Der österreichische Staatsrat im 16. und l7. Jahrhundert. Von Herrn Dr. Otto Hintze in Berlin. In: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte Germanistische Abteilung Band 8 (21) 1887 S. 137-164
Der ältere österreichische Staats- oder Geheime Rat ist eine jener typischen Regierungsbehörden, durch deren Wirksamkeit der mittelalterliche Staat in den modernen übergeführt worden ist, die Grundlage für die Entwickelung eines Staatsministeriums.
Eine Gesammtdarstellung desselben, wie der österreichischen Verwaltung überhaupt, giebt es zur Zeit noch nicht. Was im Folgenden geboten wird, ist ein Versuch zur vorläufigen Orientirung, der die Ergebnisse der bisherigen Einzelforschung zusammenfasst und durch gedruckte Materialien, die bisher nicht genügend ausgebeutet sind, zu vermehren sucht. Wichtige Notizen aus archivalischen Forschungen bietet Bidermanns Geschichte der österreichischen Gesammtstaatsidee 1526-1804, Innsbruck 1867, ein Werk, das aber nur bis zum Jahre 1705 gediehen ist, und desselben Verfassers Geschichte der landesfürstlichen Behörden Tirols von 1490-1749 im 3. Bande des Archivs für Geschichte und Altertümer Tirols, Innsbruck 1867. Für die ältere Zeit ist ein fester Grund gelegt durch die Werke von Adler Organisation der Centralverwaltung unter Maximilian I. Leipzig 1886, Rosenthal [Seite: 138] [Seite 138] Die Behördenorganisation Kaiser Ferdinands I. Wien 1887, und Fellner Zur Geschichte der österreichischen Centralverwaltung 1493-1848, S.-A. aus den Mittheilungen des österr. Instituts Bd. 8, Innsbruck l887 — eine Studie, die aber erst bis zu K. Mathias reicht. Einen kurzen Ueberblick über die österreichische Verwaltung giebt eine Rektoratsrede von Huber Ueber Geschichte der österreichischen Verwaltungsorganisation bis zum Ausgange des 18. Jahrhunderts. Innsbruck 1884. In Betracht kommen ferner die Werke von Kerschbaumer über Khlesl, von Wolf über Lobkowic, von Arneth über Prinz Eugen u. a. Archivalische Publikationen fehlen so gut wie ganz. Sie beschränken sich im wesentlichen auf die Hofratsordnung K. Ferdinands I. von 1541 (bei Rosenthal) und auf zwei Hofstaatsverzeichnisse desselben Herrschers, das eine von Oberleitner, das andere von Firnhaber herausgegeben im Archiv f. K. österr. Geschqu. Bd. XXII, 224 und XXVI, 3 ff. Derartige Hofstaatsverzeichnisse erschienen später im Druck unter dem Titel von Hof- und Staatsschematismen. Doch sind sie äusserst selten, und die Kgl. Bibliothek zu Berlin besitzt nichts davon aus älterer Zeit. Aus solchen Staatsschematismen sind die Verzeichnisse der Behörden entlehnt, die der status particularis regiminis Ferdinandi II., ein Elzevirsches Bändchen von 1637, und Küchelbecker in den Allerneuesten Nachrichten vom römisch-kaiserlichen Hofe Hannover 1739 geben. Eine Hauptquelle aber sind bei dem Mangel aktenmässigen Materials die Berichte auswärtiger Gesandter am Wiener Hofe, die Relation des Cardinals Caraffa von l528, der Bericht des schwedischen Gesandten Esaias Pufendorf von 1674, namentlich aber die lange Reihe venezianischer Finalrelationen, teils in der Sammlung von Alberi, teils in denen von Fiedler und von Arneth.
Die Anfänge eines geheimen Rats des Landesherrn finden sich in Oesterreich schon am Hofe Friedrichs III. Er hatte eine nicht unbedeutende Anzahl von Räten, aus denen er in wichtigen Angelegenheiten einige besonders geschäftsgewandte und vertrauenswürdige aussonderte138.1. Doch bilden sie noch [Seite: 139][Seite 139] kein consilium formatum und erscheinen lediglich als beliebig zugezogene Werkzeuge jener rein persönlichen Regierung mittelalterlicher Landesherren, die sich im wesentlichen nur auf die dynastischen Interessen in Politik und Finanz erstreckt, während das eigentliche Schwergewicht der Verwaltung noch in den landschaftlichen Körpern beruht. Erst mit der Behördenorganisation Maximilians änderte sich dies System der Regierung, indem feste Organe der Landes- und der Centralverwaltung einerseits die ständischen Ansprüche zurückdrängten, andererseits aber auch der fürstlichen Willkür gewisse Schranken setzten. Maximilian begann im Jahre 1496 mit der Bildung einer centralen Finanzbehörde, der Innsbrucker Schatzkammer. Im nächsten Jahre folgte ein kollegialischer Hofrat, zunächst für die Revision gerichtlicher Entscheidungen aus allen Landen. Indessen dieser hatte keine Dauer, und jene machte anderen, provinziellen Bildungen Platz. Erst kurz vor seinem Tode, auf dem Innsbrucker Ausschusstage von 1518, vereinbarte Maximilian mit den Ständen die Bildung eines neuen permanenten Hofrats für sämmtliche Lande, der aus 18 Mitgliedern bestehen sollte, von denen 9 durch die Stände präsentirt wurden. Dabei behielt er sich vor, die "eigenen geheimen grossen Sachen" allein oder auch mit Zuziehung des Hofrats, beziehungsweise eines Teils desselben, zu erledigen139.1. So sehr die Organisation beschleunigt wurde, Max erlebte die erste Sitzung dieser Behörde nicht mehr, und nach seinem Tode geriet sie bald wieder in Verfall. Sein Enkel Karl V. führte, ohne eine dauernde Ordnung zu schaffen, die Regierung durch eine ausserordentliche Behörde, welche den Titel eines geheimen Rates führte139.2, bis dann 1522 sein Bruder Ferdinand, definitiv in den Besitz der österreichischen Erblande gelangt, unter heftigen Kämpfen mit den Ständen das von Maximilian Begonnene wieder aufnahm und eine Organisation durchführte, welche die dauernde Grundlage für die Weiterentwickelung der österreichischen Verwaltung geworden ist.
Die österreichischen Lande zerfielen damals in zwei grössere Gruppen, die einander ziemlich fremdgegenüberstanden: [Seite: ][Seite 140] Oberösterreich, bestehend aus Tyrol und den vorderösterreichischen Landen, und Niederösterreich, in welchem die Länder ob und unter der Enns, Steiermark, Kärnten und Krain vereinigt waren. Zwar behauptete noch jede dieser einzelnen Provinzen eine weitgehende administrative Selbständigkeit, doch hatte es schon Maximilian dahin gebracht, dass zu Innsbruck und Wien, in den Hauptstädten der beiden Gruppen, die Regierungen und die Kammern, d. h. die Justiz- und Polizei- und die Finanzbehörden, die Oberaufsicht über die gesammte Verwaltung führten. Auf dieser Grundlage errichtete Ferdinand im Jahre 1526 als Centralbehörden einen Hofrat, neben den wohl sogleich ein Geheimer Rat trat, beide in enger Verbindung mit der Hofkanzlei; ferner eine Hofkammer für die gesammte Finanzverwaltung, auch in Böhmen und Ungarn, und endlich in späterer Zeit (1556) einen Hofkriegsrat mit demselben ausgedehnten Wirkungskreise.
