Quelle: Das Eigen-Landrecht der Siebenbürger Sachsen, herausgegeben vom Arbeitskreis für Siebenbürgische Landeskunde. Mit einer Einführung von Adolf Laufs und Worterläuterungen von Wolfgang Bührer. München 1973. Hier: Einführung von Adolf Laufs (p. V - p. XX).
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Mit den „Statuten“ von 1583 gaben sich die seit dem 12. Jahrhundert vornehmlich aus den Landstrichen des Mittelrheins, der Mosel und Flanderns in das ferne Siebenbürgen eingewanderten und hauptsächlich in der Hermannstädter Provinz, in Mediasch und Schelk, im Burzen-und im Nösnerland bodenständig gewordenen „hospites Theutonici“, „Flandrenses“ oder „Saxones“1 eine von ihrem fürstlichen Landesherrn bestätigte Rechtsordnung, die — in ihrem lateinischen Urtext und in deutschen Ausgaben wiederholt durch den Druck verbreitet und im Wege später hinzutretender Gesetze fortgebildet — das Leben der „sächsischen Nation“ durch fast drei Jahrhunderte prägte. Nach diesem seinem eigenen Landrecht hat das sächsische oder deutsche Volk in Siebenbürgen seine Amtleute gewählt, die Gerichtsverfahren betrieben, das Familienleben und die Erbfälle geregelt, Fragen des Wirtschaftsverkehrs geordnet, die Strafrechtspflege besorgt, vor allem auch die Freiheit und Eigenständigkeit der Nation in einer kulturell vielfach anders bestimmten Umwelt bewahrt. Neben Herkunft, Sprache und religiösem Bekenntnis bildete das gemeinsame Recht ein starkes einigendes Band für die Siebenbürger Sachsen, deren Reformatoren und Juristen dies bereits früh deutlich empfanden2. Die Statuta von 1583 belegen indes nicht nur die Lebenskraft deutscher Überlieferung und die Eigenart siebenbürgisch-sächsischer Rechtskultur; sie bezeugen zugleich eine tief reichende Verwandtschaft des Rechtsbuchs mit der jüngeren europäischen Rechtsentwicklung, die seit dem Spätmittelalter durch das Vordringen des in Oberitalien wieder entdeckten und neu erschlossenen römischen Rechts und die Entfaltung der Jurisprudenz auch in den aufblühenden Universitäten nördlich der Alpen gekennzeichnet ist3. Als verhältnismäßig spätes [Seite: VI] Erzeugnis der Rezeptionszeit gehört auch das Siebenbürger Landrecht in diesen größeren Zusammenhang. Wie zahlreiche Statuten und Ordnungen deutscher Städte und Territorien aus dem späten 15. und aus dem 16. Jahrhundert verbindet es einheimische Rechtsgewohnheiten mit der gelehrt verarbeiteten römischen Tradition. Außerdem assimiliert es einzelne Rechtsgedanken der Nachbarvölker, insbesondere der Ungarn. So erscheint das nach langer Zeit nunmehr wieder gedruckte Eigen-Landrecht der Siebenbürger Sachsen als ein Rechtsdenkmal von besonderem wissenschaftlichem Reiz und Interesse.
Bisher das größte Verdienst um die Erforschung des Eigen-Landrechts hat sich der Professor an der k. k. Rechtsakademie zu Hermannstadt Friedrich Schuler von Libloy4 erworben. Er gab 1853 die Statuta in ihrer lateinischen Fassung überarbeitet, glossiert und um verschiedene Novellen ergänzt im Druck heraus5. Das Werk erschien in dem Jahr, in welchem das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch für die gesamten Deutschen Erbländer der österreichischen Monarchie von 1811 auch in Siebenbürgen Geltung gewann und dort die alten Statuten außer Kraft setzte, sie — soweit sie die Zivilrechtspflege noch bestimmten—zu Rechtsaltertümern werden ließ. Der Wert der Schulerschen Ausgabe besteht bis heute vornehmlich darin, daß sie die Quellen der Statuta vielfach nachweist, neben den deutschrechtlichen vor allem die römischen des Corpus iuris Justinians. Der Vergleich mit den zeitgenössischen deutschen Statutarrechten kommt indessen entschieden zu kurz. Auch liest sich die spröde Darstellung selbst keineswegs leicht. In neuerer Zeit hat sich freilich kein Autor mehr so ausführlich wie Schuler von Libloy mit dem Eigen-Landrecht befaßt6, obwohl es gewiß verdient, der Vergessenheit entrissen zu werden.
