Anton Menger, Die Zulässigkeit neuen thatsächlichen Vorbringens in den höheren Instanzen. Eine civilprocessualische Abhandlung. (1873) :: Transkription der Seiten 70 - 94 Heino Speer 2017

Anton Menger, Die Zulässigkeit neuen thatsächlichen Vorbringens in den höheren Instanzen. Eine civilprocessualische Abhandlung. (1873) :: Transkription der Seiten 70 - 94 Heino Speer 2017

§. 4. Oesterreichisches Recht.4.1

Der Kampf zwischen den beiden entgegengesetzten Principien, welche für den ganzen Charakter des Verfahrens in den höheren Instanzen massgebend sind, nämlich zwischen dem Grundsatze der Zusammendrängung des ganzen thatsächlichen Materials in der ersten Instanz und der Zulassung der Ergänzung des Beweisstoffes in den höheren Instanzen wurde in den deutschen Erbländern der österreichischen Monarchie schon einmal ausgefochten und die Bestimmungen der geltenden Processordnungen können als Resultat dieses langwierigen Kampfes jener beiden entgegengesetzten Auffassungen gelten. Die Processgesetze, welche für die deutschösterreichischen Provinzen seit dem 16. Jahrhunderte bis zur allgemeinen österreichischen Gerichtsordnung vom 1. Mai 1781 und der westgalizischen Gerichtsordnung vom 19. December 1796 erlassen wurden, lassen sich nämlich in zwei Gruppen scheiden: in solche, welche die Eventualmaxime auch für das Verhältniss der Instanzen unter einander festhalten, folglich die Concentration des Beweismaterials in den Verhandlungen vor der ersten Instanz vorschreiben, und in solche, welche auch noch in der zweiten Instanz die Production neuen Beweisstoffes zulassen, also das Verfahren vor der zweiten Instanz als eine völlig neue Verhandlung des ganzen [Seite: 71] Rechtsstreites und nicht blos als eine Ueberprüfung des Urtheils der ersten Instanz auffassen. Sieht man von einzelnen Zweifeln und Bedenken ab, welche die schwankende Gerichtspraxis jener Zeiten erregt und welche weiter unten Erwähnung finden sollen, so kann man Böhmen und seine ehemaligen Nebenländer (Mähren und Schlesien) als die Gebiete bezeichnen, welche im Anschluss an das gemeine Recht die Rechtswohlthat der Neuerungen in zweiter Instanz adoptirt haben, während die übrigen deutschen Erbprovinzen dem entgegengesetzten Grundsatze, somit der Ausschliessung der Neuerungen in zweiter Instanz huldigen. Da die Gesetzgebung der ausserböhmischen Länder in Beziehung auf unsere Frage für unser heutiges österreichisches Processrecht massgebend geworden ist, so will ich zunächst die Bestimmungen ihrer zahlreichen Gerichtsordnungen über das beneficium novorum zusammenstellen, soweit dieses bei der Unzugänglichkeit der processualischen Rechtsquellen und dem vollständigen Mangel einer österreichischen Rechtsgeschichte für die älteren Zeiten überhaupt möglich ist.

Was zunächst das Stammland der österreichischen Monarchie: das Erzherzogthum Oesterreich unter der Enns betrifft, so erscheint in dem niederösterreichischen Processrechte die Vorführung neuer Thatsachen und Beweismittel in den höheren Instanzen von Altersher vollständig ausgeschlossen. Und zwar scheint diese Ausschliessung nicht sowohl auf einer ausdrücklichen Gesetzesbestimmung, als vielmehr auf einem uralten Gerichtsgebrauche zu beruhen. In den mir zugänglichen Gesetzen finden sich wenigstens zwar einzelne Andeutungen vor, welche jenen Zustand voraussetzen; ein ausdrückliches Verbot, in der Appellationsinstanz Neuerungen zu produciren, ist mir jedoch in den älteren niederösterreichischen Gesetzen nirgends begegnet. Die älteste der mir vorliegenden niederösterreichischen Civilprocessordnungen, nämlich die „Gerichtsordnung des lanndsrechten des hochlöblichen Ertzhertzogthumbs [Seite: 72] Oesterreich vnder der Enns“ vom 12. April 15404.2 verfügt für eine gewisse Gattung von Rechtssachen, welche vor dem Gerichte rein mündlich verhandelt wurden: die Extraordinariprocesse, dass der Kläger und der Beklagte ihr mündliches Vorbringen in der Gerichtsverhandlung in dem Falle, wenn die eine oder die andere Partei appelliren würde, in einer Schrift zusammenzufassen und binnen drei Tagen nach Kundmachung des Urtheils bei dem Gerichte einzureichen haben. Als Grund dieser Bestimmung wird in dem Gesetze angegeben, dass die Parteien die Aufrichtung der Appellation (d. i. die schriftliche Fixirung des factischen und rechtlichen Materials, welches sie dem Gerichte erster Instanz mündlich vorgeführt haben, ferner die Angabe der Beschwerden gegen das auf Grund dieser Verhandlung erflossene Urtheil) oft ungebührlich verzögern und dass dann das Gericht, an welches sich die Parteien im Falle eines Streites über den Inhalt des mündlichen Vorbringens wenden, oft gezwungen sei, lange Zeit nach der mündlichen Verhandlung über das, was bei dieser „von beden Partheien mündlichen Fürkhommen“ ist, eine Entscheidung zu treffen, was für den Richter mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden sei.4.3 Offenbar setzt diese Gesetzesstelle voraus, dass das mündliche Vorbringen der Parteien in erster Instanz auch für den Berufungsrichter massgebend sei und dass das factische Material, welches dem ersten Richter vorgeführt wurde, den Rahmen bildet, innerhalb dessen sich die Verhandlung und Entscheidung der Berufungsinstanz [Seite: 73] zu vollziehen hat. Denn niemals hätte die Landrechtsordnung für den Fall der Appellation die so schwierige und mühevolle Zusammenfassung des mündlichen Vorbringens in der ersten Instanz in besonderen Schriftsätzen anordnen können, wenn die Verhandlung vor dem Berufungsrichter (der niederösterreichischen Regierung) sich ebenso wie jene vor dem Landrechte auf das ganze factische und rechtliche Processmaterial erstreckt hätte.

Noch weniger zweifelhaft ist die Ausschliessung der Neuerungen in der Berufungsinstanz bei den Ordinarisachen, also in dem ordentlichen Process der niederösterreichischen Landrechtsordnung, obgleich ich auch hier ein ausdrückliches Verbot nicht zu finden vermochte. Der Ordinariprocess der Landrechtsordnung ist im Gegensatze zu dem Extraordinariverfahren rein schriftlich; jeder Partei sind in der Hauptsache drei Schriften und überdies ein schriftlicher oder mündlicher Rechtssatz gestattet, welche letztere Handlung zur Darlegung der in dem Processe vorkommenden Rechtsfragen bestimmt gewesen zu sein scheint. Ich sage, dass das Ordinariverfahren ein rein schriftliches war, da auch die mündlichen Rechtssätze keineswegs dem Gerichte blos mündlich bekannt gegeben, sondern von dem Landschreiber in das Protokoll geschrieben wurden und erst in dieser schriftlichen Form — ähnlich wie die protokollarischen Vorträge der Parteien in dem pseudomündlichen Verfahren des gemeinen Rechtes und der österreichischen allgemeinen Gerichtsordnung — zur Kenntniss des urtheilenden Gerichtes gelangten.4.4 Erwägt man nun, dass selbst in dem rein mündlichen Extraordinariprocess der Landrechtsordnung die Vorführung neuen Beweisstoffes in der Berufungsinstanz unstatthaft war, so kann die Ausschliessung dieser Rechtswohlthat in dem schriftlichen Ordinariprocess keinem gegründeten Zweifel unterliegen. Denn gerade die Schwierigkeit, den Inhalt der mündlichen Verhandlung vor dem [Seite: 74] ersten Richter in authentischer Form zur Kenntniss der Berufungsinstanz zu bringen, fällt im schriftlichen Verfahren vollständig hinweg, da hier die Ausführungen der Parteien vor der ersten Instanz durch ihre schriftliche Form dauernd fixirt sind. Gewiss kann man also voraussetzen, dass ein Gesetz, welches die Ausschliessung der Neuerungen in der Berufungsinstanz selbst für das rein mündliche Verfahren trotz mancher entgegenstehender Schwierigkeiten durchführt, an diesem Principe um so mehr in Ansehung des schriftlichen Processes festgehalten hat.

