Prof. J. U. Dr. Eduard F. Schwab, Zur Rechtsgeschichte der Grafschaft Görz. I. Artikel. in: Österreichische Blätter für Literatur und Kunst III (1846) 502 - 504 :: Transkription Speer 2014

Editorial

Quelle: Prof. J. U. Dr. Eduard F. Schwab, Zur Rechtsgeschichte der Grafschaft Görz. I. Artikel. in: Österreichische Blätter für Literatur und Kunst III (1846) 502 - 504.

Zur Rechtsgeschichte der Grafschaft Görz. I. Artikel. Vom Prof. J. U. Dr. Eduard F. Schwab in Görz.

Die erste Erwähnung von Görz geschieht in zwei Urkunden vom Jahre 1001, in deren einer Werihen, Graf von Friaul, von K. Otto III. mit der Hälfte der "Villa Goritiensis" beschenkt wurde. Die andere Hälfte erhielt der Patriarch von Aquileja und sie blieb bei diesem Patriarchate bis 1202, in welchem Jahre sie auch in den Besitz der Görzer Grafen kam. Diese starben mit Leonhard am 12. April 1500 aus. Die Grafschaft Görz überging nun in Folge mehrere Erbverträge (von 1361, 1364, 1394, 1486) an Maximilian von Österreich und gehört seitdem, abgerechnet die kurzen Besitzunterbrechungen durch eine venetianische Invasion von 1508 - 1509 und die französische Invasion in neuester Zeit, zu dem Ländergebiete der österreichischen Monarchie.

Es kann nicht die Aufgabe eines Zeitschrift-Aufsatzes sein, die Rechtsgeschichte des Görzerlandes durch einen fast neunthalbhundertjährigen Zeitraum in allen ihre Besonderheiten darzustellen; nur solche Andeutungen können hier aneinander gereiht werden, welche ausreichen den Gegenstand in seinen Hauptumrissen vorzuführen und insbesondere auf die Quellen einer Geschichte des Görzer Kriminalrechts aufmerksam zu machen.1

Dieser erste Artikel umfasset in angeregter Weise den Zeitraum von 1000 bis 1604.

Über dem gewohnheitlichen Kriminalrechte, das im Görzerlande unter seiner Grafendynastie (1001 - 1500) und im Beginn der österreichischen Herrschaft bis 1556 in Geltung stand, liegt tiefes historisches Dunkel. Bisher ist den tüchtigsten Forschern auf diesem Gebiete, wie einem Morelli, nicht gelungen dasselbe aufzuhellen. Im Allgemeinen mögen im Görzer Gebiete dieselben Rechtsgewohnheiten gang und gäbe gewesen sein, wie im benachbarten Friaul, und der rühmliche Eifer, der in jüngster Zeit friaulischer Rechtsgeschichte zugewendet wird, dürfte in der angedeuteten Beziehung unter Einem auch [Seite: 503] für die Görzer Geschichte erfreuliche Ergebnisse liefern. Vorderhand kann nur so viel angeführt werden, daß 1366 ein Buch Gesetze vom Aquilejer Patriarchen Marquard, im genannten Jahre kundgemacht, auch in der Grafschaft Görz (wie in Friaul) mehr oder weniger in Anwendung gebracht wurde.2

Das Marquard'sche Gesetzbuch ist daher für das ganze Görzer Recht im Allgemeinen eine überaus wichtige Quelle, nicht blos für den Zeitraum von 1366 - 1556, sondern auch für die Rechtszustände vor 1366, indem darin gewiß auf die im Aquilejischen wie im Nachbarlande bestandenen Rechtsgewohnheiten Rücksicht genommen wurde, und nach 1556, wie sich weiter unten ergeben wird.

Einige im Görzer Grafschaftsgebiete gelegenen Gemeinden hatten auch eigene, vom eigentlichen Görzer Rechte abweichende Sonderrechte. So verfaßten sich die Cormoneser 1436 ein Rechtsbuch, das in seiner ersten Anordnung eine geringere Strafe auf die Lästerung Gottes, als der Jungfrau Maria setzte, bestätiget und 1460 verbessert und vermehrt wurde. Auch die kleine Festung Marano hatte besondere Rechte, die ihr 1514 und 1524 bestätiget und während der Dauer der österreichischen Herrschaft in Kraft belassen wurden, und eben so die Festung Gradisca, dere eigenthümliche Rechte, 1560 unter ihrem Hauptmanne Jakob Attems durch Girolamo Garzonio zusammengestellt (Consuetudines Garzonianae), noch im 18. Jahrhunderte in Übung waren.

