Es sind hauptsächlich drei Bücher des 18. Jahrhunderts, die uns über das württembergische Hofgericht Aufschluß geben; das eine von dem Tübinger Professor der Rechte Wolfgang Adam Schöpff, langjährigem Hofgerichtsassessor: Processus appellationis usw. cumprimis ducatus Wurtembergici (1. Auflage 1720 unter dem Titel: De processu summi appellationum tribunalis ducatus Wurtembergici; im vorgedruckten Privilegium: processus dicasterialis; so auch zuweilen angeführt) 2. Auflage Stuttgart 1748; das zweite von Johann Jakob Mosers jüngerem Bruder Eberhard Friedrich Moser, der 1745 bis 1778 Hofgerichts-Secretarius war: Realindex und Auszug der Herzoglich-Würtembergischen Hofgerichts-Ordnung und der dahin einschlagenden Herzoglichen General- und Special-Rescripten, auch Hofgerichtlichen Decreten; nebst einem siebenfachen, das Herzogliche Hof-gericht und dessen Personen betreffenden Anhang, Stuttgard 1772; das dritte von dem Regierungs- und Hof-Gerichts-Secretario Georg Heinrich Häberlin: Rerum in supremo ducatus Wurttembergici appellationum, quod Tubingae est, tribunali per XLVI annos iudicatarum et transactarum continua recensio oder: Urtheile, Bescheide, Arbitramenten und Vergleiche, so von dem ... Hofgericht zu Tübingen von Anno 1672 bis 1718 eröffnet und bestätiget worden ... samt einer Zugabe von XXXIII Stücken ergangener Hochfürstl. Rescriptorum, hofgerichtlicher Bescheide und Decretorum, auch Formularien ... Stuttgardt 1720. Die wichtigsten Urkunden sind in Reyschers Sammlung der württembergischen Gesetze Band IV—VI (Ohr. H. Riecke, Gerichtsgesetze I—III) zu finden. Mit ungedruckten Quellen sind wir für die ältere Zeit übel dran: bei einem Stuttgarter Kanzleibrand im Jahr 1683 sind die Hofgerichtsakten [S. 2] vom Feuer verzehrt worden, außer dem, was der Hofgerichtssekretarius zufällig in seiner Wohnung hatte; Moser Vorrede (29). Was an Akten vorhanden ist, also namentlich die neuern von 1683 an, befindet sich im Ludwigsburger Staatsfilialarchiv. Sie, sowie Akten des württembergischen Staatsarchivs in Stuttgart, sind benutzt von F. Graner, Landgerichtspräsidenten a. D., in seiner Abhandlung: Zur Geschichte des Hofgerichts zu Tübingen, Württembergische Vierteljahrshefte für Landesgeschichte; Neue Folge XXXII Jahrgang 1925/6 S. 36-89. Meine Arbeit war druckfertig, als Graners Abhandlung im Dezember 1926 erschien. Ich habe in meinen Anmerkungen das Wichtigste nachgetragen oder doch darauf verwiesen. In meine Darstellung habe ich nachträglich aufgenommen, was Graner über die Gehaltsverhältnisse aus den Akten festgestellt hat (nachher S. 52 f.), namentlich aber — sehr wichtig — die meines Wissens vorher völlig unbekannten Verhandlungen über das Privilegium de non appellando in den letzten zwei Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts (S. 106 bis 108). Was ich ihm entnommen habe, ist an Ort und Stelle genau vermerkt. Seither habe ich einen reichen, ungehobnen Schatz von Urkunden, die für das Hofgericht wertvoll sind, in den Urkundenbüchern der Städte Heilbronn und namentlich Stuttgart entdeckt. Auch haben mir Urkunden und Akten des Staatsarchivs zu Stuttgart, des Staatsfilialarchivs zu Ludwigsburg und des Tübinger Universitätsarchivs manchen erwünschten Aufschluß geboten. Daraus ergab sich mir Anlaß und Möglichkeit, meine Abhandlung, so wie sie im Spätherbst 1926 vorlag, zu einem beträchtlichen Teil umzuarbeiten.
Schon war die Abhandlung in die Druckerei gegeben, als mir gerade noch zur rechten Zeit eine Denkschrift des Regierungsrats Weckherlin über das württembergische Privilegium de non appellando vom Jahr 1788 zu Gesicht kam, mit einigen zugehörigen Aktenstücken aus demselben Jahr in Abschrift; von jener, wie es scheint, die erste Niederschrift, mit manchen nachträglichen Änderungen, 90 Blätter folio, verwahrt von der württembergischen Landesbibliothek, in Wilhelm Heyds Bibliographie der württembergischen Geschichte I S. 168 N. 1661 verzeichnet. Die Denkschrift ist von Graner S. 88 erwähnt, S. 86 und sonst benutzt. Sie enthält eine Menge archivalischer Nachrichten, darunter solche, nach denen ich mich vergeblich beim Stuttgarter und beim Münchener Archiv erkundigt hatte; einige Urkunden habe ich nachträglich aus dem vormaligen Reichskammergerichtsarchiv durch gütige Bemühung des Herrn Vertreters des Reichsarchivs bei der Stadt Frankfurt a. M. erhalten. Ich fand zwar in manchen Punkten urkundlich bestätigt, was bisher von mir nur als Vermutung niedergeschrieben war, manches aber erschien auch in ganz neuem Licht. So blieb mir nichts andres übrig als den letzten Teil der Abhandlung noch einmal zu überarbeiten und ihr so die Gestalt zu geben, in der sie nunmehr vorliegt.
Von einem württembergischen Hofgericht ist zum erstenmal die Rede in einer Erbeinung3.1 zwischen Markgraf Karl von Baden und Graf Ulrich von Württemberg vom 27. November 1460.3.2 Es soll viermal des Jahres, in den Wochen zu den vier Fronfasten3.3, abgehalten werden [S. 5] und Berufungen von den Stadt- und Dorfgerichten annehmen5.1; das erstemal, daß in Württemberg Berufung an ein höheres Gericht erwähnt wird.5.2 Den Vorsitz führt der Graf selbst oder in seiner Vertretung der Landhofmeister — damals der oberste Landesbeamte5.3 — oder „ein anderer Verständiger" des gräflichen Rats; Beisitzer sind mindestens sechs andere Räte des Grafen.5.4
Die Zusammensetzung dieses Hofgerichts zeigt, daß wir's hier mit dem Hofgericht alter Art zu tun haben, das vermutlich in Württemberg ebenso wie anderswo schon seit [S. 6] langer Zeit vom Landesherrn in Person oder durch einen von Fall zu Fall bestimmten Vertreter, meist einen der höchsten Beamten, an seinem Hof, in seiner Kanzlei — weshalb man es manchmal als Kanzleigericht bezeichnet — mit einigen Männern seines Vertrauens, einigen seiner Räte als Beisitzern abgehalten wurde6.1; auch anderswo geschah das in Quatembersitzungen6.2 — Fronfasten ist das deutsche Wort für Quatember. Das Neue ist nur, daß dieses Hofgericht nunmehr neben seiner hergebrachten richterlichen Tätigkeit auch Berufungssachen zu entscheiden hat.[S. 7]
Bald nachher finden wir nun aber ein Gericht unter dem Vorsitz nicht des Landesherrn, auch nicht mehr des Landhofmeisters, sondern irgendeines andern Adligen, der in dieser Tätigkeit als Hofrichter bezeichnet wird; es ist zwar nicht ausschließlich, aber doch — namentlich im weitern Lauf der Entwicklung — vorzugsweise Berufungsgericht.7.1 Auf dieses Gericht geht der Name Hofgericht[S. 8] über. Vermutlich wurde diese Neuerung, diese Abspaltung eines Hofgerichts neuer Art von der Kanzlei, grundsätzlich vollzogen durch die erste Hofgerichtsordnung von 1475.8.1 Freilich ist das eine bloße Vermutung, denn wir haben von ihr nur wenige Sätze8.2, in denen über die Zusammensetzung des Hofgerichts nichts ausgesagt ist. Württemberg war damals in zwei Hälften geteilt, die Stuttgarter unter Graf Ulrich, die Uracher unter seinem Neffen Eberhard dem ältern, dem späteren Eberhard im Bart. Die Hofgerichtsordnung von 1475 erließen beide gemeinsam.8.3 Indes stellt sich Graf Ulrich und nach seinem Tod im Jahre 1480 zunächst auch noch sein Sohn Eberhard der jüngere nicht sofort auf den Boden der neuen Ordnung, sondern es finden in der Stuttgarter Hälfte, und zwar eben in Stuttgart, noch mehrmals Hofgerichte in der alten Weise unter dem Vorsitz des Landhofmeisters statt, und zwar unter Graf Ulrich im Jahre 1477, wobei unter vierzehn Räten neben vier Rechtskundigen und einem Untervogt8.4 nicht weniger als neun Adlige sind8.5, und im November 1479, wo „Graf Ulrich entscheidet durch seinen Landhofmeister8.6 und seine zu diesem gesetzten Räte" — sie sind also nur für diesen [S. 9] bestimmten Fall berufen — nämlich sechs Adlige und vier Gelehrte.9.1 Sodann unter Graf Eberhard dem jüngern (Mittwoch nach Oculi — 8. März — 14809.2 und wieder) 26. Januar 1481 „zu Stuttgart in der Kanzlei" abermals unter dem Vorsitz des Landhofmeisters9.3 mit sieben Räten, darunter fünf Adligen9.4; eine Überzahl von Edelleuten, die beim spätem Hofgericht niemals vorkommt.
In Urach ist schon 14779.5 der Vorsitzende als Hofrichter bezeichnet9.6, und an Oculi 14799.7 wird ebenfalls in Urach ein Hofgericht gehalten mit einem Hofrichter und sechs Beisitzern, nämlich drei Adligen, zwei gelehrten Räten und einem bürgerlichen Vogt.9.8 In Stuttgart wird zwar im März 1480 und im Januar 1481 das vorhin besprochene Gericht unter dem Vorsitz des Landhofmeisters — wie schon im Vertrag von 14609.9 — als Hofgericht, er selbst als Hofrichter bezeichnet, aber einen besondern Hofrichter finden wir — nach dem Uracher Vorbild — erst an Oculi9.10 und im Dezember 1481.9.11 An Oculi ist ein Ritter [S. 10] Hofrichter; Beisitzer sind es zwölf, darunter fünf Doktoren der Rechte, ferner ein Propst, ein Pfarrer, ein Arzt10.1 und vier Adlige10.2; am 7. Dezember ist Hofrichter ein Graf von Helfenstein. Beisitzer sind es diesmal gar sechzehn10.3, darunter acht Adlige, sieben Rechtskundige10.4 und wieder jener Arzt.10.5
Seit die Grafschaft 1482 durch den Münsinger Vertrag in der Hand Eberhards des altern wieder vereinigt worden ist, finden wir immer den Vorsitzenden als Hofrichter bezeichnet und treffen als Hofrichter nie mehr den Landhofmeister an; wohl aber dann und wann als Beisitzer10.6. [S. 11] Spätestens seit 1488 ist dem Hofgericht in Stuttgart, der Hauptstadt der wieder vereinigten Grafschaft, eine eigne Hofgerichtsstube im Kanzleigebäude, der Cancellaria, eingeräumt.11.1
Nach alledem werden wir, obgleich die Hofgerichtsordnung von 1475 von dem Grafen Ulrich und Eberhard dem ältern gemeinsam erlassen ist11.2, doch bei diesem die treibende Kraft für die neue Einrichtung — die Ablösung des Hofgerichts von der Kanzlei — zu suchen haben und dem Tübinger Professor Summenhart Recht geben dürfen, wenn er in seiner Leichenrede auf Eberhard im Bart 1496 diesem die Einrichtung und Ordnung des Hofgerichts zuschreibt.11.3
Die Kanzlei — Landhofmeister und Räte, auch Landhofmeister, Kanzler und Räte — behielt neben dem Hofgericht eine ausgedehnte Gerichtsbarkeit.11.4 In den Privilegien vom 23. Juli und vom 20. August 149511.5, mit denen wir uns später noch eingehend zu beschäftigen haben, werden beide Gerichte deutlich unterschieden: an Landhofmeister [S. 12] und Räte gehen Klagen gegen den Herzog, an das Hofgericht Berufungen von den niedern Gerichten. Klagen gegen die herzoglichen Diener und Mannen sowie gegen Körperschaften können nach diesen Privilegien entweder an den Herzog und seine beisitzenden Räte oder an Hofrichter und Räte gebracht werden.12.1 Die Landesgesetzgebung traf dann die Wahl zwischen diesen beiden Möglichkeiten, indem sie gleich den Klagen, die gegen den Herzog selbst in bürgerlichen Sachen gerichtet waren, auch die gegen Adlige, höhere Beamte, Körperschaften zunächst an die Kanzlei verwies12.2; doch konnten sie durch besondere landesherrliche Verfügung auch ans Hofgericht hinübergegeben werden.12.3 Außerdem hatte die Kanzlei die Oberaufsicht über die gesamte Rechtspflege des Landes, beschied Anfragen der Gerichte, nahm Beschwerden über sie an.12.4 Seit Herzog Christoph (1550—68) wurde statt Kanzlei die Bezeichnung oberer Rat oder Oberrat üblich12.5, 1710 dafür Regierungsrat eingeführt.12.6 Die bei diesem Gericht [S. 13] zugelassenen Advokaten hießen aber nach wie vor Kanzleiadvokaten.13.1
Erst damit, daß das Hofgericht als besonderes Gericht, hauptsächlich Berufungsgericht von der Kanzlei abgetrennt und ein besonderer Hofrichter bestellt wurde, beginnt die Geschichte des Hofgerichts im spätem Sinne des Wortes.
Die erste Hofgerichtsordnung von 1475 ist, wie schon gesagt, bis auf einen kleinen Rest verloren gegangen.13.2 Die erste uns erhaltene, die zweite überhaupt erlassene, ist von 1514; die dritte, nicht sehr stark veränderte von 1557; 1587 kam, da die dritte vergriffen und einige Änderungen nötig geworden waren13.3, eine vierte heraus, endlich 1654 die fünfte, die in der Hauptsache bis zur Aufhebung des Hofgerichts in Kraft geblieben ist.13.4
Das Hofgericht wurde, worauf der Name hinweist, anfangs am Hofe des Landesherrn, des Grafen, seit 1495 des Herzogs, abgehalten. Daran erinnert noch lange der Sprachgebrauch; noch die Hofgerichtsordnung von 1557 sagt gelegentlich statt: an das Hofgericht appellieren: gen Hof appellieren.13.5 Während der Teilung der Grafschaft in eine Stuttgarter und eine Uracher Hälfte fand nachweislich mehrmals in Urach13.6, zweimal in Stuttgart13.7 ein Hofgericht neuer Art statt; hier auch nach der Vereinigung der beiden Hälften durch den Münsinger Vertrag von 1482 mindestens [S. 14] bis 150914.1, nur in vier nachweisbaren Fällen zu Tübingen.14.2 Im Jahre 1514 aber wurde es dauernd nach Tübingen verlegt, kraft eines Gnadenbriefs, eines Privilegs, das der Stadt wegen ihrer besondern Treue gegenüber dem Aufstand des Armen Konrad erteilt worden war.14.3 Darüber hielt die Stadt mit wachsamem Eifer. Als die österreichische Regierung (nach Ulrichs Vertreibung) wegen der „sterbenden Läuf" — einer in Tübingen ausgebrochenen Seuche, vor der die Universität nach Rottenburg geflüchtet war14.4 — das Hofgericht auf Januar 1521 nach Stuttgart einberief, beschwerte sich Tübingen schriftlich und mündlich. Statthalter und Räte, die im Namen des Kaisers das Herzogtum regierten, befanden sich in Worms beim Kaiser. Von ihnen kam der [S. 15] Bescheid, für diesmal sei nichts zu machen, Tübingen möge einen aus Gericht oder Rat als Beisitzer zum Hofgericht nach Stuttgart schicken; in Zukunft aber solle nicht ohne ehafte Not — ohne zwingende Gründe — das Hofgericht anderswohin verlegt werden; und damit die Stadt sehe, daß das ernst gemeint sei, hätten jetzt schon Statthalter und Räte ein weiteres Hofgericht auf die Fastenzeit nach Tübingen ausgeschrieben. Aber ehe dieses Schreiben von Worms einlief, hatte schon die in Stuttgart zurückgebliebene Behörde, Regiment und Rat, auf die Tübinger Beschwerde hin das einberufene Hofgericht aufgehoben und auf die Fastenzeit nach Tübingen verlegt.15.1 Das Hofgericht in Stuttgart fand also tatsächlich nicht statt. Später mußte dann freilich nicht selten das Hofgericht wegen der Pest auswärts abgehalten, einmal sogar, nachdem es schon in Tübingen seine Sitzungen begonnen hatte, von da wegverlegt werden. Ich zähle im Lauf des 16. Jahrhunderts 17 Fälle; später kam das nicht mehr vor. Meist wurde es in solchen Notfällen des 16. Jahrhunderts in dem nahen Herrenberg abgehalten, viermal in Sindelfingen, je einmal in Marbach und in Waiblingen.15.2
Zu Tübingen fand es statt auf dem Rathaus in der Hofgerichts-Stuben.15.3 In deren Fenster waren gemalte Scheiben eingelassen15.4; von den noch erhaltenen zwei Wappenscheiben soll später die Rede sein.15.5
Das Hofgericht war kein ständiges Gericht, sondern trat wie unsre Schwurgerichte nur von Zeit zu Zeit zusammen.15.6 Und zwar bestimmte 1486 Graf Eberhard, der [S. 16] spätere Herzog, daß es des Jahrs zweimal geschehen solle, das einemal auf Sonntag zunacht nach Martini, das andremal auf den nächsten Sonntag zunacht nach dem 8. Tag Corporis Christi16.1, also den zweiten Sonntag nach dem Dreieinigkeitsfest. Natürlich wurde weder abends oder gar nachts Gericht gehalten noch am Sonntag16.2, sondern man traf am Sonntagabend ein und fing am Montag früh an.16.3 Diese vorgeschriebnen Zeiten wurden übrigens in den nächsten Jahrzehnten nicht immer eingehalten16.4; auch wissen wir aus diesem Zeitraum nur von dem einen Jahr 1493, daß wirklich zwei Hofgerichtstagungen im Lauf des [S. 17] Jahres stattgefunden haben; 1509 waren es sogar drei.17.1 Die Hofgerichtsordnung von 151417.2 bestimmte gar, daß viermal des Jahrs Hofgericht gehalten werde; auch die österreichische Regierung versprach 1520, sich daran zu halten17.3, und Herzog Christophs Erläuterung des Tübinger Vertrags vom 13. April 1551 wiederholte das Versprechen.17.4 Die spätem Hofgerichtsordnungen enthalten gleiche Bestimmungen17.5; doch fügen die vierte und fünfte hinzu: wo so viel Sachen vorhanden. Den Beginn der Tagungen setzt die zweite und die dritte Hofgerichtsordnung an auf die Woche nach St. Hilarientag (13. Januar), nach Invocavit, nach Trinitatis, nach Martini.17.6 Invocavit ist der Sonntag nach der Fastnacht; während der Fastnachtswoche waren Gerichtsferien, desgleichen vom Pfingstabend d. h. dem Samstag vor Pfingsten bis Trinitatis17.7; zweimal also sollte sich das Hofgericht an die Gerichtsferien anschließen. Die vierte und die fünfte Hofgerichtsordnung lassen denHilarientag weg und schieben dafür zwischen Trinitatis und Martini Bartolomäi ein17.8, den 24. August. Das war seit 1680 weitaus die häufigste Zeit; andre als die angegebnen kommen nur selten vor.17.9
Die Zahl von vier Tagungen im Jahr wurde, soweit sich aus der lückenhaften Überlieferung entnehmen läßt, nur selten eingehalten, zum erstenmal nachweislich 1551, dann noch neunmal im 16., zweimal im 17. Jahrhundert, seit dem Dreißigjährigen Krieg nicht mehr. Für 27 Jahre des 16. Jahrhunderts — nachher nicht mehr — ist dreimaliger Zusammentritt überliefert, für 25 von 1526 bis 1761 je zweimaliger, für 5 Jahre des 16. Jahrhunderts, von 1675[S. 18] aber bis 1795 regelmäßig mit nicht mehr als elf Ausnahmen nur einmaliger. Gar nicht selten fiel das Hofgericht ganz aus, besonders in Kriegszeiten.18.1
169918.2, 173918.3 und wieder 179518.4 wurde angeordnet, daß, statt einmal im Jahr wie bisher, künftig zweimal Hofgericht gehalten werden solle; es ließ sich aber jedesmal nicht auf die Länge durchführen.
In dringenden Fällen, namentlich wenn Ausländer beteiligt waren, wurde zuweilen ein außerordentliches oder Gasthofgericht gehalten, meist im gleichen Jahr, in dem ein ordentliches stattfand18.5, einmal auch ohne ein solches, und zwar ausnahmsweise zu Stuttgart.18.6
Die Dauer richtete sich nach den vorliegenden Sachen18.7 und betrug mit seltenen Ausnahmen nicht weniger als vier Wochen und nicht mehr als zwei Monate.18.8 1536 mußte nach einem Tag abgebrochen werden wegen scheinbar [S. 19] drohender Kriegsgefahr.19.1 Im 18. Jahrhundert wurde gleich im Einberufungsschreiben Dauer und Schluß mitgeteilt.19.2 Es sollte an jedem Gerichtstag verhandelt werden, also an jedem Wochentag, auf den nicht ein Feiertag fiel.19.3 Die zweite und die dritte Hofgerichtsordnung schreiben vor, daß zur Beratung und zur Abfassung des Urteils nötigenfalls auch die Feiertage verwandt werden sollen19.4; die vierte und die fünfte wiederholen das nicht.
Nach den Ordnungen von 1514 und 1557 war die Tagsatzung Sommers auf fünf, Winters auf sechs Uhr früh anzusetzen; 1587 wurde die Anfangszeit je um eine Stunde hinausgeschoben; nachmittags wurde fortgefahren.19.5
Besetzt wurde das Hofgericht jedesmal ganz von neuem.19.6 Doch blieb, soweit sich erkennen läßt, von 1524 an wenigstens der Vorsitzende, der Hofrichter, längere Zeit im Amt.19.7 Anders die Beisitzer. Noch 1565 und 1587 klagen die Landstände über deren häufigen Wechsel, worunter Sicherheit, Genauigkeit, Gleichmäßigkeit der Rechtspflege notleide, und bitten um Abhilfe.19.8 Die vierte Hofgerichtsordnung von 1587 und die fünfte von 1654 versprechen denn auch die einmal verordneten Personen ohne [S. 20] sondere bewegende Ursachen nicht leichtlich zu verändern.20.1 In der Tat rühmt von dem Tübinger Bürgermeister Georg Calwer, gestorben 1614, seine zwar nicht erhaltene, doch überlieferte Grabschrift in der Tübinger Stiftskirche, er sei 26 Jahre lang Hofgerichtsassessor gewesen.20.2 Doch wiederholen sich Beschwerde, Wunsch und Versprechen 1594 und 159520.3, jene auch 1608, diesmal ohne Bescheid20.4, und Dr. Anton Winter schreibt 1615, die gelehrten Hofgerichtsassessoren, zu denen er selbst gehört, würden auf sechs Jahre verpflichtet.20.5 Um 1740 wurde kein Wechsel mehr ohne ausreichenden Grund — namentlich Alter und Gebrechlichkeit, besonders Schwerhörigkeit — vorgenommen.20.6
Vom Hofrichter20.7 verlangen die vierte und die fünfte Hofgerichtsordnung20.8 — die von 1557 noch nicht — daß er [S. 21] studiert, der lateinischen Sprache verständig und des gerichtlichen Prozesses gutermaßen wissend, auch der Landesordnung und des Landrechtes wohl erfahren sei. Dabei aber sollte er „zum wenigsten einer vom Adel" sein21.1; es hätte also auch ein Graf Hofrichter sein können, wie am Rottweiler Hofgericht bis 1687 die Grafen von Sulz und dann, nachdem diese ausgestorben waren, sogar die Fürsten von Schwarzenberg Erbhofrichter waren. Württemberg hat nur einmal einen Grafen zum Hofrichter gehabt21.2, sonst immer teils Edelleute schlechtweg teils Freiherrn. Solang es Obervögte gab — bis 1755 — wurde das Amt des Hofrichters meist einem solchen übertragen, am häufigsten dem von Tübingen, der in der Regel zugleich Oberhofmeister am Collegium illustre war.21.3
Assessoren, Beisitzer oder Räte21.4 — bis zur dritten Hofgerichtsordnung von 1557 heißen sie Urteilsprecher21.5 — sollten es nach der vierten und fünften Hofgerichtsordnung zwölf sein21.6; doch wurde die Zahl häufig überschritten, bis zu 17 ordentlichen Mitgliedern.21.7 Sie waren niemals alle in einer Gerichtsverhandlung anwesend; in früherer Zeit mußten bei einem Endurteil außer dem Hofrichter oder seinem Amtsverweser oder Stellvertreter, dem Vize-Hofrichter21.8 [S. 22] mindestens sechs22.1, nach der vierten und fünften Hofgerichtsordnung mindestens acht anwesend sein.22.2 Sie verteilten sich auf drei Bänke, die edle oder adlige, die gelehrte oder Gelehrtenbank, die landschaftliche oder Landschaftsbank.22.3
Zunächst war es so gedacht, daß die drei Bänke gleich stark, je mit vier Assessoren besetzt sein sollten22.4; doch behält sich schon in der Hofgerichtsordnung von 1587 der Herzog vor, nach der Sachen Gelegenheit und erforderter Notdurft eines oder des anderen Standes mehr oder weniger zu verordnen.22.5 So finden wir auf der adligen Bank zwar 161322.6, 161522.7, 168622.6 je vier Mitglieder, 174822.8, 176922.9 desgleichen, 1757 sogar fünf22.9, aber 174322.10, 177222.11, 179722.12 nur je drei, 1773—1805 meistens zwei, 1767, 1779, 1803 gar nur je einen.22.9 Da in Württemberg so gut wie kein landsässiger Adel zu finden war, war man darauf angewiesen, [S. 23] adlige Beisitzer und Hofrichter außer Landes zu suchen. Die meisten gehörten der Reichsritterschaft an23.1, seit es eine solche gab.23.2 Nötig war es nicht23.3; noch weniger war alter Adel erforderlich. Finden wir doch selbst als Hofrichter 1738—1744 den Freiherrn von Schütz, dessen Vater, ein Nürnberger Bürgersohn, erst 1699 vom Kaiser geadelt, 1719 in den Freiherrnstand erhoben, 1722 Reichshofrat geworden, von Wien nach Württemberg gekommen war23.4 und dank seiner Geschäftskenntnis, seiner Gewandtheit und einer durch keinerlei Rücksicht auf Recht und Sittengesetz gehemmten Gefügigkeit gegen den Fürsten und seine allmächtige Buhlerin sich dem Herzog Eberhard Ludwig unentbehrlich gemacht hatte23.5; und 1746 nahm einen Platz auf der Adelsbank des Hofgerichts ein Mann ein, der bis vor wenig Jahren den bürgerlichen Namen Göll geführt hatte23.6, erst 1740 als Edler von Gollen in den Reichsadel, 1745 in den Reichsfreiherrnstand erhoben23.7, also ein ausgesprochner Vertreter des Briefadels.
