeit des Rechtes, Gleichheit des Gerichtes, direkte Verwaltung der staatlichen Befugnisse durch den Staat selbst, Verbot der Ringe, Abschaffung der Leibeigenschaft, des Zunftzwanges, der Roboten. Auch in Bezug auf die ständische Verwaltungsorganisation, welche die Stände im Kampf um die Macht der landesfürstlichen Verwaltungsorganisation gegenüberstellten, ließen sie sich von einem gesunden Fortschritt leiten.

Kehren wir jetzt wieder zurück zur territorialen Entwicklung unseres Gebietes.

Mit dem Stammesherzogtum Bayern kam auch das Gebiet des späteren Tirol, das Land im Gebirge, die terra in montibus, infra montes, infra montana u. ä,, wie es um diese Zeit und noch lange, vereinzelt sogar bis ins 13. und 14. Jahrhundert hinein hieß, zum fränkischen Reich und durch die Eroberung des Langobardenreiches durch Karl den Großen (774) wurde mit dem Langobardenreich auch das Herzogtum Trient ein Teil des fränkischen Reiches.

Wie früher im Rahmen des römischen, bzw. weströmischen Reiches, so haben die bajuwarischen und langobardischen Gebiete des späteren Tirol jetzt im fränkischen Reiche in einer höheren politischen Einheit eine Zusammenfassung gefunden.

Im Rahmen des fränkischen Reiches hat dann die alte bayerisch-langobardische Staatsgrenze an der Etsch bald ihre alte Bedeutung verloren, so daß dem schon erwähnten Einströmen bajuwarischen Volkstums in langobardisches Gebiet kein Hindernis im Wege stand.

Die Folge der Einbeziehung des Gebietes des späteren Tirol in die fränkische Monarchie war dann die Einbürgerung fränkischer Rechtseinrichtungen, insbesondere wurde die fränkische Gauverfassung und das von Karl d. Großen geschaffene Institut der Schöffen herübergenommen.

Diese Gauverfassung bestand darin, daß das ganze fränkische Reich in Verwaltungssprengel zerfiel, an deren Spitze als Träger der staatlichen Gewalt ein Graf stand. Der einzelne Verwaltungsbezirk hieß Gau oder Grafschaft oder Gau-Grafschaft. Diese Gauverfassung ist wie in anderen deutschen Gebieten auch im Gebiete des späteren Tirol eingeführt worden. Faksimile

Namen und Umfang der einzelnen in der fränkischen Zeit konstituierten tirolischen Gaue oder Grafschaften können wir hier füglich übergehen.

Diese Grafschaften sind aber in ganz Deutschland in ihrem ursprünglichen Bestande nicht erhalten geblieben, sondern verfielen einem großen Auflösungsprozeß, den man als die Auflösung der Gauverfassung zu bezeichnen pflegt. Auch in Tirol hat dieser Prozeß sich durchgesetzt. Mögen auch hier die Gründe teilweise verschieden sein, das Resultat war auch hier dasselbe: Die Grafschaften verfielen infolge der Erblichwerdung der ursprünglichen Ämter zunächst der Teilung und schließlich der vollständigen Auflösung.

Aus den Trümmern der alten Grafschaften sind zunächst eine größere Anzahl kleinerer Grafschaften entstanden, die in der Folge in die Landgerichte übergegangen sind und als solche seit dem 13. Jahrhundert das ganze Land wie ein Netz umspannten.

Diese Landgerichtsbezirke waren von verschiedener Größe. In Südtirol waren sie in der Mehrzahl verhältnismäßig klein und entsprachen vielfach den Pfarrbezirken. In Nordtirol waren sie größer und sind oft für die Ausübung der niederen Gerichtsbarkeit in mehrere Schrannen zerfallen, wobei aber nur einer einzigen, der Hauptschranne, die Rechtsprechung in Sachen der Blutgerichtsbarkeit zustand.

Das von Karl d. Großen aus dem Institut der fränkischen Rachinburgen geschaffene Institut der Schöffen, der ständigen Urteilsfinder, hat sich von den fränkischen Stammlanden aus über die meisten Stammesgebiete verbreitet und in nachfränkischer Zeit auch im bayerischen Rechtsgebiet und damit in Tirol Eingang gefunden und das ganze Mittelalter überdauert. Erzherzog Siegmund und König Maximilian haben noch durch die Reformgesetze aus dem Jahre 1481 und 1499 die Schöffen- oder Geschworenen Verfassung nach den Grundsätzen Karl d. Großen in ganz Tirol einheitlich geregelt und dort, wo sie nicht bestand, sogar neu eingeführt.