Auch fehlt es in der Landrechtsordnung nicht an einzelnen Bestimmungen, welche sich nur unter jener Voraussetzung erklären lassen. Dahin gehört zuvörderst die Bestimmung dieses Gesetzes, dass die Parteien sich in den Schlussschriften jeder Neuerung enthalten und im Falle der Uebertretung dieses Gebotes von dem Gerichte bestraft werden sollen.4.5 Welchen Sinn hätte eine solche Strafandrohung gehabt, wenn die Einführung von Neuerungen sogar in der zweiten Instanz, also in einem viel weiter vorgeschrittenen Stadium des Processes, ein gesetzlich zulässiger Vorgang gewesen wäre?4.6 Dann aber spricht zweitens für meine Auffassung auch der Umstand, dass die Landrechtsordnung nirgends für den Fall der Einführung von Neuerungen in der Berufungsinstanz die Ableistung [Seite: 75] eines Calumnieneides vorschreibt, wie ihn selbst das gemeine Recht, welches doch in unserer Frage auf dem römisch-canonischen Processrecht beruht, dem Producenten von neuen Thatsachen und Beweismitteln in der Berufungsinstanz auferlegt. Allerdings kennt auch unser Gesetz einen Eid, welchen der Appellant bei Einlegung dieses Rechtsmittels zu leisten hat; allein dieser Eid bezieht sich nicht auf unsere Frage, sondern enthält lediglich die Betheuerung, dass die appellirende Partei das Rechtsmittel nicht aus Gefährde und zur Verlängerung des Rechtsstreites ergreife.4.7

Die Ausschliessung von Neuerungen in der Berufungsinstanz erscheint auch in dem chronologisch zunächst folgenden niederösterreichischen Civilprocessgesetze: „der Gerichts-Process-Ordnung des Landsrechtens des hochlöblichen Erzherzogtums unter der Enns“ vom 18. Februar 15574.8 festgehalten. Die Durchführung dieses Principes in dem erwähnten Gesetze ist dadurch erheblich erleichtert, dass es das rein mündliche Verfahren der früheren Landrechtsordnung in Extraordinarisachen nicht mehr kennt, dasselbe vielmehr ausdrücklich aufgehoben und durch ein rein schriftliches Verfahren ersetzt hat.4.9 Das schwierige und oft gewiss langwierige Verfahren, durch welches die frühere [Seite: 76] Landrechtsordnung im Extraordinariprocesse den Inhalt des mündlichen Vorbringens in erster Instanz schriftlich zu fixiren sucht, ist nunmehr nicht nothwendig, das Berufungsgericht lernt jetzt den Inhalt der Parteienvorträge immer in derselben Form kennen, in der dieselben von den Streittheilen der ersten Instanz vorgelegt worden sind. Die Gerichts- und Process-Ordnung von 1557 begnügt sich deshalb, den ersten Richter anzuweisen, bei Aufrichtung der Appellation „alles das, so von den Partheyen fürkhommen, darauff gehandelt, geurtheilt oder verabschiedt worden, ordentlich und vleissig darein (nämlich zu den Acten) zu schliessen, damit in erledigung der Appellation, khain jrrung mangl oder abgang erscheine noch befunden werde“.4.10 Auch nach diesem Gesetze soll also dem Berufungsrichter der ganze Inhalt der Verhandlung vor der ersten Instanz, aber auch nur dieser als Grundlage seiner Entscheidung dienen.

Mit Rücksicht auf die angeführten Gesetzesstellen, welche das Verbot der Neuerungen in der Berufungsinstanz wohl voraussetzen, aber nicht vollständig deutlich aussprechen, wird jenes Princip von den späteren österreichischen Juristen zwar allgemein anerkannt, jedoch nicht sowohl auf ein ausdrückliches Gesetz, sondern auf einen niederösterreichischen Landesgebrauch zurückgeführt. So sagt Suttinger in seinen Observationes practicae (1. Aufl. 1650 und später noch öfter) Nr. 94, „dass in Zusammenrichtung der Akten weder weniger noch mehr, sondern blos allein das gelegt wird, was bei der Erkandtnuss fürkommen, Remedium enim l. I. C. de temp. app. id est non deducta deducere et non probata probare, de notoria nimis consuetudine locum non habet." Und Nikolaus v. Beckmann in seiner Idea juris statutarii et consuetudinarii Stiriaci et Austriaci cum jure Romano collati, Gratz 1688, S. 23 drückt sich über unsere Frage folgendermassen aus: „Es muss aber in Appellationssachen nach löbl. Wienerischen Landesgebrauch regulariter [Seite: 77] nichts Neues in judicio superiori von Appellanten eingemischt werden, sondern es sollen nur die vorigen Acten so in foro inferiori proponiret und examiniret werden, in foro superiori aufs Neue recht genau examiniret werden, num inferior judex recte vel male judicaverit."

In dieser Form, nämlich als ein durch die Gewohnheit sanctionirter Rechtssatz erhielt sich die Ausschliessung der Neuerungen in zweiter Instanz auch in der folgenden Zeit. Ausdrücklich anerkannt wurde jener Rechtssatz zunächst für die dritte Instanz, indem die Revisionsordnung vom 27. Juli 1655 §. VIII4.11 verfügt, „dass weder in der Supplication oder Revision noch der darauf gefolgten Gegen-Revisions-Schrifft ichtwas neues vorgebracht oder da es vorgebracht, nicht in acht genommen, sondern gänzlich als eine Neuerung verworfen werden soll“. Rücksichtlich der Vorführung von neuen Thatsachen und Beweismitteln in der zweiten Instanz schweigen dagegen noch die Rechtsquellen dieser Zeit. Auch das Appellationsedict vom 13. März 16704.12 macht von unserem Rechtssatze keine Erwähnung, obgleich es das ganze Appellationsverfahren mit ziemlicher Ausführlichkeit ordnet. Erst die „Advokatenordnung bey dem Wiennerischen Stadt- und Landgericht“ vom 4. Mai 1700(?) §. 794.13 bestimmt ausdrücklich: „In denen also schrifftlich abführenden Appellationsprozessen sollen keine anderen Schriften oder Nothdurfften, ausser denen jenigen Instrumenten und Behelff, so bei der Mündlichen Nothdurffts-Handlung pro et contra producieret worden, bei Straff vier Reichsthaler gelegt- und nichts darauf erkennet werden, welches dann sub eadem Poena in denen anderen Processen, bey denen zwei letzteren Schrifften, dann in denen Extraordinari-Rechten, bei denen Auff- und Gegenschreiben in allweeg zu observieren, auch bei der Collationirung darzu zu notieren: Neuerung, worauff nichts zu erkennen.“ Auch [Seite: 78] das Verbot in den letztem Schriftsätzen und Protokollen, welche die Parteien dem ersten Richter vorlegen, neue Thatsachen und Beweismittel vorzuführen, findet sich in den Gesetzen des 17. und 18. Jahrhunderts häufig wieder.4.14

