Ausgabe:
Ueber einen ordo judiciarius bisher dem Johannes Andreä zugeschrieben. Inauguralabhandlung von Ludwig Rockinger. München, 1855. Druck von Dr. C. Wolf & Sohn. [Seite: 5]
So manche für die geschichte des prozesses mehr oder minder wichtige quelle hat die jüngste zeit theils in angemessener wiederbearbeitung zugänglich gemacht, theils neu zutage gefördert. Dass noch viel in dieser beziehung zu thun erübrigt, wird niemand bezweifeln der einigermassen sich mit studien beschäftigt hat welche in dieses fach einschlagen. Insbesondere leuchtet sehr bald ein, dass die geschichte des prozesses wie wir ihn zunächst in Deutschland sich geraume zeit hindurch gestalten sehen, selbst mit annahme gewisser räumlicher begrenzungen wie nicht minder mit annahme gewisser beschränkungen hinsichtlich der zeit, noch keineswegs schon als ein ganzes erschöpfend behandelt werden kann.
Im gegentheil erscheint vor der hand eine ausscheidung des forschens nach bestimmten einzelnen richtungen in diesem ganzen geboten. Als solche nimmt eine vorzügliche stelle ein das verfahren bei den geistlichen gerichten — wenn vielleicht weniger bemerkbar oder weniger verfolgbar in den früheren zeiten, so doch sehr entschieden nach der abfassung des dekrets und der diesem folgenden sammlungen päbstlicher dekretalen — nicht allein zunächst nur für ihren eigenen wirkungskreis, sondern ganz besonders wegen des einflusses welcher von ihnen aus auf die gesammte gestaltung des gerichtlichen verfahrens überhaupt stattfand. Ein wichtiger beitrag gerade in diesem bezug kam zu den ordines judiciarii welche bisher schon1 einem grösseren kreise bekannt [Seite: 6] geworden waren vor kurzer frist2 in einem zur c. II. qu. 1 des dekrets abgefassten ordo judiciarius aus dem ende des zwölften jahrhunderts. Fernere ausbeute3 liefern zahlreiche handschriften der hiesigen staatsbibliothek. Mehrere aus ihnen enthalten einen weiteren daher gehörigen ordo judiciarius, welcher übrigens schon mehr oder weniger weit in das dreizehnte jahrhundert fällt. Allerdings ist er streng genommen nicht als vollkommen neuer beitrag für die geschichte des prozesses anzusehen, insofern man denselben wenigstens der hauptsache nach schon früher kannte, auch ihm bis auf diese stunde eine gewisse bedeutung beilegte, ja erst in neuerer zeit wieder in einer ausgabe4 würdigte. Nur hat man, glauben wir, die eigentliche stellung welche er für sich sowohl als auch für die geschichte des prozesses einzunehmen hat dadurch vorzugsweise falsch beurtheilt, dass ihm schon seit längerer zeit bis auf diesen augenblick ein verfasser [Seite: 7] beigelegt wurde, von welchem er nicht herrührt, der aber zunächst schon für seine erhaltung von nutzen war, und dann auch durch das gewicht seines namens — es ist nämlich Johannes Andreä — nicht wenig zum ansehen des werkes selbst beitragen musste.
Auf das verhältniss welches uns hier das richtige scheint aufmerksam zu machen, ist der zweck gegenwärtiger untersuchung, wozu schon die gedrängte empfehlung einladet, welche von einem rüstigen arbeiter auf diesem felde5 jener schrift dahin zu theil wird, dass sie et brevitate et dilucido genere scribendi quam maxime sese commendat, legique meretur ab iis quibus operae pretium esse videtur processum illius temporis uno obtutu complecti.
Um dabei aber nicht erwartungen zu erregen, welche nicht befriedigt werden können oder wollen, sei gleich hier des näheren bemerkt, dass wir vor der hand uns lediglich darauf beschränken, den ordo judiciarius nach dem ergebnisse der handschriften welche zu gebot standen rein vom literar-historischen standpunkte aus bezüglich seiner entstehung sowohl nach der zeit als auch so weit es möglich ist nach dem eigentlichen verfasser zu betrachten, daher alle unmittelbar über diese grenze hinausfallenden fragen für jetzt bei seite liegen lassen, wie zum beispiele namentlich alle die welche die betheiligung berühren welche dem Johannes Andreä an diesem werke zugeschrieben werden könnte oder wenigstens zugeschrieben wurde.
Wie aber bei allen noch nicht oder jedenfalls noch nicht genügend behandelten rechtsdenkmälern sich gewisse schwierigkeiten ergeben, stellen sich solche natürlich auch hier gleich wieder in den weg. Nicht allein die genauere bestimmung derzeit muss wegen mangels von anderweitigen zuverlässigen nachrichten einer eigenen forschung zufallen, deren ergebniss mehr oder minder wahrscheinlich werden kann. Auch bezüglich des verfassers fehlen sowohl direkte angaben als überhaupt andeutungen der art, dass sie einigermassen haltbare muthmassungen gestatten würden. Trotzdem ergibt sich schon aus den vorhin gemachten äusserungen, dass die [Seite: 8] [Seite 6] quelle um welche es sich handelt in mehrfacher beziehung gehörige beachtung verdient. Sie kann darauf anspruch machen nicht allein6 ihrer anlage nach, sondern auch7 bezüglich ihres inhalts, nicht minder8 wegen des ansehens in dem sie früher gestanden sein muss, eines ansehens das sie nicht nur in Deutschland genoss sondern eben so nachweisbar auch in Friesland und in Dänemark.
Sprechen wir zunächst von ihrer anlage im allgemeinen, um wenn auch nur ganz oberflächlich eine art begriff von ihr zu erhalten.
Hiebei ist gewiss von interesse, eine einfachheit wahrzunehmen, welche gegenüber anderen erscheinungen der art wirklich wohl thut. Allerdings hängt dieses auch wenigstens zum theil damit zusammen, dass die hauptabsicht des verfassers dahin gegangen zu sein scheint, ein möglich kurz gefasstes lehrbuch über den prozess in civilstreitigkeiten beim geistlichen gerichte solchen beflissenen der jurisprudenz in die hand zu geben, welche noch nicht allzu detaillirte kenntnisse darin sich angeeignet haben. Wenigstens glauben wir das sowohl aus einer bemerkung schliessen zu dürfen welche sich am ende des werkes in denjenigen handschriften findet die dasselbe als eine selbstständige schrift9 enthalten, wie auch aus andeutungen einer abhandlung10 die darüber allerdings etwas später abgefasst wurde. Der wortlaut jener bemerkung ist folgender. Jura non allegantur11 sed potius obmittuntur12, non propter ignorantiam doctoris sed inbecillitatem discentium ad quorum profectum haec summula scripta, quibus lacte opus est, non solido cibo. Verus doctor laudem vel vanam gloriam quaerere sibi et captare non debet, sed [Seite: 9] [Seite 7] magis profectum illorum quos informat. In der bemerkten abhandlung aber heisst es einmal13 gerade zu dieser schlussstelle, der verfasser bezeichne hier die causa quare in hoc libro non assignantur capitula decretalia et leges sicut in aliis summis Remundi et Henrici: huius rationem assignat dicens quod hunc librum composuerit mediocribus quibus magis est opus nutrice lacte id est facili doctrina quam grasso cibo id est parvis difficili doctrina. Ergo hunc tractatum humilibus versibus, schliesst die ganze bemerkung ohne weiteres, und erhält gewissermassen eine vervollständigung durch eine andere stelle gleich im eingange der abhandlung14 dahin, dass der autor ad utilitatem mediocrium hanc summam voluit componere, et composuit eam verbis facilibus ipsis competentibus et non intricatis. Ferner wird dort15 bei gelegenheit der andeutung, dass der autor über die replik triplik quadruplik nichts sagt, als grund dafür angegeben: quia volt informare minores et non adultos, ideo principaliter procedit.
Durch die zuerst angeführte stelle ist zugleich genügend erklärt, warum keine citate weder aus dem kanonischen recht noch aus anderen quellen eingefügt sind, wie dieses wohl sonst die gewöhnliche art und weise jener ordines judiciarii ist welche so zu sagen zugleich lehrbücher und handbücher des prozesses sein sollen. Ein blick bloss in die des Pillius und Tankred reicht zum beweise dafür hin.
Ebenso aber leuchtet ein, wie die übersichtlichkeit durch die weglassung von solchen oft höchst zahlreichen sonst immer unmittelbar in den text hineingesetzten belegstellen ungemein gewinnen musste, wie ferner der umfang des ganzen werkes ein bei weitem mässigerer werden konnte, wie ebenso durch die bei derartiger behandlung nicht erforderliche erörterung von manchmal rein spitzfindigen streitfragen ein vollkommen zusammenhängendes nirgend unlieb unterbrochenes gesammtbild des ordo et processus judicii spiritualis — welche überschrift die quelle in einer handschrift ausdrücklich an der spitze trägt — sich herausstellt. [Seite: 10] [Seite 8]
Die an den betreffenden orten gleich eingeschalteten formeln, welche wesentlich zur erhöhung des praktischen werthes beitragen, sind daneben ganz wohl geeignet, dieses ununterbrochene gesammtbild nur noch anschaulicher zu machen, also ein nicht geringer vortheil des ganzen.
Demgemäss bildet auch den inhalt der ganzen schrift der regelmässige chronologische verlauf des gesammten gerichtlichen verfahrens in civilstreitigkeiten so zu sagen von der citation bis zur appellation in dreizehn kapiteln16. Vor ihnen stehen an der spitze gleichsam als einleitung noch zwei, deren ersteres seinen inhalt dahin bezeichnet, antequam dicatur de processu judicii, notandum quid sit judicium et quot sint species judicii et quae sint personae quae debent consistere in judicio, während das zweite unter der überschrift "sequitur de ordine et processu judicii qui talis est" den kurzen verlauf des ganzen prozesses schildert wie er in jenen dreizehn kapiteln im einzelnen gelehrt wird.