Wenn wir das staatsrechtliche Schicksal unserer alten Grafschaften weiter verfolgen, so müssen wir vor allem feststellen, daß infolge Teilung des fränkischen Reiches Bayern und mit diesem die bajuwarischen Grafschaften im Gebirge zum ostfränkischen, d. i. deutschen Reiche fielen. Seitdem blieben diese Grafschaften ein Bestandteil des deutschen Reiches.

Auch die mit dem alten langobardischen Herzogtum Trient sich deckende Grafschaft Trient wurde seit dem Ende des 10. Jahrhunderts staatsrechtlich von Italien getrennt und auch dem deutschen Reiche im engeren Sinne angegliedert, so daß also alle Grafschaften im Gebirge, wie früher im Rahmen des fränkischen Reiches, so jetzt im deutschen Reiche in eine staatsrechtliche Verbindung gebracht waren.

Als Durchzugsland zwischen Deutschland und Italien hatte das Land im Gebirge für die deutschen Kaiser und Könige eine besondere Wichtigkeit. Es war im eminentesten Interesse des deutschen Reichsoberhauptes gelegen, die Alpenübergänge in verläßliche Hände zu legen und verläßlicher als die weltlichen Fürsten waren im allgemeinen die geistlichen Großen.

Die Politik der deutschen Kaiser und Könige und die Betriebsamkeit und Tüchtigkeit der Bischöfe von Brixen und Trient brachten nun alle diese Grafschaften, sowohl die bajuwarischen, wie die langobardische Grafschaft Trient in die Hände dieser beiden Hochstifte, welche seit 1004 und 1027 als Lehen vom deutschen Reich fast das ganze Gebiet des späteren Territoriums Tirol in sich vereinigen. Faksimile Neben ihrer geistlichen Gewalt und neben weitreichenden grundherrschaftlichen Rechten besaßen also die beiden Hochstifte eine Reihe großer Grafschaften. Damit wären alle Vorbedingungen gegeben gewesen für die Ausbildung zweier mächtiger geistlicher Fürstentümer. Die Bischöfe von Trient und Brixen hätten alle Vorbedingungen gehabt, ebenso wie der Erzbischof von Salzburg und andere Bischöfe, zur Landeshoheit emporzusteigen. Aber die Bischöfe haben sie nicht zu verwerten verstanden. An Stelle zweier geistlicher Fürstentümer bildete sich nämlich ein weltliches Fürstentum Tirol heraus. Nicht die erste Hand, welche direkt vom Reiche die Grafschaften empfangen hat, ist in Tirol zur Landeshoheit emporgestiegen, wie das bei anderen deutschen Territorien die Regel war, sondern erst die zweite Hand, die aus der ersten mit der Hochstiftsvogtei auch diese Grafschaften als Afterlehen erhielt.

Die Bischöfe verliehen nämlich die vom Reiche erhaltenen Grafschaften samt der Vogtei über die Hochstifte an weltliche Große weiter und die Afterlehensgrafen wuchsen mit der Zeit ihren Herren über den Kopf, hoben sich über ihre Lehensherren empor und drückten die Bischöfe zu Dienern ihrer Vasallen herab.

Als Vögte und Afterlehensgrafen der beiden Bischöfe erscheinen seit der zweiten Hälfte des 12. bezw. seit Beginn des 13. Jahrhunderts die Grafen von Tirol, die sich nach ihrem Stammschlosse neben dem gleichnamigen Dorf oberhalb Meran im Bereiche der alten Grafschaft Vintschgau nannten.

Diese Grafen von Tirol verstanden es, allmählich neben der Vogtei alle Grafschaften der beiden Hochstifte in ihre Hand zu bekommen. Auf Einzelheiten kann hier nicht eingegangen werden. Es sei nur erwähnt, daß der letzte Graf von Tirol, der im Jahre 1253 verstorbene Graf Albert III., den größten Teil des Landes im Gebirge als Lehen der beiden Bischöfe in seiner Hand vereinigte.

Auf dem Umwege über die beiden Töchter des letzten Grafen von Tirol gelangten dann deren Männer und schließlich Alberts Enkel, Graf Meinhard II. von Görz, zum Erbe der Grafen von Tirol, denn die bischöflichen Lehen der Grafen von Tirol, d. h. alle Grafschaften des Landes und daher auch die aus der Zusammenfassung dieser Grafschaften hervorgegangene einheitliche Grafschaft Tirol, waren zuletzt als Weiberlehen verliehen. Diese Tatsache war nach dem Tode des letzten Grafen Albert III. von Tirol 1253 anerkannt und realisiert worden und später hat Ludwig der Bayer das ausdrücklich in zwei Briefen aus den Jahren 1327 und 1330 bestätigt.

In Meinhards II. Hand waren alle Besitzungen der alten Grafen von Tirol vereinigt. Dieser Meinhard II. ist der eigentliche Begründer des Landesfürstentums Tirol geworden († 1295).

