Wie schon erwähnt, wurde von den Kanonisten das Legitimationsrecht des Papstes quoad temporalia nur im Patrimonium Petri, in dem der Papst die höchste weltliche Gewalt mit der höchsten kirchlichen vereinte, unwidersprochen und allgemein anerkannt. Die Frage aber, ob dem Papste als Oberhaupt der Kirche auch außerhalb des Patrimonium Petri ein Legitimationsrecht in temporalibus zustehe, wurde verschieden beantwortet.
Tancred, einer der berühmtesten Juristen des 13. JahrhundertsN.110.1, erwähnt in seiner in den ersten Jahren des 2. Jahrzehnts entstandenen summa de matrimonioN.110.2 die legitimatio per specialem indulgentiam papae nur, ohne sich näher darüber zu äußern. Aber aus dem Zeugnis des Henricus Hostiensis wissen wir, daß Tancred ebenso wie die gleichzeitigen Bologneser Dekretisten Laurentius Hispanus und Vincentius HispanusN.110.3 lehrten, daß der Papst quoad hereditatem temporalem nur im Patrimonium Petri dispensieren könne.N.110.4
Diesen gegenüber vertrat ein Kanonist JohannesN.110.5 in Anlehnung an die Dekretale per venerabilem die Anschauung, Seite 111 daß der Papst außerhalb seines weltlichen Territoriums direkt allerdings nicht für das weltliche Gebiet legitimieren könne, wohl aber indirecte sive per consequentiam, indem nämlich ein quoad spirituales actus Legitimierter dadurch per consequens von selbst auch für die weltliche Rechtssphäre legitimiert erscheint.
Goffredus de TranoN.111.1 kommt in seiner 1241 — 1243 geschriebenen summa super titulis decretaliumN.111.2 ebenfalls zum Ergebnis, daß der vom Papst in spiritualibus Legitimierte von selbst per consequentiam quandam auch ad temporalia legitimiert sei.N.111.3
Papst Innozenz IV.N.111.4 vertritt in seinem bald nach dem Konzil von Konstanz (1245) entstandenen apparatus in V libros decretaliumN.111.5 den Gedanken, daß jemand nur zu solchen Akten legitimieren könne, worüber ihm die Gerichtsbarkeit zustehe. So könne der Papst wohl legitimieren quoad actus legitimos, scilicet quod (legitimatus) possit esse iudex et testis, nicht aber in hereditate paterna, weil diese seiner Jurisdiktion entzogen sei. Umgekehrt könne auch der iudex saecularis nicht ad ordines legitimieren, quia promoveri ad ordines non est de iurisdictione laici iudicis.N.111.6
Da Innozenz bei Vakanz des deutschen Thrones die Kaisergewalt auf den Papst übergehen läßtN.111.7, so müßte er folgerichtig in kaiserloser Zeit dem Papst volle Legitimationsbefugnis auch in temporalibus im Reiche zusprechen. Seite 112
Kardinal Henricus HostiensisN.112.1, der kurz nach der Mitte des 13. Jahrhunderts seine aurea summa zu den DekretalenN.112.2 schrieb, sprach dem Papst nicht nur allüberall volle Legitimationsbefugnis quoad spiritualia und quoad temporalia zu, sondern ging noch viel weiter. Er sah das Legitimationsrecht als ein ius spirituale annexum an, als ein dependens matrimonio, und folgerte demgemäß, daß ebenso wie die Ehegerichtsbarkeit so auch die Legitimation nur dem Papste allein zustehen könne. Die Legitimation seitens des Kaisers sei keine wahre Legitimation, sondern nur ein admittere ad hereditatem: Salva reverentia aliorum mihi videtur, dominum papam habere potestatem legitimandi quoad spiritualia et temporalia et ipsum solum ..., cum enim causa matrimonialis spiritualiter pertineat ad ecclesiam adeo, quod securaris iudex de ipsa cognoscere non potest, etiamsi inciderit nec de legitima filiatione ..., cui denegatur cognitio, multo fortis dispensatio ..., dicas tamen, quod imperator legitimat, id est tamquam illegitimum etiam spurium ad hereditatem suam admittere potest et etiam in hoc potest cum filio suo proprio, non tamquam cum filio, sed tamquam subdito dispensare ..., sed papa vere legitimat et illegitimat.N.112.3
Wir haben die Worte des Hostiensis, daß die kaiserliche Legitimation nur in einem "admittere ad hereditatem" bestehe, allerdings nicht ganz wörtlich zu nehmen. Nicht nur in einem Zulassen zum Erbrecht sollte nach seiner Meinung die kaiserliche Legitimation sich erschöpfen, sondern wohl überhaupt auf die temporalia sich erstrecken, nur den Makel der Unehelichkeit könne der Kaiser nicht nehmen. BaldusN.112.4 faßt die Ansicht des Hostiensis dahin zusammen, quod Imperator non legitimat vere et proprio, sed improprie et quoad quid, scilicet quoad ius succedendi et quoad honores et cetera temporalia, quae princeps conferre potest.
