[Faksimile] Ein Rechtsbuch, ein Stadt- ein Statutarrecht bildet einen Abschluss für die frühere Rechtsentwickelung, in gewisser Beziehung einen Ruhepunct, von dem aus es möglich ist die herrschende Rechtsanschauung der Zeit übersichtlich zu erfassen und sie in einem zusammenhängenden Bilde zur Anschauung zu bringen. In einem solchen mittelalterlichen Rechtsdenkmal finden sich vereinzelte Äusserungen des Rechtssinnes, wie sie aus mannigfaltigen Urkunden zu entnehmen sind, bereits zu einem mehr oder minder vollkommenen Ganzen, zu einem Gesammtbilde und geordneten Systeme vereiniget. Zwar verleugnet dieses in seiner logischen Gliederung in der Regel nicht den rhapsodischen Charakter, der den meisten mittelalterlichen Rechtsproducten in grösserem oder geringerem Grade eigen ist. Doch liegt darin ein Zeugniss, dass der Geist der Zeit bereits die Fähigkeit gewonnen hat, sich von dem organischen Zusammenhange der einzelnen Rechtssätze eine bestimmte Vorstellung zu machen, und bestrebt ist sich diesen zum Bewusstsein zu bringen. Wird nun der Gang der Rechtsentwickelung nicht durch äussere Umstände gewaltsam unterbrochen, so ist auch in den späteren Redactionen immer ein Fortschritt ersichtlich, der sich in der planmässigeren Anordnung der einzelnen Theile und in der ebenmässigen Ausbildung der leitenden Grundsätze äussert. Damit ist dem Forscher Gelegenheit [Faksimile] geboten einen gesicherten Blick auf die einzelnen Stadien der Rechtsentwickelung zu werfen und den vortheilhaften Einfluss zur Anschauung zu bringen, den solche Rechtssammlungen auf den jeweiligen Rechtszustand ausgeübt haben.
So treten uns auch in der Rechtsentwickelung Trient's drei solche Ruhepuncte entgegen, wo grössere Sammlungen der geltenden Statuten gestatten in die frühere und spätere Rechtsentwickelung einen Einblick zu gewinnen, einen sicheren Blick nach vor- und nach rückwärts zu werfen. Diese drei Stadien und Ruhepuncte sind durch die alten, die neuen und die Clesischen Statuten bezeichnet. Die Clesischen Statuten wurden im Jahre 1528 vom Bischof Bernhard von Trient, dem nachmaligen Cardinal Cles, veröffentlicht, nachdem er einer Commission von Rechtsgelehrten die Revision der früheren Statuten anvertraut hatte. So kam die letzte Redaction des Statutarrechtes in lateinischer Sprache in drei Büchern: de civilibus, de syndicis und de criminalibus zu Stande, welche für die Stadt Trient und ihr Gebiet (civitas cum districtu) und für den ganzen Umfang des Episcopats gelten sollte, über welchen die Bischöfe von Trient schon seit langer Zeit in Folge der auf sie übergegangenen Grafschaftsrechte, nachdem sie unter K. Konrad durch die Urkunde vom 31. Mai 10274.1 die vollkommene Immunität von der fränkischen Comitatsverfassung erworben hatten, wie andere Reichsfürsten die Hoheitsrechte sammt der Jurisdiction ausgeübt hatten. Diese Rechtsquelle erhielt sich nun in Süd-Tirol bis zum Erscheinen des bürgerlichen Gesetzbuches in Rechtskraft, und es wurden im Laufe der Zeit mehrere italienische Übersetzungen derselben veranstaltet. Von früheren Statuten aber wusste man bis heut zu Tag nichts, obwohl bereits die Einleitung der Clesischen auf solche hinweist, die von früheren Bischöfen bestätigt wurden. Glücklicherweise befindet sich im k. k. Staatsarchive ein handschriftlicher Codex vom Jahre 1363, der dahin mit den meisten Trienter Urkunden aus dem bischöflichen Archive übertragen wurde. Dieser enthält zwei Statutensammlungen in deutscher Sprache unter dem Namen der alten und der neuen Statuten, die das höchste rechtsgeschichtliche Interesse in Anspruch zu nehmen geeignet sind und auf die ganze ältere Rechtsentwickelung Trient's ein klares Licht werfen. [Faksimile]
Die Zeit der Abfassung der alten Statuten ist nicht näher bezeichnet, doch machen es innere und äussere Gründe höchst wahrscheinlich, dass sie in ihrer Entstehung der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts angehören. Die neueren Statuten fallen in die Zeit des Bischofs Bartholomeo Querini, der im Jahre 1304 zum Bischof von Trient gewählt wurde und bereits im Jahre 1307 starb. Diese zwei Sammlungen schienen mir bei näherer Einsicht so wichtig und für die ältere Rechtsgeschichte Süd-Tirols so bedeutend, dass ich bereits längere Zeit mich mit dem Studium derselben eingehend beschäftige und ihre wissenschaftliche Herausgabe vorbereite. Meine Vorarbeiten sind nun so weit gediehen, dass sie einem baldigen Abschlusse entgegensehen und mich in den Stand setzen, diese Statuten in nächster Zeit mit dem zu ihrem Verständniss und zur Würdigung ihrer rechtsgeschichtlichen Stellung unentbehrlichen wissenschaftlichen Apparate zu veröffentlichen. Ich liess mich dabei von der Überzeugung leiten, dass der blosse Abdruck einer Geschichtsquelle oder eines älteren Rechtsdenkmales, so verdienstvoll er unter Umständen sein kann, wenn der Name des Herausgebers als Bürgschaft für seinen Werth und seine Correctheit einsteht, doch nur ein halbes wissenschaftliches Verdienst sei, und dass der gewissenhafte Forscher sich des schwereren Theiles seiner Aufgabe nicht entschlagen dürfe, den Zusammenhang seiner Quelle mit der Zeit, in die sie fällt, zur Anschauung zu bringen und ihr Verhältniss zu den bisher gewonnenen wissenschaftlichen Resultaten zu prüfen. Dieser Standpunct schien mir besonders für die älteren österreichischen Rechtsdenkmäler, die so lange einer streng wissenschaftlichen Untersuchung entbehrt haben, von entscheidender Wichtigkeit. Ich nehme mir hiemit die Freiheit Einiges vorzulegen, was eine Einsicht in den Zusammenhang der Statuten mit der älteren Rechtsentwickelung Trient's gewährt.