Aehnlich wie in dem niederösterreichischen Processrechte erscheint auch in den übrigen innerösterreichischen Provinzen die Vorführung neuer Beweismittel in der zweiten Instanz ausgeschlossen, ohne Rücksicht, ob das Verfahren, wie z. B. in Steiermark, ein mündliches oder, wie in den manchen anderen innerösterreichischen Kronländern, ein schriftliches war. Von den Provinzen, in welchen das Verfahren ein vorherrschend schriftliches war, will ich hier nur noch auf das oberösterreichische Verfahren hinweisen. Die überaus kurze „Ordnung des Landsrechtens des Erzherzogthumb Oesterreich ob der Enns“ v. 10. Sept. 15354.15 steht in Beziehung auf das Beneficium novorum wohl ganz auf demselben Standpunkte, wie die niederösterreichische Landrechtsordnung von 1540, mit der sie auch in anderen Punkten die grösste Aehnlichkeit besitzt und welcher sie augenscheinlich in den meisten Beziehungen zur Grundlage gedient hat. Sie kennt so wie jenes Gesetz ein schriftliches Ordinariverfahren und ein rein mündliches Extraordinariverfahren und das Verbot von Neuerungen in den letzten Schriften des Ordinariverfahrens findet sich auch in diesem Gesetze wieder. Dagegen ist ihr das eigenthümliche [Seite: 79] Verfahren unbekannt, welches die niederösterreichische Landrechtsordnung von 1540 vorschreibt, um den Inhalt des mündlichen Vorbringens in erster Instanz authentisch zur Kenntniss des Berufungsrichters zu bringen, indem sie im Extraordinariprocesse, welcher nach diesem Gesetze zumeist blos auf die minderwichtigen Incidenzsachen zur Anwendung gebracht wurde4.16, in Gemässheit eines alten oberösterreichischen Landesbrauches die Appellation vollständig ausschliesst.4.17 Auch die oberösterreichische Landrechtsordnung vom 28. Jänner 1627 hat diesen Rechtszustand in keiner Weise modificirt, wie sie denn überhaupt eine fast wörtliche Wiedergabe der älteren oberösterreichischen Landrechtsordnung ist und von einem Einflüsse der bedeutenden legislatorischen Arbeiten, welche inzwischen in den übrigen österreichischen Provinzen vorgenommen worden waren, so gut als Nichts wahrnehmen lässt.4.18 [Seite: 80]

Neben diesen provinziellen Processordnungen, welche auf dem Principe der Schriftlichkeit beruhen, ist eine Anzahl von Processrechten vorhanden, welche ein mündliches Verfahren vorschreiben, aber gleichwohl an der Ausschliessung der Neuerungen in der zweiten Instanz festhalten. Zu dieser zweiten Gruppe gehört das steierische, krainische und tirolische Recht.

Was zuvörderst das steierische Provinzialrecht betrifft, so ist dasselbe, wie in vielen anderen Punkten, so auch für unsere Frage deshalb von hoher Wichtigkeit, weil es das Civilverfahren in allen Instanzen rein mündlich ausgebildet und in dieser Form bis in die späteste Zeit erhalten hat. Es ist daher in hohem Grade interessant, zu sehen, durch welche Mittel das steierische Processverfahren die beiden scheinbar widersprechenden Principien der reinen Mündlichkeit und der Begrenzung des oberrichterlichen Prüfungsrechtes zu vereinigen weiss.

Schon in „des löblichen Fürstenthum Steyr bestättung der Newen Reformation des Landsrechtens daselbst“, von welcher mir ein Druck aus dem Jahre 1533 vorliegt,4.19 wird verfügt, dass in der Ausführung der Appellation „die sachen nicht anders, dann wie in Recht fürkhommen, gestellt werden“.4.20 Die Ausschliessung der Neuerungen in der Berufungsinstanz ist also schon in diesem Gesetze mit grosser Deutlichkeit ausgesprochen. Dieser Grundsatz wird ähnlich wie in der ältesten niederösterreichischen Landrechtsordnung [Seite: 81] in der Weise durchgeführt, dass die beiden Parteien den Inhalt ihres mündlichen Vorbringens vor dem ersten Richter bei der Aufrichtung der Appellation schriftlich zusammenfassen. Eine Modification erleidet dieses Verfahren aber im steirischen Processe dadurch, dass zur Controle jener schriftlichen Fixirung zwei „Gedenkherren“ aufgestellt werden, welche die Bestimmung haben, als unparteiische Zeugen des ganzen Vorganges vor der ersten Instanz zu dienen. Diese Gedenkherren werden nach der citirten Landrechtsordnung wahrscheinlich von den Parteien gewählt und jedenfalls dem Kreise der bei der Verhandlung anwesenden Gerichtsbeisitzer entnommen. Stimmen die Parteien bei der Aufrichtung der Appellation über den Inhalt des mündlichen Vorbringens in der ersten Instanz nicht überein, so haben zunächst die von ihnen gewählten Gedenkherren zu entscheiden. Entsteht auch zwischen diesen ein Streit, so hat der Landeshauptmann unter Zuziehung von mindestens vier Beisitzern, welche bei der Verhandlung zugegen gewesen sind, darüber zu erkennen, was als Inhalt der mündlichen Verhandlung in die Berufungsschriften der Parteien aufzunehmen ist.4.21 [Seite: 82]

Wir sehen also, dass schon der älteste steirische Process sich sowohl über das Princip der Ausschliessung von Neuerungen in der zweiten Instanz, als auch über die Mittel zur Durchführung dieses Princips vollständig klar gewesen ist.

Durch dieselben Verfahrungsarten, wenn auch in sorgfältigerer Ausführung, wird das Problem auch in "Ainer Ersamen Landschafft des Löblichen Fürstenthumbs Steyr New verfasten Reformation des Landts vnd Hofrechts daselbst Im 1574 Jar auffgericht4.22 gelöst, welches Gesetz an dem mündlichen Verfahren im Wesentlichen (Art. 66) festhält. Dasselbe bestimmt ausdrücklich (Art. 75), dass die Vertreter der Parteien „inn auffrichtung der Appellation Schriften mehreres nit, als inn Gericht fürkümmen, einbringen vnnd sich aller newerung gäntzlich enthalten“. Der Vorgang bei der Aufrichtung der Appellation ist in den Hauptpunkten mit jenem nach der älteren Landrechtsordnung identisch und wird jetzt auch erwähnt, dass die Parteien und ihre Gedenkherren bei Fixirung des mündlichen Vorbringens vor dem ersten Richter das Protokoll des Gerichtsschreibers, dann die Adnotate der Gerichtsbeisitzer und der Parteienvertreter über den Gang der mündlichen Verhandlung zu Rathe ziehen sollen.4.23 Auch ist in dem Gesetze nunmehr ausdrücklich verordnet, dass die Parteien ihre Gedenkherren aus der Zahl der Gerichtsbeisitzer zu entnehmen und diese Wahl sofort nach Einlegung der Appellation zu vollziehen haben.4.24 [Seite: 83]

Die Vorschriften, welche die steirische Landrechtsordnung vom Jahre 1574 über die Neuerungen in zweiter Instanz aufstellt, erscheinen in „des löblichen Fürstenthums Steyer Gerichtsordnung“ vom 30. März 16224.25 fast wörtlich wiederholt.4.26 Da dieses Gesetz meines Wissens bis zur Einführung der A.G.O. gegolten hat, so erscheint also im steirischen Process, obgleich derselbe das Princip der Mündlichkeit consequent festgehalten hat, das beneficium novorum in zweiter Instanz seit den frühesten Zeiten ausgeschlossen.