Was näher den inhalt des ersten kapitels anlangt, heisst es dort, Judicium est actus trium personarum, id est judicis actoris et rei in jure consistentium. Aliae personae — wird daran geknüpft — etiam quinque sunt necessariae in iudicio, ut testis advocatus assessor procurator et auditor. Sowohl von jenen dreien als von diesen fünfen werden nun im einzelnen17 [Seite: 11] [Seite 9] ganz kurz die nöthigen eigenschaften und ebenso natürlich die hindernisse angegeben welche allenfalls ihrer thätigkeit vor gericht entgegenstehen können.
Den inhalt des zweiten kapitels theilen wir im zusammenhange mit, da er vollkommen geeignet ist mit einemmale das hauptbild des ganges unserer quelle18 zu gewinnen. Reus primo citatur a iudice. Et ei venienti ad judicium offertur libellus. Quo oblato induciae deliberandi dantur ipsi in quibus deliberabit an velit contendere an liti cedere. Finitis induciis reus debet redire ad judicium. Et si non competunt ei exceptiones per quas possit declinare id est effugere judicium, respondere tenetur actori super petitione sua aſfirmando vel negando quod actor proponit contra ipsum. Et affirmatio vel negatio rei dicitur litis contestatio. Lite contestata praestandum est juramentum calumniae a partibus. Praestito juramento tali partes id est actor et reus interrogentur a judice super facto principali. Deinde partes debent producere testes et instrumenta ad probandam intentionem suam. Post haec publicanda sunt dicta testium in judicio partibus praesentibus. Super quibus dictis disputabitur. His omnibus praemissis, cum judex fuerit sufficienter instructus de meritis causae, debet decidere causam per diffinitivam sententiam. A qua sententia si iniqua fuerit poterit appellari.
Die reihenfolge der übrigen dreizehn kapitel19 endlich ist nach den überschriften — wie sich diese mehr dem inhalte nach als [Seite: 12] [Seite 10] der im grösseren theile der handschriften zu findenden form gemäss gestalten — nachfolgende: de citatione; de feriis; de comparitione rei; de exceptione; de libelli oblatione; de litis contestatione; de juramento calumniae; de interrogationibus responsionibus et confessionibus; de probationibus; de testibus et exceptionibus contra personas et dicta testium; de instrumentis; de sententia judiciaria; de appellatione.
Soweit von der anlage und dem inhalt unserer quelle. Nun äusserten wir oben, sie müsse auch früher in einem nicht unbedeutenden ansehen gestanden sein.
Es liesse sich ein beweis hiefür zum theil schon daher nehmen, wenn sich eine sehr grosse zahl von handschriften oder von drucken derselben findet. Doch legen wir hier nicht einmal besonders gewicht auf diesen punkt, obwohl er immerhin nicht aus dem auge zu lassen ist. Was nämlich erstere anlangt, wissen wir zurzeit nicht, wie viele sich in Deutschland und vielleicht ausserhalb Deutschland finden mögen. Uns standen dreizehn auf der hiesigen staatsbibliothek bewahrte20 zu gebot. Zwei zu Basel vorhandene sind zur neuen ausgabe durch professor Wunderlich21 verwendet. Eine weitere befindet sich zu Berlin in der sammlung des professor Rudorff22. Ferner soll23 die dombibliothek zu Metz eine in sich [Seite: 13] [Seite 11] schliessen. Was sodann die druckausgaben betrifft, welche freilich fast alle den ordo judiciarius keineswegs in seiner reinheit enthalten, liesse sich eine nicht unbeträchtliche zahl24 namhaft machen.
Von höchstem belange aber ist jedenfalls das ergebniss welches aus den in einzelnen kapiteln vorkommenden formeln bezüglich der verbreitung über einzelne gegenden welche da genannt werden hervorgeht. Allerdings wird übrigens gerade da eine gewisse vorsicht nöthig. Im allgemeinen scheint es freilich natürlich, dass wenn irgendwo eine abschrift anzufertigen war, man auch die einzelnen formeln die darin vorkommen je nach dem betreffenden orte oder wenigstens dem dafür zuständigen geistlichen gerichtsbezirke speciell festgestellt haben werde. Doch die vergleichung der einzelnen handschriften zeigt, dass hier ein gewisser spielraum freigegeben war. Es mag dahingestellt bleiben, ob hieran bloss die bequemlichkeit oder auch die unbehilflichkeit derjenigen die schuld trägt welchen der auftrag geworden von einem bestimmten vorliegenden exemplar eine abschrift herzustellen. Ihnen kann man wohl häufig nicht verargen, wenn sie lieber selbe rein nach ihrem originale nahmen, ohne irgend welche veränderungen anzubringen, wenn ihnen diese nicht speziell zu der oder jener stelle angemerkt worden waren. Möglich aber auch, dass man letzeres aus dem grunde nicht für nöthig fand, weil es doch für denjenigen welcher irgendwie ein interesse hiebei hatte nicht schwer sein konnte, die betreffenden stellen für den fall bedürfens gerade so umzuwandeln wie er sie eben brauchte. Jedenfalls aber bei einigen formeln wird eher als nicht beinahe unbedingt anzunehmen sein, dass man aus bestimmter absicht über ihre richtige einfügung ein wachsameres auge hatte, dass also sie eben nur so und nicht anders in den betreffenden exemplaren sich finden werden. Wir meinen nämlich die [Seite: 14] [Seite 12] formeln25 der ladung des judex delegatus26, ferner die des endurtheils, dann die der schriftlichen appellation, wie endlich die der apostel. Es tritt nämlich hier das handelnde gericht in ganz entscheidender weise hervor. Während demnach bei den übrigen formeln eine besondere ängstlichkeit kaum zu vermuthen ist, dürfte da wohl selten ein versehen mit unterlaufen sein: und es scheint zur genüge gerechtfertigt, da gewissermassen eine art autentischer bezeichnung des gerichtsbezirkes abzunehmen in welchem der ordo judiciarius zunächst eine gewisse anwendung haben konnte. Desshalb beschränken wir uns auch hier — ohne auf die übrigen formeln desselben einzugehen, so interessant diese auch in beziehung auf seine verbreitung sein mögen — nur auf die anführung der judices delegati welche in den vier bemerkten formeln in den dreizehn uns vorliegenden handschriften27 erscheinen. Gehen wir von südosten nach nordwesten. Zunächst erscheint in einer, von uns mit G28 bezeichnet, ein Krafto decanus salceburgensis ecclesiae; dann in dreien, nämlich in D E F, ein decanus chori pataviensis; dann in einer, nämlich in A die unseren grundtext [Seite: 15] [Seite 13] bildet, womit zum theil drei weitere29 übereinstimmen, ein decanus spirensis; dann in einer, nämlich in K, womit wieder theilweise zwei andere30 zusammenstimmen, ein geistlicher würdenträger aus Hildesheim31; endlich noch in H ein Steffanus praepositus in insula apud Hattem. Eine nicht uninteressante vervollständigung hiezu wäre allerdings noch, wenn sich genau der zug der appellation in den einzelnen handschriften in dem darüber handelnden paragraphen32 ausgesetzt fände. Doch ist das nur bei einigen der fall, und hier ergiebt sich der zug aus D E F K von Passau nach Salzburg, aus G von Regensburg gleichfalls nach Salzburg, aus B von Speier nach Mainz. Es würde nicht schwer halten, aus einer vergleichung der verschiedenen drucke noch manches detail nach der eben behandelten seite zu erlangen. Wir bemerken nur, dass in den nürnberger ausgaben33 von 1510 und 1512, die in der citationsformel [Seite: 16] [Seite 13] einen decanus majoris ecclesiae leodonensis haben, in den drei übrigen formeln ein decanus maguntinae ecclesiae oder genauer decanus sancti Stephani maguntinae dyocesis aufgeführt wird. Wir gehen darauf übrigens nicht weiter ein, und glauben das worauf aufmerksam zu machen war schon aus dem handschriftlichen material erreicht zu haben.
Höchstens zur vervollständigung von diesem greife noch die bemerkung platz, dass nach des professor Rudorff angabe34 auch die handschrift in seiner sammlung Halberstadt Hildesheim und Speier nennt. Und ausserdem ergibt sich aus der abhandlung35 die schon erwähnt wurde abgesehen von der formel der ladung des judex delegatus, welche auf Speier weist, in der des judex ordinarius als solcher ein officialis praepositurae sanctae Mariae erfordensis.
Schon eine räumliche ausdehnung dieser art belegt hinreichend die beliebtheit wie die anwendung unseres prozesslehrbuchs. Gerade sein ganzes wesen machte dasselbe auch geeignet, nach verschiedenen seiten hin gegenstand fortwährender benützung zu bleiben.