Aber auch bei den Reichsrittern alten Adels handelt sich's keineswegs durchweg um bodenständige schwäbische Geschlechter ; zu denen gehören von den Hofgerichtsassessoren im 16. Jahrhundert vier Ehingen, vier Karpfen, je ein Degenfeld, Kaltenthal, Liebenstein, Münchingen, Nippenburg, Ow, Plieningen, Sachsenheim, Schilling von Cannstatt, Zülnhard; im 17. ein Gaisberg; im 18. noch einmal ein Liebenstein, ein Münchingen usw. Ebenso viele aber, vielleicht die Mehrzahl, stammen aus andern Landschaften; z. B. die Anweil aus demThurgau, die Bernardin aus [S. 24] Kärnthen24.1, die Closen aus Bayern24.2, die Dewitz aus Pommern, die Frankenberg aus Schlesien, die Göllnitz und die Pfuell (Phull von Rippur) aus Brandenburg, die Merlau aus Hessen, die Ostheim von der Rhön, die Pflug und die Riedesel aus Sachsen, die Remchingen aus Baden, die Taubenheim aus Meißen.24.3 Eben weil es in Württemberg an einem landsässigen Adel fehlte, der dem herzoglichen Hof den gebührenden Glanz hätte geben können, zogen sich um so mehr fremde Adlige, nicht nur aus der Nachbarschaft, sondern auch aus weitrer Ferne, in württembergische Dienste. Die meisten kauften sich in Schwaben an oder wurden vom Herzog mit Gütern, die ihm heimgefallen waren, belehnt, so daß sie oder ihre Nachkommen im Lauf der Zeit allerdings mit der Landesart wohl vertraut werden konnten. Aber bei manchen war es noch gar nicht lange her, daß sie ins Land gekommen waren; bei ihnen kann man nicht eben genaue Bekanntschaft mit Landrecht und Landesordnung und Landesbrauch annehmen, anders als in Ländern mit landsässigem Adel.24.4
Gelehrte Bildung verlangt die Hofgerichtsordnung nicht von den adligen Beisitzern. Doch hatten im 18. Jahrhundert wohl alle die Hochschule besucht; dafür kamen sie oft in recht jungen Jahren ans Hofgericht.24.5 Fast alle waren herzogliche Beamte, viele — wie die Hofrichter — Obervögte, ferner Ober-, seit 171024.6 Regierungsräte24.7; 1717 [S. 25] sind das alle die damaligen drei adligen Beisitzer, alle zugleich bei ihrem Eintritt am Hofgericht Kammerjunker.25.1 Dagegen finden wir 174825.2 unter vier adligen Beisitzern nur einen Regierungsrat, den vorhin besprochnen Gollen, neben ihm einen (württembergischen) Rat und zwei Kaiserliche und Ritterräte. Die waren also von ihren Standesgenossen, schwäbischen Reichsrittern, in eine Vertrauensstellung gewählt.25.3 Der württembergische Rat ist um diese Zeit — früher anders — wie der Kaiserliche25.4 ein bloßer Ehrentitel; die gleiche Bewandtnis hat es, wenn von den beiden Ritterräten der eine, Göllnitz, (württembergischer) adliger Regierungsrat heißt, ohne doch jemals einen Platz im Regierungsratskollegium einzunehmen.25.5 Immerhin bildete auch der bloße Ehrentitel ein Band, das mit dem Verleiher, dem Herzog, verknüpfte. Außerdem war Göllnitz württembergischer Lehensmann25.6, desgleichen der andre der beiden Ritterräte, Liebenstein25.7, der durch keinen württembergischen Titel ausgezeichnet ist.
Von den beiden noch erhaltnen Wappenscheiben der Hofgerichtsstube, die jetzt noch auf dem Rathaus zu sehen sind25.8, trägt die eine, von 161325.9, in der Mitte das Wappen des [S. 26] Hofrichters Wilhelm von Remchingen, Obervogts zu Urach; in den vier Ecken haben sich die vier adligen Beisitzer durch die ihren verewigt: Burkhard von Weiler, Obervogt zu Schorndorf, Johann Michael Göldrich von Sigmarshofen, Hans Heinrich von Offenburg, Ludwig von Hallweil zu Beihingen. Der Hofrichter und die drei ersten Beisitzer sind als Württembergische Räte bezeichnet, Göldrich mit dem Beisatz: zu Stuttgarten, der ihn vielleicht als Mitglied des Oberrats bezeichnen soll.26.1 Nur Hallweil führt keinen Titel, ist auch im Württembergischen Dienerbuch nicht zu finden, war aber württembergischer Lehensmann.26.2 Auf der zweiten, von 1686, ist in der Mitte das Wappen des Hofrichters von Closen, Freiherrn zu Heidenburg, auf Bläsiberg und Wankheim26.3, Obervogts zu Balingen26.4, Tuttlingen, Ebingen und Rosenfeld; in den vier Ecken wieder die der vier adligen Beisitzer; es sind dies Varnbüler von Hemmingen, Oberhofmeister des fürstlichen Collegii, Obervogt zu Tübingen, Herrenberg und Sulz; Schertel von Burtenbach, zu Mauren26.5, Obervogt zu Blaubeuren; von Gaisberg zu Scheckhingen26.6; von Bidenbach zu Treuenfels und Oßweil.26.7 Closen, Varnbüler und Bidenbach sind Räte, Gaisberg Oberrat.
Der Hofgerichtsassessor Winter bemerkt 161526.8, als Reichsunmittelbare seien die adligen Beisitzer der landesherrlichen Gewalt nicht unterworfen. Aber wenn sie herzogliche Beamte waren, traf das nicht zu; vermöge ihres [S. 27] Dienstvertrags unterwarfen sie sich ihr ausdrücklich.27.1 Also völlige Unabhängigkeit des Urteils kann aus ihrer Reichsunmittelbarkeit nicht abgeleitet werden. Als Hüter des Landesrechts gegenüber dem römischen Recht konnten allenfalls die wurzelechten schwäbischen Edelleute des 16. Jahrhunderts gelten, die aus der Fremde nach Schwaben gekommenen der spätem Zeiten nicht. Das war vielmehr die eigentliche Aufgabe der Landschaftsbank.27.2 Schon früh finden wir unter den Beisitzern solche aus der Landschaft, d. h. Bürger, nicht sowohl rechtsgelehrt — obgleich auch das nicht ausgeschlossen ist27.3 — als weise27.4, d. h. Männer von Lebenserfahrung und gesundem Menschenverstand; auch Vögte bürgerlichen Standes haben wir in der ältesten Zeit zu ihnen zu rechnen; sie erscheinen ja damals auch auf dem Landtag als Vertreter ihrer Ämter.27.5 Indes hatte sich ein festes Herkommen in den ersten Jahrzehnten noch nicht herausgebildet27.6, und auch nach der [S. 28] Verlegung nach Tübingen dauerte es noch mehr als 70 Jahre, bis die Hofgerichtsordnung von 1587 ausdrücklich aussprach, daß ein Teil der Räte von der Landschaft genommen werden solle.28.1
Die landschaftlichen Beisitzer wurden lange Zeit gleich den andern von dem Landesherrn nach seinem Ermessen berufen; doch durften die Städte Stuttgart und Tübingen, die beiden Residenzstädte, je einen aus ihrer Mitte, oder auch mehrere zur Auswahl, vorschlagen.28.2 Dazu kommen dann aus den andern Städten des Landes, in häufigem Wechsel28.3, zwei weitere Beisitzer, oder auch nur einer; denn die [S. 29] Zahl vier wurde häufig nicht erreicht.29.1 1608 beschwert sich der Landtag darüber, sodann aber klagt er, es seien allein aus Stuttgart zwei Personen berufen worden29.2, von denen die eine nirgends im Herzogtum verbürgert sei, aber doch von wegen der Landschaft sitzen solle29.3 — eine der Willkürlichkeiten, die sich Herzog Friedrich erlaubte, in offnem Widerspruch mit dem Gedanken, der der Einrichtung der Landschaftsbank zugrunde lag. Der Herzog lenkte ein; der landschaftliche Ausschuß wurde aufgefordert, Vorschläge zu machen. Er nannte sechs Namen aus verschiednen Städten; Stuttgart hatte auf herzoglichen Befehl schon einen seiner Bürger vorgeschlagen. Der wurde auch wirklich ernannt29.4, und dazu drei der vom Ausschuß vorgeschlagnen29.5; im ganzen also vier landschaftliche Beisitzer. 1615 waren es wieder drei.29.6 [S. 30]
Bis dahin und noch über diese Zeit hinaus war es keineswegs so, daß die Beisitzer auf der Landschaftsbank zugleich dem Landtag hätten angehören müssen.30.1 Bis über die Mitte des 16. Jahrhunderts hinaus war das durch die Natur der Dinge ausgeschlossen; denn wie die Berufung ans Hofgericht galt auch die Abordnung zum Landtag je nur für die nächste Tagung, und die Tagungen der Landstände folgten sich mit längern Zwischenräumen als die des Hofgerichts. Wenn also ein Hofgericht zu besetzen war, so war in der Regel kein Landtag beisammen, und es gab niemand, den man als Mitglied des Landtags betrachten konnte. Hätten aber je einmal Hofgericht und Landtag zu gleicher Zeit getagt, so hätten nicht die gleichen Männer bei beiden anwesend sein können, weil dieser seinen Sitz in Stuttgart hatte, jenes in Tübingen.
Seit 1554 pflegte nun allerdings, wer einmal in den landschaftlichen kleinen Ausschuß gewählt war, ihm lebenslänglich anzugehören.30.2 Seither wäre es an sich möglich gewesen, daß die Landschaftsbank des Hofgerichts mit Angehörigen dieses Ausschusses, also mit Landtagsmitgliedern besetzt worden wäre. Aber es dauerte noch ein Jahrhundert, bis es dahin kam. Seit 1653 wurde es nämlich Regel, daß der Herzog nicht mehr von Stuttgart und Tübingen, sondern vom landschaftlichen kleinen Ausschuß einen Vorschlag einforderte30.3; dieser benannte von jetzt an stets ein Mitglied aus seiner Mitte.30.4 Mit der Zeit wurde [S. 31] aus dem Vorschlagsrecht ein Wahlrecht; der Herzog behielt sich nur die Bestätigung vor.31.1 Auch der landschaftliche Hofgerichtsbeisitzer blieb jetzt dauernd in dieser Stellung, bis zum Tod oder zur Behinderung durch Krankheit oder Altersschwäche. Es waren seit 1653 jahrzehntelang immer nur drei Beisitzer auf der Landschaftsbank, je einer aus Stuttgart30.2, Tübingen und einer andern Stadt.30.3 Nachdem Ludwigsburg im 18. Jahrhundert dritte Hauptstadt des Landes — neben Stuttgart und Tübingen — geworden war, trat 1744 dessen im landschaftlichen kleinen Ausschuß sitzender Bürgermeister30.4 auch am Hofgericht als vierter hinzu30.5, so daß jetzt erst wieder die volle Zahl vier erreicht wurde.30.6
Wenn Rechtsgelehrsamkeit von den landschaftlichen Beisitzern nicht verlangt wurde30.7, so kommt sie doch nicht selten vor. 1608 sind unter vieren mindestens drei rechtskundige30.8, 1746 die Bürgermeister von Stuttgart und [S. 32] Tübingen Lizentiaten der Rechtswissenschaft32.1, 1794 außerdem der von Ludwigsburg.32.2 Nicht selten finden wir auf der Landschaftsbank Magister32.3, also Männer, die zwar die Hochschule besucht, vielleicht auch die Rechte studiert, aber nicht die Würde des Lizentiaten (die licentia) oder gar des Doktors der Rechte erlangt haben.32.4 Nötig aber war die Hochschulbildung für die Beisitzer auf der Landschaftsbank überhaupt nicht; sie konnten auch die Schreiberlaufbahn zurückgelegt haben, in früherer Zeit wohl auch irgendeinem bürgerlichen Beruf angehören.
Die gelehrten Assessoren32.5, die Doctores, wurden anfangs vom Volk mit Mißtrauen angesehen als Vertreter des römischen Rechts, das dem einheimischen Eintrag zu tun drohte.32.6 1514 bei den Verhandlungen, die zum Tübinger Vertrag führten, wünschte die Landschaft, d. h. die Vertreter der Städte und Ämter, daß das Hofgericht, wenn die verhandelte Sache Personen von der Landschaft, d. h. Bürger oder Bauern, betreffe, mit Leuten vom Adel und der Landschaft, die nit Doctores seien, besetzt werde.32.7 Also mehr Zutrauen zum Adel als zu den Doktoren, begreiflich zu einer Zeit, wo sich die Ritterschaft noch nicht so entschieden wie später vom Lande getrennt hatte, sondern noch in frischer Erinnerung war, wie sie neben Prälaten und Landschaft einen der drei Stände des Landes gebildet hatte.32.8 Später standen die Württemberger dem Adel, der sich aus dem Landesverband losgemacht hatte, besonders aber dem erst neu aus der Fremde gekommenen32.9, nicht mehr mit dem gleichen Vertrauen gegenüber. Herzog Ulrich antwortete ausweichend: das Hofgericht solle mit Rat der [S. 33] Landschaft besetzt werden33.1); auf die Mitwirkung der Doktoren verzichtete er nicht, auch nicht für die von der Landschaft bezeichneten Fälle. 1520 sprach der Landtag wenigstens den Wunsch aus, daß das Hofgericht nicht zu sehr mit Doktoren überladen werde.33.2 Dazu hatte er in der Tat allen Grund; waren doch z. B. 1509 einmal unter zwölf Beisitzern sieben Doktoren gewesen.33.3 So versprach denn auch die österreichische Regierung33.4 und dann wieder 1551 Herzog Christoph in der Bestätigung des Tübinger Vertrags33.5, es nicht zu tun. Zu Anfang des 17. Jahrhunderts wandte sich der Landtag, ohne greifbaren Erfolg, wenigstens gegen die Berufung Fremdgeborner auf die Gelehrtenbank.33.6 Um dieselbe Zeit klagt er über deren Besetzung mit jungen, kaum der Hochschule entwachsenen Doktoren, welche die Kenntnis des Prozesses erst am Hofgericht selbst erwerben müßten33.7, eine Klage, die freilich damals [S. 34] und vielleicht noch mehr im 18. Jahrhundert mit größerem Recht gegenüber der Adelsbank erhoben werden konnte.34.1 Daß mehr als vier Beisitzer auf der gelehrten Bank saßen, war mindestens seit dem Ausgang des 16. Jahrhunderts die Regel34.2; mehrmals stieg ihre Zahl bis auf zehn34.3; dabei versichert Professor Schöpff, selbst Hofgerichtsbeisitzer, heutzutage — um 1750 — höre man über eine allzu große Zahl gelehrter Assessoren nicht mehr klagen.34.4
In den ersten Jahrzehnten des Hofgerichts finden sich unter den Beisitzern auch Geistliche; nicht nur solche Rechtslehrer der Universität, die, wie bei der Gründung der Universität für alle vorgeschrieben war34.5, dem geistlichen Stande angehörten34.6, sondern auch Pröpste34.7, Kirchherrn und Dekane oder Dechanten34.8, ein Prediger (Prädikant)34.9, ein Pfarrer34.10, ein Kleriker ohne feste kirchliche [S. 35] Stellung35.1, endlich 1536 zwei (noch katholische) Äbte.35.2 Die meisten stehen auch sonst im Dienste des Landesherrn, von dem sie mit mancherlei Aufträgen betraut werden, geschäftsgewandte Leute35.3, viele von ihnen Doktoren, sei es des geistlichen35.4 oder beider Rechte.35.5 Ein gemeinsamer Erlaß der Grafen Ulrich und Eberhards des ältern hatte 1477 bestimmt, daß in Württemberg auch die Geistlichen ihren Gerichtsstand nicht vor geistlichen, sondern vor den ordentlichen Gerichten hätten, wenn sich's nicht um geistliche Sachen handelte; in diesem Fall hatten sie vor den geistlichen gelehrten Räten des Landesherrn Recht zu nehmen.35.6 Schon für die Entscheidung, ob das eine oder das andre zutreffe, mochte es unter Umständen wünschenswert scheinen, daß man am Hofgericht Kenner des kirchlichen Rechtes habe.35.7 Seit der Durchführung der Reformation fehlten die [S. 36] Voraussetzungen für die Beiziehung von Geistlichen, und so verschwinden sie vom Hofgericht.
Die Beisitzer auf der gelehrten Bank sollten nunmehr alle der Rechte nicht bloß gelehrt — iuris consulti — sondern auch gewürdigt36.1, graduiert sein, d. h. die Würde des Doktors oder mindestens des Lizentiaten der Rechte haben.36.2 Nicht notwendig36.3, aber gewöhnlich, im 18. Jahrhundert wohl ohne Ausnahme, waren es Männer, die ein Amt im herzoglichen Dienste bekleideten.36.4 Regelmäßig finden wir unter ihnen ein bis zwei gelehrte Mitglieder des Ober-, seit 1710 Regierungsrats36.5 — er setzte sich zusammen aus einer Minderzahl von adligen und einer Mehrzahl von gelehrten Räten36.6 — aber auch Expeditionsräte bei Kirchenrat und Rentkammer, Oberamtleute, bis 1759 Vögte genannt36.7, einmal auch einen Bürgermeister, den verdienten, unerschrocknen Tübinger Jakob Heinrich Dann.36.8 Im 15. Jahrhundert wird von beiden Grafen Eberhard nacheinander mehrmals ein von ihnen besonders geschätzter [S. 37] [Faksimile S. 37] Arzt zum Hofgericht gezogen37.1, den wir indes vielleicht eher als Beisitzer von der Landschaft anzusehen haben.37.2 Besonders aber ist die Mitwirkung der Tübinger Juristen zu erwähnen.
Es war eine günstige Fügung, daß fast gleichzeitig mit der Einrichtung des Hofgerichts die Universität Tübingen gegründet wurde.37.3 Auf der einen Seite standen jenem in den Rechtslehrern der Universität wertvolle Kräfte zur Verfügung, auf der andern Seite konnte der Juristenfakultät die Rechtsfindung am Hofgericht als erwünschte Ergänzung ihrer wissenschaftlichen Forschung und Lehrtätigkeit erscheinen.37.4 In der Tat finden wir zwar nicht von Anfang an, aber mindestens seit 1493 immer, soweit sich die Beisitzer feststellen lassen, Tübinger Universitätslehrer unter ihnen, in wechselnder Anzahl, von einem bis zu vieren.37.5 Seit der Verlegung des Hofgerichts nach Tübingen war dann die Teilnahme von Tübinger Juristen vollends naheliegend37.6; sie waren nicht immer darüber erfreut; im [S. 38] 16. Jahrhundert klagt die Universität wiederholt über starke Belastung des einzelnen und Störung des Unterrichts38.1, der Landtag über Verkürzung der Vorlesungen durch die Tätigkeit der Professoren am Hofgericht.38.2 Man berief deshalb seit dem 17. Jahrhundert in der Regel nur noch einen juristischen Professor, allenfalls zwei38.3, höchst selten mehr, als ordentliche Beisitzer ans Hofgericht. Wurde jemand, der bisher Hofgerichtsassessor gewesen war, ordentlicher Professor, so schied er im 17. und 18. Jahrhundert aus dem Hofgericht aus.38.4 Aber der eine Sitz auf der Gelehrtenbank des Hofgerichts galt in der spätem Zeit als eifersüchtig gehütetes Vorrecht der Juristenfakultät, andrerseits ihre Teilnahme auch in den andern beteiligten Kreisen als unentbehrlich oder mindestens sehr wünschenswert.38.5 Die Belastung war im 18. Jahrhundert, da in der Regel nur noch einmal im Jahr Hofgericht gehalten wurde, nicht mehr so drückend wie im 16.38.6, auch konnte durch Entbindung von andern Geschäften ein gewisser Ausgleich gewährt werden.38.7[S. 39]
Eine Schwierigkeit konnte sich daraus ergeben, daß zuweilen Sachen vor das Hofgericht kamen, in denen bei der Verhandlung vor einem untern Gericht die Juristenfakultät ein Rechtsgutachten, ein consilium abgegeben hatte. In solchen Fällen mußte bei der Verhandlung am Hofgericht der Professor, der auf der gelehrten Bank saß, abtreten, wenn er an dem consilium beteiligt gewesen, also nicht unbefangen war.39.1 1692 wurde bei der Berufung eines Professors ins Hofgericht verfügt, daß er zum consilium in solchen Sachen, worin Berufung ans Hofgericht möglich sei, nicht zugezogen werden solle.39.2
Dem juristischen Professor oder, wenn es mehrere waren, dem ersten unter ihnen, in der Regel demjenigen, der über den Prozeß zu lesen hatte39.3, kam das primum votum, die erste Stimme bei der Beschlußfassung des Hofgerichts zu.39.4 Nicht von Anfang an39.5; in den Verhandlungen des 16. Jahrhunderts über die Tätigkeit der Professoren am Hofgericht ist von Recht und Pflicht der ersten Stimme nirgends die Rede, was man doch erwarten müßte, wenn die Sache damals schon so geordnet gewesen wäre39.6; ja der Regierungsrat versichert39.7, viele Urteile seien ohne Beisein eines Professors abgefaßt und verkündet worden.39.8 Aber vom [S. 40] letzten Viertel des 16. Jahrhunderts an ist eine fortlaufende Reihe von Professoren überliefert, die das primum votum führten.40.1
Dieses Herkommen — denn nur um ein solches handelt es sich; die Hofgerichtsordnung, auch die letzte von 1654, enthält keine Bestimmung darüber40.2 — dieses Herkommen blieb lange Zeit, soviel bekannt, unangefochten. Erst 1692 [S. 41] nach Professor Bardilis Tod41.1 erhob der Oberrat Einspruch dagegen, daß die erste Stimme wieder einem Professor der Rechte und nicht vielmehr einem Oberrat übertragen werde41.2; jedoch ohne Erfolg; es wurde wieder ein Mitglied der Juristenfakultät, Professor Friedrich Christoph Harpprecht, damit betraut.41.3 Nun ergab sich aber eine Schwierigkeit daraus, daß gleichzeitig ein Bruder des Professors, der Lizentiat Moriz David Harpprecht, Hofgerichtsadvokat war. Am Reichskammergericht, nach dessen Geschäftsordnung sich das Hofgericht im allgemeinen richtete, war das nicht erlaubt.41.4 Am Hofgericht drückte man in diesem Fall zunächst ein Auge zu41.5, in der Erwartung, daß der Advokat bald eine andre Verwendung finden werde.41.6 Als sich das aber verzögerte41.7, stellte Professor Harpprecht selbst den Antrag, es möge in Sachen, in denen sein Bruder als Rechtsbeistand tätig sei, das primum votum von einem andern Hofgerichtsassessor oder auch von einem — dazu erst ins Hofgericht zu berufenden — Fakultätsmitglied stellvertretend geführt werden. Verfügt wurde, es solle in solchen Fällen abwechselnd von einem Hofgericht zum andern ein andrer Professor der juristischen Fakultät, für diesmal Professor Schweder, eintreten.41.8 [S. 42]
Gegen diese Anordnung erhob das Hofgericht lebhaften Widerspruch42.1, wobei es namentlich, offenbar mit gutem Grund, darauf hinwies, wie unzuträglich es wäre, wenn in einer Sache, die sich vielleicht durch mehrere Jahre hinziehe, jedesmal wieder ein andrer ohne Kenntnis dessen, was darin vorher passiert, das primum votum führen müßte.42.2 Vielmehr möge, wenn Professor Harpprecht abtreten müsse, der nächste auf der gelehrten Bank die erste Stimme führen. In der Tat kam es nicht zu dem jährlichen Wechsel. 1697 hatte, wie im Erlaß bestimmt war, Professor [S. 43] Schweder aushilfsweise, wenn Harpprecht verhindert war, die erste Stimme geführt; nachher scheint dies wieder wie früher durch den zweiten in der Reihe der Hofgerichtsassessoren geschehen zu sein.43.1
In der Hauptsache war nichts geändert: von Ausnahmefällen abgesehen führte die erste Stimme nach wie vor der juristische Professor. Aber der Oberrat rüttelte nun überhaupt an der bestehenden Ordnung. Nach dem Herkommen mußte jeder neu eintretende gelehrte Assessor, gleichviel welchen Rang und Stand er sonst im Leben einnahm — mit einziger Ausnahme des zur Führung der ersten Stimme berufnen juristischen Professors — zunächst die letzte Stelle auf der gelehrten Bank einnehmen und rückte dann erst allmählich vor, wenn ein dienstälterer ausschied; wie es auf der Adelsbank auch gehalten wurde. Als nun aber 1708 der Oberrat Hellwer43.2 zum Hofgerichtsassessor ernannt wurde, erklärte er — und sein Kollegium schloß sich ihm an — das sei seiner und des Oberratskollegiums unwürdig; er habe als dessen Vertreter Anspruch darauf, entweder mit dem Professor in der Führung der ersten Stimme abzuwechseln oder, wenn man diesen im hergebrachten Besitz lassen wolle, wenigstens sofort den zweiten Platz einzunehmen.43.3 Damit drang er nun allerdings nicht durch; die Entscheidung der allgemeinen Frage wurde hinausgeschoben; Hellwer bekam nicht den zweiten, [S. 44] aber er bekam immerhin auch nicht den letzten, sondern den vorletzten Platz, über einem vor ihm eingetretnen Assessor, dem Vogt Pape zu Tübingen.44.1 Auch wurde ihm die Genugtuung zuteil, daß, wenn Harpprecht verhindert war, nicht ein andrer Professor zu seiner Vertretung berufen wurde, sondern er, Hellwer, für längere oder kürzere Zeit für ihn die erste Stimme führte.44.2
Als Professor Harpprecht 1714 gestorben war, bat die Juristenfakultät44.3, sie bei dem, wie sie behauptete, schon bei der ersten Anordnung des Hofgerichts ihr beigelegten iure primi voti zu manutenieren44.4 und dieses jetzt dem Professor Schweder zu übertragen. Der Regierungsrat (der frühere Oberrat) hielt auch jetzt wieder an dem Grundsatz fest, daß die Fakultät keinen Anspruch auf die erste Stimme habe; Hellwer, der mittlerweile an die zweite Stelle auf der gelehrten Bank des Hofgerichts vorgerückt war und demnach die nächste Anwartschaft gehabt hätte, erklärte sich jedoch bereit, hinter Schweder, seinem frühern Universitätslehrer, zurückzutreten, nur eben „dem Regierungsratscollegio vor das künftige ohnabbrüchig".44.5 In der Tat wurde Schweder, der nunmehr als ordentlicher Beisitzer ins Hofgericht berufen wurde, mit der Führung der ersten Stimme betraut, allerdings nur bis zur Entscheidung des obschwebenden Streites.44.6 Diese war, als er 1730 wegen Schwerhörigkeit seine Stelle am Hofgericht aufgeben mußte, immer noch nicht getroffen. Auf die Bitte der Fakultät44.7 [S. 45] wurde an seine Stelle, wieder bis zur Entscheidung des Streites und ohne Präjudiz für das Regierungsratskollegium, der Subsenior der Fakultät, Graß, berufen45.1, dann aber jenes Kollegium zu einem Bericht aufgefordert, der zur endgültigen Entscheidung des Streites führen sollte.45.2 Auf Grund einer von Hellwer ausgearbeiteten Denkschrift45.3 stellte der Regierungsrat den Antrag, der Herzog möge ihm, dem Regierungsrat, „das primum votum angedeihen lassen".45.4 [S. 46]
Ehe der Herzog sich schlüssig gemacht hatte, starb Graß am 25. Juli 1731, so daß die Bahn für die Wünsche des Regierungsrats und für Hellwers Ehrgeiz frei war. Sofort trat jener noch einmal an den Herzog heran, dem er zu bedenken gab, daß „das ius constituendi iudicia et ordinandi in illis vota et sessiones ein ohnstrittiges annexum der landesfürstlichen Obrigkeit seie"46.1, er also der Fakultät gegenüber völlig freie Hand habe; eine Beleuchtung der Sache, die auf den willensschwachen und eben deshalb auf seine fürstliche Machtvollkommenheit um so stolzern und eifersüchtigern Fürsten Eindruck machen mußte. Seine Entscheidung lautete: „Nachdem wir ... befunden, daß denen von uns (zum Hofgericht) verordneten Regierungsräten der Vorsitz — d. h. der erste Sitz auf der gelehrten Bank — und Führung des primi voti gebühre und wenigstens vor diesmal von einem derselben bei dem hiernächst abzuhaltenden Hofgericht das letztere geführt werden solle, als fügen wir euch (dem Hofrichter) ein solches ... in Gnaden an"46.2; also eine grundsätzliche Entscheidung der allgemeinen Frage, nachträglich halb und halb auf den vorliegenden Fall eingeschränkt. In der Tat führte beim Hofgericht im Spätsommer 1731 und wieder beim nächsten im Jahr 1733 Hellwer die erste Stimme.46.3 Da er jedoch schwer vom Podagra heimgesucht war, hatte schon vor seiner Bestellung zur Führung der ersten Stimme der Regierungsrat vorsorglich beantragt, noch einen weitern seiner gelehrten Räte ins Hofgericht zu berufen46.4; in der Tat war Regierungsrat Seubert zum Hofgerichtsassessor ernannt worden.46.5 Aber nun zeigte sich, daß dieser einen andern [S. 47] Standpunkt einnahm als der ebenso ehrgeizige wie mit dem Geschäftsgang des Hofgerichts vertraute Hellwer: er verbat sich die ihm zugedachte Ehre, weil er sich erst mit viel Mühe und Zeitaufwand einarbeiten müßte und dadurch andern Geschäften, in denen er dem Herzog mehr nützen könne, entzogen würde.47.1 Er wurde auch wirklich seines Auftrags enthoben47.2 und vorläufig kein andrer Regierungsrat an seine Stelle neben Hellwer ins Hofgericht berufen.47.3 Die Mehrzahl der Regierungsräte mag die Sache ebenso angesehen haben wie Seubert. Als im Jahre 1735 — nach kurzem, durch fortschreitende Krankheit schwer getrübtem Triumph seines langjährigen Strebens — Hellwer sich genötigt sah, auf die Tätigkeit am Hofgericht zu verzichten, hätte er selbst zwar am liebsten gesehen, wenn wieder ein Regierungsrat mit der ersten Stimme betraut worden wäre.47.4 Das Regierungsratskollegium aber zog es vor, die Entscheidung von 1731 — im Widerspruch mit dem (freilich nicht ganz klaren) Wortlaut — als nur für den einen damaligen Fall gültig und die ganze Streitfrage als unerledigt anzusehen, und stellte dem Herzog anheim, wie es in Zukunft gehalten werden solle.47.5 Herzog war seit 1733 nicht mehr Eberhard Ludwig, sondern Karl Alexander, der sich durch die Entscheidung seines Vorgängers, auch wenn sie nach dessen Meinung hätte für die Dauer gelten sollen, nicht gebunden fühlte; er entschied, „daß die Führung des primi voti ... nach der ehemaligen Observanz wiederum einem Professori iuris ordinario zu Tübingen ... aufgetragen werden solle".47.6 Seitdem blieb die Fakultät in unangefochtenem [S. 48] Besitz.48.1 Dem Regierungsrat seinerseits wurde 1759 die Genugtuung zuteil, daß ein herzoglicher Erlaß verfügte, wenn einer der beiden Regierungsräte, die jetzt regelmäßig dem Hofgericht angehörten, als Hofgerichtsassessor abgehe, solle der zu seinem Nachfolger ernannte Regierungsrat nicht von unten auf der gelehrten Bank anfangen, sondern an die Stelle seines Vorgängers treten oder aber, wenn der andre bisher am Hof gericht tätige Regierungsrat ein höheres Dienstalter habe, dieser an die Stelle des ausgetretnen vorrücken und der neu eintretende seine Stelle einnehmen.48.2 So waren Hellwers Bemühungen48.3 doch nicht ganz umsonst gewesen.