Der österreichische Hofrat140.1 war eine Centralbehörde für Justiz und Verwaltung im wesentlichen nach Massgabe der Bestimmungen des Innsbrucker Libells (1518). Nur war den Ständen nicht mehr, wie unter Maximilian, ein Präsentationsrecht eingeräumt, vielmehr liess sich Ferdinand geeignete Personen aus den einzelnen Ländern durch die Regierungen vorschlagen. Das Kollegium bestand aus den Inhabern der nach burgundischem Muster gebildeten 4 obersten Hofämter und aus 11 weiteren Räten, von denen 5 aus den niederösterreichischen Landen, 2 aus den oherösterreichischen, 4 aus dem Reiche waren. Denn die Behörde sollte nicht nur für die Erblande, sondern auch für das Reich kompetent sein; dagegen erstreckte sich ihre Befugnis nicht auf Ungarn und Böhmen, die Ferdinand bekanntlich 1526 erworben hatte. Der Hofrat war in erster Linie Centralgerichtshof für die Revisionen, daneben aber auch zuständig für alle Regierungsgeschäfte, ohne durch eine spezielle Kompetenzregulirung beschränkt zu sein. Das Kollegium hatte keinen festen Sitz, sondern folgte dem Hoflager des Landesherrn. Das Präsidium, das anfangs der Kanzler führte, ging nach der Instruktion von 1541 auf den obersten Hofmarschall über. Die Sitzungen wurden täglich [Seite: 141][Seite 141] Vor- und Nachmittags gehalten. Um beim Hofrat angenommen zu werden, mussten die Justizsachen den regelmässigen Instanzenzug von den Landgerichten etc. an die Regierungen durchgemacht haben; subsidiär trat persönliche Entscheidung des Landesherrn ein, wenn keine Einigung im Kollegium zu erzielen war, oder bei besonders wichtigen Sachen. ln den Angelegenheiten der Regierung, sowohl der äusseren Politik, wie der inneren Verwaltung, hatte der Hofrat lediglich beratende Stimme; die Entscheidung gab der Fürst persönlich.
In den beiden oben erwähnten Hofstaatsverzeichnissen141.1, von denen das eine in die Zeit bald nach 1543, das andere in das Jahr 1554 gehört, erscheinen in der That 15 Hofräte, Edelleute und Doktoren aus den verschiedenen Landen, letztere in der Mehrzahl, mit einem Gehalt von 480 Gulden rheinisch jährlich. Das Personal scheint schnell gewechselt zu haben. Wenigstens hat sich der Bestand der Räte in den zehn Jahren, um welche die beiden Verzeichnisse auseinanderstehen, fast durchaus geändert. Die adligen Räte rangiren vor den bürgerlichen, doch haben einige der letzteren der Anciennetät entsprechend ein etwas höheres Gehalt. Als Ferdinand Kaiser geworden war (1558), ward dieser Hofrat umgestaltet zum Reichshofrat durch die Ordnung vom 2. April 1559141.2. Die Mitgliederzahl wurde vermehrt, aber nicht wieder fest beschränkt. An Stelle des Obersthofmarschalls bekam das Präsidium ein besonderer Reichshofratspräsident. Von Kompetenzen im Gebiet der äusseren Politik und Verwaltung, wie sie der Hofrat gehabt hatte, ist in der Reichshofratsordnung nicht die Rede. Diese Befugnisse hatte wohl schon der Geheime Rat ausschliesslich an sich gezogen. Uebrigens bestand für die österreichischen Angelegenheiten noch ein besonderer österreichischer Hofrat[Anm. 1] fort, jedenfalls als engerer Ausschuss des Reichshofrats, bis zum Tode Ferdinands l.
Der Geheime Rat141.3 als ständiges Kollegium ist erst [Seite: 142] eine Schöpfung Ferdinands I. Man darf annehmen, dass es die Erwerbung Böhmens und Ungarns gewesen ist, die dem Herrscher die Notwendigkeit einer centralen Behörde für alle Länder und alle Zweige der Verwaltung nahe gelegt hat. Die Einheit des österreichischen Staatswesens beruhte nur auf der Person des Monarchen. Diese bedurfte dringend der Verstärkung durch ein ständiges kollegial gewordenes consilium. Wie der Staatsrat — so wird fortan diese Behörde in lateinischen und italienischen Berichten bezeichnet — aus der Notwendigkeit hervorgegangen ist, ganz verschiedene Länder durch eine starke monarchische Regierung zusammen zu fassen, so hat er in der Folgezeit auch nach der Richtung hin gewirkt, die Personalunion derselben allmählig zu einer mehr realen umzugestalten. Aktenmässig ist die Begründung dieser wichtigen Behörde nicht nachzuweisen, doch begegnet sie bereits in einer Hofstaatsordnung (im Wien. Arch.) vom 1. Januar 1527, und die Kanzleiordnung von eben diesem Jahr ordnet die Funktionen des Kanzlers nicht nur im Hofrat, sondern auch im Geheimen Rat. Fellner vermutet, dass als Muster für die Organisation der spanische Staatsrat gedient habe142.1. Er weist darauf hin, dass auch die stellvertretende Regierung unter Karl V. den Titel eines Geheimen Rats geführt habe, dass der Präsident des Geh. Rats einer analogen spanischen Einrichtung entspreche, dass ein Grosskanzler auch im Rate Karls V. gesessen habe. Eine nähere Vergleichung spanischer Einrichtungen würde jedenfalls von Interesse sein.
Eine besondere Instruktion des Geh. Rats ist nicht erhalten, und es muss dahingestellt bleiben, ob es eine solche überhaupt gegeben hat, da bei der engen Verbindung beider Behörden die des Hofrats möglicherweise für ausreichend erachtet wurde. Zu den Geschäften gehörte aber unzweifelhaft alles dasjenige, was schon Maximilian als die "eigenen geheimen grossen Sachen" bezeichnete, d. h. vornehmlich die äussere Politik; doch stand es wohl im Belieben des Landesherrn auch andere Sachen hier zur Sprache zu bringen. Namentlich wird er vermittelst des Geheimen Rats die gesamte Thätigkeit der übrigen Behörden kontrollirt haben. [Seite: 143] Die Befugnis des Geheimen Rats war eine rein beratende, wie die des Hofrats in Sachen der Politik und Verwaltung. Das Präsidium führte meist Ferdinand selbst, in seiner Abwesenheit der oberste Hofmeister. Von 1527-39 bestand der Posten eines Präsidenten des Geheimen Rats, den Bernard von Cles, Bischof von Trient, bekleidete, der zugleich auch supremus Cancellarius war. Beide Aemter, die ihm ein ausserordentliches Ansehen gaben, erloschen nach seinem Tode; die Kanzleigeschäfte besorgte ein Vicekanzler, der im Geheimen Rat die Materien zu proponiren, die Stimmen zu sammeln und die Ausfertigung und Expedition des Beschlossenen zu bewirken hatte. Auch der Hofmarschall, der zugleich Präsident des Hofrats war, scheint als solcher ständiges Mitglied des Geheimen Rats gewesen zu sein. Die Räte waren in späterer Zeit meist bürgerlicher Herkunft.
In den erwähnten Hofstaatsverzeichnissen erscheint an erster Stelle als Obersthofmeister Johann Hofmann Freiherr zu Grünbühel und Strachau, mit einem jährlichen Gehalt von 1600 rhein. Gulden. Ihm folgt der Obersthofmarschall Hans Trautson Freiherr zu Sprechenstein und Schroffenstein, mit 1100 Gulden; diesem Georg Gienger, ein Schwabe, Doktor der Rechte, früher Geheimer Hofsekretär zu Innsbruck und später Vicekanzler; Gehalt 1200 Gulden. Vicekanzler war 1554 Jakob Jonas, gleichfalls ein Schwabe und Doctor juris, mit 1000 Gulden jährlich. Eine besondere Stelle im Geheimen Rat nimmt der oberste Kanzler von Böhmen, Burggraf Heinrich von Meissen ein, der regelmässiger Weise 2160 Gulden (nach 18 Pferdeportionen berechnet) beziehen würde, wovon jedoch für die Zeit, wo er nicht bei Hofe ist, entsprechende Abzüge gemacht werden. Er war also in diesem sonst durchaus ständigen Kollegium ein ausserordentliches Mitglied nach Art der Räte von Haus aus; er starb schon 1554. Ordentliche Mitglieder hatte der Geheime Rat unter Ferdinand I. nach den venezianischen Berichten143.1 nie mehr als vier; doch führte [Seite: 144] der Kaiser, der den Sitzungen regelmässig beiwohnte, auch seine drei Söhne in die Beratungen ein. So lange er lebte galt Hofmann als das tüchtigste Mitglied; nach seinem Tode heisst es von dem Vizekanzler Dr. Seld144.1, dass er eigentlich alles thue. Im übrigen denken die Venezianer nicht allzu hoch von der Behörde. Sie vermissen an den Räten die Weltläufigkeit und Erfahrung, die man nur im diplomatischen Dienst an fremden Höfen erwerben könne. Auch ihre Treue gegen den Kaiser wird durch Annahme von Geld und Geschenken beeinträchtigt, namentlich durch spanische Pensionen144.2, wie denn Seld eine solche von 1200 Fl. bezog144.3.