Obwohl dieser Darstellung zufolge die steirischen Gesetze über unsere Frage vollständig klar und unzweideutig sind, so scheint sich doch die Rechtsanwendung gerade in Beziehung auf unsere Frage vielfach von dem strengen Wortlaute des Gesetzes entfernt zu haben. Die Ausschliessung der Neuerungen in zweiter Instanz setzte augenscheinlich voraus, dass die schriftliche Fixirung des mündlichen Vorbringens vor dem ersten Richter, welche die Parteien oder das Gericht bei der Aufrichtung der Appellation vorzunehmen hatten, auch mit der gehörigen Umsicht und Genauigkeit erfolge, weil sonst die Gefahr vorhanden war, dass den Parteien im Berufungsverfahren der Spielraum für die Durchsetzung ihrer Rechte in Vergleich mit der ersten Instanz nicht nur nicht erweitert, sondern sogar noch erheblich geschmälert werde. War dagegen die Aufrichtung der Appellation mit geringerer Sorgfalt verfasst worden, welcher Fall gewiss nicht selten eintrat: so musste bei den Parteienvertretern wie auch bei dem [Seite: 84] Gerichte das natürliche Streben entstehen, die in der ersten Instanz begangenen Fehler im Berufungsverfahren nach Möglichkeit wieder gut zu machen. Dieses Streben musste insbesondere in steierischen Rechtssachen hervortreten, da diese nach dem Zeugniss Beckmann’s auch in zweiter Instanz von der niederösterreichischen Regierung als gemeinsamem Appellhofe der innerösterreichischen Lande mündlich verhandelt wurden, während die Rechtsstreite aus den übrigen innerösterreichischen Provinzen an jenen Gerichtshof lediglich in schriftlicher Form gelangten. „Alle Steyrischen Appellationsprocess,“ sagt Beckmann, Idea S. 24, „werden regulariter vor der hochlöblichen Regierung von den Advocaten pro und contra in dero Vorträge und Schlussrede mündlich proponieret und nach der Advocaten Rechtssatz regulariter decidieret: Die Appellationsprocess aber, so auss Kärnten, Krain, Görtz, Triest, St. Veith etc, zu der hochlöbl. Regierung kommen, werden regulariter alle schriftlich übergeben, und von Ihre hochgräfl. Excellentz dem Herrn Stadthalter, denen Herren Räthen zu referieren gegeben, und wenn das Referat vom Herrn Referendario in pleno erstattet, wird hierüber von denen sämmtlichen Herren Rathen votieret und juxta majora sententionieret. In hoc appellatorio judicio Stiriaco ist dieses zu observieren, dass, wenn die streitenden Partheyen, ein Steyrischen Appellationsprocess mündlich vortragen, so heisset es bei ihnen gemeiniglich: non probata probabo, non deducta deducam." Doch wurde diese Praxis in Hinblick auf den klaren Inhalt des Gesetzes wohl immer als ein gesetzwidriger Missbrauch angesehen, und auch Beckmann kann dieselbe an einer anderen Stelle nur dadurch rechtfertigen, dass im mündlichen Appellationsverfahren Neuerungen thatsächlich nicht leicht vermieden werden können, auch wenn der Gegner dagegen feierlich Verwahrung einlegt. (Beckmann, Idea juris S. 23.)

Im Wesentlichen von denselben Principien wie der steirische Process gingen ohne Zweifel auch die Gerichtsordnungen aller übrigen Provinzen ans, von welchen die [Seite: 85] Appellation an die niederösterreichische Regierung ging. Die mir vorliegende „New aufgerichte Landtsrechtsordnung des Ertzhertzogthumbs Kärndten“ vom 1. Juni 15774.27 Art. 16 ist wenigstens nichts als eine fast wörtliche Wiedergabe der betreffenden Stellen der steirischen Landrechtsordnung vom Jahre 1574. Nur darin bestand zwischen dem Processrechte Steiermarks und der übrigen Provinzen allerdings ein erheblicher Unterschied, dass die steirischen Appellationssachen, wie ich bereits oben bemerkt habe, auch in der zweiten Instanz mündlich plaidirt wurden, während aus den anderen Provinzen an die niederösterreichische Regierung lediglich die schriftlichen Appellationsaufrichtungen überreicht wurden.

Nicht so klar ist das Verhältniss, in welchem das tyrolische Landesrecht zu der hier behandelten Frage steht. Gewiss ist, dass die Appellation in tyrolischen Rechtssachen nicht an die niederösterreichische Regierung ging, sondern dass die Processe dieses Landes auch in zweiter Instanz von provinziellen Appellationsgerichten entschieden wurden, so dass das Verfahren bei der niederösterreichischen Regierung keinen Rückschluss auf die Einrichtung des tyrolischen Appellationsverfahrens gestattet. Doch dürfte die etwas dunkle Bestimmung der beiden Landesordnungen von 1532 und 1573 4.28, dass bei Aufrichtung der Appellation „das Fürnemen (die Vorträge der Parteien?) vnd die Vrsachen der Vrtail in die Acta und den Process eigentlichen [Seite: 86] gesetzt, darmit die Vrtailen dester fürderlicher in den Gedingen erledigt werden mögen“, wohl hieher zu beziehen sein4.29 und auf die Ausschliessung der Nova in zweiter Instanz hindeuten.4.30

Der Rechtszustand der sämmtlichen deutsch-österreichischen Provinzen mit Ausnahme von Böhmen und seinen ehemaligen Nebenländern lässt sich daher für die Zeit vor Erlassung der allgemeinen Gerichtsordnung in folgende Sätze zusammenfassen. Die Vorführung von neuen Thatsachen und Beweismitteln in zweiter Instanz ist unzulässig. Diese Regel wird von der Rechtsübung in Betreff der Rechtssachen eines einzelnen Kronlandes, welche auch in zweiter Instanz mündlich verhandelt werden, in Folge technischer Schwierigkeiten in einer gewissen Ausdehnung thatsächlich nicht beobachtet, ohne dass jedoch diese Praxis jemals gesetzliche Anerkennung gefunden zu haben scheint.