Einmal taugte es trefflich dazu, eine vollkommen passende stelle in formelbüchern zu finden, an welchen bereits das dreizehnte und noch mehr das vierzehnte jahrhundert keineswegs so arm waren wie man häufig annimmt, geschweige denn, dass sie ihnen gar vollkommen gemangelt hätten. Es wird nicht bezweifelt werden können, dass sicher vom eilften jahrhundert an, wenn nicht ganz ausschliesslich doch jedenfalls vorherrschend, das recht ein ungeschriebenes war. Aber damit ist nicht nur sehr wohl vereinbar, sondern sogar ganz natürlich die befriedigung eines immer dringender werdenden bedürfnisses, von dem rechte wie es für die erscheinungen des einfachen verkehrslebens wie für die fälle gerichtlicher entscheidungen von streitigkeiten galt auch alle tage die richtige anwendung machen zu können, und zwar sie so rasch und so sicher als nur möglich machen zu können. [Seite: 17] [Seite 15] Rein theoretische arbeiten konnten hiefür weniger am platze sein. Desto mehr aber solche die neben einer art system wie es der damaligen zeit eben zusagte hauptsächlich die praktische brauchbarkeit ins auge fassten, zum theil auch solche, welche rein das letztere thaten. Es war demnach immer das vorzugsweise streben darauf gerichtet, formeln für die verschiedenartigen rechtsgeschäfte wie rechtshändel welche vorkommen konnten bereit zu haben. Dass insbesondere die notare im stande waren, zusammenstellungen von solchen zu machen, unterliegt keinem bedenken. Dass aber auch andere mit der praxis bekannte oder für sie eingenommene personen sich mit ihnen beschäftigten, wäre nicht schwer zu erweisen. Dass die von beiden seiten her verfassten werke dieser art nur privatarbeiten waren, welche aber mehr oder minder grosses ansehen sich zu verschaffen wussten, stimmt mit dem ganzen hinreichend bekannten gang der rechtsbildung jenes zeitabschnittes so zusammen, dass jedes wort darüber überflüssig wäre. Ebenso wenig aber kann es wunder nehmen, wenn gerade das gerichtliche verfahren, in dessen formen ja das materielle recht eigentlich erst und zwar ganz vorzugsweise lebendig auftritt, mit gewisser vorliebe behandelt wurde. In dem bei weiten grössten theile der formelbücher36 wird sich daher jedenfalls — freilich mehr oder weniger streng ausgeschieden, und mehr oder weniger selbstständig behandelt — auch die prozesslehre vertreten finden.
Gerade für diese aber konnte kaum ein so bequemes compeñdium gefunden werden als unser ordo judiciarius. Enthält er auch ein hübsches stück theorie, so ist diese durch die beigefügten formeln schon sehr für die praktischen bedürfnisse zugänglich gemacht, und bekanntlich ist seine ganze anlage eine solche, dass ein schönes gesammtbild des gerichtlichen verfahrens auf dem einfachsten wege gewonnen wird. Wirklich ist er auch so zu sagen als integrirender bestandtheil in mehrere formelbücher jedenfalls des [Seite: 18] [Seite 16] dreizehnten jahrhunderts aufgenommen worden. Von den dreizehn hiesigen handschriften sind vier37 eben solche formularien, in welchen der ordo judiciarius gerade seine stelle gefunden. Drei derselben sind ganz und gar aus einer quelle geflossen, während die vierte selbstständig ist, so dass also zwei ganz verschiedene formelwerke sich denselben38 einverleibt haben.
Dass in späterer zeit auch deutsche formelbücher für gut fanden, ihn sich anzueignen — allerdings wie sich von selbst versteht mit den in der zwischenzeit nothwendig gewordenen erweiterungen für die weltlichen gerichte — möge hier bloss angedeutet werden. Das nähere hierüber wird sich demnächst39 an dem dazu geeigneten orte bemerken lassen.
Abgesehen davon aber ist eine höchst beachtenswerthe erscheinung hinsichtlich der brauchbarkeit des in frage stehenden prozesslehrbuches, dass man noch zu anfang des vierzehnten jahrhunderts40 nicht für überflüssig erachtete, eine vollständige abhandlung zu demselben oder über dasselbe41 abzufassen. Wir hatten bereits veranlassung sie [Seite: 19] [Seite 17] zu erwähnen. Da sie aber auch fernerhin noch dienste leisten soll, bemerken wir hier ganz im allgemeinen einiges zu ihrer charakteristik, was allerdings auf den ersten blick in mancher beziehung nicht ausserordentlich für sie einnehmen dürfte. Sie scheint sich nämlich möglich grösste deutlichkeit und stete wahrung des zusammenhanges sämmtlicher einzelner theile unseres ordo judiciarius zum ziele gesetzt zu haben, und geräth dadurch in viele oft wirklich zuwidere wiederholungen, so dass sie dadurch manchmal wirklich ungeniessbar wird. Abgesehen davon aber macht sie auf den strengen juristen einen nicht vollkommen günstigen eindruck durch die damals wie es scheint für gelehrt gehaltenen und desshalb zum theil sogar für nöthig erachteten meist sehr unglücklichen etymologischen versuche über worte die eine niemals bestrittene technische bedeutung in der rechtswissenschaft haben, wie durch eine masse von einschiebungen welche wohl einem scholastiker zu verzeihen wären oder jemanden der nichts weiter zu hun hat als sich in philosophischen spielereien zu ergehen. Doch sind vielleicht diese ausstellungen etwas milder zu beurtheilen, wenn man am ende zu der annahme berechtigt ist, dass das ganze werk keineswegs für die anforderungen berechnet war, welche vom streng juristischen standpunkte aus an eine ruhig und mit der nöthigen überlegung bis auf die einzelnen ausdrücke gefeilte schrift gemacht werden müssen oder können, sondern dass es sich lediglich als ein schnell zusammengeschriebenes collegienheft über den ordo judiciarius herausstellt.
Gerade dadurch aber gewinnen wir für diesen, das nicht unbedeutende ergebniss, dass er auch gegenstand, förmlicher vorträge war.
Ausserdem aber enthält die ganze abhandlung da und dort historische bemerkungen von interesse nicht bloss für unsere quelle, sondern auch andeutungen welche vielleicht mit der zeit einmal zur aufhellung so manchen punktes insbesondere der geschichte des prozesses nicht ohne bedeutung sein dürften, falls sie noch durch vervollständigungen von andererseite her unterstützung finden. [Seite: 20] [Seite 18]
Bis in das vierzehnte jahrhundert also haben wir spuren genug von dem ansehen unseres prozesslehrbuches. Es wäre nicht sonderlich schwer, dasselbe auch von einer seite her in glänzendes licht zu stellen die dem ausgesprochenen zweck dieser untersuchung gemäss nicht ausführlich betrachtet werden kann. Aus dem anfang des genannten jahrhunderts sind uns nämlich — leider nicht ganz vollständige — akten eines vor dem geistlichen gerichte in Halberstadt geführten prozesses42 erhalten und noch nicht lange veröffentlicht worden, woher ganz unzweideutig die theorie welche in unserem ordo judiciarius gelehrt wird aus der reinsten praxis her die augenfälligste bestätigung findet. Aber sein ansehen reicht, wenn wir zunächst bei der zeit stehen bleiben, noch etwas weiter.
Zunächst enthalten ihn in seiner unveränderten gestalt aus den benützten handschriften drei welche entschieden dem fünfzehnten jahrhundert angehören, ganz abgesehen von andern welche auch nicht früher zu setzen sind. Die eine nämlich, G, führt in der bereits bekannten citationsformel den pabst Martin an, offenbar den fünften dieses namens. M hat in der urtheilsformel das jahr 1454. H endlich bezeichnet in einer schlussbemerkung als das jahr ihrer anfertigung 1473, und nennt in der appellationsformel pabst Gregor, welchen auch die basler handschrift in der citationsformel erwähnt, wohl mit Rudorff43 den zwölften dieses namens welcher nebst seinem gegenpabste Benedikt XIII. auf dem concil zu Pisa im jahre 1409 abgesetzt wurde.
Was die druckausgaben44 an die hand geben übergehen wir hier im einzelnen, und bemerken bloss im allgemeinen, [Seite: 21] [Seite 19] dass sie die fortdauernde benützung bis in das sechzehnte jahrhundert45 über allen zweifel erheben.
Aber nicht bloss in ihrer ursprünglichen gestalt bewahrte unsere quelle ihr ansehen, sondern es entstanden auch — nicht all zu lange darnach mit selbstständigen abänderungen46 je nach den bedürfnissen welche eben vorlagen — übersetzungen derselben zunächst in Deutschland, für welches wir ihre weit verbreitete und dauernde herrschaft47 kennen gelernt haben. Es genügt für unsern zweck, auf eine oberdeutsche übersetzung oder vielleicht besser gesagt bearbeitung mit wesentlicher zugrundlegung des bekannten ordo judiciarius hinzuweisen, welche — entsprechend der einfügung desselben in lateinische formularien, wovon die rede48 war — mit einer deutschen rhetorik verbunden ist, deren alter über die seit dem letzten viertel des fünfzehnten jahrhunderts [Seite: 22] [Seite 20] gedruckten zahlreichen formelbücher hinaufreicht. Wenn wir sie nicht für eine reine übersetzung ansehen möchten, hat dieses seinen grund einmal in der weglassung sämmtlicher formeln, sodann aber auch in der beifügung einiger höchst interessanter zusätze. Man kann sich jeden augenblick durch die vergleichung des schon allgemein bekannten werkes — es ist nämlich nichts anderes als der liber judiciarius sive gerichtsbüchlein wie es in Senckenbergs sammlung mittelalterlicher deutscher rechtsquellen49 gedruckt ist — davon überzeugen.
Weiter darauf einzugehen liegt über der grenze dieser abhandlung. Aus demselben grunde verweisen wir auch bezüglich zweier anderer übersetzungen, welche diese bezeichnung eher als das erwähnte deutsche werk verdienen, indem sie ihrem original so zu sagen vollkommen treu geblieben sind, auf Rudorff's treffliche bemerkungen50 über dieselben. Die erstere ist der friesische in der utrechter diöcese der kölnischen kirchenprovinz um die mitte des fünfzehnten jahrhunderts entstandene processus judicii oder fortgongh des gastelika riuchtes51. Die zweite ist die wohl weit in der zweiten hälfte desselben jahrhunderts von dem als verfasser der glosse [Seite: 23] [Seite 21] zum jütischen lowbuch bekannten bischofe Knud von Viborg gemachte dänische übersetzung52.
Was bisher im allgemeinen über die quelle bemerkt wurde von welcher wir zu handeln angefangen, beweist einerseits genugsam die bedeutung, welche sie früher schon hatte, und begründet andererseits die beachtung welche sie fortan als denkmal für die geschichte des prozesses in anspruch nimmt.
