Felix Rachfahl, Die niederländische Verwaltung des 15./16. Jahrhunderts und ihr Einfluß auf die Verwaltungsreformen Maximilians I. in Österreich und Deutschland 1913 :: Transkription Speer Mai 2013

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Quelle: Felix Rachfahl, Die niederländische Verwaltung des 15./16. Jahrhunderts und ihr Einfluß auf die Verwaltungsreformen Maximilians I. in Österreich und Deutschland, in: Historische Zeitschrift. Der ganzen Reihe 110. Band. Dritte Folge — 14. Band 1913, S. 1 — 66.

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Recht viel ist bereits über die Entwicklung der niederländisch-burgundischen Verwaltung im 15. und im Anfange des 16. Jahrhunderts geschrieben worden, und doch kann man nicht sagen, daß die neueste Schrift, die diesem Gegenstande gewidmet worden ist1.1, überflüssig oder arm an Ergebnissen wäre. Von ihren Anfängen an unter Philipp dem Guten bis in die Regierung Karls V. hinein, vornehmlich aber für den Zeitraum von 1477 bis 1531, verfolgt Walther die Geschichte der burgundischen Zentralbehörden. Mit Studien über den Beginn Karls V. beschäftigt1.2, sah sich Walther genötigt, den Fragen der Verwaltungsorganisation zu jener und in der vorhergehenden Zeit näherzutreten, da ihn die vorhandenen Bearbeitungen und Darstellungen mit Recht nicht befriedigten; dazu lockte auch der zumal [Seite: 2] für die ersten Jahrzehnte des 16. Jahrhunderts reichlich vorhandene Stoff. Der Verfasser setzte sich vor allem die Aufgabe, den ebenso interessanten wie auch verwickelten Prozeß der „Namensverschiebung und Begriffserstarrung" auf dem Gebiete der burgundischen Verwaltungsgeschichte in seinen einzelnen Abwandlungen zu verfolgen und aufzudecken, und er ist dabei, wie schon angedeutet wurde, zu wichtigen und greifbaren Resultaten gelangt. Die Schrift kennzeichnet sich als eine recht tüchtige Erstlingsleistung und ihren Autor als einen scharfsinnigen Forscher von durchdringendem Verstande. Eine endgültige und abschließende Lösung aller Fragen, die in ihr behandelt werden, bietet sie freilich noch nicht; noch wird die Einzelforschung hier manches aufzuhellen und zu entscheiden haben, so z. B. was seine Polemik (S. 11 ff.) gegen Lameere betrifft, dem er vorwirft, er habe die Aussonderung des grand conseil aus dem allgemeinen Hofrate in den Jahren 1446-1454 übersehen; er spricht dabei die Meinung aus, daß sich dieser grand conseil zwar mit der Gerichtsbarkeit, jedoch gleichsam „nur im Nebenamte" beschäftigte, insofern als seine Mitglieder nämlich hauptamtlich andere Stellen innehatten. Bemerkenswert sind seine Ausführungen über die audience, über die épargne und über die Entwicklung des Finanzdienstes an der Zentralstelle; hier und in anderen Punkten hat er unsere Kenntnis erweitert und vertieft. Wichtig ist auch der Hinweis (S. 93) auf den zweimaligen Versuch Maximilians I. (1497/98 und seit 1508), durch Schaffung einer einheitlichen Behördenorganisation für alle Bestandteile der deutsch-habsburgischen und der burgundischen Ländermassen beide Gebietskomplexe zu einem wirklichen Gesamtreiche zu verschmelzen. An einzelnen Stellen könnte der Ausdruck klarer und einfacher sein; man hat den Eindruck, daß in solchen Fällen der Autor das Problem nicht immer klar erfaßt und durchdacht hat. Wenn nun diese Besprechung des Waltherschen Buches im wesentlichen eine kritische Auseinandersetzung mit ihm bezüglich einiger seiner Aufstellungen bedeutet, so soll dadurch keineswegs der Eindruck erweckt werden, als ob es nicht als Ganzes verdienstlich wäre. Bei der Begründung von Widersprüchen [Seite: 3] muß man ja ausführlicher zu Werke gehen, wie wenn es sich lediglich um die Konstatierung einer Zustimmung handelt, und mit einer einfachen, unmotivierten Ablehnung bestimmter Thesen ist weder dem Autor noch der Sache gedient. Es sei daher betont, daß durch die folgenden Ausführungen der Wert der Waltherschen Untersuchungen im allgemeinen keineswegs beeinträchtigt werden soll.

Indem Walther, für selbständige Beobachtung trefflich begabt, herrschende Ansichten mehrfach als mangelhaft begründet, allzu weitgehend und übertrieben nachweist, verwirft er sie alsbald in Bausch und Bogen, und dieses Verfahren erscheint mir viel zu radikal und daher unzulässig: eben diese Richtung ist es vornehmlich, in der ich ihm nicht zu folgen vermag; der Übereifer der Jugend hat ihn hier und da wohl zu weit geführt. Einmal handelt es sich dabei um gewisse Änderungen in der Verwaltungstechnik, die man bisher als Fortschritte ansah, und die er, zumal auf dem Gebiete der niederländischen Administration, niedriger einschätzt, sodann um die bisher geltende Annahme, daß Maximilian bei seinen Verwaltungsreformen in Österreich und Deutschland niederländisch-burgundische Vorbilder nachgeahmt habe. Ich behandle beide Punkte nacheinander.

I.

Zu den Fortschritten, die auf dem Gebiete der Verwaltungstechnik zum Ausgange des Mittelalters zunächst in Frankreich und Burgund erzielt und von dort unter Maximilian nach Österreich und sodann nach dem übrigen Deutschland gedrungen seien, zählt die herrschende Lehre vor allem die großen Prinzipien der Arbeitsteilung und der Kollegialität. Walther glaubt ihr nun gerade hier entgegentreten zu dürfen, indem er ihr den Vorwurf macht, daß sie mit dem Begriff der Arbeitsteilung für die Ausbildung des Behördenwesens allzu schematisch operiere, und daß sie das Prinzip der Kollegialität sowohl im Umfange seiner Verwirklichung als auch in seinem Werte überschätze.

Zwar gibt Walther (S. 7 ff.) zu, daß Arbeitsteilung, d. h. das Bedürfnis danach, das letzte Motiv für die [Seite: 4] Entwicklung der Verwaltungsordnung und auch deren schließliches Ergebnis gewesen sei. „Aber," so meint er, „die Form des Geschehens ist keineswegs die einer Teilung. Vielmehr muß die Anschauung einer Bildung und Verselbständigung neuer Zentren mit Eigenleben zugrunde gelegt werden." Oder, wie er an anderer Stelle bezüglich des Verhältnisses von Rat und Kanzlei (S. 102) sagt: „Da wir gewohnt sind, Ordnung neben Ordnung zu sehen, nicht aber, wie jene Zeit, werdende Ordnung mitten in weiter Unordnung, sind wir immer geneigt, an die Verselbständigung eines Verwaltungsgebietes als eines Ganzen zu denken, anstatt an die Ablösung einer Reihe von Behörden und Gruppen immer nur nach dem Maß des Beamtenmäßigen und Geschäftlichen. So sehen wir auch den Unterschied zwischen Rat und Kanzlei zu scharf, weil für unsern Blick nicht der Kontrast gegen das ringsherum liegende Unorganisierte die Einheit alles Organisierten betont." Der alte Hofrat verharrte, so führt er aus, bis ins 16. Jahrhundert hinein in seiner alten Unbestimmtheit und behält seine große und umfassende Kompetenz in politischen, administrativen, jurisdiktionellen und finanziellen Angelegenheiten; aber auf jedem Gebiete vermehrt sich die Tätigkeit, die bureaukratische Arbeit, und „immer um das Beamtenmäßigste und Bureaukratischste bildet sich ein neuer Kern, zunächst noch völlig vom Hofrat eingeschlossen, allmählich an seine Peripherie rückend, in sich lebensfähig werdend, den Hofrat immer mehr belastend, schließlich von ihm abgestoßen. Das Resultat ist die Ablösung besonderer Kollegien für Gerichtsbarkeit, Verwaltung und Finanzwesen, so daß im Zentrum ein immer entschiedener vorzüglich der äußeren Politik dienender Rat zurückbleibt. Nirgends aber eine scharfe Linie wie bei einer ‚Teilung'. Fast unmerkbar langsame Verschiebungen des Schwergewichtes und der Grad, wie weit die verschiedenen Angelegenheiten in beamtenmäßigen bureaukratischen Formen erledigt werden müssen, sind die treibenden Kräfte des Geschehens, jener immer wiederholten Bildung neuer Zentren mit Eigenleben."

Die Erörterungen Walthers ermangeln nicht eines richtigen Grundgedankens, der sich dahin formulieren läßt: [Seite: 5] Die Arbeitsteilung vollzog sich auf dem Gebiete der Verwaltungsorganisation nicht in bestimmten, von Anfang an klar gewollten und systematisch durchgeführten Teilungsakten, oder nach einem bestimmten, von vornherein die einzelnen Ressorts scharf abgrenzenden und genau durchgearbeiteten Teilungsplane; sondern langsam und allmählich löste sich, gemäß dem Bedürfnisse sich stetig häufender bureaumäßiger Arbeit, ein Teil nach dem andern vom Ganzen ab. Dem wird niemand widersprechen wollen, und so ungefähr hat man sich wohl auch den Prozeß der Arbeitsteilung da gedacht, wo sich diese zum ersten Male herausbildete; etwas anders ist es natürlich dort, wo das Ergebnis einer auswärtigen selbständigen Entwicklung einfach übernommen wird, obwohl auch da eigene Ansätze in gleicher Richtung vorkommen. Aber wie auch immer die Art und Weise gewesen sein mag, wie sich diese Arbeitsteilung vollzog, — mit einer Arbeitsteilung haben wir es doch immer zu tun, und die angeführten Äußerungen Walthers sind im wesentlichen eine Beschreibung des Herganges der Dinge, wie er sich bei diesem Prozesse der Arbeitsteilung abgespielt hat. Eine Teilung braucht keineswegs, um Walthers wenig glücklichen Ausdruck zu gebrauchen, in einer „scharfen Linie" zu verlaufen; deshalb bleibt sie doch immer eine Teilung. Indem der Hofrat mehr und mehr nur die oberste Direktive behält, während er die eigentliche Arbeitsleistung, die Erledigung der laufenden Geschäfte an ihm anfänglich noch inkorporierte und auch späterhin noch unterstellte, neu sich bildende Organisationen in seinem eigenen Schoße abgibt, die schließlich zu fest geschlossenen besonderen Institutionen werden, vollzieht sich eben die Arbeitsteilung, als deren Ergebnis sich uns das moderne System der Zentralbehörden darstellt. Man würde gegen Walthers Ausführungen zu diesem Punkte gar nichts einzuwenden haben, wenn er sie anstatt mit einem unbestimmten Angriff auf die herrschende Lehre wegen allzu schematischer Anwendung des Begriffs der Arbeitsteilung mit der Bemerkung eröffnet hätte, er wolle nun einmal zeigen, wie sich die Arbeitsteilung innerhalb der niederländisch-burgundischen Zentralverwaltung eigentlich vollzogen habe, — nämlich [Seite: 6] nicht durch eine von Anfang an beabsichtigte systematische Scheidung, sondern durch eine aus dem Bedürfnisse der Teilung der laufenden Geschäfte herausgewachsene Verselbständigung und Ablösung der einzelnen Ressorts vom Ganzen des alten Hofrates, einen Prozeß, der zum Abschlusse erst im 16. Jahrhundert gekommen sei. Das wäre ein an sich durchaus richtiger und dankenswerter Hinweis gewesen; nur hätte er eben nicht mit einem gegenstands- und zwecklosen Angriffe gegen die „herrschende Lehre" verquickt werden dürfen.

Wie gegen eine überspannte Anwendung des Begriffes der Arbeitsteilung, so auch glaubt Walther gegen eine solche des Kollegialitätsprinzips für die neuere Zentralverwaltung protestieren zu müssen. Nun ist es wiederum ganz richtig, daß in der zentralen Instanz die Kollegialität nur bedingt zur Geltung gelangt ist; mit vollem Recht macht Walther darauf aufmerksam, daß sie, zumal im Finanzdienst, höchst unvollkommen durchgeführt worden ist. Das ist aber auch nie bezweifelt worden; es ist bekannt, daß der conseil des finances noch vor dem Ausbruche des Aufstandes der kollegialen Organisation gänzlich entbehrte. Aber für die seit 1531 nebeneinander existierenden beiden anderen Zentralstellen am Hofe, der conseil d'etat und der conseil privé, bestand Kollegialität mit Einschluß des Mehrheitsprinzips6.1, [Seite: 7] und aufs strengste war sie statuiert und durchgeführt in der mittleren Instanz, bei den Provinzialhöfen. Gerade in diesen aber kommt der Fortschritt in der Verwaltungstechnik gegenüber dem Mittelalter so recht deutlich zum Ausdruck, und sie sind ja, verglichen mit den mittelalterlichen Zuständen, selbst schon zentrale Institutionen, insofern als sie an der Spitze der alten Territorien stehen, die eben jetzt erst zu großen Staatengefügen vereinigt werden, wodurch nun freilich die Schaffung eines ganz neuen Behördensystems in noch höherer Instanz erfordert wird. Wenn man dies berücksichtigt, wird man die Bedeutung der Kollegialität für die Verwaltungsgeschichte nicht unterschätzen. Walther „gesteht", daß er den Nimbus des Wortes „Kollegialität" für die Finanzverwaltung nicht „begreife", und fügt hinzu: „Niemand würde es als Verbesserung empfinden, wenn heute die Staatsfinanzen, anstatt bureaumäßig, vielmehr durch ein nach Stimmenmehrheit beschließendes Kollegium verwaltet würden." Das scheint mir aber ein unhistorischer Gesichtspunkt für die Beurteilung zu sein; denn es handelt sich dafür nicht um das „heute", sondern um die Frage, ob durch die Einführung der Kollegialität gegenüber den Zuständen des Mittelalters, vor allem im Vergleich zur Willkür der Einzelbeamten, ein Fortschritt erzielt wurde. Und gab es auch in den Niederlanden kein Kollegium für die Finanzverwaltung, so doch für die Finanzkontrolle; das aber scheint von besonderer Bedeutung, da doch in erster Reihe das Kollegialsystem eine bessere Kontrolle und eine Stetigkeit der geschäftlichen Tradition verbürgen sollte, wie sie gerade auf dem Gebiete der Rechnungsprüfung vonnöten waren. In Deutschland ist man darüber hinausgegangen. Die Raitkammern des österreichisch-habsburgischen Herrschaftsgebiets, die Amts-, Domänen- und Finanzkammern in den übrigen Territorien fungierten nicht nur für die Kontrolle sondern auch für die Verwaltung, und es ist bekannt, wie glänzend sie sich [Seite: 8] bewährt haben. Mit ihnen erst beginnt eine wirklich rationelle und systematisch alles durchdringende Finanzwirtschaft; sie waren tatsächlich ein Fortschritt in der Verwaltung, und zwar von grundlegender Bedeutung.

In engem Zusammenhange mit der geringen Wertung, die er dem Kollegialitätssystem beilegt, scheint mir das Urteil zu stehen, das Walther über das die Ratskollegien füllende juristisch gebildete Berufsbeamtentum des ausgehenden Mittelalters fällt, und zwar gerade im Gegensatz zu den Beamten des nicht in gleichem Maße kollegialisch organisierten Finanzdienstes. Er wirft jenem (S. 28) einen „unhistorischen Idealismus" vor: es sei, so behauptet er, von einer Stimmung getragen worden, die rein an Idealen orientiert war, gar keine Fühlung mit der Wirklichkeit und ihren Einzelfragen und Einzelansprüchen hatte, die aber daraus, nämlich aus dem Idealen, auch „Wucht und siegende Kraft" schöpfte. Als Beispiel dafür führt er (S. 36 f.) Gattinara an, der damals einen ungerechten und törichten Prozeß durch alle Instanzen hindurch trieb und dabei, freilich vergeblich, „das direkte Eingreifen der fürstlichen Autorität, Margaretas, auch Karls V., ja des Kaisers Maximilian und als bizarre Möglichkeit das des Papstes" anrief. Zur Erklärung solch merkwürdigen Beginnens verweist Walther „auf das für die Juristen jener Zeit Typische dieser Erscheinung", und er sagt: „Es ist nur eine übertriebene Steigerung des Bewußtseins der geistigen und der sittlichen Überlegenheit, die ihn (Gattinara) felsenfest an sein Recht glauben läßt, auch wenn er notorisch unrecht hat; es ist die Verwirrung des Buchstabengelehrtentums, die ihm immer wieder die Überzeugung gibt, er werde mit erdrückender Häufung von Buchstabenautoritäten seinen Willen schon durchsetzen; es ist vor allem das völlige Aufgehen in einer Welt, die der Wirklichkeit fremd ist, die Kampfesstellung gegen das Volksmäßige und Feudale ..."

Das sind m. E. verstiegene Deduktionen. Gattinara und sein Prozeß sind so wenig typisch für den Geist des juristischen Beamtentums jener Zeit, daß sie vielmehr damit, wie noch gezeigt werden wird, im schärfsten Widerspruche stehen. Allerdings befanden sich die Juristen damals in [Seite: 9] scharfer „Kampfesstellung gegen das Feudale"; aber wie wäre es denn anders möglich gewesen, zu befriedigenden öffentlichen Zuständen, zu einer wahren staatlichen Ordnung zu gelangen? Das war ja eben der Beruf der Legisten, im Widerstreit mit dem Feudalismus jetzt der Monarchie und dem modernen Staate mit seiner Zentralisation freie Bahn zu schaffen. Und von einer Kampfesstellung auch gegen das Volksmäßige darf man nicht ohne weiteres sprechen. Sie machten zwar gegen die lokalen und provinziellen Privilegien Front, wo diese den Bedürfnissen moderner staatlicher Zentralisation hindernd im Wege standen, indem sie aus dem Römischen Recht die Lehre von der absoluten Majestät der Krone entlehnten, vor der weder Privilegien einzelner oder ganzer Volksklassen, noch auch alte überkommene volksmäßige Rechte und Freiheiten bestehen könnten. Aber sie wandten sich gegen das Volksmäßige nur insoweit, als es sich eben damit nicht vertrug; sonst ließen sie es nicht nur nicht bestehen; sondern die Sache stand auch so, daß sie es schätzten und schützten. Wurden doch gerade durch sie, um die Mitte des 16. Jahrhunderts, die coutumes, die Gewohnheitsrechte der einzelnen Landschaften, redigiert und aufgezeichnet. Es sei denn, daß man die Juristen um die Mitte des 16. Jahrhunderts als etwas ganz anderes ansehen müßte, als die des Anfangs, — eine These, die Walther freilich aufstellt, wie wir bald noch sehen werden, die er jedoch keineswegs bewiesen hat.

Nimmermehr kann man den Geist der Loyalität und der Unparteilichkeit, mit dem die Juristen in der Übergangszeit vom Mittelalter zur Neuzeit die Rechtspflege zu durchdringen trachteten, den Geist des Fortschritts und der Ordnung, den sie in der Verwaltung einzubürgern sich bemühten, einen „unhistorischen Idealismus" nennen, oder ein „völliges Aufgehen in einer Welt, die der Wirklichkeit fremd ist". Bei seinen egoistischen Prozeßmachenschaften versündigte sich Gattinara gegen den Geist des juristischen Beamtentums, dem er angehörte; nicht dieser war es, der den Großkanzler bei solchen Treibereien leitete, sondern eher ein Nachhall seiner feudalen Herkunft (mochte er auch sonst als Sohn der Renaissance auf dem Standpunkt [Seite: 10] stehen: „je n'actribue point à ma gloire ce qui ne dépend pas de moi"), in der Hauptsache wohl freilich ein rein persönliches Selbst- und Machtgefühl, das ihm da, wo sein eigenes Interesse in Frage kam, den Blick für die Grenzen zwischen Recht und Unrecht trübte. Aber das war so wenig typisch für den Juristenstand als solchen, daß Gattinara vielmehr seinen Prozeß in allen Instanzen verlor, auch beim grand conseil, und daß es eben dieses Urteil seiner Berufsgenossen war, gegen das er alle weltliche und geistliche Macht und Autorität in Bewegung zu setzen sich vermaß. Man sieht: der grand conseil ging nicht nur gegen die Seigneurs, die Partisane der feudalen Tradition, vor, sondern auch gegen die Elemente, die zum eigenen Kreise gehörten, an dessen Spitze standen, gegen seine unmittelbaren Vorgesetzten, wenn sie vom Wege des Rechts abwichen. Das Juristentum wollte eben nichts anderes als Gerechtigkeit üben ohne Ansehung der Person, und sollte man das einen „unhistorischen Idealismus" nennen dürfen?