Zur Entstehungsgeschichte der siebenbürgisch-sächsischen Statuta7 bietet die Vorrede ihres Redaktors, des Kronstädter Ratsmannes Matthias Fron, gute Aufschlüsse. Danach gaben Gebrechen der praktischen Rechtspflege den Anlaß zur Rechtsaufzeichnung. Rechtsunsicherheit und [Seite: VII] Rechtsungleichheit, von denen Fronius berichtet, lagen in Siebenbürgen wie überall dort, wo das römische Recht sich ausbreitete, in den vielfachen Widersprüchen begründet, welche die Rezeption entzündete. Selbst noch keineswegs voll beherrscht, durchgearbeitet und verstanden, trat das neue, schriftlich tradierte gelehrte Recht in Konkurrenz zu den häufig unaufgezeichnet gebliebenen einheimischen und volkstümlichen Gewohnheiten mit der Folge, daß Gerichte, Sachwalter und Parteien oft nicht mehr wußten, welche Regeln nun eigentlich galten. Die Siebenbürger Sachsen beschwerte zusätzlich das Nebeneinander ihres eigenen deutschen und des benachbarten ungarischen Rechts. Denn der Rechtszug führte letztlich bis zu des Fürsten Tafel, zum landesherrlichen Hofgericht8; und hier verloren die sächsischen Urteile immer wieder ihren Bestand, weil die Appellationsinstanz das ungarische Recht bevorzugte. Die daraus erwachsenden Prozeßrisiken, Rechtsverzögerungen und Unkosten weckten das Bedürfnis beim sächsischen Publikum und seinen Amtleuten, das eigene Gewohnheitsrecht aufzuzeichnen und durch den Landesfürsten mit Brief und Siegel bestätigen zu lassen. Die gewohnte Überlieferung sollte, wie das ungarische Adelsrecht, schriftliche und konfirmierte Gestalt gewinnen und sich mit der vordringenden gelehrten römischen Tradition verbinden.
Die Freiheit, nach dem eigenen Recht zu leben, seine Geltung selbst festzustellen, stand dem deutschen Kolonistenvolk der Siebenbürger Sachsen kraft verbriefter Autonomie seit alters zu. Zu den Garantien, unter denen die ungarischen Könige um die Mitte des 12. Jahrhunderts die Theutonici Ultrasilvani zum Schutze der südlichen Landesteile ansiedelten, gehörte vor allem die Freiheit der Einwanderer, ein eigenständiges Volk zu bilden, unmittelbar unter dem König und dem eigenen Grafen zu stehen und die Rechtspflege nach besonderem Gewohnheitsrecht selbst auszuüben. König Andreas II. verbriefte im Jahr 1224 diese Kompetenzen den Siebenbürger Sachsen klar und eindeutig9 ".... Unus sit populus et sub uno iudice censeantur ... Volumus et etiam firmiter [Seite: VIII] praecipimus, quatenus ipsos nullus iudicet nisi nos vel comes Chybiniensis, quem nos eis loco et tempore constituemus. Si vero coram quocumque iudice remanserint, tantummodo iudicium consuetudinarium reddere teneantur, nec eos etiam aliquis ad praesentiam nostram citare praesumat, nisi causa coram suo iudice non possit terminari ... Si vero aliquis eorum aliquem convenire voluerit in causa pecuniali, coram iudice non possit uti testibus, nisi personis infra terminos eorum constitutis, ipsos ab omni iurisdictione penitus eximentes ..."9a. Das Andreanum, als Privileg in späteren landesherrlichen Urkunden wieder und wieder bekräftigt, bestätigte den Siebenbürger Sachsen die Eigenart ihres Rechts und die Unabhängigkeit ihrer Rechtspflege. Die Autonomie zu wahren und auszuüben, oblag vor allem der Sächsischen Nationsuniversität10.