Es sind das erscheinungen die genauer ins auge gefasst werden müssen. Eine bedeutung der angegebenen art ist nämlich um so auffallender, wenn man das ansehen erwägt welches eine andere arbeit gleichfalls die längste zeit nicht bloss in Italien erlangte wo sie verfasst wurde, sondern auch wesentlich bei uns in Deutschland, nämlich der ordo judiciarius des Tankred. So zu sagen unwillkührlich wird man hiedurch auf die frage gebracht, welches verhältniss zwischen diesen beiden quellen besteht. Und dieses noch mehr, wenn sich wirklich schon bei oberflächlicher betrachtung eine gewisse ähnlichkeit zwischen beiden findet, ja in manchen theilen fast eine völlige gleichheit entgegentritt. Ohne genauere kenntniss ihrer beiderseitigen beschaffenheit dürfte daher manche frage nur ungenügend zu beantworten sein. Jedenfalls aber ist es zunächst schon von wichtigkeit, zu wissen, ob die gleichheit wovon wir sprachen eine solche ist dass man annehmen muss es habe die eine quelle die andere benützt, oder ob nur eine ähnlichkeit der art hervortritt dass man wenigstens theilweise gegenseitige benützung für möglich halten kann, oder ob man auf die annahme einer quelle gewiesen wird welche beiden gemeinschaftlich gewesen und die wir vielleicht nicht mehr kennen. Es wird daher eine vergleichung nicht umgangen werden können.
Wenn wir uns desshalb jetzt auf ein enger begrenztes gebiet zurückziehen, versuchen wir zuerst wieder die mehr [Seite: 24] [Seite 22] mit der anlage und der ganzen form beider genannter quellen zusammenhängenden ähnlichkeiten oder abweichungen herzustellen. Es versteht sich dabei von selbst, dass von den hauptunterscheidungsmerkmalen welche oben53 bei der allgemeinen betrachtung unseres ordo judiciarius aufgestellt worden sind hier wieder das eine oder andere in betracht gezogen werden kann. Da aber diese mehr äusserlichen gründe54 kaum schon zur erschöpfung von hier auftauchenden fragen hinreichen werden, ist es eben nicht zu vermeiden auch auf das eigentlich materielle oder auf den eigentlichen prozessualischen inhalt beider schriften wenigstens bis auf einen gewissen grad55 einzugehen. Ist so56 nach der einen oder andern seite hin ein ergebniss erzielt, so dürfte von da aus mit grösserer oder geringerer sicherheit vielleicht auch schon ein — freilich etwa am ende nur entfernter — anhaltspunkt bezüglich der abfassungszeit unseres ordo judiciarius57) sich gewinnen lassen. Ob das auch bezüglich des verfassers58 nur mit einiger gewissheit der fall sein kann, möchte hier schon eher zu verneinen sein. Doch gleichviel wie weit nun einmal vorzudringen ist, wir verfahren dem eben angegebenen plane gemäss.
Vergleichen wir demnach die anlage und die ganze formelle anordnung beider werke.
Gleich von vorneherein zeigt sich bei Tankred eine viel grössere ausdehnung schon dem äusseren umfange nach als bei unserem ordo judiciarius, ein umstand welcher durch die wichtigen verschiedenheiten in der behandlung des stoffes bei beiden herbeigeführt ist. Während nämlich dort auch der kriminalprozess59 behandelt wird, sowie illa quae ad voluntariam [Seite: 25] [Seite 23] pertinent jurisdictionem gelegentlich60 berücksichtigt werden, erscheint hier61 bloss das verfahren in civilstreitigkeiten. Während dort keine einschränkung auf bestimmte klassen von gerichten stattfindet, ist solche hier auf die geistlichen gerichte erfolgt. Aber auch manche andere gründe tragen noch dazu bei, welche in der behandlung des so abgegrenzten stoffes ihre erklärung finden.
Während dort ein lehrbuch und zugleich handbuch des prozesses vorliegt, geht hier die ganze absicht auf die belehrung von hierin noch unerfahrenen jüngern, wie bereits ausführlicher angeben werde. Daher bedarf es dort minder bei den einzelnen lehren jedesmal einer definition oder gar einer ganz treffenden definition, während hier überall eine solche verlangt werden muss und zwar eine möglich kurze und bezeichnende62. Daher sind dort einzelne lehren63 ganz ausführlich behandelt, welche hier nur eine gedrängte und das allernothwendigste umfassende berücksichtigung finden. Daher [Seite: 26] [Seite 24] werden auch dort bei den einzelnen lehren sehr häufig die ausnahmefälle64 genau angegeben, was hier weniger oder gar nicht der fall ist noch sein konnte. Daher werden dort gewisse wichtigere streitfragen65 näher erörtert, während hier bei einem so kurz gefassten lehrbüchlein nur das wirkliche unbestritten geltende recht vorgetragen werden konnte. Ferner sind dort überall die nöthigen belegstellen aufgenommen, während es hier derselben nicht bedurfte.
All dieses machte dort schon zum behufe der übersichtlichen beherrschung des gesammten nicht geringen stoffes eine gleich äusserlich scharf hervortretende abtheilung in grössere ganze mit bestimmten unterabtheilungen innerhalb derselben66 unerlässlich, welche hier bei der strengen durch keine einzelnen exkurse gestörten einhaltung des chronologischen verlaufes des gerichtlichen verfahrens67 unterbleiben konnte. [Seite: 27] [Seite 25]
Sind dieses wirkliche verschiedenheiten, so finden sich noch einige andere abweichungen selbst bei gegenständen bezüglich welcher eine übereinstimmung wenigstens was ihre aufnahme in die beiderseitigen werke betrifft nicht zu verkennen ist. Ueberall nämlich wird zur praktischen versinnlichung der theoretischen darstellung die mittheilung von formeln für angemessen gehalten. Während aber dort manchmal nur beiläufig und so zu sagen indirekt die formulirung angegeben ist, wird hier spezielles gewicht auf die vollständigkeit derselben68 gelegt. Ja nicht bloss das. An einzelnen stellen, welchen man dort eine solche praktische beigabe nicht anzufügen für nöthig hielt, findet sich hier69 eine solche.
Man sieht also, wenn man dem grunde nachforscht, welcher diese einzeln aufgeführten abweichungen zwischen beiden werken veranlasst haben mag, ganz deutlich, dass sie nur die natürliche folge ihres verschiedenen planes70 sind, der dort auf eine systematische arbeit in grösserem umfange berechnet ist, hier auf eine solche zunächst nur für den zweck eines ersten unterrichts. Es ergeben sich daher streng genommen bisher nur äussere oder formelle verschiedenheiten [Seite: 28] [Seite 26], deren letzter grund eben nur die dort wie hier verfolgte absicht beider werke ist. Immerhin bleibt damit noch wohl vereinbar, dass dennoch eine gegenseitige benützung stattgefunden habe, und zwar zunächst, so dass die umfassendere schrift Tankreds in einen auszug, welcher uns nun vorliege, von einer allerdings ausserordentlich verständigen person wie das ganze werk zeigt gebracht worden, oder umgekehrt dass dieses so einfach angelegte prozesslehrbuch zu jener arbeit allerdings wieder von einem höchst erfahrenen gelehrten, was eben wenn man den namen Tankred hört keines beweises bedarf, erweitert worden. Soll daher ins klare gestellt werden, dass dieses nicht der fall ist, so werden noch andere gründe aufzubringen sein.
Dieses können wohl nur solche sein, welche aus dem inhalte beider quellen geschöpft sind.
Hiebei tritt die auffallende gleichheit von welcher gelegentlich die rede war viel mehr, obwohl nicht ausschliesslich in den letzten theilen als am anfange entgegen. Beim gefährdeeid, bei den interrogationes responsiones et confessiones, bei den zeugen zum theil, beim urkundenbeweis bis zu einem gewissen punkte, beim endurtheil zeigt sich nicht bloss was die definitionen71 und die allgemeine behandlung betrifft ausserordentliche übereinstimmung, sondern manchmal stimmen die sätze wörtlich zusammen, so dass ein hernehmen der einen von der andern statt gehabt haben muss, oder auch vollständig genaues ausschreiben einer entweder durchaus oder jedenfalls in einzelnen lehren gemeinsamen quelle.
Trotzdem stimmt auch dabei nicht jedesmal das ganze [Seite: 29][Seite 27] kapitel zusammen. Aber abgesehen davon zeigen sich ausserdem in vielen sehr wichtigen lehren nicht allein vollkommen selbstständige definitionen72, sondern auch weitgehende verschiedenheiten. Was insbesondere die letzteren anlangt, werden einige beispiele das bestätigen. Die citationsfristen wechseln in den handschriften unseres ordo judiciarius zwischen neun, vierzehn, zwanzig, vierundzwanzig tagen, während Tankred sich dahin entscheidet quod omnes induciae arbitrariae sunt73. Bei den exceptionen sind nicht bloss bezüglich der eintheilung, sondern auch sonst abweichungen74 anzutreffen. In der lehre vom klaglibell kann man die berücksichtigung dessen was durch die aufnahme des kriminalverfahrens in das tankredische werk bedingt ist hier übergehen, nachdem davon bereits im vorigen paragraphen gesprochen worden: aber ausserdem sind meinungsverschiedenheiten bezüglich der nothwendigkeit der anführung der causa petendi wie auch sonst [Seite: 30][Seite 28] noch75. Ferner herrscht über den zeitpunkt der reconvention76 keine übereinstimmung. Auch in der lehre vom beweis ist nicht nur in der aufzählung der beweismittel77 eine formelle verschiedenheit, sondern auch einzelne zur erläuterung beigefügte beispiele78 zeigen eine gesonderte bearbeitung79. Dasselbe ist der fall bei den zeugen80 und beim [Seite: 31][Seite 29] urkundenbeweis81, nämlich soweit nicht in den einzelnen theilen da die gleichheit oder ähnlichkeit in betracht kommt, wovon vorhin die rede war. Während endlich nach Tankred82 die appellation mündlich und schriftlich sein kann, geschieht in unserem ordo judiciarius bloss der letzteren erwähnung.