Im Anschlusse an die soeben besprochene Entwicklung seiner Ansichten über das juristische Beamtentum zum Ausgange des Mittelalters und Gattinara als dessen typischen Vertreter gelangt Walther (S. 38) zum Urteil: „So sehen wir gerade am Anfang des 16. Jahrhunderts die Juristen überall zurücktreten. In Frankreich steht der Kanzler bald als Justizminister abseits, am Hofe Karls V. wird das Amt ganz aufgehoben. Finanzbeamte und vor allem die Staatssekretäre treten an die Stelle der Juristen, und die neuen juristisch gebildeten Beamten haben nichts mehr mit den Rechtsgelehrten des ausgehenden Mittelalters zu tun. Die neue Wirklichkeit fordert nicht mehr Idealismus, sondern einen reale Mächte kühl abwägenden (sic!) Blick und ein rasches, sicheres Handeln."

Das sind Sätze, die sich teils als leere Redensarten charakterisieren, teils nicht nur schiefe Urteile sondern auch sachliche Irrtümer enthalten. Vor allem existiert schon zum Ausgang des Mittelalters keineswegs der von ihm behauptete scharfe Gegensatz zwischen Juristen und Finanzbeamten. Die drei Finanzsekretäre in der von ihm selbst publizierten Ordnung Maximilians für die Finanzen vom [Seite: 11] Jahre 1487 (S. 194, Art. 2) führen den Titel „Maistre", d. h. sie sind graduierte Juristen. Womit kann denn wohl Walther weiterhin den von ihm behaupteten Unterschied zwischen den „Rechtsgelehrten des ausgehenden Mittelalters" und den „neuen juristisch gebildeten Beamten" etwa um die Mitte des 16. Jahrhunderts belegen? Alles, was er in dieser Hinsicht anführt, ist die kurze Anmerkung (S. 37 Anm. 3): „Die Klage über die endlose Dauer aller Prozesse ist bekannt. Für die burgundischen Provinzialkonseils vgl. z. B. Quirinos Relation von 1506: ,sono lunghissimi in giudicare'." Ja, glaubt Walther, daß diese Klage nachher verstummte? Man wird diesen Unterschied nicht akzeptieren dürfen, bis es unserem Autor nicht glückt, an ein paar schlagenden Beispielen zu zeigen, daß ein maître des requêtes um 1550 etwas ganz anderes war als ein solcher von 1500, daß die Provinzialhöfe oder, richtiger gesagt, die darin sitzenden Männer der „langen Robe" von 1550 etwas ganz anderes waren als die von 1500, nämlich kühle Realisten ohne „Kampfesstellung gegen das Feudale und Volksmäßige", wo dieses mit dem monarchisch-zentralistischen Interesse kollidierte, im Gegensatze zu den „unhistorischen Idealisten" der Vergangenheit. Der Beweis dürfte reichlich schwer sein. Und für die Niederlande ist es unrichtig, daß die Juristen seit dem Anfang des 16. Jahrhunderts „zurücktraten". War denn etwa Viglius kein Jurist? Und läßt sich zu seiner Zeit ein „von der Picke auf" Avancierter des Finanzdienstes in ähnlicher Position nachweisen? Hier trifft es keinesfalls zu (S. 41 u. 82), daß „das Hervortreten der äußeren Politik, die Notwendigkeit, kriegsbereit zu sein", die Finanzen in den Vordergrund schob, und daß im Zusammenhang damit die in diesem Ressort leitenden Beamten begannen, „sich über die Juristen zu erheben, für deren Idealismus nicht mehr recht Verwendung war". Das ist eine Übertragung französischer Verhältnisse und noch dazu gleichsam in zeitlicher Antizipation. Walther meint: in den letzten Jahrhunderten des Mittelalters habe „die Justice, d. h. die innere Verwaltung", überwogen; in den Jahrzehnten aber, denen seine Arbeit gewidmet ist, d. h. im Zeitraum von etwa 1450 bis 1531; sei „die äußere [Seite: 12] Politik und damit das Gebiet der Finanzen" in den Vordergrund getreten; er fügt hinzu: „Diese Verschiebung des Schwergewichts hat es auch im letzten Grunde bewirkt, wenn anstatt der Juristen jetzt die Finanzbeamten und Staatssekretäre, die ja (sic!) aus den Finanzsekretären hervorgegangen sind, in die leitenden Stellungen kommen."

Man fragt sich erstaunt, woher Walther solche Kunde für die niederländische Geschichte gewonnen hat. Schon die Verschiebung des Verhältnisses zwischen justice, als innerer Verwaltung aufgefaßt, und auswärtiger Politik nebst Finanzen etwa um 1450 ist eine Annahme, für die er keinen Beweis beigebracht hat. Um die Mitte des 16. Jahrhunderts hat von den zentralen Behörden der conseil des finances die, am wenigsten ansehnliche Stellung; seine Chefs sind sogar „hochadlig", spielen aber trotzdem eine ziemlich untergeordnete Rolle, selbst Berlaymont, geschweige denn Hachicourt. Die commis, die bei dieser Behörde tätig sind, können sich an Stellung und Einfluß mit den Mitgliedern des conseil privé nicht messen, welche juristisch gebildete Beamte sind. Eben diese letzteren sind es, welchen für die laufenden Geschäfte der Regierung die Hauptlast obliegt, und die dafür im wesentlichen die Direktive geben; sie sind der eigentliche Kern der „Regierung", und sie sowie die juristisch gebildeten Räte der „langen Robe" in den Provinzialhöfen repräsentieren in der Hauptsache das berufsmäßige Beamtentum. In den Niederlanden ist ganz und gar nicht das moderne Beamtentum im Gegensatze zu den adligen und auch juristischen Elementen „in den Kreisen der Finanzbeamten geworden", die von der Picke auf dienten, die Zwischenstufen des Schreibertums und des (erst Finanz-, dann Staats-) Sekretariats durchlaufend; sie bedeuten hier nur eine Wurzel der Institution, und zwar keineswegs die tiefste oder die am weitesten verbreitete. Für die deutsche Verwaltungsgeschichte hat die Walthersche These erst recht keine Geltung. Die Räte selbst in den Rechenkammern stammen hier schon um das 16. Jahrhundert entweder aus dem ansässigen Landadel oder aus dem Doktoren-, d. h. Juristenstande. Hier trat auch schon recht früh eine ziemlich scharfe Scheidung zwischen oberen [Seite: 13] Beamten und (lediglich in der Praxis des Finanzdienstes geschulten) Subalternen ein, und das Dienen „von der Picke auf" war keineswegs das sicherste Mittel, um in die obere Beamtenschicht zu gelangen. Was Walther über alle diese Dinge sagt, beruht auf einer unzulässigen Generalisierung französischer Verhältnisse der Folgezeit.

Dasselbe gilt von seinen Ausführungen über die Bedeutung des Staatssekretariats, und zwar über dessen Zusammenhang mit dem Finanzsekretariat. Wenn Granvella d. Ä. 1528 als „Staatssekretär" vorkommt, und wenn er nach Gattinaras Tode (1530), indem das Kanzleramt nicht mehr besetzt wird, in die leitende Stellung einrückt, so handelt es sich dabei lediglich um die Hebung einer bestimmten Persönlichkeit, nicht des Amtes, das sie bisher innehatte. Das gibt ja Walther indirekt selber zu, indem er von Granvella und dessen Kollegen Francesco de los Covos (der zunächst für Kastilien, dann für alle spanischen Reiche fungierte) sagt: „Der Name ,Staatssekretär' hat sich für die leitenden beiden Minister noch nicht halten können. Der Wechsel war zu plötzlich, und ein Titel rückt schwer in eine höhere Gesellschaftsschicht auf, so lange die Generation noch lebt, die ihn als unbedeutend gekannt hat." Das Walthersche „noch" könnte aber noch immer zum Trugschlusse führen, als ob das ursprüngliche Amt von Granvella und de los Covos bald darauf gehoben und zur leitenden Stellung im Staatswesen geworden wäre. Dem ist aber keineswegs so. Bave, der als Staatssekretär unter Margarete von Parma fungierte, war ein Mann in ganz subalterner Stellung, der mit der Führung der offiziellen Korrespondenz zwischen König und Statthalterei in französischer Sprache betraut war, der daher von den wichtigen und geheimen Sachen gar nichts erfuhr, geschweige denn irgendwelchen Einfluß ausübte. Und wenn man die spanischen Staatssekretäre am Hofe des Königs selbst ins Auge faßt, so findet man darunter Männer von Einfluß, wie den Staatssekretär Gonzalo Perez und den Finanzsekretär Erasso. Aber übermäßig weit war es damit auch nicht her, und keinesfalls kann man von ihnen sagen, daß sie eine „leitende" Stellung im Sinne von „leitenden Ministern" innehatten; [Seite: 14] jedenfalls kamen sie nie über eine Position zweiten Ranges hinaus. Gerade für die Niederlande paßt somit die von Walther angedeutete Entwicklung ganz und gar nicht; es handelt sich bei den Momenten, aus denen er sie ableiten will, im besten Falle um Ansätze, die schon im Keime ins Stocken geraten sind.14.1

Dankenswert sind die aus den Archiven von Brüssel und Lille stammenden archivalischen Beilagen, zwölf an Zahl, und ein ganz besonderes Interesse erweckt alsbald die erste Nummer, Ordonnance faicte sur le fait des finances, erlassen durch Maximilian I. am 26. Dezember 1487. Allerdings kann ich mich der Auffassung, die Walther von ihr entwickelt, nicht anschließen; ich glaube vielmehr, daß er ihren Charakter vollkommen 'verkennt. Er sagt von ihr (Einleitung S. IV), sie zeige, „daß Maximilian in Burgund und Österreich nach eigenen Ideen reformierend eingriff". Inwiefern die grundlegenden Tendenzen der Ordonnanz von 1487 als „eigene Ideen" Maximilians angesprochen werden können, das soll alsbald untersucht werden. Ganz allgemein bestimmt er weiterhin (S. 53) ihren Inhalt dahin: „Sie steht außerhalb der durch Jahrhunderte sich hinziehenden Tradition der großen chaotischen Finanzreglements. So erlaubt sie, das tatsächlich Bestehende und das neu Geschaffene zu unterscheiden, und dies gibt ihr einen besonderen Wert. Wirr genug ist freilich auch sie; lauter einzelne Artikel sind mit ‚Item' in bunter Reihe aneinandergefügt." Wenn wir gleich in einer systematischen Schilderung der durch sie [Seite: 15] bewirkten Zustände in der Reihenfolge der Artikel heutzutage etwas ändern würden, so kann man diese doch nicht gerade „wirr" und „bunt" nennen; sie ist vielmehr ganz klar und durchsichtig, und ihre einzelnen Bestimmungen entspringen aus einem einheitlichen Grundgedanken. Walther freilich zerlegt die Artikel, 18 an Zahl, in zwei Gruppen. Die Mehrzahl hat, wie er meint, eine rein administrative Bedeutung; acht dagegen (Nr. 3, 4, 7, 8, 9, 11, 12, 15) sollen daneben „das Verhältnis des neuen Konseils zum Erzherzog feststellen", und ihren Inhalt kennzeichnet Walther mit den Worten: „Eigentümlich vermischt sich hier der Wunsch des Volkes nach Beschränkung der Willkür des Fürsten, die eigene ernstliche Absicht, nicht nur von Tag zu Tag so fortzuwirtschaften, und ein Mißbehagen über die ,importunité des requérans', denen man ihre Bitten nicht immer abschlagen mag, die man aber wünscht, an eine andere Instanz weisen zu können."

So harmlos ist die Instruktion von 1487 doch wohl nicht aufzufassen. Vergegenwärtigen wir uns Ort, Zeit und Umstände ihrer Entstehung, so werden wir ein besseres Verständnis für ihre wahre Bedeutung gewinnen. Im Jahre 1486 hatte Maximilian I. einen Angriffskrieg gegen Frankreich unternommen, der mit der „Käseschlacht" von Bethune (28. Juli 1487) einen für ihn ebenso unglücklichen wie auch unrühmlichen Ausgang fand. In Flandern brach darüber arge Erbitterung aus, zumal wegen der großen Kosten, die unnütz für dieses Abenteuer aufgewandt worden waren. Enorme Summen, die in die Millionen gingen, waren dafür dem Lande auferlegt worden. Darüber wollte man Rechenschaft haben; denn man glaubte, daß ein großer Teil des Geldes bei den Beamten des Königs hängen geblieben sei. Man sagte, mehr als die Herzöge Philipp und Karl habe Maximilian aus dem Lande herausgepreßt. Vor allem gärte es in Gent und Brügge. Hier in Brügge traf Maximilian Ende 1487 selbst auf Bitten seiner Anhänger mit 500 bis 600 Mann ein, um die Stadt im Zaume zu halten. Diese Anzahl genügte natürlich keineswegs, und so wollte denn Maximilian Verstärkungen bis zur Höhe von 3000 Mann heranziehen; darüber regte sich die offene Empörung, welche [Seite: 16] (am 5. Februar 1488) zur Gefangennahme des deutschen Königs in Brügge führte.

In diese leidenschaftlich erregte Zeit des Aufenthalts Maximilians in Brügge, bald nach seiner Ankunft in der zu Aufruhr geneigten Stadt, fällt der Erlaß der neuen Ordnung für die Finanzen. Schon aus Ort, Zeit und Umständen ihrer Entstehung läßt sich somit schließen, daß sie kein gewöhnlicher Akt von rein administrativer Bedeutung, sondern von eminent politischer Wichtigkeit war. Und so ist es auch: sie trägt durchaus und überall das Gepräge eines politischen Ereignisses, nämlich einer Abmachung, die zwischen dem König und der Opposition geschlossen, und die als eine Konzession von seiner Seite anzusehen ist. Daher ist es auch nicht ernst zu nehmen, wenn im Eingange gesagt ist, Maximilian habe sie erlassen, „affinque soyons deschargié de plusieurs grans poursuites que avons journellement à cause de nosdictes finances, au moyen desquelles ne povons bonnement vacquer ne entendre en noz grans et pesans affaires." Das ist natürlich, wenn es auch mitspielen mochte, nicht das letzte und eigentliche Motiv. Nicht das Mißbehagen über die „importunité des requérans", denen man „ihre Bitten nicht immer abschlagen mag, die man aber wünscht, an eine andere Instanz weisen zu können", war maßgebend, sondern der Wunsch der Opposition, des Landes, die Verwendung der aus den Landessteuern fließenden Summen dem willkürlichen Ermessen des Königs und seiner nächsten Umgebung, der reinen Hofbeamten, zu entziehen, die königliche Finanzgebahrung einer (wenngleich nicht staatsrechtlichen, so doch politischen) ständischen Kontrolle zu unterwerfen. Dieser Tendenz dienen so ziemlich alle Artikel der Instruktion, und zwar in sehr sinnreicher Durchführung des leitenden Gedankens bis in die kleinsten Einzelheiten hinein.

Bisher hatte die oberste Finanzbehörde, wie wir aus der Instruktion selber erfahren, bestanden aus zwei commis, einem greffier und einigen anderen Beamten, nämlich den Finanzsekretären und dem Kassenpersonal. Beamte von relativ so untergeordnetem Range hatten natürlich keine wirklich selbständige Stellung. Sie gehorchten im [Seite: 17] wesentlichen den Weisungen, die sie von den Herren aus der nächsten Umgebung des Königs empfingen, und diese hatten in Wahrheit die Leitung des Finanzwesens: das eben war es ja, worüber im Lande Klage geführt wurde. Diesem Zustande sollte nun offenbar abgeholfen werden, und zu diesem Zwecke wurde, um mit Walther (S. 55) zu sprechen, „eine den Commis und den Kassenbeamten übergeordnete Gruppe von sechs Seigneurs, Angehörigen des höchsten Adels", geschaffen; an ihrer Spitze stand niemand anders als Philipp von Cleve, Herr v. Ravenstein, „kaum ein halbes Jahr später Führer der Aufständischen".

Die Rolle, welche diesen sechs Herren zugedacht war, wird niemand verkennen können, wer sich aus der vorliegenden Instruktion über ihre Rechte und Pflichten unterrichtet. Alle Tage hatten sie sich (Art. 1) zwei Stunden der Erledigung der Finanzgeschäfte zu widmen, — eine Frist, bei der es selbstverständlich ist, daß es sich dabei nur um die Erteilung der Direktiven handeln konnte. Zugleich mit dem ihnen unterstellten Personal bildeten sie einen förmlichen Finanzrat; Zutritt dazu erhielten außerdem die höchsten Beamten der Hof- und Zentralverwaltung, der Kanzler und sein Stellvertreter, sowie der premier chambellan. Aber die sechs Herren sind im Finanzrat die tonangebenden Elemente; in der Tat wurde durch ihre sog. „Instruktion" die Leitung der Finanzen aus der Machtsphäre des Königs in die ihrige entrückt. Das beweisen zahlreiche Artikel. Alle Dechargebriefe müssen von einem von ihnen, einem Commis und dem recevreur général unterzeichnet werden, worauf dann das signet des Königs angeheftet werden soll (3), d. h. es darf keine Decharge ohne ihr Vorwissen erteilt werden, das durch einen von ihnen bekundet werden muß. Damit steht es (5) im Zusammenhange, daß der Finanzrat in seiner neuen Gestalt die Macht erhält, alle officiers de recepte vom Dienste zu suspendieren, und zwar bis zu ihrer erfolgten Rechnungslegung; dann kann er sie wieder in ihr Amt einsetzen, „s'il semble prouffit". Mit anderen Worten: er hat das Recht, die bisherigen Finanzbeamten nach Ermessen aus dem Dienste zu entfernen, obgleich sie ihre Ernennung dem König verdanken. Und in [Seite: 18] selbstverständlicher Ergänzung dazu verpflichtet sich Maximilian (7);- „que nulz offices, assavoir de recepte et de justice ayans recepte de nosdicts pays, ne seront de cy en avant donnez par nous sinon par l'advis , de ceulx desdictes finances, affin de par eulx y estre gardé nostre prouffit." Das monarchische Ernennungsrecht wird somit auf dem Gebiete des Finanzdienstes beschränkt durch die Notwendigkeit einer Genehmigung durch die erwähnten sechs Herren. Schon daraus geht hervor, daß diese nicht als Beamte im gewöhnlichen Sinne angesehen werden dürfen: niemals kommt es sonst vor, daß der Herrscher sich verpflichtet, niedere Ämter nur unter Zustimmung höherer Beamter besetzen zu wollen.