Nach dem Führer der ersten Stimme kam der erste auf der Adelsbank, dann der zweite auf der Gelehrtenbank, darauf der zweite auf der Adelsbank und so weiter im Wechsel; hatten die Adligen alle abgestimmt, so folgten die weitern Mitglieder der Gelehrtenbank, zuletzt die der Landschaftsbank, an die vorher der Hofrichter eine kurze Ansprache hielt48.4 — offenbar eine Rechtsbelehrung, die bei diesen nicht notwendig rechtskundigen Leuten angezeigt schien.
Der Hofrichter sollte nach den ältern Hofgerichtsordnungen vor der Sammlung der Stimmen gleich wie andre Räte seine Meinung zu erkennen geben.48.5 In der Ordnung von 1587 wird diese Bestimmung nicht mehr wiederholt, und Schöpff sagt ausdrücklich48.6, daß es nicht mehr so [S. 49] gehalten werde. Der Hofrichter hatte jetzt nur noch bei Stimmengleichheit ein mehrers zu machen, d. h. den Stichentscheid zu geben.49.1 Zuvor aber konnte er, wenn die Beisitzer nicht einer Meinung waren, zum zweiten- und drittenmal Umfrage halten, und es stand jedem frei, nachdem er die andern gehört hatte, seine Meinung zu ändern.49.2
Es konnte vorkommen, daß ein oder der andre Beisitzer abtreten mußte, etwa weil er selbst an der verhandelten Sache beteiligt oder mit einem der Beteiligten verwandt war, oder weil er vielleicht die eine Partei in erster Instanz beraten hatte49.3, was freilich nach der fünften Hofgerichtsordnung eigentlich nicht sein sollte49.4; oder es konnten einer oder auch zwei beurlaubt sein — ohne besondern Grund mehr nicht zu gleicher Zeit, auch nicht über drei Tage; längern Urlaub konnte nur der Herzog selbst geben.49.5 Stand dann nicht mehr die ausreichende Zahl von Beisitzern zur Verfügung, so war der Hofrichter ermächtigt, außerordentliche Beisitzer heranzuziehen, die gleich den ordentlichen vereidigt wurden; nach den frühern Hofgerichtsordnungen den Amtmann des Ortes, da das Hofgericht gehalten werde, also seit 1514 den Vogt von Tübingen, sowie ein oder zwei sonst dapfere (d. h. tüchtige), redliche Leute, gelehrt oder weis, also Männer entweder von gelehrter Bildung oder doch von Lebenserfahrung.49.6 Nach der vierten Hofgerichtsordnung sollen das Mitglieder des Stadtgerichts sein, die fünfte aber stellt vor die Amtleute des Orts Professores, Doctores, Licentiatos, nur nicht aus dem Kreis der Hofgerichtsadvokaten oder Prokuratoren.49.7 So finden wir denn auch einmal einen außerordentlichen Professor49.8, mehrmals Doktoren49.9 als außerordentliche Beisitzer tätig; [S. 50] dann aber mancherlei herzogliche Beamte von Tübingen, z.B. dreimal den Keller; ferner je einmal einen Bürgermeister und einen Stadtschreiber von dort, auch den Bebenhäuser Vogt im benachbarten Lustnau.50.1
Die laufenden Geschäfte während und zwischen den Sitzungen besorgte der Hofgerichtssekretarius50.2, noch 1557 Hofgerichtsschreiber genannt.50.3 Von ihm wird zwar nicht das Studium der Rechte verlangt, aber neben der Kenntnis der lateinischen Sprache die der Fachausdrücke der Rechtssprache, Verständnis der Verweisungen auf die Reohtsquellen, Übung in gerichtlichen Sachen, namentlich im Gang des Prozesses, Vertrautheit mit der Hofgerichtsordnung50.4; zu Schöpffs Zeit war er meist Licentiatus iuris.50.5 Regelmäßig war er im Hauptamt Regierungs(rats)sekretar.50.6 Sein Amt war deshalb besonders wichtig, weil er, allerdings unter Mitwirkung und Aufsicht eines der gelehrten Räte, das Tagbuch zu verfassen hatte, worin für jede Tagung im voraus festgesetzt war, was für eine Sache an jedem einzelnen Tag verhandelt werden sollte. Zwar bestimmt die Hofgerichtsordnung von 165450.7, es sollten zuerst die ältesten Sachen an die Reihe kommen, dann die jüngern, zuletzt erst die neu eingelaufenen; aber der Zusatz bei den ältesten Sachen: „doch auf der Parteien Ansuchen"50.8 gab deren [S. 51] Wettbewerb und der Willkür des Sekretars einen weiten Spielraum.51.1
Die Amtsdauer war sehr verschieden, von einem bis zu 33 Jahren.51.2 Für manche war die Stellung eine Stufe zu höherem Aufstieg.51.3
Für die niedern Geschäfte war ein Hofgerichtsknecht, im 18. Jahrhundert Pedell genannt, und ein Hofgerichtsbote angestellt, der namentlich die Ladungen zu besorgen hatte.51.4
Für alle Mitglieder des Hofgerichts, vom Hofrichter bis zum Sekretarius, war diese Tätigkeit nicht ihr Hauptberuf, sondern nur ein Nebenauftrag, der in der ersten Zeit des Hofgerichts manche vielleicht nur einmal in ihrem Leben für eine Sitzung, später zuweilen nur alle paar Jahre einmal für ein paar Wochen, im höchsten Fall einen Teil jedes Jahrs in Anspruch nahm. Demgemäß hatten sie auch lange Zeit keine feste Besoldung51.5, sondern nur Sitzgelder, dazu [S. 52] der Adel Stallmiete und Futter für seine Herde, der Sekretarius Holz, Licht und Wohnungsgeld.52.1 Wir haben eine Bittschrift an den Herzog vom 29. November 159852.2, worin bitter geklagt wird, daß die Auswärtigen nicht auf ihre Kosten kommen. Der Obervogt von Tübingen52.3 sodann, seit 8 Jahren Hofrichteramtsverweser52.4, seufzt über die vielen unbezahlten Geschäfte seines Nebenamtes, die Tübinger Doktoren über die zeitraubende Arbeit fürs Hofgericht, den Verbrauch an Holz und Licht, den notgedrungnen Verzicht auf Beratung und Vertretung in solchen Sachen, die voraussichtlich ans Hofgericht kommen52.5, wodurch ihnen Einnahmen entgehen. — Die Hofgerichtsordnung von 1654 geht in dieser Beschränkung noch weiter, indem sie ihnen überhaupt das Auftreten an Dorf- und Stadtgerichten verbietet, das der Ehre des Hofgerichts und ihrer eignen abträglich sei.52.6 Dagegen können sie zur Verbesserung ihrer Einkünfte recht wohl Auswärtigen, Adligen und andern, ihre Dienste leihen.52.7 — Es wird in jener Eingabe daran erinnert, daß seinerzeit in Aussicht gestellt worden sei, das Hofgericht solle mit beständigen Personen besetzt und diesen eine auskömmliche Besoldung angewiesen werden, und dringend gebeten, diesen Gedanken auszuführen. Auch der Landtag meinte52.8, eine beständige Jahresbesoldung der Assessoren würde vielleicht zur Beschleunigung der Geschäfte am Hofgericht beitragen. Aber weder die Eingabe noch die Anregung des Landtags hatte Erfolg; es blieb bei der alten Einrichtung. Erst im Laufe der Zeit setzte sich die Übung fest52.9, daß wenigstens die [S. 53] gelehrten Beisitzer eine Zulage (um 1660) oder ein Salarium (1683) von zwei Eimer Wein und zehn Scheffel Dinkel erhielten, um die anfangs jeder neu ernannte besonders nachsuchen mußte. Allmählich scheint sich dann eine feste Ordnung entwickelt zu haben. 1735 wurde die Besoldung auf die fünf ersten, etwas später auf vier gelehrte Assessoren beschränkt. Die übrigen Assessoren mußten sich mit ihren Sitzgeldern begnügen.53.1 Außerdem bekam das Hofgericht insgesamt zum „Untertrunk" für die Dauer jeder Tagung 12 Imi (etwas über 2 hl) Wein.53.2
Gerichtsbeisitzer und Rechtsbeistände waren in den ersten Zeiten des Hofgerichts noch nicht so streng voneinander geschieden, wie wir gewohnt sind. Ein gräflicher Erlaß von 1486 bestimmt, daß die Räte, die am Hofgericht sitzen53.3, auf Erfordern der Parteien unentgeltlich für sie [S. 54] reden, also als Rechtsbeistände für sie auftreten sollen.54.1 Die zweite Hofgerichtsordnung von 1514 schließt dies aus54.2; die Beisitzer müssen schwören, daß sie keiner Partei raten, warnen oder reden wollen54.3; sie sieht eigne Fürsprecher vor, die am Hofgericht angenommen werden sollen.54.4 Doch war niemand gezwungen, sich ihrer zu bedienen; wer sich die Fähigkeit zutraute, seine Sache selbst zu führen, dem blieb es unbenommen.54.5 Auch konnte der Rechtsuchende irgendeinem andern einen Gewalt, eine Vollmacht ausstellen und ihn an seiner Statt als seinen Anwalt oder Prokurator vor dem Gericht auftreten lassen.54.6 Diesen Auftrag konnte jeder Volljährige übernehmen; es gab nicht wie anderswo berufsmäßige, von Gerichts wegen aufgestellte Prokuratoren.54.7 Der Rechtsuchende konnte auch seinen eignen Rechtsbeistand — Redner, Fürsprecher, Advokaten54.8 — mitbringen.54.9 Immerhin stellt es die fünfte Hofgerichtsordnung von 1654 ins Belieben des Gerichts, ob es seine Zustimmung geben wolle.54.10 Die Erlaubnis, eine Sache selbst, ohne Advokaten, zu führen, mag auch im 18. Jahrhundert [S. 55] noch — gewiß selten genug — erteilt worden sein, nicht aber die, einen fremden Advokaten mitzubringen.55.1 Vielmehr hatte man sich an einen der Hofgerichtsadvokaten zu wenden, die vom Hofgericht förmlich angenommen55.2 und in ein Verzeichnis eingetragen waren.55.3 Auch die Prokuratoren wurden häufig aus der Zahl der Hofgerichtsadvokaten genommen.55.4
Das Studium der Rechte verlangt von diesen erst die vierte Hofgerichtsordnung von 1587; genauer gesagt: sie verbietet, Studierende der Universität als Rechtsbeistände beim Hofgericht zuzulassen, ehe sie drei bis vier Jahre studiert haben55.5, womit nicht dem Wortlaut, wohl aber ohne Zweifel dem Sinne nach Nichtstudierte von der Zulassung ausgeschlossen sind. Die Hofgerichtsordnung von 1654 fügt eine öffentliche Disputation hinzu55.6, und Moser55.7 gibt an, was für ein Thema ein jeder bei seiner Rezeption vor den Schranken der Gerichts abgehandelt habe. Häufig wird der Gegenstand, was das nächstliegende ist, aus der Fachwissenschaft genommen; z. B. sprechen zwei am gleichen Tag über das heute in Württemberg geltende Recht der Ehegatten55.8, zwei andre zu verschiednen Zeiten über die Verjährung55.9; einer über die Widerklage55.10, ein andrer über den Judeneid.55.11 Schwierige Fragen des Reichsrechts werden behandelt: ob die Reichsabschiede für richterliche Entscheidungen maßgebend seien55.12; ob und inwiefern die Reichsfürsten [S. 56] Macht haben, Gesetze zu geben, die wider die Reichsabschiede laufen56.1; ob ein Reichsstand ein Privilegium de non appellando durch Verjährung erwerben kann56.2; dann solche, die sich auf das Hofgericht selbst beziehen: vom Ursprung der Hofgerichte in Deutschland56.3; von der Appellation an das jüngste Gericht56.4, womit eben das Hofgericht gemeint ist; vom württembergischen Privilegio de non appellando.56.5 Eine heikle Frage behandelt der Vortrag von dem Landesherrn als der Urquelle aller Gerichtsbarkeit.56.6 Dann pro domo: ob Advokaten nützliche Membra einer Republik (d. h. eines Staates) und in derselben zu tolerieren seien56.7; von der Notwendigkeit der Advokaten56.8; von der Beschaffenheit rechtschaffner Advocatorum.56.9 Noch allgemeiner: welches Temperament eigentlich das nobelste und beste, sonderlich aber zum Studio iuris das tauglichste seie56.10; welches Vermögen der Seele einem Rechtsgelehrten am nötigsten seie.56.11 Darüber spricht derselbe Huber, der später als Oberamtmann von Tübingen dem Herzog so mannhaft entgegengetreten ist56.12 und gezeigt hat, daß es ihm jedenfalls an dem Seelenvermögen der Willenskraft nicht fehle. Endlich: ob ein Iurisconsultus ein Philosophus sein müsse56.13, eine Frage, die der junge Georgii sicherlich bejaht hat, dessen Vortrag von den Wirkungen der Freundschaft handelt.56.14
Volljährigkeit56.15 war für die Aufnahme unter die Hofgerichtsadvokaten nicht erforderlich. Ein Minderjähriger konnte seine eigne Sache nicht vor dem Hofgericht führen56.16; auch der Prokurator, der bevollmächtigte Vertreter, mußte volljährig sein56.17; für den Advokaten genügte es, wenn er 18 Jahre alt war.56.18 [S. 57] Bis über die Mitte des 16. Jahrhunderts hinaus scheint die Zahl der am Hofgericht zugelaßnen Advokaten nicht groß gewesen zu sein; denn die Hofgerichtsordnungen verbieten, daß eine Partei mehr als einen von ihnen annehme57.1, und die von 1514 und 1557 geben als Grund an: damit die andre Partei auch einen bekommen könne57.2; sie rechnen also mit der Möglichkeit, daß eine Partei sämtliche verfügbaren Hofgerichtsadvokaten in ihre Dienste nehme, so daß die andre ganz ohne Rechtsbeistand dastünde. Auch zu Anfang des 18. Jahrhunderts mangelte es: zu einem Erlaß vom 16. März 1665, wonach ein Advokat ohne besondre Erlaubnis nicht mehr als drei neue Sachen übernehmen sollte, bemerkt der Hofgerichtssekretar Häberlin 1720: dieser Bescheid ist, vielleicht wegen geringer Anzahl der Advocatorum, in desuetudinem gekommen.57.3 Am Ende des 18. Jahrhunderts mag eher ein Überfluß vorhanden gewesen sein: in den 26 Jahren von 1772 bis 1797 wurden 103 Advokaten angenommen. Zwanzig von ihnen sind als Doktoren, sechzehn als Lizentiaten bezeichnet.57.4
Manche blieben Hofgerichtsadvokaten bis zu ihrem Tod. Eine Grabschrift der Tübinger Stiftskirche von 1595 erzählt, der Verstorbne sei über dreißig Jahre lang [S. 58] Hofgerichtsadvokat gewesen.58.1 Für andre war es nur ein Übergang58.2; denn das Advocieren und Prokurieren beim Hofgericht d. h. die Tätigkeit des Rechtsbeistands und des bevollmächtigten Vertreters58.3 galt als gute Übung für die angehenden Juristen; die Hofgerichtsordnungen von 1587 und 1654 meinen sogar, das sei der Hauptgrund, weshalb das Hofgericht in Tübingen gehalten werde.58.4 So war der hochgeschätzte Professor des 16. Jahrhunderts Anastasius Demmler zuerst Hofgerichtsadvokat58.5; Johann Theodor Scheffer wurde 1710 Hofgerichtsadvokat, 1715 außerordentlicher, 1716 ordentlicher Professor58.6; auch der spätere Professor Schöpff war eine Zeit lang Hofgerichtsadvokat.58.7 Andre wurden Beamte, z. B. der Lizentiat Moriz David Harpprecht 1703 Oberrat58.8, Philipp Friedrich Jäger 1737 Regierungsrat.58.9 Sattler, der spätere Archivar und verdiente Geschichtschreiber, hat desgleichen als Hofgerichtsadvokat angefangen.58.10 Der früher erwähnte Huber wurde Oberamtmann zu Tübingen, mein Großvater Gottfried Knapp, nachdem er elf Jahre lang Hofgerichtsadvokat gewesen war, Oberamtmann zu Alpirsbach.
War eine Partei zu arm, um einen Rechtsbeistand zu belohnen, oder ließ sich aus andern Gründen kein Advokat bereit finden ihr zu dienen, so wurde ihr einer vom Hofrichter zugewiesen, der darauf sehen sollte, daß nicht einer zu viel beschwert, sondern zwischen den einzelnen abgewechselt werde. Und zwar sollte er vorzugsweise diejenigen dabei aussuchen, die den mehrern Teil Sachen und den besten Gewinn haben. Auch darauf sollte er achten, ob nicht eine Partei von dem Rechtsbeistand der andern mit Geschicklichkeit überlängt werde; in diesem Fall sollte er jener auch einen tauglichen Advokaten zuweisen.58.11 [S. 59]
Die Verhandlungen des Hofgerichts waren öffentlich59.1; ehe die Beratung des Gerichts begann, mußten Parteien und Zuhörer abtreten.59.2 In den ersten Jahrzehnten hatten die Fürsprechen, die Rechtsbeistände, bleiben dürfen; aber auf die Beschwerde des Landtags, der vermutlich — und mit Recht — durch ihre Gegenwart die Befangenheit der Rechtsprechung bedroht glaubte, wurden sie 1520 ausgeschlossen.59.3 Zur Verkündigung des Urteils, das der Sekretarius verlas, wurden die Türen wieder geöffnet, die Parteien vom Pedell hereingerufen.59.4 Zuhören sollten namentlich auch die Studierenden der Rechte, die zu fleißigem Besuch anzuhalten den Professoren zur Pflicht gemacht war.59.5
Im 18. Jahrhundert, seit 1721, finden wir am Hofgericht eine Anzahl Auskultanten d. h. nach unsrem Sprachgebrauch Referendare59.6, die beim Eintritt, wie Hofrichter und Beisitzer, vereidigt wurden, vermutlich auf Wahrung des Amtsgeheimnisses, da sie doch wohl bei den Beratungen zugegen waren. E. F. Moser59.7, dem wir die Kenntnis der Einrichtung [S. 60] in erster Linie verdanken, gibt für die Zeit von 1721 bis 1769 ein Verzeichnis von 32 Namen, lauter Adlige mit Ausnahme eines einzigen, des Hofmeisters der beiden Grafen von Grävenitz, zweier Brüder, Neffen der berüchtigten Landhofmeisterin, die miteinander und mit jenem, dazu noch einem weitern Adligen60.1 als erste Auskultanten am 26. August 1721 vereidigt worden sind; es sieht aus, als wäre für sie die ganze Einrichtung geschaffen worden. Fünf Jahre vorher, am 18. April 1716, hatten die beiden Grävenitz die Universität Tübingen bezogen60.2, hatten also, als sie Auskultanten wurden, das durch die Statuten von 160160.3 vorgeschriebne Quinquennium hinter sich. Aus Zellers Merkwürdigkeiten60.4 geht hervor, daß die beiden Brüder am gleichen Tag, an dem sie sich in die Universitätsmatrikel eingetragen haben, ins Collegium illustre, die Tübinger Adelsakademie, eingetreten sind, und die Vermutung liegt nahe, daß auch von den andern adligen Auskultanten ein Teil dort gewohnt habe. Schreibt doch Zeller 1743 vom Collegium: ,,Von Baronen und Nobilibus wäre jederzeit eine Frequenz zugegen".60.5 Vorlesungen wurden damals im Collegium nicht mehr gehalten; Johann Jakob Moser erzählt 1757 in seiner Lebensgeschichte60.6, er sei 1727 zum Professor iuris bei dem fürstlichen Collegio ernannt worden, habe aber in Stuttgart bleiben dürfen, „welches um so leichter geschehen konnte, weil dieses fürstliche Collegium geschlossen, mithin auch kein Professor zu einer Lection oder Collegio gehalten ist, sondern es bloße Gnadendienste seind." Das Kollegiumsgebäude war also zwar bewohnt, auch waren Lehrer für körperliche Übungen, Exerzitienmeister, angestellt, und ein Reitstall stand zur Verfügung60.7, für die Wissenschaft aber waren die adligen [S. 61] Insassen auf die Universität angewiesen. So wird denn wie jene zwei von 1721 auch wer sonst zu dieser Zeit ins Collegium eintrat, jedesmal zugleich an der Universität immatrikuliert worden sein.
Von den Auskultanten finden wir viele in der Universitätsmatrikel. Die Zeit zwischen der Eintragung in diese und der Vereidigung als Auskultanten ist von sehr verschiedner Länge, von fünf Jahren bis herunter zu einem Vierteljahr. Da wird man anzunehmen haben, daß die längste Zeit auf einer auswärtigen Universität zugebracht worden war. Viele sind überhaupt nicht in der Matrikel zu finden, haben also auswärts studiert und sind erst nach Vollendung ihres Studiums nach Tübingen gekommen, um hier am Hofgericht mit dessen Rechtsverfahren bekannt zu werden.61.1 Der Kammerjunker von Gemmingen, 1795 vereidigt61.2, war auf der Karlsschule zu Stuttgart ausgebildet.61.3
Unter den Auskultanten ist nicht nur die schwäbische und fränkische Reichsritterschaft zahlreich vertreten, sondern wir finden unter ihnen auch Edelleute aus Mitteldeutschland — einen Seckendorff aus dem Altenburgischen61.4, Rottenhoff aus Wildungen, Veltheim aus dem Magdeburgischen — und noch weiter her: Gersdorff aus der Lausitz, Kottwitz und Rothkirch aus Schlesien, Dresky aus Öls, damals Besitz einer württembergischen Nebenlinie, Bernstorff aus Hannover. [S. 62]
Die Zahl der Auskultanten war zu verschiednen Zeiten sehr verschieden. 1721 traten, wie schon gesagt, an einem Tag vier ein, 1729 drei, 1730 gar fünf gleichzeitig, sonst einer oder zwei in einem Jahr, in vielen Jahren gar keiner. Nach dem, was wir über die Herkunft wissen, ist nicht verwunderlich, daß sich von den 32 nur 9 aus dem Württembergischen Dienerbuch nachher als württembergische Beamte nachweisen lassen. Fünf sind adlige Regierungsräte geworden, einer62.1 schon ein Jahr, nachdem er als Auskultant vereidigt worden war.62.2 Sechs von den 32 wurden nachher Hofgerichtsassessoren.62.3 Übrigens ist es von den Adligen, die an der Universität Tübingen die Rechte studiert haben, nur ein Teil, der sich nachher unter den Auskultanten findet.