Die Grafen von Tirol haben ihren Haus- und Geschlechtsnamen auf alle erworbenen Grafschaften und auf ihren ganzen vereinigten Herrschaftsbesitz übertragen.

Seit Mitte des 13. Jahrhunderts hat man die Summe alles in den Händen des Grafen von Tirol befindlichen Länderbesitzes, also alle im Etschtal, Eisacktal, Pustertal und Inntal befindlichen Grafschaften, als eine Einheit aufgefaßt und diese Einheit als comitia Tyrolis, als dominium comitie Tyrolis, als comitatus et dominium Tyrolis, als dominium Tyrolense, als Grafschaft oder Herrschaft Tirol bezeichnet.

An Stelle aller bischöflichen Grafschaften war also durch deren Vereinigung und an deren Stelle ein einheitliches weltliches Territorium Tirol entstanden. Faksimile

Die Lehensabhängigkeit der Grafschaft Tirol von den Hochstiften Brixen und Trient blieb bis zum Reichs-Deputations-Hauptschluß i. J. 1803 aufrecht.

Aber diese Lehensabhängigkeit der Bestandteile der Grafschaft Tirol von den Hochstiften Brixen und Trient war eine rein formelle, ohne wirklichen Inhalt, und als um die Mitte des 15. Jahrhunderts der Bischof von Brixen Kardinal Nikolaus von Cusa im Streite mit Herzog Siegmund den Gang der historischen Entwicklung zurückschrauben und eine wirkliche Lehensherrlichkeit über Tirol geltend machen wollte, wurde dieses Streben als kaum mehr angesehen, denn eine antiquitas juris.

Tirol als Ganzes ist vielmehr im 14. Jahrhundert in direkte Lehensverbindung mit dem deutschen Reiche gelangt. Kaiser Ludwig der Bayer und sein Nachfolger Kaiser Karl IV. haben Tirol als Reichslehen betrachtet und behandelt.

Schon vor der Zusammenschließung der alten Grafschaften zu einer einheitlichen Grafschaft Tirol war deren Loslösung vom Stammesherzogtum Bayern erfolgt, welcher Prozeß mit dem Sturze Heinrichs des Löwen im Jahre 1180 als abgeschlossen zu betrachten ist. Als in den Achtzigerjahren des 13. Jahrhunderts von Seite Bayerns (Herzog Heinrich) leise Ansprüche auf die Zugehörigkeit Tirols, bzw. der tirolischen Grafschaften zu Bayern (im Sinne des alten Stammesherzogtumes) erhoben wurden, erklärte Bischof Konrad III. von Chur in einer Kundschaft vom 20. Jänner 1282, daß weder Meinhard noch einer seiner Vorfahren und insbesondere nicht sein Großvater, Graf Albert von Tirol, "ad ducatum Bawarie pertinere".

Im Jahre 1363 fiel Tirol an die österreichischen Herzoge, insbesondere an Rudolf IV.

Infolge des Umstandes, daß Tirol als Ganzes seit Ludwig dem Bayer in direkte Lehensabhängigkeit vom deutschen Reiche gelangt war, hätte das Reich als Lehensherr zu der von Herzog Rudolf IV. von Österreich schon seit langem geplanten Erwerbung Tirols seine Zustimmung geben müssen. Ob aber diese Zustimmung und die daraus fließende Belehnung der Habsburger mit Tirol bei der damaligen politischen Lage zu erreichen sei, war mehr als zweifelhaft. Der kluge Herzog Rudolf hat daher vorgebeugt und hat in das in seiner Kanzlei int Winter 1358/59 gefälschte Privilegium maius die Bestimmung angenommen, daß eine verweigerte Belehnung als vollzogen zu gelten habe, wenn die Herzoge darum dreimal schriftlich, jedoch ohne Erfolg, angesucht hätten.

Diese Bestimmung hat Rudolf auch in die gleichfalls in seiner Kanzlei angefertigten Urkunden von 1359 und 1363 herübergenommen, die den Anfall Tirols an die Habsburger vorbereiteten.

Seit Erwerbung des Landes durch die Habsburger trat zu der bisherigen Aufgabe Tirols, eine Brücke zu sein zwischen Nord und Süd, noch eine neue Aufgabe, eine Brücke zu sein zwischen Ost und West, ein Verbindungsglied zwischen der östlichen und der westlichen Ländergruppe der Habsburger, und seither hat Tirol seinen Lebensweg gemacht im Rahmen der übrigen österreichischen Länder oder wenigstens in enger Anlehnung daran.