Unterstellt so der König die Organe des Finanzdienstes den im Finanzrate sitzenden Vertrauensmännern des Landes, so wird nicht minder von ihrer Zustimmung und Kontrolle das ganze Finanzwesen abhängig gemacht. Welch weitgehender Eingriff ist es doch in die althergebrachte Finanzhoheit des Herrschers, wenn er (4) die Bindung auf sich nimmt: „nous ne signerons plus aucunes ordonnances, dons, offices ou autres concernans le fait de nos dictes finances." Die Einnahmequellen, sowohl was das Domanium als auch was die Steuern anbelangt, sollen fortan (8) nicht mehr verkürzt, d. h. veräußert oder stückweise vergabt werden, „sinon par l'advis de ceulx desdictes finances, principalement par l'un desdicts seigneurs et par l'un des commis desdictes finances", und ausdrücklich wird hinzugefügt, „quelque advis qu'autres y aient baillié": was liegt näher, als dabei an diejenigen Beamten des Königs zu denken, durch deren Einmischung in die Finanzen das Land sich so beschwert fühlte? Dem Kanzler wird verboten, offene Urkunden auszufertigen, bei denen nicht die eben angeführten Bestimmungen beobachtet worden sind. Und im Anschlusse daran versichert der König nochmals (9): „nous ne signerons aucunes lettres d'ordonnances, de dons, debtes, gaiges ne autres quelconques, mais remectons le tout ou conseil de nondictes finances, où le tout se depeschera par l'advis desdictes finances et soubz leurs seings manuelz, ou du moins des seings manuelz de l'un desdicts six seigneurs [Seite: 19] et de l'un desdicts commis et au bureau desdictes finances et non autrement." Alle Gelder und Einkünfte ordentlicher und außerordentlicher Natur („tous deniers, soient de noz demaine, d'aydes, parties extraordinaires et autres") sollen fortan unter der Verfügungsgewalt des Finanzrats stehen und durch die Hände des recevreur général, d. h. durch die Kasse des Finanzrats, gehen (12). Dadurch wird des Königs Verfügungsgewalt entweder hier ganz ausgeschaltet oder doch wenigstens unbedingt an die Einwilligung der Seigneurs gebunden; dementsprechend wird zum Schlusse (17) nochmals in besonderer Spezifikation und Aufzählung betont: „Item que dorésenavant ne pourrons donner ne quicter aucuns dixiesmes, deniers, confiscations, rémissions, exploix de justice sans l'advis de ceulx desdicts des finances, qui en feront en la manière accoustumée et non autrement."

Die selbständige und freie Disposition auf dem Gebiete der Finanzen ist dem Herrscher somit entzogen. Nun braucht nur noch Sorge dafür getragen werden, den Geschäftsgang so zu gestalten, daß der Finanzrat von den übrigen (rein königlichen, d. h. dem Könige unbedingt untergebenen) Behörden vollkommen gesondert, daß der Finanzdienst von der Hofverwaltung abgetrennt ist. Daher wird (2) festgesetzt, daß für die Expedition der Beschlüsse des Finanzrats nur verwandt werden sollen „les trois secrétaires ordinaires signant en finances tant seullement”; zur Vermeidung von Irrtümern werden sie mit Namen genannt: Me Nicolas de Ruter, Me Gerart Numan und Me Jacques de Gondebault; allen andern Sekretären wird streng verboten „de signer èsdictes finances". Die drei Finanzsekretäre sind lediglich ausführendes Bureaupersonal des Finanzrats und haben daher natürlich auf die Weisungen anderer Personen nicht zu hören (11): „(ils) expédieront tous commandemens aussi signez par l'un desdicts six seigneurs et commis et du greffier desdictes finances." Indem der König zugibt, daß sich bisher unbefugte Elemente in den Finanzdienst eingemischt haben, wodurch Unordnung entstanden ist, kassiert er (13) tous financiers extraordinaires mit der Zusicherung, „que nulz ne se mesleront du fait de nosdictes finances que ceulx qui sont denommez et ordonnez par ces [Seite: 20] nouvelles ordonnances". Kein Unbefugter darf (15) unter Eingriff in die Amtssphäre des Finanzrats und des diesem unterstellten recevreur général außerordentliche Einnahmen entgegennehmen, und niemand (natürlich vom Hofe), mag er auch noch so hoch gestellt sein, soll es wagen, wenn er nicht exemplarische Strafe riskieren will, durch Beleidigungen und Drohungen die Beamten und das ganze Personal des Finanzrats zu schikanieren. Solches war nämlich früher geschehen, und augenscheinlich, indem hochgestellte Personen das Finanzpersonal auf diese Weise zu Handlungen veranlassen wollten, die vom korrekten geschäftlichen Gebahren abwichen: es soll also vorschriftswidrigen Übergriffen des Hofstaats in den Finanzdienst künftighin auch hierdurch vorgebeugt werden.

Alle die Artikel, die wir bisher analysiert haben, sind von der Tendenz getragen, dem König die absolute Verfügungsgewalt über die Finanzen zu entwinden, ihn auf diesem Gebiet zu beschränken, indem er von einem Beirat abhängig gemacht wird, der sich als ein Ausschuß von Vertrauensmännern des Landes darstellt. Nur zwei Artikel bleiben noch übrig, und ihr Charakter ist weniger leicht erkennbar. In einem von ihnen (6) wird bestimmt, daß außerordentliche Ausgaben der verschiedensten Art, nämlich „pensions extraordinaires quelles qu'elles soient, reservé celles de quatre solz et en dessoubz, et aussi rentes à vie et à rachat", nicht vom Domanium gezahlt werden sollen, sondern von den aydes extraordinaires, und ebenso wird (14) angeordnet, „que toutes garnisons, dons extraordinaires, pensions, messaigeries et autres parties extraordinaires, se conduiront des deniers de noz aydes, pardessus les parties pour les despenses ordinaires de nous Maximilian et Ph[i]lippe". Man könnte sich zur Annahme versucht fühlen, daß darin eine Gegenkonzession zugunsten des Königs lag: um ihn einigermaßen dafür zu entschädigen, daß seine Disposition über die Finanzen so sehr eingeschränkt wird, werden die erwähnten Ausgaben behufs Entlastung des Domaniums auf die Steuern verwiesen. Aber das kann doch nicht der Sinn dieser Bestimmungen sein. Denn in unserer Instruktion wird ja auch das Domanium dem Finanzrat unterstellt und der [Seite: 21] unbeschränkten Verfügung des Königs entzogen; dieser und sein Sohn, der noch unmündige Herrscher, sind offenbar für ihre despenses ordinaires auf feste Renten aus dem Ertrage aus der Steuer gestellt und stehen keineswegs im Genusse ihrer Domänialgefälle (vgl. Art. 12). Walther meint (S. 56), man habe diese Fürsorge für die genannten außerordentlichen Ausgaben getragen, „damit ein geordnetes Wirtschaften nicht von vornherein am Geldmangel scheiterte", indem man zugleich verhüten wollte, daß „die (besonders in Konfliktszeiten, wie die achtziger Jahre waren) sicherer einkommenden Posten aus den Domänen nicht von Anfang an zu stark belastet seien". Vielleicht lag aber die Sache gerade umgekehrt: die Domänen waren so stark belastet, daß sie für solchen außerordentlichen Bedarf nicht mehr leistungsfähig waren, und daß daher dessen Deckung aus dem andern Hauptteile der ordentlichen Einnahmen, nämlich aus der Steuer, angeordnet wurde. Klarheit könnte darüber nur eine besondere Untersuchung schaffen, die nicht hier unsere Aufgabe ist.

Keineswegs geht somit aus der Finanzordnung von 1487 hervor, daß „Maximilian in Burgund wie in Österreich nach eigenen Ideen reformierend eingriff". Das gerade Gegenteil ist richtig. Sie ist von Ideen getragen, die den seinigen so zuwiderliefen, daß man sie als ihm abgepreßt und aufgedrängt ansehen muß. Sie fällt gar nicht in den Bereich monarchischer Behördenorganisation; sie will vielmehr sowohl die Organe des Finanzdienstes wie auch die materielle Seite der Finanzverwaltung möglichst seiner Machtsphäre entziehen. Sie ist einer der ersten tastenden Versuche zur Schaffung einer Kontrolle auf dem Gebiete der Staatsfinanzen zugunsten des Landes, allerdings noch nicht verfassungsmäßiger, sondern vorerst rein politischer Natur. Denn nicht die Stände als solche, als ein Institut der Verfassung, erhalten ein Aufsichtsrecht über die landesherrliche Finanzverwaltung; man sucht vielmehr das Interesse des Landes an einer ordnungsmäßigen Führung des Staatshaushalts dadurch zu befriedigen, daß angesehene Große des Landes, als dessen Vertrauensmänner die leitende Stellung im Finanzrat, in der Zentralstelle für den [Seite: 22] burgundisch-niederländischen Finanzdienst, bekommen, sodaß der König bei allen finanziellen Maßregeln fortan an diesen neuen Konseil gebunden, eben dieser aber auch von der übrigen Hof- und Zentralverwaltung gänzlich abgesondert wird.

So ist die Finanzordnung Maximilians I. von 1487 eine Phase in der Vorgeschichte zur Errichtung einer staatsrechtlichen Finanzkontrolle, zugleich im Kampfe der autonom-ständischen Tendenzen gegen die zentralistisch-nivellierenden Bestrebungen des habsburgischen Herrscherhauses, die ja ihren Höhepunkt schließlich in dem Versuche einer Hispanisierung der Niederlande durch Philipp II. finden sollten. Sie findet ihre Fortsetzung nicht in den monarchischen Behördeninstruktionen der Folgezeit, etwa für den conseil des finances im 16. Jahrhundert, sondern viel eher in der von mir veröffentlichten Instruktion für den generalständischen Kommissar Anton van Stralen vom 12. Mai 1558.22.1 Diese aber entstammt einer späteren Phase in der Vorgeschichte der verfassungsmäßigen Kontrolle: um eine Garantie zu haben, daß die von ihnen bewilligten Steuern wirklich gemäß ihren Intentionen verwendet wurden, nehmen die Stände die Verwendung und wohl auch die Erhebung der Steuern selbst in die Hand, indem sie zu beiden Zwecken nur von ihnen abhängige Behördenapparate schaffen, sodaß der Finanzdienst nunmehr in zwei staatsrechtlich getrennte Systeme auseinanderfällt: neben die königlichen Finanzbehörden treten solche ständischen Charakters. Das ist der große Zusammenhang, in den die Finanzordnung von 1487 und der durch sie reorganisierte Finanzrat hineingehören; er ist eine Behörde von (politisch) dualistischem Charakter; das hat Walther nicht erkannt oder wenigstens nicht nach Gebühr hervorgehoben.22.2[Seite: 23]

II.

Die Schrift Walthers ist trotz mancher Schwächen ein tüchtiger Beitrag zur Geschichte des burgundisch-niederländischen Behördenwesens im 15. und 16. Jahrhundert; aber sie stellt sich noch höhere Ziele. Ausgehend von seiner Kenntnis der burgundisch-niederländischen Verwaltung, bestreitet der Autor nämlich „die heute besonders in Deutschland, weniger allgemein in Österreich herrschende These, daß durch Maximilian I. die französisch-burgundische Verwaltungsorganisation in Österreich rezipiert worden sei". Diesem Thema ist sein sechster Anhang (S. 168-192) gewidmet.

Um die von ihm verworfene Lehre zu entkräftigen, wirft Walther zunächst einen Blick auf ihre zwar „nur kurze, aber sehr interessante Geschichte". Sie ist entstanden, wie er ausführt, aus Übereilungen, vorschnellen Generalisierungen und Mißverständnissen: schon daraus geht ihre ganze Haltlosigkeit hervor. Eine Vermutung, die Bidermann 1866 gelegentlich „in zu affirmierter Form" ausgesprochen hat, daß nämlich Maximilian I. das Amt des „Schatzmeister-Generals" wegen des französisch klingenden Titels aus Burgund entlehnt habe, ist, da sie nicht weiter quellenmäßig nachgeprüft worden ist, im Laufe der Zeit immer weiter ausgesponnen worden; sie hat sich allmählich festgesetzt und vergröbert. In LoeningsLehrbuch des deutschen Verwaltungsrechtes" von 1884 findet sich zuerst „die weittragende Behauptung einer Nachbildung der burgundischen Verwaltungsorganisation durch Maximilian ausgesprochen"; sie ist dann insbesondere durch Adler und Rosenthal in ihren bekannten Werken23.1 ausgebaut und durchgeführt worden. Mit diesen beiden setzt sich denn auch Walther in der Hauptsache auseinander, da nach ihnen für die Theorie „nichts Materiales" mehr hinzugebracht worden ist. Er leitet seine Polemik gegen sie mit den Worten ein: „Wenn die Fülle von Mißverständnissen, die aufzudecken sein [Seite: 24] werden, verwunderlich scheint, so beachte man, daß die Meinung war, für eine im allgemeinen bereits feststehende Anschauung nur noch neue Beweise herbeizubringen. Selten wird ein Argument unbefangen sorgfältig gewogen. Bezeichnend ist die übermäßig gesteigerte affirmative Form für die unsichersten Behauptungen und als Gegenstück dazu die Verklausulierungen, die solche Behauptungen wieder unangreifbar machen sollen."

Indem Walther nun eine Reihe von Argumenten gegen die Rezeptionstheorie vorbringt, ist es für uns das zweckmäßigste, eines nach dem andern zu prüfen.

„Die erste Vorbedingung für die Aufstellung einer Rezeptionstheorie," so läßt er sich zunächst vernehmen, „ist eine Kenntnis wenigstens der Grundzüge der früheren Organisation, so daß mit einiger Wahrscheinlichkeit gesagt werden darf, das Neue könne nicht als Fortentwicklung des Alten erklärt werden. Diese Vorbedingung fehlt." Indem er nun darauf hinweist, daß selbst Adler und Rosenthal nicht genug die „hochentwickelte Verfassung" des „in den italienischen Kulturkreis hineinragenden" Tirols im 15. Jahrhundert zu rühmen wissen, zieht er eine Bemerkung Fellners hervor, es sei „nicht ausgeschlossen, daß vielleicht gerade die Administration von Tirol auf die anderen Länder übertragen wurde". Demgemäß stellt er die Forderung auf: „Ehe man annehmen soll, daß Maximilian sich seine Finanzverwaltung aus Burgund geholt habe, muß man verlangen, genauer zu erfahren, was für eine Verwaltung das war, von der die lange Reihe der Raitbücher des Innsbrucker Archives seit 1460 Kunde gibt." Er rühmt die „Kontinuität" der Tiroler Finanzverwaltung, für welche die soeben erwähnten Raitbücher „beredtes Zeugnis ablegen"; um ihre Trefflichkeit zu kennzeichnen, hebt er hervor, daß schon unter Erzherzog Sigmund (1439-1490) der oberste Beamte vor einer Kommission Rechnung legte, während er selbst hinwiederum zusammen mit einem anderen Beamten jährlich die Rechnung aller übrigen Finanzbeamten prüfte. Verwundert fragt man sich freilich, ob ein solcher Zustand denn ein Zeichen besonders hoher Entwicklung oder nicht vielmehr das Mindestmaß dessen ist, was man von einer [Seite: 25] auch nur einigermaßen geordneten Finanzverwaltung doch schließlich verlangen muß. Schließlich ist es doch ein Unterschied, ob die jährliche Rechnungsprüfung vor ad hoc verordneten Kommissarien (vgl. Anhang A) erfolgt, oder ob dafür eine ständige Organisation besteht. Mit Genugtuung konstatiert Walther, daß wesentliche Elemente der alten tirolischen Ordnung von Maximilian übernommen worden sind, nämlich eben bezüglich der Rechnungslegung und Anlegung von Rechnungsbüchern.25.1 Er schließt seine Ausführungen über die Tiroler Verwaltung mit den Worten: „Da sich aber nach den gedruckten Quellen noch kein ausreichendes Bild von der tirolischen Finanzverwaltung vor Maximilian gewinnen läßt, kann das letzte Wort in unserer Frage noch nicht gesprochen werden. Es würde sich entschieden lohnen, auf Grund der Innsbrucker Archivalien hier Klarheit zu schaffen."

Ganz richtig: wenn Tirol schon vor 1490 eine hochentwickelte Administration besessen hätte, die vielleicht, wie Walther andeutet, auf italienische Einflüsse zurückzuführen wäre, so wäre der französisch-burgundischen Rezeptionstheorie der Boden von vornherein entzogen. Aber das ist eben nicht der Fall. Die Tiroler Verwaltung des 16. Jahrhunderts ist recht primitiver Natur, sowohl die Finanz- als auch die allgemeine Verwaltung. Die hochgespannten Vorstellungen, die sich Walther von ihr gebildet hat und von denen er hoffte, daß sie bei eingehenderem archivalischen Studium bestätigt werden dürften, sind durch gelegentliche Bemerkungen Adlers hervorgerufen, die jedoch als übertreibend und irreführend zurückzuweisen sind. Indem Adler (S. 313) davon spricht, daß es noch keine Spezialuntersuchung über die Tiroler Verwaltung unter Erzherzog Sigmund gibt, warnt er davor, sich auf Grund der vorhandenen zerstreuten [Seite: 26] Angaben ein Bild davon entwerfen zu wollen; ein solcher Versuch muß, so führt er aus, „um so entschiedener abgelehnt werden, als Tirol zweifellos [!] bereits im Laufe des 15. Jahrhunderts eine hochentwickelte Verwaltung besaß, fragmentarische Andeutungen also hinter der Wahrheit weiter zurückbleiben würden als bei Ländern, bei welchen es sich um eine niedere Entwicklungsstufe handelt. Wir verweisen diesbezüglich," so fährt er in seiner nicht gerade schönen Ausdrucksweise fort, „auf den Archivbestand hin, soweit er die Epoche vor Maximilian, insbesondere die Zeiten Erzherzog Sigmunds betrifft. Mit dem Jahre 1466 setzt bereits jene Reihe der Kopialbücher ein (sog. ,zweite' [ältere] Serie, welche bis zum Jahre 1523 fortläuft und im ganzen 46 Bände umfaßt. Sind auch die Jahre 1466-1480 mit zwei Bänden erledigt, so beginnt doch schon [!] mit 1480 eine ziemlich lückenlose Folge, innerhalb deren jeder einzelne Band zumeist ja ein Jahr umfaßte. Noch weiter (bis 1460) reichen die Tiroler Rechnungsbücher (Raitbücher) zurück. Von den 418 Bänden, welche das Archiv laut Register besitzt, und deren Reihe sich bis ins 18. Jahrhundert erstreckt, zählten wir nicht weniger als 26, die der Epoche Sigismunds angehören. Dazu kommen die als ,Sigismundiana' ausgesonderten Akten, zahlreiche Handschriften und Urkunden. Ein solcher Archivstand legt Zeugnis ab von einer Entwicklung des Kanzleiwesens und der Buchhaltung insbesondere, welche ohne reiche Entfaltung der Zentralorgane nicht zu denken ist." So kommt denn Adler zur „Vermutung", daß das „Gerippe der Verwaltung", in Tirol vor 1490 „eine große relative Vollkommenheit aufgewiesen haben könnte", und erklärt (S. 315 f.): „Diese Vermutung wird unterstützt durch die Erinnerung an die erhaltene Buchführung; sie wird zur Gewißheit durch den im Archiv zu Innsbruck aufbewahrten Entwurf des Jahres 1482 über eine Reform der gesamten Hof- und Zentralverwaltung."

Diesen Erörterungen kann ich mich nicht anschließen. Nicht daß ich die Tatsachen bestreiten wollte, die Adler anführt; aber ich kann sie nicht so hoch einschätzen wie Adler, und halte die Schlußfolgerungen nicht richtig, die er aus ihnen zieht. Der „Archivstand" in Innsbruck, insoweit [Seite: 27] er auf die Zeiten Sigismunds zurückgeht, ist gar nicht so ungewöhnlich hoch, und, er unterscheidet sich keineswegs von dem anderer Territorien aus eben dieser Zeit so sehr, daß man aus ihm eine „reiche Entfaltung der Zentralorgane" oder eine „hochentwickelte" Verwaltung entnehmen dürfte, denen gegenüber die Administration anderer Länder noch auf einer „niedrigeren Entwicklungsstufe" gestanden haben müßte. Um uns Gewißheit darüber zu verschaffen, werfen wir einen Blick zuerst auf die Finanzverwaltung, sodann auf die allgemeine Verwaltung Tirols unter Erzherzog Sigmund.