Die alten Statuten sind als der erste Abschluss der tridentinischen Rechtsentwickelung aufzufassen. Es bildet daher einen wichtigen Theil meiner Aufgabe zu zeigen, wie auch sie nicht unvermittelt dastehen, wie sie, die auch als Ganzes die sichtbaren Spuren ihrer successiven Entstehung nicht von sich abstreifen konnten, mit früheren Äusserungen des Rechtssinns zusammenhängen. Diese sind nun in vereinzelten Urkunden enthalten, die nichts desto weniger geeignet sind das Urtheil auf eine sichere Grundlage zu stellen, in welchem Volks- und Stammesrechte der Keim und der erste Ursprung der [Faksimile] späteren Rechtsentwickelung zu suchen ist6.1. Für diesen Zweck gewinnt jene reichhaltige Urkundensammlung, die unter dem Namen des Codex Wangianus bekannt ist, die grösste Wichtigkeit. Die meisten der darin enthaltenen Urkunden fallen in das 12. und 13. Jahrhundert, somit theils in einen Zeitraum, dem auch die ältesten Statuten in ihrer Entstehung angehören, theils in das dieser unmittelbar vorhergehende Jahrhundert. Der Codex Wangianus hat bekanntlich an Rudolph Kink einen eben so sachkundigen als sorgfältigen Herausgeber gefunden. Durch seine Herausgabe, der er durch eine treffliche Einleitung und mehrere Register einen erhöhten Werth verlieh, ist nun die Benützung dieser Urkundensammlung keinen Schwierigkeiten mehr unterworfen. In den in ihr enthaltenen Urkunden sprechen sich für den, der sie nicht einzeln sondern in ihrem Zusammenhänge liest, die geltenden Rechtsanschauungen der Zeit, in die sie fallen, in unverkennbarer Weise aus. Ihre rechtsgeschichtliche Bedeutung wird darum nicht kleiner, dass ihnen meist ein concretes Rechtsverhältniss zu Grunde liegt, das sie für diesen einzelnen Fall regeln. Die allgemeine Rechtsanschauung, deren specielle Äusserung sie enthalten, ist dann desto klarer zu entnehmen, je mehr einzelne Urkunden ein analoges Rechtsverhältniss behandeln. Doch auch wenn sie ganz vereinzelt dastehen, sind sie nicht minder wichtig, wenn sie durch anderwärts gewonnene zuverlässige Resultate ihre nähere Bestimmung und Begründung erhalten.
In dieser Beziehung heben wir besonders zwei Urkunden heraus, die auf den Zusammenhang des Statutarrechtes und der Trienter Rechtsentwickelung überhaupt mit dem alten langobardischen Rechte ein unzweifelhaftes Licht werfen, und daher für die Feststellung des Charakters und letzten Ursprunges der Statuten von grösstem Belange sind. Sie geben Kunde von dem Hereinragen specifisch langobardischer Rechtsanschauungen und dem ununterbrochenen [Faksimile] Fortbestehen derselben bis in’s 13. Jahrhundert, in dessen Ende auch die Entstehung der ältesten Statuten fällt.
Die erste Urkunde vom Jahre 1212 (Cod. Wang. Nr. 111) enthält ein Übereinkommen des Bischofs Friedrich von Trient mit den Einwohnern von Rendena, das den Übergang aus der älteren Gerichtsverfassung in die neuere Gestaltung des Gerichtswesens zeigt. Noch hat sich die Erinnerung an die zweimal im Jahre abzuhaltenden placita erhalten, aber bezeichnend genug nur in den für ihre Abhaltung dem Bischof zu entrichtenden Beträgen. Denn der Name placitum bezeichnet nicht mehr die Abhaltung des Gerichtstages sondern den Betrag, der dafür zu zahlen war. Dafür solle sich der bischöfliche Gastaldio einmal im Jahre nach Rendena verfügen und daselbst durch zwei Tage in jeder Decanie7.1 Recht sprechen, doch nur über Verbrechen, deren Strafen den Werthbetrag von 3 Solidi nicht erreichen. ln Klagen (lamentationes), die einen höheren Strafbetrag nach sich ziehen de aliis vero maximis et majoribus maleficiis videlicet: de homicidio, traditionibus, adulterio, furto, rapina, sacrilegio, et de muliere violenter oppressa, incendio, perjurio et asto vulnerato et de his similibus behält sich der Bischof den Blutbann und den Strafbetrag (bannus) vor, mit dessen Einhebung er übrigens auch den Gastaldio betraut. Der Ausdruck asto für eine beabsichtigte und vorsätzliche Feindseligkeit findet sich bereits in dem Edicte des Königs Rothar7.2, das zuerst das älteste Volksrecht der Langobarden in eine äussere gesetzliche Form brachte. Asto vulnerare heisst daher absichtlich, mit Vorbedacht verwunden, nicht zufällig etwa im Handgemenge. Die Übersetzung irato animo, furor lässt nicht daran zweifeln, dass auch der in den Trienter Statuten wiederholt gebrauchte Ausdruck „in czornigem mütt“ c. 5. 6. 7. 8. 29. als [Faksimile] straferhöhendes Moment auf die langobardische Rechtsanschauung zurückzuführen ist.
Die zweite Urkunde vom Jahre 1218 (Cod. Wang. Nr. 143) enthält einen Freibrief für eine „ancilla“ und bezieht sich auf zwei Arten der Freilassung, die dem alten langobardischen Rechte specifisch eigen sind8.1. Diese hatten die höchste Rechtswirkung. Der Freigelassene wurde nicht blos fulfreae (vollfrei), sondern auch amund (mundfrei), d. h. frei von allem mundium oder patrocinium des Manumissor. Auch auf seine Verlassenschaft durfte der patronus keinen Anspruch mehr erheben. Die erste dieser Formen der Freilassung bestand in der Wehrhaftmachung des Freigelassenen auf dem öffentlichen Marktplatze (in quadrivio), wobei ihm zugleich vier freie Männer in herkömmlicher Weise die vier Strassen der Welt wiesen. Dies nannte man in quadrivium ducere oder tradere8.2.