Mit der Nationsuniversität besaßen die sächsischen Provinzen in Siebenbürgen ein Selbstverwaltungsorgan, das ihren Zusammenschluß gewährleistete und fortentwickelte. Zuerst die Vertretung der Provinz um Hermannstadt mit den Sieben Stühlen Broos, Mühlbach, Reußmarkt, Leschkirch, Schenk, Reps, Schäßburg — Orte, die der Andreanische Freibrief von 1224 zu einer Gesamtheit verband —, erweiterte sich die Universität im späten Mittelalter um die Repräsentanten anderer sächsischer Siedlungen auf Königsboden: um die Vertreter der Zwei Stühle Mediasch und Schelk, des Nösnergaues und des Burzenlandes. Seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert genossen alle Glieder des Verbandes die Freiheiten des Andreanums. Die Nationsuniversität der Deutschen in Siebenbürgen, die seit dem 16. Jahrhundert regelmäßig ein- bis zweimal im Jahr zusammentrat und unter dem Vorsitz des Hermannstädter Bürgermeisters tagte, unterschied sich von den Ständeparlamenten ihrer Zeit durch das Fehlen des Adels. Die ständische Gliederung blieb dem Kolonistenvolk fremd, dessen genossenschaftlicher Geist sich auch in der rechtsetzenden Tätigkeit der Nationsuniversität niederschlug. Zu deren Aufgaben im Innern zählten neben den gesetzgeberischen auch jurisdiktionelle Funktionen, [Seite: IX] ferner die Verwaltung des als verbindende Klammer wirkenden Universitätsvermögens und das Haushaltswesen meist im Dienst gemeinsamer militärischer Notwendigkeiten. Nach außen galt es, eine einheitliche Politik gegenüber dem Landesherrn und gegenüber den Nachbarn in Siebenbürgen, dem ungarischen Adel der Komitate und den Szeklern, zu entwickeln und zu verfolgen. In der frühen Neuzeit erreichte die Nationsuniversität Höhepunkte ihres Wirkens. „Im Zeitraum von 1526 —1691, wo Siebenbürgen zunächst am Thronkampf Ferdinands und Zapolyas beteiligt war und dann als Fürstentum mehr oder weniger unter türkischer Oberhoheit stand, hat die Sächsische Nationsuniversität vielleicht ihre größte Zeit gehabt: sie war Leiterin der sächsischen Politik geworden und Führerin der inneren Angelegenheiten“ (Friedrich Teutsch).