In diesen genannten Urkunden von 1359 und 1363 spricht Herzog Rudolf von einem "Fürstentum Tirol". Wie Rudolf in seinen gefälschten Privilegien für Österreich alle möglichen Vorrechte und den Titel Erzherzogtum in Anspruch genommen hatte, so hat er auch für Tirol eigenmächtig eine Rangerhöhung vorgenommen, und die Wirkung war, daß die Grafschaft Tirol seit der zweiten Faksimile Hälfte des 14. Jahrhunderts ganz allgemein als gefürstete Grafschaft Tirol bezeichnet wurde.

Parallel mit dem Landesfürstentum waren in allen deutschen Territorien die Landstände entstanden, welche die fürstliche Macht beschränkten. In Tirol haben die Anfänge der Landstände etwas später eingesetzt als in anderen deutschen Territorien, weil sich das Landesfürstentum in Tirol auch etwas später konsolidierte. Der eigentliche Begründer der Landeshoheit ist ja der 1295 verstorbene Meinhard II. Aber in Bezug auf die Zusammensetzung der Landstände nahm Tirol eine von den übrigen deutschen Territorien abweichende Sonderstellung ein, indem nicht nur die Prälaten, der Adel und die Vertreter der Städte, sondern als gleichberechtigtes, oftmals sogar führendes Glied, Vertreter des Bauernstandes dazukamen.

Das hängt damit zusammen, daß in Tirol einerseits die Landesfürsten eine den Bauernstand begünstigende Politik trieben, andererseits auch die wirtschaftliche und soziale Lage des Bauernstandes bei weitem besser war als anderswo, was dann wieder auf seine politische Stellung zurückwirkte.

Während in den meisten deutschen Territorien die Grundherren ihre grundherrlichen Rechte zur Unterwerfung des Bauernstandes unter ihre gerichtliche und politische Herrschaft auszunützen und die dadurch begründete Unterwürfigkeit des Bauernstandes, die sogenannte Leibeigenschaft, bis weit ins 18. Jahrhundert hinein zu behaupten vermochten, waren in Tirol, vielleicht mit alleiniger Ausnahme des östlichen Pustertales, die wenigen Reste der bäuerlichen Leibeigenschaft schon gegen Ende des Mittelalters verschwunden und die leib- und grundherrliche Gerichtsbarkeit, wo eine bestand, schon im Mittelalter vom Landesfürsten aufgesaugt worden. Es gab daher in Tirol keine eigentlichen Patrimonialgerichte, die sich anderswo als Zwischenglieder zwischen Landesfürst und Untertanen einschoben. Alle Gerichtsbarkeit und alle Gerichte waren in Tirol landesfürstlich und vom Landesfürsten verliehen und wo vereinzelt gegenteilige Ansätze sich geltend machten, wurden diese vom Landesfürsten bald wieder absorbiert.

Die Bauern saßen in Tirol auf eigenem Grund und Boden oder doch auf solchem Leihegut, das eine Schmälerung der persönlichen Freiheit nicht im Gefolge hatte (freie Erbleihe). Nirgends waren die Bauern der politischen Herrschaft der Grundherren unterworfen. Sie hatten die unmittelbare Verbindung mit dem Landesfürsten behauptet. Sie nahmen an der Rechtssprechung teil und hatten in ihren Gemeinden ein bestimmtes Maß von Selbstverwaltung.

Mit dem allgemeinen Untertanenverband, d. h. der unmittelbaren Verbindung aller Territorialinsassen mit dem Landesfürsten, steht auch die allgemeine Landwehrpflicht der ganzen wehrfähigen Bevölkerung im engsten Zusammenhang.

Die in germanischer und fränkischer Zeit bestandene allgemeine Wehrpflicht war in nachfränkischer Zeit durch das Lehenskriegswesen zunächst gänzlich zurückgedrängt worden. Mit der Aufrichtung des allgemeinen Untertanenverbandes in den Territorien haben auch die Landesfürsten wieder begonnen, das Landvolk zum Kriegshandwerk heranzuziehen, insbesondere zur Landesverteidigung aufzubieten.

In Tirol finden wir ein solches Landesaufgebot wieder seit der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts und in feste Form wurde es gebracht im vielgerühmten, aber auch vielfach überschätzten sogenannten elfjährigen Landlibell Maximilian I. Faksimile vom Jahre 1511, das die verschiedenen Teile des Landes, die Hochstifte Brixen und Trient, die neuerworbenen Gebiete im Pustertal und die drei Landgerichte Kufstein, Kitzbühel und Rattenberg zu einem einheitlichen Verteidigungsgebiet zusammenfaßte und alle Gebietsteile wie sämtliche Bevölkerungsschichten zu den Lasten der gemeinsamen Landesverteidigung heranzog und die Höhe des Aufgebotes in dreifach abgestuften Sätzen von 5000, 10.000 und 20.000 Mann bestimmte.