Richtig ist es, daß das Tiroler Finanzwesen sich schon sehr früh einer ungewöhnlichen Blüte erfreute; diese seine erste Blütezeit fällt in das Ende des 13. und den Anfang des 14. Jahrhunderts, zumal in die Regierung Graf Meinhards II. Es gab bereits eine geordnete Rechnungslegung sowohl für die „Ämter" als auch für das Zollwesen27.1, ja sogar schon eine Zentralkasse, die nachher freilich wieder verfiel. Mit 1258 beginnen die Raitbücher; sie reichen bis c. 1360. Dann aber finden wir eine Lücke, die sich über einen Zeitraum von etwa 100 Jahren erstreckt; in dieser Zwischenzeit erfolgte unter den ersten Habsburgern ein arger Rückschlag. Die Verwaltungsordnung verfiel, und nur vereinzelt (aus den zwanziger Jahren des 15. Jahrhunderts) sind Reste von Raitbüchern aus jener Frist erhalten. Erst 1460 setzt wieder eine geschlossene Serie ein; aber noch ist die Anlage recht primitiv. Zur Begründung dieses Urteils können wir nicht umhin, die ältesten davon etwas näher zu beschreiben.

Das älteste (1460/61) führt den Titel: „Benedicten Cammermaisters und obristen amtmanns an der Etsch innemen und ausgeben." Demgemäß zerfällt es in zwei Teile, das Verzeichnis der Einnahme und das der Ausgabe. Der erste wird eingeleitet durch die Worte: „Nota. Mein Benedicten Wegmacher pharrer zu Tyrol Camermaister und obrister ambtman an der Etsch allerlaj innemen zu m. gn. [Seite: 28] herrn herzog Sigmunds etc. handen, als hernach volget. angefangen" usw. Zunächst kommen die Ordinari-Einnahmen, wie und wann er sie von den einzelnen Amtleuten, Pflegern, Zöllnern usw. empfangen hat; in bunter Reihenfolge werden im allgemeinen die einzelnen Einzahlungsposten der verschiedensten Provenienz chronologisch angemerkt. Nur Beamte, welche mehrfach und größere Beträge abliefern, werden besonders behandelt, indem ihre Zahlungen unter Durchbrechung der chronologischen Reihenfolge in einmaliger Zusammenfassung notiert werden. Die Eintragungen waren also nicht gleichzeitig; das Buch wurde vom Kammermeister, wenn er Rechnung legen sollte, erst zusammengestellt. Es folgen dann das „Innemen extraordinarie", zumal aus Darlehen, Hilfen (d. h. Steuern), Verpfändungen, Vorschüssen, Rückerstattung ausgeliehener Summen usw., darauf ein Abschnitt mit Einnahmen, die an Wegmachers Statt sein Schreiber Nicolaus „in der reis zu Schwaben" empfangen hat, darunter Summen, welche die Amtleute in den vorderösterreichischen Besitzungen abgeliefert haben, Hilfsgelder der Stadt Kempten, des Kapitels von Villingen, sowie schließlich die Einnahmen „aus dem silber". Der zweite Teil, der die Ausgaben umfaßt, zerfällt je nach deren Art in eine größere Anzahl von Abschnitten, z. B. „ausgaben zu m. gen. h." und „m. gen. frauen handen", „ausgaben auf die kuchen", auf Bauten, Festungen, Schlösser, Pferde, Getreide, Botenlohn, Sold für das Hofgesinde, Söldner u. a. m. Das nächste Raitbuch (1462/63) ist ganz dürftig; es ist nicht einmal wie das vorhergehende eine Zusammenfassung der ganzen Einnahme und Ausgabe, sondern hat nur drei Rubriken, provision und solde außerhalb landes, des hofgesindes raitung irer sölde und raitung extraordinarie, d. i. Abrechnung einzelner Söldnerführer, Handwerker und eines Amtmanns, den der Herzog zum Einkaufe nach Venedig geschickt hatte. Die folgenden Raitbücher schließen sich dann wieder an das Schema des ersten an, gehen aber über die darin angewandte Technik kaum hinaus.

Absichtlich habe ich die Anlage dieser Raitbücher so ausführlich beschrieben, um nämlich die Behauptung Adlers zu widerlegen, daß sich aus ihnen auf eine höhere [Seite: 29] Entwicklung der Buchhaltung schließen läßt. Solch relativ unvollkommene Versuche zu nachträglicher Zusammenfassung der Einnahmen und Ausgaben sind noch lange nicht eine wirkliche „Buchhaltung". Denn darunter versteht man die planmäßige Anlegung und laufende Führung einer größeren Anzahl von speziellen Büchern und Registern sowohl über die einzelnen Bestandteile der Finanzen resp. die einzelnen Einnahmequellen29.1 zum Zwecke der Aufnahme der Rechnungen und der sich daran schließenden Rechenkontrolle als auch hinsichtlich der Verhältnisse der Rechnungslegung selbst, wie Verzeichnisse der dabei in Betracht kommenden Person, Termine und besonderen Vorschriften, von Ausstellungen an den Rechnungen und ihrer Erledigung, aller eingelegten, aufgenommenen und unaufgenommenen Rechnungen u. a. m. — kurz der ganze große und umfängliche Apparat, der als Hilfsorgan für eine im Detail wohl ausgebildete systematische Kontrolle und auch als schnell funktionierende Auskunftsstelle für eine praktisch-zweckmäßige und wohl orientierte Finanzverwaltung erforderlich ist. Damit haben, wie man sieht, die Raitbücher aus der Zeit Sigmunds nichts zu tun. Noch gab es unter ihm eine technisch so vervollkommnete Buchhaltung ebensowenig wie überhaupt einen Buchhalter. Die Raitbücher wurden geführt vom „Kammermeister" und „Kammerschreiber", mit welch beiden das Personal der Zentralstelle für die Finanzen erschöpft war, und dem entspricht es, wenn auch späterhin, nach Einführung des Instituts der Buchhalterei, nicht durch den Buchhalter, sondern durch den Kammerschreiber die Zusammenstellung der Rechnungen der Amtleute jährlich vorgenommen werden soll.29.2 Der „Buchhalter", dieses für [Seite: 30] die moderne Technik der Finanzverwaltung charakteristische Amt, kommt erst mit Maximilian auf, und erst unter ihm werden alle diejenigen Register angelegt, die für eine geordnete „Buchhaltung” nötig sind, und von denen wir soeben gesprochen haben30.1; für die Zeit Sigmunds sucht man nach solchen im Innsbrucker Archiv vergeblich, — aus dem einfachen Grunde, weil es keine gegeben hat.

Man wird sich somit davor hüten müssen, wie Adler es tut, die Bedeutung der Raitbücher allzu hoch einzuschätzen und aus ihnen auf die Existenz bereits einer wirklichen „Buchhaltung" und demgemäß auf eine „reiche Entfaltung der Zentralorgane" zu schließen. Zwar sind sie von Maximilian übernommen worden; aber sie bedeuten gegenüber dem ganzen neuen Apparate, wie er unter diesem Herrscher geschaffen worden ist, doch nur einen recht dürftigen Vorläufer. Wäre die Finanzverwaltung vor 1490 wirklich so hoch entwickelt gewesen, wie Adler und ihm folgend Walther annehmen, so würden wir doch wohl einiges Material an Instruktionen, Ordnungen u. ä. m. aus dieser Zeit überkommen haben; aber es findet sich im Archiv davon gar nichts. Adler zitiert (S. 172 Anm. 1) eine Finanzinstruktion Albrechts III. vom Jahre 1392 für Österreich ob und unter der Enns; es ist sehr bedauerlich, daß er sie nicht mitgeteilt hat, und es würde sich sehr empfehlen, sie der Öffentlichkeit zu übergeben; denn sie ist eine Seltenheit für ihre Zeit. In Tirol ist ihr nichts an die Seite zu stellen. Erst in der zweiten Hälfte der Regierung Sigmunds stoßen wir auf Ähnliches, nämlich auf eine „Ordnung hofs anno 1466-1471".30.2 Sie enthält im wesentlichen Bestimmungen für das Hofgesinde, darunter auch verstreut einiges, was für die eigentlichen Beamten gilt, freilich recht wenig; sie ist jedenfalls noch nicht als eine Behördeninstruktion im Stile der Maximilianschen zu bezeichnen. Es ist nun darin auch eine „Camermaistersordnung" zu finden30.3; die Kürze, [Seite: 31] mit der sie den Geschäftskreis des Kammermeisters umschreibt, entspricht durchaus dem wenig komplizierten Zustande in Technik und Organisation des zentralen Finanzdienstes, der geradezu mangelhaften „Entfaltung der Zentralorgane". Ausführlicher ist ein anderes Schriftstück, das sich auf die Finanzverwaltung derselben Periode bezieht, das aber offenbar keine „Instruktion" oder „Ordnung" ist. Es handelt sich dabei augenscheinlich um einen Ratschlag oder ein Gutachten, sei es des gesamten Rats, sei es eines oder mehrerer seiner Mitglieder. Der weitaus größte Teil (Art. 6-24) beschäftigt sich mit den Verhältnissen in einigen lokalen Ämtern, Herrschaften und Pfandschaften und macht wohl auch Vorschläge, zumal betreffend die Besetzung der genannten Ämter. In den ersten fünf Artikeln31.1 ist von der Zentralstelle die Rede. Wir erfahren daraus, daß für sie eine Teilung geplant ist: für den Einnahmedienst soll ein besonderer „Obristambtmann" fungieren, sodaß dem „Kammermeister" nur der Ausgabedienst bleibt. 1571 tritt in der Tat ein besonderer Kammermeister in der Person des Matthias Turndl auf, daneben ein „obristambtmann", Herr Benediktus Wegmacher, Pfarrer zu Tirol, der früher selbst Kammermeister gewesen war. Im folgenden Jahre (1572) begegnet uns noch ein zweiter Obristambtmann, Heinrich Anich; wahrscheinlich war für Wegmacher die — gegen früher ohnehin schon verringerte — Geschäftslast immer noch zu groß, und er hatte daher einen Kollegen bekommen. Daß ein Pfarrer aber mehrere Jahre lang als Kammermeister und zugleich als „obrister ambtmann an der Etsch", später immerhin noch als „oberster Amtmann" allein fungieren konnte, das beweist doch, daß sich der zentrale Finanzdienst noch auf einer sehr primitiven Stufe der Entwicklung befand.

Wie mit der Finanzverwaltung, so auch verhielt es sich mit der Verwaltung im allgemeinen. Auch die Einrichtung der Kopialbücher, die Adler so hoch einschätzt, ist noch recht rudimentär, um nicht zu sagen naiv. Auf Vollständigkeit machen sie offenbar keinen Anspruch, und [Seite: 32] Material an Instruktionen, Ordnungen usw. ist in ihnen gar nicht enthalten. Jedes von ihnen zerfällt in mehrere Abteilungen mit besonderem Titel, wofür meist ein ziemlich äußerliches Stichwort gewählt ist, z. B. „Schulden", „Bekennen", „Erteilen", „Geleit". Von einer ernstlichen Durchführung sachlicher Gesichtspunkte für die Einteilung ist keine Rede. Aus ihnen auf eine vollkommenere „Entwicklung des Kanzleiwesens" und eben daher weiterhin auf eine „reiche Entfaltung der Zentralorgane" zu schließen, ist unzulässig. Tatsächlich ist auch von einer solchen in Tirol und in den übrigen Territorien des habsburgischen Österreichs vor dem Ende des 15. Jahrhunderts wenig zu spüren. Walther behauptet zwar (S. 190): „Die kollegialen Regimenter sind in Deutschland und Österreich im 15. Jahrhundert sehr gebräuchlich gewesen"; zum Beweise dafür zitiert er: „siehe v. Wretschko, auch Adler 485." Mit diesem Beweise hat es sich nun Walther freilich so leicht gemacht, daß wir darauf etwas näher eingehen müssen.

Zunächst die Stelle bei Adler. Es handelt sich dabei um einen Exkurs über „Statthalterschaften in den Österreichischen Ländern"; doch wird darin nichts davon erwähnt, daß diese kollegial organisiert waren.32.1 Sie waren im wesentlichen ständische Ausschüsse, welche die Regierung in vormundschaftlicher Vertretung oder in Abwesenheit des Fürsten führten; sie neigten von selber und durch die Natur der Dinge zu Beratung und Beschlußfassung in kollegialer Form, ohne daß man sich ihrer so recht bewußt zu sein, geschweige denn eine solche ausdrücklich vorzuschreiben brauchte; denn sie beruhten ja bis zu einem gewissen Grade auf der Gleichberechtigung ihrer Mitglieder. Aber sie gehören nicht in die Entwicklungsreihe monarchischer Organisationen; sie waren nicht unter der Leitung des Monarchen mit der Erledigung der Geschäfte betraute ständige [Seite: 33] Behörden, die ganz und gar in der monarchischen Machtsphäre standen. Ganz unzulässig nun gar ist, wo so weittragende Behauptungen in Frage stehen, ein so unbestimmtes Zitat wie „siehe v. Wretschko". Vielleicht hat Walther dabei den Passus bei Wretschko, Österreichisches Marschallamt, S. 155, im Auge, wo gesagt wird, daß die Urkunden an der Zentralstelle seit Friedrich III., also in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts, „nur ein Ratskollegium" erwähnten. Wretschko will aber hier offenbar nur sagen, daß die in früherer Zeit bestehende Scheidung des herzoglichen Rates in einen engeren und einen weiteren (von ständischen Elementen erfüllten) Beirat in jenen Urkunden keinen Anhaltspunkt mehr findet, daß es jetzt vielmehr nur noch einen Rat gebe, in dem das ständische und das Beamtenelement nebeneinander saßen; er will damit keineswegs etwa dem Rate jener Zeit den Charakter eines collegium formatum zuschreiben. Das kann um so weniger seine Absicht und Ansicht sein, als er ja (S. 174) noch für das 15. Jahrhundert ausführt, „daß die verschiedenen Beamten und Räte an der Erledigung der Geschäfte, entweder einzeln oder zu Gruppen vereinigt, teilnahmen," wobei er bemerkt: „Ob das eine oder das andere einzutreten hatte, hing lediglich vom Ermessen des Herzogs ab." Ein solcher Zustand verträgt sich nicht mit dem Kollegialitätsprinzip: denn dieses fordert, daß alle Geschäfte, die zur Kompetenz einer bestimmten Behörde gehören, in deren Plenum in fest umschriebener Form beraten und durch Mehrheitsbeschluß erledigt werden, den der Fürst dann entweder annimmt oder verwirft. Zum Überflusse erklärt Wretschko auch noch ausdrücklich (S. 177) vom Rate zur Zeit Friedrichs IV. (III.), also unmittelbar vor der Epoche Maximilians: „Deshalb war aber der Rat noch lange nicht eine geschlossene Behörde." Geschlossenheit aber ist die erste und unbedingte Voraussetzung für die Existenz der Kollegialität.33.1 [Seite: 34]

Mit seiner Berufung auf Adler und Wretschko hat somit Walther für seine These, daß die kollegialen „Regimente" in Deutschland und Österreich im 15. Jahrhundert „sehr gebräuchlich" gewesen seien, nicht das geringste erwiesen, insofern als etwa daraus die dauernde Existenz der Kollegialität für das monarchische Behördensystem bereits für diese Zeit geschlossen werden dürfte. Und in Tirol war es in dieser Hinsicht nicht anders wie in anderen Territorien: Wenn sich vor Maximilian Ansätze zu kollegialer Organisationsform zeigen, so liegt das nicht auf dem Felde rein monarchischer Behördenorganisation, und ähnlich verhält es sich mit den Instruktionen. Soweit es sich um solche handelt, die schon ziemlich ausgearbeitet sind, kommen sie zuerst vor für Regimente, d. h. eben für Statthalterschaften, Regentschaften im Falle von Thronvakanz oder bei Krankheit, Abwesenheit und Unfähigkeit des Herrschers; das aber sind nicht laufend unter dem Landesherrn arbeitende, feste und ordentliche Behörden. Und wo sie aufkommen, da sind sie häufig genug geradezu von einer antimonarchischen und ständischen Tendenz getragen und schon deshalb nicht für die Geschichte monarchischer Behördenorganisation ohne weiteres verwertbar. Das beste Beispiel dafür bietet eben Tirol. Die „Vermutung" einer „relativen Vollkommenheit" der Verwaltung Sigmunds wird für Adler, wie wir wissen, „zur Gewißheit durch einen im Archiv zu Innsbruck aufbewahrten Entwurf des Jahres 1482 über eine Reform der gesamten Hof- und Zentralverwaltung", den er mit den Worten charakterisiert: „Der Entwurf (oder das Gutachten?) will der herrschenden Mißwirtschaft durch organische Bestimmungen begegnen zu einer Zeit, da die Stände noch nicht kontrollierend eingriffen."

Wie zuversichtlich auch immer diese letzte Behauptung vorgetragen wird, so halte ich sie doch nicht für richtig. Leider hat das Schriftstück (nach Adler 316 Anm. 1 liegt [Seite: 35] es bei den Sigmundiana) bei meiner Anwesenheit im Innsbrucker Archiv nicht mehr aufgefunden werden können. Nach Adler aber handelt es sich dabei um ein Projekt, das selber als seinen Entstehungsgrund den hohen Schuldenstand und die besorgniserregenden Zeitläufte angibt, „weshalb der Erzherzog sich einer Ordnung unterwerfen, alle unnötigen Kosten des Hofstaats aufgeben und sich für seine Person mit wöchentlich 200 Gulden begnügen müsse". Dazu bemerkt er selbst: „Die Analogie mit den späteren, durch die Stände vollzogenen Maßregeln ist auffallend." Unter diesen Umständen dürfte die Vermutung vollauf berechtigt sein, daß wir es bei diesem Entwurfe von 1482 noch nicht mit einem freien monarchischen Reformprojekte im Sinne der bald darauf einsetzenden Organisationsversuche Maximilians zu tun haben, sondern schon mit einem Unternehmen, den Erzherzog wegen seiner Verschwendungssucht und schlechten Finanzwirtschaft zu beschränken, durch die Schaffung eines geordneten Rates mit streng kollegialer Verfassung das Willkürregiment des Herrschers und den Einfluß bei ihm übermächtiger und für schädlich erachteter Günstlinge einzudämmen. Daher sind dann auch einzelne gerade in dieser Hinsicht charakteristische Artikel des Entwurfs in eine spätere, zur Ausführung gelangte Ordnung übernommen worden, welche einen ausgesprochenen ständischen Charakter trägt. Die Ordnung von 1482 ist, um es nochmals zu betonen, ein Entwurf, der auf dem Papier geblieben ist, und es muß dahingestellt bleiben, ob nicht schon oppositioneller Druck auf seine Entstehung Einfluß gehabt hat. Soviel ist jedenfalls sicher, daß damit den Wünschen und Beschwerden des Landes entgegengekommen werden sollte; und wenn er Projekt geblieben ist, so dürfte das am Widerstande des Erzherzogs selbst gelegen haben, der das geplante Ratskolleg als eine Einschränkung seiner Aktionsfreiheit, als eine Art vormundschaftliche Regierung empfand. In die Vorgeschichte der monarchischen Behördenreformen Maximilians fällt somit dieses Schriftstück nicht, und es ist anzunehmen, daß zum mindesten die Rücksicht auf die Stände, wenn nicht gar direkt ihr Betreiben bei seiner Entstehung mitwirkten. [Seite: 36]