Die österreichischen Stände waren äusserst unzufrieden mit dem Geheimen Rat. Sie warfen den Räten Mangel an Verständnis für ihre Landessachen vor und redeten um so ungescheuter, als es hiess, dass auch der Thronfolger Maximilian diese Regierungsweise nicht billige[3]. Diese Opposition der Stände ist wohl zu begreifen: von einer regelrechten Funktion des Geheimen Rats war eine scharfe Kontrolle der Provinzialverwaltung, in welcher die ständischen Interessen noch immer mitsprachen, eine energische Zurückdrängung partikularistischer Bestrebungen, kurz, Stärkung der monarchischen Gewalt, Centralisirung der Verwaltung, Abdankung der Stände zu gewärtigen.
Mit dem Tode Ferdinands I. zerfiel die Einheit der österreichischen Lande und damit auch die der Verwaltung. Seine testamentarischen Verfügungen144.4 führten eine Teilung des Besitzes unter drei Linien herbei. Der älteste Sohn, Maximilian II., erhielt ausser der Kaiserkrone die beiden Oesterreich, auf die bald der Name Niederösterreich beschränkt wird, sowie Ungarn und Böhmen; Ferdinand II. Tirol und die Vorlande, das sog. Oberösterreich; Karl Steiermark, Kärnten und Krain, die Gruppe, die später den Namen Innerösterreich führt. Zwar war es der Wille Ferdinands gewesen, dass die Regenten der beiden jüngeren Linien den Haussenior als [Seite: 145] dirigirendes Oberhaupt anerkennen und überhaupt nach einheitlichen Grundsätzen vorgehen sollten, als wären die Länder noch ein ungeteiltes Ganzes, doch hat sich thatsächlich eine völlige Selbständigkeit der einzelnen Teile herausgebildet.
Die erste Folge dieser Gebietsteilung war das Aufhören des besonderen für die österreichischen Lande zuständigen Hofrats145.1, während der Reichshofrat fortbestand. Dieser letztere trat für die kaiserliche Ländergruppe, d. h. für Niederösterreich, in die Befugnisse des Hofrats als Revisionsinstanz ein. Es bestand deshalb damals beim Reichshofrat ein besonderer österreichischer Registrator mit einem österreichischen Extraordinari-Sekretär. 1618 baten die evangelischen Stände von Niederösterreich um Wiedereinsetzung eines besonderen österreichischen Hofrats145.2, indessen scheiterte das Bestreben an den finanziellen Schwierigkeiten: weder der Kaiser, noch auch die Stände hatten Lust die Kosten zu tragen. Eine Wiederherstellung des Hofrats hat überhaupt nicht wieder stattgefunden.
Im übrigen blieb in den Landen der Hauptgruppe die Organisation im wesentlichen so, wie sie zu Ferdinands Zeiten gewesen war. Unter Maximilian II., Rudolf II. und Mathias ist der Geheime Rat allmählich immer mehr erstarkt145.3. Für die ungarischen Angelegenheiten freilich sollte der König nach dem Gesetzartikel 38 des Jahres 1569 nur ungarische Räte gebrauchen; die laufenden Geschäfte der Justiz wie der Verwaltung lagen fast vollständig in den Händen ungarischer Behörden. Aber die böhmischen Stände versuchten vergeblich sich der Autorität des Geheimen Rats zu entziehen, der nach wie vor alle Vorschläge, welche der böhmische Kanzler und die ständischen Landesoffiziere dem Kaiser machten, seiner Prüfung unterwarf145.4.
In den letzten Jahren Ferdinands I. war Wien zur ständigen Residenz geworden. Auch der Geheime Rat hatte [Seite: 146] damit eine feste Stelle bekommen. Maximilian II. liess, so oft er verreiste, ein Kollegium deputirter Geheimer Räte zurück, welche in Stellvertretung die oberste Regierung zu führen hatten. Die hinterlassenen Mitglieder der Hofkammer und des Hofkriegsrats hatten ihren Anordnungen Folge zu leisten, und auch der ungarische Locumtenens wurde angewiesen, mit ihnen zu korrespondiren146.1. Hier sehen wir den Geheimen Rat bereits in selbständiger Ausübung der Regierungsrechte.
Die stellvertretende Regierung ward unter Rudolf II.146.2 zu einer ständigen Einrichtung. Er selbst, menschenscheu und den Regierungsgeschäften wenig zugethan, residirte auf dem Prager Hradschin, von wo aus schon der schwierigen Kommunikation wegen eine Centralregierung nicht wohl zu bewerkstelligen war. In Wien führte daher regelmässig einer seiner Brüder, Ernst, Max oder Matthias als Statthalter die Regierung mit einem Geheimen Rat und den übrigen Behörden. Ein Teil der Räte befand sich allerdings in Prag beim Kaiser; indessen wurden die allermeisten Geschäfte in Wien erledigt und nur in den dringendsten Fällen bei der kaiserlichen Regierung angefragt. Nachdem Rudolf 1608 gezwungen worden war, zu Gunsten seines Bruders auf die Regierung in den österreichischen Landen und in Ungarn zu verzichten, richtete Mathias eine eigene Regierung in Wien ein, deren oberstes Organ wieder der Geheime Rat war. Die Eidesformel, mit welcher 1609 zwei der Räte, die Grafen Trautson und Meggau, verpflichtet wurden, ist im W. A. erhalten und von Fellner mitgeteilt worden146.3. Die Räte schwören dem Landesherrn und dessen Erben, derselben Ehre, Nutz und Frommen zu betrachten, Schaden und Nachteil aber abzuwenden, in allen Sachen, die ratsweise an sie gelangen, das Beste und Nützlichste zu raten, darin weder Mühe, Gabe, Freundschaft, Feindschaft, noch irgend anderes anzusehen, das Ratsgeheimnis bis in ihre Grube zu verschweigen und sonst alles das zu thun, was einem getreuen verpflichteten Geheimen Rat gebühret und zu thun schuldig ist. Nach Rudolfs Tode ward Wien dann alleiniger Mittelpunkt der Regierung; nur [Seite: 147] erfreute sich Böhmen seit Einrichtung der Statthalterei durch Rudolf (1577) bis zur Schlacht am Weissen Berge einer etwas grösseren Selbständigkeit als bisher.
Die Kanzlei blieb, wie seit Anbeginn, mit der Reichskanzlei verbunden, trotzdem mehrfach Klagen über die Vermischung der Reichs- und Landessachen namentlich seitens des Kurerzkanzlers laut wurden. An ihrer Spitze stand unter Mathias der Reichsvizekanzler Hans Ludwig von Ulm, der auch Mitglied des Geheimen Rates war. Materiellen Einfluss auf die Geschäfte übte damals die Hofkanzlei noch nicht147.1.