Bereits in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts bemühte sich die Nationsuniversität um Klärung und Läuterung ihres Gewohnheitsrechts. So ergingen 1524 Beschlüsse zum Erbrecht. Wie in Deutschland, so belebte auch im Karpatenbogen die Reformation, zu der sich die Siebenbürger Sachsen bald unter der Führung ihrer Nationsuniversität bekannten, die Sorge um das weltliche Regiment. Der Reformator Johann Honterus 11 ließ in seiner Buchdruckerei zu Kronstadt in den Jahren 1539 und 1544 zwei gelehrte Schriften im Geist der Rezeptionszeit erscheinen: „Sententiae ex Libris Pandectarum Juris civilis excerptae“ und „Compendium juris civilis in usum Civitatum ac Sedium Saxonicalium in Transylvania collectum“12. Wohl von diesen Publikationen angeregt, beschloß die Nationsuniversität 1545 eine Sichtung und Zusammenfassung des geltenden Rechts; Honterus erhielt den Auftrag, sein Kompendium ins Deutsche zu übertragen. Im folgenden Jahr befaßte sich die Nationsuniversität erneut mit dem Plan, alle hergebrachten Gewohnheitsrechte, sofern sie gut und christlich wären, in einem Werk zusammen zu ordnen. Der Provinzialnotar, Hermannstädter Ratsmann und spätere Pfarrer von Stolzenburg Thomas Bommel13 verfaßte daraufhin 1560 seine „Statuta jurium municipalium civitatis Cibiniensis, reliquarumque [Seite: X] Civitatum et universorum Saxonum Transilvanicorum“, einen kurzen Auszug sächsischen Rechts in lateinischer und deutscher Sprache. Diese Arbeit kam in Gebrauch; bald freilich zeigte sich, daß sie den praktischen Ansprüchen nicht genügte. Nun ging Matthias Fron zu Werke, wobei ihm die Schriften des Honterus und Bommels die Grundlagen lieferten. Der Kronstädter Senator vermehrte den von seinen Vorgängern gesammelten Rechtsstoff um sächsische Gewohnheiten und mehr noch um römische Rechtssätze aus der Justinianischen Kodifikation. Im Jahre 1570 kamen des Fronius „Statuta jurium municipalium Saxonum in Transsilvania“ heraus: die Vorlage für das Eigen-Landrecht von 1583. Die Universitätskonvente berieten in den Jahren zwischen 1570 und 1582 dieses Rechtsbuch wiederholt durch und verbesserten es, wobei sich die gelehrten Kronstädter Ratsmänner Lukas und Petrus Hirscher, ferner Albert Huet aus Hermannstadt hervortaten. Letzterer, Sohn eines der eifrigsten Förderer der Reformation im Sachsenland, hatte in Wien studiert, ehe er in den Dienst des Erzhauses und dann der eigenen Heimat getreten war. Durch ein Studium an deutschen Universitäten zeichneten sich in der Reformationsepoche bereits zahlreiche Siebenbürger Sachsen aus; insbesondere die Verbindung mit der Rechtsentwicklung in Deutschland erfuhr mannigfache Pflege14)
.Bereits 1580 hatte ein Konvent oder „Konflux“ der Nationsuniversität beschlossen, „das Libell der geschriebenen Rechte dem König von Polen und Fürsten von Siebenbürgen, Stephan Bathori, zur Bestätigung vorzulegen“. Am Ende des Jahres 1582 zog denn auch eine Deputation unter Führung des Königsrichters oder Sachsengrafen15 Albert Huet nach Krakau zum Landesfürsten. Zu der Delegation zählten Dominikus Dietrich, Königsrichter zu Schäßburg, der älteste Kronstädter Ratsgeschworene und Hauptautor des Eigen-Landrechts Matthias Fronius, der Mediascher Bürgermeister Joachim Koch, der Bistritzer Stadtrichter Caspar Budacker und endlich Michael Hann, der Stadtschreiber von Hermannstadt. Der König ließ die ihm vorgelegten Statuten über seinen [Seite: XI] Kanzler durch die Doktoren Heinrich Lemka und Johann Torbeck, Sekretäre der Stadt Danzig, und Simon Brunschwig, den königlichen Fiskal in Preußen, prüfen. Mit alten, ihm außerdem zur Bekräftigung vorgelegten Privilegien konfirmierte und bestätigte Stephan Bathori aus königlicher Gewalt am 18. Februar 1583 den Siebenbürger Sachsen das Eigen-Landrecht als „ewig währendes Recht“.