Von gleicher Rechtswirkung war die Form der kirchlichen Freilassung (in ecclesiam circa altare ducendo). Die kirchliche Form wurde auch dann gebraucht, wenn der Freigelassene völlig frei und selbst der Kirche zu keinem Dienste pflichtig werden sollte8.3. Übereinstimmend damit sagt unsere Urkunde ... sint et esse debeant liberi et ab omni vinculo servitutis absoluti, ita ut deinceps nullam questionem servitutis, condicionem vel status questionem paciantur nec habeant ipsi nec eorum heredes in perpetuum nec eorum bona presencia, nec futura: sed perpetua libertate fruantur et habeant, et in ipsa permaneant, et habeant personas emendi, vendendi, judicioque sistendi, testandi et jus faciendi omnia, que libere persone facere possunt, [Faksimile] omni jure patronatus eis remisso; et liberam potestatem habeant in omnibus et per omnia et sint liberi sicut illi, qui in quadruvio9.1 in quarta manu traduntur ad libertatem eis prestandam, et sicut illi, qui per manum sacerdotis circa sacrosanctum altare ducuntur ter vel quater ad libertatem eis prestandam9.2.
Nach C. LXXII der neuen Statuten soll jede Aufgabe von Rechten und Klagen in der Regel vor dem Richter oder bischöflichen Vicar geschehen. — Abgesehen von dem romanisirenden Theile dieser Bestimmung, der auf eine besondere Aufgabe der Klagen neben der der Rechte hindeutet, beruht sie auf der echt germanischen, insbesondere fränkischen Rechtsgewohnheit, nach welcher zu jeder Übertragung von Rechten insbesondere bei der Veräusserung des freien Grundeigenthumes an dritte Personen eine gerichtliche Auflassung und die Übergabe von Symbolen nothwendig war. Zahlreiche Beispiele solcher gerichtlicher Auflassungen (finis, resignatio et refutatio) und Investituren mit den mannigfaltigsten Symbolen finden sich in den Urkunden des Codex Wangianus, und zwar nicht allein wenn eine Immobilie zu Eigenthum (als proprium) übertragen, sondern auch wenn sie zu beneficium geliehen wurde, in allen denjenigen Fällen, wo der Empfänger ein Besitzrecht (Gewere, tenuta im weiteren Sinne) erhalten sollte.
Das gebräuchlichste Symbol sowohl bei eigentlichen Übergangsgeschäften als auch bei der Errichtung von vertragsmässigen Verhältnissen überhaupt war ein Stab (fustis)9.3.
Sieh Urk. Nr. 26 v. J. 1187 per fustem, quem in sua manu tenebat. Nr. 38 v. J. 1190, 41 v. 1190, 63 v. 1198, 69 v. 1202, 114 v. 1212, 137 v. 1217, 260 v. 1211, 261 v. 1211, 263 v. 1211, 264 v. 1211. [Faksimile]
Oder ein Stück Holz (lignum). Sieh Urk. Nr. 2 v. J. 1082 per lignum, quod praedictus dominus Heinricus rex in sua tenebat manu, investivit Heinricum episcopum . . , Nr. 11 v. J. 1167 per lignum ... sanctus Vigilius succedat, ferner Nr. 257 v. J. 1211, 258 v. 1211, 259 v. 1211, 262 v. 1211, 280 v. 1217, 118 c) v. 1213.
Ausser diesen kommen auch noch vor ein Barett (bereta, beretum)10.1. Sieh Urk. Nr. 34 v. J. 1189: per beretam unam, quam in manibus suis tenebant, Nr. 48 v. J. 1191, 67 v. 1201, 71 v. 1204, 163 v. 1234, 172 v. 1235, 118 c) v. 1213 per beretum, quod u. s. w.
Eine Mütze (capicius): cum uno capicio, quem in suis tenebat manibus. Sieh Urk. Nr. 202 v. J. 1271.
Ein Handschuh(wantum)10.2). Sieh Urk. Nr. 13 v. J. 1172 per wantum, quod in sua manu tenebat. Chirothece. Sieh Urk. Nr. 73 c) v. J. 1208 per chirotecas, quas sua manu tenebat, ad rectum feudum investivit J. de banno. Nr. 81 v. J. 1210, 118 c) v. J. 1213.
Eine Urkunde, Pergament oder Buch10.3: cum libro uno, quem in suis tenebat manibus. Urk. Nr. 73 c) v. J. 1213, 127 v. 1215, 180 v. 1240; per bergamenam, quam sua manu tenebat. Sieh Urk. Nr. 9 v. J. 1193; per chartam, quam in sua manu tenebat, investituram fecit et promissionem. Sieh Urk. Nr. 111 v. J. 1212, 281 v. 1217, 282 v. 1217.
Der überwiegende Einfluss, den die Grundsätze des römischen Rechts auf das Vertragsrecht gewonnen haben, tritt aus den Urkunden klar hervor. Schon im langobardischen Rechte zeigen sich mehr als in anderen Volksrechten Nachbildungen römischer Institute, die oft mit ursprünglich germanischen Anschauungen vermischt sich durch die eigenthümlichen romanisirenden Ausdrücke charakterisiren.