Das erste bekannte Rechtsbuch der Görzer Grafschaft (jetzt gewöhnlich Primo Statuto patrio genannt), entstand im Jahre 1556 durch eine eigens hiezu ernannte Kommission. Bei der Redaktion desselben ward natürlich vorzugsweise auf das bisher bestandene Görzerrecht, also auch auf das oben erwähnte Marquard'sche Rechtsbuch, und auf österreichische Constitutiones Principia Rücksicht genommen, deren einige bereits im Verlaufe der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts für die Grafschaft erlassen worden. So z.B. verbietet eine Ferdinand'sche Verordnung vom 20. Jänner 1534 bei einem Feinde des österreichischen Hauses oder des Reiches in Dienst zu treten, unter Strafe der Landesausweisung und der Gütereinziehung.

Das besagte Statut von 1556 enthält 186 "Rubricae" darin untermischt Anordnungen, die verschiedenartigen Gesetzgebungszweigen angehören, und bildete bis 1604 auch die Grundlage des Kriminalrechtes für die Görzer Grafschaft; denn die Constitutio Criminalis Caroli V. wurde daselbst nie in Anwendung gebracht, ungeachtet diese im Jahre 1544 anbefohlen worden war.3

In dem Statute wird Todesstrafe nur in drei Fällen verhängt, und zwar erstens über Praedatores viarum publicarum, deren Gehilfen und Unterschleifgeber, ohne Unterscheidung zwischen Patrizier und Nichtpatrizier (sive nobilia sive popularis), Todesstrafe am Galgen (Rub. 142); dann über falsche Zeugen, auf deren Aussage Jemand in die Todesstrafe verfiel (Rub. 143); endlich über Mörder (homicidiae ex proposito) nach Rub. 152. — Verweisung aus dem Lande, Gütereinziehung, Verkauf an die venetianische Galeeren, Freiheits- und Körperstrafen sind wohl, aber nicht häufig angedroht, die beiden letztern meistens nur substitorisch im Falle der Zahlungsunvermögenheit bei Geldstrafen, welche als Haupt- und umgreifendste Strafart erscheinen. Darin liegt eine Anmahnung an die Langobardengesetze. An den Strafgeldern hatte auch der Richter Antheil, in manchen Fällen fielen sie ihm ganz allein zu. So wurde Aufstand, d. i. Zusammenrottung um dem Gerichte mit Gewalt Widerstand zu leisten, mit Erlag von 50 Lire zu Gunsten des Richters gestraft (Rub. 144). Übrigens leidet das alte Görzer Statut in seinen kriminalrechtlichen Normen, wie mehr oder weniger alle alten Kriminalrechte, an Systemlosigkeit und daher auch an Inkonsequenzen und Unvollständigkeit, aber durchaus nicht an Härte der Strafbestimmungen.

Es erübrigt nur noch, über die Zuständigkeit der Kriminalgerichtsbarkeit über die Patrizier (Nobiles) und ihre Diener, wie auch über alle Personen, die in einer landesfürstlichen oder ständischen Bedienstung standen4; der Landrichter übte jene Gerichtsbarkeit über alle andere Leute, die nicht in die vorgenannten Kategorien gehörten, doch mit Unterordnung unter die Landeshauptmannschaft.

In Gemeinden und Gebieten, welche eigene Hauptleute oder Pfleger hatten, traten diese an die Stelle des Landrichters, aber doch mit etwas beschränkterer Gewalt. Nämlich Verbrecher, welche der Todesstrafe schuldig erschienen, mußten von ihnen dem Landrichteramte übergeben werden; war aber ein solcher Verbrecher außerhalb der Grafschaftsgrenzen eingefangen worden, so ward er der Heuptmannschaft von Gradiska zur Aburtheilung überwiesen, die einer besonders bevorzugten Stellung genoß und selbst einige Gemeinderichter unter sich hatte. Noch mehr wurde die bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts sehr ausgedehnte Amtsgewalt des Landgerichtes im Verlaufe [Seite: 504] dieses Jahrhundertes durch allmälige Einführung und Vermehrung von Patrimonialgerichten eingeschränkt.