Die Entstehungsgeschichte des Rechtsbuches zeigt, daß das Eigen-Landrecht nicht als Gesetzeswerk im neuzeitlichen Sinne aufgefaßt werden kann16. Sein Geltungsgrund beruhte — anders als der des Rechtsgebotes im absolutistischen Staat — auf der Satzungsgewalt eines autonomen Verbandes, die einige ihrer Beschlüsse durch landesherrlichen Spruch lediglich bekräftigen ließ. Das königliche Privileg bedeutete freilich bei der Konkurrenz der Rechte und Stände in Siebenbürgen viel17. Als eine neuzeitliche Kodifikation kann das Landrecht auch wegen seines eingestandenermaßen fragmentarischen Charakters nicht gelten. In seiner Vorrede zur ersten deutschen Ausgabe des Eigen-Landrechts von 1583 bezeichnet Fronius sein Werk als einen „kurzen Auszug“, als Kompendium. Auch die Statuten selbst nennen sich im Eröffnungstitel des ersten Buches einen „kurzen Auszug der Rechten“ und verweisen auf die alten kaiserlichen Regeln, also das römische Recht, mit dem der Richter die Lücken der Statuten füllen sollte, wenn dieses nur der sächsischen Landschaft gemäß erschien.
Von dem lateinischen und dem deutschen Text der Statuten, die beide noch im Jahre 1583 gedruckt herauskamen18, kann der erstere als der authentische gelten, weil er dem Landesfürsten vorgelegt und von ihm auch konfirmiert wurde. Zwar läßt sich allgemein für die Mehrzahl der Universitätssatzungen aus der Zeit vor dem Jahre 1798 eine Bestätigung durch den Landesfürsten nicht nachweisen, was den Schluß erlaubt, daß die autonomen siebenbürgisch-sächsischen Statute zu ihrer Rechtsgültigkeit landesherrlicher Bekräftigung nicht bedurften19. Doch für ihr grundlegendes Werk von 1582/83 hatten die [Seite: XII] Sachsen sie gesucht und erhalten, wobei hier die deutsche Version aus dem Spiel blieb. Für die Ursprünglichkeit und Maßgeblichkeit der lateinischen Form spricht auch der stark römisch-rechtliche Inhalt der Statuten. Die „deutsche Version oder Verdolmetschung“ entstand — wie Fronius selbst berichtet — in freier Bearbeitung und Übertragung der lateinischen Fassung. An manchen Stellen ergaben sich teilweise nicht unwesentliche Abweichungen. Ein Beispiel mag das belegen20. Im 8. Titel des 4. Buches der lateinischen Version lautet der § 2 wie folgt: „Damnati criminis laesae majestatis simul et vitam et bona amittunt“. Die deutsche Version dieser Stelle heißt: „Die verurtheilte auff beleidigte Mayestat, als die, so mit untreu an ihren Fürsten, oder gemeinen standen verwirckt haben, verfallen leib und gut, welchs gemeinen standen confisciert (und) zugeschetzet wird“. Die Verschiedenheit dieser beiden Texte führte im Jahr 1728 zu einem aufschlußreichen Prinzipienstreit: Die sächsischen Mitglieder einer Justizreform-Deputation behaupteten die Authentizität der deutschen Ausgabe des Eigen-Landrechts unter Hinweis darauf, daß die Übersetzung von Fronius selbst herrühre. Außerdem beriefen sie sich auf die Analogie zu § 13 im 2. Titel des 2. Buches der Statuten, einer Vorschrift, nach welcher erblose Güter der Gemeinde heimfielen. Die ungarischen Mitglieder jener Deputation bestritten die Maßgeblichkeit des deutschen Textes, weil der lateinische der ursprüngliche und allein vom König bestätigte sei; überdies habe auch bei den Szeklern der königliche Fiskus kein Heimfallrecht auf erblose Güter und doch gebe es Beispiele dafür, daß der Landesherr das Vermögen von Hochverrätern eingezogen habe.