Aber noch mehr als mit dem Namen des Kaisers Maximilian I. hängt die Regelung des Tiroler Landesverteidigungswesens mit dem seines Urenkels, des Deutschmeisters Erzherzog Maximilian (1602 bis 1618) zusammen, der in Ausbau des elfjährigen Landlibells für die Landesverteidigung in Tirol von den übrigen österreichischen Ländern abweichende und für lange Zeit maßgebende Einrichtungen schuf, die "Landmiliz".

Nach dem Vorbild anderer deutscher Territorien, namentlich Bayerns und Hessens, hat Erzherzog Maximilian im Jahre 1604 eine Zählung der gesamten waffenfähigen Mannschaft des Landes angeordnet und auf Grund dieser Vorarbeit am 7. Juli 1605 seine neue Zuzugsordnung erlassen, die im Wesen bis zum Jahre 1786 in Geltung blieb, in den Kriegen der Habsburger für das isolierte Tirol eine besondere Wichtigkeit hatte und sich glänzend bewährte.

Die in der Zuzugsordnung Erzherzog Maximilians vorgesehene und tatsächlich in der nächsten Zeit auch geübte militärische Schulung der bäuerlichen Bevölkerung auch in Friedenszeiten, die wir in keinem anderen österreichischen Lande finden, mag zum guten Teil den Grund gelegt haben zu jener Waffenfreude und militärischen Tüchtigkeit und jenem kriegerischen Selbstvertrauen, durch das das Tiroler Volk bis auf den heutigen Tag sich auszeichnet.

Die mittelalterliche Gerichtsverfassung Tirols zeigt durchaus altdeutsches Gepräge.

Erhalten hat sich einmal die altdeutsche, in die germanische Zeit zurückgehende Trennung der Funktion des Richtens und der Funktion des Urteilens. Der Richter ist nicht der Rechtssprecher, der das Urteil fällt, er ist nur der Frager des Rechtes und der Leiter der Gerichtsverhandlung. Das Urteil wird entweder von der ganzen Gerichtsgemeinde oder durch die aus oder von der Gerichtsgemeinde bestellten Geschworenen oder Schöffen gefällt. Insofern hat sich also die altgermanische und altdeutsche Teilnahme des Volkes an der Rechtssprechung erhalten. Die Einrichtung der Geschworenenausschüsse wurde, wie wir früher erwähnten, noch unter Herzog Siegmund und König Maximilian einheitlich ausgebaut.

Als Fortsetzung des altdeutschen echten Dinges finden wir bis in die Neuzeit hinein das sogenannte Ehehafttaiding, die Vollversammlung der Gerichtsgemeinde, die an den einzelnen Dingstätten des Gerichtsbezirkes zu bestimmten Zeiten zusammentrat und zu dem jeder Gerichtsgenosse dingpflichtig war. Das Urteil fällte hier die ganze Gerichtsgemeinde, der sogenannte Umstand. Die Geschworenen erstatteten nur einen Urteilsvorschlag.

Dem altdeutschen gebotenen Ding entsprach das sogenannte "gefrumbt recht", das je nach Bedarf auf Anrufen einer Partei vom Gerichtshalter angesetzt wurde und zu dem nicht alle Gerichtsinsassen, sondern nur die Geladenen zu erscheinen hatten. Da hier der Umstand fehlte, fungierten die Geschworenen als ausschließliche Urteiler.

Gemäß den altdeutschen Grundsätzen trat das Gericht nur auf Klage in Faksimile Tätigkeit: "Wo kein Kläger, ist auch kein Richter." Erst seit den letzten Regierungsjahren Sigismunds tritt dann zunächst subsidiär, d. h. wenn kein Privatkläger auftritt, und dann später auch primär eine Verfolgung der Verbrechen und Verbrecher von amtswegen ein.

Das Verfahren war ganz entsprechend den altdeutschen Verfahrensgrundsätzen bis zum Ende d. M.-A. mündlich und öffentlich, erst seit Ausgang des 15. Jahrhunderts beginnt allmählich das schriftliche Verfahren und der Ausschluß der Öffentlichkeit sich Eingang zu verschaffen, womit dann die allgemeine Gerichtspflicht hinwegfiel.

Auch die Einrichtung des bei den Gerichten geführten öffentlichen Buches, des Verfachbuches, ist ein echt deutsches Institut, reicht in Tirol zurück bis in den Beginn des 16. Jahrhunderts und hat sich ohne Unterbrechung erhalten, während in vielen deutschen Territorien das Eindringen des römischen Rechtes auf diesem Gebiete recht bedenkliche Erschütterungen im Gefolge hatte.

Erst seit 1897 ist es allmählich durch das besser eingerichtete Grundbuch abgelöst worden.