Die Einrichtung scheint am Hofgericht nicht beliebt gewesen zu sein; Schöpff berührt sie mit keinem Wort, Moser beschränkt sich auf das Verzeichnis der Namen ohne jede weitere Bemerkung.62.4 Nach 1769 ist nur noch der eine Gemmingen 1795 eingetreten.62.5 [S. 63]
Im Grundsatz war das Verfahren vor dem Hofgericht mündlich63.1, womit es unter den obersten Landesgerichten Süd- und Westdeutschlands lange Zeit ebenso einzig dastand wie mit seiner Öffentlichkeit.63.2 Freilich bestand die Mündlichkeit zu einem großen Teil darin, daß Akten verlesen63.3 und lange Ausführungen von den Advokaten — vom Mund in die Feder, sagte man anderwärts — diktiert wurden.63.4 In schwierigem Fällen63.5 wurde die Sache verabschiedet d. h. auf den Weg schriftlicher Verhandlung verwiesen.63.6 Namentlich geschah das, wenn Beweise zu erheben oder ein Augenschein zu nehmen war. Dazu wurde ein Kommissar oder auch mehrere, die meist von den Beteiligten vorgeschlagen wurden, vom Hofgericht bestellt und vereidigt: ein Hofgerichts- oder Kanzleiadvokat, der Hofgerichtssekretarius, auch allenfalls ein Hofgerichtsbeisitzer, oder aber ein bei der Sache nicht beteiligter herzoglicher oder Gemeindebeamter, meist in einer dem Streitfall benachbarten Stadt. Das Ergebnis wurde dem vom Hofrichter bestellten Berichterstatter, unter Umständen auch noch einem Mitberichterstatter mitgeteilt, bei der nächsten Gelegenheit die Sache „vor sitzendem Hofgericht" noch [S. 64] einmal mündlich vorgetragen, dann abgestimmt und schließlich das Urteil in öffentlicher Sitzung verkündet.64.1
Als Richtschnur für die Erkenntnisse des Hofgerichts sollte in erster Linie das württembergische Landrecht dienen — erste Fassung von 1555, dritte und letzte von 1610 — neben ihm die Landesordnung — erste von 1495, siebente und letzte von 1621 — samt den seither erlassenen Verordnungen. Soweit sich kein Widerspruch gegen das Landrecht ergab, waren auch die örtlichen Satzungen und Gewohnheiten als gültig anzuerkennen, Womit die Mahnung zusammenhängt, daß das Hofgericht nicht ohne zwingende Not das Urteil des Vorderrichters abändern solle, weil dieser doch am besten das am Orte geltende geschriebne oder Gewohnheitsrecht, auch die beteiligten Personen kennen werde.64.2 1680 wurde auf das Drängen des landschaftlichen kleinen Ausschusses hin verfügt, daß auch die Landtagsabschiede für das Hofgericht ebenso bindend sein sollten wie Landrecht und Landesordnung.64.3 Soweit diese Quellen nicht ausreichten, sollte schon nach der Hofgerichtsordnung von 151464.4 das Reichsrecht, also in der Hauptsache das römische Recht maßgebend sein, dem somit, wie auch schon an den Stadtgerichten64.5, nur eine bescheidne Hilfsstellung zugewiesen war64.6, und bei dessen Anwendung vorsichtige Überlegung anbefohlen wurde, ob seine Bestimmungen auch wirklich auf den vorliegenden Fall anzuwenden seien. Freilich fehlte viel, daß diese Grundsätze und Mahnungen in der Tat befolgt worden wären. Vielmehr wurden von den Gerichten wie von der Wissenschaft die vor dem ersten Landrecht zurückliegenden örtlichen Satzungen schlechthin als aufgehoben behandelt64.7, auch [S. 65] zeigte das Hofgericht keineswegs die ihm empfohlene Achtung vor den Urteilen der niedern Gerichte.65.1 Im Zweifelsfall hielt es sich an das Verfahren und die Grundsätze der höchsten Reichsgerichte65.2, und dort herrschte das römische Recht.
Auch andre Vorschriften hatten nicht den gewünschten Erfolg, wie schon die öftere Wiederholung zeigt; am ehesten vielleicht die Mahnung, nicht die Strengheit, sondern die Billigkeit vor Augen zu haben; „dann unser Undertonen fromb, schlecht und einfeltig leut seind, der geschriben recht nit also geübt, verstendig und erfarn".65.3 Den Advokaten aber muß immer aufs neue Kürze eingeschärft werden65.4, ein Anzeichen dafür, daß sie oft genug durch überflüssige Weitschweifigkeit zu Seufzern und Klagen über Beutelschneiderei Anlaß gaben. Sie sollten sich auf Darlegung des Tatbestandes beschränken, auf rechtliche Ausführungen und Beibringung von Beweisstellen verzichten, da sich auf das Recht der Gerichtshof am besten verstehe: curia novit ius65.5, weshalb denn auch Gutachten von Sachverständigen, consilia prudentum, worunter wohl Juristenfakultäten zu verstehen sind, im 18. Jahrhundert wenigstens nur ausnahmsweise aus besondern Gründen zugelassen wurden.65.6 Insbesondere sollten die Advokaten bei 15 [S. 66] Kreuzer Strafe66.1 sich nicht auf frühere Hofgerichtsurteile, auf Präjudizien berufen, einmal aus demselben Grunde, weil darüber das Gericht schon unterrichtet sei — was man bei einem nur alle Jahre oder gar in zwei Jahren einmal zusammentretenden Gericht billig bezweifeln mag — sodann aber weil ihnen die Entscheidungsgründe nicht bekannt seien.66.2 In der Tat wurden diese weder mündlich noch schriftlich oder im Druck bekanntgegeben.66.3 Wiederholt wurde dem Gericht eingeschärft, nicht auf zierliche Solennitäten, also auf rechtliche Formeln und Höflichkeitswendungen übertriebnen Wert zu legen.66.4 Wieviel man in dieser Hinsicht immerhin ertragen konnte, zeigt die vorgeschriebne Formel, mit der der Advokat das Gericht anzureden hatte, wenn er zum erstenmal im Lauf einer Verhandlung das Wort nahm; sie lautet: „Ihro Hochfürstl. Durchleucht Herrn Herzogs zu Würtemberg und Teck, unsers allerseits gnädigsten Fürsten und Herrns, zu diesem hochpreislichen Hofgericht hoch wohlverordnete, hochvortrefflich-hochansehnliche Herrn Hofrichter, Räte und Assessores, gnädig-hochgebietend-hochgeneigt-hochgeehrteste Herrn, Herrn; der gnädigst erlassenen Citation zu gehorsamster Folge erscheint vor diesem hochlöblichen Tribunal" usw. Kam er im Lauf der gleichen Verhandlung noch einmal zu Wort, so durfte er sich kürzer fassen; er hatte nur noch zu sagen: „Zuvor hoch wohlernannte hochgebietend-hochgeneigt-hochgeehrteste Herrn, Herrn", und im weitern Fortgang seiner Rede: „Euer Gnaden, Exzellenzien, Herrlichkeiten und Großgunsten."66.5 [S. 67]
Was die Zuständigkeit des Hofgerichts betrifft, so war es vorzugsweise Berufungsgericht.67.1 Doch kamen gewisse Rechtsstreitigkeiten auch zur ersten gerichtlichen Verhandlung, in erster Instanz ans Hofgericht67.2; es sind das die sogenannten Remissionssachen, vom Herzog — oder von der Kanzlei — ihm zugewiesen, schwierige und wichtige Fälle, hauptsächlich Klagen gegen herzogliche Räte, gegen Gemeinden, Stiftungen u. dgl.67.3 Ferner kam es vor, daß Reichsstände und Reichsritter, auch andre Personen, die der württembergischen Gerichtsbarkeit nicht unterworfen waren, ihre Streitsachen im Wege des Vergleichs vor das Hofgericht brachten und sich freiwillig seiner Entscheidung unterwarfen.67.4 Endlich konnten auch gewisse Rechtsgeschäfte der nicht streitigen Gerichtsbarkeit vor dem Hofgericht vorgenommen werden: Verzichte adliger Jungfrauen oder auch Frauen auf Erbansprüche zugunsten andrer Personen.67.5
Aber weitaus die meisten Fälle, die das Hofgericht beschäftigten, waren Rechtshändel, die vorher schon von einem oder auch von zwei andern württembergischen Gerichten behandelt worden waren. Für Malefizsachen, also [S. 68] hauptsächlich todeswürdige Verbrechen, gab es keine Berufung, auch nicht für Strafen und Bußen, die von Behörden verhängt waren68.1, wohl aber bei Klagen wegen Beleidigung — Schmachsachen68.2 — und Körperverletzung — Schlaghandlungen.68.3 Bei Beleidigungsklagen konnte dem Beklagten eine Zahlung an den Beleidigten, dazu „christliche Abbitte", Widerruf oder Ehrenerklärung, unter Umständen außerdem eine Herrschaftsstrafe auferlegt werden. Zum Schluß pflegte das Gericht die Schmachworte von Amts wegen aufzuheben und beiden Teilen ihre Ehre vorzubehalten.68.4 Bei Körperverletzungen konnte dem Kläger Ersatz für zugefügten Schaden sowie für Kur- und Arztkosten zugesprochen, dazu der Beklagte zu einer Strafe wegen Friedbruchs verurteilt werden.68.5 Weitaus den größten Raum nahmen jedoch Streitigkeiten [S. 69] des bürgerlichen Rechts ein. Diese gingen zunächst an das Dorf- oder Stadtgericht, in dessen Bereich — Gerichtszwang — der Beklagte ansässig war. Vom Dorfgericht konnte der unterlegne Teil unter allen Umständen weiter an das Gericht der Amtsstadt gehen.69.1 Für die weitern Berufungen waren zwei verschiedne Wertgrenzen festgesetzt. In Sachen, die die untre Grenze überschritten, die obere nicht erreichten, ging die Berufung vom Stadt- oder Dorfgericht an das ordentliche Obergericht.69.2 Obergericht war für das Land unter der Steig — der Weinsteige von Stuttgart auf die Filder, also für die nördliche Hälfte des Herzogtums — das Stuttgarter, für das Land ob der Steig das Tübinger Stadtgericht.69.3 Als im 18. Jahrhundert Ludwigsburg zur dritten Haupt- und Residenzstadt erklärt worden war, wurde 1718 auch sein Stadtgericht zum Obergericht erhoben, und zwar für das ganze Land69.4, worauf dann lange nachher, 1772, zur Ausgleichung auch die Zuständigkeit dei beiden andern Obergerichte aufs ganze Land ausgedehnt wurde, so daß man fortan von jedem Gericht des Landes aus nach freier Wahl an jedes der drei Obergerichte gehen konnte.69.5 Nach dem Landrecht von 1610 sollten die Obergerichte die Berufungssachen nicht mehr wie bisher in ihren gewöhnlichen Sitzungen neben andern in erster Instanz vor ihnen rechtshängigen Sachen vornehmen, sondern jährlich mindestens zweimal besondre Appellationsgerichte halten.69.6
War die obere Wertgrenze erreicht, oder handelte sich's um Ehr und Geführ — zwei gleichbedeutende Ausdrücke69.7 — [S. 70] um Dienstbarkeiten (Servituten), Ehaften (Gerechtsame), unablösige Zinse u. dgl.70.1, so ließen die ältern Hofgerichtsordnungen, noch die von 1587, die Wahl, ob man vom untern Gericht zunächst ans Obergericht70.2 und dann von diesem gegebnenfalls ans Hofgericht, oder aber sogleich, ohne den Umweg über das Obergericht, ans Hofgericht gehen wollte.70.3 Damit stimmt das Landrecht von 1567 überein.70.4 Das von 1610 aber schreibt für solche Fälle den Weg vom Stadtgericht unmittelbar ans Hofgericht vor, während man sich vom Dorfgericht aus entweder ebenfalls ans Hofgericht oder zunächst ans ordentliche Stadtgericht wenden konnte.70.5 Für Untergangssachen d. h. [S. 71] Nachbar-Streitigkeiten in Dorf oder Stadt und Feld, wofür die Hofgerichtsordnung von 151471.1 Berufung ans Hofgericht überhaupt ausschließt, schreiben die spätern Hofgerichtsordnungen und das Landrecht vor, daß man vom Urteil des ersten Gerichts zunächst ans „ordentliche Ober- oder Stadtgericht" gehen müsse71.2; das heißt wohl: in städtischen Sachen vom Stadtgericht ans Obergericht, in dörflichen Sachen vom Dorfgericht an das Gericht der Amtsstadt, von da aus gegebnenfalls — in dritter Instanz — ans Hofgericht.
Die Grenzen der Berufungssumme wurden dem sinkenden Geldwert entsprechend im Lauf der Zeit erhöht; schließlich betrug die für das Hofgericht 50 Gulden.71.3
Die untern Gerichte sahen es begreiflicherweise nicht gern, wenn gegen ihre Urteile Berufung eingelegt wurde. Es kam vor, daß Gerichte die Parteien an Eidesstatt angeloben ließen, nicht appellieren zu wollen, ja daß Leute, die Berufung einlegen wollten, in den Turm gesteckt oder mit schweren Geldstrafen oder ewiger Ungnade des vorgesetzten Amtmanns bedroht wurden, was alles durch ein Generalreskript von 1699 ernstlich untersagt wird.71.4 Doch hielt [S. 72] auch die Regierung für nötig, dem übermäßigen Zudrang zum Hofgericht zu wehren; es sollte daher bei mutwilliger Appellation der Appellant nicht nur in die Kosten verurteilt, sondern auch mit dem Turm oder empfindlicher Geldstrafe belegt werden, „damit sich andere dergleichen mutwillige Appellanten zu bespiegeln haben mögen."72.1
Wenn keine mutwillige Streitsucht festzustellen war, die Berufung aber verworfen, das Urteil des Vorderrichters bestätigt wurde — confirmatoria sc. sententia — was mit der Formel: „wohl geurteilt, übel davon appelliert" geschah, dann sollte nach der Hofgerichtsordnung72.2 der unterlegne Teil zum Ersatz der Appellationskosten seines Gregners verurteilt werden72.3; doch kam es häufig vor, daß „aus Bewegnus", aus bestimmten Gründen, die Kosten ausgeglichen, kompensiert wurden, also jeder Teil seine Kosten zu tragen hatte72.4; vermutlich dann, wenn dem Unterlegnen immerhin annehmbare Gründe für die Berufung zugestanden wurden.
Wurde die Berufung als berechtigt anerkannt, so wurde das Urteil des untern Gerichts entweder geradezu aufgehoben, kassiert — cassatoria — und durch ein neues ersetzt, oder in einzelnen Punkten abgeändert, verbessert — reformatoria — wobei entweder — wie in der Regel bei der cassatoria72.5 — die Formel: „übel geurteilt, wohl davon appelliert", oder, in mildern Fällen, die gelindere Wendung: „daß die Urtel voriger Instanz zu reformieren" gebraucht wurde. In diesem Fall, wenn der Berufende Recht behielt, hatte nach der Hofgerichtsordnung jeder Teil seine Kosten zu tragen, „in Ansehung, daß der Appellat — der, gegen den [S. 73] die Berufung gerichtet war — die erste Urtel für sich und wider den Appellanten gehabt."73.1 Doch wird zuweilen auch auf Ersatz der Kosten erkannt73.2, unter Umständen sogar für beide Instanzen.73.3
Sehr häufig kommt es, wo Recht und Unrecht nicht so ganz klar am Tage liegt, zu einem Verglich — transactio — wozu vom Hofrichter zwei oder drei Beisitzer von verschiednen Bänken als Deputati verordnet werden; die Parteien haben an den Gerichtsstab zu geloben, daß sie sich an den Verglich in allen Punkten halten wollen.73.4 Konnten sich die Parteien in diesem Vergleichsverfahren nicht einigen, so stellten sie zuweilen dem Hofgericht die Sache zu gütlichem Entscheid, gütlichem Ausspruch — arbitramentum — anheim73.5, von dem dann jedem der beiden Teile eine mit des Hofgerichts größerem Insiegel bekräftigte Ausfertigung eingehändigt wurde.73.6 [S. 74]
Auch Nichtigkeitsklagen kamen vor das Hofgericht74.1; erklärte sie dieses für begründet, so wurde die Sache entweder zu nochmaliger Verhandlung an den vorigen Richter zurückverwiesen74.2 oder vom Hofgericht selbst entschieden.74.3
Viel umstritten war die Frage, ob vom Hofgericht an die höchsten Reichsgerichte, Reichskammergericht und Reichshofrat, Berufung eingelegt werden könne. Dies führt uns auf die württembergischen Privilegien oder Freiheitsbriefe für das Gebiet des Rechtswesens.
Zweifellos besaß Württemberg seit alter Zeit ein Privilegium de non evocando d. h. die Zusicherung, daß ein württembergischer Untertan — von dem Landesherrn selbst sowie von seinen Dienern und Mannen, Städten und Gemeinden können wir in diesem Zusammenhang absehn74.4 — also daß ein württembergischer Untertan nirgends anders als vor einem württembergischen Gericht verklagt werden dürfe. Solche Freiheitsbriefe haben seit Karl IV. alle deutschen Könige und Römischen Kaiser den Grafen von Württemberg erteilt, anfangs, bis auf König Ruprecht 1401, je nur auf die Lebenszeit des Ausstellers, seit Sigmund ohne diese Beschränkung.74.5 Es handelt sich dabei zunächst um die Frage, wen der Kläger als ordentlichen Richter anzurufen, wo er in erster Instanz Recht zu suchen habe, und es wird in jenen Freiheitsbriefen bestimmt, daß das geschehen müsse an den Enden und Gerichten, „dahin und in die" die Beklagten „gehören und darin sie gesessen sind."74.6 Unter den Gerichten, an die man sich in solchen Fällen nicht wenden dürfe, wird seit 1415 besonders das [S. 75] Hofgericht zu Rottweil hervorgehoben75.1, unter den in den Freiheitsbriefen ganz allgemein erwähnten Landgerichten das zu Stockach einmal (1474) zur Beachtung der württembergischen Freiheit aufgefordert75.2, seit 1460 auch die westfälischen heimlichen Gerichte ausdrücklich genannt.75.3; Um diese Befreiung von fremden Gerichten haben die Grafen und Herzoge von Württemberg einen jahrhundertelangen Kampf namentlich mit dem Rottweiler Hofgericht geführt, das immer wieder Klagen gegen württembergische Untertanen annahm. Wir können ihn hier nicht im einzelnen verfolgen.75.4
Mit dem Privilegium de non evocando wurde nun aber immer wieder, teils aus Unkenntnis75.5 teils offenbar auch bewußt und absichtlich, das Privilegium de non appellando zusammengeworfen, die Zusicherung, daß vom Urteil des höchsten württembergischen Gerichts, eben des Hofgerichts, keine weitere Berufung möglich sei.75.6 Man pochte [S. 76] dabei hauptsächlich auf die Wendung in den Freiheitsbriefen von 141576.1 und 149576.2, daß die Kläger „sich an den vorbestimmten Enden an Recht benügen lassen" sollen, und in einem Erlaß Kaiser Friedrichs III. an das Hofgericht zu Rottweil 146776.3, daß die Beklagten „für einich ander Gerichte ferrer nit gezogen" werden sollen. Hier steht es ja, sagte man: man soll sich mit dem Erkenntnis des württembergischen Gerichts begnügen und nicht an ein andres Gericht weitergehen.76.4 Aber damit wäre ja viel zu viel gesagt; es wäre Berufung vom ersten Urteil überhaupt ausgeschlossen, auch an ein höheres württembergisches Gericht, wovon doch gar keine Rede sein kann. Vielmehr ist der Sinn nur: man soll sich mit der Anrufung eines württembergischen Gerichts — in erster Instanz — begnügen und nicht statt dessen — ebenfalls in erster Instanz — ein andres Gericht anrufen76.5; wie es denn auch in dem Erlaß von 1467 ausdrücklich heißt, daß „ein jeder bei seinem ordenlichen Richter beleiben und vor demselben Richter ... von erst beklagt ... werden soll,"76.6 und im Freiheitsbrief [S. 77] vom 20. August 149577.1: daß man „anfänglich" bei dem für den Beklagten zuständigen württembergischen Gericht Recht suchen soll, zwei Ausdrücke, die im Sprachgebrauch des gemeinen Rechts wie des Reichskammergerichts das ordentliche Gericht, die erste Instanz bezeichnen77.2; das Wort ferrer (= ferner) aber weist nicht auf ein weiteres, höheres Gericht hin, sondern ist zeitlich zu fassen = fernerhin, wie in einem andern Erlaß ähnlichen Inhalts ganz deutlich ist.77.3
Das Privilegium de non evocando war von Maximilian I. für den soeben zum Herzog erhobnen Eberhard im Bart und seine Nachfolger am 20. August 1495 besonders feierlich wiederholt worden77.4, und im 17. und 18. Jahrhundert hat man sich immer wieder auf dieses in der angegebnen Weise ausgelegte Privilegium Maximilians gestützt, um Berufung vom württembergischen Hofgericht an die höchsten Reichsgerichte, in erster Linie das Reichskammergericht, desgleichen auch an den Reichshofrat, als ausgeschlossen nachzuweisen. Als zweiter Beweis diente ein [S. 78] Erlaß Karls V. ans Reichskammergericht vom 7. November 153078.1, also aus der Zeit, wo Württemberg in österreichischem Besitz war. Die österreichischen Lande waren von der Berufung ans Reichskammergericht zweifellos befreit.78.2 Karl V. hatte nach der Überlassung der österreichischen Lande an seinen Bruder Ferdinand durch eine Urkunde von 152278.3 für alle diese Länder, auch für diejenigen, die sie beide oder ihre Nachkommen „mit der Hülf des allmächtigen Gottes" — „mit Lieb oder mit dem Schwert" heißt es in dem Erlaß vom 7. November 1530 — noch gewinnen möchten, alle früher dem österreichischen Land und Haus erteilten Freiheiten feierlich bestätigt und dabei ausdrücklich die Berufung von Ferdinands Gerichten an das Reichskammergericht ausgeschlossen.78.4 In einem weitern [S. 79] Freiheitsbrief vom 8. September 153079.1 hatte er die Urkunde von 1522 großenteils wörtlich, doch mit manchen Zusätzen wiederholt und dabei festgestellt, daß alle Österreich zustehenden Rechte und Freiheiten auch für das österreichisch gewordne Württemberg gelten sollten79.2, und demzufolge in einem Erlaß vom 7. November 1530 dem Reichskammergericht verboten, Berufungen von württembergischen Gerichten anzunehmen. Nun wurde freilich vier Jahre nachher, 1534, Württemberg dem Herzog Ulrich zurückgegeben, hörte also auf, österreichischer Besitz zu sein. Man sollte meinen, demnach habe es seitdem auch nicht mehr auf ein Vorrecht Anspruch machen können, das ihm eben als österreichischem Lande zugekommen war. Demgegenüber wurde darauf hingewiesen, daß Württemberg auch nach 1534 österreichisches Lehen gewesen sei, und daß 1599, als dieses Lehensverhältnis aufgehoben wurde, Österreich sich wenigstens für den Fall, daß das württembergische Herzogshaus erlöschen sollte, die Anwartschaft auf das Land vorbehalten habe; daraus wollte man ableiten, daß Württemberg jenes österreichische Vorrecht auch seither weiter genieße79.3; eine offenbare Spiegelfechterei, schon dadurch widerlegt, daß alle andern Vorrechte, die Württemberg als österreichisches Land genossen hatte, mit der Zurückgabe an Herzog Ulrich wegfielen.79.4 [S. 80]
Herzog Christoph, von dem das württembergische Rechtswesen neu geordnet worden ist, hat jene Meinung nicht geteilt; er hat in seinem Landrecht von 155580.1 ganz unbefangen davon gesprochen, daß Auswärtige, die am württembergischen Hofgericht in einer Rechtssache gegen einen württembergischen Untertan den kürzern gezogen hätten, ans Reichskammergericht weitergehen könnten; noch in der Hofgerichtsordnung von 1654 ist dies wiederholt80.2, und sind Bestimmungen darüber getroffen, wie in diesem Fall zu verfahren sei.80.3
Für Württembergische Untertanen allerdings ist schon in der ersten Hofgerichtsordnung von 147580.4 Berufung gegen Erkenntnisse des Hofgerichts ganz allgemein ausgeschlossen. Aber nach der Gründung des Reichskammergerichts mußten alle derartigen ältern Bestimmungen als hinfällig betrachtet werden.80.5 So ist denn auch in der zweiten Hofgerichtsordnung von 1514 jenes Verbot nicht wiederholt; die Berufung an die Reichsgerichte wird von ihr überhaupt nicht behandelt, weder in bejahendem noch in verneinendem Sinne. Dagegen wird im württembergischen Landrecht von 155580.6 und dann in den folgenden von 156780.7 und 161080.8 Berufung an ausländische Gerichte, worunter — ein Jammer! — auch das Reichskammergericht verstanden wurde, [S. 81] den württembergischen Untertanen verboten. Nur für den Fall, daß der Gegner ein Fremder wäre und nicht freiwillig auf die Berufung ans Reichskammergericht verzichtete, soll auch dem württembergischen Untertanen diese Berufung zugelassen sein81.1; er sollte nicht schlechter gestellt sein als sein auswärtiger Gegner.81.2
War nun jenes den Reichsgesetzen zuwiderlaufende Verbot der Berufung an die Reichsgerichte rechtskräftig? Für die Württemberger ohne Zweifel; denn die Landstände als die Vertreter des württembergischen Volkes hatten zugestimmt und damit auf ein bisher dem Württemberger zustehendes Recht verzichtet81.3, hatten es auch stillschweigend geschehen lassen, daß sich der Gesetzgeber dafür auf des Fürstentums Freiheit und Landesordnung berief81.4, obgleich jene Freiheit — ein Privilegium de non appellando— nicht bestand und die bisherigen Landesordnungen das Verbot nicht enthielten. Es war die herrschende Anschauung, daß das Verbot nicht sowohl eine Rechtsverkürzung bedeute als vielmehr eine Rechtswohltat, sofern die Verpflichtung, sich bei den Urteilen des württembergischen Hofgerichts zu beruhigen, den Württembergischen Untertan vor unnötigen Kosten und lästiger Verschleppung bewahre81.5, was ja für den Sieger im Rechtsstreit zweifellos zutraf, für den Unterlegnen allerdings ein schwacher Trost war.