So mag stipulatio ursprünglich wirklich keine andere Bedeutung gehabt haben als die Übergabe der stipula, wohin auch der Ausdruck stipulatione subnexa oder subnixa deutet10.4. Allmählich verlor sich jedoch die ursprüngliche Bedeutung, wie dies z. B. schon aus dem [Faksimile] Ed. Liutprandi c. 15 hervorgeht und die Auffassung als eine feierliche Form des Versprechens und der Eingehung des Vertrages wurde immer herrschender. Dafür finden wir in den Trienter Urkunden zahlreiche Belege. Sieh Urk. Nr. 26 v. 1187 promisit cum stipulacione, Nr. 87 v. J. 1210, 107 v. 1202 sponsit per stipulacionem, 110 v. 1212, 143 v. 1218, 173 v. 1235, 185 v. 1241, 188 v. 1244 stipulacione subnexa, Nr. 34 v. 1189, 38 v. 1190, 208 v. 1278, 81 v. 1210, 118 v. 1213, 47 v. 1191, 73 c) v. 1208, 74 v. 1208 stipulacione precedente, Urk. Nr. 53 v. 1192, stipulacione interveniente promiserunt, Urk. Nr. 64 v. 1199 per solemnem stipulacionem promisit, Nr. 208 v. J. 1278 cum stipulacione interrogatus ... promiserunt, Urk. Nr. 86 v. J. 1212.
In dem langobardischen Rechte11.1 findet sich bereits ein der römischen Hypothek verwandtes Institut, während den übrigen deutschen Volksrechten ein ohne Übergabe an den Gläubiger bestelltes Pfand, also die Hypothek im römischen Sinne, völlig unbekannt ist. Der Schuldner konnte dem Gläubiger entweder sein ganzes Vermögen oder einzelne Vermögensstücke im Falle der Nichtzahlung der Schuld als Executionsobject einräumen. Es hiess dies res in cautione obligare oder obligatio schlechtweg. Der Name pignus oder Hypothek kömmt jedoch noch nicht vor. Im Codex Wangianus findet sich nun eine Reihe Urkunden, in denen als Bestärkungsmittel von Verträgen solche Verschreibungen unbeweglicher Güter theils noch unter dem ursprünglichen Namen obligatio, theils aber auch schon unter dem Namen pignus oder hypotheca vorkommen, z.B. Urk. 20 vom Jahre 1184: et confessus est ibidem suprascriptus Wasengerinus pro suprascripta resignatione et refutacione curiam episcopi de Dommo pro quadraginta marcis ... in pignus habere et dari; Urk. 23 v. J. 1185 pro quibus (mille et centum libris) curia de Romeno eis obligata fuit; Nr. 24 v. J. 1185 Insuper etiam pignoravit idem d[omi]n[u]s episcopus predicto d[omi]no Henrico curiam de s[an]c[t]o Paulo; Nr. 55 v. 1194 nomine pignoris investivit episcopum de scaria sua de Nano; Nr. 62 v. J. 1198: Et hoc fecit eciam sub [Faksimile] ypotheca et obligacione tanti sui feodi vel allodie ... quod valeat jam dictum precium; Nr. 66 v. J. 1201: obligavit d[omi]n[u]s Jeremias tantum de suis bonis, que valeant quingentas libras denarior. veron.; Nr. 114 v. J. 1212 sub ypotheca omnium suorum bonorum, mobilium, et immobilium, presencium et futurorum; Nr. 120 v. J. 1214 obligantes etiam omnia sua bona, presencia et futura; Nr. 131 v. J. 1216 obligavit penam quingentarum librarum super supradictis bonis; Nr. 123 v. J. 1216 de supradicta obligacione et promissione ..; Nr. 163 v. J. 1234 Insuper pro omnibus predictis observandis obligaverunt sua bona pignori ipsi d[omi]no episcopo. Einige Urkunden enthalten schon unverhülltes römisches Recht, z. B. Nr. 138 v. J. 1217 renuncians ipsa d[omi]na auxilio senatus consulti vellejani et accioni hypothecarum. Man sieht deutlich, wie sich die bereits in dem Volksrechte enthaltene Andeutung einer General- und Specialhypothek allmählich ausbildete und ein der römischen Hypothek ursprünglich blos ähnliches Institut im Laufe der Zeit völlig in dieses überging.
Wenn sich in den angegebenen Beispielen der Zusammenhang mit der alten langobardischen Rechtsanschauung, obwohl auch diese nicht frei von römischem Rechtseinflusse ist, noch klar verfolgen lässt, und erst allmählich die römischen Rechtsgrundsätze durch ihren überwiegenden Einfluss die Spuren der ursprünglichen Rechtsanschauung beinahe bis zur Unkenntlichkeit verwischten, so tritt in sehr vielen Urkunden dieser Einfluss unvermittelt und direct hervor, so dass die Kenntniss des römischen Rechtes und seine unmittelbare Anwendung auf die Verhältnisse des Lebens und des gewöhnlichen Verkehres keinem Zweifel unterliegen kann. Belege dafür lassen sich in den Urkunden des Codex Wangianus in Masse finden, ohne dass sich, obwohl sie nahezu drei Jahrhunderte umfassen, für irgend einen Zeitraum mit Sicherheit aus dem häufigeren Vorkommen der Spuren des römischen Rechtes auf das von Aussen kommende Eindringen desselben schliessen liesse.