Die tirolischen Gerichte haben, insbesondere im 15. Jahrhundert, ganz vortrefflich funktioniert. Beweis dafür ist der Umstand, daß die gefürchteten westfälischen Fehmgerichte in Tirol eine einigermaßen bedeutsame Tätigkeit nicht zu entfalten vermochten, während sie in allen deutschen Territorien und insbesondere im benachbarten Bayern als Ersatz für die mangelnde und mangelhafte einheimische Rechtspflege im 14. und 15. Jahrhundert große Bedeutung erlangten. Sie haben Verbrechen und Verbrecher, die keinen Kläger, keinen Richter und keinen Strang gefunden hatten, verfolgt und so zur Aufrechterhaltung der Rechtssicherheit viel beigetragen.

Tirolische Adelige haben sich wohl vereinzelt unter die Freischöffen aufnehmen lassen, aber schon Herzog Friedrich hat diese Freischöffen verpflichtet, ohne sein Einverständnis das westfälische Fehmgericht nicht anzurufen, und Herzog Sigismund hat das Anrufen des heimlichen Gerichtes mit Gefängnisstrafe belegt. Auf diese Weise haben die tirolischen Landesfürsten sich dem Eindringen dieses fremden Gerichtes, das dem Ansehen und der Tätigkeit der ordentlichen einheimischen Gerichte nur abträglich sein konnte, mit Erfolg widersetzt und die Landesordnung von 1532 hat die Anrufung oder Folgeleistung eines fremden Gerichtes überhaupt verboten.

Besonders ergiebig für die deutsche Rechtsgeschichte ist die Geschichte der tirolischen Verwaltungsorganisation.

Die Verwaltungsorganisation Tirols reicht so weit zurück als das Landesfürstentum. Schon unter Meinhard II., dem Begründer des Landesfürstentums, wurde für das zu einer Einheit zusammengeschlossene Land eine Zentral- und Lokalverwaltung geschaffen, wie kein anderes deutsches Territorium in damaliger Zeit eine solche besaß. Die noch vorhandenen Kanzlei- und Rechnungsbücher, Urbare und Register der Meinhardiner geben uns einen bis ins einzelne gehenden Einblick in die landesfürstliche Verwaltung jener Zeit und sind heute noch eine wahre Fundgrube für die Rechts-, Kultur- und politische Geschichte nicht nur Tirols, sondern vielfach auch außertirolischer Gebiete. Den Vorsprung, den Tirol schon damals auf dem Gebiete der Verwaltung in Deutschland hatte, hat es bis weit in das 16. Jahrhundert hinein behauptet.

In den Mittelpunkt rechtsgeschichtlichen Interesses ist die tirolische landesfürstliche Verwaltung insbesondere im Zeitalter Maximilians gerückt worden, Faksimile indem Tirol die Wiege eines geschulten und pflichteifrigen Beamtenstandes im modernen Staate geworden ist. Die moderne Verwaltungsorganisation der deutschen Territorien ist von Tirol ausgegangen.

Maximilian I. fand bei seinem Regierungsantritt in Tirol (1490) schon eine verhältnismäßig hoch entwickelte Verwaltung vor, die den übrigen deutschen und österreichischen Territorien weit voraus war.

Maximilian baute diese vorgefundenen Verwaltungsbehörden in Tirol weiter aus, übertrug sie von da aus auf die anderen österreichischen Länder.

Maximilian hat auf seine tirolischen Beamten so große Stücke gehalten, daß er Innsbruck zum Verwaltungszentrum für die gesamten österreichischen Länder machen wollte. Vorübergehend hat er den Wirkungskreis der Innsbrucker Kammer auch auf die übrigen österreichischen Länder erstreckt, und als er dann in Wien für die niederösterreichischen Länder eine eigene Kammer errichtete, blieb die Innsbrucker Kammer lange Zeit die Kontrollstelle für alle österreichischen Länder. Und wären Maximilians Pläne verwirklicht worden, wäre Innsbruck die Hauptstadt des hl. römischen Reiches deutscher Nation geworden.

Die maximilianische, von seinem Nachfolger in Tirol und Österreich, Ferdinand I., weiter ausgebaute Verwaltungsorganisation ist dann für die anderen deutschen Territorien mustergültig gewesen und von diesen im Verlaufe des 16. Jahrhunderts vielfach nachgeahmt worden.

Auf dem Gebiete des materiellen und formellen Strafrechtes muß erst noch untersucht werden, welchen Einfluß das Strafgesetzbuch Maximilians vom Jahre 1499, das älteste umfassende Strafgesetzbuch auf deutschem Boden, auf die sogenannte Bambergensis des Freiherrn von Schwarzenberg und damit auf das große Strafgesetzbuch Kaiser Karl V. vom Jahre 1532, die sogenannte C. C. C., gehabt hat. Jedenfalls steht so viel schon jetzt fest, daß wir erstens viele der modernen Grundsätze, welche die Bambergensis und die Carolina enthalten, schon in der Maximiliana finden und daß in einer Beziehung wenigstens die Maximiliana viel aufgeklärter ist als die Bambergensis und Carolina, indem sie ein Verbrechen der Hexerei und Zauberei, das dort noch eine große Rolle spielt, nicht kennt oder wenigstens nicht erwähnt.