Was sagte aber das Reich dazu, daß eine seiner vornehmsten Einrichtungen solchergestalt in ihrer Wirksamkeit beschränkt werden sollte? Der Landesherr als Reichsstand war ja doch zu einem solchen Verbot der Berufung an das [S. 82] oberste Reichsgericht, also an ein seinem Gerichtszwang übergeordnetes Gericht, keineswegs befugt.82.1
Um dieses Bedenken zu beseitigen, ließ sich Herzog Christoph am 22. Oktober 1555 sein Landrecht, worin jenes Verbot enthalten war, vom Kaiser bestätigen82.2, wobei freilich zweifelhaft bleibt, ob der Kaiser gerade auf diese Bestimmung besonders aufmerksam gemacht wurde.82.3 Immerhin konnten sich seither die württembergischen Herzoge in ihrem guten Rechte glauben, wenn sie ihren Untertanen den Weg zum Reichskammergericht — abgesehen von der besprochnen Ausnahme — verlegten. Für [S. 83] diese war also das Hofgericht in der Tat das jüngste d. h. letzte Gericht, wie es in der Vorrede zur vierten Hofgerichtsordnung von 1587 genannt wird.83.1 Ein schwacher Ersatz für die weggefallne Möglichkeit der Berufung ans Reichskammergericht war die Bestimmung, daß bei einem Streitwert über 200 Gulden von denen, die vom Hofgericht nicht weiter appellieren könnten, um Revision durch den Oberrat gebeten werden könne83.2; eine erhöhte Rechtssicherheit war damit freilich nicht gegeben, wenn der Herzog der Ansicht des Kanzlers Enzlin — unter Herzog Friedrich um 1600 — huldigte, daß es zur fürstlichen Hoheit gehöre, auch gegen das, was für Wahrheit gehalten werde, — eben bei der Revision — zu entscheiden.83.3
Für das Reichskammergericht konnte jene Bestimmung des württembergischen Landrechts über die Berufung an die höchsten Reichsgerichte auch nach der Bestätigung durch den Kaiser natürlich erst dann maßgebend werden, wenn sie ihm amtlich in aller Form vorgelegt wurde. Unter Herzog Christoph ist das nicht geschehen83.4, wohl aber unter seinem [S. 84] Nachfolger Herzog Ludwig. Es bestimmte nämlich der Reichsabschied von Speier 157084.1, daß alle Stände ihre vom Kaiser erlangten Privilegien de non appellando, sofern es nicht schon geschehen sei, binnen sechs Monaten dem Reichskammergericht vorzulegen, zu insinuieren hätten.84.2 Dieser Bestimmung genügte Württemberg, indem am 14. Mai 1571 das Landrecht im ganzen und außerdem ein Auszug, der die Stelle über die Berufung an die Reichsgerichte enthielt, nebst der Bestätigungsurkunde Karls V. vom 22. Oktober 155584.3 und einer weitern Maximilians II. vom 13. Mai 1566, worin alle Freiheiten Herzog Christophs bestätigt waren84.4, in der vorgeschriebnen Form insinuiert und vom Reichskammergericht am 13. Juni 1571 die Insinuation als rechtskräftig anerkannt und eine Urkunde darüber ausgestellt wurde.84.5
Damit war alle Gerechtigkeit erfüllt; Württemberg besaß jetzt in der Tat Befreiung von Berufungen seiner [S. 85] Untertanen ans Reichskammergericht; und zwar unbegrenzt nach der Höhe der Streitsumme, also ein Privilegium illimitatum.85.1 Auf einem Umweg hatte es erreicht, was sogar die meisten Kurfürsten damals noch nicht erlangt hatten, die sich vielmehr mit einer nur bis zu einer bestimmten Höhe der Streitsumme gehenden Befreiung, einem Privilegium limitatum, begnügen mußten.85.2 Ein förmliches Privilegium de non appellando im Sinne eines besondern, vom Kaiser eigens mit diesem Inhalt ausgestellten Freiheitsbriefs besaß es allerdings nicht.85.3 Indes hatte das Reichskammergericht selbst keinen Anstand genommen, ein württembergisches Privilegium de non appellando anzuerkennen85.4, und auch einzelne kaiserliche Urkunden redeten von ihm als von einer feststehenden Tatsache.85.5 [S. 86]
Über die Grundlage und die wahre Beschaffenheit dieses Privilegs war sich offenbar die kaiserliche Kanzlei selbst nicht klar. So gelang es, ihr die Meinung beizubringen, daß es schon von Maximilian I., ja von seinen Vorgängern herrühre, genauer gesagt: daß Maximilians Freiheitsbrief vom 20. August 1495 — und ebenso die vorausgegangnen — nicht nur ein Evokations-, sondern auch ein Appellationsprivileg sei.
Die Gelegenheit dazu gab die Sonderstellung, die die Stadt Mömpelgard in der Gerichtsverfassung einnahm. Während nämlich die württembergische Befreiung von der Berufung an die Reichsgerichte anerkanntermaßen auch auf die Grafschaft Mömpelgard ausgedehnt war86.1, behaupteten die Bürger der Stadt Mömpelgard, daß für sie die Bestimmung nicht gelte, und das Reichskammergericht stellte sich ebenfalls auf diesen Standpunkt.86.2 Darüber beschwerte sich 1667 Georg Herzog zu Württemberg als Inhaber der damals vom Herzogtum Württemberg getrennten Grafschaft Mömpelgard beim Kaiser, indem er sich auf das württembergische Privilegium de non appellando berief, „so von verschiedenen römischen Königen und Kaisern, besondern von ... Maximilian I. und ... Karl V. seinen Vorfahren erteilt und auf (die) ... Grafschaft Mömpelgard ... ohne das bereits erstreckt", auch vom jetzt regierenden Kaiser 14. Juli (a. St.) 166386.3 in dieser Ausdehnung aufs neue bestätigt worden sei. Er bat um eine kaiserliche [S. 87] Erklärung, daß das Privilegium allerdings auch die Bürger dieser Stadt einschließe. Der Kaiser willfahrte am 21. November 1667 dieser Bitte, da sie „obbewußtem privilegio de non appellando . . . gemäß sei".87.1
In dieser Urkunde findet Burckhard87.2, der eifrigste Verfechter der württembergischen Privilegien, von dem gleich nachher noch mehr die Rede sein soll, und im Anschluß an ihn Professor Schöpff87.3 eine maßgebende Erklärung, authentische Interpretation, des Maximilianischen Freiheitsbriefs, der dadurch „ein Privilegium de non appellando benannt und deklariert worden" sei. Aber darum handelt sichs in der kaiserlichen Kundgebung gar nicht. Das Privilegium samt seinem Inhalt ist vorausgesetzt, und nur von seiner Ausdehnung auf einen bestimmten Kreis von Personen ist die Rede. Die Voraussetzung aber, daß Maximilians Privileg sich auf die Appellation an die Reichsgerichte beziehe, ist falsch, die Anerkennung irrtümlich, erschlichen.87.4 Doch konnte diese Taschenspielerei nichts an dem wohlbegründeten Rechtszustand ändern, daß dem württembergischen Untertan die Berufung ans Reichskammergericht [S. 88] — abgesehen von dem früher88.1 besprochnen Ausnahmefall — verwehrt war.88.2 Aber darüber war alles einig, daß dieses Privilegium nur für die Landeskinder gelte, nicht auch für Auswärtige88.3, denen ja die württembergische [S. 89] Gesetze ausdrücklich das Recht der Berufung ans Reich [S. 90] zugestanden90.1, wie denn auch die Anerkennung des Reichskammergerichts sich lediglich auf das württembergische Landrecht und demgemäß auf „des Fürstenthumbs Würtemberg Underthonen allein" bezog.90.2
Da aber das Gegenteil festgestellt wird, wird 1721 der Vorbehalt abgeschlagen und darauf das Urteil des Vorderrichters, das ihm Unrecht gegeben hat, bestätigt. S. 662f. Vgl. auch 1682 S. 186. In seiner Vorrede (S. 7) sagt Häberlin: daß von ausländischen Parteien ein württembergisches Hofgerichtsurteil vor den höchsten Reichsgerichten angefochten werde, pflege selten zu geschehen, und daß es wirklich geschehen oder allda die Appellatio nicht deseriret (vor der Verhandlung fallengelassen) worden, folglich es bei der Hofgerichtsurtel nicht geblieben wäre, sei nicht ein einiger Casus bei der Hofgerichtsregistratur anzutreffen. Also Berufungen kommen, wenn auch selten, doch immerhin vor, aber es ist kein Fall bekannt, daß die Berufungssache vor dem Reichskammergericht wirklich verhandelt worden wäre — bei dem bekannten Geschäftsgang an diesem Gericht wohl begreiflich.[S. 91]
Übrigens hatten sich auch die Untertanen nicht alle ohne jedes Widerstreben gefügt. Die Universität hatte um eine Sonderstellung gekämpft, hatte für sich und ihre Verwandten (d. h. Angehörigen) Freiheit der Berufung an die Reichsgerichte verlangt. Der Senat hatte den Widerstand so weit getrieben, daß er aus diesem und andern Gründen die Anerkennung des Landrechts verweigerte.91.1 Er mußte sich aber schließlich 1601 mit dem Zugeständnis Herzog Friedrichs begnügen — das eigentlich nur eine Anwendung des allgemeinen Grundsatzes war — daß die Berufung ans Reichskammergericht erlaubt sein sollte denjenigen unter den Studierenden, die nicht Württemberger, sondern nur der Studien halber nach Tübingen gekommen seien. Besonders wurden dabei hervorgehoben die „fürstlichen und andern gebornen wie auch Adelspersonen", wobei unter den andern gebornen Personen die Grafensöhne zu verstehen sind91.2; mit Recht hatte der Senat geltend gemacht, daß diese fremden Fürsten- und Grafensöhne und jungen Edelleute oder ihre Väter sich ohnehin das Recht der Berufung, das ihnen nicht vermöge eines Vorrechts der Universität, sondern auf Grund des gemeinen Rechts (nicht beneficio universitatis, sondern iuris communis) zustehe, nicht würden nehmen lassen.91.3 Wenn der nicht ganz klare Wortlaut zunächst noch einen Zweifel übrig ließ, so wurde er ausgeschlossen durch einen Erlaß von 1685, daß die den fremden, bloß der Studien halb nach Tübingen kommenden [S. 92] Personen zustehende Appellationsfreiheit keineswegs auf die in Tübingen angesessene Professores auszudehnen sei.92.1 [S. 93]
Bis ins 18. Jahrhundert hinein blieb nunmehr der Rechtszustand unverändert; das Recht der Auswärtigen und im Streit mit ihnen, wenn sie nicht von vornherein auf die Berufung verzichteten, auch der Einheimischen, von einem Urteil des Tübinger Hofgerichts an die höchsten Reichsgerichte Berufung einzulegen, blieb unangetastet.93.1 Unter Herzog Eberhard Ludwig aber (1693 — vorher unter Vormundschaft — bis 1733) suchte man auch diese Schranke der Landeshoheit vollends wegzuräumen. Den Ausgangspunkt bildete die Umdeutung der württembergischen Evokationsprivilegien, besonders des Maximilianschen Freiheitsbriefes vom 20. August 1495, in Appellationsprivilegien, eine Auslegung, die sich der kaiserliche Erlaß von 166793.2 und seine seither erteilten Bestätigungen von 1712 und 172593.3 aus Unkenntnis zu eigen gemacht hatten. Weil diese Privilegien zwischen Einheimischen und Auswärtigen keinen Unterschied machten, sondern ganz allgemein für Klagen gegen Württemberger die Anrufung auswärtiger Gerichte (in erster Instanz) untersagten, erklärte man von jener falschen Voraussetzung aus, der Wille Maximilians wie seiner Vorgänger und Nachfolger sei gewesen, die Berufung an die Reichsgerichte gegen den Spruch württembergischer Gerichte ganz allgemein ohne irgendeine Ausnahme zu verbieten. Wenn im Widerspruch mit dieser vom Kaiser erteilten uneingeschränkten Befreiung von den Reichsgerichten Herzog Christoph in Landrecht und Hofgerichtsordnung den Ausländern die Berufung von seinem Hofgericht ans Reichskammergericht gewährt habe, so sei das ein freiwilliges Zugeständnis landesherrlicher Gnade gewesen, das jederzeit zurückgenommen werden könne. Selbst wenn er die Absicht gehabt haben sollte, damit eine dauernde Ordnung zu schaffen, hätte er doch seinen Nachfolger nicht binden können. Es stehe also nichts im Wege, sein Gnadengeschenk zurückzuziehen und die Berufung ans Kammergericht auch für Ausländer [S. 94] auszuschließen. Dieser Gedankengang ist ausführlich dargelegt von dem Regierungsrat und Hofgerichtsassessor Heinrich Martin Burckhard94.1 in seinem „Würtembergischen Kleeblatt".94.2 Das Buch war dem Herzog Eberhard Ludwig, dem eine solche Befreiung seiner landesherrlichen Machtvollkommenheit von einer lästigen Schranke höchst willkommen war, vom Geheimen Rat vorgelegt und auf dessen Empfehlung von ihm gebilligt worden.94.3 Die Widmung an den Herzog ist vom 8. Februar 1730. Auf den gleichen Tag ist ein Erlaß ausgestellt, ein Generalreskript, die Appellation an die Reichsgerichte betreffend, worin den Ausländern, „wes Standes und Condition sie immer sein mögen", die Berufung vom Hofgericht an die höchsten Reichsgerichte, Reichskammergericht und Reichshofrat, schlechthin abgeschnitten wird94.4; ein offenbarer Gewaltstreich, ein [S. 95] Beispiel dafür, wieviel auch in diesem Lande, dem nachgerühmt wurde, daß es neben England allein eine Verfassung besitze, fürstliche Willkür sich erlauben durfte, und wie wenig gefügige Wohldiener um eine scheinwissenschaftliche Rechtfertigung eines Rechtsbruchs verlegen waren.
Der Erfolg hing davon ab, wie weit die Macht des Herzogs reichte. Für die höchsten Reichsgerichte konnte selbstverständlich die Verfügung eines Landesherrn nicht maßgebend sein. Auf Beschwerlichkeiten und Collisiones, die von ihnen zu befahren seien, hatte das Hofgericht95.1 schon im voraus hingewiesen, seine Besorgnis war aber vom Regierungsrat für unbegründet erklärt worden.95.2 Wie begründet sie tatsächlich war, zeigte sich sofort: die auswärtigen Rechtsuchenden kümmerten sich nicht um das herzogliche Verbot, sondern legten teils an den [S. 96] Reichshofrat, teils an das Reichskammergericht Berufung ein, die von diesem auch wirklich angenommen wurde.96.1 Beim Reichshofrat war die Sache noch in der Schwebe, als sich der Herzog — ungern genug, da es seinem fürstlichen Selbstgefühl widerstrebte — den Kaiser anzugehen entschloß, und zwar um eine authentische Interpretation des württembergischen privilegii non appellando in dem Sinne, daß es sich auch auf Auswärtige beziehe. Der Graf Viktor von Grävenitz, der Neffe der allmächtigen Buhlerin des Herzogs, der sich als dessen außerordentlicher Gesandter in Wien befand, erhielt zu Anfang des Jahres 1732 den Auftrag, darüber zu verhandeln. Am kaiserlichen Hof war man von dem Verlangen des Herzogs recht unangenehm berührt; der Reichshofrat befürchtete, wenn ihm willfahrt werde, möchten andre Fürsten denselben Weg beschreiten und schließlich jenem fast alles, was ihm an richterlicher Befugnis noch übrig sei, vollends benommen werden, wodurch auch seine Einnahmen empfindlich verkürzt worden wären. Zunächst suchte man den Herzog abzuschrecken, indem man seinem Gesandten zu bedenken gab, daß eine solche kaiserliche Erklärung eine teure Sache sei, die Taxe sich auf mehrere hundert Reichstaler belaufen werde. Aber Regierungsrat und Geheimer Rat meinten, die Erklärung sei — auch vom Geldstandpunkt aus, weil dann die großen Kosten für die Betreibung der Rechtshändel an den Reichsgerichten wegfallen würden — für Württemberg so viel wert, daß alles getan werden müsse, um sie zu erreichen, koste es, was es wolle. Der Herzog stimmte zu; man möge nur rechtzeitig überlegen, wie das Geld aufzubringen sei.
Aber jetzt erlebte er eine bittre Enttäuschung. Dem Reichshofrat in seiner Eigenschaft als Gerichtshof waren in der Absicht, die Abweisung einer bei ihm eingelegten Berufung zu erwirken, als angebliche Grundlagen des württembergischem privilegii de non appellando nur der Freiheitsbrief Kaiser Sigismunds96.2 und der Maximilians I.96.3 nebst dessen Bestätigungen durch die spätem Kaiser vorgelegt worden, nicht aber das einzige rechtskräftige [S. 97] Beweismittel, nämlich das von Kaiser Karl V. bestätigte Landrecht97.1; begreiflicherweise; denn dieses Landrecht enthielt ja eben, was man bestritt, das Recht der Auswärtigen auf Berufung an die Reichsgerichte. Seiner Doppelstellung entsprechend hatte der Reichshofrat andrerseits dem Kaiser ein Gutachten abzugeben über die diesem zugemutete Erläuterung des angeblichen Appellationsprivilegs, daß es nämlich die auswärtigen Rechtsuchenden einschließe. Auch darüber konnten ihm nur die vom Herzog vorgelegten Urkunden Auskunft geben, die, wie wir wissen, nur Befreiung von auswärtigen Gerichten in erster Instanz aussprachen. So erklärt sich's, daß er nach gründlicher Untersuchung zu dem Ergebnis und der Kaiser am 4. Dezember 1732 zu dem Bescheid kam: da aus den vom Herzog produzierten Privilegiis de non appellando nicht einmal zu ersehen sei, daß dieselbigen auf Appellationes, so an die höchste Reichsgerichte gehen, zu ziehen und zu verstehen seien, finde des Herrn Herzogs Gesuch um Deklaration und Extension derselben (also um ihre Ausdehnung auf Auswärtige) um desto weniger statt.97.2 So war der Täuschungsversuch mißglückt und selbst die Rechtsstellung, die vom Reichskammergericht vor fast zweihundert Jahren schon eingeräumt war, dem Reichshofrat gegenüber verloren, weil man aus übel angebrachter Schlauheit, in der Hoffnung, auch die Auswärtigen von der Berufung auszuschließen, versäumt hatte, den einzigen rechtsgültigen Beweis für den Ausschluß wenigstens der Einheimischen von der Berufung, die kaiserliche Bestätigung des Landrechts vorzulegen. Der Herzog mußte sich sagen, daß es besser gewesen wäre, die Sache gar nicht anzurühren; ein Glück für ihn, daß es wenigstens gelang, eine förmliche, rechtskräftige Entscheidung des Kaisers zu verhüten.97.3 [S. 98] Es blieb nichts übrig als ein „favorableres Tempo" abzuwarten.98.1 Ehe es eintrat, starb der Herzog am 31. Oktober 1735.
Unter seinem Nachfolger Karl Alexander regte im Vertrauen auf dessen nahe Beziehungen zum kaiserlichen Hause98.2 der Regierungsrat im Herbst 1735 einen neuen Versuch an; der Geheime Rat, dessen Präsident jetzt der vormalige Hofrichter von Forstner war, riet ab, nicht nur im Hinblick auf den „ganz widrigen Effekt" der Grävenitzschen Unterhandlung, sondern auch weil man „diesseits nicht in Abrede sein könne, daß man mit einem in Rechten beständigen Beweis nicht aufkommen könne", auch sogar Landrecht und Hofgerichtsordnung gegen das Verlangen ins Feld geführt werden könnten.98.3 Der Herzog sah die Sache nicht als so hoffnungslos an. Vom Reichshofrat allerdings sei keine günstige Haltung zu erwarten, weil dessen Vorteil bei der Sache im Spiele sei; aber vielleicht könne eine Entscheidung aus kaiserlicher Gnade ohne Mitwirkung des Reichshofrats herbeigeführt werden. Der herzogliche Vertreter in Wien erhielt den Auftrag, sich darum zu bemühen.98.4 Ob er es getan hat, geht aus den Akten nicht hervor; jedenfalls hatte er keinen Erfolg; ebenso wenig ein neuer Versuch, der einige Jahre nach Karl Alexanders Tod bei Kaiser Karl VII. durch den württembergischen Reichstagsgesandten gemacht, aber durch den Tod des Kaisers abgeschnitten wurde.98.5
Trotz diesen Mißerfolgen findet der Tübinger Professor der Rechte und Hofgerichtsbeisitzer Schöpff in der zweiten Auflage seines Buches Processus appellationis 1748 — also [S. 99] unter Herzog Karl Eugen — Eberhard Ludwigs Verfahren ganz in der Ordnung, indem er sich Burckhards Beweisführung zu eigen macht.99.1 Es konnte als die in Württemberg amtlich anerkannte Auffassung gelten, daß Württemberg ein schlechthin unbegrenztes Privilegium de non appellando besitze.99.2 [S. 100]
Um so größer war die Überraschung und Aufregung, als Ludwig Timotheus Spittler, ein geborner Stuttgarter, damals aber Professor in Göttingen, in seiner württembergischen Geschichte 1783100.1 beiläufig, aber rundheraus jene Annahme für unrichtig erklärte; insbesondre die „historische Entdeckung neuerer Zeiten", daß das angebliche unbegrenzte Privilegium aus dem herzoglichen Erhöhungsdiplom oder richtiger aus der Urkunde vom 20. August 1495100.2 hergeleitet [S. 101] werden könne.101.1 Natürlich bestritt man nicht nur die Richtigkeit seiner Behauptung101.2, sondern warf auch dem Württemberger, der dieses kostbare Kleinod seiner Heimat angetastet habe, vaterlandslose Gesinnung vor. Das gab ihm Anlaß, in einer ausführlichen Abhandlung101.3 den Beweis für jene kurze Bemerkung zu führen, ja darüber hinaus festzustellen, daß Württemberg eigentlich gar kein Privilegium de non appellando, auch kein begrenztes habe.101.4 Er ließ aber die Abhandlung unvollendet liegen, ohne Zweifel, weil es ihm doch zu gewagt schien, in das Wespennest einen weitern Griff zu tun.101.5 Sie ist erst in seinem Nachlaß vorgefunden und von seinem Schwiegersohn Karl Wächter, dem spätern Freiherrn von Wächter-Spittler, 1837 herausgegeben worden.
Seine Beweisführung wird, soweit die Frage nach einem förmlichen Appellationsprivileg und vollends die nach der Ausdehnung auch auf Auswärtige in Frage kommt, für [S. 102] jeden unbefangnen Leser, ob Württemberger oder nicht, überzeugend sein; und doch fehlte ihm das schlechthin entscheidende Beweismittel. Es ist das ein Freiheitsbrief Maximilians I., wenige Wochen vor jenem viel besprochnen vom 20. August 1495102.1, nämlich am 23. Juli desselben Jahres, zwei Tage nach der Erhebung Württembergs zum Herzogtum, für den neuen Herzog und sein Haus ausgestellt.102.2 Darin heißt es ganz klar und deutlich: Klagen gegen einen württembergischen Untertanen seien zunächst an das zuständige württembergische Gericht, nicht an irgendein fremdes zu bringen; wer von dem Urteil jenes Gerichtes appellieren wolle, habe sich zunächst an das herzogliche Hofgericht und von da gegebenenfalls an das (Reichs-) Kammergericht zu wenden; zwischen einheimischen und auswärtigen Klägern ist kein Unterschied gemacht.102.3
Diese für den württembergischen Anspruch des 18. Jahrhunderts, insbesondre für die Deutung des Freiheitsbriefs vom 20. August 1495 als eines Appellationsprivilegs, geradezu tödliche Urkunde lag seit Jahrhunderten im Dunkel des württembergischen Archivs verborgen. Herzog Ulrich hatte sie noch gekannt102.4, das Reichskammergericht bei der Insinuation von 1571102.5 offenbar nicht mehr, sonst hätte es sich gewiß mit ihr auseinandergesetzt. Weder Spittler kannte sie — daß er sie nur übersehen haben sollte, wie Karl Georg Wächter meint102.6, ist einem Spittler nicht zuzutrauen — noch Schöpff, wohl aber Burckhard, der wie vor ihm sein Vater Archivar war, auch nach seiner Ernennung zum Regierungsrat auf ausdrückliche Anweisung [S. 103] das Archiv beibehielt103.1, sich wiederholt seiner genauen Kenntnis des Archivs rühmt, wo die Urkunde in zwei Originalen aufbewahrt wurde103.2, insbesondre der Einsicht in alle im Archiv befindlichen Bestätigungen von Karl IV. an.103.3 Aber außerhalb eines engsten Kreises von Eingeweihten war die Urkunde völlig in Vergessenheit geraten, und wer sie kannte, vermied es ängstlich, sie ins Gedächtnis zurückzurufen. Selbst das Regierungsratskollegium erhielt erst nach Eberhard Ludwigs Tode Kenntnis davon. Besondre Vorsicht war dadurch geboten, daß man zu wissen glaubte, ein Abdruck werde beim Reichskammergericht zu Wetzlar aufbewahrt — der württembergische Regierungsrat Häberlin sollte ihn dort gesehen haben —; man hütete sich wohl, irgendeinen Schritt zu tun, der die Aufmerksamkeit des Reichskammergerichts auf die gefürchtete Urkunde hätte lenken können. Sogar der Herzog scheint nicht, oder wenigstens nicht rechtzeitig, unterrichtet worden zu sein.103.4
Die Vergleichung der mit Bewußtsein und Absicht unterdrückten Urkunde vom 23. Juli 1495 mit der viel besprochen vom 20. August desselben Jahres macht um so deutlicher, daß diese sich mit der Appellation überhaupt nicht befaßt, sondern ein reines Privilegium de non evocando ist. Sie beschränkt sich auf das Verbot der Anrufung auswärtiger Gerichte, namentlich des Hofgerichts zu Rottweil. Das Kammergericht ist nur erwähnt, wo von der Rechtsverweigerung die Rede ist; in diesem Fall kann der Kläger, wie jedes andre Gericht, so auch das Kammergericht, anrufen — nicht als Berufungsgericht, sondern in erster Instanz.103.5 Eingeschärft wird die Beobachtung der gewährten [S. 104] Freiheit104.1 zwar dem Hofrichter und den Urteilsprechern Unsers Hofgerichts zu Rottweil und auch allen und jeglichen andern Landrichtern, Hofrichtern ... und Urteilsprechern heimlicher und anderer Gerichte, nicht aber Unserm, des Königs, Kammer- und Hofrichter wie in dem ersten Freiheitsbrief vom 23. Juli.104.2
Warum aber ist so kurz nach dem ersten, der doch auch ein Verbot der Anrufung auswärtiger Gerichte enthält, der zweite nötig gefunden worden?104.3 Antwort: er ist dazu bestimmt, den ersten nach einer bestimmten Richtung hin zu ergänzen, indem nämlich, ohne Zweifel auf besondres Ansuchen des Herzogs, die Befreiung auch auf die sogenannten Ehaften des Rottweiler Hofgerichts ausgedehnt wird.