Hieher gehören die Abtretungen von Klagen verschiedener Art omne jus suum et omnes suas raciones et acciones, reales et personales. Sieh Urk. Nr. 63 v. J. 1198; Nr. 73 c) v. J. 1208, Nr. 75 v. 1208, Nr. 109 v. J. 1212, Nr. 129 a) v. 1215, Nr. 130 v. 1215, Nr. 159 v. 1231 omne jus suum et omnes raciones et acciones, utiles et directas; Nr. 170 v. J. 1234 u. s. w. Ferner die Verzichtleistungen auf Rechtsmittel und Rechtshülfen: die exceptio non [Seite: 13] numeratae pecuniae. Sieh die Urkunden 112 (v. J. 1212), 114 (1212), 119 (1213), 121 (1214), 129 b) (1215), 130 (1215), 159 (1231), 161 (1233), 166 (1234), 185 (1241) u. s. w.; privilegio minoris etatis et omni juri legum Urk. Nr. 114 v. J. 1212; auxilio senatus consulti Vellejani et accioni ipothecarum Urk. Nr. 138 v. J. 1217; excepcioni non soluti precii Urk. Nr. 161 v. J. 1233; epistole divi Adriani in solidum unusquisque, et omni alii auxilio legum, quo se tueri possint Urk. Nr. 172 v. J. 1235; quod principalis debitor prius sit conveniendus, quam fidejussor Urk. Nr. 169 v. J. 1234, 171 v. J. 1235, Urk. CXCV. bei Hormayr, Gesch. v. Tirol. I. 2. v. J. 1269 (vergl. damit c. XXXI der neuen Statuten, das ausdrücklich der Verzichtleistung auf diese Rechtswohlthat erwähnt). In dieser Beziehung ist besonders eine Urkunde v. J. 1277 (C. W. 207) merkwürdig, in welcher der Bischof Heinrich von Trient das Schloss Buon Consiglio dem heiligen Vigilius nomine pure et mere donacionis, que dicitur inter vivos übergibt13.1 renuncians insuper ipse d[omi]n[u]s episcopus juri et legi dicenti, donacionem ultra quingentos aureos absque insinuacione non valere etsi cum causa et ex justa causa et quod non sit in actis redacta vel reducta, sed totum valeat, ac si coram pretore facta fuisset.
Römische Rechtsinstitute kommen häufig vor: die donatio inter vivos. Sieh die vor. Urk. dann Nr. 16 v. J. 1183, 114 v. J. 1212, 159 v. J. 1231, das pactum de non petendo. Urk. Nr. 185 v. J. 1241. Das römische Testamentarrecht. Sieh Urk. 200 v. J. 1241. Et hoc volo esse meum ultimum testamentum ... et si non potest valere jure testamenti, valeat jure codicillorum, vel causa mortis etc.
Besonders finden sich in denjenigen Urkunden, in denen die Übertragung einer Sache oder eines Rechtes in entgeltlicher Weise geschieht, die Grundsätze des römischen Rechtes über den Kaufcontract genau beobachtet. Das certum et verum pretium wird erwähnt. Der Verkäufer verpflichtet sich in der Regel zur Gewährleistung im Falle der Eviction sub poena dupli. Sieh die Urkunden Nr. 74 (v. J. 1208), 80 (1209), 87 (1210), 93 (1210), 106 (1212). [Faksimile] 109 (1212), 112 (1212), 113 (1212), 114 (1212), 130 (1215), 138 (1217), 189 (1231), 208 (1278) u. s. w.
Weniger Ausbeute lässt sich aus den Urkunden des Codex Wangianus über die Grundsätze gewinnen, die über das Gerichtsverfahren in Civil- und Criminalangelegenheiten in Geltung waren. Doch kann es keinem Zweifel unterliegen, dass sich an der Curie des Bischofs bereits im Anfange des 13. Jahrhunderts der schriftliche Process mit römisch-kanonischen Rechtsformen ausgebildet, und die einzelnen Spuren des altdeutschen Gerichtsverfahrens immer mehr verdrängt habe, so dass uns in den alten Statuten, noch mehr aber in den neuen der kanonische Process in seiner vollen Ausbildung entgegentritt. Hier sind es besonders zwei Momente, welche einen Anhaltspunct zur Beantwortung der Frage gewähren, ob und wann dem römischen und kanonischen Rechte angehörige Processformen das deutsche Gerichtsverfahren verdrängt haben, und aus denen sich der Einfluss des römischen Rechtes und Alterthumes mit Sicherheit entnehmen lässt: die Art und Weise der Urtheilsschöpfung und die Einführung einer fortlaufenden, nur durch die gerichtlichen Ferialtage unterbrochenen Gerichtspflege. Ein wesentliches Merkmal, das das deutsche Gerichtswesen charakterisirt, ist in der Eigenschaft des Richters zu finden, der in allen Amtshandlungen an die Mitwirkung der Schöffen gebunden ist, so dass er zwar überall Lenker und Leiter der von Seite des Gerichtes vorgenommenen Amtshandlungen ist, nie aber eigenmächtig in das Getriebe der Verhandlung eingreift. So spricht er zwar das von den eigentlichen Urtheilsfindern — den Schöffen — gefundene Urtheil aus und sorgt für die Vollziehung desselben, ist aber bei der Urtheilfindung selbst nur durch die Leitung thätig14.1. Ein ganz anderes Princip liegt dem laudare, den laudis und laudamentis zu Grunde, die sich allenthalben bei den italienischen Städten vorfinden. So interveniren auch in den bischöflichen Städten die judices, die dem Bischofe zur Seite stehen und die bischöfliche curia bilden, bei der Urtheilschöpfung in ganz anderer Weise als ein deutsches Schöffencollegium. Sie unterstützen den Bischof mit ihrem rechtskundigen Rathe, oder schöpfen auch wohl als Stellvertreter in seinem Aufträge das Urtheil14.2. Der eigentliche Richter [Faksimile] aber ist der Bischof, „und das von ihm (dem Bischof oder dem Richter, der seine Stelle vertritt) abgegebene Urtheil ist sein Urtheil, und nicht das Urtheil derer, die es loben, obwohl es in der Regel nach dem Rathe derjenigen gegeben wird, die es loben15.1. Mit diesen wenigen, dem c. LIV der neuen Statuten entnommenen Worten ist der wesentliche Unterschied eines laudamentum von der Sentenz eines deutschen Schöffenhofes trefflich charakterisirt.