Auch wenn die deutsch gefaßten Statuten nicht das königliche Siegel trugen, breiteten gerade sie sich aus und prägten sie die sächsische Rechtsgewohnheit und Rechtspflege. Der Titel „Eigen Landrecht“ bezeichnete den Rang und die Funktion des Werkes treffend. Otto Brunner hat in seinem berühmten Buch21 auf die enge Beziehung zwischen Land und Landrecht hingewiesen: „Das [Seite: XIII] Wesensmerkmal des Landes ist nicht das Vorhandensein eines Landesherrn, wie die Literatur bewußt oder unbewußt annimmt, dessen der modernen Souveränität analog gedachte Staatsgewalt ein Staatsvolk schafft und ein Staatsgebiet, das Land, konstituiert, sondern eine Landesgemeinde, die nach Landrecht lebt. Die Landesgemeinde ist die landrechtliche Rechtsgenossenschaft. Das Zusammenleben ihrer Glieder wird durch das Landrecht geregelt. Fehlt diese Landesgemeinde, funktioniert sie nicht mehr, dann existiert das Land nur mehr ideell“. Die Siebenbürger Sachsen bildeten eine solche lebensvolle Landesgemeinde. Sie trug genossenschaftliche Züge, von denen zwei bereits genannt worden sind: das Fehlen ständischer Grenzen und das Heimfallrecht der Kommunen. Die im 14. Jahrhundert aufgeblühten Städte21a, aus deren Handel und Gewerbe das Kolonistenvolk einen guten Teil seiner politischen und militärischen Kraft zog, schwächten den Zusammenhalt der Sachsen nicht, sondern stärkten ihn. Die Städte, Trägerinnen des Fortschritts wie überall, förderten die Entwicklung des Rechts, ohne dessen Einheit im Sachsenland zu sprengen. Die Statuten von 1583 schlossen die Bewohner der sächsischen Dörfer als Rechtsgenossen und Adressaten der Gebote, Verbote und anderer Rechtsregeln keineswegs aus. Neben der gemeinsamen und behutsam gepflegten Kultur22 der sächsischen Nation begründete so das eigene Recht der einstigen Kolonisten die Existenz des territorial nicht geschlossenen Sachsenlandes auf Königsboden für lange Jahrhunderte wesentlich mit.
Die siebenbürgisch-sächsischen Statuten gliedern sich in vier Bücher, die jeweils mehrere in einzelne Paragraphen eingeteilte Titel umfassen. Das erste Buch bestimmt vornehmlich den Rechtsgang, das gerichtliche Verfahren. Hier stehen neben einleitenden Vorschriften zur Ämtersatzung und über die Pflichten des richterlichen Amtes umfangreiche Regeln des Prozeßrechts. Der Leser findet statutarisch bestimmt insbesondere die Ladung, den Gerichtsstand und — sehr ausführlich — das Beweisrecht, außerdem Appellation und Vollstreckung. Die Gerichtssprache [Seite: XIV] ist, so betont das Rechtsbuch23, deutsch. In ihrem zweiten Buch ordnen die sächsischen Statuten das Familien- und Erbrecht. Den Anfang bildet die Ehe. Daran schließt sich die gesetzliche Erbfolge an; hier begegnet auch das altertümliche, aus den altdeutsch-sächsischen Quellen bekannte „Beschreien der Wände“24: das bei der Geburt sterbende Kind ist rechts- und damit erbfähig, wenn es „ein solch kindsgeschrey gethan hat, welches inn vier ecken des gemachs hat mögen gehöret werden“. Nachdem die Statuten das Vormundschaftswesen erörtert haben, wenden sie sich wieder dem Erbrecht zu: der Teilung des Nachlasses zwischen dem überlebenden Ehegatten und den Kindern, nach welcher — siebenbürgisch-sächsischem Brauch zufolge — „dem man das zweiteil und der frawen das dritte teil gebühren sol“25. Dann behandeln die Statuten das Testament, die Verfügungen von Todes wegen. Das dritte Buch gilt vorwiegend dem Schuldrecht, daneben erscheinen auch sachen- und prozeßrechtliche Gegenstände. Der Leser findet ausschnittweise geregelt etwa Darlehen und Leihe, das Pfandrecht, allgemeine Rechte und Pflichten der am Schuldverhältnis Beteiligten, Miete, Pacht, Dienst- und Werkvertrag, die Verwahrung, den Kauf, Ersitzung und Verjährung, die Bürgschaft, das Schiedsgerichtsverfahren, die Tierhalterhaftung und die fahrlässige Schädigung. Das vierte Buch der Statuten schließlich bietet strafrechtliche Vorschriften und baut teils auf der großen reichsdeutschen Strafsatzung der Carolina von 153225a weiter. Nach einigen wenigen allgemeinen Bestimmungen regelt das Rechtsbuch eine Reihe verschiedener Tatbestände, so Diebstahl und Tötung, Schmähung, Fälschungsdelikte und Betrug, endlich das Delikt des Ehebruchs. Den Schluß bilden Rechtssätze zur Konfiskation der Güter Verurteilter und von Selbstmördern.