Ehafte bezeichnet im allgemeinen ein dauerndes Rechtsverhältnis; im besondern sind die Ehaften des Rottweiler Hofgerichts die vorbehaltnen Fälle, die auch bei sonstiger Befreiung ihm nicht entzogen werden sollen.104.4 Es handelt sich dabei namentlich um Kränkungen des Hofgerichtes selbst, z. B. wörtliche oder tätliche Beleidigung eines Hofgerichtsboten, der eine Ladung zu überbringen hat und von [S. 105] dem darüber empörten Empfänger schlecht behandelt wird105.1, etwa wie der Notar, den der brandenburgische Reichstagsgesandte von Plotho in Regensburg die Treppe hinabwarf, als er ihm die Achtserklärung gegen Friedrich II. einhändigen wollte. Auch Württemberg gegenüber blieben lange nachdem es im übrigen von dem Gerichtszwang des Hofgerichts zu Rottweil befreit war, die Ehaften ausgenommen.105.2 Das änderte sich erst unter Maximilian I. Zwar hat das Rottweiler Hofgericht, wie früher wiederholt von Königen und Kaisern, so auch noch von Maximilian I. am 13. Juni 1496105.3 einen Freibrief erhalten mit der Zusicherung, daß für die Ehaften jedenfalls keine Befreiung gewährt werden und selbst eine aus Vergessenheit auf ungestümes Ansuchen erteilte Befreiung ungültig sein solle, aber mit dem für damalige Rechtsverhältnisse bezeichnenden Zusatz : männiglich, die des Hofgerichts halben von Unsern Vorfahren oder Uns Freiheit und Exemtion haben oder hinfüro von Uns oder Unsern Nachkommen am Reich erlangen würden, an denselben ihren Freiheiten, Exemtionen und Rechten unvergreiflich und unschädlich — womit denn jenes Versprechen wieder durchlöchert war. Denn in zahlreichen [S. 106] Freiheitsbriefen für die verschiedensten Reichsstände ist ausdrücklich dem Hofgericht verboten, Klagen gegen deren Untertanen anzunehmen, auch wenn es Ehaften betreffe. So auch für Württemberg. Schon in einem Erlaß vom 23. April 1495106.1 wird auf eine Beschwerde des Grafen Eberhard hin das Rottweiler Hofgericht angewiesen, in verschiednen jetzt gerade vorliegenden Rechtsfällen das Verfahren gegen Württemberger einzustellen, weil es gegen die württembergischen Freiheiten sei; darunter ist auch ein Fall, den das Hofgericht als Ehaftin bezeichnet hat. Also auch diesen Anspruch des Hofgerichts läßt König Maximilian nicht gelten; immerhin ist in seiner Entscheidung nicht ausdrücklich und allgemein ausgesprochen, daß sich die württembergische Freiheit auch auf die Ehaften beziehe. Das geschieht jetzt, nach der Erhebung Württembergs zum Herzogtum (21. Juli 1495), in dem Freibrief vom 20. August 1495.106.2
Diese ausdrückliche Ausdehnung auf die Ehaften des Hofgerichts war das Neue, was die zweite Urkunde von 1495 gegenüber der ersten vom 23. Juli brachte, und der Grund, weshalb sie ausgestellt wurde106.3; mit der Berufung hatte sie nichts zu schaffen.
Die Frage, wie man sich zu ihr stellen solle, die Frage nach dem württembergischen Privilegium de non appellando überhaupt wurde aufs neue brennend in den achtziger Jahren.106.4 Eine auswärtige Klägerin hatte nämlich gegen ein Urteil des Hofgerichts Berufung an den Reichshofrat eingelegt. Für diesmal gelang es, durch einen Vergleich, der [S. 107] auf Kosten der Regierung im stillen zustande gebracht wurde, das Ärgernis aus der Welt zu schaffen. Aber es konnte jederzeit ein neues auftauchen. So erwachte beim Herzog abermals der Wunsch, diesen ärgerlichen Zwischenfällen ein Ende zu machen und Berufungen an die Reichsgerichte ein für allemal abzuschneiden; er verlangte Vorschläge über Maßregeln, die zum Ziele führen könnten. Der Regierungsrat stellte eines seiner Mitglieder, den Regierungsrat Weckherlin, als Berichterstatter auf. In einer umfangreichen Denkschrift107.1 auf Grund eingehender Untersuchung, der es zugute kam, daß er — anders als Spittler — auch den Freiheitsbrief vom 23. Juli 1495 kannte, kam er zu dem Ergebnis, daß Württemberg ein eigentliches Privilegium de non appellando überhaupt nicht besitze, daß seine Befreiung von der Berufung an die Reichsgerichte lediglich auf der Bestätigung des württembergischen Landrechts durch Karl V. beruhe, daß demgemäß, wie im Landrecht ausgesprochen, Auswärtigen die Berufung an die Reichsgerichte nicht versagt werden könne.
Für den Umschwung der Zeiten seit Eberhard Ludwig und Burckhard ist bezeichnend, daß der Präsident des Regierungsrats, Eberhard Friedrich von Gemmingen, in seinem Votum erklärte, er habe „den meisterhaften Aufsatz mit unendlichem Vergnügen und Beifall gelesen", der, frei von „einem übel verstandenen und unter uns nur zu allgemeinen Patriotismus" „eine seit Jahrhunderten im Streit gelegene Sache erst jetzt in ein wahres Licht gesetzt" habe; ja daß der Herzog selbst dem Verfasser seine besondere höchste Zufriedenheit zu erkennen gab. Aber freilich ans Licht durfte der von Weckherlin aufgedeckte Sachverhalt nicht kommen: die Denkschrift wurde verschlossen im Archiv niedergelegt.107.2 Sie sollte ebenso geheim gehalten werden wie die widerwärtige Urkunde, das Privilegium onerosum vom 23. Juli 1495.107.3 Zugleich entschloß sich der [S. 108] Herzog zu einem neuen Versuch, beim Kaiser ein uneingeschränktes Privilegium auszuwirken.
Von Joseph II. war nun freilich, gerade in Sachen des Reichskammergerichts, kein Zugeständnis zu erwarten; schon eher von der verbindlichen Art des nach allen Seiten entgegenkommenden Leopold II. Aber auch bei ihm blieben alle Bemühungen, an denen es der württembergische Unterhändler nicht fehlen ließ, vergeblich, und die nun folgenden Kriegszeiten waren nicht gerade dazu angetan, zur fernem Beschäftigung mit einer derartigen Angelegenheit zu ermutigen. Innere Schwierigkeiten, in der Verfassung des Landes begründet, kamen hinzu.108.1 So verzichteten denn Karl Eugens nächste Nachfolger auf weitere Schritte. Erst 1799 wurde von Herzog Friedrich II., dem spätem König, der Geheime Rat zu einem neuen Gutachten über die Frage des Privilegs aufgefordert. Da ihm seit 1797 Spittler als Mitglied angehörte, ist nicht verwunderlich, daß das Gutachten, vom 8. August 1799, ganz in seinem Sinn gehalten war; die Vermutung liegt nahe, daß er selbst es verfaßt habe. Weder aus den ältern Privilegiis de non evocando108.2 noch aus dem Maximilians vom 20. August 1495108.3, noch auch aus der Ausdehnung der österreichischen Privilegien auf das damals österreichische Land108.4 kann ein Privilegium de non appellando illimitatum für Württemberg abgeleitet werden. Der im Generalreskript von 1730 ausgesprochne Grundsatz wurde als „ein seltner Versuch gegen die Gerichtsbarkeit des höchsten Reichsgerichts" bezeichnet, unterstützt „durch Scheingründe, die keine Prüfung aushalten".108.5
Aber nun änderte sich nach kurzer Zeit die ganze Sachlage, als durch den Reichsdeputationshauptschluß von 1803 Württemberg zum Kurfürstentum erhoben wurde. Die kaiserliche Urkunde vom 24. August, wodurch diese Entscheidung bestätigt wurde, wies ausdrücklich auf „das zu [S. 109] den kurfürstlichen Prärogativen gehörige Privilegium de non appellando" hin109.1, womit zugleich verständlich genug angedeutet war, daß Württemberg vor der Erhebung zum Kurfürstentum kein solches Privilegium besessen habe. In der Tat wurde für Württemberg ein „Privilegium die unbedingte Befreiung von allen fremden (!) Appellationsgerichten betreffend" am gleichen Tage ausgestellt.109.2 Also endlich ein förmliches Privilegium de non appellando! Völlige Befreiung von den Reichsgerichten (den „fremden Appellationsgerichten") — drei Jahre, ehe diese zu Grabe getragen wurden! Denn ausdrücklich wurden diesmal Reichshofrat und Reichskammergericht unter den Gerichten genannt, deren Anrufung ausgeschlossen sein sollte. Zugleich wurde dem Kurfürsten auferlegt, ein beständiges, mit einem Direktor und Räten wohl besetztes Oberappellationsgericht oder109.3 ein ordentliches Iudicium revisorium anzuordnen. So wurde nötig, was der Landtag schon 1739 vergeblich gewünscht hatte109.4: ein ständig tagendes Berufungsgericht. Nachdem der Kurfürst 1804 in Person einer Tagung des Hofgerichts, noch einmal nach der bisherigen Ordnung, angewohnt hatte109.55), wurde durch ein Generalreskript vom 30. März 1805109.6 das „Kurfürstliche Ober-Hof- und Appellations-Gericht", wie das Hofgericht jetzt genannt wurde109.7, „zu einem permanenten Tribunal [S. 110] erklärt". Auf Eberhard Ludwigs Erlaß von 1730110.1 über den Ausschluß der Berufung ans Reichskammergericht auch für Auswärtige, worüber jenes Gutachten von 1799 ein so vernichtendes Urteil gefällt hatte, nahm das Generalreskript von 1805 keine Rücksicht, sondern sprach unbefangen aus, daß nach Landrecht und Hofgerichtsordnung bisher den ausländischen Parteien sowie denjenigen inländischen, welche mit solchen im Rechtsstreit befangen seien, Berufung von den hofgerichtlichen Aussprüchen an die höchsten Reichsgerichte erlaubt gewesen sei.110.2 Zum Ersatz dafür solle künftig vom Oberhofgericht statt an die höchsten Reichsgerichte an die Kurfürstliche Regierung zu Stuttgart appelliert werden können.
Das ständige Oberappellationstribunal sollte nach jenem Erlaß seinen Sitz vom 1. Juli an dauernd in Stuttgart als der ersten Haupt- und Residenzstadt des Kurfürstentums haben.110.3 In der Tat trat es im August auf dem Stuttgarter Rathaus in Tätigkeit; besetzt war es mit einer Ausnahme110.4 genau so wie 1804 in Tübingen.110.5 Aber schon sechs Wochen [S. 111] nach der Eröffnung mußte das Tribunal, weil das Rathaus vom General Ney für das jetzt noch nicht, aber bald nachher verbündete französische Heer mit Beschlag belegt wurde, ins Gebäude des Regierungskollegiums übersiedeln, wo jedoch nur eine Sitzung gehalten wurde. Dann stellte das Gericht seine Tätigkeit ein.
Im Jahre 1806 — Württemberg war mittlerweile zum Königreich erhoben worden — wurde das Tribunal wieder nach Tübingen verlegt; es tagte aber nicht mehr im Rathaus, sondern im Erdgeschoß des Collegium regium, wie jetzt das Collegium illustre hieß. Besetzt war es auf Grund des Organisationsmanifests vom 18. März des gleichen Jahres111.1 mit einem Präsidenten, dem bisherigen Präsidenten des Regierungskollegiums, von Taubenheim, der von 1767 an Hofgerichtsassessor, von 1771 an Vizehofrichter, von 1781 bis 1795 Hofrichter gewesen war111.2, einem Direktor, nämlich dem Universitätsprofessor und bisherigen Führer des primum votum111.3 Dr. Kapf, und acht, vom folgenden Jahr an zehn Obertribunalräten111.4, unter oder neben denen natürlich jetzt keine landschaftlichen Beisitzer mehr waren, schon weil es keine Landstände mehr gab.111.5 Den Mitgliedern des Tribunals wurden eigne Kirchenstühle in der [S. 112] Stiftskirche und Ehrensitze in der damaligen neuen, jetzigen alten Aula eingeräumt.112.1
Von Mündlichkeit und Öffentlichkeit war jetzt nicht mehr die Rede. Was die Zuständigkeit betrifft, so sollte das Gericht als oberste Justizbehörde alle Zivil-Justizsachen, bei denen der Streitwert 200 fl. überschritte, in letzter Instanz entscheiden. Bei einem Streitwert über 1500 fl. war noch die Möglichkeit der Revision gegeben, die vom gleichen Tribunal als Revisionsbehörde, nur mit verändertem Referenten, vorgenommen wurde. Auch bei geringerem Streitwert war übrigens Berufung wie Revision möglich, wenn Ehre, Gerechtsame oder das ganze Vermögen einer Partei auf dem Spiele stand.112.2 Unter Umständen konnte auf unmittelbaren Bericht an den König von diesem ein besondres Kassationstribunal eingesetzt werden, von dem das Ergebnis der Revision noch einmal zu prüfen war.112.3 So blieb es bis über den Tod König Friedrichs (30. Oktober 1816) hinaus. Dann trat eine neue Wendung ein. Durch eine Verordnung vom 23. September 1817 wurde [S. 113] von seinem Nachfolger, König Wilhelm, eine „oberste Justizstelle" unter der Bezeichnung Obertribunal in Stuttgart errichtet, deren Zivilsenat an die Stelle des bisherigen Oberappellationstribunals trat.113.1 Damit hörte Tübingen auf, der Sitz des obersten Gerichtes zu sein. Ein Ende fanden auch die engen Beziehungen zwischen der Tübinger Juristenfakultät und dem obersten Gericht des Landes, die Einrichtung, daß Professoren der Rechte im Nebenamt an diesem Gerichte tätig waren.113.2
Werfen wir von diesem Schlußpunkt aus einen Blick zurück auf die Stellung, die das Hofgericht in der öffentlichen Meinung einnahm.
Häufige Klagen über langsame Erledigung der anhängigen Rechtssachen sind nicht verwunderlich bei einem Gericht, das nur von Zeit zu Zeit, manchmal in langen Abständen zusammentrat. Es war gewiß nicht erfreulich, wenn 1594 festgestellt wurde, daß beim Hofgericht über 200 unentschiedne Rechtsfälle lagen, manche seit fünf, sechs und mehr Jahren.113.3 Indes leistete das Reichskammergericht darin noch ganz andres. Beim Hofgericht galt immerhin [S. 114] die wohltätige Regel, eine einmal vorgenommene Sache womöglich am gleichen Tag zu Ende zu bringen114.1, und für die letzten Jahrzehnte seines Bestehens liegt ein gewichtiges Zeugnis vor, wonach es Rückstände, Retardate, überhaupt nicht gegeben habe.114.2 Um 1600 klagt der Landtag über Besetzung der gelehrten Bank mit unerfahrnen Doktoren und, wie mehrmals schon früher, über häufigen Wechsel der Beisitzer, denen es deshalb an der Kenntnis früher schon verhandelter, aber nicht zum Abschluß gebrachter (sondern114.3 zu schriftlicher Verfolgung verabschiedeter) Fälle mangle114.4; daher komme es zu übermäßig häufigen Revisionen durch den Oberrat.114.5 In spätrer Zeit konnte von allzu jugendlichem Alter der gelehrten Beisitzer schwerlich mehr die Rede sein, und wenn adlige Assessoren allerdings zuweilen in sehr jungen Jahren zum Hofgericht berufen wurden114.6, so hatte das bei ihrer Minderzahl gegenüber den Gelehrten nicht so sehr viel zu sagen. Der Übelstand des häufigen Wechsels war später, jedenfalls seit der Mitte des 17. Jahrhunderts, abgestellt.114.7 So verstummen denn auch die Klagen über mangelhafte Rechtskenntnis, und für das Ende des 18. Jahrhunderts wird zum Beweis für die Güte der Rechtsprechung des Hofgerichts ausdrücklich hervorgehoben, daß Revision gegen seine Urteile höchst selten ergriffen worden sei.114.8
Freilich von dem Verfahren vor dem Hofgericht weiß [S. 115] ein Menschenalter nach seinem Ende der höchste Richter des Landes, der Obertribunalpräsident Bolley, nicht viel Gutes zu rühmen.115.1 Er habe als Student das lebhafte Verlangen gehabt, sich mit dem Gerichtsverfahren durch eigne Anschauung bekannt zu machen, habe es aber in keiner Sitzung ganz aushalten können.115.2 Ergötzlich waren ihm nur die Titel, mit denen die Advokaten das Kollegium anredeten115.3, und die Zungenfertigkeit, die manche von ihnen dabei entfalteten, sodann die Beobachtung, wie einer und der andre der Herrn Assessoren während der Verhandlung einnickte. Das war kein Wunder; denn ein großer Teil der Sitzung wurde damit ausgefüllt, daß Akten verlesen wurden115.4, und zwar so, daß die Zuhörer von hundert Worten kaum eins verstanden; endlose Auslassungen der Advokaten wurden in die Feder diktiert. Die Parteien mußten durchaus eine stumme Rolle spielen; niemals wurde eine Frage an sie oder an ihre Rechtsbeistände gerichtet. Beim Zeugenverhör hatten diese wie jene abzutreten. Der Referent, der Führer der ersten Stimme, ließ sich von den Advokaten unter der Hand ihre Schriftsätze oder doch den Hauptinhalt dessen, was sie vortragen wollten, vorher mitteilen und war sehr unangenehm berührt, wenn sie etwas zur Sprache brachten, worauf er nicht vorbereitet war. Seinen Vortrag verfaßte er vor der Sitzung und änderte nicht gern nachträglich etwas daran ab; die andern Assessoren aber, die meist der Verhandlung kaum gefolgt waren, oft genug mit dem Schlaf gekämpft oder auch nicht gekämpft hatten, pflegten seinem Antrag ohne weiters zuzustimmen. Von den Vorzügen des mündlichen Verfahrens war also nicht viel zu verspüren; es war mehr nur als eine Art Schauspiel zu betrachten; abgesehen davon, daß die bedeutendem Sachen schriftlich verhandelt, nur das Ergebnis mündlich vorgetragen wurde.115.5 Auch mit der Öffentlichkeit war es nicht weit her, die Zahl der Zuhörer recht bescheiden. [S. 116]
Indes wird man annehmen dürfen, daß die geschilderten Mißstände von den daran gewöhnten Zeitgenossen nicht so lebhaft empfunden wurden, wie sie in der Rückschau dem Urteil einer spätem Zeit erscheinen mochten. Jedenfalls wird das Hofgericht von der württembergischen Regierung und von einheimischen Schriftstellern als Kleinod und Gezierd des Fürstentums gerühmt116.1, und kein Geringerer als Ludwig Uhland, der Sohn eines Hofgerichtsadvokaten, auch in diesem Stück ein Verfechter des „alten, guten Rechts", macht sich in einem Kammerbericht von 1820116.2 dieses Urteil zu eigen, spricht von der musterhaften Verhandlungsweise des Hofgerichts — hauptsächlich Mündlichkeit und Öffentlichkeit sowie schnelle Erledigung der Rechtsfälle weiß er zu rühmen — und beklagt, daß man dieses Erbe der Väter in dem verhängnisvollen Jahre 1806 mit andrem Trefflichen hingeworfen habe. Hoch gepriesen wurde das Hofgericht wegen seiner Unbestechlichkeit116.3, die in den letzten Jahrhunderten des alten Reichs ja freilich eine seltne Erscheinung war.116.4 In der Tat muß es sich eines [S. 117] großen Vertrauens auf seine Unparteilichkeit117.1 und Sachkenntnis auch über die Grenzen des Landes hinaus erfreut haben. Dafür zeugt die früher117.2 erwähnte Tatsache, daß ihm nicht selten Parteien, die nicht unter württembergischer Landeshoheit standen, durch Vergleich die Entscheidung ihres Streites übertrugen. Auch die zum Teil aus weiter Ferne gekommenen Auskultanten117.3 können dafür in Anspruch genommen werden.
So sahen gewiß nicht nur die Tübinger Hauseigentümer — als Vermieter von Zimmern und Wohnungen — die Wirte und andre Gewerbsleute, von denen Bolley sagt117.4, daß sie die Ankunft der Hofgerichtsherrn und der Parteien immer sehr vergnüglich aufgenommen hätten, sondern die ganze Bürgerschaft das Hofgericht mit schmerzlichem Bedauern aus ihren Mauern scheiden, und Tübingen hat allen Grund, stolz darauf zu sein, daß es dreihundert Jahre lang das höchste Gericht des Landes beherbergen durfte.117.5
In Brandenburg begegnet uns im 15. Jahrhundert ab und zu — so 1450 Stölzel S. 262 — für das landesherrliche Gericht, das seit 1459 [S. 118] (s. hier S. 5 A. 2) auch als Berufungsgericht tätig ist, die Bezeichnung „oberstes Hofgericht"; sie wird aber auf dem Weg über „unseres Hofs Kammergericht" (1468) durch den Ausdruck Kammergericht verdrängt; Friedrich Holtze, 500 Jahre Geschichte des Kammergerichts (= Schriften des Vereins für die Geschichte Berlins, Heft XLVII) Berlin 1913 S. 7. 8. Doch zeigt dieses märkische Kammergericht vermöge der Eigenart seiner Entwicklung nur eine ganz oberflächliche Ähnlichkeit mit dem württembergischen Hofgericht. Das Hofgericht aber, das zu Berlin — neben dem Kammergericht zu Kölln — noch längere Zeit fortbestand, war „das Spezialgericht des altmärkischen Adels"; Adolf Stölzel, Die Entwicklung der gelehrten Rechtsprechung II Berlin 1910 S. 636; 1540 ging es in dem Kammergericht auf; ebd. S. 638; vgl. Holtze S. 16. Das „Hof- und Landgericht", das in der Altmark bis 1716 bestand, stand eine Stufe tiefer als das Kammergericht; Schwartz S. 448. Holtze S. 16. 17.
Das dem Kammergericht zu Berlin-Kölln entsprechende Gericht in der Neumark, errichtet 1548 (Holtze S. 16), wird als „Kammer- oder Hofgericht", „Hof- und Kammergericht" (Mylius, Corpus Constitutionum Marchicarum II 1 N. VI Spalte 31 ff.; 1553, nicht 1534, wie bei Schwartz S. 439 gedruckt ist) und ähnlich bezeichnet (Schwartz S. 439f.; vgl. auch 1561 Mylius a. O. N. VII Sp. 35ff.); ein Beweis, daß Kammergericht und Hofgericht von Hause aus dasselbe ist.
In Kulmbach (Fürstentum Baireuth) finden wir ein seit 1458 als Berufungsgericht tätiges Hofgericht. (Vgl. auch S. 5 A. 2). Es war bis ins 16. Jahrhundert hinein nur mit Adligen besetzt; erst 1503 tritt zum erstenmal unter den Beisitzern ein Gelehrter auf. Stölzel S. 260.
Ein kurpfälzisches Hofgericht mit einem Hofrichter wird zum erstenmal 1472 erwähnt; Ludwig Häusser, Geschichte der rheinischen Pfalz I 2 Heidelberg 1856 S. 401. Gehalten wurde es — genau wie das Stuttgarter seit 1488 (S. 11) — „in der Kanzlei in der Hofgerichtsstube"; Stölzel S. 258f.
In Sachsen läßt sich für eines der Hofgerichte der albertinischen Linie zu Dresden und Eckardtsberge zum erstenmal 1486 Verhandlung über eine Berufungssache nachweisen; Lobe S. 29f. (nicht ganz klar). Das Oberhofgericht zu Leipzig, zu dem 1488 jene beiden Hofgerichte vereinigt wurden — Oberhofgericht im Unterschied von sächsischen Provinzialhofgerichten, Gerichten erster Instanz — war im gleichen Jahr als Berufungsgericht tätig. Besetzt ist es nach der Oberhofgerichtsordnung dieses Jahrs mit neun Personen; es sind drei Ritter, drei Doctores iuris, drei simplices nobiles, also Adlige ohne Ritterwürde; ebd. 1493 wurde ein für beide Linien gemeinsames Oberhofgericht errichtet, das jährlich zweimal in Leipzig, zweimal in Altenburg zusammentrat; ebd. S. 31. Für den Kurkreis richtete Kurfürst Johann 1529 ein besondres Hofgericht zu Wittenberg ein. (Nach Lobe S. 31 und 38 — hier mit unzutreffender Begründung — war für den Kurkreis nur dieses Wittenberger Hofgericht zuständig; nach Hellfeld S. 139f.: „doch blieb das gemeinschaftliche Oberhofgericht in seinem Ansehen unverkürzt; es übte noch ferner seine [S. 119] Gerichtsbarkeit im völligen Umfang aus ... und richtete über die sämmtlichen sächsischen Lande, da hingegen vor jenem — dem Wittenberger — bloß die Bewohner des Chur-Kreises ihren Gerichtsstand fanden" — sollte man eher annehmen, die Einwohner des Kurkreises hätten die Wahl gehabt zwischen dem Wittenberger Hofgericht und dem Leipzig-Altenburger Oberhofgericht. Vgl. über solche Möglichkeit einer Wahl des Gerichts hier vorne S. 12 A. 1.) 1566 errichteten dann die Ernestiner ein eignes, ihnen gemeinsames Hofgericht zu Jena (ebd. S. 150ff.), während für das nunmehrige Kursachsen das Oberhofgericht zu Leipzig — nicht mehr Altenburg — und das Hofgericht zu Wittenberg nebeneinander fortbestanden.
In Bamberg bestand schon seit Jahrhunderten ein mit Mannen besetztes „Hofgericht". Nach der Hofgerichtsordnung von 1497 treten auch Räte hinzu, und es befaßt sich nunmehr vorzüglich mit Berufungssachen. 1503 tritt an seine Stelle als Berufungsgericht das vormals kaiserliche Landgericht, das eine Zeit lang neben dem Hofgericht bestanden hatte. Stölzel S. 264. Über seine Zusammensetzung vgl. Beigabe III.
In Hessen setzte Landgraf Wilhelm 1500 nach dem Beispiel des Reichskammergerichts ein Hofgericht über alle seine Lande mit dem Sitz in Marburg ein, mit zwölf teils gelehrten teils ritterlichen Urteilern und einem Hofrichter ritterlichen Standes; Rommel — s. hier S. 12 A. 2 — S. 169.
Für Österreich wurde ein Hofgericht mit eignem Hofrichter und festem Sitz in Wiener-Neustadt erst von Maximilian I. 1501 angeordnet; Luschin (s. hier S. 6 A. 1) S. 28.
In der Grafschaft Fürstenberg ging die Berufung vom Landgericht bis tief ins 16. Jahrhundert hinein an den Grafen. — So führte in der Grafschaft Erbach der Graf den Vorsitz im Hofgericht noch nach der Hofgerichtsordnung von 1552, die bis zum Ende der Selbständigkeit in Kraft geblieben zu sein scheint; Stölzel S. 269; im Herzogtum Preußen der Landesherr oder ein von Fall zu Fall ernannter Stellvertreter mindestens in der ersten Zeit des Herzogtums; Conrad S. 6; ebenso im kur-brandenburgischen Kammergericht 1516; Schwartz S. 435. — 1535 wurde dann aber in der Grafschaft Fürstenberg — offenbar unter dem Einfluß des württembergischen Vorbildes, das auch in andern Punkten nachgeahmt wurde — für Berufungssachen ein Hofgericht eingerichtet mit sechs bis acht „Hofräten und Beisitzern" unter dem Vorsitz eines Hofrichters; das war 1548-50 ein Sohn des regierenden Grafen, 1567 ein adliger Beamter; F. K. Barth, Die Verwaltungsorganisation der Gräflich Fürstenbergischen Territorien, Hüfingen 1926 (Sonderabdruck aus den Schriften des Vereins für Geschichte ... der Baar ... Heft 16) S. 149 ff. 175 f.