Im Gegensatze zu diesem Rechtszustande, welcher sich in den ausserböhmischen Kronländern mit grosser Gleichförmigkeit entwickelt hat, erscheint in Böhmen und seinen früheren Nebenländern das gemeinrechtliche beneficium novorum in der Appellationsinstanz4.31 von Altersher, zum [Seite: 87] Mindesten aber seit der verneuerten Landesordnung vom Jahre 1627 angenommen. Die verneuerte Landesordnung (C. I) hebt zunächst das in Böhmen früher üblich gewesene mündliche Verfahren vollständig auf und setzt an dessen Stelle ein rein schriftliches Verfahren, welches in vielen Punkten dem heutigen österreichischen Civilprocesse zu Grunde liegt. In Ansehung unserer Frage wird zwar in dem Gesetze keine ausdrückliche Bestimmung getroffen, doch schreibt das Gesetz vor (C. XXXVIII), dass in der ersten Instanz neue Thatsachen und Beweismittel nach der für die Production derselben gesetzlich bestimmten Frist nur dann vorgeführt werden dürfen, wenn der Producent einen in dem Gesetze näher bestimmten Calumnieneid ablegt. Die fragliche Stelle der verneuerten Landesordnung lautet folgendermassen:
„Vnd ob wol zur Verhüttung allerhand Confusion vnd Weitleufftigkeiten eine jede Parthey seine Zeugen vnd Rechtsinstrumenten (darmit sie Ihre intention zu erweisen vermaint) bey denen Schrifften anziehen vnd keines, darvon jhnen bewust, auszlaszen sol, Auch ein gewisser terminus zu producierung solcher Zeugen vnd Instrumenten bey einer jeden Schrifft bestimbt worden; Jedoch wan sie etwan zu Beweisung derer in ihren Schrifften gesezten Artikuln newe Zeuge in Erfarung brechten, oder auch newe Instrumenta fünden, vnd entweder mit einem Aid erhielten, dasz sie solche Zeugen oder Instrumente erst von newem erfahren oder gefunden, vnd dasz sie dieselben nicht calumniose vnd zur Verlengerung der Sach vorbrechten oder solches sonst genugsamb vnd also bescheinigten, dasz das [Seite: 88] Gegentheil oder dessen Procurator nichts erhebliches auffzubringen: So mögen obberürte Zeugen vnd Instrumenta (wan sie gleich in denen Schrifften nicht benent) bisz nach eingebrachter Duplica vnd Verlauf der Zehen Tag, so bisz zu Publicierung der Zeugen eingesetzt, produciert werden. Welches dan gleicher massen stat hat, wan ein Zeuge ausser Landes oder sonst dergleichen vorfiehle, daran der producent keine Schuld hette.“

Augenscheinlich lag es sehr nahe, aus dieser strengen Behandlung der Neuerungen in der ersten Instanz auf ein ähnliches Verhältniss in der zweiten und dritten Instanz zu schliessen, wie ich denn oben selbst in mehreren Fällen dieselbe Schlussfolgerung gezogen habe. Dieser Schluss wurde in der That in dem königlichen Appellationsgutachten wegen Combinirung der königlichen Stadtrechte4.32 mit der verneuerten Landesordnung vom 14. Dec. 16414.33 gemacht, welches sich über die Zulässigkeit von Neuerungen in zweiter Instanz folgendermassen ausspricht:
„Dasz in bemeldete beede Instantien — der Appellation und der Leuteration — (wie solches herbevor auch jederzeit observieret worden) keine weiteren probationes zulässig sein sollen: es wäre dann, dass allererst nach publicierten Urthel ein neues Instrument oder neue unverhoffte Zeugen, von einer oder der anderen Part in Erfarung gebracht würden, argumento dessen so in vorallegierten [Seite: 89] Königlichen Landes-Ordnung C. 38 heilsamlich statuieret ist, damit dergestalt die arme Partheien nicht gar zu lang aufgezogen und umgetrieben, noch lis ex lite erweckt oder gar immortalis gemacht werde, welches da in gedachten Instantien neue probationes und Zeugenführungen admittiret werden solten, unfehlbar würde erfolgen müssen.“

Es ist klar, dass durch diese Bestimmungen des königlichen Appellationsgutachtens das beneficium novorum im Vergleich zu dem römischen Recht, zu der deutschen Reichsgesetzgebung, ja sogar zu der verneuerten Landesordnung selbst sehr erheblich eingeschränkt wurde. Denn der Appellationseid, welchen der Appellant nach dem J. R. zu schwören hat, lautet dahin, „dass er seines angegebenen neuen An- und Vorbringens nicht Wissenschaft gehabt oder solches dermalen nicht einbringen können oder einzubringen nicht für dienlich oder nöthig erachtet habe“. Nach dem königlichen Appellationsgutachten darf der Appellant in der Berufungsinstanz nur dann neue Thatsachen und Beweismittel vorführen, wenn er von denselben während der Verhandlung vor dem ersten Richter keine Kenntniss gehabt, nach dem J. R. A. sind dagegen Neuerungen in der zweiten Instanz überdies auch zulässig, wenn der Producent sie in dem ersten Verfahren aus einem anderen Grunde als dem der Unkenntniss nicht zu benützen vermocht, ja selbst wenn er deren Vorführung für seine processualischen Zwecke nicht dienlich erachtet hat. Auch die verneuerte Landesordnung gestattet an der citirten Stelle die nachträgliche Anführung von neuen Thatsachen und Beweismitteln in allen Fällen, wo der Producent an der verspäteten Production ausser Verschulden ist, und führt deshalb nicht zu jenen Consequenzen welche, das königliche Appellationsgutachten aus derselben für das Berufungsverfahren zu ziehen scheint. Ohne Zweifel hat zu jener durchgreifenden Einschränkung der Neuerungen in der zweiten Instanz der in den übrigen österreichischen Provinzen herrschende Rechtszustand beigetragen, wie sich [Seite: 90] denn auch nicht leugnen lässt, dass das beneficium novorum in dieser engen Begrenzung zum grossen Theile nicht die Bedenken erregt, welche der schrankenlosen Zulassung von neuem Beweismaterial in den höheren Instanzen sonst entgegenstehen.4.34

In dieser beschränkten Geltung erhielt sich das beneficium novorum in Böhmen bis in die spätere Zeit, wie es scheint bis zur Erlassung der A. G. O. In den späteren Gesetzen, welche das Appellationsverfahren regeln, z. B. in der königlichen Appellationsinstruction für Böhmen, Mähren und Schlesien vom 20. Nov. 16444.35, wird desselben nicht ausdrückliche Erwähnung gethan, vielmehr die fortdauernde Geltung des königlichen Appellationsgutachtens in Böhmen vorausgesetzt. Was dagegen die beiden ehemaligen böhmischen Nebenländer, nämlich Mähren und Schlesien, betrifft, so liegt mir aus dieser Zeit nur ein schlesisches Gesetz über unsere Frage vor, während ich über das Verhältniss des mährischen Landesrechtes zu dem beneficium novorum kein bestimmtes Zeugniss aufzufinden vermochte.4.36 Das oben erwähnte königliche Appellationsgutachten hatte lediglich den Zweck, eine Anzahl von Zweifeln und Widersprüchen zwischen der verneuerten böhmischen Landesordnung und den böhmischen Stadtrechten [Seite: 91] zu beseitigen, es konnte daher auf Mähren und Schlesien schon nach der Absicht der Verfasser keine Anwendung leiden. In Schlesien erhielt sich daher das beneficium novorum in dem weiten Umfange, in welchem dieses Rechtsmittel durch die justinianische Compilation ausgebildet erscheint. Erst durch das königliche Appellationspatent für Schlesien vom 26. Sept. 1674, Abs. 24.37 wurde die Rechtswohlthat in ähnlicher, wenn auch minder durchgreifender Weise eingeschränkt, wie dies in den eigentlich böhmischen Landestheilen bereits durch das königliche Appellationsgutachten geschehen war. Das königliche Appellationspatent für Schlesien sagt nämlich:
"... Damit auch so viel möglich die Administration der heilsamen Justiz befördert, allen gefährlichen Umtrieb gesteuert und denen biszhero verspührten Miszbrauchen der Weg verschränket werden möchte, haben Wir das ex Jure communi sonsten frei zu gebrauchen bevorstehende Beneficium deducendi non deducta et probandi non probata dahin allergnädigst restringieret, dasz künftig keine neue Zeugenführung und instrumenta in proccssa secundae instantiae statt haben sollen, es wäre dann Sach, dass sowohl Appellans als der Advocat per iuramentum calumniae behaupten, dasz sie derley Zeugenführung ohne Gefährde einwenden oder von denen noviter productis instrumentis in prima instantia nichts gewuszt oder da sie davon gewuszt gehabt, solche gleichwol dazumal nicht zu Handen bringen können.“