Bei der Zusammensetzung des urtheilsuchenden Gerichtes wurde an dem Grundsatze festgehalten, daß der Verbrecher nur durch seine Standesgenossen gerichtet werden könne. Das Patriziergericht bestand sonach aus dem Landeshauptmann oder seinem Statthalter und einigen Patriziern, dazu kam noch der Auditor Criminalis und in verwickelten Fällen ein Juriskonsultus. Auf ähnliche Art bildeten sich die Gerichte über Nichtpatrizier mit Rücksicht auf den oben angeführten Grundsatz. Die Anzahl der Beisitzer war anfänglich willkürlich und zufällig, später im Patriziergerichte meist sechs, im andern sieben. Die Art der Wahl, die im Patriziergeichte seit 1569 durch das Loos für eine Jahresdauer geschah, wechselte mehrmal. Die Beisitzer wurden nach Rub. 5 des Statutes (und Reskript von 1570) beeidiget (Geschworene).

Über das gerichtliche Verfahren im Einzelnen besitzt man keine nähere Kunde. Mehrere Jahrhunderte hindurch scheint eine schriftliche Protokollführung wie die Zulassung von Sachwaltern nicht üblich gewesen zu sein. Allerdings finden sich aber gegen und im Verlaufe des 16. Jahrhundertes Spuren von Anwendung der Folter zur Feststellung der Schuld oder Unschuld.

Das Gesagte dürfte dem Eingangs angedeuteten Zwecke, der Darstellung der Görzer Kriminal-Rechtsgeschichte in ihren Hauptumrissen bis 1604 genügen. Ein zweiter Artikel soll in ähnlicher Weise diese Geschichte bis auf die neueste Zeit vorführen.

Fußnoten
1.
Bei dem Aufschwunge, welchen die österreichische Rechtsgeschichte dermalen zu nehmen beginnt, dürften skizzierte rechtsgeschichtliche Darstellungen allenthalbenher wünschenswerth erscheinen, da sie in einer Art am besten geeignet sind umfangreichere Arbeiten vorzubereiten, nämlich dadurch, daß man in die Kenntniß des Bestandes von Quellen und zugleich des allgemeinsten Entwicklungsganges gelangt.
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2.
Dies interessante Rechtsdenkmal ist (meines Wissens) nirgends abgedruckt. Hr. Direktor J. D. Della Bona in Görz besitzt davon ein Manuskript in deutscher Sprache. Es ist zu wünschen, daß Dr. Della Bona (wie Hr. Landrath Dr. Savio und Andere) Gelegenheit finden möge, seine mit Mühe und Kosten gesammelten patria nach und nach zu veröffentlichen. Die k. k. Görzer Landwirthschaft-Gesellschaft hat, wie man hört, beschlossen, eine eigene Sektion für die Sammlung und wohl auch Herausgabe von Quellen vaterländischer Geschichte zu konstituiren.
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3.
Das Primo Statuto patrio ist vollständig nirgends, im Auszuge aber abgedruckt in Carlo Morelli's de Schoenfeld ausgezeichnetem: Saggio storico della Contea di Gorizia dall' anno 1500 all' anno 1600. Gorizia 1773. Morelli's vollkommen ausgearbeitete Manuskripte, die dieses Werk bis über die Hälfte des 18. Jahrhunderts fortsetzen, liegen in der Bibliothek der K. k. Görzer Landwirthschafts-Gesellschaft.
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4.
Wie eifersüchtig die Patrizier diesen privilegierten Gerichtsstand zu behaupten suchten, zeigen Vorgänge von 1556 - 1562. Ein Reskript Ferdinand I. hatte dem Stadtrichter von Görz in einigen Fällen gegen die Patrizier einzuschreiten erlaubt. Dies wurde endlich 1558 darauf beschränkt, einen als Mörder auf der That ergriffenen Patrizier in Haft nehmen zu dürfen. Auch dies ertrug der Patrizierstand nicht; im Jahre 1562 wurde wieder die alleinige Abhängigkeit der Nobilis von der Landeshauptmannschaft ausgesprochen.
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