Zuletzt verdient noch eine lehre angeführt zu werden, bei welcher es zweifelhaft bleibt wofür sie als beleg gelten könne. Die satisdationes sowohl des klägers und des beklagten als auch der nebenpersonen sind in unserer quelle nicht berücksichtigt. Aber auch Tankred selbst behauptet schon wenigstens bei der behandlung der ersteren83 die anwendbarkeit nicht.
Es ist nunmehr abzuwägen, wofür die grössere wahrscheinlichkeit sich ergibt, ob für die gänzliche oder wenigstens theilweise benützung der einen quelle durch die andere, oder im gegentheil für die vollkommen unabhängige bearbeitung der einen wie der andern von einander, oder endlich für einen mittelweg nämlich für das vorhandensein einer dritten ihnen beiden gemeinsamen auch wirklich von ihnen benützten vorgängerin.
Für die letzte annahme wird sich wenig oder nichts geltend machen lassen, denn es fehlt geradezu an spuren der art, dass man hiezu berechtigt würde. Höchstens das liesse sich vielleicht nachweisen, dass für diese oder jene einzelne lehre das eine oder andere schon vorhandene und in einem gewissen ansehen stehende werk gleichmässig von Tankred wie von unserem ordo judiciarius benützt worden wäre. Dass das aber bezüglich einer als vollständige grundlage für [Seite: 32][Seite 34] beide anzunehmenden quelle nicht der fall sein kann, beweisen zur genüge jedenfalls die materiellen verschiedenheiten auf welche aufmerksam gemacht wurde.
Gerade diese hindern aber naturgemäss auch die annahme, dass eine gänzliche benützung des tankredischen ordo judiciarius durch den unsern oder auch umgekehrt stattgefunden.
So gewinnt es nun fast den anschein, als ob das andere extrem voller selbstständigkeit der entstehung jeder der fraglichen quellen den sieg, davon tragen sollte. Sehr entschieden sprechen dafür, wenn man auch auf das formelle element gar kein gewicht legen will, eben jene weitgehenden materiellen verschiedenheiten welche die verwerfung der beiden vorigen annahmen bedingen.
Aber wie sieht es nun hiebei mit jenen auffallenden gleichheiten aus von welchen die rede war? Sie werden eine modifikation der vorhin auch absichtlich als extrem bezeichneten annahme als nothwendig herausstellen, so dass nicht mehr die volle unabhängigkeit beider quellen wie sie nun vorliegen in allen ihren theilen vom anfang bis zum ende festzuhalten ist, und eben dadurch die zuletzt noch übrige möglichkeit einer theilweisen benützung der einen durch die andere nach der ganzen lage der dinge nicht zu beseitigen ist.
An dieses ergebniss zu welchem die vergleichung beider quellen geführt hat knüpft sich sogleich von selbst die frage, welche von der anderen benützt wurde. Die antwort ist da sehr einfach, dass nur die ältere von der jüngeren. Aber eben so schwer ist für den ersten augenblick der genauere nachweis, welche die ältere und welche die jüngere. Von Tankreds ordo judiciarius allerdings wissen wir mit voller bestimmtheit, dass er noch in die zeit vor den officiellen dekretalensammlungen, nämlich in das jahr 1214 oder wenigstens nur ganz kurze zeit nachher84, fällt. Bezüglich des unseren ist in der einleitung beiläufig bemerkt worden, dass er gleichfalls in das dreizehnte jahrhundert zu setzen ist. Aber ob mehr [Seite: 33][Seite 31] oder weniger weit in dasselbe? Nicht sonderlich viele anhaltspunkte lassen sich aus den handschriften entnehmen. Doch hoffen wir zum theil wenigstens auch aus ihnen, zum theil aber anderswoher einiges aufstellen zu können, und führen hier bloss an dass deutliche spuren von bestimmungen sich zeigen welche aus der dekretalensammlung des pabstes Gregor IX. geflossen sind.
Auf diese wahrnehmung berufen wir uns vor der hand, um nunmehr zum abschluss des punktes hinsichtlich der benützung der einen quelle durch die andere zu gelangen, soweit nämlich solche wie angeführt vornehmlich in den letzten theilen stattgefunden hat, ohne dass sie freilich auch da eine vollständige geworden ist.
Was übrigens hier ganz allgemein hingestellt wurde, muss nun des näheren begründet werden.
Von den handschriften welche zur Verfügung standen können natürlich hier nicht die späteren sondern nur die wirklich oder anscheinend älteren in betracht gezogen werden, so dass die dem fünfzehnten jahrhundert angehörigen — abgesehen von den auf pergament geschriebenen D E F sämmtlich auf papier geschrieben — mit ausnahme einer welche eine sachdienliche notiz liefert gar nicht berücksichtigt werden. Aber auch von den auf pergament geschriebenen bieten leider fünf, von welchen eine oder vielleicht auch zwei wohl noch dem dreizehnten jahrhundert angehören, die übrigen in das vierzehnte fallen, und drei dem fünfzehnten zugewiesen worden sind, gar keinen unmittelbaren anhaltspunkt. Eine dagegen, und zwar die von uns dem texte zugrund gelegte, enthält in der formel für die apostel das jahr 1269 mit dem weiteren beisatz sexto kalendas junii. Dass übrigens schon vor diesem jahre der ordo judiciarius ausgearbeitet gewesen sei, entnehmen wir einer bemerkung aus H, welche nach der bekannten schlussstelle, dass jura non allegantur noch bemerkt: anno domini 1260 dictata est haec summula judicialis et processus judicii. Dass sie aber auch noch vor dieses jahr gesetzt werden muss, möchte aus einer anderen handschrift K hervorgehen, welche in der citationsformel des judex delegatus das [Seite: 34][Seite 32] erste jahr des pontificates von Alexander IV.85 enthält, also das jahr 1254. Weiter zurückzugehen haben wir zur zeit keine genügende veranlassung. Dürfen wir aber vielleicht überhaupt die zeit von Alexander IV. als die der abfassung der nun vorliegenden redaktion annehmen? Auffallend bleibt immer, dass die älteren handschriften sämmtlich ihn in der erwähnten formel anführen, und dass er da selber in zweien86 sich findet, welche ihn gemäss der zeit ihrer entstehung nicht haben können, so dass man etwa berechtigt wäre zu glauben, die ältesten exemplare hätten ihn gehabt, und er habe sich gerade in dieser formel worin ohnehin schon der judex delegatus wie wir gesehen haben wohl meistens geändert wurde einer umsetzung entzogen. Doch ist mit gewissheit darüber nichts zu bestimmen, und wir sind vor der hand auf das jahr 1254 als die älteste sichere spur hingewiesen.
Abgesehen davon wiederholen wir jetzt jene wahrnehmung, es sei in dem texte wie er gegenwärtig vorliegt die gregorianische dekretalensammlung bereits mit berücksichtigt.
Das wäre leicht auch äusserlich gleich nachzuweisen wenn wie bei Tankred durchaus der fall ist in den text selbst die betreffenden belegstellen aufgenommen wären. Dass dieses aber nicht der fall ist, geht aus der bekannten schlussstelle warum die jura non allegantur unbezweifelt hervor. Doch ist uns ein solcher äusserlicher behelf gegeben, den wir hier gleich in beschlag nehmen wollen, da er für den zu erweisenden satz zugleich anhaltspunkte hinsichtlich der inneren gründe an die hand gibt auf welche wir uns so weit es absolut [Seite: 35][Seite 33] nothwendig ist noch einlassen müssen. Eine der erwähnten handschriften87 nämlich hat von derselben hand welche den text schrieb einige an den rand bemerkte belegstellen.88 Leider reichen sie nicht weiter als bis an den schluss des neunten kapitels. Sie nun beziehen sich — mit ausnahme von dreien welche aus dem corpus juris civilis89 genommen sind — durchaus auf die erwähnte dekretalensammlung. Nach ihr ist nämlich zunächst die bezeichnung der aus den früheren compilationen genommenen stellen gewählt. Bei nur ganz wenigen90 könnte dieselbe möglicherweise auch auf die letzteren noch gehen, so dass am ende hiebei nur eine wahrscheinlichkeit begründet würde. An mehreren aber lässt sich der aufgestellte hauptsatz ganz unwiderleglich schlagend nachweisen. Es müsste nämlich das citat, wollte man eine andere als die gregorianische sammlung annehmen, ein ganz anderes sein. Ein paar beispiele wollen wir anführen. Nehmen wir gleich die bemerkung zu cap. I § 7 bezüglich der advocati, wozu der titel de postulando angeführt ist, so stellt sich heraus, dass dieser91 erst in der genannten sammlung [Seite: 36][Seite 34] drei kapitel hat deren inhalt erst vollkommen dem entspricht was belegt werden soll. Es findet sich zu cap. III § 3 die stelle nach dieser sammlung c. 1 de dilationibus 2.8 angeführt, welche in der compilatio prima aus der sie genommen ist c. 3 de dolo et contumacia alterius partis punienda 2. 10 bildet. Ferner ist zu cap. IV § 3 bezüglich der exception gegen den judex suspectus die stelle aus dem corpus juris canonici c. 5 de exceptionibus 2. 25 bemerkt, welche in der compilatio quarta aus welcher sie genommen ist cap. 2 de judiciis 2.1 bildet. Ausserdem aber findet sich unter diesen belegstellen mehr als eine92, worin geradezu dekretalen angeführt sind die von Gregor IX. herrühren.