Die citirte Gesetzesstelle ist nicht ganz correct gefasst, da sie neben den zwei Fällen, wenn die Partei den neuen Beweis bei der Verhandlung in der ersten Instanz nicht kannte oder denselben nicht anzuführen vermochte, ganz [Seite: 92] im Allgemeinen und zwar in erster Reihe den Mangel an Gefährde als hinreichenden Entschuldigungsgrund für die Vorführung von neuem Beweismaterial in zweiter Instanz anführt. Denn wenn es wirklich hinreicht, dass der Zeugenführer neue Zeugen ohne Gefährde anbietet, so brauchten die beiden anderen Fälle nicht besonders genannt zu werden, da dieselben schon an und für sich eine gefährliche Absicht des Beweisführers ausschliessen. Der Sinn jener Gesetzesstelle kann also nur sein, dass die Vorführung von Neuerungen in der Berufungsinstanz blos dann zulässig ist, wenn der Mangel chicanöser Gesinnung bei Anbietung der Nova sich daraus ergibt, dass der Beweisführer von der Existenz derselben in der ersten Verhandlung keine Kenntniss hatte oder doch an deren Production aus anderen Gründen thatsächlich verhindert war. Auch nach dieser einschränkenden Deutung war aber der Rechtswohlthat der Neuerungen durch das schlesische Appellationspatent ein weiterer Spielraum als nach altböhmischem Processrecht gesichert, da in Schlesien Neuerungen auch dann in zweiter Instanz angeboten werden konnten, wenn der Appellant dieselben dem ersten Richter aus anderen Gründen als dem der mangelnden Kenntniss nicht vorzulegen im Stande war. Im Vergleiche mit dem gemeinen deutschen Processe ist dagegen unsere Rechtswohlthat im schlesischen Rechte erheblich eingeengt, da in Schlesien die Production von neuem Beweisstoff im Berufungsverfahren ausgeschlossen war, wenn der Beweisführer die Thatsachen in der ersten Instanz nur deshalb nicht benützt hatte, weil er dies seinen processualischen Zwecken für entsprechend hielt.

Der gesammte Rechtszustand der deutsch-österreichischen Länder in Ansehung unserer Frage lässt sich daher in folgende Sätze zusammenfassen. In den ausserböhmischen Kronländern war die Vorführung von neuem Beweisstoffe im Berufungsverfahren unbedingt ausgeschlossen. In Böhmen und seinen vormaligen Nebenländern war zwar die Rechtswohlthat der Neuerungen von Altersher [Seite: 93] angenommen, doch war der Umfang ihrer Anwendung in den einzelnen Landestheilen verschieden.

Dieser Gegensatz wurde in dem ersten umfassenden Processgesetze für die deutschösterreichischen Kronländer: der allgemeinen Gerichtsordnung vom 1. Mai 1781, aufgehoben, indem dieses Gesetz für die gesammten erbländischen Provinzen die Auffassung der innerösterreichischen Länder adoptirte. Die A. G. O. (§. 257) bestimmt nämlich, dass in der Appellationsbeschwerde weder ein anderer Geschichtsumstand noch ein anderes Beweismittel angeführt werden soll, als jene, worüber bei der ersten Instanz gesprochen worden ist; wenn dennoch dawider gehandelt würde, soll auf eine solche Neuerung keine Rücksicht getragen werden. Diese Vorschrift überging wörtlich gleichlautend in den §. 333 der westgalizischen Gerichtsordnung vom 19. December 1796. Auch das Hofkanzleidecret vom 18. October 1845 über das summarische Verfahren, welches die der allgemeinen und der westgalizischen Gerichtsordnung eigenthümliche starre Strenge in der Durchführung des Eventualprincips wenigstens in Ansehung des Verfahrens vor der ersten Instanz so erheblich milderte (§. 25), hat doch an der Ausschliessung der Neuerungen in dem Berufungsverfahren festgehalten. Ebenso untersagt das neueste österreichische Processgesetzbuch: die ungarische Civilprocessordnung vom 16. September 1852, welche jenen milderen Principien des summarischen Verfahrens ein erweitertes Gebiet der Anwendung eröffnet hat (§. 46 C. P. O.), die Vorführung von neuem Beweisstoff bei der Appellation gegen Urtheile (§. 326 C. P. O.) und gestattet nur bei der Berufung gegen Interlocute (Recurs) die Benützung von neuen Umständen und Beweismitteln, wenn das Interlocut ohne Vernehmung des Beschwerdeführers auf einseitiges Gesuch des Gegners erfolgt ist. (§. 312 C. P. O.)4.38 Erst die neuesten Entwürfe [Seite: 94] einer Civilprocessordnung (Regierungsvorlage von 1867 und Entw. des Abgeordnetenhauses von 1869 §. 666) haben mit dieser uralten Tradition des österreichischen Processes gebrochen und bestimmen, dass der Rechtsstreit vor dem Berufungsgerichte so weit von Neuem verhandelt wird, als innerhalb der gestellten Begehren die geltend gemachten Beschwerden dazu Veranlassung geben, dass folglich die Parteien hiebei, sofern das Gesetz nicht etwas Anderes bestimmt, neue Thatsachen und Beweismittel vorbringen können. Da jedoch in dieser wie in anderen Beziehungen der Einfluss des französischen Rechtes auf die österreichischen Entwürfe sichtbar ist, so werden diese passender in dem folgenden Paragraph Erwähnung und Erörterung finden.