Aus dem Jahre 1614 haben wir eine Relation des venezianischen Gesandten Hieronymus Soranza147.2, welche die Ergebnisse der von Bidermann und Fellner angestellten archivalischen Forschungen, auf denen das Gesagte beruht, in erwünschter Weise illustrirt. Im Staatsrat werden nach derselben alle wichtigen Angelegenheiten erledigt, namentlich li concernenti materie di Governo e di Stato, was wohl im Gegensatz zur blossen Jurisdiktion zu verstehen ist. Es gab damals fünf Mitglieder: Kardinal Khlesl, Graf Trautson, Graf Meggau, Ulm und Barvitius. Der hervorragendste ist Khlesl. Er beherrscht den Kaiser völlig und hat alle anderen von der Regierung ausgeschlossen. Seine Autorität ist grösser, als in Spanien die des Herzogs von Lerma. Sachen, die bereits im Staatsrat beschlossen, ausgefertigt und vom Kaiser unterschrieben sind, ändert und cassirt er nach Gutdünken, indem er, ohne die anderen Räte zu fragen, dem Kaiser eine neue Ausfertigung zur Unterschrift vorlegt und diese expediren lässt. So kommt es, dass der Staatsrat häufig die Erfahrung machen muss, dass das direkte Gegenteil von dem, was im Kollegium beschlossen worden ist, geschieht. Man hat sich anfangs sehr darüber gewundert, sich auch oftmals beim Kaiser beschwert, indessen hat Khlesl bisher immer diejenigen, die es wagten, wider den Stachel zu löcken, von der Regierung zu entfernen gewusst, so dass seine Macht eine absolute ist. Die fremden Gesandten verhandeln mit ihm allein, wobei es ohne namhafte Geschenke nicht abgeht. Trautson und Meggau treten [Seite: 148] vollständig hinter ihm zurück und mengen sich möglichst wenig in die Staatsgeschäfte, zufrieden, ihre Hofämter als Obersthofmeister und Oberstmarschall auszuüben und sich zu bereichern. Ein tüchtiger Geschäftsmann von Kenntnissen und Erfahrung ist der Kanzler Ulm, dem man auch nachrühmt, dass er für Geld unzugänglich sei; doch spielt er eine unglückliche Rolle unter Khlesl und hegt den Wunsch, sich zurückzuziehen. Barvitius endlich, früher Sekretär Rudolfs, ist ein Geschöpf Khlesls und ihm unbedingt ergeben. Bemerkenswert ist, dass die Räte öffentlich von Spanien Pensionen beziehen, woher den spanischen Interessen mehr als billig Rechnung getragen wird. Formell liegt jede Entscheidung beim Kaiser selbst, thatsächlich bei Khlesl.
So die Regierung in den Landen der Hauptlinie. Sie ward das Vorbild für die Einrichtungen in Graz und Innsbruck. Hier wie dort stand ebenfalls ein Geheimer Rat an der Spitze. Der oberösterreichische Geheime Rat148.1 ist hervorgegangen aus einem Hofrat, der durch Instruktion vom 11. März 1573 geschaffen wurde und eine Revisionsinstanz in derselben Weise war, wie der Hofrat Ferdinands I. Er war gebildet aus inländischen Adligen (Herren und Landleute), und gelehrten Juristen. Gegen Ende der Regierung des tirolischen Ferdinand II. († 1595) formte sich die Behörde um zu einem Geheimen Rat, wahrscheinlich auf Betreiben des Obersthofmeisters Don Juan Manriquez de Lara, also wohl wiederum nach spanischem Muster. Er war den Tirolern fremd und verhasst, blieb aber bestehen und hat bis zum Heimfall Oberösterreichs an die Hauptlinie 1665 die Regierung des Landes im wesentlichen vollständig in Händen gehabt. Unter ihm amtirten Regierung und Kammer. Ferdinand II., der Gemahl der Philippine Welser, hinterliess keine successionsfähigen Nachkommen. Der Haussenior Rudolf II. übernahm die interimistische Regierung, bis man sich nach langem Streit mit der steirischen Linie in dem Prager Rezess vom 5. Febr. 1602 dahin einigte, dass Rudolf den Ezh. Maximilian, den Deutschmeister, mit dem Gouvernement der ober- und vorderösterreichischen [Seite: 149] Lande betraute, mit der Massgabe, dass ihm von jeder der beiden Linien zwei Geheime Räte zugegeben werden sollten, die aus dem gemeinsamen Hauseinkommen zu besolden waren, die sog. Geheimen Assistenzräte, als welche von steirischer Seite Karl Schurf Frhr. von Schönwerth und Dr. Hieronymus Manicor, von österreichischer Seite Ludwig von Millart Frhr. zu Reineck und Dr. Friedrich Altstätter ernannt wurden; 1605 ordnete ihnen K. Rudolf von sich aus noch den Freiherrn Sigismund von Welsberg zu. Dieser Geheime Rat hing also nicht von dem Statthalter, sondern von den Senioren der beiden Linien ab; erst 1612 emancipirte sich Maximilian von dieser Beschränkung und führte nun die Regierung "ohne alles Hintersichbringen", wie es in der betreffenden Urkunde des Kaisers Mathias heisst149.1, bis zu seinem Tode 1619. In seine Stelle trat dann als Statthalter Erzherzog Leopold, der 1623 und 30 durch Verträge mit K. Ferdinand II. Eigentumsherr von Tirol und Vorderösterreich wurde. Ihm folgten zwei Söhne in der Regierung; 1665 starb seine Dynastie aus. Kaiser Leopold übernahm nunmehr die Regierung, und Tiro1 blieb seitdem mit den anderen österreichischen Landen unter einem Herrscher vereinigt. Mit dieser Union sank der oberösterreichische Geheime Rat zu einer blos vermittelnden Behörde herab, die mit dem Landesherrn nicht direkt, sondern vermittelst der Wiener Hofkanzlei verkehrte, die Befehle der Centralregierung in ihrem Bezirk zur Ausführung zu bringen und die Kompetenzkonflikte zwischen Regierung und Kammer zu entscheiden hatte. Auch in Justizsachen blieb ihm nur das votum informativum; die Revision erfolgte in Wien. Immerhin aber ward in kaiserlichen Schreiben und sonst noch der Schein einer obersten Behörde bewahrt; ein wirklicher Geheimer Rat führte den Vorsitz und an der Spitze des Ratstiscbes blieb der Platz für des Kaisers Majestät reservirt. Offiziell wird die Behörde consilium deputatum titulirt149.2.
Innerösterreich bekam nach dem Tode Ferdinands I. Erzherzog Karl, der ebenfalls (1568) einen Geheimen Rat [Seite: 150] einrichtete150.1. Ihm folgte nach einer vormundschaftlichen Regierung der Mutter Ferdinand III. (1596), dem ausser der Regentin-Mutter ein streng katholisches Geheime-Rats-Kollegium zur Seite stand, an dessen Spitze Balthasar Freiherr von Schrattenbach sich befand. Die gewaltsame Rekatholisirung des Landes unter dieser Regierung brach den Rest von ständischer Selbständigkeit in Innerösterreich nieder. Als Ferdinand die Erbschaft Mathias' antrat und zum Kaiser gewählt worden war (1619), liess er diesen Geheimen Rat, dessen Direktor damals Sigismund von Wagensberg war, zurück "pro majore cautela regalium et jurium suorum conservandorum150.2, und es ward seitdem Stil von Wien aus an diese Behörde zu schreiben als "an unsere hinterlassenen Geheimen Räte". Das Ansehen und die Selbständigkeit dieses innerösterreichischen Geheimen Rates, der auch noch als consilium intimum bezeichnet wird, war grösser als bei dem oberösterreichischen. In Justizsachen blieb er Revisionsinstanz über der inappellablen Regierung. Auch die Kriegssachen blieben unabhängig von dem Wiener Hofkriegsrat150.3. Im übrigen aber wird das Verhältnis zur Zentralregierung ein ähnliches gewesen sein, wie in Oberösterreich.
Ueber die Behördenorganisation unter K. Ferdinand II., zu dem wir nunmehr übergehen, liegen nur wenige zerstreute Notizen aus archivalischen Studien vor150.4. Ausreichender sind wir unterrichtet durch die Venezianer, sowie durch die sogenannte Relation des Kardinals Carlo Caraffa, des Verfassers der Germania sacra restaurata, der 1620-28 päpstl. Nuntius in Wien war. In Betracht kommt ausserdem der Eingangs bereits erwähnte Status particularis von 1637, der zum Teil aus Caraffas (1628 veröffentlichter) Relation schöpft, daneben aber namentlich noch einen Staatsschematismus von l636 enthält, der den Bestand der Behörden in aller Ausführlichkeit darstellt.