Uebrigens ganz abgesehen von solchen mehr äusseren behelfen zeigt ganz deutlich der inhalt des werkes selbst die benützung dieser sammlung. Gerade die stellen von welchen eben zuletzt die sprache war beweisen das. Doch sind dieses nicht die einzigen. In den einzelnen kapiteln treten bemerkungen entgegen welche nur so ihre erklärung finden. Theils ist nämlich vollkommene oder fast vollkommene übereinstimmung selbst der worte der betreffenden kapitel jener sammlung erkennbar, theils ist die glosse zu ihr ganz entschieden benützt worden.
Was das erste anlangt, fällt gleich auf dass in cap. I § 7 unter den fällen in welchen ein sacerdos als advocatus auftreten kann auch die causa conjunctae personae erscheint, welche in diese verbindung erst durch eine gregorianische dekretale93 gekommen ist. Ferner ist aus einer solchen94 die bestimmung zu caput III § 2 geflossen, dass die citation trotz nachher eintretender domizilveränderung des beklagten welche ihn unter eine andere jurisdiction bringt prävention [Seite: 37][Seite 35] des citirenden gerichtes bewirkt, wiewohl der wortlaut nicht ganz derselbe geblieben ist. Gerade aber was diesen betrifft zeigt sich zu caput IV §. 2 und3 bezüglich der feriae solemnes und rusticae eine ausserordentliche übereinstimmung mit dem von Gregor IX.95 herrührenden. Nicht minder sind auch in cap. IX bezüglich des juramentum calumniae die §§ 5 und 6 gerade die bestimmung dieses pabstes in c. 7 §. 1 X. 2. 7.
Eben hinsichtlich des gefährdeeides aber zeigt sich dieser einfluss, zwar weniger in der ganzen zusammenstellung des textes welcher ohnehin schon eine gewisse festigkeit aus dem römischen recht her hatte, aber desto deutlicher in den an den rand der handschrift unseres grundtextes gemachten bemerkungen96 welche aus der vervollständigten glosse die zur erläuterung dienenden bestimmungen zum theil geradezu wörtlich beifügen, und eben hier so zu sagen aus zufall noch nicht in den text selbst gewandert sind, wohin sich einzelne in den übrigen handschriften97 schon geschlichen haben.
Unterliegt es nun auch keinem zweifel, dass die gregorianische sammlung benützt wurde, so dürfte doch vielleicht eine ältere uns allerdings verlorene oder wenigstens zur zeit nicht bekannte redaktion angenommen werden, welche nur eben im verlaufe derzeit nach der genannten sammlung modificirt und deren bestimmungen soweit möglich angepasst wurde, was ja mit keinen sonderlichen schwierigkeiten verknüpft war, da so zu sagen eigentliche materielle abänderungen nicht platz zu greifen hatten. Es wird in [Seite: 38][Seite 36] mehrfacher hinsicht der versuch von interesse sein, gründe für eine solche annahme beizubringen.
Bleiben wir zu dem behufe wieder beiden randbemerkungen stehen welche uns bekannt geworden sind. Da könnte zunächst eine erwähnt werden welche in ihrem zusammenhange in der früheren compilation den satz der belegt werden soll ganz klar vor augen stellt, während diese deutlichkeit durch eine verstümmlung welche ihr bei der aufnahme in die neue sammlung widerfahren ist jedenfalls bezüglich des augenblicklichen auffallens ihrer beweiskraft gelitten hat98. Da indessen dieses moment von zu untergeordnetem belang ist als dass sich eine entscheidende folgerung für unseren zweck ergäbe, gehen wir darüber weg.
Im übrigen aber stellt sich hinsichtlich der randbemerkungen als regel ganz entschieden heraus, dass die betreffenden titel der einzelnen kapitel nicht mit zahlen sondern mit den einschlägigen anfangsworten bezeichnet werden. Die vergleichung bestätigt das zur genüge. Kommt nun doch die erstere bezeichnung vor, so wird man fragen dürfen, warum. Wirklich haben wir aber zwei belegstellen99 mit derselben. Und bei jeder glauben wir einen besondern grund dafür angeben zu können. Nur bildet dieser bezüglich der ersteren nach unserer auslegung nicht einmal [Seite: 39][Seite 37] eine ausnahme von der regel, wie wohl bezüglich der anderen der fall sein möchte. Aus der einen aber wie aus der anderen soll sich ergeben müssen, dass eine ältere redaktion die veranlassung zu der ausserdem nicht gewöhnlichen bezeichnung gegeben hat. Was die erstere stelle100 betrifft, ist nämlich das caput 1 welches sie bringt nicht als erstes kapitel nach der neuen dekretalensammlung zu nehmen, was gegen die oben bemerkte regel verstossen würde, sondern es steht als caput unicum — welche bezeichnung sich bei titeln die eben nur ein kapitel haben wie diess in der compilatio prima hier der fall ist nicht bloss leicht rechtfertigt sondern so zu sagen natürlich und auch herkömmlich ist — und passt so zwar keineswegs für die angeführte sammlung welche drei kapitel hat, aber desto besser101 für die alte compilation. Die veranlassung sodann für die bezeichnung der zweiten stelle102 konnte eben so gut absichtlichkeit als vielleicht eine art übergrosser bequemlichkeit desjenigen sein welcher die umstellung in die neue sammlung vorzunehmen hatte. Es handelt sich weniger um die stelle als solche: die glosse103 bei derselben bildet vielmehr den gegenstand des citates. Diese findet sich aber in beiden sammlungen gleich zu dem eingangskapitel des betreffenden titels, welches nur aus besondern umständen104 in jeder ein anderes [Seite: 40][Seite 38] anfangswort hat, nämlich quoniam in der compilatio prima, in der neuen sammlung inhaerentes, was aber auch gerade wieder der anfang zum zweiten kapitel ganz gleichen inhalts im selben titel der erwähnten compilation ist, wobei sich jedoch natürlich keine glosse fand. Bei dieser lage der dinge wollte nun das neue nicht gesetzt werden, konnte aber das alte nicht gesetzt werden weil in die gregorianische sammlung jenes kapitel nicht aufgenommen war105. Insoferne es aber eigentlich ja nur auf die glosse ankam, welche sich dort wie hier zum eingangskapitel fand, wurde keine sorgfalt auf die lösung des entstandenen zweifels gewendet, sondern der bequemste ausweg ergriffen: als den ort der glosse gleich caput 1 des betreffenden titels anzuführen, was nun allerdings nicht bloss für die alte compilation sondern auch für die neue sammlung passt, jedenfalls aber uns den beweis für das ursprüngliche citat nach der ersteren liefert, insoferne eben ohne diese die berührte ungewissheit nicht hätte entstehen können, deren lösung aber wie sie getroffen wurde nicht anders denn als ausnahme von der sonstigen regel angesehen werden muss, indem gleich das unmittelbar darauffolgende citat aus demselben titel vollkommen passend106 die anfangsworte und nicht zahlen gibt.
Uebrigens sind wir im stande, mit zuhilfenahme der regel von welcher gesprochen ist und unter der annahme der unachtsamkeit oder ungeschicklichkeit dessen welcher die citate — offenbar aus einem früheren exemplare — an den rand [Seite: 41][Seite 39] unserer handschrift bemerkte aus zwei weitern stellen gründe für das bestehen einer nach den compilationen eingerichteten citationsweise geltend zu machen. Und zwar aus zwei stellen welche oben107 zum beweise angeführt wurden dass die vorliegende redaktion die gregorianische sammlung voraussetze. Gerade die bezeichnung nach der letzteren ist nämlich für beide stellen erst durch eine rasur bewerkstelligt worden, indem anfangs wie es scheint nicht bedacht wurde dass einzelne kapitel eines titels der neuen sammlung in einem ganz anderen titel der früheren compilation gestanden sein konnten. Erst als die citate bereits angemerkt waren, entdeckte man das: und es blieb so nichts übrig als zu radiren und die neue bezeichnung nun an die stelle der alten zu setzen. Bezüglich der belegstelle zur exception gegen den judex suspectus zu cap. IV § 3 ist das so ziemlich gelungen, wiewohl man immerhin einiges misstrauen108 behalten wird. Weniger aber ist es bei der andern109 zu cap. III § 3 geglückt, welche als caput 1 in den titel des corpus juris canonici de dilationibus 2.8 aus dem cap. 3 des titels de dolo et contumacia alterius partis punienda 2. 10 der compilatio prima übergegangen ist. Bei ihr findet sich nämlich zunächst gleich an der radirten stelle statt der anfangsworte des betreffenden kapitels die bezeichnung mit caput 1, was der sonstigen regel widerspricht, und hier noch um so mehr auffallen muss als an zwei anderen stellen110 das folgende kapitel desselben titels eben mit den anfangsworten111 gesetzt ist und nicht mit zahlen. Aber nicht das allein fällt auf, sondern man sieht bei dem ganzen citat die bemühung nicht zu viel zu radiren sondern wo möglich das noch brauchbare umzuändern, [Seite: 42][Seite 40] was nur zum theil etwas ungeschickt geschah, während anderntheils nicht scharf genug radirt wurde, so dass man noch im stande ist, gerade das — sehr unglücklich für die neue sammlung umgekünstelte — für die alte compilation vollkommen passende citat ohne mühe herauszulesen.112
Soweit von den randbemerkungen. Aber auch aus dem texte des werkes selbst wie er in den bisherigen handschriften vor uns liegt ergibt sich theilweise eine ursprünglichere fassung, welche erst durch erweiterungen und umänderungen zur nunmehrigen gestalt und insbesondore zur jezigen form der übereinstimmung mit der gregorianischen dekretalensammlung gelangt ist.
