[311] Man kann es als eine in der neueren rechtsgeschichtlichen Literatur feststehende Meinung bezeichnen, dass Ulrich Zasius der Verfasser der badischen Erbordnung von 1511 (»Der Marggraffschafft Baden Statuten und Ordenungen in Testamenten Erbfellen und Vormundschafften«) gewesen sei511.1. Nur Carlebach511.2 ist dieser Meinung entgegengetreten, jedoch mit unzureichender Begründung. Sie ist aber in der Tat nicht haltbar und hat ihre Wurzel lediglich in einer unbeglaubigten Tradition. Irgendwelches urkundliche Material über die Entstehung der Erbordnung hat sich nicht erhalten.
Jene Tradition taucht m. W. zum ersten Mal im Jahre 1754 auf, und zwar alsbald in einer verdächtigen Form. Damals schwebten Verhandlungen über die Ausarbeitung eines neuen Landrechts für die Markgrafschaft Baden-Durlach511.3; in diesen Verhandlungen wurde gelegentlich das damals geltende Landrecht Ulrich Zasius zugeschrieben. Da dieses Landrecht aber erst im zweiten Jahrzehnt des siebzehnten Jahrhunderts entstanden ist (erster Druck 1622), als Zasius längst gestorben war, so darf man wohl eine Verwechslung mit der Erbordnung von 1511 annehmen, welch letztere schon wenige Jahre später auch in der Literatur als ein Werk von Zasius ausgegeben wurde. Noch Schöpflin allerdings, der in dem 1764 erschienenen dritten Band seiner Historia Zaringo-Badensis die Schaffung der Erbordnung erwähnt (S. 280), weiss nichts von einer Verfasserschaft des Zasius. Die Angabe, dass Zasius [512] der Verfasser sei, findet sich, soviel ich sehe, in der Literatur zuerst in dem 1769 ausgegebenen dritten Band der »Einleitung in die Geschichte der Marggravschaft Baden« von Johann Christian Sachs (S. 113). Eine Quelle gibt Sachs nicht an. Er bezeichnet Zasius irrtümlich als späteren Reichsvizekanzler, offenbar auf Grund einer Verwechslung mit seinem Sohne Johann Ulrich Zasius; schon diese Verwechslung lässt die Nachricht in einem etwas eigentümlichen Licht erscheinen. Aus Sachs hat Riegger512.1 jene Tradition übernommen, der zwar die Verwechslung mit dem Sohne richtigstellt, im Übrigen aber trotz seiner genauen Kenntnis der älteren von Zasius handelnden Literatur keinen Anstoss an der Mitteilung nimmt. Daneben tritt sie scheinbar selbständig auf, bei Jugler im Jahre 1777512.2. Bei diesem liegt die Fehlerquelle offen zutage. Prüft man nämlich die von ihm angegebenen Belegstellen512.3 nach, so findet man, dass seine Gewährsmänner sich dort gar nicht mit der badischen Erbordnung beschäftigen, sondern mit dem in der Tat von Zasius verfassten Freiburger Stadtrecht von 1520. Wir haben es offenbar mit einer irrtümlichen Kombination dieser Belegstellen mit der von Sachs gegebenen Nachricht zu tun, die Jugler unmittelbar oder durch Riegger gekannt haben dürfte. Endlich wird Zasius als Verfasser der Erbordnung von Panzer im Jahre 1788 genannt512.4, wiederum ohne Angabe von Quellen.
Wenn man für einen jeden der zahlreichen neueren Schriftsteller, die Zasius für den Verfasser der Erbordnung halten, eine Art Stammbaum aufstellt, um zu ermitteln, auf welchem Wege die Nachricht bis zu ihm gelangt ist, so kommt man zu dem Ergebnis, dass sie alle letzten Endes auf Sachs, Jugler oder Panzer als einzige Gewährsmänner zurückgehen. Schon hiernach wird man geneigt sein, die Richtigkeit der Nachricht in Zweifel zu ziehen. Entscheidend aber ist Folgendes. Zunächst ist es nicht gerade wahrscheinlich, dass derselbe Jurist Verfasser der stark romanisierenden badischen Erbordnung und des in der Hauptsache deutschrechtlichen Freiburger Stadtrechts sein soll512.5. Eine so merkwürdige Tatsache dürfte nur dann ruhig hingenommen werden, wenn sie einigermassen sicher beglaubigt wäre. Das ist aber durchaus nicht der Fall. Keiner der älteren Biographen weiss etwas davon, dass Zasius der Verfasser der Erbordnung sei. Schon die Trauerrede seines [513] Freundes Christoph v. Hochemberg513.1 sagt nichts darüber, ebensowenig Zasius' Schüler Johannes Fichard in der Lebensbeschreibung, die er seinem Lehrer gewidmet hat513.2. Auch Panzirolus erwähnt nichts davon513.3. Wo immer man in der älteren Literatur biographische Notizen über Zasius antrifft, sucht man vergebens nach einer Bestätigung jener Mitteilung. Die erste gedruckte Nachricht finde ich, wie gesagt, bei Sachs im Jahre 1769, also nicht viel weniger als zweieinhalb Jahrhunderte nach Zasius' Tode. Bei dieser Sachlage kann die an sich so unwahrscheinliche Tradition nicht länger aufrecht erhalten werden.
Damit verlieren allerdings die scheinbar so treffenden Ausführungen, die v. Below523.4 an die Tatsache geknüpft hat, dass Zasius der Verfasser sowohl des Freiburger Stadtrechts von 1520, wie der badischen Erbordnung von 1511 sein sollte, ihre quellenmässige Grundlage. Auch darf der Stil, in dem die Erbordnung und das zugehörige Publikationspatent geschrieben sind, nicht mehr dazu herangezogen werden, um die Verfasserschaft des Zasius an anderen Arbeiten zu beweisen513.5.
Freiburg i. B.
Paul Lenel.