Was 1482 noch vermieden worden war, die Errichtung eines wirklichen Ratskollegs, das dem Lande eine verständige und ordnungsmäßige Führung der Geschäfte geben sollte, vom Erzherzog freilich, wie gesagt, als ein lästiger Vormundschaftsrat empfunden werden mußte, dazu kam es einige Jahre später. Von 1487 an finden sich im Innsbrucker Archive „Ordnungen", sei es des Hofstaats, sei es „des Regiments" oder der „Verordneten Räte"36.1, deren nächster Zweck die Beschränkung des Fürsten in den Ausgaben für seinen Hofstaat ist, die aber auch weit über diesen nächsten Zweck hinausgreifen und als Konzessionen an die Stände und das Land aufzufassen sind. Die erste von ihnen ist vom 23. November 1487 datiert. Erlassen durch Sigmund, soll sie nicht sowohl eine Instruktion für die Behörden sein; vielmehr will eben durch sie der Herrscher den Ständen Garantien für ein sparsames, ihren Wünschen und Interessen entsprechendes Regiment geben; daher sagt er auch 1488, als er ihre Geltung auf zwei Jahre erstreckt, er tue das „aus fürstlichem gemuet und gnedigem genaigten willen, so wir zu den gedachten unsern landschaften tragen, aigner bewegnus, freis willens, der kaiserlichen Mt zu gefallen, auch der landschaft zu gnaden". Und eben deshalb wurde schon 148736.2 das Gremium der „geordneten Räte" aus Vertretern der einzelnen Landesteile, aus „Landleuten", zusammengesetzt; es gehörten dazu 16 Personen aus Tirol selber, Prälaten, Edle, Vertreter der Städte und Gerichte, die Tagegelder je nach ihrem Stande zu verschiedenem Satze erhielten, sowie acht Angehörige der „Vordern Lande", von denen dasselbe galt. Für sie wurde nun im Frühjahre 1488 eine neue Ordnung erlassen36.3, welche den Landesfürsten immer noch tatsächlich depossedierte und die [Seite: 37] Regierungsgewalt den „Geordneten Räten" auslieferte.37.1 Sie lehnte sich stark an den Entwurf von 1482 an, und daher brachte sie auch sehr entschieden das Prinzip der kollegialen Gleichberechtigung und der Mehrheit bei der Beschlußfassung zum Ausdruck. Der Grund dafür liegt auf der Hand: der Rat muß dem Fürsten gegenüber, von dem er nominell abhängig ist, dem er dienen, den er in Wahrheit freilich bevormunden soll, möglichst als eine kompakte und autoritative Einheit aufzutreten in der Lage sein. Dazu kommt, daß er einheitlich das Land vertreten soll, und daher müssen die sozialen Unterschiede, die sich aus der ungleichen Herkunft und Standeszugehörigkeit der einzelnen Mitglieder ergeben, möglichst verwischt werden, indem eben ihre Gleichstellung in ihrer Eigenschaft als Mitglieder des Rates nachdrücklich betont wird. Es leuchtet aber auch ein, daß diese Räte in der Stellung, die sie damals einnahmen, nicht als Berufsbeamte im modernen Sinne angesprochen werden können. Trotz der Durchführung des Systems der Kollegialität ist dieser Rat Sigmunds kein Vorläufer des späteren Hofrates unter Maximilian I. und Ferdinand I. Er fällt überhaupt nicht in die Sphäre streng monarchischer Verwaltungsordnung; er trägt eine ausgesprochen ständische Tendenz.37.2 [Seite: 38]

Von einer auch nur einigermaßen entwickelten Verwaltungstechnik kann somit für das Tirol des 15. Jahrhunderts noch nicht die Rede sein, sowohl was die allgemeine als auch was die Finanzverwaltung anbelangt. Die ersten Spuren eines mehr vervollkommneten Instruktionswesens und des Kollegialsystems treten erst in den achtziger Jahren auf; aber es handelt sich dabei nicht um Auswirkungen des monarchischen Organisationsrechts, sondern im Gegenteil um ständisch-oppositionelle Versuche zur Beschränkung der landesfürstlichen Gewalt. Und jedenfalls kannte Maximilian die Vorzüge der Kollegialität und ihre Betätigung im Rahmen monarchischer Verwaltungseinrichtungen schon vorher. Die Gelegenheit hatte er ja dazu reichlich genug bereits in den Niederlanden in der Praxis seiner Regierung und Geschäftsführung gehabt, und es würde heißen, sich allen Wahrscheinlichkeitserwägungen hartnäckig verschließen, wenn man nicht annehmen wollte, daß er das Kollegialitätssystem eben dort überhaupt erst gründlich kennen und schätzen lernte: war es doch in Deutschland als regelmäßiges und grundlegendes Prinzip monarchischer Behördenordnung noch nicht in Anwendung. Damit aber fällt die von Walther — eben im Anschlusse an übertreibende Ausführungen Adlers — aufgestellte Behauptung: die Tiroler Verwaltung sei möglicherweise, vielleicht sogar unter der Einwirkung italienischer Vorbilder, bei Maximilians Regierungsantritt schon so entwickelt gewesen, daß sich seine Reform nur als eine relativ untergeordnete Schlußphase einer Entwicklung darstelle, die sich in der Hauptsache bereits vor ihm vollzogen habe; sie seien nichts weiter als die letzte Krönung eines Gebäudes, das schon vorher fix und fertig dagestanden habe. Die Reformen Maximilians sind vielmehr sowohl für Tirol als auch für die gesamten deutschen Erblande der Habsburger etwas grundsätzlich Neues. Keineswegs liegt die Sache so, daß schon Bestehendes fortgebildet und zur letzten Reife gebracht wird; sondern es wird etwas ganz Neues geschaffen, und die methodisch allein berechtigte Fragestellung, die nunmehr zur Anwendung gelangen darf, gipfelt in der Alternative: hat Maximilian dieses Neue ganz spontan, aus sich selbst heraus geschaffen, ohne [Seite: 39] jegliche Anlehnung an fremde Vorbilder? Oder handelt es sich um Reiser, die, auf anderem Boden entsprossen, einfach von ihm auf den Stamm der einheimischen Administration verpflanzt worden sind? Und wenn das der Fall ist, so erhebt sich weiterhin die Frage: wo findet sich das Vorbild, welches Maximilian in Österreich nachahmte? Wo allein kann es zu suchen sein?

Die „herrschende Lehre" ist nun eben die einer Rezeption der burgundisch-niederländischen Verwaltungsordnung, die ihrerseits wieder eine Nachbildung französischer Einrichtungen sei; das aber glaubt Walther aus einer Reihe von Gründen ablehnen zu müssen. Zunächst fehlt es dafür, wie er meint, an positiven Zeugnissen39.1; wenn die Annahme einer bewußten Entlehnung richtig sei, so müßten sich dafür direkte quellenmäßige Anhaltspunkte in der Korrespondenz Maximilians und in seinen Ordonnanzen finden. Auf diesen Standpunkt „quod non est in actis, non est in mundo" kann ich mich im vorliegenden Falle nicht stellen. Auch wenn die Rezeption nicht ausdrücklich und direkt durch positive Quellenzeugnisse belegt werden könnte, so könnten doch sachliche Erwägungen ihre Annahme zu einer zwingenden Notwendigkeit erheben. Maximilian und die in seiner Umgebung weilenden Elemente kannten vielleicht (wir kommen noch darauf zurück) die niederländisch-burgundischen Einrichtungen so gut, daß sie, als sie daran gingen, in Österreich Ähnliches zu schaffen, gar nicht nötig hatten, nach den Niederlanden um Auskunft zu schreiben, und warum hätten sie in den neuen Instruktionen etwa selbst erwähnen sollen, ob ihnen dabei irgendwelches Vorbild vorschwebte, oder gar welches? Das brauchte um so weniger zu geschehen, als es sich bei dieser Rezeption, wenn sie wirklich stattfand, keineswegs, wie wir noch sehen werden, um eine sklavische Nachbildung gegebener [Seite: 40] Vorbilder handelte, sondern um die freie Verwertung von Erfahrungen, die man dort gesammelt hatte, und daher lediglich um die Übertragung gewisser Ideen, allgemeiner, Begriffe und Anschauungen, indem die französisch-burgundische Tradition dabei im wesentlichen als ein Leitstern und eine Norm für die neue Gestaltung der Verwaltungszustände in Österreich diente, während die Durchführung im einzelnen den Stempel einer relativen Selbständigkeit tragen konnte. So läßt sich das Fehlen „positiver Quellenzeugnisse" leicht und ungezwungen erklären, ohne daß daraus ein Argument gegen die Rezeptionstheorie mit Notwendigkeit zu entnehmen wäre.40.1 [Seite: 41]

Die Rezeptionstheorie entbehrt aber nicht nur, so fährt Walther fort, jeden positiven Quellenzeugnisses, sondern es erweisen sich auch die Stützen, auf denen sie nach der Behauptung ihrer Vertreter beruht, als morsch und unhaltbar. Sie beruht nämlich zunächst (S. 172) auf einer allzu wenig „genauen Kenntnis dessen, was herübergenommen worden sein soll": Die Werke, die das Vergleichsmaterial gegeben haben, für Frankreich Pardessus, Dareste, Chéruel, für Burgund lediglich die 1837 erschienene kurze Notice Gachards über die alten chambres des comptes41.1, sind veraltet; nur Vuitrys Werk über die französische Finanzgeschichte ist neueren Datums, bricht aber 1380 ab. Ganz unsicher ist daher, zu diesem Ergebnis kommt Walther, der Boden, auf dem man steht; denn man hat „ohne Bedenken Vergleichsmatertal aus wechselvollen Entwicklungen von Jahrhunderten zusammengesucht", während doch „auf einen möglich genauen Querschnitt für wenige Jahre alles angekommen wäre".

Gerade diese letzten Bemerkungen beweisen nichts anderes, als daß sich Walther das Problem nicht gehörig klar gemacht hat. Es wird ja gar nicht behauptet, daß Maximilian bestimmte niederländische Institutionen seiner Zeit sklavisch übernommen und nachgebildet, sondern nur daß er gewisse allgemeine und leitende Grundgedanken, von denen die gesamte Entwicklung der französisch-burgundischen Verwaltung im 14. und 15. Jahrhundert getragen war, für Österreich nutzbar gemacht hat; diese großen Tendenzen kennen zu lernen, dafür reichen die genannten älteren Werke vollkommen aus; das sind Dinge, die vollkommen feststehen. Und ebenso verhält es sich mit Walthers Hinweise darauf, daß Maximilian nicht mehr die an gleichzeitige französische Formen eng sich anschließenden Institutionen Karls des Kühnen in den Niederlanden angetroffen hat, die ihren Schöpfer nicht überlebt, sondern nach seinem Tode „stark abweichende Organisationen" hätten weichen müssen, daß ihm auch die niederländischen Einrichtungen „nicht wundervoll [Seite: 42] funktionierend, zum Rezipieren einladend" entgegengetreten seien, vielmehr im Zustande schlimmster Verwirrung, und daß er auch deren genaue Kenntnis vermissen lasse, wie ihm z. B. die epargne (s. oben S. 2) entgangen sei. Abermals die irrige Voraussetzung, als ob es dabei sonderlich auf das Detail ankäme! Die großen Prinzipien, auf denen die niederländische Entwicklung unter Einwirkung der französischen Tradition beruht, sind durch die ständische Reaktion von 1471, durch die vielfachen Änderungen und Experimente, welche um jene Zeit vorgenommen wurden, nicht auf die Dauer und in ihrem Kerne angetastet worden. Wir werden auch sehen, daß Maximilian keineswegs wahllos „rezipierte"; es gab gar manches, was ihn nicht „zum Rezipieren einlud", und er hat im einzelnen vieles ganz anders gemacht und gestaltet, wie es in den Niederlanden war. Es ist richtig, daß sich die Schöpfungen Karls des Kühnen sehr stark an aktuelle französische Formen anlehnten, und daß sie bei Maximilians Ankunft nicht mehr bestanden. Das bezieht sich doch aber hinwiederum nicht auf die letzten grundlegenden Maximen, welche die niederländische Verwaltung des gesamten 15. Jahrhunderts als eine Erbschaft der Entwicklung kennzeichnen, die sich vorher in Frankreich abgespielt hatte.42.1

Um zu zeigen, daß eine Rezeption nicht stattgefunden haben kann, geht Walther (S. 179 ff.) die einzelnen Zweige der Administration durch. Was er zunächst von der Hofhaltung sagt, lassen wir außer acht, da wir hier unser Augenmerk auf die Verwaltung richten, insofern sie rein [Seite: 43] staatlicher Natur ist. Was die Kanzlei anbelangt, so meint er, daß da eher „von einer Übertragung österreichischer Gebräuche nach Burgund zu reden wäre, nämlich bezüglich gewisser Unterschriftsformeln. Trotzdem bleibt es dabei, daß die Normierung des Kanzlei- und Schreibwesens durch ausführliche Instruktionen über Geschäftsgang, Registratur usw. vor Maximilian unbekannt ist. Wir müssen daher fragen, woher dieses Neue stammt, und das läßt sich eben nur beantworten im Zusammenhange mit dem allgemeinen Problem der Provenienz der ganzen modernen systematisch ausgebildeten Verwaltungstechnik. Bezüglich des Hofrats43.1 beschränkt sich Walther auf einen Verweis auf Rosenthal, der jenen „nicht sowohl als eine Neuschöpfung denn als eine Zusammenfassung der vorhandenen Kräfte" betrachte. So einfach ist die Sache aber doch nicht. Denn es gilt vom Hofrat dasselbe, was soeben von der Kanzlei gesagt wurde, und daß die Durchführung des Prinzips der Kollegialität ein Novum in der Geschichte der monarchischen Behördenorganisation in Deutschland war, ist ja bereits des längeren ausgeführt worden. Am willkürlichsten behandelt Walther freilich (S. 180) die seit Maximilian neu aufkommenden kollegialen Mittelbehörden für die Justiz und allgemeine Verwaltung, die sog. „Regimente" oder Landeshofräte. Indem er zunächst, worüber schon gesprochen worden ist, fälschlich konstatiert, die kollegialen Regimente seien in Deutschland und Österreich schon im 15. Jahrhundert „sehr gebräuchlich" gewesen, fügt er hinzu: „Auch wäre schwer zu sagen, welcher burgundischen Behörde sie nachgebildet sein sollen," und indem er sich bemüht nachzuweisen, daß höchstens von der burgundischen Zentralstelle, nämlich vom vertrauten Rate, „eine Linie" zu ihnen gezogen werden könnte, dekretiert er ohne jegliche Begründung: „Die Provinzialhöfe kommen nicht in Betracht." Ich bin gerade der entgegengesetzten [Seite: 44] Ansicht. Vollkommen entsprechen den österreichischen Landeshofräten die niederländischen Provinzialkonseils, sowohl was die Kompetenz anbelangt, nämlich die Verbindung von Justiz und allgemeiner Landesverwaltung, als auch die Zusammensetzung (aus adligen Berufsbeamten und Doktoren), das Prinzip der Kollegialität, die Ausstattung mit fest umschriebenen Vollmachten und Weisungen. Und es bleibt nun einmal dabei: „Kollegial organisierte und mit ganz bestimmten Befugnissen ausgestattete" Regiments- und Justizbehörden, wie Walther selber die Maximilianschen Regimente kennzeichnet, gibt es vorher noch nicht, am allerwenigsten als permanente rein monarchische Einrichtungen.

„Es bleibt also," um mit Walther (S. 180) zu sprechen, „nur noch das weite Gebiet der Finanzverwaltung übrig," und auch da ist er mit seinem Urteil schnell fertig. Zunächst erklärt er, daß die gerade hier so häufig vorkommenden Anklänge an französisch-burgundische Amtstitel nichts für die Rezeption beweisen könnten; wir haben ja dazu bereits (s. oben S. 40 Anm. 1) Stellung genommen. Um hier noch einmal kurz darauf zurückzukommen: es wäre doch mehr als wunderlich, wenn man rein aus Sucht nach Fremdwörtern auf alle diese Bezeichnungen verfallen wäre, die sich auch in der französisch-niederländischen Verwaltung finden, und gerade diese Fremdwörter als Lehnwörter statt aus dem Französischen vielmehr aus dem Lateinischen anzusehen, erscheint so gesucht, wie nur irgend möglich, wenngleich Walther zur Erhärtung dieser seiner letzten Behauptung hinzufügt, das Latein sei damals noch „Umgangssprache" gewesen; das war aber doch schwerlich der Fall in den Bureaus der Finanzverwaltung. Bezüglich des „Schatzmeister-Generals" oder „Generalschatzmeisters", der ja der Ausgangspunkt der ganzen Theorie ist, meint Walther, man könne da viel eher an den thesaurarius generalis der römischen Kurie denken. Es besteht da nur die kleine Schwierigkeit, daß man in der Umgebung Maximilians mit dem römischen thesaurarius generalis jedenfalls nicht mehr zu tun hatte wie mit dem burgundischen tresorier genéral. Die Lage der Dinge ist einfach die: in der österreichischen Verwaltung kommt die Zusammensetzung von Amtstiteln mit [Seite: 45] „general" erst seit Maximilian auf, während sie in der französisch-burgundischen Administration, die er und seine Umgebung in ihren Grundzügen sehr wohl kannten, von jeher üblich war; wenn nun also bei ihrem Aufkommen in Österreich irgendein fremdes Vorbild, eine Reminiszenz ganz allgemeiner Art wirksam war, so liegt es am nächsten, danach in den Niederlanden zu suchen. Daß es eben damals dort keinen trésorier général gab, ist ganz gleichgültig; das ist wieder der grundlegende Irrtum Walthers, als ob es sich bei der Rezeption um ein sklavisches Kopieren im gegebenen Moment ganz genau ebenso bestehender Einrichtungen handeln müßte. Hätten 1491 und 1497 nicht vier trésoriers, sondern nur einer in den Niederlanden existiert, so wäre er unzweifelhaft, wie das zu anderen Zeiten der Fall war, als genau dasselbe Institut hier auftrat, trésorier général genannt worden, und demgemäß nennt Maximilian den analogen Beamten in seinen Erblanden „Schatzmeister-General" oder „General-Schatzmeister". Der beste Beweis für die Richtigkeit dieser meiner Ausführungen liegt darin, daß 1499, als an die Stelle der bisherigen vier trésoriers ein einziger tritt, dieser alsbald genannt wird: „trésorier général des demene et finances" (Walther S. 61). Gerade aus diesem Beispiele sieht man recht deutlich, wie gleichartig jetzt hier wie dort die Dinge angesehen werden: Da ja nun aber einmal die niederländische Entwicklung die ältere ist, die österreichische etwas vollkommen Neues, so bleibt es dabei, daß jene das Vorbild für diese gewesen ist; d. h. es hat eine Rezeption französisch-burgundischer Institutionen des formalen Verwaltungsrechts in Österreich und Deutschland stattgehabt.

Ähnlich verhält es sich mit dem Worte „Raitkammer". Walther leugnet, daß es der französischen Bezeichnung „chambre des comptes" nachgebildet sei, da schon im Mittelalter sowohl das Wort „raiten" im finanztechnischen Sinne als auch die Bezeichnung „Kammer" für Finanzbehörden vorkämen. Was aber im Mittelalter noch nicht existiert, das ist das Kompositum „Raitkammer", und es taucht auch als Name für eine Behörde auf, die in dieser Gestalt als kollegialer Rechnungshof bisher in Deutschland vollkommen [Seite: 46] unbekannt war, die uns aber in den Niederlanden bereits seit einem Jahrhundert begegnet, und die dort „chambre des comptes" heißt. Nun taucht ein entsprechendes Institut plötzlich in Österreich auf, geschaffen durch den gemeinsamen Regenten, und zwar unter einem Namen, der wie eine wörtliche Übersetzung aus dem Französischen klingt, — Raitkammer, Rechenkammer: wer könnte da daran zweifeln, daß Einrichtung und Namen zugleich aus den Niederlanden, d. h. aus der französisch-burgundischen Verwaltung, rezipiert worden sind? Nun wird Walther hier freilich einwenden: Die österreichische Raitkammer ist ja gar nicht dasselbe, wie die französisch-niederländische chambre des comptes; diese ist reiner Rechnungshof, jene ist Kontroll- und Verwaltungsbehörde. Aber sie ist doch auch Rechnungshof, und insofern bleibt es doch dabei, daß Einrichtung und Namen von den Niederlanden her übernommen wurden, nur daß Maximilian es für gut fand, ihren Geschäftskreis in Österreich zu erweitern. Es ist eben, wie man hieraus recht deutlich sieht, eine Rezeption, die nicht schematisch nachahmt, sondern eigene Zutaten gibt.