Auf das erstere weisen ganz unzweideutig die ziemlich zahlreichen kleineren interpolationen hin, welche sich in den verschiedenen handschriften und zwar schon in jenen welche für uns jezt die ältesten sind finden, was doch sicher voraussetzt dass die schrift welche dergleichen hat schon längere zeit im gebrauche gewesen sein muss, wenn solche ursprünglich nur an den rand gemachte bemerkungen die nicht aus einer einzigen handschrift allein herstammen bereits in den wirklichen text sich einschleichen konnten.
Es wäre auch insbesondere nicht unmöglich, bei [Seite: 43][Seite 41] einzelnen ganzen sätzen schon aus ihrer stellung nachzuweisen, dass sie erst durch spätere einschiebungen welche allerdings meist sehr geschickt gemacht worden sind hineingekommen. Da es aber nicht von jedem mit voller bestimmtheit ausgesprochen werden kann, ob er in unmittelbare beziehung zur genannten sammlung gebracht werden darf, wird es räthlicher sein hier nur auf die mehr sicheren sich zu berufen.
Da könnte vielleicht die form des gefährdeeides wovon schon die rede war wieder beigezogen werden. Sie ist noch so gefasst wie sie zum beispiele bei Tankred erscheint, der sie wahrscheinlich wie unser ordo judiciarius aus der glosse zum eingangskapitel des titels de juramento calumniae der compilatio prima113 nahm. Einige erweiterungen erhielt diese glosse bei der zusammenstellung für die gregorianische Sammlung, und wir hörten114 dass das wichtigere aus ihr115 an den rand [Seite: 44][Seite 42] unseres grundtextes gesetzt sei: in diesen selbst also ist es noch nicht aufgenommen, sondern er liegt noch in seiner früheren gestalt vor.
Doch selbst wenn wir auf diesen punkt gar kein gewicht legen, können wir zur darlegung unserer vermuthung mit einem gewissen vertrauen wieder auf eine stelle zurückgreifen von der gleichfalls bereits116 gehandelt wurde, nämlich bezüglich der personae conjunctae in cap. I §. 7. Es zeigt sich bei ihrer aufnahme nach der gregorianischen sammlung die verlegenheit hinsichtlich der nummern der klassifizirung in den abschriften sehr deutlich. Aus deren vergleichung ergibt sich nämlich, dass sie zum theil zu einer widersinnigen zusammenstellung sich entschlossen, welche ihren grund nur darin hat dass man einen ausweg suchte um nicht zur erhöhung auf vier klassen von den ursprünglichen dreien117 schreiten zu müssen, welch letztere zahl sich übrigens sogar ausdrücklich noch erhalten findet.
Es dürfte all diesem nach keinem grossen zweifel mehr unterliegen, dass die ursprüngliche redaktion unseres ordo judiciarius noch vor die gregorianische dekretalensammlung fällt. Ganz schlagend allerdings wäre das erwiesen, wenn sich spuren zeigten dass bestimmungen aus den früheren compilationen aufgenommen sind welche in die neue sammlung nicht übergingen. Wir wagen auch diesen versuch.
Zwei stellen, glauben wir, berechtigen dazu. Im cap. XII § 2 zunächst findet sich in allen handschriften der satz, [Seite: 45][Seite 43] laicus contra clericum ferre non potest testimonium. Ganz übereinstimmend hiemit hat die compilatio prima in c. 1 de testibus 2. 13 den aus dem concil von Tribur genommenen canon,118 testimonium laici adversus clericum nemo suscipiat. Im corpus juris canonici suchen wir vergeblich nach dieser stelle. Der verfasser unseres ordo judiciarius konnte sie also daher nicht schöpfen. Ja noch mehr, er würde wenn diese sammlung ihm schon vorgelegen wäre jedenfalls keinen grund gehabt haben sie aufzunehmen. Es wäre sogar gerechtfertigt gewesen sie zu streichen, wenn man mit grösster pünktlichkeit verfahren wäre, als man das werk später mit der neuen dekretalensammlung in übereinstimmung bringen wollte. Wir wenigstens haben in dieser keine so wirklich schlagende spur gefunden, dass man dem satz auch für den civilprocess eine anwendbarkeit gestatten119 dürfe. Gerade das aber ist sicher beweis genug, [Seite: 46][Seite 44] dass er — woran man doch zunächst zu denken berechtigt sein wird — wohl aus einer der früheren compilationen und zwar gerade aus der prima genommen ist, welche wie bemerkt die vollkommen zutreffende stelle enthält.
Wir wenden uns nun wieder zu den bekannten randbemerkungen. Unter ihnen findet sich zu der exception gegen die jurisdictio judicis in cap. VI § 3 die belegstelle extra de foro competenti licet. Schon diese bezeichnung fällt auf. So oft nämlich das wort licet ein kapitel beginnt, wird immer jedenfalls das nächste oder meistens die paar nächsten worte beigefügt, wie zum beispiele bei dem cap. 10 dieses titels licet ex suscepto verschiedene male120 bei Tankred. So musste also schon [Seite: 47][Seite 45] citirt werden, wenn auch nur die compilatio tertia aus welcher diese stelle stammt ganz allein vorlag. Noch mehr musste die nähere bezeichnung angegeben werden wenn die dekretalensammlung Gregors IX. vorlag, denn hier findet sich in diesem titel ausser der eben angeführten stelle noch ein weiteres von diesem pabste stammendes caput 20 mit den eingangsworten licet ratione delicti. Nun enthält aber der titel de foro competenti in der compilatio quarta auch ein mit dem worte licet beginnendes kapitel, nämlich licet quidem121 legalis sanxerit auctoritas.122 Es wurde nicht in die neue sammlung aufgenommen. Während aber das citat licet quidem mit angabe gerade dieses titels de foro competenti vorhanden war, half sich der umsetzer welchem ein solches kapitel in der neuen sammlung nicht in den wurf kam während er doch zwei andere mit licet anfangende fand ganz einfach so dass er licet ohne jeden beisatz hinschrieb. Wenn aber das noch nicht dazu bewegen sollte, dass gerade diese stelle als die ursprünglich citirte angenommen werden müsse, wird jedenfalls der sinn jeden zweifel heben. Von den beiden ersten passt nämlich die erste123 gar nicht auf das was belegt [Seite: 48][Seite 46] werden soll, die zweite124 nur höchst gezwungen. Die dritte aber deckt vollkommen ihren satz. Der beklagte excipirt nämlich gegen die jurisdiction des richters folgendermassen: domine non potestis me citare, quia non sum de foro vestro, cum ego sim de dyocesi wormacensi et vos sitis judex spirensis, oder wie eben die einzelnen handschriften die ortsnamen geben. Und in unserer stelle wird gleich im eingange ausgesprochen, dass legalis sanxerit auctoritas, ut quis debeat in sua provincia conveniri.
Fassen wir nunmehr alles zusammen was seither für den satz geltend gemacht wurde dass eine redaktion unseres ordo judiciarius schon vor der gregorianischen dekretalensammlung vorhanden war, so glauben wir den beweis dafür hinreichend geliefert zu haben.
Allerdings knüpft sich nun daran gleich die fernere frage, ob sich etwa der zeitpunkt genauer bestimmen lässt in welchen diese redaktion zu setzen sein dürfte.
Wenn wir nun glauben, die eben behandelte stelle spreche ganz entschieden dafür dass die compilatio quarta noch benützt wurde, kann sie wohl vor deren entstehen125 nicht gesetzt werden, also erst in das jahr 1215 — in welchem die lateranische kirchenversammlung gehalten wurde welche die nächste veranlassung zu ihr gab — oder nach demselben mit einiger bestimmtheit fallen. Ob überhaupt eine besondere beziehung unseres werkes gerade mit diesem concil anzunehmen sei, kann hier nicht des weiteren verfolgt werden. Auf der anderen seite aber ist keinem zweifel unterworfen, dass für die jetzt vorliegende [Seite: 49][Seite 47] redaktion die gregorianische dekretalensammlung benützt wurde, wenn auch ohne dass uns anhaltspunkte gegeben sind ob dieses gerade im jahre von deren entstehung oder in welchem jahre nach derselben der fall war. Doch gleichviel, jedenfalls ist klar, dass jene frühere vor dem jahre 1234 verfasst sein muss. Denn wenn nach demselben, so wäre sicher die neue sammlung gleich zugrunde gelegt worden, was aber nach der ganzen bisherigen untersuchung nicht der fall ist.
Es handelt sich demnach noch darum, ob sich näher bestimmen lässt, in welchem punkte eben, in dem zeitraum zwischen den beiden angeführten jahresangaben. Mit voller sicherheit dürfte das kaum herauszubringen sein. Eine gewisse möglichkeit dafür wäre allerdings gegeben, wenn sich entschiedene spuren auch von der benützung der fünften compilation als selbstständiger dekretalensammlung zeigten, indem jedenfalls soviel gewonnen wäre, dass man erst vom jahre 1226 ab126 argumentiren könnte. Allein eine solche tritt wenigstens nicht in der weise hervor, dass man folgerungen daran knüpfen dürfte. Was sich nämlich aus ihr aufgenommen findet, kann ebenso gut aus der gregorianischen zusammenstellung eingeflossen sein. Doch liesse sich vielleicht an eine stelle anbinden, welche möglicher weise zu einer näheren zeitbestimmung führen kann, falls sich von andererseite her noch stützen dafür ergeben sollten. Für sich allein nämlich getrauen wir doch aus einem ausdrucke welcher im cap. I § 4 gebraucht wird, dass nämlich der excomunicatus non potest esse actor quia non habet personam standi in judicio, noch nicht einen schluss der art zu ziehen, dass wir sagten, gerade wegen dieses ausdruckes welcher sich in der confoederatio des kaisers Friederich II. mit den geistlichen fürsten127 findet, die bekanntlich in das jahr 1220 fällt, und welcher da wohl zum erstenmale in dieser form128 erscheint, müsse dieses reichsgesetz benützt [Seite: 50][Seite 48] worden sein. Wäre das sicher, so könnte natürlich die abfassung nicht vor dieses jahr fallen. Aber selbst abgesehen davon ist noch ganz und gar nicht gewiss, ob jener ganze satz nicht erst durch interpolation hineingekommen ist, zu welcher annahme einmal schon veranlasst, dass eine handschrift I ihn nicht hat, ferner fast die stellung verleiten möchte welche er in den handschriften hat. So steht natürlich dann immerhin nicht fest, wie viele zeit vor dem erwähnten jahre schon der abschluss erfolgt sein könnte. Doch wären eben die grenzen jedenfalls um ein bedeutendes näher an einander gerückt.