Fußnoten
4.1.
Die Im Texte gegebene historische Darstellung soll die Entwicklung unserer Rechtswohlthat von der Zeit an zur Anschauung bringen, wo die Reception des römisch-canonischen Processes in den österreichischen Gerichten eine vollendete Thatsache ist. Bei dem vollständigen Mangel einer österr. Quellengeschichte konnte selbstverständlich dieser historische Versuch nur sehr mangelhaft ausfallen. Ich habe, um zukünftige Arbeiten dieser Art zu erleichtern, von den einzelnen mir zugänglichen Civilprocessgesetzen eine kurze Beschreibung gegeben.
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4.2.
Die Landrechtsordnung vom 12. April 1540 liegt mir in einer Ausgabe aus demselben Jahre vor, welche in der Wiener Universitätsbibliothek die Bezeichnung ius. civ. austr. III, 44 führt. Das Gesetz ist ausserordentlich kurz gefasst (20 Blätter sehr weiten Drucks) und enthält nicht eine vollständige Civilprocessordnung, sondern nur eine Reihe von — allerdings sehr wichtigen — Detailbestimmungen, durch welche den bei dem Landrecht eingerissenen Missbräuchen gesteuert und "gebüerunde Zucht und Erberkhait" wieder hergestellt werden soll. Der Einfluss des gemeinen Processes ist in dem Gesetze schon überall sichtbar,
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4.3.
L. R. O. fol. 15. b; 16. a.
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4.4.
L.R.O. fol. 2.a
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4.5.
L. R. O. fol. 1. b.
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4.6.
Einen ähnlichen Schluss machen die gemeinrechtlichen Schriftsteller in Ansehung unserer Rechtswohlthat, indem sie die in einzelnen Territorien bestehende peremptorische Beweisfrist auch auf das neue thatsächliche Vorbringen in II. Instanz anwendbar erklären, obgleich die Reichsgesetze eine solche Einschränkung der Rechtswohlthat nirgends andeuten. S. oben §. 3, Note 11. Mit weit grösserem Rechte kann man schliessen, dass eine Gesetzgebung, welche das neue thatsächliche Vorbringen in der ersten Instanz (nicht blos dessen Beweis) an gewisse Fristen gebunden hat, das beneficium novorum ausschliesst, zumal wenn sie nicht, wie dies in den Reichsgesetzen der Fall ist, die Rechtswohlthat der Neuerungen ausdrücklich oder stillschweigend gewährt.
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4.7.
Der Appellationseid der L. R. O. (fol. XVI. b.) ist ein gewöhnlicher Calumnieneid, wie derselbe bei den Appellationen nach den deutschen Reichsgesetzen auch schon vor dem J. R. A. üblich war. (S. oben §. 3, Note 9.) Derselbe lautet: "Ich Schwer ainen Aidt zu Gott vnd den heilligen, Das ich die Appellation, in diser sachen vnd Rechtferttigung nicht aus geuer oder verlenngerung derselben sachen, vnd Rechtferttigung, sonnder allain vmb pessers Rechtens willen thue."
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4.8.
Die Landrechtsordnung vom 18. Febr. 1557 ist zufolge des Kundmachungspatentes bestimmt, die Landrechtsordnung vom 12. April 1540 zu ersetzen. Dieselbe ist weit ausführlicher gefasst als das letztere Gesetz und lässt sich in der Anordnung des Ganzen und in zahlreichen Detailbestimmungen der Einfluss der C. G. O. v. J. 1555 wahrnehmen. Ich citire in dem Nachfolgenden nach der Ausgabe, welche in Wien bei Stefan Kreutzer 1584 erschienen ist und in der Bibliothek der Wiener Universität die Bezeichnung Jus. c. austr. III, 48 trägt.
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4.9. ↑ (Zurück)
4.10.
a. a. O. fol. XXXIII, 6.
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4.11. ↑ (Zurück)
4.12. ↑ (Zurück)
4.13. ↑ (Zurück)
4.14.
Edict vom 28. März 1681 (Codex Austr. Bd. 1, S. 25) §. 18; Advokatenordnung bei dem Wiennerischen Magistrat vom 12. März 1688 (Cod. Austr. Bd. 1, S. 35). Auch das Edict vom 6. Mai 1681 (C. A. Bd. 1, S. 30), dann vom 28. Aug. 1686 (C. A. Bd. 1, S. 234) beziehen sich auf jene Fälle, in welchen die niederösterreichische Regierung in I. Instanz (und nicht als Appellhof) entschied.
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4.15.
Die oberösterreichische Landrechtsordnung vom 10. Sept. 1535 liegt mir in einer Ausgabe vor (Bibl. Univ. Vindob. jus. civ. austr. III, 44), welche weder paginirt ist, noch auch Titelzahlen aufweist, weshalb die Anführungen aus diesem Gesetze nur ganz allgemein gehalten sein können. Das Gesetz ist wie die beiden niederösterreichischen Landrechtsordnungen von 1540 und 1557 vom Kaiser Ferdinand I. erlassen.
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4.16.
Die Landrechtsordnung zählt eine grössere Reihe von Incidenzsachen auf, welche als Extraordinarisachen betrachtet werden sollen, z. B. das Ansuchen um Verlängerung der Beweisfrist, die Eröffnung der Zeugenaussagen etc. „vnd in Summa all annder dergleichen händl, die zwischen den Tayllen, ausser der Haubtsach nach der erganngen beyvrtl, in stritt khommen“. Diese Extraordinarisachen hatten das Privilegium, dass dieselben „die Parthey yeder zeyt so die Landssrechten besessen werden, ausser der Ordnung des Puechls mündlich fürbringen“ durfte.
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4.17.
Die L.R.O. sagt über diesen Punkt: „Was aber in Extraordinarijs obberürter massen Summarie gehört, vnd durch ainen Gerichtlichen verlass entschaiden wirdet gemaines Lanndss vnd dises Gerichts lanng hergebrachten löblichen brauch nach, da bey es auch von jr Rü. May. vnd derselben nachgesezten Regierung, bissheer gelassen worden, vmb schleinigs vnnd fürderlichs Rechtens willen, auch in ansehung, das die haubtsachen nit betrifft, sonnder dadurch auffgezogen, vnnd verhindert wird kain Appellation gestat.“
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4.18.
Diese von Ferdinand II. erlassene Processordnung liegt mir in einer Ausgabe vor, welche im Jahre 1652 in Linz bei Ulrich Kürner erschienen ist und in der Wiener Universitäts-Bibliothek die Bezeichnung Jus. civ. austr. III. 204 führt. Das Gesetz ist lediglich eine neue Ausgabe der älteren Landrechtsordnung mit den blos formellen Modificationen, welche durch den veränderten Sprachgebrauch nothwendig gemacht worden waren. Im Gegensatze zu der n. ö. Landrechtsordnung v. J. 1557 hält es das rein mündliche Verfahren in Extraordinarisachen fest. L.R.O. a. a. O. S. 7. 13.
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4.19.
In dem mir vorliegenden Drucke dieser Landrechtsordnung (Univ. Vindob. jus. civ. austr. III, 43) ist weder das Gesetz noch auch das Publicationspatent datirt, doch ist anderweit unzweifelhaft, dass diese Processordnung aus dem Jahre 1533 stammt. Das Gesetz ist wie alle Landrechtsordnungen dieser Zeit ungemein kurz und ordnet lediglich die Hauptpunkte, ohne von dem Gange des Processes eine vollkommen deutliche Vorstellung zu gewähren. Vgl. Schenk, Uebersicht des österr. Civilprocessrechtes im XVI. Jahrh. S. 119.
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4.20. ↑ (Zurück)
4.21.