Die Statuten behandeln, wie viele deutsche Stadt- und Landrechtsbücher der frühen Neuzeit, also nicht nur das Privatrecht, wenngleich dieses überwiegt, sondern auch den Prozeß und das Strafrecht. In dem siebenbürgisch-sächsischen Werk fließen wie in den anderen zeitgenössischen [Seite: XV] Reformationen und Ordnungen verschiedene Rechte zusammen, wobei das römisch-italienische ius commune hier wie dort das ungeschriebene einheimische Gewohnheitsrecht weit zurückdrängt26. Der romanistisch geschulte Jurist beherrscht mehr und mehr das Feld der Rechtspflege, auch in Siebenbürgen27. Am augenfälligsten erscheint die Rezeption des römischen Rechts im dritten Buch der sächsischen Statuten. Doch zeigt dieses Stück wie jede der drei anderen Partien des Eigen-Landrechts einen durchaus unvollständigen Charakter. Die Statuten liefern Auszüge, die Fronius und seine Helfer ihren Quellen unter dem Gesichtspunkt des praktischen Bedürfnisses entnahmen. Regeln, die Grundsätzliches klärten und festhielten oder Streitfragen beschieden, fanden Aufnahme in das Rechtsbuch, das als Auszug neben der inhaltlichen Geschlossenheit auch eine systematisch voll durchgearbeitete Anlage vermissen läßt.
Das System des Eigen-Landrechts entspricht dem verwandter Quellen. Viele Gesetzbücher jener Zeit kennen einen vierteiligen Aufbau. Iudicialia; de contractibus vel quasi; de successionibus vel ultimis voluntatibus et investitura feudali; criminalia28: Diesem Schema folgen die Kursächsischen Konstitutionen von 157229, deren Aufbau dem des Eigen-Landrechts ähnelt. Die Verbindung von Prozeß-, Privat- und Strafrecht begegnet bereits in den Reformationen der Reichsstädte, deren Beispiel die Landesherren im 16. Jahrhundert folgten. So zerfällt die lehrbuchartige Wormser Reformation von 149830, die sich in manchem an die Nürnberger des Jahres 1479 anlehnt, in sechs Büchern, von denen die drei ersten dem Prozeß, das vierte und fünfte dem Privatrecht, das sechste wesentlich dem Strafrecht angehören. Dieses System erscheint fortan mannigfach abgewandelt. Das Freiburger Stadtrecht von 152031, ein Werk des Ulrich Zasius, welches das Württembergische Landrecht von 1555 und viele andere Stadt- und Landrechtserneuerungen stark beeinflußte, umfaßt fünf Teile: der erste Traktat behandelt das Verfahren, der zweite die Contracten, das heißt Schuld- und Sachenrecht, der dritte Traktat gilt dem Familien- und [Seite: XVI] Erbrecht, der vierte dem städtischen Bau-, Verwaltungs-, Verfassungs- und Polizeirecht, der fünfte endlich den gesamten Strafsachen.
Ein abschließendes Urteil über das Eigen-Landrecht der Siebenbürger Sachsen steht dieser knappen Einführung zum Nachdruck nicht an. Erst die eindringende wissenschaftliche Bearbeitung, zu der die Edition anregen und die sie erleichtern will, wird nähere Aufschlüsse bringen über Verwandtschaft, Qualität und Eigenart einer in mehrfacher Hinsicht bemerkenswerten Quelle.