In ermangelung von behelfen also welche darüber ins klare setzen könnten bleibt vor der hand nichts übrig als sich bei den gemachten angaben zu begnügen, um so mehr als auch weitere quellen nicht zu gebot stehen welche durch vermittlung bestimmter nachrichten über unseren ordo judiciarius überhaupt oder auch etwa insbesondere über dessen verfasser auskunft geben würden.
Was nämlich gerade den verfasser betrifft, lässt sich gar keine genügende muthmassung aufstellen. Es dürfte das auch im jetzigen augenblicke sehr schwer sein, nachdem man schon zu anfang des vierzehnten jahrhunderts denselben nicht gekannt zu haben scheint. Die abhandlung nämlich zu dem ordo judiciarius welche wir schon mehrmals anzuführen gelegenheit hatten berührt gerade diesen punkt speciell, gibt aber keine erfreuliche entscheidung. Sie spricht nämlich129 davon, wie aus dem grossen umfange des rechtstoffes sunt tractatus multi confecti, ut summa Henrici et summa Reymundi et summa Alberti coloniensis, quae summae sunt compositae ad130 informandum mediocres quia non possunt informari in magnis summis quae continent in argumentatione pro et contra. Quidam autem — bemerkt sie dann gerade mit rücksicht auf unser [Seite: 51][Seite 49] werk — ad utilitatem mediocirum hanc summam voluit componere, et composuit eam verbis facilibus ipsis competentibus et non intricatis. Indem nun auf die person des verfassers übergegangen wird, heisst es. De causa efficiente dubitatur. Quidam dicunt quod magister Remundus fuerit, quod non est verum, quia aliam summam composuit specialem. Quidam dicunt quod magister Henricus, quod iterum non est verum. Sed ille qui hanc summam composuit noluit se manifestare. Ein paar nichts sagende gründe131, werden nun dafür angegeben, warum er das nicht gewollt, und zuletzt erfolgt die spendung eines trostes welcher für das processlehrbuch allerdings ehrenvoll aber für die vorliegende frage nichts weniger als angenehm ist, man müsse nämlich bei unserer summa auch sagen, dummodo cultellus sit bonus, non est quaerendum132) quis fecerit. Wir sind so leider gerade von einer seite woher wir vielleicht etwas erwarten durften auch nicht um einen schritt in der forschung gefördert.
Trotzdem möchte wohl noch keineswegs ganz und gar auf das ausfindigmachen des verfassers zu verzichten sein. Nur müssen noch einige bedingungen erfüllt werden, bevor man mit irgend welchem erfolge diese untersuchung abschliessen kann. Es muss nämlich vor allem feststehen, ob sich spuren finden oder nicht, dass in Italien dasselbe oder ein ähnliches werk wie unser ordo judiciarius verfasst wurde. Beinahe möchte man daran zweifeln. Jedenfalls hat es auch neben dem tankredischen sich dortselbst nicht in gleichem ansehen erhalten können. Mit einer gewissen sicherheit wird freilich in dieser beziehung erst abgesprochen werden können, wenn mit zuverlässigkeit hergestellt ist, dass weder in Italien noch sonst [Seite: 52][Seite 50] handschriften desselben mit formeln für Italien133 vorhanden sind wie dieses bei Tankred der fall ist. Zur zeit weisen wie bemerkt sämmtliche handschriften in ihren formeln auf deutsche bisthümer und städte bis zur insula apud Hattem in den Niederlanden und wenn man noch die nürnberger druckausgabe dazu nimmt bis nach Lüttich. So lange also nicht Italien ganz entscheidende beweise für den ursprung in seinem schosse geltend machen kann, wird die überwiegende wahrscheinlichkeit für einen deutschen verfasser sein. Doch darf vielleicht nicht übersehen werden, dass die hauptgrundzüge des werkes ihre wurzel trotzdem in Italien haben können. Es ist denkbar, dass etwa in einer vorlesung über bestimmte materien des kanonischen rechtes oder speciell über process vorzugsweise nach den kanonischen quellen irgend ein Deutscher diese hauptgrundzüge in solcher systematischer anordnung kennen lernte und nach seiner rückkehr in die heimat mit strengerem festhalten daran oder auch mit einer gewissen selbstständigkeit verarbeitete.
Es genügen uns hier diese andeutungen. Wohl nicht umsonst geben wir uns der erwartung hin, dass vielleicht in nicht allzu langer zeit die wissenschaft über die hier noch zu lösenden [Seite: 53][Seite 51] fragen ins reine zu kommen wissen wird, und zwar insbesondere wieder die deutsche wissenschaft welcher durch die schule von Pertz höcht rüstige kräfte gewonnen wurden die möglicher weise in diesem augenblicke schon das material für die richtige beantwortung bereit haben.
Fassen wir nunmehr die ergebnisse zusammen welche sich bezüglich des prozesslehrbuches das wir seiner äusseren wie inneren beschaffenheit nach behandelt haben zurzeit gewinnen liessen, so möchte zunächst das folgende beachtung verdienen.
Seine ursprüngliche vielleicht nicht vor das jahr 1220 oder doch jedenfalls kaum vor das jahr 1215 fallende redaction, auf deren vorhandensein entschiedene spuren134 hinweisen, ist vielleicht noch irgendwo erhalten, aber jedenfalls im augenblicke wenigstens nicht bekannt. Sie wurde sodann mit den bestimmungen der neuen nicht lange darauf veranstalteten dekretalensammlung des pabstes Gregor IX. in übereinstimmung gebracht, oder vielmehr nach derselben wie es scheint im einzelnen erweitert135, und erhielt so die fassung welche jetzt vorliegt. Natürlich kann diese nicht vor das jahr 1234 fallen. Zweifelhaft bleibt übrigens auch wie wenig oder wie viel zeit darnach, denn nur das liess sich nach dem gegenwärtigen stand der handschriften136 angeben, dass über das jahr 1254 nicht zurückgegangen werden kann, während allerdings die in verschiedenster weise vorkommenden interpolationen immerhin dazu veranlassen, vielleicht schon geraume zeit vorher den eigentlichen abschluss des werkes zu setzen.
Was sein vaterland wie was seinen verfasser betrifft, ist zur zeit — solange nicht besondere gründe für Italien und einen Italiener geltend gemacht werden können — für Deutschland auf welches manche beziehung zu finden sein möchte und für einen Deutschen dessen persönlichkeit allerdings jetzt [Seite: 54][Seite 51] nicht mit einer art bestimmtheit feststeht die grössere wahrscheinlichkeit.137
Dass Johannes Andreä es nicht sein kann, ist nach dem ganzen seitherigen ergebnisse wohl nicht zu bestreiten. Die anstellung einer näheren untersuchung138 [Seite: 55][Seite 53] darüber ob er mit oder ohne sein zuthun bis auf diesen tag zu solcher ehre gelangte ist gleich in der einleitung als über die grenzen unserer schrift hinausfallend abgewiesen worden. Es genügt hier der nachweis, dass das werk um welches es sich handelt ganz abgesehen von seiner ursprünglichen redaktion schon in der jetzt vorliegenden weit über ein halbes jahrhundert früher abgefasst ist als man erst noch in neuerer zeit erforscht zu haben glaubte. Wenn nämlich eine basler handschrift des fünfzehnten jahrhunderts auf papier aus einer älteren quelle in der formel des definitiverkenntnisses die jahrzahl 1316 enthält, zu welcher zeit allerdings Johannes Andreä bereits zum zweitenmale und zwar bleibend in Bologna seinen aufenthalt genommen hatte, ist zu bedenken dass diese ganze abschrift sich eben nur als eine schon ziemlich späte herausstellt, und wenn unbezweifelt ältere vorhanden sind natürlich keinen schluss in dieser beziehung mehr begründet. Gerade jene zwei aber von welchen wir oben139 sprachen enthalten im texte des fraglichen prozesslehrbuches — wir sehen hier ganz von einer gleichfalls dort gegebenen notiz aus einer dritten handschrift140 ab — schon formeln aus einer zeit da Johannes Andreä das licht der welt entweder noch nicht erblickt hatte oder jedenfalls erst in den windeln liegen konnte.
Bereits im jahre 1826 erschien zu Jena von Martin des Ranulphus werk — bisher dem Bartolus zugeschrieben, und mit der ersten unter den vier von Johannes Andreä am schluss seiner literatur des prozesses aufgeführten anonymen schriften mit dem anſang ut nos minores identisch, worüber Wunderlich in der zeitschrift für geschichtliche rechtswissenschaft XI s. 84 – 89 und Rudorff ebendort s. 109 note 13 zu vergleichen — als Bartoli de Saxoferrato tractatus de ordine judiciorum. Im jahre 1838 veröffentlichte Hänel eines anonymus werk, unter dem titel Ulpianus de edendo bekannt.
Höchst wichtige beiträge folgten zu Göttingen in den jahren 1841 und 1842 von Wunderlich und Bergmann. Von ersterem in seinen anecdota quae processum civilem spectant die schriften des Bulgarus, Damasus, Bonaguida. Von letzterem aber Pillii, Tancredi, Gratiae libri de judiciorum ordine.
Sodann gab zu Halle im jahre 1853 Witte magistri Ricardi anglici ordinem judiciarium heraus.