Die sehr interessanten Vorschriften, welche dies alte Gesetz über den wichtigen Vorgang der „Aufrichtung der Appellation“ gibt, lauten im Wesentlichen: „... Vnnd sollen solch Dingnüss (d. i. die Appellation und deren Rechtfertigung) aus beder Redner mundt aufgericht werden vnd Ir yeder was Er also aufricht sein Parthey ehe hören lassen. Nach malls sollen sy bede schrifften jren Gedennckhern fürbringen, damit sy auch sechen, das die sachen nicht annders, dann wie in Recht fürkhomen gestellt werden. Ob sich aber die Redner darjnn nicht vergleichen, vnnd die Gedennckher darjnn auch nit ainhellig sein wurden. Alssdann sollte der Haubtmann oder Verweser, vnd vier Beysitzer erklärung darjnn thun, Aber vnnder vier Beysitzern, soll dieselb erklärung nit beschechen, der Beysitzer mögen aber auch woll mer dartzue genommen werden, so man die gehaben mag.“ Das in diesem Gesetze normirte Verfahren verdient um seiner grösseren Sicherheit und Verlässlichkeit willen gewiss den Vorzug vor der analogen Einrichtung des französischen Processes, wo der Vorsitzende allein ohne Zuziehung der übrigen Gerichtsbeisitzer die endgiltige Entscheidung über den Inhalt des mündlichen Vorbringens zu treffen hat.
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4.22.
Die steirische Landrechtsordnung vom 24. Dec. 1574 ist verhältnissmässig das vollständigste Processgesetz, welches in den österreichischen Landen vor der Allgemeinen Gerichtsordnung vom 1. Mai 1781 kundgemacht worden ist. Das Gesetz zerfällt in 81 ziemlich umfangreiche Artikel, welche mit fortlaufenden Zahlen bezeichnet sind. Ich benütze hier die im Jahr 1575 (wahrscheinlich in Graz) erschienene Ausgabe, welche in der Wiener Universitäts-Bibliothek die Bezeichnung jus. civ. aust. III, 52 führt.
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4.24. ↑ (Zurück)
4.25.
Die Landrechtsordnung vom 30. März 1622 ist eine nur in wenigen Punkten modificirte Ausgabe der Landrechtsordnung vom 24. Dec. 1574, welche Ferdinand II. nach Inhalt der Vorrede auf Anrathen der Stände deshalb erliess, weil „anzeigte Reformation, in etlichen Artickeln etwas unlauter und missverständig, auch sonsten zu reformieren und zu erklären, wie nicht weniger mit mehrern Artickeln zu verbesseren, vonnöten hatte“. Ich benütze die Ausgabe, welche von der Landrechtsordnung in Gratz 1761 erschienen ist. (Bibl. Univ. Vind. jus. civ. aust. III, 110.)
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4.26. ↑ (Zurück)
4.27.
Das Gesetz ist vom Erzherzog Carl erlassen und deutet im Kundmachungspatent auf eine frühere Landrechtsordnung hin, welche eben durch fir "new aufgerichte Landtsrechtsordnung" ersetzt werden soll. Es zählt 43 mit fortlaufeuden Zahlen bezeichnete, ziemlich umfassende Artikel. Mir liegt die officielle Ausgabe, Gräz 1578, vor (Bibl. Univ. Vindob. jus. civ. austr. II, 29).
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4.28.
Die beiden tyrolischen Landesordnungen vom 26. April 1532 und 14. Dec 1573 sind nicht wie die bisher angeführten Gesetze blosse Processordnungen, sondern sie sollen (beide in neun Büchern) das gesammte Civil-, Straf- und öffentliche Recht umfassen. Mit dem Civilprocess beschäftigt sich in beiden Gesetzen das ganze zweite Buch. Ich benütze von dem ersten Gesetze die Ausgabe, welche mit dem Privilegium Königs Ferdinand I. der „getrewe liebe Jakob Franckfurter, der Rechten Doctor“ besorgt (Univ. Vind. jus civ. aust. II, 92), von dem zweiten die Ausgabe des „getrewen lieben Hannsen Ernstinger“ (Univ. Vind. jus civ. aust. II, 84).
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4.29.
Landesordnung von 1532 u. 1573, Buch II, Art. 58.
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4.30.
Mit der im Text angenommenen Meinung scheint die „Cammergerichtordnung zu Insprugk“, III, Tit. 14 (Johann Jacob Weingarten, Fasciculi diversorum jurium, Nürnberg 1690, Bd. 1, S. 165 ff.) im Widerspruch zu stehen, da dieses Gesetz im engen Anschluss an die deutschen Kammergerichtsordnungen die Einführung neuer Thatsachen und Beweismittel in unbeschränktem Umfange gestattet; doch darf nicht übersehen werden, dass das Kammergericht in Innsbruck auch als Appellationsinstanz für die vorderösterreichischen Lande fungirte (Th. II, Tit. 2), in welchen Gebieten das beneficium novorum in seinem gemeinrechtlichen Umfange wohl niemals die Geltung verloren hatte.
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4.31.
Zur Entscheidung der Appellationen bestand in Prag ein „Appellationsrat“, welcher die Rechtssachen aus Böhmen und seinen Nebenländern in zweiter Instanz entschied. (Vergl. L. O. F. LXXIII. Declar. zur V. L. O. Dd. VIII.) Als dritte (Revisions-) Instanz fungirte vor der verneuerten Landesordnung ein Gerichtshof in Prag, das s. g. Kammerrecht (F. XXXIX ff., F. LXXIII), seither aber wurden die Revisionssachen unmittelbar von dem König in Böhmen unter Zuziehung von neun der obersten Justizräthe entschieden (F. LXXV, LXXXII). Gegen Urtheile des Prager Landrechtes gestattet die verneuerte Landesordnung nur die Revision an den König, so dass in diesem Falle nur zwei Instanzen offen standen. (F. LXXV.)
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4.32.
Die böhmischen Stadtrechte enthalten in dem Abschnitte über die Appellation (C. 4 ff.) keine Bestimmung über unsere Rechtswohlthat und worden in Folge dessen in den städtischen Gerichten wohl die römisch-canonischen Vorschriften darüber beobachtet, während in den Gerichten, für welche das Verfahren der verneuerten Landesordnung galt, in Betreff unserer Frage wohl seit jeher die Analogie der im C. XXXVIII enthaltenen Bestimmung in Anwendung gebracht wurde. Das im Texte citirte Gesetz hatte augenscheinlich den Zweck, diesen ungleichförmigen Rechtszustand zu beseitigen.
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4.33.
Johann Jacob Weingarten, Codex Ferdinandeo-Leopoldino-Josephino-Carlinus, Prag 1720. S. 217—221. Die citirte Stelle ist im zweiten Absatze des Appellationsgutachtens enthalten.
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4.34.
In der dritten (Revisions-)Instanz wird die Einführung von neuem Beweisstoff durch die verneuerte Landesordnung vollständig ausgeschlossen (F. LXXXII). In dem Revisionspatente vom 9. August 1688 (bei Weingarten, böhmische Stadtrechte, Prag 1688, im Register) wird das Verbot des neuen thatsächlichen Vorbringens in der Revisionsinstanz wiederholt.
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4.35.
Codex Weingarten, S. 240.
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4.36.
In der verneuerten Landesordnung für das Markgrafthum Mähren vom 10. Mai 1628 wird die Appellation nur einmal ganz beiläufig erwähnt (Fol. 192b der offic. Ausgabe), ohne dass über die Gestaltung des Rechtsmittels im Einzelnen ein Aufschluss gegeben wird. Da jedoch das königliche Appellationscollegium in Prag auch für Mähren als Berufungsinstanz fungirte (oben Note 31), so lässt sich wohl annehmen, dass in Ansehung beider Länder dieselben Grundsätze beobachtet wurden. Rücksichtlich des Rechtsmittels der Revision enthält die mährische Landes-Ordnung (Fol. CIV—CVIII) ausführliche Vorschriften, die mit den entsprechenden Bestimmungen der böhmischen Landesordnung fast wörtlich übereinstimmen. Insbesondere setzt das mährische Gesetz (Fol. CVII) fest, dass in der Revision lediglich nach den Acten der unteren Instanzen gesprochen werden soll.
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4.37.
Codex Weingarten, S. 407.
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4.38.
Im Verfahren ausser Streitsachen mit Ausschluss des Grundbuchsverfahrens ist nach österreichischem Recht die Anführung neuer Umstände und Beweismittel im Recurse zulässig (§. 10 des Pat. vom 9. August 1854).
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