Was in den bischöflichen Städten der Bischof, das ist in dieser Hinsicht in den freien italienischen Städten der Podesta (Potestas). Die dem Podesta zur Seite stehenden judices oder assessores verhielten sich zu ihm gerade so wie die Assessoren zu einem römischen Provincialrector15.2. Die Urtheilsfindung durch das Institut der Schöffen war eine allgemeine germanische Rechtssitte, mochte nun auch die Rechtsfindung bei einigen germanischen Völkern, z.B. den Baiern, den Alemannen, den Friesen blos durch einen Rechtskundigen geschehen15.3. Jedesfalls ist sie dem römischen Rechte ganz fremd und der Mangel derselben nur durch den Einfluss der römischen Gerichtsverfassung, die bis in die spätesten Zeiten nur Einzelngerichte kennt, zu erklären. Bethmann-Hollweg15.4 hat gegen Savigny15.5 nachzuweisen versucht, dass auch bei den Langobarden, so wie bei den Römern das Institut der Schöffen gänzlich gefehlt habe, und dass sich durchaus nicht annehmen lasse, dass es bei jenen Regel der ordentlichen Gerichtsverwaltung gewesen sei den Rechtsspruch von Schöffen ausgehen zu lassen. Wahrscheinlich habe die Berührung mit römischer Cultur die Langobarden frühzeitig veranlasst ihre vielleicht althergebrachte Sitte der Rechtsfindung aufzugeben und nach der fremden [Faksimile] Rechtssitte umzubilden. Dagegen tritt Hegel der Ansicht Savigny’s hierin bei und behauptet, dass das Gerichtsverfahren der Langobarden das allgemein germanische gewesen sei, wornach das Recht zwar nicht von beständigen, d.i. für immer bestellten, sondern jedesmal vom Richter zum Gerichte berufenen, oder aus dem versammelten Umstand von Freien erkorenen Schöffen unter dem Vorsitze eines Richters gefunden und gesprochen wurde. Es ist hier nicht der Ort die von beiden Seiten angeführten Gründe gegen einander abzuwägen, für uns hat zunächst die Thatsache Bedeutung, dass sich in der Tridentiner Rechtsentwickelung das der römischen Art der Gerichtspflege zu Grunde liegende Princip von den frühesten Zeiten an erkennen lässt. Wenn sich nun bei den lombardischen und oberitalienischen Städten, so weit aus ihren ältesten bekannten Statuten zu ersehen ist, derselbe Vorgang in der Gerichtspflege zeigt, so dass die fränkische Schöffenverfassung sich daselbst nur eine relativ kurze Zeit erhielt, so wäre es allerdings eine auffallende Erscheinung, dass sich der Einfluss des römischen Gerichtswesens so mächtig erwiesen hätte, um mit einem Male und allgemein eine solche principielle Umwandlung, die die Gerichtsverfassung an der Wurzel trifft, herbeizuführen, ohne durch die vorausgegangene langobardische Rechtsanschauung schon ursprünglich vermittelt worden zu sein. Wie lange Zeit brauchte es in Deutschland, ehe es den Landesherren gelang, die Rechtssprechung ihren Beamten zuzuwenden, und die deutsche Grundlage des Gerichtsverfahrens, die Schöffenverfassung gänzlich zu verdrängen!
Wenn dies nun der Gang ist, den die Trienter Rechtsentwickelung schon früh im Allgemeinen genommen hat, so fehlt es doch auch nicht an Urkunden, die von der Erhaltung des deutschen Gerichtsverfahrens in einzelnen Gegenden des Trienter Gebietes Zeugniss geben, und die zum Theil einen Einblick in den allmählichen Übergang zu den Formen des kanonischen Processes gewähren, dessen Grundsätze in den Statuten bereits in ihrer vollen Ausbildung und Blüthe anzutreffen sind. Bischof Nikolaus von Brünn (1338 vom Markgrafen Karl von Mähren zum Bischöfe von Trient bestellt, gest. 1347 zu Nikolsburg. Bonelli III, Ser. antist. p. 101) bestätigte die neuen Statuten mit dem ausdrücklichen Zusatze, dass sie von Jedem gehalten und als Gesetz in allen weltlichen Gerichtshöfen der Stadt Trient, ihres Gebietes und des ganzen Episcopats verkündigt werden sollten „ausgenomen jn den steten, da man daz vrtail geit [Faksimile] nach der maisten volg“ c. LXXVII17.1 Noch um diese Zeit gab es daher in dem Umfange des Trienter Bisthums einzelne Bezirke, in denen rücksichtlich der Gerichtshegung andere Grundsätze in praktischer Anwendung waren, wo namentlich das Urtheil nicht von Einzelnrichtern im Namen und Aufträge des Bischofs, sondern nach alter deutscher Rechtssitte im echten Dinge gesprochen wurde. War nämlich in einem deutschen Gerichte das Urtheil eingebracht, d.i. von dem zum Spruch gewählten oder Bestimmten gefunden und ausgesprochen, und wurde es bei seiner Einbringung nicht gescholten, so wurde ihm von den gesammelten Dingpflichtigen und versammelten Volke die Vollbort ertheilt, oder von dem nicht übereinstimmenden Theile ein anderes gesprochen. In diesem Falle galt dasjenige Urtheil, das „die meiste Folge“ hatte. Dadurch wurde das Urtheil erst zum entscheidenden17.2.
Unter den erhaltenen Zeugnissen deutscher Gerichtshegung ist eine Urkunde vom 22. Juli 1163 (C. W. Nr. 10) geeignet die meiste Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Sie gibt ein Beispiel von einer unter dem Vorsitze des Bischofs kraft der auf ihn übergegangenen Grafschaftsgewalt abgehaltenen öffentlichen Gerichtssitzung (mallum publicum). Sie erfolgte nach alter deutscher Sitte unter freiem Himmel an der wahrscheinlich althergebrachten Malstätte auf einer Wiese unterhalb Sigmundskron (Formigar) zwischen der Etsch und dem Eisak. Es ist dies eine Gerichtssitzung im eigentlichen Sinne, somit kein mallum oder placitum generale (ungebotenes Ding), sondern ein mallum ad justicias faciendas (gebotenes Ding). Mit dem Bischof sitzen die Mitglieder der Curie17.3 zu Gericht, von denen 17 namentlich aufgeführt werden, ohne dass jedoch die Zahl als geschlossen erscheint17.4. Unter ihnen mehrere angesehene Geistliche und [Faksimile] Domherren18.1 dann mehrere Grafen: zwei Grafen von Tirol, einer von Greifenstein und zwei Grafen von Flavon (Pflaum). Der Gegenstand der Streitsache ist nicht ganz klar. Jedesfalls handelte es sich jedoch um die Behaltung eines Schlosses (Stinegh) als Lehen, die dem Vasallen nicht gelingt. Denn die Curie entscheidet, quod vasallus a die illo in antea dominum impedire non debet. Merkwürdig ist die Art und Weise, wie drei durch und durch deutsche Rechtssätze nach vorhergehender Berathung mit der Curie von verschiedenen Mitgliedern derselben durch Wahrsprüche festgestellt werden: 1. Ein Unfreier kann nicht als Zeuge für seinen Herrn auftreten. 2. Das Zeugniss einer Person genügt nicht. 3. Um ein Lehen mit eigenem Eide zu behalten, ist der Besitz von Jahr und Tag nothwendig.