Im Fürstentum Lüneburg trat 1535 ein Hofgericht zu Ülzen an die Stelle des bisherigen Landgerichts daselbst, mit einem Hofrichter von Adel und zwei adligen, vier gelehrten Beisitzern; Stölzel S. 267f.
Wenn das Hofgericht zu Münden um 1500 auch als Kanzlei bezeichnet wird (s. S. 6 A. 1), so haben wir vermutlich an einen ähnlichen Sachverhalt zu denken wie zu Stuttgart 1480 (S. 9). 1544 aber bekam es zusammen [S. 120] mit dem nach Pattensen verlegten (S. 6 A. 2) eine neue Verfassung, durch die es, wenn nicht schon früher, der Kanzlei gegenüber eine selbständige Stellung erhielt. Besetzt wird es auf Grund dieser Verfassung mit einem gelehrten Hofrichter und fünf Beisitzern, unter denen nur ein Adliger ist; Merkel S. 39.
Über die Zusammensetzung des Hofgerichts zu Pattensen s. Beigabe III.
In Wolfenbüttel wurde 1556 zur Entlastung der Kanzlei ein eignes Hofgericht gebildet; Krusch (s. hier S. 82 A. 1) S. 290 f. Über die weitere Entwicklung s. Beigabe III.
In Schleswig-Holstein schlug 1568 Herzog Adolf vor, nach dem Vorgang andrer Fürstentümer ein ordentliches Hofgericht einzusetzen, von sechs Räten, drei gelehrten und drei aus dem Adel; es kam aber nicht dazu; Georg Waitz, Schleswig-Holsteins Geschichte II Göttingen 1852 S. 364f.
Über Mecklenburg vgl. Beigabe III.
In Pommern wurden zwar 1569 auf das Drängen der Stände hin die beiden Hofgerichte in den Residenzstädten Wolgast und Stettin von der Verwaltung getrennt und mit besondern, ständigen, besoldeten Beamten besetzt, an deren Spitze je ein Hofgerichtsverwalter, später -direktor, stand. Aber noch im 17. Jahrhundert wurde dieser auch in andern Geschäften verwandt, und an den Gerichtssitzungen, in denen die Endurteile gefaßt wurden, nahmen, wie es scheint, auch nach 1569 die Räte der Kanzlei, ja zuweilen, wenn auch selten, die Herzoge selbst teil; Martin Spahn, Verfassungs- und Wirtschaftsgeschichte des Herzogtums Pommern 1478-1625 (= Schmollers Staats- und sozialwissenschaftliche Forschungen XIV 1) Leipzig 1897 S. 84ff.; vgl. S. 74f. Sie werden dann wohl den Vorsitz geführt haben. Also bis ins 17. Jahrhundert hinein jedenfalls entfernt keine so reinliche Scheidung wie in Württemberg.
In Kleve-Mark ist das Hofgericht den größten Teil des 16. Jahrhunderts hindurch, wie in Stuttgart bis 1481, keine selbständige Behörde, sondern Räte des Landesherrn treten, wenn es nottut, zum Gericht zusammen. Erst in der HGO von 1597 zeigt es sich von der Kanzlei gelöst; es soll alle Vierteljahre auf der Hofgerichtsstube seine Sitzungen halten, unter dem Vorsitz eines Direktors, mit zwei rechtsgelehrten Referenten, unter Zutritt verordneter Räte in unbestimmter Zahl, deren Anwesenheit jedoch nicht unbedingt erforderlich ist; Kurt Schottmüller, Die Organisation der Centralverwaltung in Kleve-Mark vor ... 1609 (Schmollers Forschungen XIV 4) Leipzig 1897 S. 36 ff. 79. 97, 4.
Das bayrische Hofgericht wurde 1501 zwar grundsätzlich von der Person des Herzogs gelöst, Rosenthal I S. 152, aber trotz der Bitte der ständischen Verordneten kein eigner Hofrichter bestellt; ebd. S. 135. Auch später, bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts, ist es in Bayern nicht zur Bildung eines für sich bestehenden Hofgerichts mit eignem Hofrichter gekommen; ebd. S.417ff., namentlich S. 418 A. 3. II S. 294ff. Stölzel, Die Entwicklung der gelehrten Rechtsprechung II S. 500.
In mehreren deutschen Ländern blieb die engste Verbindung von Kanzlei und Hofgericht aufrechterhalten; so lange Zeit in Königsberg, wo das [S. 121] Hofgericht — wie das 1503 errichtete Kammergericht ungefähr seit 1520 genannt wurde — erst 1578 gegenüber der „Ratstube", dem Regierungskollegium, eine selbständigere Stellung bekam durch Bestellung eines eignen (adligen) Hofrichters, aber bis 1751 die Kanzlei der Ratstube mitbenutzte; Conrad S. 11. 19f.
In der Grafschaft Henneberg sollten 1539 Hofrichter und Räte zugleich die Kanzlei bilden; Stölzel S. 269. Doch erlangte die Landesordnung, die das bestimmte, keine gesetzliche Geltung; Paul Roth und Victor von Meibom, Kurhessisches Privatrecht I Marburg 1858 S. 56.
Umgekehrt bildeten in der Grafschaft Hanau noch im 18. Jahrhundert Kanzleidirektor und Räte das Hofgericht; Stölzel S. 270f.
Auch in Baden kam es die längste Zeit zu keiner Lostrennung des Hofgerichts, sondern bis weit ins 18. Jahrhundert hinein blieben Hofrat oder Regierung und Hofgericht vereinigt; erst seit der Mitte des Jahrhunderts wurden wenigstens getrennte Niederschriften, Protokolle geführt für das, was in der gleichen Sitzung einerseits von Hofrats, andrerseits von Hofgerichts wegen beschlossen worden war. Endlich im Jahre 1790 wurde das Hofgericht von der Regierung getrennt als selbständiges Kollegium mit einem Direktor und fünf Räten. C. W. F. L. Freiherr v. Drais, Geschichte der badischen Gerichtshöfe neuerer Zeit, Mannheim 1821 [Digitalisat MPIER Frankfurt], S. 35. 37. 38; vgl. Lenel hier S. 22 A. 3.
Von dem berühmten Humanisten Reuchlin liest man, er sei 1484 Beisitzer des Hofgerichts zu Stuttgart geworden, und Ludwig Geiger in der ADB 28 (1889) S. 786 meint, er habe deshalb seine persönliche Stellung in der Umgebung des Grafen Eberhard als dessen Geheimer Rat aufgeben müssen. (In seinem Buch: Johann Reuchlin, Leipzig 1871, S. 27 hat er diesen Schluß nicht gezogen.) Ohler in K. A. Schmids Encyclopädie des gesamten Erziehungs- und Unterrichtswesens VII Gotha 1869 S. 111 weiß gar zu berichten: „1484 wurde er zum Assessor des Hofgerichts mit 90 fl. Gehalt ernannt." In Wirklichkeit war die Tätigkeit am Hofgericht im 15. Jahrhundert nur eine einmalige, und auch später noch (vgl. S. 51 ff.) ein unbesoldeter Nebenauftrag. Fragt man nach den Quellen, aus denen jene Angaben geschöpft sind, so stößt man zunächst auf Christian Friedrich Schnurrer, Nachrichten von ehemaligen Lehrern der hebräischen Literatur in Tübingen, Ulm 1792. Dieser sagt S. 12 ganz richtig: Im Jahr 1484 war (nicht wurde) M. Johann Röchlin, Licentiat, Beisitzer des Hofgerichts. Er erzählt dann von verschiednen andern Aufträgen, die Reuchlin im Dienste des Grafen ausgeführt habe, und fügt schließlich hinzu: „Sein Dienstgeld war noch 1490 jährlich 90 fl." mit der Aussicht auf spätre Erhöhung. Natürlich war das seine Besoldung nicht für den Dienst am Hofgericht, sondern überhaupt beim Grafen. Schnurr er seinerseits beruft sich auf Steinhofers [S. 122] Wirtenbergische Chronik (s. hier vorne S. 14 A. 1). Hier lesen wir III S. 410: „In diesem Jahr (1484) war Herr Wilhelm von Wernow Hofrichter und seine Beisitzer: (folgen die Namen eines Ritters und zweier Doktoren; dann) „M. Conrad Feßler, M. Johann Röchlin, Licentiaten", weiter noch ein Adliger, schließlich zwei Männer ohne Titel — vgl. S. 28 A. (6) —, „alle zu Stuttgart", zusammen acht Beisitzer (nach S. 22 A. 1 hätten sechs genügt). Also er sagt nichts weiter als daß Reuchlin 1484 Beisitzer am Hofgericht gewesen sei. (Bezeichnet ist Reuchlin hier noch genau so wie in der Tübinger Universitätsmatrikel — vgl. S. 3 — S. 39, wo er im Dezember 1481 eingetragen ist als M. Johannes Röchlin de Pfortzen, legum licentiatus. Doktor war er offenbar 1484 zur Zeit des Hofgerichts noch nicht, sonst wäre er sicherlich so gut wie die beiden andern Doktoren als solcher bezeichnet. Noch 1485 wird er — s. Wintterlin S. 18 A. 1 — als Meister Hans Reuchlin hinter vier Doktoren unter dem edlen Hofgesinde aufgeführt. Er wird also nicht, wie Geiger, ADB 28 S. 785 vermutet, unmittelbar vor oder nach seiner 1482 unternommenen italienischen Reise, sondern erst im Verlauf des Jahres 1485 legum doctor geworden sein.) Aus Sattler S. 301 wissen wir, daß er 1485 wieder Beisitzer war. (Hier heißt er D.) 1486 war er nicht dabei; er wurde in diesem Jahr auf den Reichstag zu Frankfurt abgeordnet, 1487 nach Reichenweier geschickt (Schnurrer a. O.), wohl aber 1493 zweimal (Sattler a. O. und Harpprecht S. 64; das einemal ist er übrigens nicht als Doktor bezeichnet, wohl aber das andremal). Also Ergebnis: 1484, 1485, 1493 war Reuchlin als Beisitzer am Hofgericht tätig. — Melanchthon, der älteste Gewährsmann für Reuchlins Leben, hat in seiner 1552 abgefaßten Rede auf Reuchlin (Melanthonis selectae declamationes I Argentorati 1570 S. 626) eine schlimme Verwirrung angerichtet. Er erzählt, nach dem bayrischen Krieg — 1504 — sei das Gericht des Schwäbischen Bundes so eingerichtet worden, daß die Richter viermal im Jahr zu Tübingen zusammenkommen und Doktoren in ihrer Zahl sein sollten; damals sei auch Reuchlin gewählt worden. Hier ist nicht nur die Zeitangabe falsch — die neue Verfassung des Bundesgerichts fällt ins Jahr 1500; Johann Philipp Datt, De pace publica, Ulm 1598, S. 351; Reuchlin ist 1502 Bundesrichter geworden; ebd. S. 454 — sondern es sind auch verschiedne Züge aus dem Bilde des württembergischen Hofgerichts auf jenes Bundesgericht übertragen: die Bestimmung, daß Doktoren unter den — nicht Richtern; es gab beim Hofgericht nur einen Richter, den Hofrichter; wohl aber — Beisitzern sein, die andre, daß viermal im Jahr Gericht gehalten werde, die dritte, daß das Gericht seinen Sitz in Tübingen haben solle. Das Bundesgericht bestand aus drei Richtern, die nach gewissen Rücksichten abwechselnd den Vorsitz führten; über ihren Stand war nichts festgesetzt. Eine bestimmte Zahl jährlicher Tagungen war nicht vorgesehen; das Gericht trat nach Bedarf zusammen; auch nicht ein fester Sitz; vielmehr wurde von Jahr zu Jahr oder allenfalls auf mehrere Jahre Beschluß gefaßt, wo es stattfinden solle. 1500 und 1501 — also vor Reuchlins Wahl — und wieder von 1503 an für eine Reihe von Jahren war es allerdings in Tübingen (Datt a. O. S. 368. K. Klüpfel, Urkunden zur [S. 123] Geschichte des Schwäbischen Bundes I = Publikationen des Literarischen Vereins in Stuttgart 14, Stuttgart 1846, S. 463), wahrscheinlich bis 1512. Damals wurde beschlossen, die nächsten zehn Jahre solle es in Ulm sein, wo es auch 1502 gewesen war (Klüpfel II = Publikationen usw. 31, Stuttgart 1853, S. 59. Klüpfel I S. 439; nicht in Augsburg, wie Geiger, Reuchlin 50 und wieder ADB 28 S. 788 angibt). Zwei Jahre nachher, 1514, wurde das Hofgericht nach Tübingen verlegt (hier S. 14), und für Melanchthon, der damals (1512—1518) selbst in Tübingen war, haben sich in der späten Erinnerung die beiden Gerichte vermischt. — Über sonstige Ungenauigkeiten in Melanchthons Rede vgl. Ludwig Geiger, Über Melanthons oratio continens historiam Capnionis, Frankfurt a. M. 1868 [BSB-Digitalisat].
Die Landschaftsbank des Hofgerichts ist eine württembergische Eigentümlichkeit. Allerdings finden sich städtische Vertreter — und nur um solche, nicht etwa auch um ländliche, bäuerliche, handelt sich's auch in Württemberg — auch in andern deutschen Ländern als Beisitzer bei Hof- oder ähnlichen Gerichten. Das mecklenburgische Hofgericht freilich, bei dem nach der HGO von 1568 unter den zwölf Beisitzern die Bürgermeister von Rostock und Wismar sind, muß als ein Hofgericht alter Ordnung angesehen werden, ist also nicht mit dem württembergischen Hofgericht zusammenzustellen, sofern den Vorsitz nicht ein eigner Hofrichter führt, sondern der Herzog selbst oder ein von ihm für den einzelnen Fall aus den Beisitzern ernannter Stellvertreter, und sofern nicht, oder jedenfalls nicht in erster Linie, über Berufungssachen verhandelt wird. Rudloff (hier S. 27 A. 6) S. 240f. Aber das Landgericht zu Bamberg (vgl. S. 113) trägt ganz die Züge des Hofgerichts, und dieses Landgericht hatte, seit es an die Stelle des frühern Hofgerichts getreten war, unter seinen Beisitzern neben Rittern und nötigenfalls fürstlichen Räten auch zwei „ehrbare Bürger" von Bamberg. Freilich waren das Geschlechter, Patrizier — Stölzel S. 264 — und hatten als solche mit den biedern württembergischen Bürgermeistern nicht viel gemein. Auch für das Königsberger Kammergericht, das, vom Hochmeister 1506 ins Leben gerufen, auch Berufungssachen verhandeln sollte, waren vier Beisitzer aus den Städten in Aussicht genommen. Conrad S. 4. Indes ist später, nach der Umwandlung Preußens in ein weltliches Herzogtum, davon nicht mehr die Rede.
Dagegen finden wir beim badischen Hofgericht (vgl. über dieses S. 121) im 17. Jahrhundert unter den Beisitzern einige Personen aus der Landschaft; Rudolf Carlebach, Badische Rechtsgeschichte II Heidelberg 1909 S. 83.
Die größte Übereinstimmung mit Württemberg finden wir in Braunschweig. Unter den zwölf Richtern des Gerichts zu Hannover (vgl. S. 6 A. 2) waren nach der reformatio iustitiae von 1527 neben drei vom Herzog [S. 124] ernannten Räten, zwei Prälaten und ebensovielen von der Ritterschaft fünf Deputierte aus den Städten Hannover und Hameln und den „kleinen" Städten; Merkel S. 37 mit A. 6; nach der Reformation von 1544 unter acht Beisitzern des von Hannover nach Pattensen verlegten Hofgerichts — wie es nunmehr genannt wurde — drei Vertreter der Städte; S. 38 f. Dem Hofgericht zu Wolfenbüttel gehörten nach der HGO von 1556, verfaßt von dem Kanzler Mynsinger, einem gebornen Württemberger (vgl. S. 88 A. 2), außer dem Hofrichter, der von der Ritterschaft sein sollte, neben vier Doktoren oder Lizentiaten und zwei Adligen zwei Vertreter der Städte an; ebd. S. 42; sie heißen die von der Landschaft; S. 43. Nachdem der calenbergische Landesanteil (wozu Hannover gehörte) 1584 mit dem wolfenbüttelschen vereinigt worden war, wurde ein gemeinsames Hofgericht zu Gandersheim errichtet und dabei bestimmt, daß ihm neben sechs bis acht Doktoren und vier Adligen vier städtische Abgeordnete angehören sollten; S. 51 f.; also sehr ähnlich wie in Württemberg.
Das Besondre am württembergischen Hofgericht ist alle dem gegenüber die enge Beziehung, die sich im Lauf der Zeit zwischen der Landschaftsbank des Hofgerichts und der Landschaft im Sinne von Landtag herausbildete.
1521 (vgl. S. 15) wird Tübingen von der österreichischen Regierung geradezu aufgefordert, einen aus Gericht oder Rat, „wie sich gebührt", zur Besetzung des Hofgerichts zu schicken; Zeller S. 125. Hier ist also ein Wahlrecht, nicht nur ein Vorschlagsrecht angenommen. Davon ist später nicht mehr die Rede. — Im Dienerbuch S. 78f. und bei Moser S. 306ff. sind Tübinger verzeichnet für 1547, 1553, 1566, 1571, dann Krug, gestorben 1577 W 188, endlich 1578. In diesem Jahr wurde Georg Calwer berufen (vgl. auch Adam, LTA II 1 S. 540), der nach seiner Grabschrift W 271 26 Jahre lang Hofgerichtsbeisitzer war. (Sein Geburtsjahr ist W 271 falsch angegeben; wenn er 1618 seines Alters 83 Jahre gestorben ist, wie seine Grabschrift dort erzählt, muß er, nicht sein Bruder Jakob, 1535 geboren sein. — Nach Matr. 32 ist Jakob Kalber am 10. Mai 1546 in Tübingen immatrikuliert worden; wäre er in der Tat erst 1535 geboren — Adam, LTA II 1 S. 622 — so ginge das noch über die Beispiele nachher S. 131 ff. hinaus.) Also bis 1604; da wird er, 69 Jahre alt, zurückgetreten sein. (Vgl. die Urkunde von 1604 gleich nachher.) Einige Urkunden von 1598 bis 1648 gibt eine vierseitige Druckschrift, die in die „Urkunden zur Geschichte der Universität Tübingen", Tübingen 1877, aufgestellt im Lesesaal der Tübinger Universitätsbibliothek, eingeklebt ist, mit zwei Beiträgen von [Professor] Dr. [Friedrich] Thudichum, ohne Seitenzahlen, ohne Ort und Jahr und ohne jede weitere Angabe. Auch über die Herkunft der Urkunden ist nichts gesagt. Aus Mehring, [S. 125] Archivalien des städtischen Archivs zu Tübingen, Tübinger Blätter III (1900) 13ff., sowie aus dem 11. Heft der Württembergischen Archivinventare (vgl. hier S. 14 A. 2) S. 10ff. geht hervor, daß sie aus dem städtischen Archiv zu Tübingen sind. Herzog Friedrich an Bürgermeister und Gericht zu Tübingen 19. Februar 1595: Jakob Calwer ist statt des Erasmus Wagner in den [landschaftlichen] kleinen Ausschuß deputiert worden. Da er nach altem Herkommen daneben auch eine Gerichtsperson sein soll, ist er ins [Stadt-] Gericht aufzunehmen — bisher saß er nur im Rat, nicht im Gericht — dagegen sein Bruder Georg (s. vorhin) zu entlassen (aus dem Stadtgericht), damit er dem Hofgericht wie bishero desto besser abwarten könne. (Vgl. Mehring a. O. S. 16. LTA II 1 S. 236, 35. 243.)
Herzog Friedrich 4. Februar 1604: Die Tübinger haben gebeten, in eine vacierende Stelle beim Hofgericht wieder einen aus ihrem Mittel zu setzen. Nun kommt es zwar mehr auf die qualitates personarum dann den locum an; auch sind wir an keinen Ort gebunden, sondern mögen aus unsrer Landschaft zu adsessorem nemmen, ... der zu solcher Function tauglich, derselbig sitze gleich in unserm Herzogtumb, wo er wölle. (Also ein Vorschlagsrecht der Stadt Tübingen läßt er grundsätzlich nicht gelten.) Doch mögen sie aus ihrem Mittel eine oder zwuo taugliche Personen namhaft machen. 6. August schlagen Untervogt, Bürgermeister und Gericht den Bürgermeister Kiemlin und einen zweiten vor. (Vgl. Mehring S. 16.) Aber keiner von ihnen wird berufen, sondern der Tübinger Rauch; Moser S. 306. Herzog Friedrich hat sich demnach nicht an den Vorschlag gehalten, was bei diesem selbstherrlichen Fürsten nicht verwunderlich ist. Hat er doch auch in den kleinen Ausschuß 1594 nicht den von diesem vorgeschlagnen Tübinger Bürgermeister Kiemlin, sondern den vorhin erwähnten Jakob Calwer berufen; LTA II 1 S. 221. 233. 1615 ist Rauch als landschaftlicher Hofgerichtsbeisitzer genannt von Winter II vor S. 1. — Herzog Johann Friedrich an Bürgermeister und Gericht zu Tübingen 30. Mai 1618: Johann Rauch, unsers Hofgerichts uf der Landschaftsbank gewesener Assessor, ist Todes verfahren. Ir wolt aus eurem Mittel etliche fürschlagen. (Also jetzt wird von Herzog Friedrichs Sohn und Nachfolger das Vorschlagsrecht wieder anerkannt.) 1. Juni berichten Ober- und Untervogt zu Tübingen, in ihrem und des Stadtschreibers Beisein hätten Bürgermeister und Gericht abgestimmt; die Mehrheit hatten bekommen Jakob Weininger und zwei andre, welch alle drei etlich Jahr lang das Bürgermeister- und andere der Stadt Ambter getragen. 12. Juni ernennt der Herzog Weininger zum Assessor. (Vgl. Mehring S. 17, wo es statt Hofrichter heißen muß Hofgerichtsassessor.)
Herzog Eberhard III. an Untervogt, Bürgermeister und Gericht zu Tübingen 7. August 1648: Christoph Caspar, gewesener Bürgermeister zu Tübingen, bisher Assessor beim Hofgericht, das in kurzem wieder gehalten werden soll — tatsächlich kam es nach Moser S. 296 erst 1664 zustande — hat jetzo eine andere Verrichtung bei unserer Landschaft alhie abzuwarten (vermutlich ist er in den kleinen Ausschuß eingetreten); seine Stelle ist also anderweit zu besetzen. Sie sollen ein qualifiziert Subiectum vorschlagen. 12. August wird in Gegenwart des Obervogts die Wahl [S. 126] vorgenommen; im zweiten Wahlgang wird der Gerichtsverwandte Beer gewählt. (Nach Mehring S. 17 sollte man annehmen, er sei auch ernannt worden. Nach Moser S. 307 tritt Beer noch nicht bei der nächsten Tagung 1664, sondern erst bei der übernächsten 1672 ein.)
Am Hofgericht zu Münden sind um die Mitte des 16. Jahrhunderts unter den Beisitzern drei Magister. Merkel S. 39 meint, das seien Magistri iuris. Aber Magister iuris wäre ja nichts andres als Doctor iuris — magister und doctor sind von Hause aus gleichbedeutend — und welchem Juristen hätte es im damaligen Deutschland einfallen sollen, für sich dem gewohnten und hoch angesehenen Dr. iur. den ungebräuchlichen Mag. iur. vorzuziehen?126.1 Es sind vielmehr Magistri artium, die als solche in die Juristenfakultät eingetreten, dann aber ohne Erlangung der Lizentiaten- oder Doktorwürde von der Hochschule abgegangen sind. Das war ja doch damals der vorgeschriebne Weg: durch die Artistenfakultät zur Juristenfakultät. So ist nach der Ordnung der Universität Tübingen von 1537 cap. I der Besuch der Artistenfakultät Voraussetzung für die Aufnahme in eine der obern Fakultäten; Urk. Tübingen S. 206; und die Nova statuta facultatis iuridicae von 1601 c. VII bestimmen: Wer liberalium artium magister ist, bei dem kann die Fakultät die sonst fünfjährige Frist für die Vorbereitung auf die Lizentiatenwürde um ein Jahr verkürzen; R XI 3 S. 315f. Daß aber manche, die auf irgendeine amtliche Stellung rechneten, das Studium der Rechte zwar begannen, aber nicht zum Abschluß brachten, zeigt Herzog Christophs zweite Ordination von 1561, aus der hervorgeht, daß nicht nur für den Stadtschreiber ein unvollständiges Studium der Rechte ausreichte, sondern auch junge Adlige zur Vorbereitung auf den herzoglichen Dienst sich damit begnügten; ebd. S. 148. Lehrreich ist eine Stelle in der sächsisch-thüringischen „Pollicey und Landtsordnung" Jena 1580, wo in Abschnitt XVIII unterschieden sind: Procuratorn, 1) so Leyen sein — Laie ist, wer nicht studiert hat — 2) welche studirt und nicht gradiret — also es nicht einmal zum Magister gebracht haben — 3) die im Rechten studirt und Magistri oder Baccolaurei Iuris sein — nämlich magistri artium; Baccalaureus ist die unterste Stufe in jeder Fakultät, für die drei obern Fakultäten in Tübingen schon geraume Zeit vor 1600 außer Übung gekommen; R XI 3 S. 277. 315 — 4) Doctores und Lizentiaten, die in unsern Landen advociren. Für einen Termin in gemeinen Sachen bekommen die unter 1 fünf Groschen, 2 einen halben Taler, 3 einen Gülden; in einer wichtigen Sache 2 einen Taler, 3 zwei Gülden; Meilengeld neben der Zehrung 2 sechs Groschen, 3 einen halben Gülden. (1 kommt für wichtige Sachen und für Meilengeld nicht [S. 127] in Betracht.) Doctores und Lizentiaten werden selbst wissen, was sie „ihrem stande, der sachen und ihrer arbeit gelegenheit nach" billigerweise verlangen dürfen.
Im 18. Jahrhundert ist an der Tübinger Universität vom Magisterium beim Eintritt in die Juristenfakultät nicht mehr die Rede; wohl aber wird noch in einem Visitationsrezeß von 1744 wenigstens von den einheimischen Studierenden, soweit sie nicht schon „den nötigen Grund mitbringen", der Besuch philosophischer Vorlesungen und ein Zeugnis darüber verlangt; R XI 3 S. 388.