Die Entstehung und Entwicklung der tirolischen Städte ist im allgemeinen in denselben Bahnen verlaufen, wie in den anderen deutschen Territorien.

Alle tirolischen Städte sind aus offenen Marktsiedlungen hervorgegangen, die im Laufe der Zeit ummauert, mit Stadtrecht begabt und vielfach direkt mit dem Titel Stadt ausgezeichnet wurden.

Am frühesten und reichsten unter allen tirolischen Stadtgemeinden ist Recht, Verfassung und Verwaltung der Stadt Innsbruck ausgebildet worden.

Welche Bedeutung die Ummauerung für das Stadtwerden einer Siedlung um die Wende des 13. und 14. Jahrhunderts hatte, sehen wir an dem meines Wissens einzig dastehenden Beispiel von Imst.

Im Jahre 1282 begabte Graf Meinhard den Ort mit einem ausschließlichen Niederlagsrecht zwischen Prutz und Mittenwald und führt als Grund für diese Gnade an, daß er willens sei, Imst zu einem Markt und in der Folge zu einer Stadt zu machen.

In Ausführung dieses Planes seines Vaters kam König Heinrich im Jahre 1312 mit seinen Leuten und Untertanen zu Imst überein, daß sie den Markt und den Turm zu Imst in den nächsten 10 Jahren ummauern sollen in der Weise, wie es Faksimile die landesfürstlichen Kommissäre ausgemessen hätten. Jedes Jahr sollte ein Zehntel der Mauer fertig gestellt werden. Als Entgelt dafür gewährte der Landesfürst den Imstern für die 10jährige Bauperiode vollkommene Steuerfreiheit.

Da die Imster aber den Bau der Stadtmauer nie in Angriff nahmen, ist auch die zugestandene Steuerfreiheit nie praktisch geworden und der Markt mußte bis 1898 warten, bis er in diesem Jahre endlich den von den Imstern heiß angestrebten Rang einer Stadt erhielt.

Auch die Verleihung des Stadtrechtes zunächst auf nur eine Reihe von Jahren, wie das i. J. 1271 bei Kitzbühel (für 3 Jahre) der Fall war, ist eine, wie ich glaube, auf deutschem Boden einzig dastehende Erscheinung. Offenbar geschah das zur Erprobung, ob das neu gegründete Gemeinwesen sich städtisch entwickeln werde und ob die Bürgerschaft die an sie gestellten Anforderungen erfüllen werde.

Die hohe Gerichtsbarkeit, die viele deutsche Städte im Verlaufe der Zeit erlangten und infolgedessen sie einen eigenen Hochgerichtsbezirk bildeten, blieb den tirolischen Städten im allgemeinen versagt. Diese bildeten in der Mehrzahl innerhalb des mit der hohen Gerichtsbarkeit ausgestatteten Landgerichtes einen niederen Gerichtsbezirk.

Nur die drei bischöflich Brixnerischen Städte Brixen, Klausen und Bruneck waren mit der Blutgerichtsbarkeit ausgestattet und vorübergehend hat in der 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts auch das Stadtgericht von Innsbruck eine hohe Gerichtsbarkeit ausgeübt.

Die Zunftkämpfe, die im 14. Jahrhundert um die Teilnahme am Stadtregiment die meisten deutschen Städte durchtobten, sind in Tirol nicht in Erscheinung getreten mit Ausnahme einer einzigen ähnlichen Erscheinung in Meran. In Meran ist in den Jahren 1477 und 1478, veranlaßt durch auswärtige Elemente, die sich in Meran niedergelassen hatten, eine Bewegung der vom Stadtregiment ausgeschlossenen Inwohner gegen die Ratsbürger entstanden, die zu einer Neuredaktion der Stadtrechte durch den Landesfürsten führte und den Inwohnern neben den Ratsbürgern einen gewissen Anteil am Stadtregiment sicherte.

Die Stadt Meran bietet für die deutsche Stadtrechtsgeschichte auch insofern ein lehrreiches Beispiel, als sich hier die Entstehung des Rates der Bürger genau verfolgen läßt wie nur in wenigen deutschen Städten.

Daß Tirol für die Geschichte des deutschen Bergrechtes eine besondere Bedeutung hatte, ist schon längst erkannt worden.

Die aus den Jahren 1208 und 1214 stammenden Bergwerksordnungen des Bischofs von Trient, dem i. J. 1189 vom Reiche das Bergregal im Herzogtum Trient übertragen wurde, sind trotz des romanischen Bodens, auf dem sie entstanden sind, und trotz der lateinischen Sprache, in der sie abgefaßt sind, deutsche Bergwerksordnungen, ja sie sind die ältesten deutschen Bergwerksordnungen.