Walther glaubt freilich gerade bei dieser Gelegenheit unter bunter Zusammenstellung „der österreichischen Regimenter und Raitkammern um die Wende des 15. Jahrhunderts einerseits und anderseits des englischen Exchequer des 12., des französischen Hofrates des ausgehenden 13. und beginnenden 14., der burgundischen Provinzialräte des ausgehenden 14. und beginnenden 15. Jahrhunderts" konstatieren zu dürfen, es sei das „ein positiver Beweis, daß wir es anstatt mit einer Rezeption vielmehr mit einem gleichartigen Wachsen an den verschiedensten Stellen zu tun haben." Das scheint mir ganz dasselbe Verfahren zu sein, welches er den Vertretern der Rezeptionstheorie vorwirft, „ohne Wahl Parallelen aus langen und komplizierten Entwicklungen zusammenzustellen." Wenn man die Zustände in der Tiroler Finanzverwaltung vor Maximilian betrachtet, wie sie tatsächlich lagen, und damit die Reformen dieses Herrschers vergleicht, so begreift man schlechterdings nicht, wie da von einem „Wachsen" gesprochen werden kann. Man lese nur die Urkunde vom 28. Februar 1491 (wie relativ [Seite: 47] kurz sie auch immer noch im Verhältnisse zu späteren Schriftstücken dieser Art ist), durch welche Maximilian anstatt des bisherigen obersten Amtmanns zu Innsbruck das neue Kammerkolleg einsetzt und dem aus dem Mittelalter überkommenen Kammermeister und Kammerschreiber den Buchhalter überhaupt erst zufügt, der fortan als der eigentliche Träger des geregelten, streng bureaukratisch geordneten Verfahrens bei der Rechnungslegung erscheint: Kollegialität, strenge Durchführung des Prinzips des Berufsbeamtentums, fester Geschäftsgang auf Grund schriftlicher Instruktionen, die sich in der Folgezeit zusehends ausführlicher und vollkommener gestalten — sie sind wie mit einem Zauberschlage da. Bei diesem Sachverhalt darf man gewiß nicht von einem langsamen Wachstum von innen heraus sprechen; sondern es liegt vor eine Übertragung von Vorbildern, die dem König von den Niederlanden her bekannt waren, und die er jetzt in seinen Erblanden unter bestimmten, und zwar weitgehenden Modifikationen nachahmte.

Alles, was Walther sonst noch vorbringt, um eine prinzipielle Verschiedenheit der Organisation des Finanzdienstes in Österreich und den Niederlanden und damit die Unmöglichkeit einer Rezeption darzutun, erweist sich nicht als stichhaltig. Er macht darauf aufmerksam, daß es hier an einem dauernden Gegenstücke zur österreichischen Hofkammer, nämlich an einer kollegial organisierten Zentralstelle für die Finanzen fehlte.47.1 Aber darauf kommt es natürlich gar nicht an, ob die korrespondierende niederländische Behörde, der conseil des finances, auch immer kollegial organisiert war; es ist ja bekannt, daß der König in seiner Vorliebe für die Kollegialität gelegentlich über das niederländische Vorbild hinausging. Charakteristisch ist es auch, daß 1498, als die Hofkammer als die zentrale Stelle für die eigentliche Finanzverwaltung geschaffen wurde, die Innsbrucker Schatzkammer zugleich mit der zentralen Finanzkontrolle betraut wurde; diese Scheidung von Finanzverwaltung [Seite: 48] und Finanzkontrolle erinnert so frappant an das Verhältnis des conseil des finances zu der in Lille fixierten cambre des comptes, daß man sich in diesem speziellen Falle des Eindruckes nicht erwehren kann, als ob hier sogar nur eine Nachahmung gleichzeitig bestehender Einrichtungen im Detail versucht worden wäre.48.1

Sogar einen „ausdrücklichen Beweis" gegen die Rezeptionstheorie hat Walther entdeckt: als 1510 der Kaiser die Kammer zu Innsbruck anwies, die Rechnungen des Philipp de Chassey, „Rentmeister-Generals" von Burgund, zu prüfen, protestierte sie dagegen, weil sie der französischen Sprache nicht mächtig sei und die burgundischen Gebräuche nicht kenne; sie bat, zum mindesten „ihr Instruktionen über die burgundischen Hofgebräuche einzusenden, zugleich auch einige vom Hofe abzuordnen, welche der burgundischen Sprache mächtig seien". Was wird denn durch diesen Vorfall „bewiesen"? Doch nur, daß das Personal der Innsbrucker Kammer nicht französisch verstand und die burgundischen Instruktionen nicht kannte, zugleich aber auch, daß es am Hofe des Königs Elemente gab, die geeignet waren, als Mittelspersonen zwischen der burgundisch-niederländischen und der habsburgisch-erbländischen Administration zu fungieren. Elemente solcher Art waren es ohne Zweifel, deren Mitwirkung sich der König seit 1490 bei der Einführung seiner Reformen in Österreich bediente, die also die eigentlichen Vermittler und Träger der Rezeption waren. Aber so geht es überall: faßt man die Einwendungen Walthers schärfer ins Auge, so zerfließen sie und verwandeln sich im Gegenteile in Argumente für die These, insofern sie richtig verstanden und gefaßt wird. Eines erscheint als ganz sicher: man darf sich nicht vorstellen, als ob der Behördenorganismus in jedem der beiden großen Komplexe, in welche das habsburgisch-burgundische Herrschaftsgebiet damals zerfiel, ganz selbständig und [Seite: 49] unbeeinflußt nebeneinander gestanden hätten; sie liefen gleichsam in ihren Spitzen zusammen; sie trafen sich nämlich in der Person des Herrschers und derjenigen Männern in seiner Umgebung, von denen die maßgebenden Anregungen und Direktiven nach beiden Seiten ausgingen. Wie gelegentlich wohl diese oder jene österreichische Institution in den Niederlanden probiert wurde49.1, so sind in die bis dahin noch primitive und rudimentäre österreichische Verwaltungsordnung allgemeine und große Gesichtspunkte als befruchtende Keime eingepflanzt worden, die dem niederländischen oder dem ganzen Provenienzgebiete zufolge französisch-burgundischem Boden entstammten. Wie sich dieser Hergang im einzelnen vollzog, darüber sind uns keine direkten Quellenzeugnisse mehr erhalten, wenigstens aus der Zeit Maximilians; aber aus der Zeit unmittelbar nach ihm führt ja Walther selbst eine Kanzleiordnung Gattinaras für die deutschen und österreichischen Länder vom 1. Januar 1522 an.49.2 Da haben wir doch einen positiven Beweis dafür, wie der maßgebende Mann am Hofe aus seiner Kenntnis und Praxis der burgundisch-niederländischen Administration heraus in die Gestaltung der österreichisch-deutschen eingreift; ähnlich werden wir uns die Inszenierung der vorhergehenden Reformversuche Maximilians zu denken haben, [Seite: 50] daß nämlich der König selbst oder ein der Verhältnisse kundiger hochgestellter Mann aus seiner Umgebung die Grundzüge der neuen Ordnung, sei es in Person entwarf, sei es den Konzipienten der nunmehr zur Ausarbeitung gelangenden Instruktionen als Direktiven dafür vorschrieb.

Wenngleich es sich dabei, wie gesagt, nur um die allgemeinen und grundlegenden Prinzipien in der Hauptsache handelte, so besteht doch selbst in manchen Einzelheiten eine so unverkennbare Übereinstimmung, daß sogar Walther hier von „Ähnlichkeiten und Parallelen" sprechen muß.50.1 Er macht in dieser Hinsicht zunächst namhaft (S. 186 f.) die Aussonderung einer bestimmten Summe für den Haushalt: monatlich oder vierteljährlich hat der recevreur general eine bestimmte Summe dem maître de la chambre aux deniers zu überantworten50.2; ebenso ordnet in der Hofkammerordnung von 1498 Maximilian an, daß diese Behörde die Summe von 100000 Gulden, die er als „stat" zur Unterhaltung seines Hofes ausgesetzt hat, „von allem unserm einkomen nemen und die durch unsern vorbestimbten phenningmaister zu kotembern antburten."50.3 Die Vermutung liegt doch sehr nahe, daß wir im Amte des Pfennigmeisters50.4 einfach die Übertragung eines burgundisch-niederländischen Vorbildes zu erblicken haben. Walther selber verweist weiterhin auf die Ähnlichkeit des Zahlungsbefehls unter Maximilian mit dem niederländischen mandement en finances, sowie endlich auf die Konstellation der Ämter besonders in den letzten Regierungsjahren des Kaisers: ein Schatzmeister, auch „Generalschatzmeister" oder „Schatzmeister-General" genannt, neben dem ein Einnehmer steht, 1518 auch als „Einnehmer-General" bezeichnet [Seite: 51] (entsprechend dem „trésorier général" und „recevreur général" ganz derselben Zeit) und für die Ausgabe des Hofhalts der „Pfennigmeister" mit dem „Controlor".

Das sind Analogien, die m. E. so auffällig sind, daß man sie nicht als lediglich zufällige Parallelen anzusehen vermag, da es sich bei ihnen „um lauter weit verbreitete Typen" handelt. Jedenfalls legen auch sie Zeugnis ab für den lebendigen und weitgehenden Zusammenhang und wechselseitigen Einfluß, wie sie in Ordnung und Praxis der Verwaltung zwischen den beiden großen Gebietskomplexen der burgundisch-habsburgischen Herrschaftssphäre obwalteten. Nun findet zwar Walther, daß, wenn bei der zuletzt erwähnten Konstellation der Ämter Entlehnung vorläge, das „Material der Rezeptionstheorie gerade umgekehrt werden müßte: nicht die kollegialen Behörden, sondern ... die Einzelämter ... wären herübergenommen worden". Aber das ist ja gar nicht der springende Punkt; nur der enge Konnex soll betont werden, der zwischen beiden Administrationen besteht und die Möglichkeit einer weitgehenden Beeinflussung der einen durch die andere bezeugt und verständlich macht. Mag sich Maximilian in dem oder jenem einzelnen Falle auch an Vorbilder angeschlossen haben, die nicht auf dem Kollegialsysteme beruhten, so ist doch davon ganz unabhängig die Frage: Woher entnahm er es, als er es zuerst in seinen Erblanden und in Deutschland einführte? Und tatsächlich hat er ihm ja doch, obzwar er es für den Finanzdienst schließlich wieder fallen ließ, immerhin in seiner erbländischen Verwaltung eine dauernde Heimstätte bereitet; ich erinnere nur an die Regimente und Raitkammern zu Innsbruck und Wien.

Dazu kommen dann zu guter Letzt die zahlreichen Parallelen und Analogien im Verfahren der Raitkammern. Wenn sich Walther (S. 185 f.) zur Behauptung versteigt, daß in diesem Stücke bereits „ein einfaches Vergleichen der Instruktionen leicht von der Grundlosigkeit der (Rezeptions-) Theorie überzeugen könnte", so muß ich bezweifeln, daß er die dabei in Betracht kommenden Instruktionen, insoweit sie publiziert sind, mit der nötigen Genauigkeit gelesen hat. Denn die entsprechenden [Seite: 52] Instruktionen Maximilians (die für die Hofkammer und die Schatzkammer von 149852.1 und die für die Buchhalterei und die Registratur von 1514 und 1515)52.2 finden ein Gegenstück in der früheren Verwaltung Tirols mitnichten. Welcher Unterschied zwischen ihrer geradezu „lehrbuchartigen" Fülle und Breite und dem mageren Texte der „Camermaistersordnung" aus der Zeit Sigismunds! Ähnliches in dieser Art finden wir vor Maximilian überhaupt nicht in Deutschland, wohl aber in den Niederlanden. Die ältesten niederländischen Instruktionen, die uns bekannt sind, sind die für die Kammer zu Lille bei ihrer Einsetzung im Jahre 138652.3, sodann eine längere, die undatiert ist und entweder noch aus dem Ende des 14. oder spätestens aus dem ersten Anfange des 15. Jahrhunderts stammt.52.4 Sie gewährt uns einen trefflichen Einblick in das Verfahren der niederländischen Rechenkammern; dieses ist damals schon so kompliziert und kunstvoll entwickelt, daß es sich im Verlaufe des 15. Jahrhunderts kaum noch wesentlich zu verändern brauchte, daß die Grundzüge vielmehr in Kraft bleiben konnten. Spätere Instruktionen (nach der von c. 1400) sind nicht publiziert worden; wenn es auch solche gibt, so ist anzunehmen, daß sie in der Hauptsache mit jenen älteren übereinstimmen. Natürlich berühren sich nun die Instruktionen der niederländischen cambres des comptes mit Maximilians Ordnungen in seinen Erblanden vor allem insofern, als die Kammern hierselbst auch Rechnungshöfe sind, also bezüglich der Bestimmungen hinsichtlich der Finanzkontrolle und der Rechnungslegung; es ergeben sich dabei ganz beträchtliche Analogien.

Was die Instruktionen für die Rechenkammer zu Lille und die Maximilians I. in Österreich zunächst als miteinander verwandt im Gegensatze zur tirolischen Kammerordnung Sigmunds charakterisiert, das ist die breite Schriftlichkeit, die Sorgfalt, mit der die möglichen Fälle und die Eventualitäten abgewogen und die dafür erforderlichen [Seite: 53] Verhaltungsmaßregeln genau fixiert werden, sodaß dem subjektiven Ermessen nur ein geringer Spielraum gegönnt ist. Gleich im Anfange fällt auf sowohl bei der Errichtung der Kammer von Lille (Gachard 71) wie auch bei der der Hofkammer (Fellner-Kretschmayr II, 17) in der Motivierung dieser Neuschöpfungen der Hinweis auf die häufige Abwesenheit des Fürsten. Gehen nun auch bezüglich der Rechnungslegung die Bestimmungen mehrfach auseinander, schon deshalb weil ja zum Teil verschiedenartige Verhältnisse und Bedürfnisse in Betracht kommen, so trägt das Verfahren doch einen wesentlich gleichartigen Charakter, insofern es nämlich beiderseits auf einer breiten Schriftlichkeit, einer komplizierten Buchführung beruht. Das hindert natürlich nicht, daß hier Punkte behandelt werden, welche dort außer acht gelassen sind, und umgekehrt; je nach dem, was gerade im Vordergründe des Interesses steht, oder je nachdem momentan sich Mängel herausgestellt haben und Zweifel und Mißstände zu beseitigen sind, wird dieses oder jenes in den Kreis der Bestimmungen hineingezogen, anderes beiseite geschoben: Vollständigkeit ist ja nie erstrebt, obzwar man möglichst viel festzulegen trachtet. Insoweit es sich um den Kassendienst in Einnahme und Ausgabe handelt, liegt hier wie dort das Prinzip der Anweisung zugrunde: nur diejenigen Posten passieren in der Rechnung, die ordnungsgemäß durch den Monarchen und die zuständigen höheren Organe des Finanzdienstes angewiesen sind. Diesem Gesichtspunkte dienen in den Ordnungen Maximilians von 1498 zahlreiche und detaillierte Bestimmungen53.1, während in der Sigismundschen Ordnung für den Kammermeister nur die ganz kurze und selbstverständliche, allgemein gehaltene Bemerkung gemacht wird, daß dieser keine Ausgaben anders als mit des Fürsten oder der fürstlichen Räte Wissen und Willen machen dürfe.

Die Voraussetzung einer gut funktionierenden Rechnungskontrolle ist eine gründliche, systematische und erschöpfende Buchhaltung. Sie ward hier besorgt durch die [Seite: 54] clerqs, dort durch die Buchhalterei; hier wie dort finden sich Artikel über die Führung von Registern betreffend das Domanium und seine einzelnen Pertinenzien, über erfolgte Zahlungsanweisungen, über Rechnungslegung der Beamten, über Befehle aller Art, die an die Organe des Finanzdienstes ergangen sind, betreffend Verpfändungen, Gehälter, Gnadengaben, Gnadengelder u. a. m.54.1 So weit geht die minutiöse Sorgfalt auf beiden Seiten, daß hier wie dort das Foliieren der Seiten vorgeschrieben wird.54.2 Reiseentschädigungen für die zur Abrechnung zur Kammer kommenden Beamten sind hier wie dort vorgesehen.54.3 Für die Kammer zu Lille wird bestimmt, daß sie, falls sich bei der Rechnungslegung wichtige Bedenken erheben, Mitglieder des Hofrats, soviel ihr gut schiene, zur Entscheidung heranziehe; ähnlich wird der Hofkammer 1498 vorgeschrieben: „was aber ander swär sachen wären, die si allein nicht ausrichten mochten, darinnen sullen si ir zuflucht zu unserm hofregiment haben und die daselbs anbringen, da sullen si trost und rücken auch alzeit guten beschaid darinnen empfahen."54.4 Mit anderen Worten: die Zentralstellen für den Finanzdienst blieben hier wie dort dem Hofrat untergeordnet. Hier wie dort werden Vorkehrungen getroffen, daß „Restate", die sich bei der Abrechnung mit einem bestimmten Beamten ergeben, nicht in Vergessenheit geraten54.5, Strafandrohungen gegen Beamte erlassen, die sich nicht zum vorgeschriebenen Abrechnungstermine einstellen54.6, oder die in ihren Rechnungen falsche Angaben machen.54.7 Strenge Geheimhaltung wird hier wie dort mehrfach eingeschärft, und wünscht der Herzog für den Fall; daß er Befehle erlasse, die gegen die Ordonnanz für die Kammer zu Lille verstoßen, daß ihm diese dann nicht ohne weiteres gehorche, sondern erst Bericht erstatte, um seine endgültige Willensmeinung [Seite: 55] einzuholen, so verspricht in ähnlicher Tendenz Maximilian der Innsbrucker Schatzkammer, er wolle weder in die lokalen Ämter noch in „ir (sc. der Kammer) handlung uber die ordnung, so wir furgenomen haben, kain eingriff, irrung noch hindernis tun, zerüttung machen, noch des jemands anderm zutun gestatten in kein weis." Es sind, wie man sieht, überall die gleichen Grundgedanken, nur daß sie in Österreich — gemäß der hier bestehenden umfassenderen Kompetenz der Kammer — eine ausgedehntere Anwendung in der Praxis gefunden haben.

Genug der Analogien und Parallelen lassen sich somit feststellen, und es kann gar kein Zweifel darüber bestehen, ob die Ordnungen Maximilians nähere Verwandtschaft mit der Instruktion für die chambre des comptes zu Lille aufweisen, oder mit der Tiroler Kammermeisterordnung Sigmunds. Nun meine ich keineswegs, daß diese Übereinstimmungen in der Weise etwa zu erklären sind, als ob der Konzipient der Maximilianschen Ordnungen sich die von uns zum Vergleiche herangezogene Instruktion Philipps des Kühnen, oder vielleicht eine spätere, auf dieser möglicherweise fußende Ordonnanz vorgenommen und nachgebildet hätte. Für Walther ist es „natürlich" nicht zweifelhaft, daß eine Rezeption auf Grund von Kopien hätte erfolgen müssen; man kann sich aber den Hergang auch anders denken. Jahrelang hatte Maximilian in den Niederlanden geschaltet und gewaltet; die dortigen Zustände waren ihm und den Männern seiner nächsten Umgebung gleichsam in Fleisch und Blut übergegangen; sie konnten sich gar nicht vorstellen, daß eine wohlgeordnete und leistungsfähige Verwaltung anders als nach den Grundsätzen geführt werden könnte, die sie hier kennen und schätzen gelernt hatten. Sobald Maximilian die Regierung Tirols übernahm, war es daher das erste, was er gleichsam als ein Selbstverständliches tat, daß er an die Stelle des obersten Amtmanns die kollegiale Raitkammer mit einem Buchhalter setzte; er wußte nicht, wie man anders als mit solchen Organen regieren konnte. Gewisse Maximen und Zustände, etwa hinsichtlich der Beamtenverhältnisse, der Kompetenzverteilung, des Geschäftsgangs und der Rechnungslegung, waren so [Seite: 56] sehr ein gewohntes Element, in welchem man sich tagtäglich in den Niederlanden bewegt hatte, daß man wahrhaftig nicht erst die niederländischen Ordonnanzen herzunehmen und wörtlich zu kopieren brauchte; man lebte so in diesen Dingen, daß man die leitenden Grundsätze ohne weiteres zur Anwendung zu bringen und nach ihnen die neu zu schaffenden Instruktionen zu gestalten vermochte. Man wußte ungefähr, was man wollte, und was man wollte, das war eben eine Neuordnung der Verwaltung, derzufolge fortan in den Erblanden ähnlich regiert würde, wie man es von den Niederlanden her gewöhnt war.