Auch Ferdinand II. hat den Hofrat nicht wieder [Seite: 151] hergestellt. Aber er hat den Instanzenzug der erbländischen Revisionssachen nach dem Reichshofrat aufgehoben151.1. Es bleibt nichts anderes übrig als anzunehmen, dass nunmehr der Geheime Rat zur Revisionsinstanz für die Erblande wurde, obwohl ich das nirgends ausdrücklich erwähnt finde; indessen in späterer Zeit ist mehrfach die Rede von einer obersten Jurisdiktion des Geheimen Rats151.2, die demselben von Anfang an keineswegs zugestanden hat. In Verbindung mit dieser Aenderung stand die endliche Trennung der österreichischen Kanzlei von der des Reiches, die im Jahre 1620 stattfand, ohne jedoch in der Praxis vollständig durchgeführt zu werden151.3. Der Reichsvizekanzler Ulm ging zur Reichskanzlei über. Die neugebildete österreichische Hofkanzlei bekam einen eigenen Hofkanzler in der Person des Leonhard Götz, der später Bischof von Trient wurde, und dann des Italieners Verda, der zum Grafen von Werdenberg erhoben wurde151.4.
Der Geheime Rat151.5 behauptete seine alte Stelle an der Spitze der Behörden. Aber er ist erweitert und in einen festeren organischen Zusammenhang mit der gesamten Verwaltung gebracht worden. Während er bisher nur aus wenigen Vertrauensmännern der Fürsten bestanden und nur mit der Kanzlei eine engere Verbindung gehabt hatte, vereinigt er jetzt die sämtlichen Ressortchefs, sowie die obersten Vertreter sämtlicher Ländergruppen in sich. Das Hofstaatsverzeichnis von 1636 weist 15 Geheime Räte auf, darunter die Bischöfe von Olmütz und Wien, die obersten Hofmeister des Kaisers, der Kaiserin und des römischen Königs, die Präsidenten des Reichshofrats, der Hofkammer und des Hofkriegsrates, den [Seite: 152] Hofkanzler und den Reichsvizekanzler, den Ungarischen Hofkanzler Bischof von Weszprim und den Obersten Kanzler des Königreichs Böhmen, den Statthalter der niederösterreichischen Regierung, den Präfekten der Festung Raab. Der Vortrag im Geheimen Rat geschieht durch zwei Referendarien, von denen einer die Italienischen und Polnischen Sachen, der andere, zugleich Reichshofrat, die Prager Friedensangelegenheiten hat, ferner durch zwei Geheime Sekretäre, die gleichfalls Reichshofräte sind und in Unterordnung unter den Hofkanzler auch die Expedition des Geheimen Rats leiten, welche als eine besondere Abteilung der Hofkanzlei erscheint.
Nicht alle Mitglieder sind indessen in jeder Sitzung gegenwärtig; es scheint, dass die Vertreter einzelner Länder und Ressorts nur erschienen, wenn Sachen vorlagen, die sie besonders angingen, so dass sich eine nach den Geschäften verschiedene Zusammensetzung für die einzelnen Sessionen ergeben würde. Nach dem Bericht des Venezianers Sebastian Venier (1630) sind es nur drei Mitglieder, die in jeder Sitzung erscheinen und von keiner ausgeschlossen sind: der Obersthofmeister Fürst Eggenberg, der Abt von Kremsmünster, Hofkammerpräsident, und Graf Maximilian von Trautmannsdorff. Ihnen schliesst sich noch der Hofkanzler Graf Werdenberg an. Eggenberg ist nach der Relation Caraffas capo e direttore des Staatsrats, ein alter gebrechlicher Herr, den häufig Kolik und Podagra plagten, aber von ungemeinem diplomatischen Talent. Es wird manches erzählt von seinem unbegrenzten Einfluss beim Kaisser, der häufig vor seinem Krankenbett den Geheimen Rat abhielt und nichts ohne ihn unternahm. Er wurde später in den Sturz Wallensteins verwickelt und musste 1634 den Hof räumen. Sein Nachfolger als erster Geheimer Rat wurde der Kardinal Fürst Dietrichstein. Der Abt von Kremsmünster war keine politische Kapazität; im übrigen ein hochfahrender Herr, der sich durch unmässiges Essen nnd Trinken auszeichnete. Trautmannsdorff war damals noch mehr Kavalier als Staatsmann, übrigens den bairischen Interessen zugethan. Das aufstrebende Beamtenthum ist vertreten durch den Hofkanzler Werdenberg, dessen Amt ohne Zweifel schon damals das arbeitsvollste am Hofe war. Den Sitzungen des Staatsrats wohnte übrigens regelmässig auch der spanische [Seite: 153] Gesandte, Graf d'Oñate bei; auch jetzt hören wir von spanischen Pensionen, welche die Geheimen Räte bezogen.
Die Zahl der Räte war grundsätzlich nicht fest beschränkt. Sitzungen wurden regelmässig alle Tage vor dem Kaiser gehalten, nach Bedürfnis auch zweimal des Tages. Die Kompetenz des Staatsrats erstreckte sich auf alle Angelegenheiten von besonderer Wichtigkeit. Nach dem Wortlaut der venezianischen Berichte und der Relation Caraffas kann man zweifeln, ob er noch eine rein beratende Behörde gewesen sei. "0rdina e comanda", sagt Caraffa, "tutto quelle, che riguarde lo stato, la pace, il governo, gl'interessi della camera". Mit ihm verhandeln die auswärtigen Gesandten, er hat die absolute Entscheidung in Gnadensachen, soweit sich der Kaiser dieselben nicht vorbehält oder an den Reichshofrat verweist. Er ist Oberinstanz für alle Behörden, welche regelmässig ihre Beschlüsse an den Kaiser einzuschicken haben, der sie dann dem Geheimen Rat vorlegt. Dieser bestätigt sie, ändert sie, oder verfügt Neues. Nur Reichshofratsbeschlüsse werden selten beanstandet. Alle wichtigen Provinzialangelegenheiten werden hier entschieden unter Teilnahme der betreffenden Kanzler oder Sekretäre. Für Böhmen und Ungarn bestehen besondere Räte, sowie besondere Expeditionen bei der Hofkanzlei. Immer und überall führt der Kaiser den ungarischen Kanzler samt einem Sekretär für die gewöhnlichen ungarischen Sachen mit sich. Fällt etwas wichtiges vor, so werden die Mitglieder des ungarischen Rates von Pressburg an den Hof berufen, unter ihnen an erster Stelle der Palatinus und der Primas, Erzbischof von Gran. Aber auch die Beschlüsse dieser Herren bedürfen der Bestätigung durch den Geheimen Rat. — Der böhmische Rat sitzt in Prag und wird in der Regel nicht konsultirt. Der Kaiser führt den Grosskanzler des Königreiches, der zugleich Geheimer Rat ist, mit sich, und lässt durch ihn nach vorgängiger Beratung im Geheimen Rat die Sachen, die weiter keiner Aufklärung bedürfen, expediren. Ist aber eine solche nötig, so wendet man sich nach Prag, lässt sich von dort Information nebst Gutachten schicken und entscheidet dann ebenfalls im Geheimen Rat.
Besondere Bildungen, die sich an den Geheimen Rat anschlossen, waren (ausser dem nur ad hoc bei Anlass des [Seite: 154] Prager Friedens gebildeten Gewissensrates) der Kirehenrat und der Konfiskations- oder Kommissionsrat: ersterer für Revindikation säkularisirten Kirchenguts und zur Beaufsichtigung der kirchlichen Vermögensverwaltung, letzterer zur Einziehung der Güter verräterischer und rebellischer Unterthanen, sowie z. B. Wallensteins und seiner Genossen. Dem letzteren gehörte der Hofkammerpräsident und der Präsident des Hofkriegsrats an.
