Quelle: Johann Friedrich von Schulte, Die Geschichte der Quellen und Literatur des Canonischen Rechts, II Von Gregor IX. bis zum Concil von Trient (Stuttgart 1877) 75-78. Google-Digitalisat
I. Roffredus — so allein lautet sein Name — mit dem urkundlich festgestellten Beinamen Epiphanii (de Epiphanio, Epiphanides) war geboren in Benevent, machte seine Studien in Bologna. Nach kurzer Lehrthätigkeit in Bologna tritt er 1215 in Arezzo als Lehrer auf, [Seite: S.76] erscheint 1219 in Pistoja, dann von 1220 bis 1227 im Dienste König Friedrichs II. Er trat nach denn Tode seiner Frau in den geistlichen Stand und befand sich als clericus camerae im Dienste Papst Gregors IX. Während dieser kaiserlichen und päpstlichen Dienste hatte er seinen eigentlichen Wohnsitz in Benevent, wo er in hohem Alter bald nach 1243 starbN.1.
II. Seine Libelli de jure canonicoN.2 sind nach Abfassung des Werkes über die Civilklagen (de libellis et ordine judiciorum) gemacht, wie sich aus der Einleitung ersieht: ,Super actionibus omnibus compositi sunt libelli per gratiam Jesu Christi, quae de iure civili fuerunt inventae, seu de iure praetorio, puta de edictis et interdictis. Et ideo dignum duxi inserere quosdam libellos de iure canonico, et maxime secundam formam, quae in romana curia frequentatur: hoc propter legistas, qui vel parum vel nihil sciunt in iure canonico, non quia in scientia illa me profitear discipulum vel doctorem. Unde remota invidia hoc opus scholares accipiant; quod magisterio et discretioni docentium in iure canonico corrigendum relinquo et ipsi ex eorum scientia suppleant, quod mihi canonum facundia non ministrat. De multis tractabo. Primo de electionibus et postulationibus. Sec. de juribus episcopalibus, metropoliticis et archidiaconalibus. 3. Super sponsalibus et matrimoniis et impedimentis eorum. 4. Super decimis. 5. Super juribus patronatus. 6. Super iuribus quando quis se dicit expoliatum et super aliis diversis articulis. 7. Super accusationibus, inquisitionibus et denuntiationibus. 8. Super excommunicationibus, quando dicantur nullae vel iniustae. 9. Super iudicibus et arbitris eligendis. 10. Super appellationibus. 11. Super executione rei iudicatae. 12. Super gratia petenda, [Seite: 77] quae non in figura iudicii petenti conceditur.' Von diesen zwölf Theilen besitzen wir nur die sieben ersten; die letzten fünf hat Roffredus nicht vollendetN.3. Wir dürfen das nach dem, was vorliegt, zu urtheilen sehr bedauern.
Was die Zeit der Abfassung betrifft, so fällt deren Vollendung nach dem Juni 1243; da er nach dieser Zeit noch am sechsten Theile schrieb und selbst angiebt, dass er den ersten lange vor dem Juni 1243 vollendet habeN.4, so darf man die Vollendung des siebenten wohl noch später als 1243 ansetzen. Es ist begreiflich, dass er als Civilist an einer canonistischen Schrift langsamer arbeitete.
Das Werk bietet zunächst viel mehr, als die Inhaltsangabe sagt. Das 6. Buch enthält über die Spoliation einen Titel, handelt aber dann über das Pfarrrecht (de parochiis et alienis parochianis): Rechte des Pfarrers, Grenzen, Austritt, Begräbniss, über Präbenden; Census, procurationes et exactiones (Visitation), Immunität, Peculium clericorum und Testamente derselben, das Recht der Regularen, de conversione coniugatorum, Verkauf von Kirchensachen u.s.w. Ebenso geht der 7. Theil über seinen Inhalt hinaus. Ueberblickt man das Vorliegende, so kann man zunächst den Mangel an OrdnungN.5 auch dann nicht verschweigen, wenn man das offenbare Bestreben anerkennt, die für den Civilisten interessanten Materien zu behandeln. Man wird auch sofort erkennen, dass der Verfasser ursprünglich den sechsten Theil kaum als Einheit behandelt, sondern die zu verschiedenen Zeiten behandelten Materien später zusammengestellt hat. Mir scheint, die Vorrede und die Zusammenstellung ist gemacht nach Abschluss des 7. Theiles, an der Ausarbeitung des Restes, für den gewiss Vorarbeiten gemacht waren, hat ihn der Tod verhindert. Ich schliesse dies daraus, dass die Schlussworte: "Haec diligenter de purgatione canonica et vulgari sum prosecutus; et de aliis quae omnia et singula corrigenda doctoribus meis in iure canonico relinquo, et ipsi ex eorum scientia suppleant, quod mihi iuris canonici scientia non ministrat, ut alias ff. de acquirenda possessione l. quamvis" genau mit der Einleitung stimmen.
Das Werk kann als eine Summa juris canonici bezeichnet werden. Es hat seinen Schwerpunkt in den libelli, d. h. in den Formularen für Gesuche aller Art, welche sich bei den behandelten Gegenständen [Seite: S.78] ergeben. An diese werden dann Quaestiones und Oppositiones angehängt, worin die juristische Seite behandelt wird. Die Behandlung schliesst sich an die aufgestellte Definition, sodann an die in der Glosse zum Dekret und in einzelnen früheren Schriften bereits angeführten VersusN.6 und an einzelne Worte bestimmter Kapitel. Von Canonisten hat er benutzt und führt an: Huguccio, Joh. (Fav.), Bazianus, Joh. Gualensis, Joh. Teutonicus, Alanus, Laurentius, Vincentius, Damasus, Tancredus. B. (Bern. Pap.). Es ergiebt sich daraus eine sorgfältige Benutzung der Literatur.
Der Werth der Schrift ist trotz des Mangels der Ordnung und einer gewissen trockenen Breite bedeutend. Hat sie auch zunächst das praktische Bedürfniss im AugeN.7, bietet sie auch nicht gerade neue Gesichtspunkte, so zeugt sie doch von selbstständiger Bearbeitung und ist insbesondere dadurch werthvoll, dass sie eine rein juristische Behandlung darbietet.