Wie man also nicht sklavisch bestimmte Ordonnanzen kopierte, so war man auch weit davon entfernt, die gegebenen Vorbilder genau nachzuahmen; der König gewährte dabei dem subjektiven Ermessen und den örtlichen Bedürfnissen reichen Spielraum. Beamte wurden eingesetzt, die nach diesen neuen Instruktionen und den darin niedergelegten Grundsätzen verwalten sollten; die brauchten dann natürlich nicht um die Einzelheiten der burgundischen Einrichtungen Wissen zu tragen. So ist es auch zu verstehen, daß die „ordnung unserer niederburgundischen finanzen" (Walther S. 187) von der österreichischen abweichen konnte, und daß von jener die Innsbrucker Beamten keine Kenntnis hatten: das schließt doch aber eine Rezeption der allgemeinen Tendenzen und Prinzipien nicht aus. Indem Walther die Rezeptionstheorie bekämpft, macht er sich ein Phantom zurecht, auf welches er dann wacker losschlägt: wo in aller Welt steht denn geschrieben, daß Rezeption gleichbedeutend mit sklavischer Nachahmung und wörtlicher Kopie ist? So sehr verschließt Walther die Augen vor dem so natürlichen Zusammenhange zwischen österreichischer und niederländischer Verwaltung, daß er für jene (S. 177 Anm. 1) eher noch an ein venetianisches wie an ein niederländisches Vorbild denken möchte: indem er für dieses „das Fehlen jeder positiven Erwähnung" konstatiert, bemerkt er: „Dagegen haben wir ein ausdrückliches Zeugnis für venetianische Einflüsse" und verweist dafür auf eine Stelle bei Adler (S. 152 Anm. 2) des Wortlauts: „Reichsfinanz-Archiv VI, Fol. 106; 1500, 17. Dezember fordert die Hofkammer die [Seite: 57] bestellten ,Venetianischen Bücher [!!]." Ganz abgesehen davon, daß dieser Vorgang erst ins Jahr 1500 fällt, während schon 1491 Maximilians Reformversuche einsetzen, wird man fordern dürfen, daß, wer selbst so schneidig in der Bekämpfung fremder Thesen vorgeht, bei der Aufstellung eigener Thesen etwas sorgsamer in der Argumentation zu Werke gehe.

Damit sind wir am Schlusse unserer Ausführungen angelangt, und wir können ihren wesentlichen Inhalt dahin zusammenfassen: Walther irrt infolge ungenügender Sachkenntnis, d. h. mißleitender Bemerkungen Adlers, indem er die Vorzüge und den ganzen Entwicklungszustand der tirolischen Administration, zumal der Finanzverwaltung, viel zu hoch einschätzt. Es handelt sich in Österreich nicht um ein langsames Werden und Heranwachsen des formalen Verwaltungsrechts und der Verwaltungstechnik zu höherer Reife, wie das in Frankreich der Fall war; sondern die Administration erhebt sich hier mit einem Schlage auf ein höheres Niveau, und diese Erhebung fällt zeitlich ganz genau mit Maximilians Regierungsantritt in den habsburgischen Erblanden zusammen. Maßgebend ist dafür unzweifelhaft die persönliche Initiative des Herrschers; es handelt sich um persönliche Schöpfungen, die von ihm ausgehen, und sie beruhen auf Prinzipien, die bisher — zum mindesten in solcher Durchbildung, Ausführung und systematischer Verknüpfung — in Österreich unbekannt, in den Niederlanden dagegen schon lange in Brauch und Schwang und von hier aus dem Könige und seiner Umgebung durch langjährige Regierungspraxis bereits vertraut waren. Unter diesen Umständen, zumal da für andere Vorbilder die Spuren nicht ausreichen (was Walther von Venedig und der Kurie sagt, ist ganz und gar unfundiert), ist es methodisch gar nicht anders zulässig, als auf eine Rezeption von den Niederlanden her zu schließen. Dafür sprechen denn auch sachliche Argumente, Analogien, Parallelen und Übereinstimmungen in Hülle und Fülle. Allerdings wurde dabei nicht sklavisch vorgegangen. Aus Erfahrung und Praxis kannte man die großen bewährten Prinzipien, auf denen die niederländische Verwaltung — ihrerseits wieder im Anschlusse an die [Seite: 58] französische — beruhte; man brachte sie jetzt hier in freier und sinnmäßiger Weise in Anwendung, indem man dabei mitunter über das niederländische Vorbild weit hinausging, sodaß die neuen Ordnungen allerdings ein spezifisch „maximilianisches" Gepräge erhielten. Dazu gehört vor allem, wie Walther (S. 189) mit Recht bemerkt, „die starke Vorliebe für die Kollegialität". Er konnte ihr hier, wo Maximilians Stellung eine ganz andere war als in den Niederlanden, wo er auf dem Gebiete des monarchischen Ämterwesens nicht so gebunden war wie in den Ländern seines Sohnes, wo er endlich ein bisher ganz und gar unbebautes Feld vorfand, ganz anders nachgeben, und daher führte er hier die Kollegialität auch für die Finanzverwaltung im anderen Sinne, zeitweise sogar in der Zentralstelle, ein.

Die großen Prinzipien der Ständigkeit, des Berufsbeamtentums, der Zentralisation unter Schaffung eines Instanzenzuges, der Kollegialität und systematischen Arbeitsteilung58.1, das ausgebildete Schreibwesen, wie es zum Ausdrucke kommt in den Instruktionen für die einzelnen Behörden und Beamten, sowie in der Existenz eines zahlreichen subalternen Bureaupersonals, das nicht minder kunstvoll und kompliziert ausgebildete Verfahren bei der Rechnungslegung auf Grund einer detaillierten und umfangreichen Buchführung — das alles in technischer Vollkommenheit, in erschöpfender Durchführung und bis in die Einzelheiten dringender Vertiefung, und das alles wieder in organische Verbindung miteinander gebracht, dienend dem staatlichen Fortschritt und der Erhöhung der monarchischen Gewalt: das war bisher, mochten auch für einzelnes hier und da schon Ansätze vorhanden sein, zum Ende des 15. Jahrhunderts ein noch unentdecktes und unbetretenes Gebiet; es ist ein Novum, das hier erst mit und durch Maximilian I. in die [Seite: 59] Erscheinung trat, und das allgemeine Schema dafür hat er den Niederlanden entnommen, der Heimat seiner Gattin, dem angestammten Erbe seines Sohnes, für den er hier so lange die Regierung geführt hatte. Plötzlich tauchen kollegialisch organisierte Mittelbehörden für die Justiz- und für die allgemeine Verwaltung auf; ganz entsprechend den niederländischen Provinzialhöfen, desgleichen für die Finanzverwaltung, die allerdings (das ist das spezifisch „Maximilianische") nicht nur mit der Kontrolle, sondern auch mit der Finanzverwaltung in engerem Sinne betraut sind. Und am Hofe selbst, an der Zentralstelle, finden wir als der Kompetenz nach analoge Einrichtungen den Hofrat und vorübergehend die Hofkammer. Maximilian freilich hielt nicht an allen seinen Schöpfungen mit der erforderlichen Zähigkeit und Konsequenz fest; zu festen und dauernden Institutionen des Verwaltungsrechts wuchsen sie sich erst unter seinem Enkel Ferdinand I. aus.

Auch was die Reformen Ferdinands I. anbelangt, setzt sich Walther wieder in Gegensatz zur herrschenden Lehre. Er möchte nämlich (S. 188 f.) die Kontinuität zwischen den Reformen Maximilians und Ferdinands leugnen. „Die grundlegende Frage der Kontinuität," so läßt er sich hören, „wird allzu leicht genommen. Freilich bei den Landesbehörden haben wir eine Kontinuität, aber gerade da fehlen die Analogien [eine durchaus irrige Behauptung; das gerade Gegenteil trifft zu!]. Bei den Finanzorganen am Hofe dagegen, wo Analogien gefunden werden können, fehlt jede Kontinuität. Daß Ferdinand I. auch hier an die Einrichtungen Maximilians angeknüpft habe (Rosenthal, 64 f.), ist nicht erwiesen. Wenn a priori etwas als wahrscheinlich gesagt werden darf, so ist es dies, daß Ferdinands allmächtiger Minister in den ersten Jahren, der Spanier Salamanca, Haupt der Finanzen und der Kanzlei, also der gesamten geschäftlichen Tätigkeit, spanische Formen in Österreich eingeführt habe. Ferdinand selbst war bekanntlich in Spanien erzogen worden und kann von der burgundischen Verwaltungsorganisation überhaupt nicht allzuviel Kenntnis gehabt haben. Hat er später, als er 1527 und 1537 mit Neuordnungen beschäftigt war, wieder auf burgundische [Seite: 60] Formen zurückgegriffen oder etwa auf die Gestalt, die sie unterdessen am Hofe des Bruders angenommen hatten? Das liegt vorläufig alles durchaus auf dem Gebiete des Hypothetischen."

Ich habe diese Sätze Walthers wörtlich wiedergegeben, weil sie so recht charakteristisch sind für seine Argumentierkunst. Um nur nicht das Richtige, den einfachen und natürlichen Zusammenhang der Dinge sehen zu müssen, türmt er Schwierigkeiten über Schwierigkeiten auf, sieht er Probleme, wo gar keine sind. Die Sache ist natürlich auch hier wieder die, daß er sich vom Wesen der Rezeption eine schiefe Vorstellung gebildet hat, indem er verkennt, daß es sich dabei lediglich um die Übernahme gewisser leitender Grundsätze und allgemeiner Gesichtspunkte handelte. Die aber waren in Österreich schon durch Maximilian eingebürgert worden, wenngleich sich die danach geschaffenen Zentralbehörden als kurzlebig erwiesen hatten; von den Mittelbehörden aber gibt ja Walther selber die „Kontinuität" zu, und trotz seines Leugnens waren diese nach ganz denselben Prinzipien orientiert. Und wenn auch für die Zentralstelle des Finanzdienstes die Kollegialität wieder in Fortfall kam, so blieb doch die gesamte neu geschaffene Technik bestehen — in Kassenwesen und Rechnungsprüfung, der ganze große Bureauapparat, wie er vor Maximilian noch unbekannt gewesen war. Die Kontinuität der großen Prinzipien des Reformwerks Maximilians ist somit sehr wohl gesichert, und die Aufgabe Ferdinands bestand nur darin, sie auf dem Gebiete der Zentralverwaltung wieder vollständig durchzuführen und in dauerhafteren Einrichtungen festzulegen, als das seinem Großvater geglückt war. Da ist es wahrlich nicht notwendig, nach „spanischen Formen" zu suchen. Die Hauptsache war, daß die neuen Tendenzen erst einmal Eingang gefunden, und daß sich für sie in der Praxis bereits feste Traditionen gebildet hatten; so konnten sie jederzeit wieder zur Schaffung neuer Organisationsformen erweckt und verwertet werden. Wo liegt da etwas „im Gebiete des Hypothetischen?" Walther sieht eben den Wald vor lauter Bäumen nicht. Und was das Schönste ist: ihm selber verdanken wir die Kenntnis davon, daß direkte [Seite: 61] Einwirkungen von burgundischer Seite auf die Versuche zur Reorganisation der österreichischen Verwaltung in den zwanziger Jahren des 16. Jahrhunderts stattfanden. Muß ich ihn denn an die Kanzleiordnung Gattinaras für die deutschen und österreichischen Länder vom 1. Januar 1522 erinnern, die er selber gefunden und deren Publikation er uns versprochen hat? In den einleitenden Bemerkungen zu seinem Exkurse, mit dem wir uns hier beschäftigt haben, bemerkt Walther (S. 170) mißbilligend: „Heute wird wohl jemand, der einen Zweifel [an der Rezeptionsthese] äußert, zurechtgewiesen, ohne daß eine Begründung für solche Zurechtweisung erforderlich erscheint." In einer dazu gehörigen Anmerkung verweist er dafür auf eine Auseinandersetzung zwischen Tezner und mir. In seiner Schrift über die Geschichte der landesfürstlichen Verwaltungsrechtspflege in Österreich hatte jener geäußert, „daß die Ideen für die Organisation der Finanzverwaltung nicht durchaus burgundischen und spanischen Ursprungs seien". Dazu hatte ich bemerkt: „Das ist eine schiefe Bemerkung, die zu Mißverständnissen Anlaß geben könnte. Allerdings machte sich entsprechend der Steigerung der staatlichen Aufgaben das Bedürfnis nach einer neuen vollkommeneren Verwaltungsordnung von selbst geltend, und selbständige Ansätze in dieser Richtung lassen sich schon gegen Ende des Mittelalters in verschiedenen Territorien verzeichnen. Das französisch-burgundische Vorbild aber wurde dadurch so wirksam für die deutsche Verwaltungsgeschichte, daß man von ihm die formale Organisation in ihrer hohen technischen Vollkommenheit entlehnte. Mehr ist niemals behauptet worden, und das würde wohl auch Tezner nicht bestreiten wollen."61.1

Der Exkurs Walthers gibt mir keinen Anlaß, an dieser Ansicht etwas zu ändern. [Seite: 62]

Anhang.

A (vgl. o. S. 30).
Camermaisterordnung.

Wir wellen, das unser camermaister von allen wirten und hantwerkern alle virtailjar auf das lengst raitung aufneme und das nit schiebe, und selbs auch alle jar vor denen, so wir darzu ordnen, raitung thu, darzu von den ambtleuten, dienern, hofgesind alle jar dergleichen raitung aufneme und uns alle quattember zweitausent guldin gebe und mit der ubersteur unser notdurft ausrichte, mit unserm oder unser rate wissen und willen, es sei mit bezalung schuld sold zugeben oder anderm, und sullen darauf all unser ambtleut auf in und niemand anderm aufsehen haben, im auch gehorsam sein, was raitung gelt oder das amt beruirt, und sol niemand in kein ambt ze schaffen, dann er allein.

B (vgl. o. S. 31).
Nota.

(1) Nachdem unser gnediger herr in willen ist, den kamermaister zu verkern, ist geraten, das sein gnad ainen furneme, und das der obristambtman all gult rent und was gevellt einneme und allwegen dem kamermaister antwurte, was er ausgeben sol, und sunst kain innemer sei, und das die summ, so sein gnad haben will, alwegen von ainem kamermaister gevalle.

(2) Und was extraordinarie gevellt, soll alweg der obristamtman einnemen und der kamerschreiber gegen im aufschreiben mit wissen ains rats und des kanzlers.

(3) Und ain kamermaister sol nicht ausgeben, er habe dann ain quittung oder gescheft, es sei dann an geverde klain sachn als potenlon.

(4) Zu seiner gnaden handen alle wochen IIIc guldein, facit XVm guldein.

(5) Und das der oberstambtman und der kamerschreiber jeder ainen schlußel habe zu den ambtpuchern und ainer an den andern nit darüber mug oder gee. [Seite: 63]

C (vgl. o. S. 36).
Ordnung der geordneten räte.

(1) Am ersten in ansehung der ratspflicht die gehaim und alle handlung des rats versweigen, auch das kainer des andern stim oder guetbedenken eröffne.

(2) Auch meins gnedigsten herrn und gemainer landschaft schaden zu wenden, iren nutz und alles das, so si pillich und recht bedunkt, nach irer pesten verstantnus zu furdern, und das durch fruntschaft oder veintschaft, gunst oder ungunst, schenk, miet oder gab, noch in kainen andern weg lassen, treulich und an gevärd.

(3) Si sullen auch alle im rat gleich geacht werden, ir stim ains als vil als des andern gelten, und sol sich kainer gegen den andern nicht übernemen oder über den andern etwas oberkait, anders dann sein ambt ervordert, untersteen zu haben.

(4) Es sol auch kainer dem andern sein red verkern, in argem oder ungut vermerken, oder auch mit spitz- oder smachworten anfaren, sunder jeder dem andern sein guetbedunken meinem gnedigen herrn, landen und leuten, auch der furgenommenen sach und handlung zu guet geschehen und im pesten aufnemen, wo aber ainer pessers verstuend, dan der ander, des die andern gutlich bericht, doch was durch den mererntail beslossen wird, demselben zu leben und sin mainung deshalben abstellen.

(5) Wo aber die rat des beschluß nit einmuetig werden mochten, sunder sich in irm guetbedünken tailten, so mogen si ir guetbedünken alle oder durch etlich aus in an unsern gnedigen herrn mit angezaigten ursachen irs guetbedunkens gelangen lassen, und seinen gnaden entdecken und berichten, auch seiner gnaden rat darin vernemen und demnach nach gestalt der sachen besließen.

(6) Es soll allen sachen getreulich und mit vleiß, wie die im rat besloßen sein, nachkumen werden, und ob not sein wurd, an unsern gn. herrn gelangen, also das albeg so dick und vil not wirdet, zwen oder drei die sachen an sein gnad mitsambt ainem secretari anpringen, auch der notdurft nach alle miteinander zu seinen gnaden keren. [Seite: 64]

(7) Auch vleiss damit alle tag der geordenten rät etlich, so dazu angesehen werden, zum minsten ain mal unsern gn. herrn besehen und mit sein gn. handeln. Doch so sollen dieselben, so die sachen an sein gnad pringen, oder auch ob etlich mehr dann ander zu seinen gnaden geschickt werden, des kain verweisen von den andern haben, si sollen sich des auch gegen den andern in kainen weg uberheben.

(8) Und was also im rat erfunden und besloßen wirdet, sol allain durch den marschal oder canzler muntlich oder in schrift, wie sich nach gestalt der sachen gepurt, eröffnet werden, es werd denn jemand andern solchs zu tun bevolen.

(9) Si sollen auch an einander zu hanthabung der ordnung mit treuen hilflich sein, und nach irem vermugen verhueten, damit niemand darein grupl oder zuruttung der ordnung handel, damit solh ordnung abgestellt werden möcht.

(10) Auch jr vleißig aufsehen und nachfrag haben auf die, so solch ordnung unserm gn. herrn laiden und seinen gnaden deshalb widerwillen einpilden, die strafen, hinwegschieben und solchs zu thun niemand, wer der sei, gestatten.

(11) Es sol sich auch ain jeder gutwillig und gehorsam erzaigen, so dick er durch den marschalk oder undermarschalk in der marschalks namen zu rat ervordert wird.

(12) Doch so sollen zimlich stunden darin furgenomen wirden.

(13) Es sol sich auch kainer understeen, im ainen anhang oder auch sich selbs jemand anderm anhengig zu machen, damit under den geordenten raeten parteien erwachsen möchten, sunder sol ein jeder sich des, so im rat ainhelliglich oder durch den merentail beslossen wird, halten.

(14) Darzu ob jemand zu hof in recht oder verhör zu schaffen hett, wer die wären, so sol sich mit der geordenten rät kainer in die handlung mischen, partei zu halten, auch ainer partei wider die andern mit rat, hilf oder beistand beweisen, damit niemand in recht oder verhor ubernommen, oder verkurzt möcht werden, sunder sich unparteiisch und als ain gemainer Verwalter im namen meins gn. herrn finden lassen.[Seite: 65]

(15) Doch ob m. g. h. etwan mit ainem oder mer geordenten räten verschuef ainer parthei beistendig zu sein, sollen si seim gn., soverr sich gepurt, willfaren.

(16) Es sol kainer der geordenten rät jemand bei unserm gn. herrn zu ambtern diensten provision oder sunst zu verschreibungen furdern, es werd dann vor durch erkenntnus der rate im rat m. gn. herrn, landen und leuten nutz zu sein erfunden und beslossen.