Unter Ferdinand III.154.1 scheint mit dem Geheimen Rat zunächst keine wesentliche Aenderung vorgegangen zu sein. Sein Günstling und hervorragendster Rat war der Obersthofmeister Trautmannsdorff. Neben ihm kamen noch der Bischof von Wien, der Fürst von Liechtenstein, der alte böhmische Grosskanzler Slavata, und Khevenhüller, Obersthofmeister der Kaiserin, in Betracht. Trautmannsdorff pflegte, wie der Venezianer Grimani bemerkt, seine Stimme im Rat zuerst abzugeben, während Eggenberg die seinige bis zum Schluss zurückgehalten hatte. Er war bekanntlich auch der Hauptunterhändler des Kaisers auf dem Kongress von Münster. Nach seinem Tode sehen wir an der Spitze des Geheimen Rats den Kardinal Graf Harrach, der Erzbischof von Prag war, dort residirte und daher selten an den Sitzungen teilnahm. Obersthofmeister war Fürst Dietrichstein, ein Mann mehr für den Palast, als für den Rat nach Giustinianis Urteil. Mehr wegen kriegerischer Verdienste als wegen staatsmännischer Talente war der Herzog von Piccolomini, Kommandeur der Leibgarde, zum Geheimen Rate ernannt worden ; schon begegnet auch 1654 der Name des Fürsten von Lobkovic, welcher damals Präsident des Hofkriegsrats war. Als Obersthofmeister des römischen Königs Ferdinand IV., der bekanntlich noch vor dem Vater starb, war Fürst Auersperg Mitglied des Staatsrats, der thätigste und bedeutendste der Räte, der vorzugsweise die arcana unter Händen hatte; als Oberstkämmerer der Neffe des berühmten Wallenstein, mehr Figurant, als [Seite: 155] thätiger Staatsmann; ferner gehörten ihm an Graf Trautson als Chef der niederösterreichischen Regierung, Graf Kurz als Reichsvizekanzler, Prickhelmayer, ein bürgerlicher Jurist, später zum Freiherrn von Goldegg erhoben, als österreichischer Hofkanzler, — letzterer, wie sein Vorgänger und seine Nachfolger im Amt, der einzige wirkliche Beamte am Hofe, ein Mann von wenig verbindlichen Manieren, aber geschäftskundig und eine tüchtige Arbeitskraft; die auswärtigen Gesandten haben am häufigsten mit ihm zu thun; den Ruf der Unbestechlichkeit genoss er nicht. Auch der Vizepräsident des allgemeinen Hofkriegsrats und der Präsident des innerösterreichischen gehören jetzt dem Geheimen Rat an; für Böhmen auch der Vizekanzler und der Burggraf. Ausserdem einige Personen von geringerer Bedeutung. Der Präsident der Hofkammer sowie der des Reichshofrats und die ungarischen Würdenträger sind nicht ausdrücklich genannt. Letzteres mag in den Zeitverhältnissen begründet sein; dass aber die beiden ersten in dem venezianischen Bericht fehlen, erlaubt wohl keinen Schluss darauf, dass sie dem Geheimen Rat nicht angehört hätten.
Der äussere Bestand der Behörde ist also im wesentlichen derselbe, wie zur Zeit Ferdinands II. Die höchsten Würdenträger des Hofes und die Spitzen der Verwaltung sind zur Beratung aller erheblichen Staatsangelegenheiten versammelt. Aber die Bedeutung des Staatsrats ist bereits im Sinken. "Der Geheime Rat des Kaisers," sagt Giustiniani, "ist weder in seiner Autorität noch in seiner Beschaffenheit das, was der Staatsrat in Spanien ist, weil er keine andere Vollmacht hat, als die, welche ihm der Kaiser jedesmal zuteilt, sei es, dass er sich mit dem Kollegium selbst in Beziehung setzt, oder dem Rate einzelner Mitglieder folgt, wie ihm dies häufig beliebt. So ist es denn mehr ein persönlicher Rat sr. Majestät, als ein Staatsrat; in Zahl und Berufung abhängig von dem Belieben des Kaisers." Er betont ausdrücklich, dass dieser Rat keine andere, als nur beratende Befugnis habe, dass in allem der Wille des Kaisers entscheide. "Des Kaisers Stimme ist die beste in seinem Rat. Die vielen Räte sind wenig wert, und um es kurz zu sagen, einen oder zwei ausgenommen, hat der Kaiser überhaupt keine Leute." Giustinianis Nachfolger [Seite: 156] Battista Nani bemerkt 1658, dass Ferdinand III. überhaupt den Geheimen Rat erweitert, namentlich in seinem letzten Jahre (1657) ihn jeder Art von Personen geöffnet und verschiedene von so geringer Kapazität in denselben eingeführt habe, dass man dieselben anderswo auch zu geringeren Aemtern für unfähig erachtet haben würde. Das wird auf die Favoritenwirtschaft Auerspergs zurückgeführt, der eine absolute Herrschaft nach Art spanischer und französischer Minister erstrebt habe. Es wird bemerkt, dass in diesem Rat das Geheimnis nicht mehr habe bewahrt werden können, dass man in ungehöriger Weise von den Geschäften gesprochen habe; das, sowie die zunehmende Schwäche des Kaisers, der die Last der Geschäfte doch nicht mehr persönlich zu tragen im Stande war, habe dazu geführt, dass am Schlusse seiner Regierung Auersperg, der mit dem spanischen Gesandten zusammensteckte, allein den massgebenden Einfluss übte. Nach dieser wenig vorteilhaften Richtung hin entwickelte sich der Geheime Rat weiter.
Kaiser Leopold156.1 übernahm die Behörde, zunächst wie sie sein Vater hinterlassen hatte, ohne wesentliche Aenderungen. Nur übertrug er die Leitung an Auerspergs Stelle dem Fürsten Portia, seinem gewesenen Erzieher und jetzigen Obersthofmeister, der ein langsamer bedächtiger Charakter ohne staatsmännische Talente war. Auch Auersperg wurde beibehalten und harrte seiner Wiedererhebung zur ersten Stelle. Sonst finden wir neben den Inhabern der übrigen Hofämter (Oberstkämmerer, Oberhofmarschall, Oberstallmeister) die Spitzen der Centralbehörden und der einzelnen Landesteile, wie die Präsidenten der Hofkammer und des Hofkriegsrats, den Reichshofratspräsidenten, den Reichvizekanzler, Kanzler und Burggrafen von Böhmen, den niederösterreichischen Regierungspräsidenten und den österreichischen Hofkanzler. Ungarn [Seite: 157] kam zu Anfang der türkischen Okkupation wegen noch kaum in Betracht.
Es waren bis in die siebziger Jahre hinein, nach dem Zeugnis des Pufendorfschen Gesandtschaftsberichts, einige zwanzig Mitglieder, darunter viele klangvolle Namen, deren Träger nicht ihrer staatsmännischen Talente wegen diese hohe Stelle erreicht hatten, die das Ziel aller ehrgeizigen Kavaliere am Wiener Hofe war. Intrigue und Mangel an geschäftlicher Erfahrung waren denn auch nach dem übereinstimmenden Urteil aller venezianischen Berichterstatter die Uebel, an denen die Behörde von vornherein krankte. Die Regierung hatte mehr den Anschein einer aristokratischen, als einer monarchischen157.1; der Staatsrat war der Schauplatz eines beständigen inneren Krieges, der, wie Molin (1661) sagt, mit grösserem Eifer geführt wurde, als der gegen die Türken. In den äusseren Geschäften fehlte die Schule des diplomatischen Dienstes an fremden Höfen, da der Kaiser, wenigstens im Anfange seiner Regierung, nur am spanischen Hofe ständige Gesandte zu halten pflegte157.2. Einige der Räte waren aller politischen Kenntnisse so baar, dass auswärtige Gesandte nicht ohne Staunen und Belustigung über Geschäfte mit ihnen sprechen konnten157.3. Dass es in der inneren Verwaltung nicht besser stand, zeigt das Beispiel des berüchtigten Hofkammerpräsidenten Grafen Sinzendorff, der auf unerhört gewissenlose Weise die kaiserlichen Finanzen ruinirte. Auch der Hofkriegsrat erfreute sich in dieser Zeit keines guten Leumunds. Nur die Hofkanzler machten hier eine ehrenvolle Ausnahme.