Eine zweite Erwähnung eines publicum placitum, welches der Bischof von Brixen am Fusse des Berges Ritten in Gegenwart des Bischofes von Trient abhielt, geschieht im Jahre 1215 (C. W. Nr. 128). In diesem entsagt Wilhelm von Velthurns allen Ansprüchen auf das dem Bischof gehörige neugebaute Spital auf dem Ritten.
Einzelne Gemeinden und Thäler hatten gleich bei ihrer Unterwerfung unter den Bischof von Trient sich vom Bischof versprechen lassen, sie in ihren althergebrachten Gewohnheiten zu schützen und bei ihrer Gerichtspflege zu belassen. So das Thal Fleims in den Jahren 1110 u. 1112. Der Bischof versprach bei Strafe von 1000 Pf. Berner jährlich zweimal im Jahre in den Monaten Mai und November seinen Gastaldio in das Thal zu schicken und dort mit Beiziehung der von den Gemeinden gewählten Geschwornen die Justiz unentgeltlich zu üben18.2. Noch im Jahre 1281 liessen sich die Einwohner von Fleims dieses Vorrecht vom Bischof ausdrücklich bestätigen18.3. Dagegen beeilen sich andere Gemeinden sich der bischöflichen Gerichtsbarkeit zu unterwerfen und die lästigen Abgaben, die aus Anlass [Faksimile] der zweimal im Jahre abzuhaltenden placita zu entrichten waren, vom Bischof abzulösen. So im Jahre 1159 die Einwohner des Thales Leudro (C. W. Nr. 5) rücksichtlich des placitum sancti Martini et de pasqua. Dagegen soll ihnen der bischöfliche vicedominus oder archidiaconus Recht sprechen. Eben so lösen 1212 die Leute von Randene die zwei zu entrichtenden placita ab und unterwerfen sich der vom Bischof durch seinen Gastaldio einmal im Jahre auszuübenden Gerichtsbarkeit (C. W. Nr. 111). Im Jahre 1166 (Bonelli II, 433) bedingen sich die Einwohner von Pergine ausdrücklich nach den salischen und langobardischen Gesetzen behandelt zu werden. Im Jahre 1208 (C. W. Nr. 72) schliessen der Bischof von Trient und der Graf von Tirol ein Übereinkommen wegen der Abhaltung des placitum legale, scilicet placitum quod teutonice apellatur ealaeich ding in Botzen und in der dazu gehörigen Grafschaft. Sieh auch die Urk. v. 24. Juli 1234 (bei Hormayr Kr. dipl. Beitr. II, Nr. 93) für Botzen, nach welcher das legale judicium sive Etaidinc jährlich post festum sancti Galli ad Albarum stattfinden soll. Dann v. J. 1277 (ebendaselbst Nr. 154), worin der Graf Meinhard von Tirol den Botznern judicium id quod dicitur dorfgerichte et judicium annuale quod dicitur Ehelich teidinch bestätiget. Endlich v. J. 1293 (a.a.O. Nr. 151), wonach das legale vel generale judicium zweimal des Jahres infra festum sancti Martini et nativitatem domini nostri Jesu Christi et in mense Majo abgehalten werden soll.
Die mannigfaltigen Erpressungen, die aus Anlass der placita und der allgemeinen Verpflichtung zu erscheinen ausgeübt wurden, machten sie einerseits zu einer grossen Last für die Gemeinden und die ihnen angehörigen freien Grundbesitzer, andererseits zu einer bedeutenden Einkommensquelle, daher der Ausdruck placitum mit Verwischung seiner ursprünglichen Bedeutung entweder in der Erinnerung nur mehr gleichbedeutend mit Abgabe oder Last fortlebt oder als Einkommensquelle des Bischofs zu Lehen verliehen zu werden pflegt. So wird i. J. 1185 (C. W. Nr. 442) den Trienter Bergleuten und Gewerken die Freiheit ab omnibus, placitis, oneribus i. J. 1208, S. 448, placito et molestatione aliqua zugesichert. Im Jahre 1147 (C. W. Nr. 3) geschieht eine Belehnung mit dem placitum, districtus19.1 et bandum et datio et [Faksimile] preces20.1; 1190 (Urk. Nr. 38) wird ein feudum de placito et rimaniis20.2 erwähnt, 1209 (Urk. Nr. 92) eine Belehnung mit dem bannum placiti. Noch im J. 1278 (Urk. Nr. 208) geschieht die Übergabe eines Besitzthums an den Bischof cum jurisdictione penarum, placito et districtu. Öfters erscheint placitum in dem Sinne einer einfachen Abgabe. Sieh Urk. v. J. 1211, S. 475 dimidium placitum; S. 481 illam mensuram, qua dantur alia placita de Pellio. Sieh ferner die Urkunden v. J. 1212, S. 495, 496; v. J. 1213, S. 496, 497; v. J. 1214, S. 498, 499. Auch in der Bedeutung einer Klage oder eines Rechtsstreites kömmt placitum vor. So in einer Urkunde von 1186 (C. W. Nr. 25) pro sua dote agere aut causari seu placidum aut intentionem aliquam commovere contra episcopum. Eben so 1189, Nr. 38, 1209, Nr. 79 aliquod impedimentum vel placitum vel werra. Doch überall, wo dieser Ausdruck vorkömmt, in welchem Sinne es auch sein möge, ist man berechtigt auf das Vorhergehen echt germanischer Rechtszustände zu schliessen. In den Statuten findet sich hingegen das römisch-kanonische Processverfahren, wie es sich im 13. Jahrhunderte in der Gerichtspflege der italienischen Städte ausbildete und wie es in seinen Hauptgrundsätzen seit dem 15. Jahrhunderte auch in Deutschland vermittelt durch processualische Schriften italienischer Juristen allgemeine Verbreitung gewonnen hat. Diese legten ohne Zweifel ihrer Darstellung den sich an den Gerichtshöfen der italienischen Städte praktisch ausbildenden Gerichtsgebrauch zu Grunde. In dieser Beziehung ist eine Vergleichung mit der von [Faksimile] Senckenberg Corp. jur. germ. t. I. p. II. 145 ff. unter dem Titel: „Liber judiciarius oder österreichisches Gerichtsbüchlein aus dem 15. Jahrhundert“ mitgetheilten Übersetzung des dem Joannes Andreae († 1348) zugeschriebenen Processus iudiciarius schon desshalb von Interesse, weil sie Gelegenheit gibt die deutschen Ausdrücke, die grösstentheils mit in den Statuten vorkommenden übereinstimmen, zu vergleichen. In neuerer Zeit hat bekanntlich Rockinger21.1 nachgewiesen, dass der bisher dem J. Andreae zugeschriebene Ordo judiciarius grosse Ähnlichkeit mit dem Ordo judiciarius des Tancredus (um 1214) hat und schon um 1254 verfasst war.