(17) Desgleich ob ir ainer etwas von jemands andern wegen anpracht, procuriert oder furpitt tät, sol albeg derselb, so man anfahet umbfragen, austreten.

(18) Desgleichen sol man alle die, so gefreundt oder verwandt sein den personen, dero sachen im rat gehandelt werden, austreten.

(19) Und ob etwan ainem solhs in vergessen were oder daran zu derselben zeit nit gedacht, sol er das durch den marschal oder ainen jeden geordenten rat, so des wissen hat, gehaissen werden.

(20) Item so sol sich kainer der geordenten rät des rats eußern, oder auch von hof schaiden, dann mit urlaub wissen und willen der andern geordenten rät.

(21) Doch sol solh urlaub niemand zugelassen werden, es seien dann zum minsten der halb tail der geordenten räte denzumal am hof, es were dann das ainer so merklich ursach anzaigt, deshalb er seins abschaids unpillich verhindert wird, alles an geverde.65.1

(22) Es sollen auch die geordenten rät hinfur allain durch sich selbs und die, so si zu in ervordern, inhalt der landsordnung treulich handeln, und sunst niemand an ir ervordern oder verwilligung sol sich in den rat mischen.

(23) Es sollen auch zwen oder drei geordent werden aus den geordenten räten oder auch sunst, were darzu taugenlich oder guet angesehen wirdet, die unsers gn. herrn sachen in die hand nemen, mit canzler, marschalk und den raten zu schaffen haben, damit die beslossen rat volzogen werd.

(24) Auf dieselben die rät ambtleut und hofgesind im namen unsers gn. herrn treuen aufsehen haben sollen, sunder in dem, das ains jeden ambt ervordert.[Seite: 66]

(25) Dieselben auch mitsambt dem marschalk bestellen sollen, damit man alle wochen wissen hab des ausgeben und des geprauchs des kuchenmeisters schenken auch fuetermeisters, doch sol der marschalk allen abend den fueterzedl emphahen und besehen, ob jemand da erfunden wird, der nit in die lieferung gehört, damit derselb ausgetan und hindan geschoben werd.

(26) Es ist auch dabei geordent und angesehen, wes ain jeder im rat gehaissen wird zu raten, zu reden, ain mainung anzupringen oder antwort zu geben, das er sich des nit widern, sunder dem gehorsamlist nachkumen welle.

(27) Doch sol die arbeit gemutmast und nach gestalt der handlung austailt werden, damit die purd nit ainem oder zwaien allain aufgeladen werd.

(28) Es sol auch kainer der rät, ob er wol mit seiner stim wider den beschluß des rats were, darumb sich außerhalb rats wider die andern rät merken lassen, besunder wo daraus gunst ungunst neid oder haß erwachsen möcht.

(29) Es soll auch kain rat den andern zuruck in solhem mit stechworten anziehen, sunder sich in allweg gegen einander fruntlich guetig und hilfreich sein, damit m. g. h. land und leut ere und nutz gefurdert und schad gemindert werde.

(30) Vor allen Dingen all tag m. g. h. sachen furzunemen und vor andern gescheften auszuerichten.

(31) All merklich ratsleg aufzuschreiben.

66.1

1.1. Andreas Walther, Die burgundischen Zentralbehörden unter Maximilian I. und Karl V. Leipzig. Verlag von Duncker & Humblot. 1909. 8°. IX und 220 Seiten.

1.2. Jetzt erschienen unter dem Titel: „Die Anfänge Karls V." Ebenda 1911. Auch diese Schrift enthält beachtenswerte Untersuchungen.

6.1. Vgl. Walther S. 108 f. Was den Hofrat der früheren Zeit, aus dem beide hervorgingen, anbelangt, so scheint Walther zur Annahme geneigt, daß ihm das Mehrheitssystem fehle. Wenigstens schließt er das in Beziehung auf die Rats- und Kanzleiordnung Margaretens vom Jahre 1516 aus dem Umstande, daß darin der sonst gebräuchliche Ausdruck „pluralité de voix" nicht vorkomme. Aber es ist möglich, daß davon lediglich deshalb nicht gesprochen wurde, weil die Sache als selbstverständlich galt. In Artikel 4, S. 200, wird gesagt, der Präsident solle recueillir les opinions, und dann heißt es weiter in Artikel 5: „Ce qui aura esté conclud audit conseil, quant aux matières de justice sortira son effect; et quant aux matières de grâce, l'on en fera le rapport à madite dame, ensemble les oppinions et advis de sondit conseil, pour après en ordonner son bon plésir." Walther möchte (S. 109) das Wort „les oppinions" als „Einzelvota" auffassen, „wenn man sich nicht geeinigt hatte." Es handelt sich wohl aber hier lediglich um eine Rückbeziehung auf die opinions im vorhergehenden Artikel, auf Grund deren ein einheitlicher Beschluß zustande kommen soll. Denn sonst wäre ja die dazwischen stehende Bestimmung sinnlos, daß Beschlüsse („ce qui aura esté conclud") en matières de justice ohne weiteres in Kraft treten sollen: wie sollten denn die zustande kommen außer durch Mehrheit?

14.1. Wenn Walther (S. 120) den conseil d'état nach seiner Scheidung von c. privé (1531) als einen „selbständigen feudalen Rat" bezeichnet, so kann ich dem nicht ohne weiteres beistimmen. Die „Selbständigkeit" des Staatsrats war eine recht fragliche Sache, und es saßen weiterhin darin Elemente, die man nicht als „feudal" ansehen kann; man denke z. B. an Granvella, Viglius, Tisnacq. Nicht einmal die adligen Mitglieder kann man schlechthin als „feudal" ansprechen. Mit den spezifisch feudalen Velleitäten des hohen Adels war doch schon ziemlich aufgeräumt worden, und einen Mann wie Oranien kann man schwerlich noch als einen Repräsentanten mittelalterlicher Feudalität ansehen. Daher ist es besser, im Staatsrat einen Unterschied zwischen monarchisch-absolutistisch und ständisch-oppositionell gesinnten Elementen zu machen, zu welch letzteren die aus dem Stande der Seigneurs stammenden Mitglieder (freilich keineswegs sämtlich) gehörten.

22.1. Wilhelm von Oranien 1906, I, 635 ff.

22.2. Walther kündigt S. 104 Anm. 3 und 165 die Absicht an, eine Geschichte der Ressortbildungen am Hofe Karls V. nebst Publikation einiger wichtiger Dokumente zu geben. Insbesondere einer Kanzleiordnung Gattinaras für die deutschen und österreichischen Länder vom 1. Januar 1522 und eines Conceptum ordinationum cancellariae Imperialis vom 9. April 1550 zu geben. Hoffentlich führt er sie bald aus.

23.1. S. Adler, Organisation der Zentralverwaltung unter Maximilian I. 1886, und Rosenthal, Behördenorganisation unter Ferdinand I. Archiv für österr. Gesch. 1887, S. 51-316.

25.1. In der Schatzkammerordnung von 1498 (Fellner-Kretschmayr, Die österr. Zentralverwaltung 1907, II, 36 u. 42) findet sich in Artikel 23 die Bestimmung, daß mit den Amtleuten jährlich abgerechnet werden soll „nach ordnung gewonheit und gebräuch unser camer", und in Artikel 49 wird die Führung von Raitbüchern vorgeschrieben, „wie die vormals auf unser camer von alters her gemacht und gehalten worden sind."

27.1. Kogler, Landesfürstliches Steuerwesen in Tirol. Arch. für österr. Gesch., 90, S. 528; Stolz, Mittelalterliches Zollwesen Tirols bis 1363. Ebenda 93, S. 703.

29.1. Erst Maximilian führte es z. B. in Tirol ein, daß die Rechnungslegung auf Grund von Urbarbüchern erfolgte, deren Anlegung zu diesem Zwecke er anordnete.

29.2. Fellner-Kretschmayr II, S. 42, Schatzkammerordnung vom 13. Februar 1498: „Item unser camerschreiber sol auch alle jar ein formlich und ordenlich ambtpuch von allen unsern embtern und unsern ambtleuten raitungen machen und halten, wie die vormals auf unser camer von alters her gemacht und gehalten worden sind." Nur für den Fall, daß mittlerweile solche hin und wieder nicht geführt worden sind, wird dem Buchhalter die Weisung gegeben, dem Kammerschreiber bei ihrer nachträglichen Anfertigung auf Grund des vorhandenen Materials behilflich zu sein.

30.1. Vgl. dazu besonders die Instruktion für die Hofregistratur und Hofbuchhalter, d. Innsbruck, 1. Januar 1515. Ebenda 79 ff.

30.2. Innsbrucker Archiv Codex 208.

30.3. Mitgeteilt unter A im Anhange.

31.1. Mitgeteilt im Anhange unter B.

32.1. Bachmann, „Die Behördenorganisation Kaiser Maximilians. I." (Neues Jahrbuch für das klass. Altertum usw. V, 374) erklärt, die „kollegialische Erledigung der Geschäfte", die Maximilian 1490 in seinem Tiroler Regiment festsetzte, sei in Deutschland und Tirol „längst nicht ungewöhnlich" gewesen. Einen Beweis dafür bringt er nicht bei.

33.1. Ganz richtig sagt Adler S. 177 von den Statthalterschaften Friedrichs IV. (III.), es habe sich dabei gehandelt nicht um ein „permanentes", sondern, wie er sich etwas seltsam ausdrückt, um ein „fallweise fungierendes Institut mit höchst unbestimmten wechselnden Befugnissen und mit wechselndem Personenstande"; er spricht von den „schwankenden Formen dieser Statthalterschaften". Man sieht daraus, daß sie — ganz abgesehen von einem ihnen etwa anhaftenden ständischen Charakter — noch etwas ganz anderes sind als die späteren Provinzialregimente und -hofräte mit ihrem festen Kollegialitätsprinzip, Geschäftskreise, Geschäftsgange und Instruktionen.

36.1. Codex 113, S. 67 ff.

36.2. Die Liste von 1487 ist gedruckt bei A. Jäger, Der Übergang Tirols und, der österreichischen Vorlande von dem Erzherzog Sigmund an den römischen König Maximilian von 1478-1490. Arch. für österr. Geschichte 51, S. 445. Über die Veränderungen im Personal der „Verordneten Räte" im Frühjahr 1488 vgl. ebenda S. 387.

36.3. „Ordnung gemacht am mitterwochen nach Quasimodogeniti a° 88 (16. April), Innsbr. Arch. a. a. O. 146 ff., darin dann S. 165 ff. die „Ordnung der geordneten räthe", abgedruckt im Anhange unter C.

37.1. Sie hatte zwar gegenüber den Feststellungen des Meraner Landtags vom November 1487 einige Milderungen aufzuweisen (vgl. Jäger a. a. O. S. 388), so vor allem den Wegfall der Bestimmung, daß die „Geordneten Räthe" in schwierigen Fällen, oder wenn es ihnen zweckmäßig erscheinen würde, die Landräte oder die ganze Landschaft berufen sollten; aber eine ganze Reihe ihrer Artikel (vgl. z. B. 5, 10, 15, 16, 24) lassen darüber keinen Zweifel, daß auch ihr eine ausgesprochen ständische Tendenz zu eigen ist. Dafür ist besonders Artikel 5 charakteristisch: Wenn die Räte nicht zu einhelligem Beschlusse kommen, sollen sie die Sache vor den Erzherzog bringen, der aber dann nicht etwa die Entscheidung treffen soll; sondern die Räte sollen lediglich „seiner gnaden rat darin vernemen und demnach nach gestalt der sachen beschließen". Die endliche Entscheidung steht also selbst In solchen Fällen nicht beim Fürsten, sondern bei dem Ratskollegium.

37.2. Über die Räte und die Wirren zum Ende der Regierung Sigmunds vgl. jetzt F. Hegi, Die geächteten Räte Erzherzogs Sigmunds von Österreich. 1487-1499. Innsbruck 1910.

39.1. Man wird Walther allerdings beipflichten müssen, wenn er die Stelle in Guicciardinis Beschreibung der Niederlande von 1567 über die Nachahmung der Instruktionen und Einrichtungen des conseil des finances durch auswärtige Fürsten nicht auf die Reformen Maximilians beziehen will. Denn einen solchen conseil des finances gab es ja zur Zeit Maximilians noch nicht.

40.1. Im wesentlichen hat Walther recht mit seiner Kritik (S. 175 bis 178) der Beweiskraft der angeblichen Quellenzeugnisse, die man für die Rezeptionstheorie beibringen zu können geglaubt hat. Immerhin sind sie, wenngleich keine positiven Belege für eine Rezeption im einzelnen, charakteristisch für die Austausch- und Wechselbeziehungen, die zwischen den Administrationen der beiden Gebietskomplexe des habsburgisch-burgundischen Hauses und dem bei ihnen beschäftigten Personal bestanden. Dasselbe gilt von den vielfachen französischen Lehnsworten, die wir bei der österreichischen Verwaltung und in den von ihr ausgegangenen Schriftstücken finden, wie tresorier, argentier, tresoriermeister, argentiermeister, argentiercamer schatzmeistergeneral, greffier, superintendent, finanzsekretär, controlor usw. Die Kritik, welche Walther (S. 175 und 180 ff.) gegen die Verwertung dieser Bezeichnungen für die Rezeptionstheorie übt, verirrt sich oft ins Kleinliche — so wenn er bei der Bezeichnung Superintendent andeutet, dann könne man wohl auch die Frage stellen, „ob der evangelische Superintendent in Pommern 1525 direkt aus Frankreich oder über Mecheln-Innsbruck gekommen ist". Die Häufung solcher Amtsbezeichnungen, die offenbar französischen Ausdrücken nachgebildet sind, aus einer Vorliebe für Fremdwörter im allgemeinen oder sie als Übersetzungen aus dem Lateinischen zu erklären, heißt doch die Augen mit Willen vor einem Zusammenhange verschließen, der nicht übersehen werden darf (vgl. auch darüber unten S. 81 f.). Im übrigen kommt es auch nicht darauf an, ob aus einem bestimmten Titel immer auch mit Sicherheit auf die Entlehnung eines bestimmten Amtes geschlossen werden darf: so viel geht aus der Anhäufung solcher Namensanklänge, die sich doch eben erst seit Maximilian zeigt, mit Gewißheit hervor, daß niederländische Vorbilder im allgemeinen die neuen Bildungen in Österreich beeinflußt haben, daß die maßgebenden Anregungen, die Maximilian dabei leiteten, dem burgundisch-niederländischen Milieu entstammen, und anders ist wohl die Sache in korrekter Beurteilung nie aufgefaßt worden.

41.1. In der Einleitung zu Band 1 seines Inventaire des anciennes chambres des comptes von 1837.

42.1. Ich gehe auf die weiteren Fehler nicht ein, welche Walther in dem Bilde entdeckt, das bisher von der niederländischen Verwaltung des 15. Jahrhunderts entworfen worden ist. So betont er, daß sie den zweigeteilten Organismus des Finanzdienstes, beruhend auf dem Unterschiede zwischen ordentlichen und außerordentlichen Einnahmen, wie er in Frankreich bestand, nicht kannte, mit Ausnahme einer Episode unter Karl dem Kühnen, daß Maximilian nicht den grand conseil kennen lernte als Organ für die politische Verwaltung und Regierung, daß die chambres des comptes nicht schlechthin der Finanzverwaltung sondern der Finanzkontrolle dienten. All das besagt nichts gegen die Rezeptionstheorie in ihrem richtig verstandenen Sinne.

43.1. S. 179 f. sagt Walther: „Völlig fehlgegriffen ist es, wenn Rosenthal (S. 83 Anm. 7) den geheimen Rat Ferdinands mit dem niederländischen conseil d'état in Verbindung bringen will." Das tut Rosenthal an der angeführten Stelle aber gar nicht; er stellt nur fest, daß die Kompetenz des Geheimen Rates mit der des conseil d'état übereinstimmt, und das ist vollkommen richtig.

47.1. Eine solche gab es hier nur zweimal vorübergehend (1487 und 1510).

48.1. Indem Walther die oben im Text konstatierte zeitweise bestehende Parallele in der Zweiteilung von Finanzverwaltung und Finanzkontrolle in der zentralen Instanz übersieht, spricht er (S. 185) gerade in diesem Punkte von einer „vollständigen Abweichung der gleichzeitigen Organisationen".

49.1. Indem Walther (S. 178) eben darauf hinweist, daß Maximilian österreichische Einrichtungen nach den Niederlanden übertragen habe, und „die lange Reihe der in Burgund fremden Gebilde" Revue passieren läßt, die der König daselbst heimisch zu machen versuchte, ruft er aus: „Wenn so Maximilian die burgundischen Verwaltungseinrichtungen unausgesetzt umzugestalten sucht, so ist positiv erwiesen, daß er sie nicht als durchaus überlegen empfunden hat. Darauf aber kommt für unsere These mehr an als auf die heute noch nicht auszumachende Frage nach dem objektiven Wertverhältnis zwischen der Verwaltungsorganisation Tirols und der Frankreichs, das eben erst von den Zerrüttungen des hundertjährigen Krieges sich zu erholen begann!" Was der hundertjährige Krieg mit der Rezeption gewisser allgemeiner verwaltungstechnischer Grundsätze zu tun haben soll, ist nicht einzusehen, und man kann wohl von der Epoche der Reformen Maximilians in Österreich, d. h. dem letzten Jahrzehnte des 15. Jahrhunderts, nicht sagen, daß sich Frankreich jetzt „eben erst" von jenem Kriege „zu erholen begann".

49.2. Vgl. oben S. 45 Anm. 2.

50.1. Außer den oben im Texte reproduzierten Belegen Walthers erinnere ich an die von ihm übersehene Trennung von Finanzverwaltung und bloßer Kontrolle in der Zentralstelle vom Jahre 1498 (Fellner-Kretschmayr 1, 13). Vgl. oben S. 88 Anm. 2.

50.2. Walther S. 74.

50.3. Fellner-Kretschmayr IV, 23.

50.4. Der burgundische maître de la chambre aux deniers ist sehr alt. Er kommt schon in einer vermutlich aus dem Ende des 14. Jahrhunderts stammenden Instruktion für die Rechenkammer zu Lille vor, auf die ich sogleich näher eingehen muß.

52.1. Fellner-Kretschmayr II, S. 17 ff. und 22 ff.

52.2. Ebenda S. 77 ff. und 79 ff.

52.3. Gachard a. a. O. S. 71 ff.

52.4. Ebenda S. 74 ff.

53.1. F.-K. II, 18 f. und 34 ff. (Art. 19 ff.), Bestimmungen über denselben Gegenstand G. 75, Art. 11 und 77, Art. 35 ff.

54.1. G. 77, Art. 30 f. und F.-K. II, 38 f. und 78 ff.

54.2. G. 75, Art. 5 und F.-K. II, 83, Art. 14.

54.3. G. 77, Art. 28 und F.-K. II, 77.

54.4. G. 76 Art. 17 und F.-K. II, 20 f. (Art. 8 und 11).

54.5. G. 76 Art. 26 und F.-K. 42, Art. 47, S. 77, Art. 2.

54.6. G. 76, Nr. 6 und F.-K. II, 36 Nr. 23.

54.7. G. 76, Nr. 21 und F.-K. 11, 37, Nr. 25.

58.1. Natürlich fehlte es unter Maximilian I., dessen vielgeschäftige Wirksamkeit ja gerade durch das Sprunghafte und Unbeständige charakterisiert wird, nicht an Rückfällen und Rückschlägen; so hob er zum Ende seiner Regierungszeit die kollegiale Organisation des Finanzdienstes in der zentralen Instanz wieder auf; so war die Innsbrucker Schatzkammer nach der Instruktion von 1498 keine eigentlich ständige Behörde (F.-K. I, 17, II, 45).

61.1. Schmollers Jahrbuch 23, 1120.

65.1. Zusatz wohl von derselben Hand.

66.1. Nr. 30 und 31 Zusätze wohl von derselben Hand.