Dies Amt war seit Ferdinand II. das arbeitvollste in der ganzen Verwaltung. Es war meist mit bürgerlichen Juristen besetzt, die sich durch Tüchtigkeit im Verwaltungsdienste emporgearbeitet hatten. Es hatte eine besondere Bedeutung für die Geschäftsführung des Staatsrats, weil die Hofkanzlei es war, welche die Sachen für dessen Beratung vorbereitete. Leider sind wir gerade über diese Behörde, die fortan immer [Seite: 158] wichtiger wurde, sehr mangelhaft unterrichtet158.1. Nur soviel sieht man, dass sie im 17. Jahrhundert ganz etwas anderes ist, als sie im 16. gewesen. Sie übte einen sehr bedeutenden materiellen Einfluss auf die Geschäfte. 1654 wurde sie selbständig und kollegialisch organisirt, auf Antrieb des damaligen Hofkanzlers Prickhelmayer; fünf Assistenzräte wurden diesem beigegeben, darunter Graf Sinzendorff. Was es mit dieser Neubildung auf sich hatte, kann man aus dem Widerstande der ständisch-partikularistisch gesinnten Herren, wie des niederösterreichischen Statthalters Grafen Tautson, schliessen: sie wollten nicht, dass sich zwischen den Geheimen Rat, als das Organ des Landesherrn und die immer noch ständisch beeinflussten Landesregierungen "ein weiteres Dikasterium" einschiebe. Diese Behörde beriet vor allem auch die Vorlagen für den Geheimen Rat, über welche der Kanzler selbst oder ein Sekretär als Referendarius Vortrag hielt. Nach Prickhelmayers Tode ward der minder fähige Sinzendorff Hofkanzler. Unter ihm verlor die Hofkanzlei den kollegialischen Charakter, indem vakant gewordene Stellen nicht wieder besetzt wurden. Als er starb (1665), kam wieder ein bürgerlicher Jurist in die Stelle, der vielgenannte Hocher, der zwanzig Jahre in derselben thätig war, und von dem die venezianischen Berichte sagen, dass die ganze Last der Geschäfte, der auswärtigen, wie der inneren, auf seinen Schultern ruhte158.2. Unter ihm ist 1669 die Hofkanzlei wieder kollegialisch organisirt worden, mit 11 Räten, die meist aus dem Dienst bei der Behörde selbst emporgekommen waren. Sie umfasste drei Abteilungen, für Ober-, Nieder- und Innerösterreich, und vermittelte den Verkehr mit dem ober- und dem innerösterreichischen Geheimen Rat bis in die Zeit K. Josefs I. (1709)158.3. Es scheint, dass mit der neuen Organisation auch die Revisionsgerichtsbarkeit, die schon vorher besondere Sache des Hofkanzlers war, an die Hofkanzlei übertragen wurde. Doch hat auch der Geheime Rat noch jurisdiktionelle Befugnisse behalten.
Die grosse Zahl der Geheimen Räte unter Leopold I. — [Seite: 159] es waren um 1680 schon 30159.1, am Ende seiner Regierung sogar 164159.2, ungerechnet die Titularräte — erschwerte die Bewahrung des Geheimnisses und liess namentlich die Behandlung der auswärtigen Angelegenheiten im Plenum wenig angebracht erscheinen. Die Mitgliedschaft so vieler Unfähigen war ein Grund mehr, das Schwergewicht nicht auf die Plenarberatungen zu legen. so entstehen für wichtigere und geheimere Angelegenheiten die von den Venezianern sogenannten giunte159.3, ständige Kommissionen, die zur Behandlung der verschiedenen auswärtigen Sachen aus wenigen Mitgliedern gebildet wurden und zu denen man nur diejenigen berief, die einige Erfahrung und Geschäftskenntnis besassen.
Diese Praxis führte hinüber zu einer wichtigen und die ganze Stellung des Geheimen Rats verschiebenden Neuerung, welche sich 1669, kurz vor dem Sturze des an Portias Stelle getretenen Fürsten Auersperg vollzog159.4 der Einrichtung der Geheimen Konferenz. Aus den Mitgliedern des Geheimen Rates wählte der Kaiser vier besonders geeignete Persönlichkeiten aus, mit denen er fortan allein die eigentlich politischen Geschäfte, wenigstens die, welche geheimerer Natur waren, behandeln wollte. Diese vier sind Lobkowitz, der damals den Vorsitz im Hofkriegsrat an Montecuculi abgab und als Obersthofmeister an die Spitze der Geschäfte trat, ferner der Reichshofratspräsident Schwarzenberg, der Oberstkämmerer Graf Lamberg und der Hofkanzler Hocher. Die fremden Gesandten verkehrten ausschliesslich mit den Mitgliedern der Konferenz. Dem Staatsrat blieb jetzt nur noch die Erledigung der geringeren und der Justizsachen, so dass ihn die venezianischen Berichte geradezu ein tribunale criminale e civile nennen und ihm nicht mehr die Bedeutung eines consesso politico zuschreiben wollen159.5. Hin und wieder wurden jedoch, wie es die Geschäfte mit sich brachten, auch Mitglieder des Staatsrats, namentlich Ressortchefs, bei einschlägigen Fragen zu den [Seite: 160] Beratungen der Konferenz zugezogen, so namentlich der Hofkriegsratspräsident Montecuculi. Aus den Akten der Wiener Archive hat Grossmann160.1 nähere Aufschlüsse über die Behandlung der auswärtigen Angelegenheiten in den Kommissionen gegeben. Die Zahl derselben schwankt mit den Geschäften. Es giebt besondere Kommissionen für die Beziehungen zu Frankreich, zu Spanien, zu den einzelnen Reichsfürsten, zum Reichstage u. s. w. Dieselben bestehen in der Regel aus 4-8 Räten und 1-3 Sekretären und stehen unter einem Präsidenten, der die Eingänge eröffnet, die Kommissionen beruft und die Sitzungen in seinem Hause abhält. In denselben wird ein Einverständnis über das abzugebende Gutachten zu Stande gebracht; dieses selbst wird vom Sekretär aufgezeichnet, von der Kommission revidirt, dem Kaiser vorgetragen und durch diesen gewöhnlich ohne weiteres genehmigt. Darauf erfolgt die Expedition in der Kanzlei. Die Kommissionen haben keine Instanz zwischen sich und dem Kaiser; der Präsident spielt in den Berathungen keine besonders hervorragende Rolle. Leider hat Grossmann keine Aufklärungen darüber gegeben, wie das Verhältnis der Geheimen Konferenz zu diesen Kommissionen gewesen ist. Die Konferenz wird von ihm überhaupt nicht erwähnt, trotzdem sie gerade in der von ihm behandelten Zeit ins Leben getreten war. Die Stellung des Prinzipalministers oder ersten Geheimen Rats im Rahmen dieser Geschäftsordnung bestimmt er im wesentlichen dahin, dass derselbe einmal an der Spitze der meisten Kommissionen gestanden, andererseits aber die geheimen Anträge der auswärtigen Gesandten allein, ohne Zuziehung der Kommissionen, behandelt habe. Vielleicht hat man anzunehmen, dass nur aus den Mitgliedern der Konferenz die Präsidenten der Kommissionen genommen wurden.
Nach Lobkovic' Sturze besetzte der Kaiser die Stelle eines sogenannten Ersten Geheimen Rats nicht mehr. Es fehlte fortan an seinem Hofe ein Prinzipalminister, was den Venezianern als ein grosser Uebelstand erscheint160.2. Der Kaiser [Seite: 161] wollte diese Stelle selbst versehen. Die Konferenz blieb übrigens nicht lange auf die Vierzahl beschränkt. Der Ehrgeiz begünstigter Hofleute wusste auch diese oberste Stufe zu erklimmen161.1; andererseits forderten die Geschäfte Zuziehung der Ressortchefs, namentlich des Hofkammer- und des Hofkriegsrats-Präsidenten161.2. Die Entwickelung drängt dahin, die Konferenz auf den Bestand zu bringen, den der Geheime Rat unter Ferdinand II. gehabt hatte, und der wohl als der normale für einen Staatsrat unter den gegebenen Verhältnissen bezeichnet werden kann. 1692 zählt die Konferenz 13 Mitglieder, darunter wieder die Ressortchefs und die Inhaber der obersten Hofämter.