Alle wesentlichen Bestimmungen des deutschen Bergrechtes der späteren Zeit sind in diesen Trienter Bergwerksordnungen schon enthalten. Und so wie die Tiroler Bergleute als Pioniere des Bergbaues hinauszogen in alle deutschen Lande, ja auch darüber hinaus bis nach Rußland und England, so haben auch diese ältesten und die späteren Tiroler Bergwerksordnungen die anderen deutschen Bergrechte beeinflußt.

Ebenso ergiebig ist der Boden Tirols für die Geschichte der deutschen genossenschaftlichen Gebilde und damit für die Geschichte der älteren deutschen Agrarverfassung. In der Fülle der erhaltenen Weistümer, Gemeinde-, Dorf- und Alpordnungen und Urkunden begegnen wir einer Reihe von genossenschaftlichen Faksimile Vereinigungen, deren Anfänge zurückgehen in die Zeit der bajuwarischen Besiedlung. So Allmendegenossenschaften, Wald-, Weide-, Holz-, Wassergenossenschaften u. dgl.

Andere deutsche Rechtsinstitute, die wir wegen ihres Vorkommens in den meisten deutschen Territorien als allgemeine bezeichnen können, haben doch in Tirol eine besonders charakteristische Ausbildung erfahren, so das aus dem Bodenregal hervorgegangene Allmendregal des Tiroler Landesfürsten und das landesfürstliche Steuerwesen.

Wenn wir rückblickend die Rechtsentwicklung Tirols zusammenfassend überschauen, so können wir, abgesehen von der römischen Zeit, sehen, daß die Grafschaften, die zum späteren Tirol zusammengefaßt wurden, in der Hauptsache im Verbande des bayerischen Stammesherzogtumes standen. Nur die südlichste von Bozen südwärts sich erstreckende Grafschaft Trient gehörte als Herzogtum zum langobardischen Königreich.

Sowohl die bayerischen Grafschaften wie die langobardische Grafschaft sind aber mit dem Stammesherzogtume Bayern und dem langobardischen Königreich zuerst in den Rahmen des fränkischen Reiches und später in den des deutschen Reiches hineingezogen worden.

Auf dem Umwege über die Bischöfe von Brixen und Trient sind dann durch die Grafen von Tirol alle diese Grafschaften zu einem einheitlichen Territorium Tirol zusammengefaßt worden, welches, den Rahmen des Stammesherzogtums Bayern sprengend, als selbständiges Territorium in direkte Lehensabhängigkeit zum deutschen Reiche gelangte.

Aber auch aus dem Verbande des hl. römischen Reiches deutscher Nation ist Tirol zuerst tatsächlich und später auch rechtlich herausgetreten und hat seit dem Anfall an die Habsburger (1363) seinen Lebensweg im Verbande der österreichischen Länder gemacht.

Die Grundlagen der Rechtsentwicklung Tirols sind aber bajuwarische gewesen und sind bajuwarisch geblieben, bis der Ausgang des 18. und der Eingang des 19. Jahrhunderts für alle österreichischen Länder Rechtsgleichheit gebracht hat.

Dieses Tirol, hervorgegangen aus dem alten bajuwarischen Stammesherzogtum, herausgeschnitten aus dem Leibe des alten hl. römischen Reiches deutscher Nation, dieses Tirol im Verbande der österr. Länder ist unsere heißgeliebte Heimat, ist unser engeres Vaterland. Und die Hauptstadt dieses heute allerdings zerrissenen und zerstückelten Tirol ist unser Innsbruck und der Juwel von Innsbruck ist unsere Leopold-Franzens-Universität.

Ich weiß mich einig mit Ihnen, wenn ich in dieser feierlichen Stunde ein heißes Gebet zum Himmel sende:
Gott schütze unsere Leopold-Franzens-Universität,
Gott schütze unser Innsbruck,
Gott schütze Tirol und Österreich und das ganze deutsche Volk!

Fußnoten
1.
Dem Charakter einer Rede entspricht es, daß ich von der Beigabe eines gelehrten Apparates absehen kann. Der Fachmann wird ohnedies das Gesagte leicht nachprüfen können.
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Wenn die tirolischen Stände in einer Streitschrift vom Jahre 1487 sich auf eine laesio ultra dimidium beriefen (Jäger, landst. Verfassung II. z. S. 339), so beweist das nur, daß der Verfasser dieser Schrift diesen römischen Rechtsatz kannte, der übrigens wie einige wenige andere römische Rechtsinstitute schon vor der allgemeinen Aufnahme des römischen Rechtes ins deutsche Rechtsleben Eingang gefunden hat.
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