So gründlich nun auch die Untersuchungen sind, die angeregt durch Savigny’s berühmtes Werk: Geschichte des römischen Rechtes im Mittelalter, über die Richtigkeit seiner Behauptung der Fortdauer der römischen Städteverfassung in Italien durchgeführt wurden, und so erfreulich die Resultate sind, mit denen die Wissenschaft durch die Werke Leo's, Bethman-Hollweg’s und insbesonder Hegel's über das italienische Städte wesen bereichert wurde, so hat die Rechtsgeschichte in dieser Beziehung doch noch zwei wichtige Aufgaben vor sich, die bis heut zu Tage einer vollkommen befriedigenden Lösung entgegensehen. Es fehlt noch an einer übersichtlichen und zusammenhängenden Untersuchung der ältesten Statuten der italienischen Städte — ein Mangel, auf den schon Hegel hingewiesen hat21.2. Auch das langobardische Volksrecht vermisst noch eine systematische Bearbeitung in der Art, wie sie andere Volksrechte in ausgezeichneter Weise aufzuweisen haben21.3.
Die Untersuchung des ältesten Statutarrechtes der italienischen Städte wäre vorzüglich desshalb wichtig, weil es nicht unwahrscheinlich ist, dass sich aus ihr die Lösung der Frage mit Bestimmtheit ergeben würde, ob sich in jenem das römische Recht durch überlieferte Gewohnheit erhalten habe, und welche Bestandtheile des in ihm enthaltenen Rechtsstoffes den verschiedenen Volksrechten angehören. Allerdings reichen die vorhandenen ältesten Statuten ihrer Abfassung nach nicht über das 12. Jahrhundert hinaus, doch enthalten [Faksimile] sie vielfach die Überlieferung und erste gesetzliche Einkleidung althergebrachten Gewohnheitsrechtes, und so dürftig auch meistens der in ihnen niedergelegte privatrechtliche Stoff ist, so ist er doch gewöhnlich scharf gezeichnet, und seine Ergänzung aus anderen Quellen nicht unmöglich.
Die Verfassungszustände und die Rechtsentwickelung der Stadt, mit der wir es zu thun haben, stehen offenbar unter dem allgemeinen Einfluss der Bedingungen, die auf den Gang des Rechts- und Verfassungslebens in den Städten Oberitaliens gestaltend eingewirkt haben. Hier wie dort ist daher die Frage von grösster Wichtigkeit, in welcher Art und auf welchem Wege das römische Recht seinen Einfluss gewonnen hat, der schon in den dem Statutarrechte vorhergegangenen Urkunden, so weit sie privatrechtliche Verhältnisse betreffen, zu erkennen ist. Nun fehlt es allerdings nicht an Spuren, aus denen sich schliessen lässt, dass das im 12. und 13. Jahrhundert neu erwachte Studium des römischen Rechts an den italienischen Rechtsschulen auch hier seine Wirkung auf die praktische Rechtspflege geübt habe. So erscheint schon im Jahre 1161 ein doctor legum als Trienter Richter (C. W. Nr. 7), so auch im J. 1233 (C. W. Nr. 74). Dahin deutet auch der Ausdruck jurisperitus (Baldricus jurisperitus de Toscolano 1191 (C.W. Nr. 47) 1194 (Nr. 49) u. s. w). Doch reicht der Einfluss der Schule nicht hin, um das frühe und allgemeine Vorkommen römischer Rechtsgrundsätze zu erklären, wenn es gleich anzunehmen ist, dass er viel dazu beigetragen hat die Kenntniss des römischen Rechtes zu verbreiten und seine Herrschaft sicher zu stellen, so dass es allmählich die Geltung eines gemeinen Rechtes annahm.
Bei der Untersuchung der Bedingungen, an die in der Trienter Rechtsentwickelung die Überlieferung des römischen Rechtes geknüpft erscheint, trifft man vor Allem Beweise von seiner Fortdauer in dem System der persönlichen Rechte. In den Trienter Urkunden finden sich mehrere Beispiele von persönlichen Professionen des römischen Rechtes. Im Jahre 1183 (C. W. Nr. 16) gibt Maria, die Tochter des Otolinus de Pradalla, unacum Adelpreto ejus marito, lege viventes romana ihre Besitzungen im Bisthum Trient, insbesondere das Schloss Pratalia und die Besitzungen im Läger- und Nonsthale dem Bischof um die Summe von 1400 Pf. Berner auf. Unter den zahlreichen unterschriebenen Zeugen erscheint auch dominus Martinus archidiaconus magister romanus. In einer Urkunde [Faksimile]