Hostiensis hat eigentlich nur den Grundgedanken Innozenz IV. aufgegriffen, daß jemand dispensieren und legitimieren nur in solchen Punkten könne, in welchen ihm die Gerichtsbarkeit zustehe. Während aber Innozenz daraus Seite 113 folgert, daß der Papst ad hereditatem secularem nicht legitimieren könne, schließt Hostiensis, da er eben das Legitimationsrecht als ein ius spirituale annexum ansieht, daß in Wirklichkeit in spiritualibus und temporalibus überhaupt nur der Papst allein dispensieren könne.
Die späteren Schriftsteller fußen fast sämtlich auf Innozenz IV. oder auf Hostiensis.
Abbas AntiquusN.113.1, der in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts schrieb, faßte nach dem Zeugnisse des Johannes AndreäN.113.2 seine Ansicht in folgendem kurzen Satz zusammen: papa non legitimat in temporalibus alienae iuris dictionis subditos.
Wilhelm DurantisN.113.3 schließt sich in seinem in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts entstandenen speculum iurisN113.4 so enge an Innozenz an, daß er sogar dessen Ausführungen wörtlich übernimmt.N.113.5
Johannes AndreaeN.113.6 († 1348) widerlegt in seiner Novella in decretales Gregorii IX. commentariaN.113.7 den Satz, der uns seit Beginn des päpstlichen Legitimationsrechtes in verschiedenen Wendungen immer wieder begegnet und aus welchem man das päpstliche Legitimationsrecht abgeleitet hat, nämlich quod quis potest in maiori, multo magis potest in minori, mit dem klassischen Einwurf: hoc tamen non semper sequitur, nam potest quis interdum equum dare magni valoris, qui capram modicae aestimationis dare non posset, item multi possunt maiora, qui minora non possunt iure consuetudinario vel privilegio repugnante.N.113.8 In der Folge schließt er sich der Ansicht des Hostiensis an, daß der Papst, und zwar er allein, ein eigentliches und unmittelbares Legitimationsrecht habe: Dicas, quod solus papa habet potestatem legitimandi non solum per quandam oonsequentiam ...., sed et proprie et immediate ita, quod alius nullus hanc potestatem habet.N.113.8a Die Kaiser legitimieren zwar auch Seite 114 nach ihren Gesetzen, dieses Legitimieren erklärt er aber dahin: id est: illegitimos, ac si essent legitimi, ad honores, haereditates et actus temporales admittunt, quod possunt.
Bartolus de SaxoferratoN.114.1 († 1357) folgte der Lehre Innozenz IV.N.114.2 und ebenso schließt sich Petrus de AncharanoN.114.3 († 1416) derselben an.N.114.4
Baldus de UbaldisN.114.5, der in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts schrieb, erkennt sowohl in seinem Kommentar zum Codex JustinianusN.114.6 als auch in seinen ConsiliaN.114.7 das Legitimationsrecht des Papstes in temporalibus an. Aber gegen die Ausfuhrungen des Hostiensis und Johannes Andreae, daß der Papst ein alleiniges und ausschließliches Recht zu legitimieren hätte, nimmt er entschieden StellungN.114.7a, wie wir bei Besprechung der legitimatio per rescriptum principis gesehen haben.N.114.8
PanormitanusN.114.9, der große Jurist aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts († 1453), nennt dieses Kapitel des corpus iuris canonici (c. 13. X, IV, 17) ein caput difficile et multum famosum und präzisiert seine Ansicht folgendermaßen: In terris ecclesiae papa potest libere illegitimos legitimare, in terris vero alienis non, nisi ex causis multum arduis vel nisi in spiritualibus; tunc tamen indirecte et per quandam consequentiam intelligitur legitimare etiam quoad temporalia. Hoc tamen ultimum non est sine scrupulo.N.114.10
Dieses Diktum des Panormitanus ist seither ständiges Summarium zur Dekretale "per venerabilem" geworden. Seite 115