Schon von Pufendorf hören wir 1674, dass der Kaiser zuweilen auf Veranlassung Hochers und dessen Geheimen Sekretärs von Abele, hinter welchen die Jesuiten und der spanische Gesandte standen, Entschlüsse fasste, "von denen die in der Konferenz collegialiter nichts gewusst". Seit den 80er Jahren hat sich Leopold noch mehr von der Konferenz emanzipirt, die sein Vertrauen verloren haben mochte161.3, und auf den Rat einzelner Personen hin, die ausserhalb des staatlichen Beamtentums standen, so des Kapuzinerpaters Emmerich und seines Beichtvaters, wichtige Entscheidungen getroffen. So sinkt die Regierung seit Ferdinand III. unaufhaltsam in das persönliche System zurück, ohne dass eine besonders kraftvolle Persönlichkeit diesem die einzig mögliche Berechtigung verliehen hätte.
Das stabile Element dieser Regierung blieben die Hofkanzler, durch deren Hände alles ging, was im Geheimen Rat und in der Konferenz behandelt und alles was schliesslich expedirt wurde. Hochers Nachfolger Strattmann, ein tüchtiger Beamter aus der Schule des brandenburgischen Kurfürsten, galt, wie schon Hocher selbst nach Lobkovic' Sturze, als eigentlich dirigirender Minister. Auch Kinski, der Strattmann folgte, nahm eine ähnliche Stellung ein, weniger bedeutend war dessen Nachfolger Bucelini161.4. [Seite: 162]
Unter Josef I. muss anfangs wieder eine Verminderung der Zahl der Konferenzräte erfolgt sein. Eine venezianische Relation von 1708162.1 kennt nur vier ordentliche Mitglieder, den Präsidenten und Premierminister Fürsten Salm (Obersthofmeister des Kaisers), den Oberstkämmerer Graf Trautson und die beiden Hofkanzler Sinzendorff und Seilern. Dieses wichtige Amt war nämlich wegen der geschäftlichen Ueberhäufung mit zwei Personen besetzt worden; der eine hatte die auswärtigen Angelegenheiten, der andere das innere (Verfassungs- und Verwaltungspolitik samt der Justizpflege in höchster Instanz). Die übrigen Ressortchefs wurden zugezogen, soweit die Verhandlungen ihre speziellen Gebiete berührten. Vor der Berufung circulirten erst die zur Orientirung notwendigen Akten, was sehr zeitraubend war. In den Sitzungen war der Kaiser in der Regel nicht anwesend. Ueber das Ergebnis der Beratung wurde für ihn ein Referatur aufgesetzt, das er, wofern er nichts zu erinnern fand, einfach unterschrieb. In den ungarischen Sachen ward der Primas, in den böhmischen die beiden Kanzler, in den erbländischen der niederösterreichische Statthalter, in den italienischen besonders ausgewählte Personen zugezogen.
1709 fand eine Neuordnung des Konferenzrates statt162.2. Ausser Salm, der bald darauf seinen Abschied nahm, Trautson, Seilern und Sinzendorf werden noch Prinz Eugen als Hofkriegsratspräsident, Wratislaw als böhmischer Kanzler, Windischgrätz, Mansfeld, und gleich nachher noch der Oberstkämmerer Waldstein, der Hofkammerpräsident Gundaker von Starhemberg und der Reichsvizekanzler Schönborn zu Mitgliedern ernannt. Diese Vermehrung der Konferenz, die nicht sowohl von dem Gesichtspunkt politischer Zweckmässigkeit, als von dem persönlicher Ansprüche auf Auszeichnung erfolgt war, gab den Anlass zu ihrer Teilung in eine engere und eine weitere. Zur ersteren gehörten nur Trautson, Prinz Eugen, Seilern, Sinzendorff und Wratislav. Sie vorzugsweise war der Rat des Kaisers für die äussere Politik; die weitere Konferenz mehr für die innere Verwaltung. Erst jetzt also hat sich [Seite: 163] eine Trennung der beiden Departements vollzogen, ohne dass jedoch die kollegialische Leitung der auswärtigen Geschäfte aufgehört hätte. Mit der Teilung der Konferenz hängt diejenige der Hofkanzlei zusammen.
Der Staatsrat blieb bei dieser Organisation in derselben Stellung, die er seit Errichtung der Konferenz eingenommen hatte, d. h., wie ein Venezianer schon zu Leopolds Zeiten sagt, der "Schatten dessen, was er einst gewesen". Im gleichen Verhältnis aber, wie die Bedeutung des Staatsrates sank, stieg diejenige der Hofkanzlei. Diese nennt der Venezianer Donado 1725163.1 als dasjenige Centrum, wohin aus allen Behörden die Fäden zusammenlaufen. Der oberste Hofkanzler (noch immer Graf Sinzendorff) ist ihm der eigentliche Träger aller Geschäftslast im Auswärtigen wie im Innern. Hier wird nicht nur alles expedirt, es werden auch alle Beschlüsse der höchsten Stelle vorbereitet. Denn die Hofkanzlei besorgt noch immer den Vortrag, auch bei der engeren Geheimen Konferenz. Bei ihr werden die auftauchenden Fragen gesammelt, geklärt und dann der Konferenz zugeführt, die damals nur aus drei Mitgliedern bestand, dem Prinzen Eugen als Hofkriegsratspräsidenten, dem Grafen Gundaker von Starhemberg als Hofkammerpräsidenten, dem Grafen Sinzendorff selbst als Obersten Hofkanzler. Die Departements des Kriegs, der Finanzen, des Auswärtigen und des Innern sind in diesen drei Männern repräsentirt. Aber als Ressortchefs haben sie nur eine ausschliessliche Executive; die Beschlüsse werden regelmässig von dem Kollegium gefasst. Sie sind die eigentlichen Lenker des Staates, omnibus omnes, wie der venezianische Gesandte sagt. Sie machen dem Kaiser die Vorlagen, welche dieser, an zwei Tagen in der Woche, gewöhnlich ohne weiteres unterschreibt.
Von einer weiteren Konferenz hören wir zu dieser Zeit nichts mehr. Der Staatsrat, von den Venezianern freilich nicht mehr erwähnt, bestand fort. Aus seinen Mitgliedern scheint sich die Geheime Konferenz nach Beschaffenheit der zu beratenden Gegenstände zuweilen verstärkt zu haben. So wird eine Angabe in Küchelbeckers "Allerneuester Nachricht"163.2 zu [Seite: 164] verstehen sein. Ebendort findet sich auch ein Verzeichnis der 47 wirklichen Geheimen Räte, aus denen damals das Kollegium bestand. Wir finden darunter die Hofchargen, die sämtlichen Gesandten an fremden Höfen, die Spitzen der Verwaltungsbehörden und einige hohe Militärs. Ausserdem gab es noch eine grosse Menge von Titular-Geheimen-Räten.
Damit verschwinden die Nachrichten von dem Staatsrat. Die Organisation wird sich erhalten haben bis zum Tode Karls VI. oder bis zu den Reformen Maria Theresias. Diese haben den Geheimen Rat samt der Geheimen Konferenz beseitigt. Es entspricht der bisherigen Entwickelung, dass die Leitung der Geschäfte an die Hofkanzlei überging, die seit 1742 in eine staats- und eine Hofkanzlei geteilt ist; der Staatskanzler ist Minister des Aeusseren, der Hofkanzler hat das Departement des Inneren164.1. Der Staatsrat, den die Kaiserin 1760 schuf, und der bis in die neueste Zeit fortgedauert hat164.2, war eine ganz andere Behörde, als der alte Geheime Rat, und ausser allem Zusammenhang mit diesem.