Für die Assessoren auf der gelehrten Bank genügte nun aber nicht, wenn sie die Rechte nur teilweise studiert hatten, sondern sie mußten einen juristischen Grad erlangt haben. Wenn Burckhard S. 62 bemerkt, inter doctorem et doctorandum sei in Hinsicht auf die Tauglichkeit für die gelehrte Bank kein Unterschied, so versteht er unter dem doctorandus ohne Zweifel eben den Licentiaten. Denn die diesem — vom Kanzler — erteilte licentia wird in den Tübinger Urkunden vom ersten Anfang an nicht mehr als licentia docendi oder legendi aufgefaßt wie im Mittelalter — vgl. die Stellen bei Du Cange, aber auch noch Valentin Forster, De historia iuris civilis Romani, Aurelianae Allobrogum127.1 1609 III 3, 7 S. 464 — sondern durchweg als die Erlaubnis zur Erwerbung der Doktorwürde (beides verbunden bei Dominicus Arumäus, De iure publico III Jena 1626 S. 98: licentia ascendendi ad cathedram superiorem et tandem assequendi gradum doctoratus; doch kennt er auch noch die ältere Ableitung lediglich a licentia docendi), die für den Lizentiaten bloße Form- und namentlich Geldsache war, keine weitere wissenschaftliche Leistung erforderte; konnte man doch beide Würden am gleichen Tag erwerben. Vgl. Statuten der juristischen Fakultät 1495 Urk. Tübingen S. 281; der medizinischen Fakultät 1497 ebd. S. 307f.; 1538 ebd. S. 315ff. und sonst. Vgl. auch Georg Kaufmann, Die Geschichte der deutschen Universitäten II Stuttgart 1896 S. 274. Alfred Ritter von Wretschko, Die akademischen Grade; im Bericht über das Studienjahr 1908/9 an der Universität Innsbruck S. 81 ff. 148 A. 12.
Der Nebenabschied des Tübinger Vertrags vom 8. Juli 1514 (LTA II S. 236) spricht aus: Der Herzog habe (am 29. Juni; s. ebd. S. 188ff., besonders S. 198 N. 9 und S. 199 N. 14, worüber gleich nachher mehr) sich erboten, daß (als Räte in Kanzlei und Hofgericht) Landeskinder, die ihm tauglich und geschickt, vor andern gebraucht werden sollen, [S. 128] „ouch das Hofgericht mit Räten der Landschaft besetzt werden soll". Adam, LTA II 2 S. 72 A. 2 und Graner S. 43 fassen das so auf, daß auch landschaftliche Beisitzer ins Hofgericht berufen werden sollen. Aber fürs erste würden diese schwerlich als Räte der Landschaft bezeichnet, sondern als Räte von der Landschaft, wie ebd. S. 141 N. 8 und S. 173 N. 14 Leute von der Landschaft, Personen von der Landschaft. Sodann heißt es ja nicht, das Hofgericht solle auch mit Räten der Landschaft (neben andern) besetzt werden, sondern: es soll auch das Hofgericht (als Ganzes) mit Räten der Landschaft besetzt werden; hieße das: mit landschaftlichen Beisitzern, so ergäbe sich — streng genommen — der Widersinn, daß das ganze Hofgericht mit solchen besetzt werden soll. (An sich wäre immerhin möglich, daß nur ein ungenauer, ungeschickter Ausdruck vorläge.) Entscheidend aber ist die Fassung der Antwort Herzog Ulrichs vom 29. Juni 1514 auf die Beschwerdeschrift der Landschaft vom 26. Juni, worauf der Nebenabschied verweist. Hier heißt es: (wir wollen) „das Hofgericht mit rat unser landschaft besetzen". Nichts andres wird auch der Ausdruck mit Räten der Landschaft bedeuten. So sagt man auch statt im Rat sitzen, in der Beratung begriffen sein: in Räten sitzen; Clemens Sender, Augsburger Chronik, um 1530 (Die Chroniken der deutschen Städte XXIII Leipzig 1894) S. 45; S. 92 abweichende Lesart zu Zeile 20; S. 200 ebenso zu Z. 3: ist ein rat in den räten gesessen; andre Fassung: ist ein rat bei einander gesessen im rat. (Auf diese Stellen verweist Fischer, Schwäbisches Wörterbuch V S. 150.) Herzog Ulrich fährt fort: „Dann wir uns allwegen geflissen haben fromer redlicher lut in unser usrichtung und das noch begirig sien zu tun". Eine ausdrückliche Zusage, Leute von der Landschaft zu nehmen, gibt er also nicht; jedenfalls nicht über die bisherige Übung hinaus. (Wortlaut der Antwort nach gütiger Mitteilung der Württ. Archivdirektion. Vgl. LTA II S. 199 V S. 14. S.208 ebd. muß es — nach freundlicher Mitteilung des Staatsarchivs — statt Konzept heißen: Kopie.)
Vielleicht ist schon Dezember 1481 Dr. Ludwig Mangold der M. Mangold, Canonicus, der 1483 Rektor der Universität ist, Matr. S. 44, und wieder 1491, hier eingetragen als Mangold Widmann, Decr. Dr. Matr. S. 87. 1493 ist unter den Beisitzern beim Hofgericht zu Tübingen D. Ludwig Mangold, Canonicus zu Tübingen, 1497 bei dem zu Stuttgart D. Mangold Widmann. Auffallend ist nur, daß Ludwig Mangold beim Hofgericht 1481 schon Doktor heißt, der Rektor Mangold 1483 nur Magister. Sollte bei dem Dr. von 1481 an einen Doctor artium = Magister artium zu denken sein? Freilich kommt ein solcher (in der Verbindung artium et legum D.) nur ein einziges Mal in der Tübinger Matrikel S. 164 N. 102 vor — s. Kaufmann (wie S. 126 A.) S. 207 — sonst meines Wissens [S. 129] nirgends im Tübinger Sprachgebrauch. Vgl. auch die scharfe Scheidung zwischen den Magistern und Lizentiaten einerseits, den Doktoren andrerseits hier S. 122; aber dort ist es vielleicht gerade die vom Mag. art. schon erworbene Würde des lic. legum, die verhindert, daß bei ihm der M. durch einen D. ersetzt wird.
1484 (S. 14 A. 1) ist M. Konrad Feßler, lic., doch wohl der Konrad Vesseler, der als Tübinger Rektor zwar 1478 nur Magister heißt — damals noch Mitglied der Artistenfakultät und im Collegium, dem Professorenhaus, wohnhaft: in artibus collegiatusMatr. S.18 — aber 1490 M ... indecr(etis) lic(entiatus) Matr. S. 82; 1497 ist er dann Decr. Dr. Matr. S. 115.1502 ist er Matr. S. 134 Feßler geschrieben. Freilich wäre dann die Bemerkung am Schluß des Verzeichnisses der Hofgerichtsbeisitzer von 1484: „alle zu Stuttgart" schwerlich richtig; es ist ja wohl nicht anzunehmen, daß er zeitweise nach Stuttgart übergesiedelt sein sollte. Vielleicht ist mit dem Meister (= Magister) Konrad Faßler bei dem Schiedsgericht von 1490 — Urk. Stuttgart S. 421, 24; vgl. hier S. 28 A. (5) — auch Feßler gemeint. (1489 heißt er Meister Konrad Fasseller Urk. Stuttgart S. 498, 21.)
1493 beim Hofgericht zu Tübingen (S. 14 A. 2) waren es drei Universitätslehrer : D. Konrad Feßler und D. Ludwig Mangold, beide Canonici zu Tübingen, und M. Johann Lupfdich, 1495 als utriusque iuris licentiatus Rektor der Universität, Matr. S. 104, später Dr. In Stuttgart 1506 (S. 14 A. 1) sogar vier: D. Lupfdich, D. Ambrosius Widmau (Decr. Dr., 1510 Kanzler der Universität, Zeller S. 396; S. 435), Lt. Winkelhofer (1509 Rektor Matr. S. 169), Dr. Kaspar Vorstmeister (1523 als Ordinarius zu Tübingen bezeichnet Urk. Heilbronn III S. 139, 22; freilich ist er in Zellers Verzeichnis der Professoren nicht zu finden; aber auch Gebhard — nachher S. 130 — nicht.) 1509 Invocavit (wie vorhin) wären es sogar fünf, nämlich außer den vorigen noch M. Johannes Ofterdinger, wenn dieser mit Recht von Moser S. 318 als Propst von Tübingen bezeichnet wäre; er müßte dann stiftungsgemäß Kanzler der Universität gewesen sein (vgl. R XI 3 S. 6). Aber das trifft schwerlich zu; er wird nirgends unter den Kanzlern aufgeführt; der Kanzler Johannes Vergenhans (Nauclerus, der Bruder des früher besprochnen Ludwig S. 34 A. 8) scheint 1510 gestorben zu sein, und in diesem Jahr trat Ambrosius Widmau das Amt des Kanzlers an (s. vorhin); für Ofterdinger bleibt also kein Raum übrig.
In einem Anbringen der Universität — Urk. Tübingen S. 116ff. — wird geklagt, der Herzog lasse zu dem Hofgericht etliche Ordinarien beschreiben, die täglich zu lesen schuldig seien. „Wa nun die gedachten doctores den ganzen tag ußerhalb der stund, darin sie lesen, im hofgericht sitzen", sind sie in ihrer Lehrtätigkeit behindert. „Etlich ... mögen krankheit halb ... die beide, nemlich ... hofgericht und lectur, nit versehen, besonder lassen . . . ir lection ungelesen". Der Herzog wird deshalb gebeten, er möge abgesehen von „großen und dapfern (wichtigen) hendeln" „hinfüro (zum Hofgericht) doctores, licentiaten und magistros, die nit lesen, verordnen", oder doch „solche doctores us der Universität", die geschickt und gesund genug seien, „beide, nemlich das Hofgericht und ir lectur (zu) versehen " — Da hier offenbar vorausgesetzt ist, daß der [S. 130] Professor am gleichen Tag, wo er im Hofgericht sitzt, dazwischen hinein eine Stunde lesen kann, muß das Hofgericht in Tübingen selbst abgehalten werden, die Urkunde also nach 1514 abgefaßt sein, nicht „etwa 1510", wie a. O. angenommen ist. Denn die Klage macht nicht den Eindruck, daß nur von einem vereinzelten Fall wie dem von 1507 (hier S. 14 A. 2) die Rede sei. - Ähnliche Klagen 1527 ebd. S. 153; 1546 ebd. S.250.
10. Mai 1543 wird Dr. Kaspar Volland seines Beisitzeramts am Hofgericht „außer gnedigem willen erlassen, damit er unverhindert seiner lectur des (= desto) stattlicher vor sein mög". Tübinger Universitätsarchiv Fach VII 4. Umgekehrt wurde 1556 „mit D. Gebharden gehandelt, weil er als ein Landkind — was freilich auch Volland war; Zell er S. 445 — des Hofgerichts nicht zu erlassen, daß er von seiner Lectur als professor iuris abstehe", und es wurde ihm sein Leben lang „ein genantes — also fest bestimmtes — Gnadengelt" gegeben. Es war das der Erfolg einer Beschwerde der juristischen Professoren von 1546 über ihre Zuziehung zum Hofgericht und einer Vorstellung der ganzen Juristenfakultät von 1554, „daß keiner ex professoribus zugleich Professor und Assessor des Hofgerichts sein könne". Bericht des Hofgerichts vom 23. August 1698 im Staatsfilialarchiv (vgl. S. 39 A. 4). 21. Mai 1582 erwidert der Herzog auf eine Beschwerde des Senats, „daß in das nechst bevorstehende Hofgericht abermals beede Doctores und Professores beschriben" worden seien — vermutlich Chilian Vogler und Valentin Volz, die nach Erlaß vom 4. Juli 1572 nächste Woche, durch ehafte — also triftige — Ursachen verhindert, durch Anastasius Demler und Johannes Hochmann, ebenfalls zwei Professoren, vertreten werden müssen (Universitätsarchiv wie vorhin); vielleicht auch diese selbst —: Wir können leichtlich ermessen, „daß solches dem Auditorio iuris etwas Einstellung (Unterbrechung) und Abtrag (Eintrag, Schaden) verursache, und wolten dasselb für uns selber, so vil immer menschlich und müglich, gern verhüetet sehen". Aber wir brauchen unsre Räte teils auf dem Reichstag, teils sonst in Legationen, „derowegen ist unser gnedigs begeren, ir wollen es solcher verhinderlicher Ursachen wegen bei unser hievorigen Verordnung diesmal bleiben lassen; gedenken wir in künftig irer und anderer Professoren, so vil jederzeit sein wird künden (= können), zu schonen." (Ebd.) Vgl. auch die Visitationsrezesse von 1570 und 1581 bei Graner S.62.
In seinem Verzeichnis der Tübinger Professoren der Rechte, die das primum votum geführt haben, nennt Schöpff Praef. (39) nach A. nnn an erster Stelle, vor Hochmann, Johann Sigwart. Aber dieser findet sich weder in Zellers Verzeichnis der juristischen Professoren noch bei Christoph Sigwart, Genealogie der Familie Sigwart, Tübingen 1895. Da nun nach S. 40 A. (8) das Hofgericht 1698 (Johann) Sichard als den ersten Professor der Rechte bezeichnet, der die erste Stimme geführt habe, [S. 131] ist vermutlich bei Schöpff eine Verwechslung mit diesem anzunehmen. (So Graner S. 65 mit A. 4.) Hochmanns unmittelbarer Vorgänger kann er freilich nicht gewesen sein; denn er ist 1552 gestorben, Hochmann aber wird noch 1572 nur als Stellvertreter ins Hofgericht berufen (s. S. 130; das erstemal schon 1561; Moser S. 313). Indes ist das, was von Sichards Tätigkeit am Hofgericht gesagt wird, überhaupt sehr zweifelhaft; denn weder in der Oratio funebris auf ihn von Garbitius, Tübingen 1552, ist etwas davon zu finden noch in Fichards Vita Sichardi, vorn in der Ausgabe von Sichards in codicem Iustinianeum praelectiones, Frankfurt a. M. 1586, obgleich beide von seinen verschiednen Aufträgen genauen Bericht geben, auch nicht bei Heinrich Pantaleon, Teutscher Nation . . . Helden III Basel 1578, der S. 223 f. Sichard behandelt und nicht versäumt mitzuteilen, daß er der Herzoge „Huldrich" und Christoph Rat gewesen sei. Auch daß Sichards Grabschrift W 379 seine Eigenschaft als Hofgerichtsassessor nicht berührt, ist höchst auffallend. Daß er ständiger Beisitzer gewesen sein und dauernd die erste Stimme geführt haben sollte, wie jener Bericht des Hofgerichts von 1698 behauptet, machen die Klagen über häufigen Wechsel in der Besetzung des Hofgerichts recht unwahrscheinlich, die noch 1565 und lange später erhoben werden (s. S. 19 A. 8) ohne jede Andeutung, daß die erste Stimme darin eine Ausnahme mache. Auch wird in einem Bericht der Juristenfakultät vom 20. November 1714, worin sie das Alter ihres Anspruchs auf die erste Stimme nachzuweisen sucht (an dem S. 39 A. 4 angegebnen Ort), aus dem 16. Jahrhundert nur Hochmann — allerdings exempli gratia —, nicht Sichard genannt. So wissen denn auch Zeller (1743) S. 444, Bök (1774; vgl. hier S. 60 A. 5) S. 82f., Mandry in den Württembergischen Jahrbüchern 1872 II S. 18ff., Eisenhart ADB 34 S. 143ff. nichts davon, daß Sichard Beisitzer am Hofgericht gewesen wäre. Nach Moser S. 322 war er es 1535, aber, wie es scheint, nur in diesem einen Jahr; da mag man denn auch ihm, dem anerkannten Rechtsgelehrten, die erste Stimme zugestanden haben; aber nicht für die Dauer wie den Professoren des 17. und 18. Jahrhunderts.
Ein so jugendliches Alter war damals immerhin selten. Die Tübinger (handschriftliche) Universitätsmatrikel gibt seit November 1768 mit wenig Ausnahmen das Alter bei der Immatrikulation an. Im ganzen Jahr 1769 findet sich kein Jurist unter 16 Jahren (sechzehnjährige sind es vier, alle andern älter); 1770 ist unter 23 Juristen, deren Alter angegeben ist, Knapp der einzige mit weniger als 17 Jahren. 1771 sind drei Fünfzehnjährige eingetragen; die Väter sind ein Universitätsprofessor, ein Kammervizedirektor, ein Generalmajor; dazu kommt noch einer mit 15 1/2 Jahren; 9. Dezember 1768 allerdings sogar ein Vierzehnjähriger, ein Baron von Kniestedt. Unter den Theologen findet sich 1768 und 1771 je ein Fünfzehnjähriger, 1772 sogar zwei, beides Söhne von Universitätsprofessoren; [S. 132] 1770 aber sind unter 22 Theologen mit einer nicht ganz sichern Ausnahme eines Sechzehnjährigen alle andern mindestens 17 Jahre alt; 1769 drei Sechzehnjährige, kein jüngerer. Unter den wenigen Medizinern ist einer 1768 sechzehn Jahre alt, alle andern in diesen Jahren älter; 1769 z. B. 7 von 18—27 Jahren. Unter den 26, die 1769 aus der Klosterschule zu Bebenhausen in die philosophische Fakultät eintreten, finden sich zwei mit 15 Jahren, einer mit 15 einer mit 15 Jahren 11 Monaten; 9 sind 17 Jahre alt, die andern 16. Gehen wir etwas weiter zurück, so finden wir allerdings noch jüngere akademische Bürger. Christoph Matthäus Pfaff, später Professor der Theologie und Kanzler in Tübingen, nachher in Gießen, trat 1699 mit 13 Jahren ins Tübinger Stift, das theologische Seminar, ein, wo er Philosophie und Theologie zu studieren hatte, und machte mit achtzehn die Abgangsprüfung von da; W S. 293. Johann Jakob Moser, geboren 1701 zu Stuttgart, hat sich 5. Juli 1714 in die Matrikel eingetragen, ist aber dann nicht etwa auf der Universität geblieben, sondern, nachdem er sich so das akademische Bürgerrecht erworben und damit vermutlich (wie Uhland s. nachher) ein Anrecht auf ein Familienstipendium gesichert hatte, nach Stuttgart zurückgekehrt, wo er noch drei Jahre lang das Gymnasium besuchte. 1717 bezog er dann wirklich die Universität. (Vgl. was er in seiner Lebensgeschichte erzählt, Schwäbische Merkwürdigkeiten I Stuttgart 1757 S. 174; 5. April 1717 ist er noch einmal in die Matrikel eingeschrieben. Schon 1720 wurde er Lizentiat der Rechte und im gleichen Jahre noch außerordentlicher Professor in Tübingen; ebd. S. 175.) Ähnliche Fälle kamen damals häufig vor. Wir finden bei zahlreichen Namen den Eintrag: ob actatem non iuravit — das wird dann später hereingeholt; vgl. Matr. 4. Juni 1714 — und zuweilen die weitre Bemerkung: patriam repetiit, manchmal mit dem Zusatz: post depositionem oder impetrato depositionis testimonio; die etwas grausame Aufnahmefeierlichkeit war übrigens wahrscheinlich schon damals wie 1752 — Statuta renovata c. 17 R. XI 3 S. 437 — durch eine feste Abkaufsumme ersetzt; sonst könnte das Zeugnis nicht 3. April 1709 auch von Abwesenden durch Vermittlung eines Landsmanns erworben werden. Von 10 Ulmern heißt es 8. Oktober 1714: Ulmense gymnasium frequentare pergunt, bei dem und jenem andere: in ill(ustre) gymn. Stuttgart, reversus est; oder in die Klosterschule zu Bebenhausen. Tübinger, die sich in jungen Jahren einschrieben, z.B. noch Uhland als Vierzehnjähriger um eines Stipendiums willen, nahmen dann, weil die Tübinger Lateinschule eigentlich nur auf Schüler bis zum 14. Jahr eingerichtet war, Privatstunden und hörten Vorlesungen an der philosophischen Fakultät (vgl. vorhin S. 127; auch S. 61 A. 1). Sein juristisches Studium begann Uhland, obschon gleich anfangs in die juristische Fakultät eingeschrieben, erst 1805 im 18. Lebensjahr. Vgl. L. Uhland. Eine Gabe für seine Freunde. Zum 26. April 1865. Als Handschrift gedruckt. S. 15. 18. Friedrich Notter, L. Uhland, Stuttgart 1863, S. 18. —Zum Vergleich ein auswärtiges Beispiel: Nikolaus Fuß, der spätre Mitarbeiter des großen Euler, kam 1767 mit 12 1/2 Jahren auf die Universität Basel; J. M. K. im Sonntagsblatt der Basier Nachrichten 1926 N. 19. — In einem Aufsatz des [S. 133] Tübinger Professors der Botanik Ernst Lehmann in der Schwäbischen Kronik (des Schwäbischen Merkur 2. Abteilung) 1927 N. 210 lese ich, einer seiner Vorgänger, Rudolf Jakob Camerer, sei 1677 im zwölften Lebensjahr akademischer Bürger geworden, und das sei damals üblich gewesen. Worauf sich diese Angabe stützt, weiß ich nicht. Vgl. übrigens auch Jakob Kalber hier S. 124.
Karl Ludwig Dietrich v. Gemmingen aus Ludwigsburg, geboren 1772, erscheint bis 1793 im Adreßbuch unter den Studierenden der Hohen Karlsschule, und zwar unter den in der Akademie wohnenden Cavaliers. Im Februar 1794 wurde die Karlsschule geschlossen; Schneider S. 382. Gemmingen kann also nicht, wie C. W. F. L. Stocker, Familien-Chronik der Freiherrn von Gemmingen, Heilbronn 1895, S. 151 anzunehmen scheint, sein Rechtsstudium 1796 in der Karlsschule abgeschlossen haben. Nach Stocker war er dann Praktikant am Reichskammergericht in Wetzlar. Dorthin ging er vermutlich erst, nachdem er 1795 Auskultant beim Hofgericht in Tübingen gewesen war. Daß er darauf Assessor beim Hofgericht in Tübingen gewesen sei, wie Stocker und Dienerbuch S. 58 angeben, stimmt nicht mit dem Adreßbuch. Zwar ist er 1800 unter den Kammerjunkern aufgeführt mit der Bemerkung „beim Hofgericht"; aber auf der adligen Bank des Hofgerichts erscheint er weder in diesem Jahr noch vor- oder nachher. Vielleicht beruht jene Bemerkung auf einer Verwechslung damit, daß er (nach Dienerbuch S. 58) in diesem Jahr Auskultant beim Regierungsrat war (vgl. S. 63 A. (5)). 1801—1805 ist er adliger Regierungsrat, natürlich nicht in Ulm, wie Stocker sagt, sondern in Stuttgart; von 1806 an Oberjustizrat in Eßlingen (wie Eyb S. 112 A.).
Die Folioausgabe von 1724 (s. a. O.) enthält die beim Reichskammergericht vorgelegten — insinuierten — Appellationsprivilegien im Wortlaut, und zwar, soviel ich sehe, jedesmal das zuletzt vorgelegte, so für Württemberg-Mömpelgard die Urkunde von 1712 (s. S. 87 A. 1), dazu die S. 84 A. 5 erwähnte, nicht ganz richtige Nachricht. Maximilians I. Freiheitsbrief vom 20. August 1495, obwohl 1556 beim Reichskammergericht vorgelegt (S. 83 A. 4), ist mit Recht nicht aufgenommen, weil er eben kein Appellationsprivileg ist.
Die Aufforderung, sämtliche Privilegia de non appellando, soweit noch nicht geschehen, binnen kurzem vorzulegen, 1570 zum erstenmal ergangen (S. 84), war „nach der Speyerischen Verstöhrung" durch den jüngsten [S. 134] Reichsabschied von 1654 § 111134.1) wiederholt und durch den Visitationsrezeß von 1713 § 9134.2 noch einmal eingeschärft worden. Soweit sie befolgt war, hat Ludolf, wie er in der Vorrede sagt, Abschrift oder Abdruck, wie sie durch den Leser oder lector (vgl. S. 84 A. 2) beglaubigt waren, verglichen, andernfalls sonstige Copeyen, und zwar Drucke, wobei er sich jedesmal versicherte, ob sie auch wirklich seinerzeit beim Reichskammergericht vorgelegt worden seien; darüber gab ein Verzeichnis in der Leserei — früher oder daneben ein in der Ratstube aufgehängtes (s. ebd. sowie im jüngsten Reichsabschied a.O.) — Auskunft.
Eine Zusammenstellung der Appellationsprivilegien hatte Ludolf schon seiner De iure camerali commentatio systematica Frankfurt 1719 (3. Auflage ebd. 1730) als Appendix V. beigegeben, lateinisch abgefaßt, unter dem Titel: Catalogus privilegiorum S[acri] R[omani] Imperii Electorum, Principum et Statuum; deutsch, etwas erweitert, als besondres Buch unter demselben Titel Catalogus usw. ebenfalls Frankfurt 1719. Es wurde ersetzt durch die Folioausgabe von 1724: Privilegia usw. Von der commentatio erschien nach dem Tod des Verfassers, besorgt von Zwirlein, eine neue Ausgabe Wetzlar 1741, der mit neuer Seitenzählung, deutsch, Wetzlar 1740, der Catalogus von 1719, etwas erweitert, beigegeben wurde.
Der Streit erneuerte sich, als in Kaiser Maximilians II. erneuerter Hofgerichtsordnung (das Rottweiler Hofgericht ist gemeint) von 1572 (vgl. hier S. 104 A. 4) S. 28 f. im Einklang mit Maximilians I. Privilegium von 1496 (hier S. 105) abermals ausgesprochen wurde, daß eine Befreiung vom Hofgericht nicht auch für die Ehaften gelte, ungeachtet der von vielen Ständen ausgebrachten Freiheiten, die hiemit aus kaiserlicher Machtvollkommenheit für ungültig erklärt wurden. Die Reichshofratsordnung von 1654 (III § 15. Neue Sammlung IV; Zugabe S. 58) schrieb vor, daß in die Privilegien (de non evocando) eine besondre Ehaftenklausel aufgenommen werden müsse, d. h. ein Vorbehalt, der die Ehaften von der Befreiung ausschließe, wich aber sofort wieder einen Schritt zurück, indem sie hinzufügte: es müßte denn sein, daß seit 1582 — dem Jahr der Ausgabe der erneuerten Hofgerichtsordnung von 1572 — eine ausdrückliche Befreiung auch von den Ehaften gewährt worden wäre. Württemberg war in der glücklichen Lage, eine solche förmliche Befreiung aufweisen zu können: in einem kaiserlichen Erlaß vom 5. September 1629 — J. J. Moser, Sammlung (vgl. hier vorne S. 75 A. 6) S. 380ff.; teilweise abgedruckt R V S. 403; also vom gleichen Tag wie der S. 85 A. 5 besprochne Bestätigungsbrief — war das Privilegium vom 20. August 1495 (s. S. 77) wörtlich wiederholt, bestätigt und hinzugefügt, daß die Befreiung auch für [S. 135] die Rottweiler Ehaften gelte; und in einem Erlaß vom 5. Februar 1630 — Burckhard S. 185f. J.J. Moser a.O. S. 386 ff.135.1 — war diese Befreiung auch von den Ehaften, für Württemberg und die linksrheinischen Besitzungen, dem Hofgericht zu Rottweil eröffnet worden. — Übrigens hatte die ganze Mühe, die sich's Württemberg hatte kosten lassen, um die Sache ins reine zu bringen, (Wckherlin S. 67 erzählt ausführlich davon) nicht den gewünschten Erfolg: das Hofgericht bestand in einem Beschluß vom 8. Juni 1630 auf dem Vertrag von 1472 (hier S. 105 A. 2) und "behielt dem Kaiser, sich selbst und jedermänniglich die Gebühr gegen die kaiserliche Konfirmation vor" (Weckherlin a.O.); auch ein Beispiel für die Rechtsverwirrung im alten Reich.